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    Deus Avatar von John Irenicus
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    John Irenicus ist gerade online

    Exclamation Battle Royal #1

    „Da würde meine Oma ja mehr gegenhalten! Und die ist immerhin schon lange Futter für die Molerats!“
    „Wenn die so riecht wie du, dann sind da aber einige Molerats verhungert, glaub mal dran!“

    Sebastian beteiligte sich nicht an dem ganzen Trubel, den kleinen Spielchen und dem Gejohle, kam aber auch nicht umhin, die mehr als platte Bemerkung zu beschmunzeln. In der Tat war der kleinere der beiden Männer, die sich am wackelig stehenden Holztisch gegenübersaßen, keine angenehme Gesellschaft, und das nicht nur, weil er eine eigentümliche Geruchsmischung aus altem Schweiß und Verwesung ausströmte, die vermutlich schon jetzt den gesamten Wald bei Onars Hof entvölkert hatte. Schon kurz nachdem Sebastian auf das Hofgelände getreten war, hatte Yves sich bei ihm vorgestellt und ihm schließlich minutenlang und ungefragt eine hanebüchene Märchengeschichte erzählt, die er allen Ernstes als seine eigene Biografie ausgab. Die mitleidigen Blicke der anderen Abenteurer – unter ihnen auch ein paar hofansässige Söldner – hatten Sebastian bei einer kurzen Vorstellungsrunde schnell verraten, dass er nicht der erste war und womöglich auch nicht der einzige bleiben würde, der eine Kostprobe von Yves’ Abenteuergeschichten bekommen hatte.
    Kraft hatte Yves allerdings. Ungeachtet seiner kleinen Statur – er ging Sebastian nicht einmal bis zur Schulter und wirkte auch abgesehen davon nicht besonders stämmig – war er gerade drauf und dran, den „Dicken Martin“, wie er genannt wurde, beim Armdrücken seiner ersten Niederlage des Tages zuzuführen. Bisher hatte das noch keiner der anwesenden Wettbewerber geschafft, und bei einigen dieser Muskelpakete sollte das etwas heißen. Neben Sebastian hatte allerdings gerade derjenige, der am gefährlichsten aussah, die Herausforderung zum Armdrücken nicht angenommen. Dieser jemand lehnte schon seit einer halben Stunde von außen an Theklas Küche, hielt die Arme fest vor seinem Körper verschränkt und bedachte das Treiben ein paar Meter weiter nur mit gelegentlichen, flüchtigen Blicken. Er sprach nicht viel und hatte sich als einziger nicht vorgestellt. Sebastian hatte vermutet, gerade deshalb würde dieser schweigsame Riese schon bald seinen Spitznamen unter den Männern weg haben, doch es schien, als wollte keiner das Risiko eingehen, den Zorn des Fremden auf sich zu ziehen. Selbst die unbeteiligten Söldner, die wie gewohnt und ungeachtet ihrer uneingeladenen Gäste auf dem Hof ihrer Arbeit oder auch Nichtarbeit nachgingen, wagten es nicht, sich ihm zu nähern. Geschweige denn die Bauern, die es sogar vermieden, auch nur ansatzweise in seine Richtung zu schauen – was Theklas Küche heute wohl einige Besucher kosten mochte.
    Mit einem Mal schaute der Schweigsame auf und sah in Sebastians Richtung, was letzteren dazu veranlasste, den Blick möglichst schnell zu senken und aus reiner Verlegenheit noch einmal das Flugblatt hervorzuholen, welches ihn – und all die anderen – überhaupt erst hierhin gebracht hatte. Wirklich viel stand ja nicht drauf: Der Ort, die Zeit, der nebulöse Anlass: Ein Abenteuer, ein Wettbewerb war versprochen, in dem sich die stärksten Schwertkämpfer, geschicktesten Akrobaten, gelehrtesten Zauberkünstler und tollkühnsten Abenteurer messen sollten. Und nur einer, ein einziger, würde am Ende „den großen Preis“ gewinnen. Was auch immer der Preis war: Die meisten lockte vermutlich allein schon das versprochene Abenteuer, die Gelegenheit, sich Ruhm und Ehre zu verdienen. Vor allem bei den zwei gelangweilten Söldnern von Onars Hof, die ebenfalls mitmischten, war offenbar der schiere Hunger nach Abwechslung das antreibende Motiv.
    Ein wenig kam Sebastian allerdings auch der Gedanke, sich inmitten einer Veranstaltung gescheiterter Existenzen zu befinden, denn wer mit seinem Leben vollauf zufrieden war, der würde ganz sicher nicht auf ein mysteriöses Flugblatt hin an einem Wettbewerb teilnehmen, dessen Ausrichter man noch nie zuvor gesehen hatte. Gerüchten zufolge war es ein junger Geschäftsmann, der vor wenigen Tagen mit seinem Handelsschiff auf der ehemals berühmten Insel Khorinis vor Anker gegangen war. Über dessen Beweggründe war sich Sebastian aber ebensowenig im Klaren wie über seine eigenen. Er hatte jedoch beschlossen, sich selbst nicht mehr zu hinterfragen: Warum er das ganze machte, diese Frage konnte er immer noch beantworten, wenn der Wettbewerb zu Ende war – hoffentlich mit ihm als Gewinner.
    Ein lautes, teils empörtes Aufjohlen entließ ihn aus seinen Gedankengängen. Der Holztisch, den die Männer hier im Freien aufgestellt hatten, war umgekippt und hatte dem Armdrücken-Wettbewerb ein jähes Ende beschert – leider ohne eindeutigen Sieger.
    „Du hast dich zu sehr aufgestützt!“, beschuldigte Yves den dicken Martin, doch noch bevor sich dieser auf eine Diskussion einlassen konnte, sprang die Aufmerksamkeit der Gruppe schon wieder zu ganz anderen Geschehnissen. Das Warten hatte ein Ende.
    „Ich glaube, das ist er“, sagte Niklas, der selbsternannte Weißmagier in der dünnen Robe, die vor langer Zeit mal eine große Tischdecke gewesen sein mochte.
    „Kann ja nur“, pflichtete ihm einer der beiden anwesenden Jäger bei, deren Namen Sebastian aus irgendeinem Grund immer durcheinanderwarf.
    Jetzt blickten sie alle – sogar der schweigsame Riese – den breiten Feldweg zum Hof hinunter, den gerade eine Gesellschaft aus vier Leuten hinaufschritt.
    „Entschuldigt bitte die Verspätung“, rief einer von ihnen schon von weitem, und der joviale Tonfall in seiner Stimme und das gewinnende Lächeln, was er beim Näherkommen offenbarte, wiesen ihn unmissverständlich als den Veranstalter des Wettstreits aus.
    „Ich habe hier noch jemanden mitgebracht“, sprach er weiter und kam schließlich bei der Gruppe zum Stehen. „Eine letzte Teilnehmerin… eine Kurzentschlossene, wenn man so will!“
    Ein Raunen ging durch die bis vor kurzem noch rein männliche Gruppe der Wettbewerber, als sich die blonde Frau mit Pferdeschwanz festen Schrittes zu ihnen gesellte. Sie trug schlichte, braune Lederkleidung, welche wohl keiner männlichen Fantasie über figurbetonende Rüstungen für Frauen gerecht wurde.
    Unterdessen hatten sich die drei verbliebenden Neuankömmlinge vor ihnen aufgestellt, der Veranstalter in der Mitte. Er trug ein langes Gewand, welches mit seinen Farbtönen von schwarz bis lila fast schon einer Schwarzmagierrobe ähnelte, im Vergleich aber wesentlich harmloser und edler wirkte. Zu seiner Rechten hatte sich der ältere Mann mit der Sehhilfe auf der Nasenspitze gesellt, zu seiner Linken weilte der vom Alter her kaum einzuschätzende, ganz in schwarz gekleidete Mann, der einen seltsam abwesenden, unbeteiligten Eindruck machte.
    „Ich denke, wenn ich ohnehin schon zu spät bin, kann ich auf das ganze feierliche Blabla verzichten, nicht?“
    Aus den Reihen der Männer – und der einen Frau – gab es keine Antwort. Der Veranstalter wartete aber auch gar nicht erst auf eine sondern redete nun in einer Wahnsinnsgeschwindigkeit drauf los.
    „Wer den großen Preis gewinnen will, muss die vier Einzelteile eines Artefakts finden, die hier auf der Insel verstreut sind. Auf ganz Khorinis weilen die sogenannten Eingeweihten, die euch Hinweise geben können. Nur einer von euch kann gewinnen. Teamarbeit gibt es nicht. Weitere Regeln übrigens auch nicht. Alles klar? Dann mal viel Erfolg!“
    Stille. Die Wettbewerber blickten ihn ungläubig an.

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    Auserwählter Avatar von Ronsen
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    Ronsen ist offline
    Ein eisiger Wind fegte über den Hof, wirbelte Staub und Sägespäne auf und hinterließ eine Atmosphäre, so angespannt und kalt wie die Gesichter der Anwesenden. Ein gutes Dutzend Abenteurer hatte sich auf dem Platz vor dem Hof des Großbauern eingefunden und jeder Blick ruhte auf dem reichen Veranstalter und seinen Beratern. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit begann sich einer zu regen, ein korpulenter Krieger mit Armen dick wie Baumstämme. Und er fragte die eine wichtige Frage, die jedem von ihnen durch den Kopf ging.

    „Was soll das für ein Preis sein?“

    Ein Raunen ging durch die Gruppe.

    „Ja, wieso sollte der dicke Martin seinen Fettarsch überhaupt hier weg bewegen? Überlasst diesen Auftrag lieber einem Einzelnen, einem richtigen Abenteurer!“

    „Schnauze, Yves!“, kam es von dem stämmigen Krieger zurück und es würde nicht lange dauern, bis eine Rauferei ausbrach.

    „Du Sohn einer Hündin! Ich werde dir zeigen, dass ich ein besserer Abenteurer bin als jeder einzelne von euch! Ich habe ein Pferd!“

    „Wohl eher ein Kamel, wenn du dich da drauf setzt, Specki!“, kam es nun von einem anderen Söldner.

    „WAS HAST DU GESAGT!?“

    „Specki! Specki-Mampftonne!“

    Während Martin, Yves und die Söldner begannen, sich gegenseitig zu provozieren und die Köpfe einzuschlagen, schritt die blonde Frau zu dem Edelmann voran und blickte zu ihm empor. Ihr spitzes Näschen reichte gerade einmal bis zum Kinn des elegant gekleideten Mannes, doch ihre eisblauen Augen ließen selbst den sonst so gelassenen Veranstalter schaudern. Wissend, was für Gefahren vor ihr lagen, war es eine Schande, dass sie unbedingt teilnehmen wollte. Doch sie war dank ihrer besonderen Gaben eine wertvolle Bereicherung für diesen Wettkampf. Es hatte dreißig Wachen gebraucht, sie nach ihrer Flucht zu stellen und ihm zu verpflichten.

    „Der Preis“, begann der Veranstalter mit seiner hohen Stimme, „Sei die Erfüllung dessen, was ihr euch in eurem tiefsten Herzen wünscht.“

    Für sie war es ihre Freiheit, denn obgleich er sie in dieses Abenteuer schickte, war sie eine Gejagte. Gewiss verfolgte jeder Teilnehmer ein anderes Ziel. Vom schnöden Mammon wegen, über tausende Jungfrauen bis hin zu Männern, deren verfallenes Leben nur weiter gehen konnte, wenn sie ein Licht am Ende des Tunnels sahen. Der Veranstalter war reich, er würde ihnen alles erfüllen können. Wie auch immer. Mit dieser Antwort schienen sich die meisten zufrieden zu geben. Der Veranstalter und seine beiden Berater schritten in das Haus des Großbauern und überließen die Abenteurer ihrem Schicksal.

    „Wo sollten wir anfangen?“, fragte einer der teilnehmenden Jäger seinen Kameraden.

    „Zu Orlan, wenn jemand etwas über die Eingeweihten weiß, dann sicher der Wirt in der Taverne.“

    Plötzlich hallten schwere Hufschritte über den Hof und unter dem quälenden Gewicht von 300 Pfund Fleischeinwaage ritt der dicke Martin mit seinem Gaul über den Hof.

    „Harhar, hüa Tony, lass diese Versager deinen Staub fressen!“

    Doch nur mit mühseligem Schritt trappelte das Pferd davon und es war mehr als peinlich, als man sah, wie der Gaul bereits am Ende der Straße den Weiterritt verweigerte. Dann machten sich die anderen Abenteurer nach und nach auf den Weg - die Jäger durch die Wälder, die Söldner auf der Straße. Sebastian hielt sich vorerst an Yves, der aber selbst nur Augen für das Weibsbild hatte.

    „Bevor wir aufbrechen“, sagte er, „Sollten wir uns ausrüsten. Auf ein Bier in die Kneipe, ‘s könnte ja ‘s letzte sein. Psst, außerdem ist dieser Augenschmaus auch noch nicht aufgebrochen.“

    Der Weißmagier zückte ein kleines Fläschchen mit einer ebenso weißen Flüssigkeit wie die Farbe seines Bettlakens. Es sah aus wie Milch, doch er trank sie nicht, sondern beträufelte sich mit einem unheimlichen Kichern von oben bis unten damit. Dann verschwand er plötzlich - wie unsichtbar.

    Zuletzt blieb nur noch der schweigsame Riese auf dem Vorplatz zurück. Vielleicht hatte er gar nicht verstanden, was die Aufgabe war, vielleicht hatte er auch gar kein Interesse daran und war nur zufällig hier. Er starrte den Veranstalter an, der aus einem großen Fenster des Hauses beobachtet hatte, wie jeder Einzelne sich langsam auf den Weg machte. Schließlich, als der Edelmann vom Fenster zurück trat, verschwand auch er.

    „So fängt es also an…“

    Er setzte sich auf den Sessel, der eigentlich dem Großbauern gehörte und ließ sich eine Flasche vom teuersten Wein bringen. Selbst der stolze Onar gab seinen Platz als einflussreicher Landvogt ab, wenn ihm zehntausend Goldstücke für ein paar Tage Obdach angeboten wurden. Der reiche Lord lehnte sich im Sessel zurück und nippte an seinem Rotwein. Ein taubes, trockenes Gefühl machte sich dabei an seinem Gaumen breit. Seine beiden Berater saßen an seiner Seite und ließen sich eine üppige Mahlzeit bringen. Der alte Rodriguez schob seinen Zwicker die buckelige Nase hinab und prostete dem Edelmann zu.
    „Auf einen erfolgreichen Wettbewerb, Mylord. Auf dass unsere Mühen nicht umsonst waren.“

    Er nickte ruhig: „Was ist mit dem hiesigen Eingeweihten? Gab es Probleme?“
    „Keine nennenswerten. Aber ich mache mir Sorgen um den Hünen. Er sieht nicht so aus, als würde er einen Wimpernschlag lang zögern, um seine Konkurrenten auszuschalten.“

    „Das wäre aber langweilig“, seufzte der Edelmann, „Salvadore, kann ich mich darauf verlassen, dass ihr den Hünen im Auge behaltet?“
    Der große Berater zu seiner Rechten antwortete nicht. Er stand auf ohne auch nur einen Happen gegessen zu haben. Und er würde seiner neuen Aufgabe nach bestem Gewissen nachgehen, dessen war sich der Veranstalter sicher.

    „Dieser Wein ist widerlich“, sagte er nach einer Weile, „Alt und schwer, als hätte er viel zu lange darauf gewartet, endlich jemanden zu finden, der seines Geschmackes würdig ist.“

    Der alte Rodriguez schmunzelte: „In vino veritas.“
    Geändert von Ronsen (12.11.2013 um 16:15 Uhr)

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    Auserwählter Avatar von alibombali
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    alibombali ist offline
    „He, Kleines! Nu warte doch mal auf den guten Yves...“
    Selbst das Röcheln des dicken Mannes klang noch lüstern. Sebastian hielt sich ein wenig auf Distanz – einerseits weil ihm an Yves Gesellschaft jetzt nicht so viel gelegen war, andererseits weil er schon ahnte, dass das Ärger geben könnte. Warum er nicht einfach ganz eigene Wege ging, konnte er nicht so genau sagen. Vielleicht fühlte Sebastian sich vorerst ein wenig sicherer, wenn er einige seiner Mitbewerber um sich hatte. Für dieses Abenteuer hatte er sich eher aus Leichtsinn entschieden, was aber noch lange nicht bedeutete, dass er besonders mutig war... Außerdem gab es jetzt ja auch nicht so viele verschiedene Wege zur Taverne.
    „Och Kleines, was soll denn das, dass du einfach weiterläufst?“
    Yves konnte kaum mit der abenteuerlichen Schönheit mithalten, die ihm keinerlei Beachtung schenkte. Sebastian musste ein wenig über diesen Umstand schmunzeln.
    „Wollte mich doch nur... puh... vorstellen. Yves. Yves ist... mein Name... Yves!“
    „Angenehm, Yves.“
    Sie hatte tatsächlich geantwortet! Ohne sich umzudrehen natürlich. Und in sehr, sehr kaltem Tonfall. Und wahrscheinlich waren ihre Worte nicht einmal ernst gemeint. Aber sie hatte tatsächlich geantwortet! Sebastian war gespannt, wie es weitergehen mochte.
    Sie hatten die großen Getreidefelder erreicht, auf denen die Bauern alle mit gekrümmten Rücken ihren Dienst taten und das Getreide ernteten. Die sich einen leisten oder selbst herstellen konnten, trugen Hüte aus Stroh, um sich vor der sengenden Gabe Innos' zu schützen. Die anderen waren ihr schutzlos ausgesetzt. Auf den Pfaden zwischen den Feldern ging ein relativ kräftiger Mann mit einer Axt auf dem Rücken umher.
    „Vielleicht sollten wir Freunde werden“, presste Yves mühsam hervor, „Zusammen arbeiten.“
    „Zusammenarbeit hat er nicht gestattet“, antwortete die junge Frau knapp, „Und mir liegt sehr viel daran, zu gewinnen.“
    „Jaja...“ Yves überlegte genau, was er darauf erwidern sollte, „Aber vielleicht... brauchst du ja jemanden... der dich beschützt. Kann gefährlich sein, die Insel.“
    Das war zu viel des Guten, Sebastian wusste es sofort.
    Obgleich sie es zuvor noch so eilig gehabt hatte, zur Taverne zu gelangen, drehte die zierliche Person mit dem Pferdeschwanz sich nun abrupt in einer 180-Grad-Drehung und schritt mit grimmigem Blick auf Yves zu.
    „Weißt du, ich hab in meinem Leben schon einige Abenteuer überstanden...“, stammelte dieser verunsichert, „Bei Gelegenheit könnt' ich dir davon –“
    „Jetzt hör mir mal ganz genau zu“, unterbrach ihn die aufregende Schönheit, „Da wo ich herkomme, sind die Männer auch fett. Aber wenigstens haben sie ein bisschen was auf'm Kasten. Manche könnten es vielleicht sogar mit mir aufnehmen. Du dagegen bist einfach ein Dummschwätzer und könntest wahrscheinlich nicht einmal dein kleines Anhängsel da hinten beschützen.“
    Bei den letzten Worten durchbohrten ihre stahlblauen Augen Sebastian mit einem furchteinflößenden Blick. Ihm klappte vor Enttäuschung die Kinnlade herunter. Anhängsel? Hatte er jetzt schon so einen beschissenen Eindruck gemacht? Und was hatte er der Frau überhaupt getan, dass sie so über ihn redete? Es war sicher Yves' Schuld! Wer Yves hinterherlief konnte ja auch gar keinen guten Eindruck machen.
    Plötzlich beendete der Schrei einer Frau abrupt den Konflikt zwischen den drei Kandidaten, dicht gefolgt von mehreren Männerschreien. Instinktiv sahen sie hinüber in die Richtung, aus der der Lärm kam.
    Feldräuber.
    Drei fette Exemplare der gefährlichen Riesenkäfer verfolgten mehrere der Bauern, die ob ihrer geschundenen Rücken kaum die nötige Geschwindigkeit erreichen konnten, die für eine Flucht erforderlich war. Der stämmige Aufpasser mit der Axt stand nur auf dem Pfad und starrte ängstlich in ihre Richtung. Das kam einem Todesurteil gleich, dachte Sebastian.
    Ohne zu zögern begann die junge Frau zu rennen. Ihre Disziplin schien dabei so eisern, wie ihre Augen. Sie sprintete mit enormer Schnelligkeit auf die gefährlichen Insekten zu.
    Sebastian fiel erst jetzt auf, dass sie ja nicht einmal bewaffnet war. Im Gegensatz zu ihr zögerte er kurz, dann zückte er sein rostiges altes Schwert und tat es ihr mit einem unwohlen Gefühl in der Magengrube gleich.
    Die panischen Bauern erreichten das Ende des Weizenfeldes, dass an ein verhältnismäßig kleines Maisfeld angrenzte. Es war nicht klug von ihnen, aber sie rannten geradewegs hinein in die zwei Meter hohen Pflanzen, zwischen denen die Feldräuber wahrscheinlich ihr Nest hatten. Die Rieseninsekten jagten ihnen mit klackenden Chitinzangen nach.
    Sebastian kam außer Puste, dabei war er höchstens 100 Meter gerannt. Er beobachtete seine Mitbewerberin, wie sie ihre Geschwindigkeit hielt und ebenfalls in das Maisfeld hineinstürmte.
    Was dann geschah, war beängstigend.
    Kurz nachdem sie zwischen den hohen Pflanzen seinem Sichtfeld entschwunden war, ertönte ein lautes und aggressives Knurren. Das charakteristische Quieken der Feldräuber ertönte mit schmerzerfülltem und panischem Unterton. Auch die in das Feld geflüchteten Bauern schrien in erneut aufflammender Angst auf. Einer nach dem anderen kamen sie an verschiedenen Stellen wieder zwischen den Pflanzen hervor. Das ganze Feld schien zu erzittern und die Kampfgeräusche nahmen nicht ab. Welche Bestie musste dort toben?
    Sebastian wartete darauf, dass auch die junge Frau endlich diesem Ort entkam, aber vergeblich – Stattdessen rannte plötzlich ein entkommener Feldräuber geradewegs auf ihn zu. Das Insekt quiekte vor Angst, es war auf der Flucht. Doch Sebastians Schwerthand schoss in einem panischen Moment der Notwehr hervor und bohrte sich direkt in das Körperteil, was man wohl bei Feldräubern am ehesten als Hals bezeichnen konnte. Schließlich kam das ganze Feld zur Ruhe.
    Weinend und klagend rannten die Bäuerinnen und Bauern auf den stämmigen Mann mit der Axt zu, der sich noch immer nicht vom Fleck bewegt hatte.
    „Scheiße“, hörte Sebastian plötzlich Yves' ungläubige Stimme hinter sich. Er machte große Augen, „Glaubst du, sie war das?“
    „Keine Ahnung“, erwiderte Sebastian mit trockenem Mund. Er hatte gerade nur Augen für den Feldräuber, der keine zwei Meter von ihm entfernt mit einem Schwert im Hals zum Stillstand gekommen war.
    „Ich glaube, wenn ich den Wettbewerb gewinne, wünsche ich sie mir als Belohnung.“ Yves' Versuch zu witzeln scheiterte kläglich.


    Bronko hatte alles gesehen. Zumindest das wichtigste.
    Um ihn herum standen die Bauern und redeten auf ihn ein, quasselten durcheinander. Wenn er richtig gezählt hatte, waren alle noch am Leben. Doch das interessierte ihn nun noch weniger als sonst.
    Dieses Weibsbild war kaum in das Feld hineingelaufen, als ihre Arme auch schon zu zwei Vorderbeinen geworden waren, weißes Fell ihre Haut bedeckte und sie den ersten Feldräuber mit riesigen Reißzähnen angefallen hatte. Das würde den Lord sicher interessieren.
    Sekobs scheiß Maisfeld war jetzt jedenfalls platt.

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    Drachentöter Avatar von Eddie
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    Eddie ist offline
    Niklas zog eine Phiole mit weißer Flüssigkeit aus der Tasche seiner Robe und beträufelte sich damit. Es war nicht dieselbe Flüssigkeit, die ihn verschwinden ließ und den Unterschied erkannte man nur am Etikett. Er träufelte etwas auf den Kopf, auf die Arme und den Oberkörper und sah, wie sich sein Körper vom Kopf zu den Füßen materialisierte.
    Es kam ihm immer noch etwas merkwürdig vor, sich selbst beim Wiedererscheinen zuzusehen und es würde wohl auch noch eine Weile dauern, bis er sich an diese Art der Magie gewöhnt hatte.
    Doch jedes Mal aufs Neue genoss er die Gesichter der Leute, zwischen denen er sich wiedererscheinen ließ. In diesem Fall waren es die Gäste von Orlans Taverne. Alle starrten Niklas mit einer Mischung aus Erstaunen, Unverständnis und auch etwas Angst an.
    „Die weiße Magie ist verblüffend, nicht wahr?“ sagte er und ging mit erhobener Brust auf Orlans Tresen zu. Sein weißes Bettlaken schleifte dabei durch den Dreck der Taverne.
    „Was darf‘s denn sein, der Herr?“ fragte Orlan den Magier. „‘n Bier, oder doch lieber nen guten Klosterwein?“
    „Informationen.“ Sagte Niklas kurz angebunden. Hinter sich hörte er immer noch, wie die Leute tuschelten. Er nahm an, es ginge nach wie vor um sein plötzliches Erscheinen in der Taverne, was ihm in großem Maße Genugtuung verschaffte.
    „So“ machte Orlan derweil etwas resigniert. Informationen gingen derzeit nicht so gut, wie ein frisch gezapftes Bier. „Was willste denn wissen?“
    „Ich will wissen, wo ich die „Eingeweihten“ finde.“
    „Die „Eingeweihten“ also. Und in was sind die so eingeweiht? Ins Bettlaken flicken, oder was?“ Orlan hatte diesen Satz etwas lauter gesagt, sodass er in der ganzen Taverne zu hören war. „Könnte man zumindest vermuten, wenn man sich deinen Umhang so anschaut.“ Ein lautes Gelächter brach in der Taverne aus.
    „Ruhe! Und ich verbitte dir solche Töne, sonst…“
    „…sonst muss ich dir wohl ne vernünftige Kutte zulegen, oder was?“ Niklas wurde wütend.
    „Schon gut. Ich weiß nicht, wo du „Eingeweihte“ findest. Höchstens Eingeweide, da hab ich welche in der Küche.“ Wieder brach ein lautes Gelächter aus und Niklas war schon kurz davor, einen Zauber zu wirken, der Orlan wohl in vielen seiner Handlungen maßgeblich beeinträchtigt hätte, als plötzlich jemand von hinten an die Theke trat.
    „Schon gut, Orlan, ich glaube, er sucht nach mir.“ Da wurde es plötzlich wieder still.
    „Ja wenn das so ist, dann erzähl ihm mal, was er wissen will…“ Orlan wusste nicht so recht, wer der alte Mann mit dem schütternen grauen Haaren und den wenigen Zähnen im Mund war, der da plötzlich aus einer der hinteren Ecke der Taverne hervor gelaufen kam. Er wusste nur, dass er sich heute noch nichts zu trinken bestellt hatte.
    „Komm mit hier herüber, Niklas, da können wir in Ruhe reden.“
    „Woher kennst du meinen Namen?“
    „Das tut hier nichts zur Sache. Wichtig ist nur, dass ich ihn kenne.“ Niklas zögerte erst, setzte sich dann aber zu dem alten Mann an einen leeren Tisch, der in einer dunkleren Ecke der Taverne stand.
    „Wie heißt du?“
    „Das hat dich nicht zu interessieren. Du bist der erste, der mich entdeckt hat. Dafür sollst du auch eine sehr nützliche Information erhalten.“ Niklas lauschte der Stimme des Mannes, doch das fiel ihm sehr schwer. Durch die fehlenden Zähne nuschelte er sehr stark und jedes Mal, wenn er den Mund öffnete, stieg Niklas ein unangenehmer Geruch in die Nase, den er nicht genau definieren konnte und wollte.
    Es gibt zwei Dinge, die Beachtung finden müssen. Die drei Gleichgewichte dürfen nicht in Einklang sein. Und manchmal ist es besser, sich ins Unglück der Anderen zu stürzen.
    „Was soll das denn bedeuten?“ geiferte Niklas ihn an. „Das ist ja nur dummes Geschwätz! Wie soll mir das denn helfen?“
    „Das musst du schon selbst herausfinden. Und jetzt begebe dich auf den Weg.“ Niklas erhob sich und seine schlechte Laune nahm stetig zu. Eigentlich wollte er die Taverne auf direktem Wege verlassen, doch da sah er, wie drei weitere Teilnehmer des Wettbewerbes die Taverne betraten. Es handelte sich um Yves, Sebastian und die Frau. Er überlegte kurz und entschloss sich dazu, vielleicht doch noch ein Bier zu trinken und dabei etwas zu lauschen.
    „Mensch, Yves, lang nicht gesehen.“ Orlan musterte seinen alten Freund. „Bist aber ganz schön dick geworden.“
    „Ja, weiß auch nicht so genau, wie das kam. Muss wohl am Wetter liegen, schätz ich.“ antwortete Yves.
    „Wohl eher an dem ganzen guten Essen, das du dir so gönnst.“
    „Ja, das vielleicht auch.“ Die beiden lachten kurz, während Sebastian und die Frau jedoch reglos neben Yves standen.
    „Orlan, das klingt jetzt vielleicht ein bisschen merkwürdig, aber ich suche nach sogenannten „Eingeweihten“. Wenn du da was drüber weißt…“
    „Ja, so einen scheint es hier wohl tatsächlich zu geben. Wärst du eine Viertelstunde eher da gewesen, hätte ich dich wahrscheinlich genau so ausgelacht, wie deinen Weißmagierkumpel da drüben.“ Orlan deutete auf Niklas, dessen Gesicht vor Wut schon zu glühen anfing. „Dieser „Eingeweihte“ sitzt da drüben, an dem Tisch in der Ecke.“ Gerade wollte Yves zu dem Tisch gehen, da hielt er nochmal kurz inne.
    „Gib mir aber erst mal n Bier.“ Der Frau, die Yves und Sebastian begleitete, dauerte dieses Prozedere zu lang und sie entschied sich dazu, am Tisch des alten Mannes Platz zu nehmen.
    „Oh, hallo schönes Kind.“ Sagte er zu ihr, Niklas konnte es hören. „Verena ist euer Name, habe ich Recht?“ Sie nickte. „Das ist gut.“
    „Habt ihr vielleicht auch wichtige Informationen für mich?“ sagte sie mit einem schnippischen Unterton.
    „Oh, ziemlich forsch…Nun gut. Es ist das gelbe Auge, das den Sieg bringen wird.“ Sie widerholte seine Worte und er nickte, als Zeichen dafür, dass sie ihn richtig verstanden hatte. Danach empörte sie sich kurz über die merkwürdigen Informationen, stand auf und verließ die Taverne. Niklas jedoch blieb noch sitzen, schließlich wollte er auch wissen, was der alte Mann zu Yves und Sebastian sagen würde. Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Hühne die Taverne betrat.

    Salvadore setzte sich an den Tisch des alten Mannes. „Waren alle Teilnehmer bei dir gewesen?“
    „Fast, ja. Nur der große Kerl dort vorn wollte nicht mit mir sprechen. Hat stattdessen ein Bier nach dem anderen getrunken.“ Salvadore drehte sich und starrte dem Hühnen an. Sein Blick verfinsterte sich dabei, doch den großen, kräftigen Mann schien das nicht zu bekümmern.
    „Was hast du ihnen erzählt?“ Salvadore wandte sich nun wieder dem alten Mann zu. „Die Sachen, die ihr auf den Zettel geschrieben habt. So, wie besprochen.“
    „Gut, das sollte sie erst einmal in die Irre führen. Hier“ er legte eine Silbermünze auf den Tisch. „Kauf dir’n Bier.“ Er erhob sich und verließ die Taverne. Der Hühne tat es ihm gleich.

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    Drachentöter Avatar von König Rhobar II
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    König Rhobar II ist offline
    "Gut gut, niemand hier", dachte er. "Diese Idioten sind vermutlich immernoch in Orlans Taverne."
    Martin war vielleicht dick, aber sicher nicht doof. Er wusste dass jeder sofort zu Orlan stürmen würde, deshalb nutzte er seinen Vorsprung um stattdessen eine wesentlich vielversprechendere Informationsquelle anzuzapfen. Orlan wusste zwar tatsächlich über vieles bescheid, aber die Eingeweihten waren vermutlich zusammen mit dem Veranstalter auf einem Schiff hergekommen, und dann wusste Kardif mit Sicherheit alles, was es über sie zu wissen gab.
    Der dicke Martin betrat den "Einbeinigen Klabauter", der um diese Zeit noch recht leer war.
    "Na sieh mal einer an, wer beehrt mich denn da mal wieder? Wurd' auch Zeit, dass du dich mal wieder hier blicken lässt!", wurde er von Kardif begrüßt. "Das Übliche?"
    "Heute nicht, Kardif", sagte Martin, während er sich an den Tresen setzte und einen kleinen Stapel Münzen hervorkramte. "Heute brauche ich Infos."
    Kardif steckte die Münzen ein und begann zu grinsen. "Na dann schieß mal los, wenn ich es nicht weiß, ist es nicht passiert."
    Nachdem Martin sichergestellt hatte, dass niemand lauschte, beugte er sich zu Kardif vor und zeigte ihm das Flugblatt, was ihn überhaupt erst zu diesem Wettbewerb gebracht hatte. "Was weißt du darüber? Sagen die "die Eingeweihten" etwas?"
    Kardif nahm das Flugblatt und sah es sich genau an. "Ein merkwürdiger Typ, kam vor 'ner Weile auf der Insel an. Hat seit dem ziemlich viel Zeit im Oberen Viertel verbracht. Was immer er hier organisiert, er hat es mit den ganz hohen Tieren abgeklärt. Und was diese Eingeweihten betrifft, das sind vermutlich die anderen Typen, die mit ihm hier angekommen sind. Sieben oder acht waren es, aber ich hab sie nie selbst gesehen. Zwei von denen klebten wohl immer an seiner Seite, was mit dem Rest ist weiß ich nicht. Achja, sie hatten auch 'ne Frau dabei."
    "Die zwei habe ich schon gesehen, das sind seine Berater oder so. Und die Frau... keine Ahnung, die Suche ich jedenfalls auch nicht. Ist das denn alles was du weißt? Ich muss wissen wo sich die anderen aufhalten!"
    Kardif griff sich gespielt nachdenklich ans Kinn. "Weißt du, mir ist, als hätte ich da was gehört. Aber ich kann mich einfach nicht..."
    Er brach ab, als Martin genervt weitere Münzen auf den Tisch klatschte. "Jetzt aber raus mit der Sprache, verdammt!"
    "Zwei von den anderen haben die Stadt nicht verlassen und einer treibt sich wohl bei Orlan rum." Martin fluchte. "Das ist alles was ich weiß. Versuch's vielleicht mal im Oberen Viertel, die Typen waren allesamt mit da oben. Falls man dich da überhaupt reinlässt", fügte Kardif grinsend hinzu.
    "Lass das mal meine Sorge sein", grummelte Martin als er aufstand. "Danke für die Infos. Und..." Er kramte weitere Münzen aus der Tasche. "Falls noch jemand danach fragt, du weißt von nichts, klar?"
    "Kann ich nicht versprechen, aber falls jemand fragt, kommt der immerhin nicht so billig davon wie du."
    Martin verließ kopfschüttelnd die Kneipe "Dann muss ich wohl doch noch zu Orlan..."

    Nur wer nicht sucht, kann fündig werden. Sebastian hatte noch nie etwas so nichtssagendes gehört, doch genau das war der Hinweis, den ihm der Eingeweihte genannt hatte. Er war danach nicht mehr lange in der Taverne geblieben, war sich jedoch sicher, dass irgendetwas an der Sache faul war. Soweit er wusste, hatte jeder Teilnehmer einen anderen Hinweis erhalten, zumindest der Frau, Verena, gegenüber hatte der Eingeweihte etwas anderes gesagt. Und da Niklas die ganze Zeit in der Nähe hockte und gelauscht hat, vermutete er, dass auch der Magier einen anderen Hinweis bekommen hatte. Sebastian war nicht geblieben um zu erfahren, was der Eingeweihte Yves gesagt hat, aber er hätte gewettet, dass es ewas anderes, genauso nichtssagendes war. Warum hatte jeder Teilnehmer einen anderen Hinweis gekriegt? Dass man alle Hinweise brauchte ergab keinen Sinn, schließlich sollten die Teilnehmer doch nicht zusammenarbeiten...
    Im Grunde war Sebastian kein übermäßig skeptischer Mensch, aber wenn sein Misstrauen einmal geweckt war, ließ es sich nicht leicht wieder besänftigen. Er fragte sich mittlerweile, was sich der Initiator des Ganzen überhaupt davon versprach. Was hatte er davon, so eine bunt zusammengewürfelte Truppe auf eine Schnitzeljagd quer über die Insel zu schicken?
    "Es bringt nichts darüber zu grübeln", sagte er sich. "Nicht solange ich nicht mehr weiß."
    Entschlossen machte er sich auf den Weg zurück zu Onars Hof, um mehr über den Veranstalter herauszufinden. Und wer weiß, vielleicht gab es ja auch dort einen Eingeweihten, wo niemand mit ihm gerechnet hätte.

    Niklas saß, nun wieder unsichtbar, vor der Taverne auf einer Bank. Nach ein paar Bieren hatte auch Yves mit dem Eingeweihten gesprochen, gefolgt von den beiden Jägern, deren Namen er sich einfach nicht merken konnte, und schließlich dem dicken Martin, der ohne Pferd und ziemlich schlecht gelaunt als letzter aufgekreuzt war.
    Bloß der große Schweigsame hatte scheinbar einfach kein Interesse mit dem Eingeweihten zu reden. Aber das war Niklas egal, er hatte auch so genug gehört. Er kannte nun als einziger fast alle Hinweise, was ihm einen gewaltigen Vorteil verschaffte. Nur wusste er noch nicht, worin der bestand. Keiner der Hinweise ergab für ihn irgendeinen Sinn, weder für sich genommen noch in Kombination mit den anderen. Er bezweifelte deshalb auch, dass ihn der Hinweis für den Hühnen die Erleuchtung bringen würde, falls der denn überhaupt je mit dem Eingeweihten sprechen würde.
    Er sah aus den Augenwinkeln eine dunkle Gestalt die Taverne betreten und brauchte einen Augenblick um zu realisieren, dass es einer der Berater des Veranstalters war. Dummerweise einen Augenblick zu spät, denn als er wieder in die Taverne kam, stand der Mann gerade auf und wandte sich zum gehen.
    "Naja, macht nichts", dachte er sich. "Wenn ich ihm folge, wird er mich zu den anderen Eingeweihten führen. Das sollen mir die anderen erstmal nachmachen!"
    Wie auf's Stichwort erhob sich der Hühne und folgte dem dunkel gekleideten Mann. Leise vor sich hingrummelnd verließ auch Niklas erneut die Taverne und hängte sich an die Fersen des dunkel gekleideten Beraters.

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    Sapere aude  Avatar von Jünger des Xardas
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    „Hey, Jungs, schaut mal! Ist das nicht einer von unseren Abenteurern?“
    „Jo, sieht ganz so aus. Hat wohl Muffensausen bekommen.
    „Hey, gibst wohl schon auf, was?! Wir hatten alle drauf gewettet, dass der Fettwanst als erster schlapp macht.“
    Die Söldner lachten. Sebastian ignorierte sie und schritt wortlos an ihnen vorbei. Auf Onars Hof war wieder Normalität eingekehrt. Knechte und Mägde gingen ihrer Arbeit nach, Bennet hämmerte in seiner Schmiede, die Söldner standen sich die Beine in den Bauch.
    Sebastian lenkte seine Schritte zum Küchenaus, ohne groß darüber nachzudenken. Auch hier schien alles wieder seinem gewohnten Gang nachzugehen. Die Bauern schwatzten über Theklas legendärem Eintopf, Sylvio und Bullco saßen stumm in ihrer Ecke.
    Thekla machte ein säuerliches Gesicht, als er an ihre Theke trat. „Ich dachte, ich wäre euch los.“
    Von der unfreundlichen Begrüßung etwas verunsichert, fragte Sebastian: „Was stimmt denn nicht?“
    „Was nicht stimmt?“ Wütend wedelte Thekla mit ihrem Kochlöffel umher. „Ich hab schon genug Arbeit mit der ganzen Bagage. Und das Gegröle der Söldner reicht auch mehr als aus. Und dann sitzt da plötzlich ein Dutzend Glücksritter bei mir, macht Krach und will auch noch durchgefüttert werden.“
    „Oh... entschuldige.“ Sebastian hatte zwar selbst keinen Krach gemacht, fühlte sich in diesem Moment aber irgendwie für seine Mitstreiter mitverantwortlich. „Aber, ich bin jetzt nicht hier, weil ich was zu essen will, keine Sorge. Ich versuche nur, mehr über den Veranstalter dieses Wettbewerbs herauszufinden.“
    „Hey, Thekla, wo bleibt der Eintopf?!“
    „Ich kann dir nicht helfen“, fauchte Thekla. „Siehst doch, dass ich zu tun hab. Was weiß ich von dem Kerl? Hab ihn ja nicht mal zu Gesicht bekommen. Ich stehe die ganze Zeit hier in der Küche und sorge dafür, dass dieser Haufen weiter gemästet wird.“ Die Köchin wandte sich ab und wuselte zu dem Kessel, in dem sie ihren Eintopf bereitete, während Sebastian etwas unschlüssig zurückblieb.
    „Der Veranstalter, hm?“, ertönte eine Stimme in seinem Rücken.
    Sebastian drehte sich um. Hinter ihm saß ein alternder Söldner allein an einem Tisch. Zögernd setzte Sebastian sich zu ihm.
    „Du machst bei diesem Blödsinn mit?“
    „Ja, mache ich wohl. Ich bin Sebastian.“
    „Jarvis der Name.“ Der Söldner drückte ihm die Hand. Er hatte einen ausgesprochen kräftigen Händedruck. „Ich bin zu alt für so einen Unsinn. Außerdem will Lee nicht, dass wir da mitmachen. Hat sich nicht jeder dran gehalten, aber ich höre auf Lee. Er war immer ein guter Anführer. Schon damals in der Barriere...“
    „Weißt du etwas über den Veranstalter?“, unterbrach Sebastian den Söldner. Er hatte nicht das Gefühl, dass er die Zeit für einen Plausch hatte. Schon jetzt stieg in ihm die ungute Ahnung auf, dass es ein Fehler gewesen war, zu Onars Hof zurückzukehren. Warum auch sollten gerade hier, wo der Wettbewerb begonnen hatte, Hinweise sein? Gewiss waren all die anderen Teilnehmer schon viel weiter als er. Ob einige wohl etwas mit dem Hinweis des Eingeweihten in der Taverne hatten anfangen können?
    „Tja...“ Jarvis kratzte sich das stopplige Kinn. „Stinkreich soll‘er sein. Hat Onar eine ordentliche Stange Gold bezahlt, damit‘er hier dieses Affentheater veranstalten und jetzt bei ihm wohnen darf. Viel mitbekommen haben wir nicht von ihm. Seit ihr weg seid, sitzt er mit diesem anderen Knilch in Onars Haus.“
    Sebastian seufzte. Das hier brachte ihn nicht weiter. Er wollte sich schon erheben, als Jarvis fortfuhr: „Lares hat gesehen, wie er in Khorinis angelegt hat. Ist direkt hierher, um Lee davon zu erzählen. Lee will über jedes Schiff bescheid wissen, das die Insel ansteuert, weißt du?“
    Sebastian horchte auf. „Hat Lares irgendetwas Wichtiges erzählt?“
    Sein Gegenüber zuckte nur mit den Schultern. „Musst ihn schon selbst fragen. Er meinte, da wären einige ziemlich komische Gestalten von Bord gegangen. Aber Genaues weiß ich nicht.“
    Als Sebastian das Küchenhaus verließ, stand nur wenige Meter entfernt plötzlich der Veranstalter, sein alter Berater an seiner Seite. Er sprach mit einem Mann, der äußerst erbost wirkte, was den Veranstalter jedoch nicht zu beirren schien, der gewinnend auf sein Gegenüber einlächelte.
    Sebastian erstarrte sofort. Lares war für den Augenblick vergessen. Ob dieses Gespräch vielleicht wichtig war? Er traute sich nicht recht, näher heranzutreten, um zu lauschen. Zumindest der Bauer aber schrie so laut, dass das auch gar nicht nötig war. Aus seinem Gezeter hörte Sebastian mehrmals die Worte „mein Maisfeld!“ heraus. Schließlich sah er den Veranstalter dem Bauer freundschaftlich auf die Schulter klopfen, und dann seinen Berater herbeiwinken, der dem Bauern ein prallgefülltes Säckel überreichte. Mit zufriedenem Gesichtsausdruck zog der Bauer ab.
    Der Veranstalter wandte sich schon wieder dem Haus zu, doch sein Berater zupfte ihn am Ärmel und deutete auf Sebastian. Der Veranstalter hielt inne und schaute zu ihm hinüber, einen Ausdruck der Erwartung und der Neugierde im Gesicht.
    Nach kurzem Zögern schritt Sebastian auf ihn zu. „Guten Tag“, begrüßte er ihn unschlüssig, als er vor ihm stand.
    „Willkommen zurück.“ Der Veranstalter lächelte ihn an. „Du warst nicht zufällig an der Zerstörung eines gewissen Maisfelds beteiligt?“
    „Ich, äh... Ein wenig. Also nicht so wirklich...“, stotterte er.
    Der Veranstalter lachte. „Nun, soweit ich hörte, wäre das Maisfeld so oder so von den Feldräubern und den Bauern niedergetrampelt worden. Dieser Sekob besteht aber darauf, dass einzig und allein mein Wettbewerb schuld daran ist. Soweit ich mir habe sagen lassen, ist er hier in der Gegend bekannt dafür, keine Gelegenheit auf Gewinn auszulassen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich hätte ihm seinen Schaden natürlich nicht bezahlen müssen, aber so ersparen wir uns alle unnötige Scherereien. Aber zu dir, mein Freund. Ich gebe zu, so schnell hatte ich keinen von euch zurückerwartet.“ Ein Grinsen huschte über das Gesicht des Veranstalters. „Du hast doch wohl nicht etwa bereits gewonnen?“
    „Nein. Ich suche immer noch nach den Eingeweihten. Ich dachte mir, einer könnte hier sein.“
    „Ah, ein kluger Bursche! Wir hatten nicht damit gerechnet, dass einer von euch so schnell darauf kommen würde. Nun, er steht vor dir.“
    „Was? Soll das heißen, Ihr seid ein Eingeweihter?“ „Nun, ich habe nie gesagt, dass ich keiner der Eingeweihten sei, oder? Doch bis eben hat keiner danach gefragt. Was meinen Hinweis angeht, so bin ich der einzige, der dir sagen wird, wo du die anderen Eingeweihten findest. Und weil du so schnell darauf gekommen bist, hier zu suchen, sollst du von mir als einziger die Aufenthaltsorte aller Eingeweihten erfahren: Einmal bin da natürlich ich selbst. Dann sitzt einer in der Taverne zur Toten Harpyie, zwei wirst du in der Stadt Khorinis finden, einer hält sich im Kloster der Feuermagier auf, einer ist zu einer großen Pyramide im Nordosten gezogen. Und der letzte...“ Die Zähne des Veranstalters blitzten auf, als ein verschwörerisches Lächeln über seine Lippen huschte. „Der letzte Eingeweihte ist genau dort, wo du ihn findest.“

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    Irenicus-Bezwinger  Avatar von MiMo
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    Links und rechts des Weges, dem Salvadore forschen Schrittes folgte, wiegten sich die Getreidehalme weit ausgedehnter Felder im Wind. Er hatte allen Grund ein harsches Tempo einzuschlagen, schließlich musste er auch noch die anderen Eingeweihten aufsuchen. Obwohl niemand damit rechnete, dass auch nur einer der anderen Eingeweihten schon am ersten Tag gefunden würde. Dafür waren sie zu unauffällig, zu schwer zu demaskieren. Der eine offensichtliche in der Taverne war ein Lockvogel, auf den alle hereingefallen waren.
    Er warf einen kurzen Blick über die Schulter. Ja, sein Verfolger war immer noch hinter ihm. Der Hüne dachte wohl, er hielte genügend Abstand, um nicht aufzufallen, doch Salvadore war er gleich aufgefallen, als sie die Taverne verlassen hatten.
    Und nun hatte er den östlichen Rand der Felder Onars erreicht. Ein Umweg, der ihm nicht lieb, sondern notwendig war.

    Niklas blieb kurz stehen und träufelte nach. Er meinte gesehen zu haben, wie seine Fußspitzen sich langsam, wie Schatten, gegen den sandigen Untergrund abzuheben begannen. Das Elixier war nicht von dauerhafter Wirkung, doch wer um diese Schwäche wusste, konnte auf sie achten und ihr mit ein paar neuen Tropfen entgegenwirken. So dicht wie er im Moment hinter dem Berater des Veranstalters lief, wollte er jedenfalls nicht wieder sichtbar werden. Und dem Hünen weit hinter ihm, wollte er auch lieber mit Vorsicht begegnen, war er doch ein so schwer einzuschätzender Geselle.
    Nun verließ der dunkel gekleidete Berater den Feldweg und trat in eine schmale Kluft zwischen zwei großen Felsen, die hier aufragten. Licht drang nur von oben in den schmalen Spalt, sodass er nur kärglich erleuchtet war. Niklas setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Die Gestalt vor ihm schritt jedoch mit aller Sicherheit voran, sodass Niklas zu dem Schluss kam, dass der Berater hier schon einmal entlang gegangen sein musste. Dabei waren der Veranstalter und seine Leute doch gar nicht von hier. Es sah so aus, als würde sein Plan Früchte tragen. Die dunkel gekleidete Gestalt führte ihn zu einem der Eingeweihten, da war er sich sicher! Er stolperte über die verkohlten Scheite einer längst im Stich gelassenen Feuerstelle.
    Nun endete die schmale Schlucht. Niklas trat in ein kleines Waldstück, das von einem großen Felsmassiv fast vollständig eingeschlossen war. Tannen standen hier so dicht, dass er den Berater beinahe aus den Augen verloren hätte. Hastig lief er ihm nach und sah bald eine kleine Holzhütte, die hier einsam und fernab der Wege stand. Ein Versteck, wie geschaffen für einen Eingeweihten. Niklas blieb zwischen den Tannen stehen und beobachtete, wie der Berater klopfte und nach einer kurzen Zeit ein bärtiger Mann mit breitem Kreuz öffnete. Sofort wurde der Berater hereingelassen und die Tür schloss sich wieder.
    Dies gab Niklas Zeit, die Umgebung zu betrachten. Viel Interessantes fand sich jedoch nicht. Das Holz, mal noch in Form eines gefällten Baumes, mal schon zu Feuerholz verarbeitet, und die Äxte verschiedenster Formen und Größen, die vor der Hütte lehnten – alles deutete darauf hin, dass hier ein Holzfäller lebte. Aber warum so weit ab vom Schuss? Nur damit er sein Arbeitsgerät achtlos liegen lassen konnte, weil sowieso niemand vorbeikam, der es stehlen konnte?
    Ein Ast knackte ganz in seiner Nähe. Niklas sah sich um, erkannte jedoch, dass es nur der Hüne war, der sich hinter einem breiten Baumstamm versteckt hatte.
    Ein paar Minuten verstrichen, dann öffnete sich die Tür der Hütte wieder, der Berater trat heraus und steuerte durch die Bäume zurück auf die Felsspalte zu, durch die er gekommen war. Niklas wog ab, ob er der Hütte jetzt gleich einen Besuch abstatten oder dem Berater weiter folgen sollte, um noch weitere Aufenthaltsorte von Eingeweihten zu finden. Der Hüne jedenfalls ließ dem Berater einen kleinen Vorsprung und nahm dann die Verfolgung wieder auf.
    Niklas hatte sich entschieden. Kaum war dieser schweigsame Konkurrent in der Kluft verschwunden, holte er eins seiner Fläschchen mit einer weißen Flüssigkeit hervor, beträufelte sich damit und wurde wieder sichtbar. Ohne Umschweife trat er zur Hüttentür und klopfte zweimal kräftig.
    Die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet. Das bärtige Gesicht erschien und musterte ihn kurz. „Komm rein“, sagte der Fremde mit einer tiefen Stimme und trat zurück.

    Eine steile Falte hatte sich auf Salvadores Stirn gebildet. Nun hatte er extra eine ihrer Trumpfkarten gegen unliebsame Wettbewerbsverfälscher ausgespielt und der Hüne war nicht mal drauf reingefallen. Hartnäckig wie Harz unter den Fingernägeln klebte dieser Kerl an seinen Fersen. So konnte er seine Besuche nicht fortführen. Er würde zu einer weiteren List greifen müssen.

    Niklas wusste gar nicht, wie ihm geschah. Kaum hatte er die Hütte betreten, hatten viel zu viele Arme mach ihm gegriffen als dass er sich von allen hätte befreien können. Und nun hockte er verdutzt und verwirrt zugleich auf dem morschen Boden, war gefesselt und wurde von fünf oder sechs Männern umringt.
    „So. Du wolltest es dir also einfach machen, hä?“, sprach nun der Bärtige, der die Tür geöffnet hatte, jedoch ohne besonders böse zu klingen.
    „Du bist kein Eingeweihter, nicht wahr?“, antwortete Niklas mit einer Gegenfrage.
    „Natürlich bin ich das nicht“, erwiderte sein Gesprächspartner grob. „Der Veranstalter hat Grom, also mich, und meine Holzfällerjungs engagiert, damit wir uns im Fall der Fälle um unangenehme Wettbewerbsteilnehmer kümmern. Aber keine Angst, wir füttern dich einfach so lange durch, bis die Sache gelaufen ist, und das wars dann. Dafür werden wir schließlich bezahlt.“
    „Interessant“, sagte Niklas erkenntnisreich nickend. „Aber es war uns nicht verboten, dem Veranstalter oder einem seiner Berater zu folgen. Davon wurde nichts gesagt.“
    Grom lachte und ein paar der anderen Männer stimmten mit ein. „Und niemand hat dir versprochen, dass du keine Schwierigkeiten kriegst, wenn du es doch tun solltest.“
    Niklas musste ihm im Stillen recht geben. Er machte sich jedoch keine Sorgen. Er würde schon früh genug entwischen können, um noch eine Chance auf den großen Preis zu haben. Er musste einfach darauf bauen, dass noch keiner der Holzfäller mit Magie wie der seinen zu tun bekommen hatte. Es war allerdings schade, dass sein Plan, dem Berater zu folgen, nicht halb so viel Erfolg eingebracht hatte wie erwartet.
    Grom schien das Interesse an ihm verloren zu haben, nachdem er seine weiße Bekleidung abfällig gemustert hatte. Er ging zu dem grob gefertigten Holztisch in einer Ecke des Raums, um den mehrere Stühle standen. „So, Jungs, noch eine Partie Doppelkopf, würd ich sagen.“

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    Knight Commander Avatar von Crozyr
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    Crozyr ist offline
    Jedes Ende hat einen Anfang.
    Die Worte hallten durch Martins Kopf. Was konnte das nur bedeuten?
    Yves sah bedröppelt nach draußen. „Wo sie bloß hingegangen ist...“
    „Du trauerst doch nicht ernsthaft diesem Mädchen nach?“ Orlan lachte. „Hast du den Blick in ihren Augen gesehen? Die hätte dich zum Frühstück gehabt. Und überhaupt - Was macht ihr beide noch hier? Wolltet ihr nicht eigentlich diesen großen Preis gewinnen?“
    Der Wirt hatte Recht, Martin verschwendete hier seine Zeit. Doch irgendwo musste er ja eine Idee her kriegen, und auf die konnte er auch im Sitzen kommen. Erst hatte er dem komischen Berater folgen wollen, doch dieser Hüne hatte ihm mit einem vielsagenden Blick klar gemacht, dass es vielleicht doch sicherer war in der Taverne zu bleiben, ehe er dann selber nach draußen gegangen war.
    Yves hatte die ganze Zeit von Verena geredet.
    „Vielleicht ist sie ja mein großer Preis.“, säuselte der möchtegern Abenteurer verträumt.
    Martin prustete. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass du den großen Preis gewinnst.
    „Ach, aber du?“ Yves sah erbost auf. „Selbst wenn du wüsstest wo die Eingeweihten sind, dann müsstest du zuerst jemanden finden, der dich zu ihnen hin trägt, so fett wie du bist.“
    Alle mussten sie immer auf seinen Körperumfang rumhacken, aber das würde sich bald ändern, wenn er erst mal gewonnen hatte.
    „Ich werde sie suchen gehen.“, entschied Yves schließlich. „Von wegen 'Der geduldige Fels überdauert alle'. So ein Schwachsinn.“
    Leicht angetrunken fand er seinen Weg aus der Taverne heraus, während Martin sich etwas unentschlossen über den Bauch rieb. Er hatte viel zu lange nichts mehr gegessen.
    „Für mich wars das dann auch, Orlan.“
    Auf dem Weg nach draußen tastete er unauffällig seine Taschen ab. Es waren noch alle da. Niemand hier nimmt mich ernst, dachte Martin mit einem Grinsen, doch das ein oder andere Ass hatte er durchaus noch im Ärmel.

    Verena tauchte ins kalte Wasser ab. Sie hatte schon immer beim Baden am besten nachdenken können. Den kleinen Weiher mit der Insel in der Mitte hatte sie schnell gefunden. Als Kind war sie oft hier gewesen, doch das war schon viel zu lange her... Es ist das gelbe Auge, das den Sieg bringen wird. So sehr sie darüber auch grübelte, es ergab einfach keinen Sinn. Wussten die anderen schon mehr? Ernst nehmen konnte sie den Großteil ihrer Kontrahenten nicht. Yves hatte schon lange sein Ziel aus den Augen verloren. Martin musste mittlerweile irgendwo auf der Straße kollabiert sein, so wie er sich beim Laufen quälte. Von dem Weißmagier hatte sie noch nicht so viel gesehen, und Sebastian hatte allerhöchstens ein Ei.
    Einzig und allein den Großen konnte sie überhaupt nicht einschätzen.
    Mit weiten Zügen schwamm sie auf das Gebüsch zu, über das sie ihre Kleider gehängt hatte.

    Draußen zirpten ihm schon die ersten Grillen entgegen, aber die Sonne war noch nicht ganz untergegangen. Als Martin um die Ecke der Taverne war, wagte er es seinen schwarzen Beutel zu öffnen. Er hatte die fünf Runen bei Kardif erstanden. „Die wurden aber lange nicht mehr benutzt, nicht das du dich nachher beschwerst“, hatte er noch gesagt. Trotzdem hatte der alte Halsabschneider ein Vermögen für sie haben wollen „Darauf hätte ich schon viel früher kommen sollen,“ murmelte Martin und fand endlich den Stein, der ihn angeblich zu Onars Hof teleportieren konnte. Zu Orlans Taverne hatte es immerhin schon funktioniert. Angenehmer kann man gar nicht reisen. Er spuckte sich in die Hände, rubbelte einmal kräftig die Rune, und streckte dann seine Arme nach links und rechts aus, so wie Kardif es ihm erklärt hatte.
    Während kleine blaue Funken um ihn herum aufstoben, lief ihm bereits vor Vorfreude das Wasser im Mund zusammen. In Theklas Eintopf konnte er sich grundsätzlich rein setzen.
    Bunte Lichter tauchten vor seinen Augen auf... Und plötzlich hing er mit seinem Gesicht auf einer Astgabel. Er brauchte einen Augenblick um zu verstehen, dass er auf einem Baum gelandet war. Beinahe hätte er das Gleichgewicht verloren, doch irgendwie konnte er sich mit Händen und Füßen in den Zweigen festhalten, während von unten eine seltsam bekannte Stimme zu ihm hoch drang. Das gibt's doch nicht!
    „...Dann sitzt einer in der Taverne zur Toten Harpyie, zwei wirst du in der Stadt Khorinis finden, einer hält sich im Kloster der Feuermagier auf, einer ist zu einer großen Pyramide im Nordosten gezogen. Und der Letzte... Der letzte Eingeweihte ist genau dort, wo du ihn findest.“
    Martin konnte sein Glück nicht fassen. Hatte er da gerade den Veranstalter dabei erwischt... Ein unangenehmes Knacken riss ihn aus seinen Gedanken. Bitte nicht. Mit einem lauten Knarrtschen trennte sich der Ast vom Baum und Martin fiel kreischend herab, verzweifelt ans fallende Geäst geklammert.
    Der Aufprall jagte ihm die Luft aus den Lungen, doch viel schlimmer hatte es ihn woanders erwischt.
    „Mein Knie!“ jaulte er auf, während er durch Tränen in den Augen sehen konnte, wie der Veranstalter und Sebastian perplex zu ihm herunter schauten.

    Verena wollte sich gerade aus dem Wasser ziehen, da sah er ihn durchs Geäst. Salvadore!
    Zu ihrem Glück befand sich die Insel im Teich genau zwischen ihr und dem Berater des Veranstalters, der nun vom gegenüberliegenden Ufer seinen Blick über den Weiher schweifen ließ.
    Was tut er da bloß? Er hatte sie offenbar nicht bemerkt.
    Die Hände des Mannes hatten sich um einen kugelrunden Stein geschlossen. Sein Gesicht lief rot an, als er fester und fester zudrückte. Dann atmete er schwer aus und wenige Herzschläge später fing der Stein an in strahlend goldenem Licht zu glänzen. Die Hände schützend vor die Augen gelegt konnte sie nur ein lautes Platschen hören, gefolgt von einem noch lauteren Zischen. Als sie wieder hin sah, war Salvadore verschwunden. Vom Grund des Teiches leuchtete ihr der magische Stein entgegen. Das muss das gelbe Auge sein! Etwas unschlüssig schwamm sie näher heran, doch als Verena merkte wie das Wasser immer wärmer wurde, wagte sie es nicht weiter. Dann sah sie ihn.
    Der Hüne sah mit finsterem Blick auf sie herab, von dem selben Fleck, auf dem eben noch der Berater gestanden hatte. Mit einer beiläufigen Bewegung warf er seinen dunklen Umhang beiseite.
    Für einen Augenblick starrten sie sich nur gegenseitig an.
    Dann fuhr die Hand des großen Mannes zu seinem Schwert, und Verena tauchte ins Wasser ab.
    Geändert von Crozyr (17.09.2013 um 19:38 Uhr)

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    Deus Avatar von Laidoridas
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    Laidoridas ist offline
    „Wir hätten einfach in die Taverne gehen sollen, Mann... wie alle anderen auch.“ Aus müden Augen warf Dar im Vorbeigehen einem gelangweilt hinter einem Baumstamm hervorlugenden Molerat einen desinteressierten Blick zu. Nicht mal die Viecher waren an diesem öden Abend dazu aufgelegt, die eintönige Latscherei durch ein kleines Kämpfchen ein bisschen aufzulockern. Seit er dem Sumpfkraut abgeschworen hatte, war ihm ein Tag dröger als der nächste vorgekommen, aber vom überraschend angekündigten Wettbewerb hatte sich Dar eigentlich genau die Art von Ablenkung versprochen, die er im Augenblick so dringend benötigte – und nun das. „Wer weiß, was die alle schon rausgefunden haben... Und wir dümpeln hier diese dämliche Straße entlang und kriegen von der ganzen Veranstaltung überhaupt nichts mit.“
    „Wenn wir nur den anderen hinterherlaufen, dann können wir den ganzen Scheiß auch gleich sein lassen“, knurrte sein Söldnerkollege Buster, der zu seiner Linken über den staubtrockenen Pfad schritt. „Wer so richtig abräumen will, der muss den anderen immer einen Schritt voraus sein, verstehste? Und genau das sind wir grade!“
    Seufzend rieb sich Dar die geröteten Augen. Er wusste nur zu gut, dass Buster noch nie im Leben so richtig abgeräumt hatte, sonst wäre er jetzt ganz bestimmt nicht mit ihm zusammen irgendwo in der Pampa unterwegs. „Ich hab ein echt übles Gefühl dabei, Buster. Die anderen haben uns doch sicher längst vergessen, so lange wie wir uns nicht blicken gelassen haben. Und der Veranstalter – meinste, der hat überhaupt mitgekriegt, dass wir mitmachen? So richtig offiziell? Der dachte bestimmt, wir stehen nur rum und glotzen, so wie die anderen Söldner. Wenn wir mit zu Orlan gegangen wären, dann –“
    „Du hättest ja alleine gehen können, wenn du so scharf auf die beschissene Taverne bist“, grunzte Buster. „Ich hab da Hausverbot, und das weißt du ganz genau, also behalt deine tollen Vorschläge für dich.“
    „Vielleicht hätte ich das wirklich machen sollen“, murmelte Dar verdrießlich. „Es ist ja sowieso verboten, im Team zu arbeiten. Bestimmt hat uns der Veranstalter längst rausgeworfen, ohne dass wir's mitgekriegt haben.“
    „Piss dich nicht ein“, schnaufte Buster und zog deutlich vernehmbar einen großen Batzen Schleim die Nase hoch. „Sei lieber froh, dass du einen Kerl wie mich an deiner Seite hast.“
    „Nix für ungut, Buster, aber sogar dieser Yves hat dich im Armdrücken besiegt... und der kann keine drei Schritte latschen, ohne umzukippen.“
    Busters finstere Miene bestätigte Dar, dass er damit einen wunden Punkt erwischt hatte. „Der hat mich bloß überrumpelt, genau wie der Typ mit dem Pferd“, verteidigte sich der Geschmähte. „Wer konnte denn auch ahnen, dass ausgerechnet die größten Fettsäcke solche verdammten Großmeister im Armdrücken sind?“
    „Naja, halb so wild...“ Dar beschloss, dass es besser war, nicht zu sehr an der Söldnerehre seines Freundes zu rütteln. „Ich hoffe jedenfalls, dass du recht hast, was deine Magier angeht. Wer weiß, ob die überhaupt noch da sind.“
    „Wo sollen die denn hin sein, hä? Klar sind die doch da und buddeln an ihrer Pyramide rum.“
    „Und du meinst echt, dass sie uns helfen werden? Vielleicht wissen die gar nix von der ganzen Geschichte...“
    „Die sind Magier! Ich kenn die besser als du, ich weiß genau wie die ticken: Wenn irgendwelche Artefakte im Spiel sind, dann wissen die darüber Bescheid. Und ob die uns helfen werden?“ Ein selbstsicheres Grinsen schlich sich auf Busters grobes Gesicht. „Klar werden die uns helfen! Diesem Cronos hab ich damals in der Kolonie das verdammte Leben gerettet, der Kerl verehrt mich! Ich sag's dir, Dar, meine Beziehungen zu den Wassermagiern sind unser großer Trumpf in dieser ganzen Chose – wer einen Gott auf seiner Seite hat, der kann gar nicht mehr verlieren. Wenn wir gleich angekommen sind, wirst du das schon selber merken... Nur noch eben über die Hängebrücke, und dann –“
    Verdutzt hielt Buster mitten im Satz inne, nachdem sein Blick auf die breite Schlucht gefallen war, die den Bergpfad in wenigen Schritten Entfernung unterbrach. Die Schlucht sah aus wie immer, von der Hängebrücke jedoch fehlte jede Spur. Gähnende Leere und zwei nutzlose Holzpfähle auf jeder Seite waren alles, was die Söldner erblickten, als sie an den Abgrund herantraten.
    „Scheiße.“

    Fernando ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. In seinem etwas schwindeligen Kopf versuchte er die Neuigkeiten zu ordnen, die der lange Tag mit sich gebracht hatte: Die inoffizielle Sitzung im Rathaus, an der neben den beiden in Khorinis verbliebenen Neuankömmlingen und natürlich den wichtigsten Würdenträgern der Stadt auch einige einflussreiche Händler des oberen Viertels beteiligt gewesen waren, hatte sich vom frühen Morgen bis in den Abend hineingezogen. Im Grunde konnte er nur hocherfreut darüber sein, dass sich eine so unverhoffte Möglichkeit für ein lukratives Geschäft aufgetan hatte; dennoch verspürte Fernando beim Gedanken daran ein zuvor kaum gekanntes Unbehagen. Es war wohl das Beste, wenn er eine Nacht darüber schlief, bevor er versuchte, sich ein klares Bild zu machen.
    „Bin wieder da“, rief er halblaut durch den Raum. Keine Antwort, aber das hatte er auch nicht erwartet. Sicher hockte der Junge wie so oft in seinem Kellerzimmer herum und war mit irgendwelchen seiner Sperenzchen beschäftigt.
    Seufzend bemerkte Fernando, dass die Vorratskammer noch genauso leergefegt aussah wie am Morgen. Es überraschte ihn nicht, dass seine morgendliche Bitte, im Laufe des Tages etwas Frisches auf dem Marktplatz einzukaufen, offenbar längst wieder vergessen war, doch gerade an diesem Abend ärgerte ihn die Unzuverlässigkeit des jungen Mannes ganz besonders. Als er seinen ihm bis dahin unbekannten Sohn nach dem Tod der Mutter zu sich nach Khorinis genommen hatte, war er eigentlich davon ausgegangen, eine tatkräftige Arbeitshilfe und womöglich gar einen würdigen Erben seines Handelsbetriebes zu gewinnen. Stattdessen verschwendete der Junge seine gesamte Energie an ein albernes Steckenpferd und nahm keine der wertvollen Gelegenheiten, wichtige Kontakte im oberen Viertel zu knüpfen oder einen Einblick in die Geschäfte seines Vaters zu erhalten, wahr. Nicht einmal massive Taschengeldkürzungen hatten ihn zur Räson bringen können, sondern lediglich dazu geführt, dass er sich die Materialien für seine Obsession nun nicht mehr bei Lutero, Zuris und Salandril, sondern bei irgendwelchen zwielichtigen Gestalten im Hafenviertel besorgte.
    Grummelnd eilte Fernando die Kellertreppe hinunter und stieß die ungewöhnlicherweise nur angelehnte Zimmertür mit dem Handgelenk auf.
    Er wusste sofort, dass etwas nicht stimmte: Die sonst so lückenlos gefüllten Trankregale wiesen an einigen Stellen Freiräume auf, die Schriftrollenbehälter lagen geöffnet und teils geleert kreuz und quer auf dem Boden herum, eine der selbstgenähten Roben hing nicht am Haken. Vor allem aber: Niklas war fort.
    Als Fernando auf dem Schreibtisch inmitten aufgeschlagener Alchemiebücher und zerknitterter Pergamente ein nur allzu bekanntes Flugblatt entdeckte, stockte ihm der Atem. Das Schwindelgefühl wurde stärker, schwankend stützte er sich am Tischrand ab.
    Der Dummkopf hatte ja keine Ahnung, worauf er sich eingelassen hatte.

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    Undead  Avatar von DerGroßeDummeMann
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    DerGroßeDummeMann ist offline
    Gaan und Grimbald, die Jäger, deren Namen sich niemand so recht merken konnte, da sie sich zwischen den anderen Teilnehmern ganz wie auf der Jagd still und lauernd verhalten hatten, streiften nun schon seit Stunden durch die Wälder, zum Teil ihrer Spürnase, zum Teil der losen Idee folgend, dass man an Steinkreisen wohl oft magische Artefakte fände (die Ratschläge des Eingeweihten waren ihnen so nutzlos und kompliziert erschienen, dass sie sie schon wieder vergessen hatten). Da Grimbald aber recht schnell auffiel, dass sicher schon tausende Artefaktjäger vor ihnen auf diese Idee gekommen waren und die Steinkreise somit schon ziemlich ausgeplündert sein sollten, folgten die Jäger eher ihrer Spürnase.
    Immerhin führte sie diese im Laufe des Tages zu zwei Steinkreisen, wodurch sich die Vermutung fest in ihren Köpfen hielt. Tatsächlich fand sich beim zweiten Steinkreis, dem sagenumwobenen Sonnenkreis, eine Art Zeichen: eine Tonscherbe, farblich kaum vom Waldboden zu unterscheiden, lag dort unter einem der Steinbögen. Fast hätten die Jäger dieses gut versteckte Stück übersehen, doch in einem unachtsamen Moment trat Grimbald auf dasselbe und machte so aus einer Scherbe zwei. Aufgeschreckt durch das Geräusch, das diese beim Zerbrechen gemacht hatte, entdeckte er sie, hob eines der Teile auf und rief aufgeregt Gaan zu sich, als er die fremdartige, krakelige Schrift gesehen hatte, die darin eingeritzt war.
    Gemeinsam begutachteten die beiden nun die Scherbe und rätselten, was die Schrift wohl bedeuten konnte. In seiner lebhaften Fantasie dachte Gaan bald, er habe hier ein Teil des Artefakts selber vor Augen, sodass er in Träumereien verfiel und Grimbald beim Entschlüsseln somit keine echte Hilfe war. Nicht dass Grimbald auch nur eine Idee hatte, wie die Schrift zu lesen war, aber wenigstens dachte er darüber nach, wer für sie die Schrift entziffern konnte.
    So beschäftigt bemerkten sie den Mann gar nicht, die durch den benachbarten Steinbogen trat. Er war wie die Jäger in Leder gekleidet, trug wie die Jäger einen großen Bogen nebst pfeilgefülltem Köcher bei sich und auch sein braungebranntes Gesicht zeugte vom Jagdgewerbe.
    „Findige Jäger seid ihr“, sagte dieser Mann plötzlich. Vor lauter Schreck ließ Grimbald die Scherbe fallen, die mit einem dumpfen Geräusch auf der Erde aufschlug.
    „Entschuldigt“, fuhr der Mann fort. „Ich wollte euch nicht erschrecken und erst recht will ich euch nicht schaden. Ich bin im Gegenteil verpflichtet, euch bei eurer Suche zu helfen.“
    „Du bist einer der Eingeweihten“, stellte Grimbald fest.
    „Ganz genau“, antwortete der Eingeweihte. „Obwohl das nicht heißt, dass ich sonderlich viel wüsste. Doch wenigstens weiß ich etwas und das macht mich zum 'Eingeweihten'. Genauer gesagt bin ich sogar fast der wissendste unter den Eingeweihten und obendrein von allen am schwersten zu finden, weshalb ihr großes Glück habt, mich getroffen zu haben. Im Gegensatz zu den Anderen, die immer am selben Ort bleiben, wandere ich nämlich über die Insel. So hat es mir der Veranstalter aufgetragen.“
    „Wenn das so ist“, fragte Gaan aufgeregt, „was hast du uns dann zu sagen?“
    Der Eingeweihte entgegnete streng: „Euch habe ich nichts zu sagen, wohl aber einem von euch. Ihr erinnert euch doch hoffentlich, dass ihr allein arbeiten solltet. Die Tonscherbe habt ihr, wie ich sehe, gefunden. Wer sie besitzt, dem geb ich Rat. Der Andere soll sich entfernen.“
    Hastig bückte sich Grimbald und griff nach der Scherbe, die er hatte fallen lassen. Er wollte schon nach der anderen greifen, doch Gaan war ihm zuvorgekommen.
    Der Eingeweihte sah dies und begann lauthals zu lachen. „Eine hervorragende Idee, die Scherbe in zwei Scherben zu zerbrechen. So muss ich beiden Antwort stehn. Doch wählt eure Fragen weise, denn ich werde nur eine pro Scherbe entgegennehmen und nicht jede werde ich beantworten können.“
    Ohne zu zögern fragte Grimbald: „Was steht auf der Scherbe?“
    „Das weiß ich leider nicht, denn ich selbst kann diese Schrift nicht lesen. Der Veranstalter persönlich hat sie eingeritzt und gab sie mir dem Hinweis, dass darauf eine Beschreibung des Artefakts notiert sei. Ich aber überlasse sie euch nun als Hilfestellung. Da ihr sie gefunden und geteilt habt, habt ihr sie euch verdient. Möge sie euch auf eurer Jagd helfen.“
    Gaan, der von diesem speziellen Umstand sehr genervt war, dachte laut: „Ich bin es Leid, ständig vom 'Veranstalter' zu hören. Wer ist er denn eigentlich?“
    Der Eingeweihte zuckte zusammen und sagte beunruhigt: „Du bringst mich mit dieser Frage in eine schwierige Situation. Einerseits hast du das Recht auf eine Antwort und ich weiß die Antwort auch – zumindest bis zu einem gewissen Grade –, andererseits wird es dem Veranstalter nicht gefallen. Ich werde mich also auf einige Grundinformationen beschränken …“
    „Aber eigentlich wollte ich doch etwas ganz Anderes fragen!“, sagte Gaan erschrocken darüber, dass sein Versprecher als Frage gewertet wurde.

    „Im Kloster ist also ein weiterer Eingeweihter!“, dachte Martin euphorisch, sobald er sich von den Schmerzen seiner Knieprellung erholt hatte. Dieser Eingeweihte würde im Gegensatz zu denjenigen in der Stadt, nach denen er stundenlang vergeblich gesucht hatte, weswegen er schließlich frustriert zur Taverne entschwunden war, sicher leicht zu finden sein, und außer Sebastian wusste wahrscheinlich noch keiner der Teilnehmer von ihm. Dank seiner Teleportationsrune würde Martin also der erste sein, der mit ihm spräche. Hastig, damit ihn niemand zurückhalten konnte, griff er sich die entsprechende Rune heraus und verschwand so schnell, wie er erschienen war.

    Belustigt betrachtete der Veranstalter Martins Verschwinden. Er stellte sich geradezu lächerlich an, war aber erstaunlich erfolgreich dabei.
    Als das letzte blaue Fünkchen der Teleportation verklungen war, wandte er sich wieder an Sebastian und raunte ihm leise zu: „Da wir einen unerwünschten Mithörer hatten, werde ich dir, damit dein Vorteil gegenüber den Anderen nicht zunichte ist, eine weitere, sehr wertvolle Information mitteilen. Achte also darauf, dass sie nicht die falschen Ohren erreicht. In der Krypta nahe des Hofes ruhen nicht nur die Toten.
    Sebastian guckte ihn verwundert an, sodass der Veranstalter schon fürchtete, zu dick aufgetragen zu haben. Nach den kryptischen Hinweisen des Eingeweihten der Toten Harpyie war die relative Klarheit seines Hinweises sicher überraschend. Er war allerdings zuversichtlich, dass sein Hinweis vage genug war, um kein Misstrauen zu erregen.
    Tatsächlich bedankte Sebastian sich freudig, nachdem er die Verwunderung überwunden hatte, und brach dann nach der Krypta auf. Als er verschwunden war, gönnte sich der Veranstalter einen größeren Schluck Wein, und malte sich mit wohligem Grinsen aus, Sebastian sich wohl schlagen mochte. Er konnte ja nicht ahnen, dass sein Vorteil in Wirklichkeit ein Nachteil war.

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    Deus Avatar von Atticus
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    Atticus ist gerade online
    Das Wasser des Tümpels war selbst für ihre Augen nur schwer zu durchdringen, doch der goldene Lichterschein der kleinen Kugel wies Verena deutlich den Weg. Mit weit ausholenden Armen und kräftigen Beinstößen tauchte sie immer tiefer in die sie umgebende Finsternis des Weihers ein. Ihr geschmeidiger Körper glitt an an einem Wald von Schlingpflanzen vorbei, der ein oder andere Fisch warf einen kurzen Blick auf sie, bevor er hastig wieder in die Dunkelheit davonflitzte.
    Eine von ihren vielen bemerkenswerten Eigenschaften war, dass sie länger als die meisten anderen Menschen die Luft anhalten konnte. Doch die Tiefe dieses Gewässers war schwer einzuschätzen und sollte die Kugel nicht bald in Reichweite sein.....
    Dann plötzlich durchstieß sie ein letztes Bündel Wasserpflanzen und direkt unter ihr lag die goldene Kugel, das Gelbe Auge aus dem verschlungenem Hinweis, den sie vom Eingeweihten bekommen hatte. Sie packte das halb im Schlamm begrabene Kleinod mit einer Hand und zog es heraus. Sie staunte, denn für eine solch kleine Kugel war es doch ungewöhnlich schwer.
    Einen Moment betrachtete sie das nun nur noch schwache Glimmen, als ihr etwas seltsames auffiel. Die Kugel war nicht etwa glatt, wie sie angenommen hatte, sondern sie sah viele Linien, die sich über die gesamte Fläche hin zogen, ertastete mit den zarten Fingern feine Einkerbungen, die sie durch das trübe Wasser allerdings nicht genau erkennen konnte. Die Kugel hatte eine eigenartige Wirkung auf sie, ihre Augen schienen von ihr geradezu magisch angezogen zu werden.
    Kurz darauf riss sie sich aus ihrer Trance. Die Luft wurde knapp und an der Oberfläche wartete immer noch der Hüne mit gezogener Klinge auf sie. Seine Absichten waren unmissverständlich gewesen. Doch Verenas Lippen bildeten ein böses Lächeln. Wenn dieser Schläger glaubte, er hätte es mit einer zerbrechlichen Rose zu tun, würde sie ihm zeigen, dass viele Blumen scharfe Dornen hatten.
    Sie stieß sich vom schlammigen Grund ab und schwamm schnell wie ein Fisch zurück zur Oberfläche.
    Langsam tauchte ihr Schopf aus dem kalten Wasser auf. Ihren blauen Augen Augen spähten zum Ufer hinüber. Der Hüne war verschwunden! Langsam drehte sie sich einmal um sich selbst, suchte das gesamte Ufer und auch die kleine Insel nach Anzeichen eines Hinterhaltes ab. Als sie zum Schluss gekommen war, dass keine unmittelbare Gefahr zu drohen schien, tauchte sie ganz auf und sog tief die kühle Luft ein. Langsam schwamm sie zu dem Punkt, an dem sie ihre Kleider versteckt hatte und entstieg dem kalten Weiher. Wasser tropfte von ihren Haaren auf ihre Brüste und dann auf den sandigen Boden, hinterließ dunkle Flecken im Sand, während sie vom Ufer zum nahen Gebüsch ging wo ihre Kleidung verborgen war. Dabei betrachtete sie die Kugel in ihrer Hand.
    Jetzt konnte sie erkennen, dass die feinen Linien sich zu einer kleinen Karte verbanden. Sie bückte sich und griff nach ihrer Unterwäsche. Offenbar war die Kugel mit einer Karte von Khorinis versehen und diese kleinen Vertiefungen könnten entweder die Aufenthaltsorte weiterer Eingeweihter oder mit viel Glück sogar Fundorte der gesuchten Artefakte sein. Verena zog ihre Unterwäsche an und stieg in die abgewetzte Lederhose. Mit einem Ruck zog sie den Gürtel straff und schlüpfte in das ebenfalls aus Leder bestehende Wams.
    Nachem sie alle Riemen festgezogenhatte, widmete sie sich wieder der goldenen Kugel. Das Leuchten war nun endgültig abgeklungen, das Auge lag nun matt in ihrer hohlen Hand. Sanft strich sie mit den Fingern darüber, spürte die sanften Rillen die ins Metall getrieben wodren waren. Langsam drehte sie die Kugel, studierte jedes Detail ganz genau. Sie war sich sicher, dass die Kugel eine Karte von Khorinis zeigte. Man konnte ganz deutlich die Bucht erkennen, wo sich heute die Hafenanlage der Stadt befand. Auch das Tal der Minen, wo sich bis vor kurzem noch die Strafkolonie befunden hatte, war deutlich auszumachen. Doch da war noch eine weitere Fläche eingraviert......
    Ein dunkler Schatten fiel plötzlich über Verenas Sichtfeld. Ihr Instinkt trieb sie dazu sich schnell zur Seite werfen, doch eine Hand krallte sich schmerzhaft und unerbittlich in ihre nassen Haare und schleuderte sie zurück. Eine andere Hand packte sie hart am Arm und zwang sie mit unheimlicher Kraft in die Knie.
    "Nun...", sprach ihr Peiniger. Eine unheimliche und gleichzeitig beruhigende Stimme. "Ist der Fisch doch wieder aufgetaucht. Wir dachten schon du wärst uns dort unten ertrunken. Das wäre wirklich höchst....unangenehm gewesen. Für alle Beteiligten."
    Verena drehte so gut es ging den Kopf und starrte den Mann, der sie so hart im Griff hatte, aus ihren eiskalten Augen an. Es war der Hüne! Irgendwie hatte es dieser Berg von einem Mann geschafft sie zu überrumpeln. Sie! Wie konnte sich ein solch riesiger Kerl nur so still bewegen, dass selbst ihre Ohren ihn nicht bemerkten? Sie versuchte sich wehren, sich aus seinem Griff zu winden, doch ihr Peiniger hielt sie wie eine Schraubzwinge fest. Verena konzentrierte sich. Wenn es dieser Wahnsinnige wirklich darauf anlegte.... Ein warmes Gefühl verteilte sich von ihrem Bauch aus über ihren ganzen Körper, floss über ihren Brustkorb in ihre Arme, dann bis in die Fingerspitzen - und flaute dann mit einen Schlag wieder komplett ab. Verena erstarrte und riss erschrocken die Augen auf. "Was....?"
    Der Hüne brüllte vor Lachen. "Das kann ich leider nicht erlauben.", sagte er, als er sich wieder beruhigt hatte. Er beugte sich zu ihr herunter, bis sein Mund direkt neben ihrem Ohr schwebte. "Ich weiß, durch deinen hübschen Kopf flattern nun viele Fragen.", flüsterte der Mann in ihr Ohr. Sein Atem stach ihr unagenehm in die Nase. "Doch die Dinge die du wissen musst, meine Schönheit, sind derer Zwei: Ich weiß wer du bist...." Verena konnte spüren, wie sich sein Mund zu einem häßlichen Grinsen verzog. Ihr Magen schien sich in ein tiefes Loch zu verwandeln und Angst breitete sich in ihr aus. "Und ich weiß, was du bist."

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    Deus Avatar von Laidoridas
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    Laidoridas ist offline
    Sebastians Schritte verlangsamten sich, als er der moosbefleckten Steintreppe näher kam, die zum Eingang der Krypta hinaufführte. Die große rechteckige Öffnung wurde von zwei ramponierten Statuen schwarz gepanzerter Krieger flankiert, deren dornengespickte Rüstungen sich ähnlich schwach vom Dunkel der hereinbrechenden Nacht absetzten wie das Innere der Gruft selbst. Erst jetzt wurde Sebastian bewusst, dass er ganz selbstverständlich von einem gut ausgeleuchteten Gebäude ausgegangen war, vielleicht mit ein paar Fackeln an den Wänden oder einem Schwarm hilfreicher Glühwürmchen – aber das war natürlich eine absurde Vorstellung gewesen. Dass ihn der Veranstalter hierher gesandt hatte, bedeutete ja nicht, dass er die Krypta vorher schön gemütlich für ihn eingerichtet hatte. Und von den Toten, die hier hausten, war in dieser Hinsicht auch nichts zu erwarten. Die hatten ja ihr Licht am Ende des Tunnels.
    Plötzlich kamen Sebastian gewaltige Zweifel daran, dass es wirklich eine so gute Idee gewesen war, auf direktem Wege zur Krypta zu eilen. Konnte es einen ungünstigeren Zeitpunkt für den Besuch einer Grabstätte geben als jetzt, da die Sonne gerade vollständig hinter dem Horizont verschwunden war? Es war wohl besser, am nächsten Morgen zurückzukehren und dann ausgeruht und frisch, im hellen Tageslicht, begleitet von freundlichem Vogelgesang...
    „Du gehst da jetzt rein, verdammt!“, zischte sich Sebastian Mut zu und überwand die Treppe mit ein paar entschlossenen Schritten. Wenn schon Verena nicht hier war, so wollte er zumindest sich selbst beweisen, dass er mehr sein konnte als ein bloßes Anhängsel.
    Der Innenraum der Krypta war kleiner, als Sebastian erwartet hatte. Sogleich bemerkte er jedoch das große Loch, das direkt vor einem massiven Sarkophag im schmutzigen Marmorboden klaffte. Sebastian spürte den Widerhall seines pochenden Herzens im ganzen Schädel, als er näher heran trat. Allein die Vorstellung, in diese unbekannte Finsternis zu entschwinden, ließ ihn frösteln. Schon hier oben konnte er kaum noch die Finger seiner eigenen Hand erahnen, in die unterirdischen Gewölbe drang vermutlich nicht einmal der kläglichste Rest des kraftlosen Mondlichts vor. In dieser Situation, so entschied er, war es nur vernünftig, erst einmal zum Hof zurückzukehren und sich eine Fackel zu besorgen. Mit Feigheit hatte das überhaupt nichts zu tun.
    Sebastian hatte sich schon halb umgedreht, als er mitten in der Bewegung innehielt. Täuschten sich seine Augen, oder war da tatsächlich der Hauch eines blassen, schummrigen Lichts in der alles verschluckenden Schwärze der unteren Ebene zu erkennen? Aufgeregt ging Sebastian in die Hocke und starrte angestrengt in die Tiefe. Es war keine Einbildung gewesen: Schwach, sehr schwach bildeten sich die Umrisse einer breiten Steinplattform heraus, die als übergroße Treppenstufe den Weg zu einem noch tiefer gelegenen Korridor ebnete. Dort unten irgendwo, so vermutete er, musste sich die Quelle des gelblichen Lichtscheins befinden. So viel also zu seiner Ausrede mit der Fackel.
    Einmal noch atmete Sebastian tief durch, dann nahm er all seinen Mut zusammen und ließ sich von der Marmorkante auf die Zwischenstufe hinab fallen. Jetzt zögerte er nicht länger und nahm auch den nächsten Sprung hinunter auf den Korridor. Viel zu laut hallte der Aufprall seiner Schuhe von den kalten Fliesen wider. Wenn sich noch jemand hier befand, dann musste er – oder es – den Eindringling spätestens jetzt bemerkt haben.
    Die modrige Luft ließ seine Augen tränen, während sie hektisch die Wände des engen Ganges inspizierten. Er glaubte, Knochen auszumachen, die irgendwie aus der Wand hervorragten – ganze Skelette schienen dort gelagert, in schmalen Nischen... All das jedoch war vergessen, als sich Sebastian umwandte und am Ende des Korridors den Ursprung des Leuchtens erblickte.
    Zwei glühende Augen starrten ihn an. Zwei gleißend gelbe Augen, die in einem gewaltigen schwebenden Schädel brannten.
    Panisch stolperte Sebastian zurück – wo war die verdammte Plattform, von der er herabgesprungen war? Kreischend schleiften seine Fingernägel über die nahe Wand, ohne die ersehnte Kante zu finden, an der er sich hochziehen konnte. Plötzlich glitten seine Finger ab, stießen in eine der Nischen hinein – und zuckten zurück, als sie auf staubtrockene Knochen trafen. Jetzt dachte er nicht mehr nach, rannte nur noch in die Dunkelheit hinein, wo immer sie nicht von einer Mauer versperrt war – bloß weg, nur weg von der glühend grinsenden Fratze, die er hinter sich wusste, die wohl nicht mehr lange brauchte, bis sie zu ihm vorgedrungen war, bis sie –
    Fast ging er zu Boden, als sein Körper gegen etwas prallte, das aus einem Seitengang gekommen war. Ein dumpfes Stöhnen dröhnte rasselnd die Kehle des schemenhaften Ungetüms herauf, als es sich aufrappelte und in Sebastians Richtung wankte. Keuchend tastete er seinen Gürtel nach dem stumpfen Wolfsmesser ab, das seine einzige Verteidigung gegen die untote Bestie bedeuten konnte. Gerade hatten sich seine schwitzigen Finger um den Griff geschlossen, als sich das Scheusal erneut an ihn heranpresste. Sehnige, dürre Finger streiften seinen Arm. Jetzt war es direkt vor ihm, ein höllischer Odem drang in seine Nase, ein abscheulicher Gestank wie von...
    ...Theklas Eintopf?
    „Du bist gar kein Zombie!“, entfuhr es Sebastian.
    „Du wohl auch nicht?“, entgegnete eine erleichterte männliche Stimme aus nächster Nähe.
    Sebastian wollte ebenfalls aufatmen, aber da war ja immer noch der leuchtende Totenschädel... Als er sich umdrehte, bemerkte er jedoch irritiert, dass der sich überhaupt nicht vom Fleck gerührt hatte. Allmählich stieg der etwas peinliche Verdacht in ihm auf, dass der Schädel nicht einmal schwebte, sondern bloß auf halber Höhe in einer dunklen Wandnische ruhte. Es war wohl doch gut, dass Verena nicht hier war.
    „Tja, also... ich bin jedenfalls Lares“, stellte sich der Fremde vor. „Und du machst sicher bei diesem Wettbewerb mit, richtig?“
    „Ja“, bestätigte Sebastian verlegen und nannte ebenfalls seinen Namen, während die beiden vorsichtig auf den glühenden Knochenkopf zugingen.
    Aus der Nähe betrachtet sah der Schädel nicht mehr ganz so gruselig aus, zumal Sebastian schnell bemerkte, dass es gar nicht der Totenkopf selbst war, der das goldene Licht ausstrahlte, sondern ein runder Gegenstand, den jemand in den hohlen Knochen hineingelegt hatte.
    Seufzend zog Lares die kleine Kugel hervor und wog sie in der Hand. Die Enttäuschung war seinem gut beleuchteten Gesicht deutlich anzusehen.
    „Noch eine von denen...“, murmelte er und drückte Sebastian das Artefakt in die Hand. „Kannst du gerne haben, ist ’ne Karte von Khorinis drauf. Die Dinger liegen jetzt überall rum. Sogar Till hat schon mit so einer angegeben, und der ist, ganz unter uns gesagt, zu blöd zum Rüben pflücken.“
    Verwirrt betrachtete Sebastian die schwere Metallkugel. „Aber sie sieht so wertvoll aus... und, ich meine, sie leuchtet! Wie kann es sich der Veranstalter leisten, so viele von denen zu verteilen?“
    „Naja... Erzbrocken sehen auch wertvoll aus und leuchten sehr hübsch, und trotzdem musstest du damals in der Kolonie schon eine ganze Hand voll zusammenkriegen, um dir ein Bier zu kaufen“, brummte Lares schulterzuckend. „Ich schätze, dieser Veranstalter hat einfach eine Menge davon. Vielleicht sollen sie ein besonders leicht zu findender Hinweis für euren Wettbewerb sein, vielleicht sollen sie euch auch bloß von den echten Hinweisen ablenken. Jedenfalls – wenn es dir nichts ausmacht, dann werde ich mich jetzt verabschieden. Ich habe schon zu viel Zeit hier verschwendet, und Lee ist sicher ganz scharf darauf, von meinem... außergewöhnlichen Fund zu erfahren. War nett, dich kennengelernt zu haben.“
    „Hey – halt!“ Sebastian war fest entschlossen, mehr von Lares zu erfahren. Dass er einiges wusste, war offensichtlich. „Jarvis hat dich erwähnt. Er meinte, du könntest mir etwas über den Veranstalter und seine Leute erzählen.“
    „Jarvis ist ein bisschen zu gesprächig, wenn du mich fragst.“
    Nervös kaute Sebastian auf seiner Unterlippe herum. So schnell wollte er sich nicht geschlagen geben. „Ich finde, wir... also, ich finde, wir sollten zusammenarbeiten.“
    „Vergiss es. Lee und ich, wir wollen den Wettbewerb bloß verstehen, nicht gewinnen. Das kannst du mal schön alleine versuchen.“
    „Ich bin genauso misstrauisch wie ihr es seid! Außerdem habe ich auch wertvolle Informationen: Ich weiß, wo sich alle Eingeweihten aufhalten.“
    Lares warf ihm einen skeptischen Blick zu, schien aber nicht uninteressiert. „Wie hast du das denn herausbekommen? Seit sie das Schiff verlassen haben, ist mir keiner von denen mehr unter die Augen gekommen.“
    Sebastian zögerte. Er konnte Lares doch schlecht erzählen, dass der Veranstalter selbst die Informationen bereitwillig herausgegeben hatte. „Ich, ähm... habe den Veranstalter belauscht.“ In gewisser Weise stimmte das sogar, dachte Sebastian. Er hatte ja mit keinem Wort behauptet, dass es heimlich geschehen war. „Also... bin ich jetzt dabei?“
    „Hm.“ Lares lächelte. „Wieso fragen wir nicht einfach Lee?“

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    Ich bin Holzfäller und mir geht’s gut / Am Tag packt mich die Arbeitswut!“
    „ER IST HOLZFÄLLER UND IHM GEHTS GUT / AM TAG PACKT IHN DIE ARBEITSWUT“
    Ich fäll' den Baum und ess mein Brot, ich trotze selbst dem Schnee / Am Mittwoch geh ich Bummeln und tu' mir Grog in'n Tee!“
    „ER FÄLLT DEN BAUM UND ISST SEIN BROT; ER TROTZT SELBST DEM SCHNEE / AM MITTWOCH GEHT ER BUMMELN UND TUT SICH GROG IN'N TEE.
    EEER IST HOLZFÄLLER UND IHM GEHTS GUT, AM TAG PACKT IHN DIE ARBEITSWUT...“

    Jetzt sangen sie das Lied schon seit Stunden immer und immer wieder. Und tranken noch einen Wacholder. Und spielten noch eine Partie Doppelkopf. Es wäre ja gar nicht mal sooo schlimm gewesen, aber Grom sang auch noch ständig das Solo, während er die etwas besseren Laiensänger in den Chor verbannte. Es war zum Riesenrattenmelken!
    Der Beliarskreis war anscheinend auch nicht zu unterbrechen. Irgendwann kam immer einer auf die glorreiche Idee, doch noch „'nen winziges Schlücksche“ zu trinken. Dieser Vorschlag traf konsequent auf Zustimmung, was die Laune dermaßen hob, dass den positiven Energien durch lautes Grölen Luft verschafft werden musste. Als die Grölerei dann beendet war und alle verschnaufen mussten, hieß es dann, man könne ja noch eine Partie Doppelkopf spielen. Bis dann der Durst wieder einsetzte.

    Eigentlich hatte Niklas ja den Plan gefasst, abzuwarten bis wenigstens einige der starken Männer mit den dicken Oberarmen, den Rauschebärten und den karierten Wollhemden eingeschlafen waren, aber dieses Bedürfnis kannten sie wohl gar nicht. Der Weißmagier war aber ein von Grund auf optimistischer und setzte deshalb seine Hoffnungen ersatzweise in den Wacholder, der ja bereits in Strömen geflossen war.
    „Könnt ihr mich nicht wenigstens irgendwie in eine Ecke setzen, damit ich 'ne Runde schlafen kann?“, fragte er missmutig in die Runde nachdem der Singsang wieder verklungen war, „Könnt ihr dann vielleicht auch noch ein bisschen Stroh oder ein paar Decken da hintun?“
    Sie alle ignorierten ihn gekonnt, nur Grom zeigte ein wenig Anteilnahme. Er stand auf, schlurfte torkelnd auf Niklas zu und zog ihn an seinen Handfesseln in eine Ecke der Hütte. Leider nicht die, welcher der Tür nahe war, bemerkte Niklas enttäuscht. Dann sah er jedoch das auf Kipp geöffnete Fenster.
    „Um dir jetz noch Stroh von draußen zu holn bin ich echt zu voll im Kopp für“, erklärte Grom und man sah ihm die Anstrengung an, die er aufbrachte, um seine Worte halbwegs sinnvoll klingen zu lassen; er hatte die intensivste Fahne, die Niklas jemals gerochen hatte. Dann ging er zum Tisch und füllte einen Becher zur Gänze mit dem Getränk, das für genannte Umstände verantwortlich war, „Aber das hier macht auch ganz schön warm. Geht aufs Haus.“
    Niklas überlegte kurz, ob er das Zeug wirklich probieren sollte. Sein Vater hatte ihm stets verboten, Spirituosen zu sich zu nehmen. Deshalb war das Angebot besonders reizvoll für den jungen Magier. Außerdem hatte Niklas bereits vor einer Weile die Theorie aufgestellt, dass eine gewisse Menge Alkohol im ehrwürdigen Blute eines Magiebegabten dessen geistige Kräfte um ein winziges bisschen erhöhen konnte. Es wäre also nur der Wissenschaft dienlich, augenblicklich eine Probe aufs Exempel zu machen.
    „Okay, lass mich mal dran nipp-“
    Grom hatte ihm fast den gesamten Inhalt des Bechers in den Mund, einen kleinen Rest auf die Kleidung geschüttet.
    „Oh, das tut mir Leid.“ Grom blickte ehrlich schuldbewusst drein, „Hab mich nich mehr so gut unner Kondrolle...“
    Niklas hustete und verschluckte sich an dem scharfen Getränk, das einen Würgereiz bei ihm auslöste, mit dem er eine Weile zu kämpfen hatte. Die anderen Holzfällersleut interessierte das Keuchen nicht, das aus seiner Ecke drang.
    Die bringen mich noch um, dachte Niklas verstimmt, wenn auch nicht mit Absicht. Und bequemer ist es hier in der Ecke auch nicht grad.
    Er überlegte, wie er es schaffen könnte, sich trotz der Knebel aufzurichten, das Fenster zu öffnen und in die Nacht zu entfliehen, fand jedoch keine Lösung. Er schloss die Augen. Ihm war ein wenig schummerig geworden, der Wacholder entfaltete seine Wirkung recht schnell bei ungeübten Trinkern wie Niklas. Der Weißmagier versuchte, sich zusammenzureißen. Er durfte nicht einschlafen, denn dann würde er womöglich seine Chance verspielen, hier rauszukommen. Die Holzfäller könnten schließlich wieder nüchtern sein, wenn er mit seinem Fluchtversuch noch allzu lange wartete.
    Als Niklas seine Augen wieder öffnete, fiel ihm direkt der Schirmständer auf, der neben Groms Eingangstür stand. Gefüllt war dieser jedoch nicht wie angedacht mit Regenschirmen, sondern mit den Holzfälleräxten seiner sieben Besucher. Brav hatten sie ihre geliebten Werkzeuge darin abgestellt, auf dass während des Suffs kein Unheil mit ihnen angerichtet werden konnte.
    „Hier am Fenster ziehts“, jammerte Niklas einer Eingebung folgend drauf los.
    „Fenster bleibt offen“, entgegnete Grom entschlossen, „Wenn so viele Kerls wie wir beinander hocken, ist die Luft schnell aufgebraucht.“
    „Dann lass mich doch wenigstens woanders sitzen. Ich will dir ja gar nicht so viel Arbeit machen, aber stell dir mal vor, ich werd jetzt auch noch krank! Dann kannst du mich auch noch gesund pflegen, bis das Spiel vorbei ist! Da hättest du viel Arbeit mit und ich ein total schlechtes Gewissen...“
    „Jaja“, winkte der Holzfäller ab, „Isjaschonngut. Wo will der feine Herr sich denn gerne hinbegeben?“
    Niklas zuckte die Achseln, so gut das in geknebeltem Zustand möglich war. „Egal“, sagte er gleichmütig. Dann nickte er zur Ecke mit der Eingangstür und dem Schirmständer, „Setz mich doch einfach in die andere Ecke. Die ist nicht so nah am Fenster und außerdem... die Windrichtung spielt ja auch eine Rolle, so dass diese Ecke der perfekte Unterschlupf ist, um sich vor der Kälte zu schützen.“
    Innerlich vergrub Niklas seinen Kopf in den Händen. Was laberte er da eigentlich für einen Mist?
    „Na gut“, seufzte Grom, „Dann gibste aber endgüldig Ruhe für heute, verstanne?“
    „Könnte sein, dass ich gleich nochmal pinkeln-“
    „Nein. Morgen wieder.“

    Und schon wieder schleifte Grom Niklas durch die Hütte, was ziemlich schmerzvoll war für jemanden, der sowas noch nie erlebt hatte, weil er im Oberen Viertel der Hafenstadt aufgewachsen war. Die Rücksichtnahme Groms war auch irgendwie im Wacholder untergegangen. Niklas beschwerte sich aber nicht, sein Plan war schließlich dabei, aufzugehen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren schlenderte Grom wieder zu seinen Kollegen und nach einem weiteren „Schlücksche“ stimmten sie das Lied erneut an.
    Niklas schob sich Zentimeter für Zentimeter näher zum Schirmständer und hielt daneben einige Momente inne. Es hatte niemand etwas bemerkt. Er begann, die Knebel um seine Hände an einer der Schneiden zu reiben, was schnell zum gewünschten Erfolg führte.
    Mit dem Unsichtbarkeitstrank sollte die Flucht eigentlich kein Problem mehr sein. Der nicht mehr ganz so geknebelte Weißmagier langte in eine der Taschen seiner selbstgenähten Robe, auf die er sehr stolz war. Die verschiedenen Tränke darin konnte er an der Form der Phiolen auseinanderhalten. Der Unsichtbarkeitstrank war in der mit den vier Ecken...
    „Autsch!“, entfuhr es ihm leise. Er zog die Hand schnell wieder hervor. Sein Zeigefinger und der Daumen bluteten und wurden langsam durchsichtig. Die Phiole musste während der kurzen Rangelei mit den Holzfällern zerbrochen sein!
    Dann halt auf die harte Tour, dachte Niklas sich.
    Wenn er nur ein Feuermagier gewesen wäre, hätte er die Seile, die seine Füße auf unpraktische Weise miteinander verbanden, durchschmoren lassen können. Das war nunmal der Nachteil als Weißmagier. Viel mehr als einen Lichtzauber brachte man mit dieser Form der Magie nicht zustande, wie Niklas sich eingestehen musste. Er packte die kleinste der Äxte und hob sie aus dem Schirmständer.
    „He Bengel, was machstn da?“
    Alle Holzfäller starrten zu Niklas hinüber und er starrte zurück. Er überwand den Schock und hieb ohne Rücksicht auf Verluste zwischen seine Füße. Mit einem Schlag, der falsch durchgeführt auch einen der Füße hätte abtrennen können, durchschlug er die Seile. Er sprang hoch und riss die Tür auf.
    „Hinnerher!“, hörte er Grom noch brüllen, aber Niklas war schon draußen und seine Verfolger waren stinkbesoffen. Er jubelte innerlich.
    Ohne seinen Unsichtbarkeitstrank fühlte der Weißmagier sich jedoch viel zu... sichtbar. Er beschloss, auf kürzestem Wege in die Stadt zu laufen, seines Vaters Haus für einen neuen Trank aufzusuchen und dann den dortigen Eingeweihten zu finden.

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    Irenicus-Bezwinger  Avatar von MiMo
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    Verena schreckte aus dem Schlaf. Sie atmete schnell und flach, wusste jedoch nicht warum. Um sie herum war noch alles in das fahle Licht der Morgendämmerung getaucht. Vermutlich hatte sie nur schlecht geträumt. Sie bemerkte, dass sie noch unbequemer an den Baumstamm gelehnt saß, als zu dem Zeitpunkt, in dem sie eingeschlafen war, und versuchte sich wieder ein wenig gerader hinzusetzen. Die Lederriemen, mit denen sie gefesselt war, drückten ihr dabei in die Arme, doch sie war derlei Unbequemlichkeiten gewohnt.
    Ihr Blick fiel auf den massigen, von einer dünnen, mullfarbenen Decke bedeckten Körper des Hünen, der im Gegensatz zu ihr noch im Reich der Träume wandelte.
    Sie konnte sich zwar verwandeln, doch sie hatte schon festgestellt, dass ihr das nichts brachte. Ihr Brustkorb war in ihrer verwandelten Form weniger flach, sodass ihr die Lederriemen nur noch mehr ins Fleisch schnitten als in ihrer menschlichen Form. Ungünstigerweise kam sie auch weder mit ihren Klauen noch mit ihren Reißzähnen an die Fesseln. Der Hüne hatte sich keine Blöße gegeben und schlief nun, leider zurecht, ohne jede weitere Vorkehrung seelenruhig. Wer er war und welches Ziel er eigentlich verfolgte, wusste sie immer noch nicht. Sie wusste nur, dass er mehr über sie wusste als ihr lieb sein konnte.

    Yves grub seine Finger in die harte Rinde des Baumes, hinter dem er sich versteckte. Seine Verena – an einen Baum gefesselt! Und neben ihr ein weiterer Teilnehmer des Wettkampfs, der Hüne, der noch mit niemandem ein Wort gewechselt hatte. Zuerst wollte Yves wütend losstürmen. Was fiel diesem Unhold ein, sich so an ihr zu vergehen? Und wozu überhaupt? Doch dann kam ihm ein anderer Gedanke, und er musste verstohlen lächeln.
    Wenn er Verena aus ihrer misslichen Lage befreite, würde er ihr Held sein. Es war sozusagen seine große Chance, ihr zu beweisen, was für ein Prachtkerl in ihm steckte! Was für ein glücklicher Zufall ihn doch an diesem frühen Morgen ausgerechnet an diesen Baum zum Austreten geführt hatte. Sein Kopf kribbelte noch unangenehm von dem billigen Klosterwein, dem er am Abend des Vortages zugesprochen hatte. Außerdem schmerzte sein Rücken von der unbequemen Lage, in der er am Tresen sitzend eingeschlafen und erst mit dem ersten Morgenlicht wieder erwacht war. Der geduldige Fels überdauert alle. Er hatte die Nacht in der Taverne verbracht, während alle anderen weitergezogen waren, eifrig darauf aus, den Sinn hinter ihrem Hinweis zu finden. Was für eine Ironie des Schicksals, dass sein Hinweis nun eine weitere Deutungsebene bekam. Denn die eigentliche Bedeutung konnte diese glückliche Fügung ja unmöglich sein. Als hätte der Veranstalter das vorausahnen können.
    Hastig drückte Yves sich noch enger an den Baum. Verenas Lider hatten sich gehoben. Ihre eisblauen Augen huschten über die Umgebung und fixierten dann ihren schlafenden Wächter. Yves lief es kalt den Rücken runter. Diese Augen…
    Konzentrier dich, Yves!, ermahnte er sich streng. Was galt es zu tun? Den Hünen im Schlaf zu überfallen, ließe ihn natürlich äußerst stark und überlegen dastehen, doch wenn der Goliath Gelegenheit zur Gegenwehr bekam, war es um ihn geschehen, da war er sich sicher. Er hielt sich nicht für schwach oder ungeschickt, doch litt er auch nicht an Selbstüberschätzung. Ihm blieb also nichts anderes übrig, als der weniger ruhmreichen, aber sicheren Variante den Vorzug zu geben. Er musste Verena befreien und dann - je nachdem, ob ihr trollhafter Wächter dies bemerkte oder nicht – fliehen oder Seite an Seite mit ihr kämpfen. Ihr Schwert lag gleich neben dem des Hünen an seiner Schlafstatt.
    Doch in diesem Moment hörte Yves ein Geräusch, wie man es nur selten außerhalb der Stadtmauern hörte: Das Klirren einer Ritterrüstung. Unverkennbar! Er spähte durch die Bäume und fand tatsächlich einen Ritter in voller Montur, der geraden Schrittes auf den schlafenden Hünen zu stolzierte. Das Visier heruntergeklappt, zog er, nur noch wenige Meter von Verena und ihrem Wächter entfernt, sein Langschwert.
    Yves erschrak. Wollte dieser Bleicheimer ihm etwa zuvorkommen? Hastig machte er sich an die Arbeit.

    Verena starrte den sich nähernden Ritter verblüfft an. Wie kam er denn hierher? Sie hatte ihn sofort an dem Wappen auf seiner Brust und seinem Schwert erkannt. Feuerstahl.
    Mit einem Mal war der Hüne wach und auf den Beinen. Breitbeinig postierte er sich vor Verena und hob seinen Zweihänder auf Augenhöhe.
    Der Ritter stoppte seinen Schritt nur drei Meter vor ihm. Er schien sich vollkommen sicher zu führen, denn er klappte sein Visier hoch, um sein Gegenüber mit smaragdgrünen Augen zu mustern. „Egal wer Ihr seid, entfernt Euch schleunigst von Lady Ashe!“
    „Tötet ihn nicht, Sir Theon. Wir brauchen ihn noch“, wies Verena den Ritter an.
    „Wie Mylady befiehlt“, knickste der Ritter.
    Diesen Moment der Ablenkung wollte der Hüne nutzen und dem Leben des Ritters ein Ende setzen, doch Sir Theon wehrte den Hieb mit Leichtigkeit ab.
    Verena spürte plötzlich wie ihre Fesseln nachgaben und zu Boden fielen. Verwirrt sah sie erst nach links und dann nach rechts, wo sie zu ihrer Verwunderung Yves erblickte.
    „Komm schnell mit, ich rette dich!“, zischte dieser ihr zu und zog sogar an ihrem Arm.
    „Verzieh dich!“, erwiderte sie genervt und riss ihren Arm los. Der Ausdruck der blanken Enttäuschung, der daraufhin auf Yves‘ Gesicht trat, war zum Steinerweichen. Sie rang sich zu einem kurzen „Danke“ durch, als sie sich von dem Waldboden erhob und ihre Gliedmaßen streckte. Hinter ihrem Rücken strahlte Yves übers ganze Gesicht.
    Sir Theon entwand den Pranken des Hünen sein Schwert mit einer gekonnten Bewegung, sodass es zu Boden fiel und sich in den weichen Untergrund grub. Die Spitze von Feuerstahl verharrte nur wenige Zentimeter vor der Brust des Hünen in der Luft.
    „Sie sagen, dass Sie ihn noch brauchen, Mylady?“, erkundigte er sich, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Sein Tonfall wäre bei einer Frage über das Wetter angemessener erschienen. Als Verena neben ihn trat, wandte er seinen Blick doch für einen kurzen Augenblick ab. „Wieso haben Sie sich nicht früher befreit, wenn es Ihnen doch möglich war, Lady Ashe?“
    „Das war nicht ich, sondern der da“, antwortete sie mit einer knappen Handbewegung in Yves‘ Richtung. Dann fuhr sie in geschäftsmäßigerem Tonfall fort: „Dieser Hüne hat wie jeder andere Teilnehmer dieses Wettbewerbs einen Hinweis bekommen, den ich gerne erfahren würde. Sie werden über diesen Wettbewerb noch nichts wissen, Theon, auch wenn sie offensichtlich wussten, dass ich nach Khorinis gebracht wurde, aber er gibt uns die Gelegenheit meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.“
    „Ihr Vater schickte mich los, um Ihnen zu helfen. Er hatte von diesem Wettbewerb gehört, weiß jedoch wie Sie richtig sagten, nichts Genaues über ihn. Ein Glück, dass ich Sie endlich gefunden habe!“
    „Nun, wenn ich ihn gewinne, kann ich meine aus strategischen Gründen mit dem Hause Evadam organisierte Vermählung annullieren, ohne dass mein Gatte sich beschweren kann, dass die Ashes vertragsbrüchig geworden sind. Der Gewinner hat laut Ausschreibung einen Wunsch frei, ganz egal was für einer dies ist. Die Evadams würden sich lächerlich machen, wenn sie sich nicht an ihr eigenes Wort hielten. Ich wollte diese Chance nutzen, musste für die Teilnahmeerlaubnis jedoch versprechen, dass ich im Falle meines Scheiterns fortan keinen Widerstand mehr gegen die Ehe leiste.“ Ihr trat bei diesen hastig hervorgebrachten Erklärungen Röte auf die Wangen.
    Sir Theon zog eine Augenbraue empor. „Es steht viel für sie auf dem Spiel, Mylady! Doch wenn sie gewinnen, schlügen wir zwei Blutfliegen mit einer Klappe. Ihrem Vater graute es schon vor den zähen Auseinandersetzungen, die es zur Folge gehabt hätte, wenn ich Sie nun einfach mit mir nachhause genommen hätte.“
    „Das kann ich mir denken. Doch das werden Sie wie gesagt nicht tun. Wir werden dieses kleine Spiel zu Ende spielen.“ Die Röte wich einem gefährlichen Lächeln. Sie wandte sich wieder dem Hünen zu und durchbohrte ihn mit ihren Augen. „Und außerdem würde ich gerne wissen, woher dieser Mann so viel über meine Art von Magie weiß.“
    Der Hüne, immer noch die Schwertspitze auf der Brust, zuckte nicht einmal mit der Wimper. Sein Widerstand war noch nicht gebrochen, erkannte Verena.
    „Mo-Moment Mal? Was soll’n dieses Mylady-Gequatsche die ganze Zeit?“, meldete sich Yves nun wieder zu Wort.
    Theon rümpfte die Nase darüber, so von der Seite angesprochen zu werden, antwortete jedoch in hochmütigem Ton: „Vor Ihnen steht Lady Verena Ashe, Prinzessin von Khoralt.“

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    Deus Avatar von Atticus
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    Atticus ist gerade online
    „Himmel, Arsch und Zwirn! Ist dein Geist mit dem Wahn Beliars vergiftet? Mir ist das Herz fast bis in die Socken gerutscht! Wie bist du hier hereingekommen? Und was noch viel wichtiger ist: Was willst du ausgerechnet hier von mir?“
    Etwas verdattert wandte sich Martin mit immer noch ausgebreiteten Armen zu dem Schreihals herum. Glücklicherweise hatte ihn die Rune dieses Mal nicht auf einem Baum abgesetzt, wofür er und sein Knie dankbar waren. Dummerweise war er aber auch nicht vor den Toren des Klosters herausgekommen, wie er es eigentlich gehofft hatte. Als er den Mann vor sich erkannte, erbleichte Martin und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass die Rune ihn auf direktem Weg ins Gefängnis teleportiert hätte.
    Das Kloster wurde von drei mächtigen Hochmagiern geleitet. Drei mächtige Männer, deren Weisheit, Wort und Kenntnis der arkanen Energie die Geschicke der Kirche hier auf Khorinis schon seit über zwanzig Jahren lenkten. Jeder von ihnen war ein Meister der Magie, mächtiger als alle anderen Menschen auf dieser Insel, wahrscheinlich sogar mächtiger als die meisten der Menschen auf dem Festland Myrtane.
    Vor ihm, mit einer alten Schriftrolle in den Händen, saß der Hochmagier Pyrokar. Dessen Robe war bis zu seinen Hüften hochgekrempelt und er presste seinen nackten Hintern auf den Abtritt unter ihm.
    Beide Männer starrten sich an. Während die Augen Martins schreckgeweitet und blutunterlaufen waren, wuchs in den grauen Augen des Hochmagiers der Zorn. Der Augenblick zog sich in die Länge und langsam, ganz langsam ließ Martin seine Arme sinken, während er sich ebenso langsamen Schrittes nach hinten bewegte. Nur die Augen des Magiers folgten seinen Bewegungen, ansonsten verharrte er weiterhin fast regungslos auf dem Abtritt. Martin stieß mit der Ferse an die dunkle Holztür, tastete mit der Rechten nach dem Türknopf und schob sich, den Blick immer noch wie in Trance auf das Gesicht seines Gegenüber gerichtet, vorsichtig aus dem Raum heraus. „Oh, da bin ich wohl falsch abgebogen. Ähm, nichts für Ungut, ja? Mein Fehler. Wird nicht wieder vorkommen, eure Lordschaft. Einen schönen Tag wünsche ich noch.“
    Vorsichtig, fast schon sanft schloss Martin die Tür und schlich sich auf Zehenspitzen den dunklen, steinernen Klostergang hinunter, in der Hoffnung so schnell wie möglich den Ausgang zu finden. Mehrere Novizen verharrten bei ihren Aufgaben und starrten dem Fremden nach, der sich wie Dieb den Gang hinunter schob. Niemand sprach ein Wort. Als Martin am Fuße einer steilen Treppe angelangt war, dachte er schon, ohne größere Konsequenzen entkommen zu können, als die schwere Tür des Abtritt mit einem lauten Knall aufflog und mit einem tosendem Krachen, das von der tunnelartigen Umgebung noch verstärkt wurde, gegen die Wand donnerte.
    „Bei Innos feurigem Bart!“ Der Hochmagier Pyrokar stürmte mit hochrotem Kopf aus dem engen Raum, in der Rechten die nun zerknüllte Schriftrolle, in der anderen etwas, dass verdächtig nach einer Rune aussah. Als im nächsten Moment Flammen zwischen den Fingern des alten Mannes züngelten, bestätigte sich Martins Befürchtung. „Novizen! Haltet diesen Mann auf. Lasst ihn nicht entkommen!“, donnerte er.
    Martin nahm sich nicht die Zeit zuzusehen, wie die Novizen jeden Gegenstand den sie in der Hand hielten fallen ließen, um sich an die Verfolgung seiner Person zu beteiligen. Stattdessen hastete er so schnell wie sein Leibesumfang es ihm erlaubte, die Treppe hinauf. Er kam an mehreren Räumen vorbei, aus denen verdutzte Novizen und Magier hervorlinsten, in der Hoffnung den Grund des Radaus zu erfahren. Martin hörte das Trappeln seiner Verfolger, das unglücklicherweise immer näher kam.
    Da! Am Ende einer weiteren Treppe fiel helles Tageslicht in den ansonsten nur mit Fackeln erhellten Gang. Mit letzter Kraft und brennenden Beinen stolperte Martin hinaus. In der relativ kurzen Zeit unter der Erde, hatten sich seine Augen auf die schlechten Lichtverhältnisse eingestellt, sodass das Licht der Sonne ihm für einen kurzen Augenblick die Sicht nahm. Als er schließlich wieder etwas erkennen konnte, schien ihm fast die Augäpfel aus dem Schädel zu fallen.
    Vor ihm öffnete sich das Gebäude in einen weiten Innenhof. Zu seiner Linken befand sich ein kleiner Kräutergarten, zu seiner Rechten führte ein schmaler Weg zur Kirche des Klosters.
    Was seine Aufmerksamkeit auf sich zog, war die versammelte Gemeinschaft des Klosters, die sich zur täglichen Messe vor der Kirche versammelt hatte. Ein gutes Dutzend Novizen, eine Hand voll Magier und um sein Unglück auf die Spitze zu treiben noch drei Paladine des Königs, in voller Rüstung und schwer bewaffnet. Und dort, in der vordersten Reihe stach ein Mann aufgrund seiner sich völlig von der Kleidung der Klosterbewohner unterscheidenden Gewandung hervor. Dieser Mann trug einen langen Mantel in der Farbe herbstlicher Blätter, hatte lange, gepflegte blonde Haare und einen breitkrempigen Hut aufgesetzt. Als sein Blick auf Martin fiel, runzelte er kurz verwirrt die Stirn, bis plötzlich die Erkenntnis in seinen Augen aufblitzte. Ein breites Grinsen im Gesicht, hob der Mann einen Arm und winkte Martin fröhlich zu, als hätte er ihn bereits erwartet. Plötzlich wurde Martin von mehreren Händen gepackt. Die Novizen hatten ihn eingeholt. „Ach, Fleischwanzenragout!“, brummte Martin resigniert.
    Der Weißmagier Niklas stolperte durch das dichte Unterholz, auf der Suche nach dem richtigen Weg zur nächsten Straße. Er konnte seine Verfolger immer noch schwach hören, doch glücklicherweise wuchs der Abstand zwischen ihnen mit jedem Schritt. Er überlegte, etwas langsamer zu fliehen, da sich seine Robe immer wieder im Unterholz verhedderte und er schon mehrmals fast gestürzt wäre, entschied sich dann doch dagegen. Die Holzfäller waren zwar betrunken, doch diese kannten sich im Gegensatz zu ihm in diesem Wald gut aus. Irgendwann würden ihre vom Alkohol benebelten Geister auf die Idee kommen, sich in der Nähe der Straße auf die Lauer zu legen um ihn abfangen zu können, während er noch durch den Wald irrt und mit etwas Pech einem Rudel Warge oder noch schlimmer, einem Schattenläufer begegnet. Auf so etwas konnte er nun wirklich verzichten, war seine Magie doch nicht zum Kampf geeignet. Nein, dass war nun wirklich keine erstrebenswerte Lage.
    Nach einigen Minuten weiteren Weges, stieß Niklas auf einen kleinen Trampelpfad. Ohne weiter nachzudenken, folgte er diesem. Der Pfad stieg leicht an, schlängelte sich zwischen den Bäumen hindurch und führte schließlich zu einem kleinen Bergmassiv. Niklas runzelte die Stirn, versuchte einzuschätzen, wohin ihn dieser Pfad bringen würde. Im besten Fall war dies eine Abkürzung, ein Weg, der ihn auf schnellstem Weg nach Khorinis bringen würde. Im schlechtesten Fall war es ein Weg in eins der vielen natürlichen Labyrinthe, die im Gebirge der Insel zu finden waren. Natürlich konnte der Weg auch zum Nest eines Bergtrolls oder zu einem Banditenversteck führen. Nervös knabberte Niklas an seinen Fingernägeln. Er könnte weiter durch den Wald laufen und hoffen, dass er sobald wie möglich auf eine Straße treffen würde oder das nicht geringe Risiko eingehen und dem unbekannten Bergpfad folgen. Die näherkommenden Stimmen der betrunkenen Holzfäller nahm ihm die Entscheidung ab. Niklas rückte seine Robe zurecht, prüfte den Inhalt seiner zahlreichen Taschen und eilte dann strammen Schrittes den engen, verschlungenen Pfad hinauf.

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    Deus Avatar von John Irenicus
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    John Irenicus ist gerade online
    „Mann Buster, ich hab jetzt aber auch echt keinen Bock mehr, ganz ehrlich. Das hat doch jetzt schon gefühlt eine halbe Stunde gedauert.“
    Dar stand auf einem der vielen felsigen, aber auch matschigen Vorsprünge, welche die beiden Söldner hinunter zum Fluss geführt hatten und auf der anderen Seite hoffentlich wieder hinauf führen würden – so jedenfalls der Plan.
    „Wenn du nicht so träge wärst und mal mehr machen und weniger labern würdest, wären wir schon längst wieder oben“, giftete Buster von weiter unten hoch, während er mit seinem Fuß nach einer weiteren sicheren Stelle tastete. Er fand lange keine, und mit wenig Geduld und gereizt von seinem Kumpanen sprang er die letzte Distanz. Es platschte laut und Wasser spritzte. Buster war höchstens bis zu seinem Bauchnabel eingetaucht.
    „Hey, hier kann man ja stehen!“, rief er so begeistert wie klatschnass. „Komm jetzt!“
    „Alter… da wird man ja richtig nass. Das ist nichts für mich, Buster. Badetag war doch schon diesen Monat!“
    Mit zitterigen Knien klammerte sich Dar, dem seine Haltung mit der Zeit sichtlich zu anstrengend geworden war, krampfhaft am Hang fest.
    „Und überhaupt, mir ist das einfach zu krass… von der Brücke ist nix mehr da! Und das in echt! So viel könnt’ ich gar nicht rauchen, um mir das vorzustellen. Buster, Mann, wer weiß denn schon, ob wir nicht genauso verschwinden, wenn wir zu lange hier bleiben. Wir hätten einfach einen anderen Weg…“
    „Gar nichts hätten wir!“, ließ Buster seiner Wechsellaunigkeit freien Lauf und spritzte mit hochrotem Kopf mit dem Flusswasser nach Dar, kam ihm aber nicht einmal ansatzweise damit nahe. „Hast du schon vergessen, was ich dir gesagt habe? Immer einen Schritt voraus sein, Dar, immer einen Schritt voraus! Und daran arbeiten wir gerade. Also komm jetzt endlich!“ Er versuchte noch einmal, ihn nass zu spritzen. Dar schien nicht überzeugt.
    „Aber was ist, wenn…“
    „Hör mal zu, du Meisterkletterer“, blaffte Buster direkt zurück. „Du kannst ja von mir aus für immer da stehen bleiben.Viel Spaß beim Versuch, dort ohne meine Hilfe wieder hoch zu kommen. Entweder du kommst jetzt mit, oder du kannst den Rest deines Lebens mit dem Matsch hier unten spielen. Also?“
    Buster streckte eine seiner wulstigen Hände aus, auch wenn diese Geste angesichts der Distanz zwischen ihm und Dar tatsächlich nur Geste blieb und keine echte Hilfestellung war. Seine Worte hingegen schienen in Dar etwas bewegt zu haben.
    „Ey… Mann…“, hauchte er mit vor Schreck geweiteten Augen, „da… da… das…“
    „Oh doch, und ob ich das machen kann!“, widersprach Buster seinem zaudernden Kollegen auf der Stelle. „Und du kennst mich! Wenn ich etwas verspreche, dann halte ich das auch. Und das gilt auch für meine Drohungen…“
    „N-Nein… da… da…A…A…A“
    „Sag mal, hast du doch heimlich was geraucht?“, wurde Buster skeptisch. „Na großartig… jetzt ist mein Kollege nicht nur ein Junkie, sondern auch noch ein Junkie, dem bereits das Hirn weggequalmt ist.“
    „A-A-A-ALLIGATOR!“
    Als Buster die Berührung an seinem Rücken spürte, begann er zu ahnen, was Dar wirklich meinte. Er hoffte inständig, dass der geistesabwesende Dar lediglich einen herbeischwimmenden Baumstamm etwas zu fantasievoll betrachtet hatte, aber als er ein leises Schnauben hörte, war es mit dieser Hoffnung schnell wieder vorbei. Während er sich langsam umdrehte, geriet immer mehr der lange, grünbraune Leib des Tieres in sein Sichtfeld. Es war das erste und einzige Mal, dass Dar Recht behalten hatte – gerade jetzt, gerade bei so etwas. Von oben fixierte Dar ihn mit Entsetzen im Gesicht, direkt neben ihn fixierten ihn zwei gelbliche Augen, deren Pupillen scharfe Schlitze waren. So scharf, wie die Zacken auf dem Rücken des Tieres, welches sich in seiner kaum erfassbaren Länge auf dem Wasser geradezu um Buster herumschlängeln wollte. Und so scharf wie die Zähne dieses Biests, von denen einige kreuz und quer aus dem Maul herausragten.
    „Aber hier gibt es doch gar keine Alligatoren!“, rief Dar erschrocken, in Anbetracht der Situation aber immer noch viel zu unbekümmert. „Den muss jemand hier ausgesetzt haben! Die Veranstalter vielleicht?“
    „Ist mir doch scheißegal!“, raunte Buster mit gluckernder Stimme nach oben, unsicher, wie laut er angesichts seines tierischen Besuchers sein durfte. „Tu etwas!“

    Dafür, dass es der Raum eines Bauern war, funkelte ganz schön fiel. Glasscheiben, ein Kronleuchter, Gold- und Silberbesteck, diverse Vasen und nicht zuletzt der Inhalt des mäßig befüllten Sacks auf dem Tisch. Aus Langeweile griff der alte Mann hinein und zog eine der goldenen Kugeln heraus. Er rückte seinen Zwicker zurecht, hielt die Kugel gegen das Licht und erkannte die vertrauten Einkerbungen im Gold, die ganze Heerscharen von stummen Arbeitern willig hineingeritzt hatten. Sie alle hatten seinem Entwurf gehorcht und ihn aufs Makelloseste umgesetzt. Diese Kugeln waren fast schon zu schade, um sie willkürlich über das Land dieser Bauerninsel zu verteilen und darauf zu hoffen, dass einer der Teilnehmer die richtigen – oder falschen – Schlüsse aus ihren Linien zog. Und dennoch hatte Rodriguez sie verteilen lassen. Weil er noch eine Rechnung mit seinem Auftraggeber zu begleichen hatte und zudem loyal war. Sehr loyal, schon sein ganzes langes Leben lang. Nun aber hatte sich zum ersten Mal die Situation ergeben, die er bisher all die Jahre lang geschickt vermieden hatte. Ein Interessenkonflikt. Eine Pflichtenkollision. Zwei Loyalitätsverhältnisse, die nicht miteinander in Einklang zu bringen waren. Von einem davon würde er sich teilweise lösen müssen, aber er würde es offen machen. Er hatte sich schon entschieden, von welchem. Wenn Fernando seine beste Brieftaube losschickte, gab es gar keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte. Und Blut war nun einmal dicker als Wasser, und auch dicker als die fünfzehn Jahre Zusammenarbeit, die ihn mittlerweile mit seinem aktuellen Arbeitgeber verbanden.
    „Du wolltest mich sprechen?“
    Rodriguez sah auf und lächelte.
    „Wenn man vom Beliar spricht… oder besser gesagt: denkt.“
    „Aber, aber“, sagte der Mann im lila Gewand und ließ sich an der Seite des Tisches auf einem der Stühle nieder, „zu viel des Kompliments. Ich gebe mir Mühe, aber Beliar selbst kann ich nicht das Wasser reichen. Noch nicht. Egal, warum wolltest du mich sehen? Ich habe nicht viel Zeit, wir wollen nachher noch die magischen Wächter an den Fundorten kontrollieren. Nicht, dass einer von denen nicht spurt, wenn es soweit ist. Da könntest du eigentlich auch mitkommen.“
    „Ich habe eine Bitte und will sie geradeheraus formulieren“, setzte Rodriguez wieder an. „Unter den Teilnehmern ist ein Junge in weißem Gewand, Niklas heißt er. Ich will ihn aus dem Wettbewerb heraushaben.“
    „Wieso das?“, fragte der Veranstalter skeptisch, während er mit seinen Fingern unablässig und rhythmisch auf der Tischplatte herumklopfte.
    Weil er mein Neffe ist, war die Antwort, die Rodriguez kurz durch den Kopf schoss, mit der er sich aber vor seinem Gegenüber auf alle Zeiten verwundbar gemacht hätte.
    „Er ist der Sohn von Fernando. Einer der einflussreichsten Händler hier auf dieser Insel und noch weit darüber hinaus – und zudem einer, zu dem unsere Eingeweihten Kontakt haben.“ Und außerdem mein Bruder, der von den potentiellen Kräften seines Sohns nichts zu ahnen scheint, vollendete Rodriguez den Satz in Gedanken, aber auch das konnte er wohl kaum offenbaren. Er hatte für seinen Geschmack ohnehin schon zu viel gesagt.
    „Und das soll dein einziger Grund sein?“, fragte der Veranstalter kalt und erhob sich bereits zum Gehen.
    „Habe ich mir schon gedacht, dass das nicht reicht“, erwiderte Rodriguez derart eisig, dass es seinen Gesprächspartner am Boden festfrieren ließ.
    „Der andere Grund, warum du auf meine Bitte eingehen solltest, wäre dann, dass ich sonst das interessante Verhältnis zwischen dir und der Wolfsfrau, wie man sie hier bereits nennt, ein kleines bisschen für die Öffentlichkeit aufbereite.“
    Rodriguez hatte die vielen Gesichtsausdrücke seines wandlungsfähigen Auftraggebers über die Jahre in- und auswendig kennenlernen können. Aber den Ausdruck, den er jetzt sah, den kannte er noch nicht.

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    Sapere aude  Avatar von Jünger des Xardas
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    Jünger des Xardas ist offline
    „Sieh mal an, wer schon wieder da ist!“ Kardif grinste. „Sag nur, du hast schon das große Geld gemacht.“
    Alrik legte fünf Goldstücke auf das fleckige Holz der Theke. „Ich bin noch dran. Ich muss wissen, wo ich irgendwelche Eingeweihten finde.“
    Kardif zuckte mit den Schultern. „Weiß ich nicht.“
    „Verarsch mich nicht, Kardif! Das hier ist wichtig! Natürlich weißt du was! Du weißt immer was!“
    Ein Grinsen stahl sich auf das Gesicht des Wirts. „Vielleicht weiß ich ja doch was. Wenn du noch zwanzig Goldmünzen drauflegst, könnte mir das helfen, mich zu erinnern.“
    „Was?! Sonst kostet jede Information bei dir nur fünf Goldmünzen!“
    „Sonst bezahlt mich auch keiner für mein schlechtes Gedächtnis.“
    Daher wehte der Wind also. „Wer?“
    „Einer deiner Konkurrenten.“ Kardif streckte seinen Arm nach dem Gold aus, das noch immer auf der Theke lag. „Er hat mich aber nicht dafür bezahlt, dass ich seinen Namen für mich behalte. Für das Gold...“
    „Vergiss es.“ Alriks Hand schoss nach vorne und landete auf den fünf Münzen, bevor Kardif sie in seine Finger bekommen konnte. Welcher seiner Konkurrenten den Wirt geschmiert hatte, war doch egal. Die meisten kannte er eh nicht beim Namen. Für die Information würde er sicher nicht so viel Gold aus dem Fenster werfen. Stattdessen klopfte er seine Kleidung nach weiteren Münzen ab. In seiner Hose fand er noch sieben Stück, in seiner Brusttasche fünf. „Kannst du nicht ein bisschen mit dem Preis runtergehen?“
    „Nö, dafür hat der andere zu viel gezahlt.“
    Alrik zog zähneknirschend die Hände wieder aus den Taschen hervor. Er war völlig abgebrannt. Deshalb nahm er ja an diesem Wettbewerb teil. Mit seinen Kampfwetten konnte er sich über Wasser halten. Aber mehr auch nicht. Seine Gegner hatten meist selbst nicht viel, was er bei einem Sieg einheimsen konnte. Der Wettbewerb war die Gelegenheit, endlich zu Geld zu kommen. Und damit zu einer festen Bleibe, Kleidung ohne Löcher und allem anderen, an dem es ihm mangelte. Nur hatte er gehofft, es würde in diesem Wettbewerb mehr um seine Kampfkraft und nicht so sehr darum gehen, blindlings über die Insel zu latschen und Rätsel zu lösen.
    „Dieser Wettbewerb also, hm?“, fragte Kardif. „Hab ich mir schon gedacht, als du neulich Abend vom großen Geld gefaselt hast. Zeitverschwendung, wenn du mich fragst.“
    Erst vor zwei Tagen, vor seinem Aufbruch zu Onars Hof, hatte Alrik dem Wirt großspurig erklärt, dass er bald ein gemachter Mann sein und dass Kardif ihn wahrscheinlich nicht mehr wiedersehen werde. Da kehrte er nur ungern so schnell in die Hafenkneipe zurück, genauso arm wie zuvor. Aber etwas Besseres war ihm nicht eingefallen. Der Eingeweihte in der toten Harpyie hatte ihm nur einen kryptischen Hinweis mitgegeben. Und wo er die anderen Eingeweihten finden sollte, wusste er nicht. Kardif war seine einzige Hoffnung gewesen. Aber nun war ihm irgendjemand zuvorgekommen und er würde nichts mehr erfahren... Der Tipp des Eingeweihten!
    Alrik knallte die fünf Goldstücke wieder auf den Tresen. Ihm war ein Gedanke gekommen. „Du kannst mir bei was Anderem helfen: Wer dem Licht in der Höh‘ folgt, entgeht der Gefahr. Kannst du damit was anfangen?“
    Kardif wiederholte die Worte stirnrunzelnd, während er das Gold beiläufig in eine Tasche seiner Schürze gleiten ließ. „Ist das ein Rätsel?“
    „Von einem dieser Eingeweihten. Es ist irgendeine Art Hinweis.“
    „Sagt mir nichts, aber...“ Kardif trommelte mit den Fingern auf der Theke, während er den Hinweis einige Male murmelnd wiederholte. „Klingt ein bisschen nach nem Leuchtturm, wenn du mich fragst.“
    „Ein Leuchtturm?“
    „Na überleg doch mal. Das Licht ist ziemlich weit oben. Und es warnt vor der Gefahr durch Riffe und so. Vielleicht solltest du mal dem alten Jack einen Besuch abstatten?“
    Jetzt wo Kardif es sagte: das hörte sich wirklich irgendwie nach einem Leuchtturm an. Vielleicht gab es in Jacks Leuchtturm ja einen Hinweis? Alrik war nicht sicher, ob das nicht die völlig falsche Fährte war. Aber er wusste nicht, wo sich die anderen Eingeweihten versteckten; eine andere Spur hatte er nicht. Da konnte er, bevor er völlig ziellos über die Insel lief, auch genauso gut den Leuchtturm aufsuchen...

    „Den im Kloster können wir vorerst vergessen, da kommen wir so schnell nicht ran. Den in der Taverne kennen wir. Die beiden in der Stadt... Meinst du, du könntest deine Beziehungen im Hafen spielen lassen und sie aufspüren?“
    „Schon möglich. Denkbar, dass Kardif was weiß. Und wenn der nicht, habe ich noch meine Kontakte zur Diebesgilde.“
    „Dann ist da der Eingeweihte bei der Pyramide... Ich frage mich, ob die Wassermagier ihn gesehen haben.“
    „Möglich, dass er ihnen komplett entgangen ist. Sie sind ziemlich beschäftigt auf der anderen Seite des Portals.“
    „Trotzdem, es kann nicht schaden, sie zu kontaktieren. Vatras hat sich genug für die ganze Sache interessiert, dass er einen von euch in den Wettbewerb geschleust hat, richtig?“
    „Richtig. Aber ich bin nicht sicher, ob die anderen Magier überhaupt schon von der Sache wissen. Wie gesagt, sie sind ziemlich beschäftigt. Vatras koordiniert den Ring fast ganz alleine in diesen Tagen.“
    „Du weißt, die Details eurer Arbeit muss ich nicht wissen. Aber ich denke, es schadet nicht, wenn jemand zu den anderen Wassermagiern geht.“
    „Kann ich machen.“
    „Nein, es gibt sonst niemanden mit deinen Kontakten in der Stadt. Cord kann zu den Wassermagiern gehen.“
    Sebastian räusperte sich verhalten. In den letzten Minuten hatte er schweigend in der Ecke gestanden, etwas eingeschüchtert vom Hauptmann der Söldner, in dessen Zimmer sie sich befanden, und nur etwa die Hälfte von dem verstehend, was dieser mit Lares besprach. Nun da die beiden Männer ihm ihre Blicke zuwandten, wuchs seine Verunsicherung noch. „Ich verstehe immer noch nicht ganz, warum ihr euch überhaupt für den Wettbewerb interessiert.“
    „Ein guter Stratege sollte sich für alle Faktoren interessieren“, antwortete Lee. „Die Paladine in der Stadt, wir hier auf dem Hof. Daneben noch das Kloster, jede Menge Banditen und im Minental wahrscheinlich eine Armee von Orks. Die Lage ist nicht gut, aber so weit halbwegs klar. Dieser Wettbewerb ist ein neuer Faktor. Schon allein deshalb will ich wissen, womit ich es hier zu tun habe und was das alles für das Gesamtbild bedeutet. Dass der Veranstalter sich hier auf dem Hof einquartiert hat, macht diese Frage noch dringlicher, immerhin bin ich für die Sicherheit dieses Hofes verantwortlich. Aber das ist nicht alles. Es gibt zu viel, was nicht zusammenpasst. Angefangen beim Veranstalter. Niemand scheint seinen Namen zu kennen oder auch nur zu wissen, ob er ein Kaufmann oder ein Adliger ist – nun, niemand bis auf uns. Nur in einem sind sich alle einig: Er ist steinreich. Aber warum dieser Wettbewerb? Selbst als Zeitvertreib eines gelangweilten Schnösels ist das etwas viel. Und warum gerade hier auf Khorinis? Warum gerade Onars Hof? Dass er den Wettbewerb hier beginnen lässt, ist das eine. Aber warum bleibt er hier? Sicher, für einen Bauern lebt Onar ziemlich herrschaftlich. Aber in der Stadt könnte der Veranstalter einen ganz anderen Komfort genießen. Es ergibt keinen Sinn, dass er sich hier einquartiert. Und eben weil das alles keinen Sinn ergibt, will ich mehr wissen.“
    Sebastian waren bereits eigene Zweifel an dem Wettbewerb und seinem Veranstalter gekommen. Aber bisher hatte er das alles noch nicht genauer hinterfragt. Erst jetzt zum Beispiel kam es plötzlich auch ihm komisch vor, dass der Veranstalter hier bei Onar lebte und nicht irgendwo im Oberen Viertel von Khorinis. Er grübelte über all das nach, was Lee gerade gesagt hatte.
    „Aber kommen wir zu deinem Vorschlag einer Zusammenarbeit zurück.“ Lees Blick zuckte zu Lares hinüber und seine Mundwinkel hoben sich. „Warum solltet ihr eigentlich die einzigen sein, die einen Informanten unter den Teilnehmern haben?“ Er wandte sich wieder an Sebastian. „Ich bin einverstanden. Ich wüsste da auch schon etwas, was du tun könntest...“
    „Moment.“ Sebastian war mit seinen Gedanken noch immer bei den vorherigen Worten des Söldnerhauptmanns. „Du sagtest, ihr wisst, wer der Veranstalter ist?“
    Lee nickte. „Er ist ziemlich darauf bedacht, es niemanden rausfinden zu lassen, warum auch immer. Aber wir wissen, wer er ist. Und nachdem du uns die Aufenthaltsorte der Eingeweihten offenbart hast, ist es wohl nur fair, wenn du auch etwas von uns erfährst: Wir haben die Ehre mit Lord Adarich Evadam.“ Ein grimmiges Funkeln war in Lees Augen getreten. „Und das ist ein weiterer Grund, weshalb ich mich für diesen Wettbewerb interessiere. Denn mit dem Hause Evadam habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen.“
    Geändert von Jünger des Xardas (23.10.2014 um 19:30 Uhr)

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    Drachentöter Avatar von Eddie
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    Adriens Zehen waren nunmehr wahrscheinlich vollends abgestorben. Zumindest fühlte es sich nicht so an, als würden sie in irgendeiner Weise auf das reagieren, was er mit ihnen vorhatte. Vergeblich hatte er versucht, sie hin und her wackeln zu lassen, sie übereinander zu legen oder zusammenzurollen. Doch geschehen war letztlich … nun, einfach nichts. Für einen Augenblick dachte er, dass sie vielleicht gar nicht mehr da waren und schmunzelte auch sofort über diesen Gedanken. Doch er konnte der Versuchung, seine Überlegung zu überprüfen, nicht widerstehen. Glücklicherweise sah an seinen Füßen noch alles so aus, wie es von Adanos vorgesehen war. Nur eben ohne jegliche Regung.
    „Hätte ich mich doch nur nicht darauf eingelassen, hätte ich doch nur nicht zugesagt…“ Adrien verfluchte sich dafür, dass er sich von diesem Evadam dazu überreden lassen hatte, bei diesem dämlichen Unterfangen mitzumachen. Doch was hätte er tun sollen? Adarichs Argumente waren nicht von der Hand zu weisen. Er hatte schlicht keine Wahl gehabt. Hätte er zugelassen, dass … nein, das wollte er sich nicht vorstellen. Das konnte er auch seiner kleinen Tochter nicht antun. Würde ans Licht kommen, dass er gar nicht ihr Papa war …
    Da kamen wieder diese Kopfschmerzen. Er rieb sich die Schläfen, in der Hoffnung, dass der stechende, brennende Dorn, der von Innen gegen seine Schädeldecke drückte, bald verschwinden würde. Doch die letzte Nacht hatte ihm gezeigt, dass das wohl nur Wunschdenken war. „Immer ruhig bleiben…“ redete er sich ein, während seine Finger mit kreisenden Bewegungen auf seine Stirn einwirkten. Es wurde kaum besser.
    Über den Wipfeln der Bäume sah er die rote feurige Sonne aufgehen. Sie gab ihm ein wenig Hoffnung darauf, dass dieser Alptraum bald ein Ende hatte. Er war sich nun auch mehr und mehr sicher, den Beschluss, den er im Laufe der Nacht für sich getroffen hatte, in die Tat umzusetzen.
    Doch darauf musste er wohl noch sehr lange warten. Denn wer würde sich denn schon hierher an diesen Ort verirren. Vor allem jetzt, da die Brücke, die offenbar den einzigen Weg zu dieser verlassenen Ruine darstellte, zerstört war und das Flussufer von Krokodilen und Alligatoren bewacht wurde. Er machte sich wirklich keine Hoffnungen darauf, heute schon jemanden anzutreffen, der ihn von hier wegholte. Diese Tempelruinen, da war er sich mittlerweile ziemlich sicher, gehörten wohl zu den gefährlichsten Orten der Insel und jeder halbwegs vernünftig denkende Mensch würde sich schließlich das riskanteste Stück des Abenteuers bis zum Schluss aufheben. Es bringt einem ja schließlich nichts, wenn man zwar nützliche Informationen zu den Aufenthaltsorten der Artefakte hat, aber schlicht und ergreifend tot ist.
    Ein eisiger Wind fegte durch das Gebirge und somit auch durch die Überreste des Tempels, in dem er sich einen Unterschlupf gesucht hatte. Es schien der einzige sichere Ort zu sein, an dem man sich hier aufhalten konnte, ohne jeden Augenblick fürchten zu müssen, dass man von einer Horde Snapper oder gar einem Schattenläufer überfallen wird.
    Warum musste auch ausgerechnet er an diesen verkommenen und von den schlimmsten Ausgeburten aus Beliars Reich bewachten Ort geschickt werden. Wahrscheinlich eine Botschaft des Herren von und zu Evadam, die bedeuten soll: „Du gehörst mir! Ich mache mit dir, was ich will. Und auch mit deiner Frau, die jetzt ganz allein zu Hause sitzt.“ Doch das war hiermit vorbei. Gleich, wenn dieser Alptraum hier vorbei war, würde er seine Familie schnappen und die Khorinseln verlassen. Überall war besser, als dort, womöglich auch auf dem Festland. Doch zuvor musste er von dieser Insel herunter.
    Plötzlich fauchte einer der Snapper zu seinen Füßen lauthals los. Warum jetzt, warum grade jetzt? Gerade, als er die Hoffnung gewonnen hatte, das dieser Ort auch so etwas ähnliches, wie Frieden beherbergen konnte und er sich wirklich vorstellen konnte, zumindest die nächsten Stunden hier zu verweilen, fing dieses innosverdammte Fauchen wieder an. Wieder wurden die Kopfschmerzen stärker. Warum fangen diese Viecher denn jetzt wieder an zu fauchen? Doch die Antwort auf seine Frage sollte nicht lange auf sich warten lassen.
    Mehrmals durchschnitt ein helles Zischen die Luft, dicht gefolgt von kehligen Röchelgeräuschen.
    „Ein Mistvieh weniger!“ hörte er eine Stimme von unten her sagen.
    „Guter Schuss, Gaan.“ Und da, noch eine zweite.
    „Danke. Dragomirs Armbrust macht sich wirklich gut. Kein Wunder, dass er sie zurückhaben will.“
    „Wem sagst du das. Aber einfach zurückgeben darfst du die ihm nicht.“
    „Wieso denn das?“
    „Er hat mir noch nicht mal den Bogen erstattet, den er sich von mir geborgt und dann – ganz ausversehen – zerstört hat. Eigentlich muss der richtig bluten …“
    „Jetzt reg dich mal ab. Wir bringen jetzt erst einmal den Wettbewerb zu Ende und dann entscheiden wir, was mit Dragomirs Armbrust passiert.“ Er horchte auf. Dort unten schienen zwei Männer zu sein, die tatsächlich an diesem Wettbewerb teilnahmen, und sie hatten schon in so kurzer Zeit zu ihm gefunden. Innos hatte ihn wohl doch noch nicht vollends vergessen.
    „Wo wir grade bei diesem Wettbewerb sind: Wieso glaubst du eigentlich, dass ausgerechnet hier einer dieser Eingeweihten ist? Ich mag diese Ecke der Insel nicht. Man weiß nie, welche Viecher als nächstes aus den Büschen gesprungen kommen. Vielleicht ein Scavenger …“
    „… vielleicht aber auch ein Schattenläufer, schon klar. Aber genau das ist doch der Punkt. Der Eingeweihte, der hier versteckt ist, ist ziemlich gut bewacht. Und warum ist er das? Weil die Informationen, die er für uns hat, sehr wichtig sind.“
    „Oder, weil der Veranstalter ihn nicht leiden kann.“
    „Gut, das ist auch eine Möglichkeit. Aber kam es dir nicht auch ein wenig seltsam vor, dass die Brücke, die vom Sonnenkreis hierher führte, kaputt war? Das Ding ist sicher schon genauso alt, wie die Irrlichter und hat bisher jedem noch so heftigen Unwetter standgehalten.“
    „Bisher.“
    „Genau. Ich denke, dass irgendjemand in diesen Tagen ganz bewusst versucht, diesen Ort hier unzugänglich zu machen. Und warum?“
    „Ja, Gaan, ich habs ja verstanden. Trotzdem, so sicher bin ich mir da nicht.“
    „Du kannst deinem Freund ruhig glauben.“ sagte er aus seinem Versteck heraus und unterbrach somit das Gespräch der beiden Wettbewerbsteilnehmer. Vorerst zeigte er sich jedoch nicht. „Die Überlegungen deines Begleiters waren schon weitgehend richtig. Die zerstörten Brücken dienen jedoch nicht dazu, dass niemand hierher kommt, sondern viel mehr, dass ich nicht hier weg komme. Bild ich mir zumindest ein.“
    „Wer ist da?“ wollte einer der Wettbewerbsteilnehmer wissen. „Bist du einer der Eingeweihten.“ Er nickte, begriff dann aber, dass die beiden sein Nicken gar nicht sehen konnten und fügte diesem ein hastiges „Ja.“ an. Die Einöde und das ständige Snapper-Gefauche taten wohl schon ihr Übriges und begannen, lustige Spielchen mit seinem Geist zu spielen. „Wenn ihr Informationen wollt, dann müsst ihr hier hoch zu mir kommen. Alleine mache ich keinen Schritt aus dieser Tempelkammer hier heraus.“
    „In Ordnung, wir kommen hoch.“ antwortete einer der Beiden nach einer kurzen Ruhepause. Sie mussten sich offenbar noch beraten.
    „Achtung, Snapper!“ hörte er dieselbe Stimme jedoch kurze Zeit später, dicht gefolgt von dem Sirren eines Armbrustbolzens. Das erwartete Röcheln des dahinscheidenden Snappers blieb auch nicht aus. Wenige Augenblicke später hatten die beiden die Spitze des Tempels erreicht. und er kam bereits aus seiner schattigen Ecke herausgekrochen. Aufgrund der scheinbar abgestorbenen Fußzehen bereitete dieses Unterfangen ihm jedoch größere Probleme, als gedacht.
    „Innos sei Dank.“ sagte er mit erleichtertem Tonfall zu den Beiden. „Mein Name ist Adrien und ich bin einer der Eingeweihten.“
    „Ich bin Gaan und das ist Grimbald. Welche Informationen hast du für uns.“
    „Ich kann euch Namen und Aufenthaltsort aller Eingeweihten sagen. Außerdem kenne ich den Fundort eines der Artefaktteile.“ Die Beiden, Adrien hielt sie für Jäger, wurden hellhörig. „Diese Informationen bekommen wir doch aber sicher nicht einfach so.“, deutete Grimbald erste Bedenken an „Ich meine, dadurch haben wir ja einen immensen Vorteil den anderen Gegenüber.“
    „Das ist richtig. Als Gegenleistung verlange ich auch, dass ihr mich zur Hafenstadt bringt. Am besten so, dass niemand etwas davon mitbekommt.“ Gaan legte ein verschwörerisches Grinsen auf. „Das ist aber nicht im Sinne des Erfinders – beziehungsweise des Veranstalters. Oder?“
    „Das Zusammenarbeiten ist, soweit ich weiß, auch untersagt.“ Entgegnete Adrien. „Also, macht ihr das?“ Die beiden Jäger steckten kurz beratend die Köpfe zusammen und Gaan antwortete schließlich mit einem knappen „Ja“ und einem Kopfnicken. „Dann erzähl mal.“ forderte Grimbald den Eingeweihten auf, doch Adrien blockte diesen Versuch der Informationsbeschaffung eiskalt ab. „Oh nein, erstmal bringt ihr mich zur Hafenstadt.“

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    Ein voller Magen. Ein warmes Feuer. Kühles Bier, und weibliche Gesellschaft. Yves klopfte sich innerlich immer noch für seinen cleveren Einfall auf die Schulter. Leicht war es nicht gewesen seine Begleiter zu überzeugen, doch am Ende hatte er ihnen klar machen können, dass sie einfach keine andere Wahl hatten, als ihn mit zu nehmen. Sie mussten zurück zu Onars Hof – denn es gab nur einen Mann auf ganz Khorinis, der solch eine goldene Kugel schmieden oder zumindest etwas damit anfangen könnte: Bennet. Der schuldet mir tatsächlich noch was, das hab' ich nicht mal erfinden müssen, freute sich Yves. Gegen Mittag waren sie zum Entschluss gekommen im Schatten einer Felswand Rast zu machen, um sich für den Rest des Tages zu stärken. Verena wäre lieber weiter gezogen, aber schließlich war sie Theons sorgenvollem Ersuchen nach gekommen. Die Blicke zwischen den beiden waren ihm dabei nicht entgangen. Verena kann unmöglich was an ihm finden! Der Ritter hatte seinen Helm abgenommen und das junge, bartloses Gesicht preisgegeben, das darunter verborgen gewesen war. Weibisch gar, wie Yves fand. Wir haben noch eine gefährliche Reise vor uns, dachte er zähneknirschend. Wäre wirklich schade, wenn der Blechbüchse bis dahin was passiert. Da kam ihm der Teamarbeitsverbot bedingte Umweg durch den Wald nur Recht. Mehr Zeit, um über den nächsten Schritt nachzudenken.
    Schmatzend saugte er am fettigen Ende der Moleratkeule, die er sich vom Proviant des stillen Hünen geliehen hatte. Kein Wort hatte der finstere Kerl gesagt, seitdem sie ihn überwältigt hatten, nicht mal mit Sir Theons Schwert an der Kehle - und gefesselt und geknebelt am Baum sitzend war er nicht viel redseliger geworden. Yves konnte einfach nicht verstehen, wieso Verena unbedingt bis zum Vollmond auf seine Befragung warten wollte...
    „Wenn ihr es mich doch einfach mal versuchen lassen würdet! Ich hätte ihm schon längst all' seine kleinen schmutzigen Geheimnisse entlocken können!“ Der junge Abenteurer rückte unauffällig an die junge Frau heran und legte seine Hand neben ihre. „Verena, ich hab gelernt Dinge mit meinem Dolch zu tun, die sich eine edle, aufrichtige Dame wir ihr sicherlich nicht einmal vorstellen kann...“ Sir Theon legte den geölten Lappen, mit dem er bis eben seine Klinge poliert hatte, zur Seite und wandte sich ihm scharf einatmend zu. Der herabsetzende Blick in seinen Augen verriet Yves nur zu eindeutig, wie tief der Stock wirklich im Arsch des Ritters stecken musste. „Mylady, seid ihr sicher, dass unser Gefangener wirklich der einzige ist, der zur Sicherheit geknebelt werden sollte?“ Verena lächelte müde. „Ihr könnt Gedanken lesen, Sir Theon.“
    Wieder diese Blicke! Verena nahm sich die goldene Kugel und fing wieder an damit herumzuspielen. Yves hatte die Geheimnistuerei satt. „Dann verratet mir doch wenigstens, warum ihr auf den Vollmond wartet!“
    „Nun...“, fing Verena tatsächlich wispernd an, „... Einst, vor vielen, vielen Jahrhunderten, da wachte stets eine Schar der besten und tapfersten Kämpfer Myrtanas über die Prinzessin von Khoralt. Dieser Männer lebten, kämpften und starben in ihrem Namen, sie waren unbestechlich und dienten ihr treu ergeben - bis zum Tod. Aber weißt du, was das beste an ihnen war?“
    Yves schüttelte zögernd den Kopf.
    „Man schnitt ihnen bei ihrer Aufnahme die Zunge raus.“ Erst jetzt nahm sie die Augen von dem Artefakt, und ihre Blicke trafen sich für einen Herzschlag. „Es würde mich sehr glücklich machen, wenn du genau dieser Schar beitreten könntest. Jetzt. Sofort.“
    Das Lagerfeuer knisterte sanft, die Grillen zirpten fröhlich, Theon prustete und Yves zog seinen Umhang fester zu, als Verenas kalte Worte an ihm vorbei peitschten.
    Sie meint es nicht wirklich so, entschied er und wäre beinahe umgekippt, als die Schöhnheit ruckartig auf sprang und der Ritter hastig nach seinem Schwert griff. „Was ist los?“, schaffte er noch zu Fragen, ehe er es bereits selber hörte.
    „Freund oder Feind?“, rief Theon den polternden Geräuschen entgegen.
    „Nur der gute alte Holzfäller Grom!“, donnerte es aus dem Gebüsch zurück, und sechs schnaufende, breit gebaute Silhouetten schälten sich torkelnd aus dem Schatten des Unterholzes.
    Scavengerscheiße, fluchte Yves innerlich, als die Männer an das Lagerfeuer herantraten. Die sind ja bis auf die Zähne bewaffnet. Breite Axt- und Beilköpfe funkelten im Licht der Flammen. Aber sie scheinen auch ziemlich aus der Puste zu sein...
    „Was sucht ihr hier?“, fragte Verena ruhig.
    „Es ist eine gefährliche Gegend, holde Dame, und der Rauch eures Feuer ist meilenweit zu sehen. Zum Glück habt ihr einen Diener Innos zum Schutze!“ Theon lächelte gezwungen, ohne die Hand vom Schwertknauf zu nehmen. Der große Mann schien sich sichtlich um seinen höflichen Umgangston zu bemühen. „Wir sind auf der Suche nach meinem Neffen. Kleiner Mann, weißer Mantel, loses Mundwerk. Ist gestern gegen nen niedrig hängenden Ast gelaufen und seitdem ein bisschen durcheinander – habt ihr den vielleicht gesehen? Der muss nach Hause.“
    Verena zögerte keine Sekunde. „Nein.“
    Der Holzfäller atmete frustriert aus und spuckte.
    „Ich sags euch doch, der ist in die Berge gelaufen!“, maulte ein anderer. Groms entnervter Blick verriet, dass er davon nicht zum ersten Mal hörte. „Und dann sollen wir hinterher, um uns genauso von Dexter und seinen Konsorten den Arsch aufreißen lassen zu dürfen wie er? Wie besoffen bist du eigentlich noch? Wenn sich dieser Bengel wirklich nach da oben hin verirrt hat, dann issses ohnehin um ihn geschehen.“
    Seufzend wandte er sich wieder dem Lagerfeuer zu.
    „Meine Herren, holde Dame – wir bitten vielmals um Verzeihung für die Störung...“ Grom lies seiner ausladenden Geste ein breites, vielsagendes Grinsen folgen. „... Aber ihr müsst doch gewiss der langen, unbequemen Reise müde sein. Die Männer und ich, wir sind 'ne gesellige Runde. Wenn ihr beliebt, geehrte Frau, dann leistet uns doch heute Abend beim Kartenspiel Gesellschaft. Bei uns ist auch bestimmt noch ein Bettchen für euch frei. Da hätte sicherlich keiner was gegen, oder Jungs?“ Das lüsterne Getuschel, dass sich unter den Männern breit machte, war kaum zu überhören. Das darf ja wohl nicht wahr sein!
    Empört zog Yves die Luft ein und hob mahnend seinen Zeigefinger gegen den muskulösen Holzfäller.
    „Lasst bloß deine Flossen von Lady Ashe, sonst kriegt ihr es mit mi...“ Mit mir zu tun? Der jungen Abenteurer realisierte, wie ihm der Schweiß ausbrach, als sich plötzlich alle Blicke auf ihn legten. Den Namen eines „Paladins“ werden sie gewiss viel eher respektieren, dachte er noch, als die Worte bereits aus ihm hervor sprudelten.
    „... sonst kriegt ihr es nämlich... mit Sir Theon Feuerstahl zu tun! Also geht lieber schnell nach Hause, sonst wird der euch aber zeigen wie scharf sein Schwert ist!“
    Mit einem siegessicheren Lächeln stemmte Yves die Hände in die Hüften, obgleich es ihn verwunderte, warum sich Verena seufzend mit ihrer Hand an den Kopf griff. Grom kniff mit gerunzelter Stirn die Augen zusammen und blickte irritiert zwischen dem jungen Abenteurer und dem vermeintlichen Paladin hin und her. Yves entging nicht, wie sich der Griff des Ritters um sein Schwert anzog.
    „Sir Theon Feuerstahl, hm?“ Grom schielte zu seinen Kumpanen herüber. „Das sagt mir doch was. Harald?“
    Der Angesprochene, ein älterer, einohriger Holzfäller, hatte bereits einen Bündel Pergamentpapier aus seiner Hose gezogen und blätterte mit weit aufgerissenen Augen durch die Seiten. Einer der anderen Waldarbeiter lockerte beiläufig sein Hackebeil, während er sich im Schritt kratzte.
    „Wie war der Name nochmal!?“, fragte der Mann mit den Papieren mit viel zu lauter Stimme, als er sich dem Ende seines Stapels näherte, ehe er mit dem Finger auf der vorletzten Seite ruhen blieb und das Blatt, ein Auge zukneifend, zwischen sich und den Ritter hielt. Yves schaffte es noch innerlich zu hinterfragen, ob er wohl etwas Falsches gesagt hatte, als ihn der jähe Aufschrei des Mannes aus seinen Gedanken riss.
    „Reib' mich einer mit Trollkot ein, das ist der!“
    „Wusste ich's doch. Und wie viel gab's für den nochmal?“, fragte Grom mit unverhohlener Vorfreude.
    „Zweitausend tot – und dreitausend lebendig.“, erwiderte Harald, während er offenbar krampfhaft das Zucken seiner Mundwinkel zu unterdrücken versuchte.
    Grom spannte seine Muskeln und löste grinsend die riesige Holzfälleraxt von seinem bullenbreiten Rücken. Theon antwortete mit seiner eigenen Klinge in einer fließenden Bewegung und positionierte sich zwischen Verena und den grobschlächtigen Männern, während letztere anfingen mit gezückten Äxten und Beilen in respektvoller Distanz einen Halbkreis um die beiden zu bilden.
    „Tut mir leid mein Freund, ist wirklich nichts persönliches,“ versicherte ihm Grom mit einem unverhohlenen schmunzeln, „aber wie es mir so scheint, stehst du auf der schwarzen Liste.“
    Geändert von Crozyr (30.04.2016 um 01:26 Uhr)

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    alibombali ist offline
    „So langsam beginnt dieses Spiel kräftezehrend zu werden...“, murmelte Niklas vor sich hin, während er den steilen Pfad hinaufstieg, den er in seiner hastigen Flucht vor Groms Holzfällerkumpels eingeschlagen hatte.
    „Und so richtig warm hält diese Robe einen auch nicht...“
    Es war noch immer tiefschwarze Nacht und auch wenn der Weißmagier es weder vor anderen noch vor sich selbst je eingestanden hätte, war es auch nicht die Kälte, die ihm ein mulmiges Gefühl bereitete. Seine Abenteuerlust war gerade auf einem Tiefpunkt angekommen, denn er hatte sich dieses Abenteuer ganz anders vorgestellt. Natürlich war er sich eventueller Gefahren bewusst gewesen, doch hatte er eigentlich die Nächte immer in Gasthäusern zubringen und tagsüber suchen wollen. Und wenn er schon nachts unterwegs sein musste, so hatte er sich vorgenommen, dies immer nur in unsichtbarem Zustand riskieren zu wollen. Aber so zerbrechlich wie die Phiole mit seinem speziellen Extrakt gewesen war, so erwiesen sich nun auch seine naiven Vorsätze. Es war alles ein wenig außer Kontrolle geraten. Ein wenig zu viel für seinen Geschmack.
    Irgendwo dort unten im Wald heulte ein Wolf auf, wenn nicht sogar schlimmeres. Heulten Warge wohl auch den Mond an? Wahrscheinlich nicht, sonst würden sie in den Geschichten doch nicht immer als die stillen Bestien fungieren. Oder verwechselte er das nun mit den Schattenläufern? Niklas wusste nicht besonders viel über diese Dinge und gerade die Spekulationen darüber machten sie nur noch unheimlicher. Eigentlich wusste Niklas allgemein nicht so viel, wie man von einem weisen Magier erwarten würde. Aber er war ja auch noch jung! Eines Tages würde er der weiseste Weißmagier von allen sein, das hatte er sich fest vorgenommen.
    Vorausgesetzt es lauerte nicht irgendein schreckliches und bösartiges Monster um der nächsten Biegung des spiralförmig aufsteigenden Pfades.
    Und wo mochte dieser Pfad wohl hinführen? Über die Berge und Geografie der Insel wusste Niklas jetzt auch noch nicht sooo besonders viel, außer dass sie sehr verworren sein konnten. Bislang war er jedoch nicht Gefahr gelaufen, sich zu verirren, da sein Pfad keine Abzweigungen hatte. Der junge Mann in der selbstgenähten Robe nahm sich vor, die Dinge mal von der positiven Seite aus zu betrachten und die vielen Geheimnisse als Anreiz für seinen magiereigenen Forscherdrang zu sehen. Die Weisheit fand man schließlich nicht nur in Büchern! Man musste sich auch schon mal in die Welt hinauswagen, anstatt sie nur von dem Elfenbeinturm im Oberen Viertel der Stadt aus zu beobachten. Feldforschung war das A und O jeder verwertbaren Erkenntnis...
    Und wieder drang ein Heulen aus dem Wald dort unten zu ihm hinauf. Und klang es dieses mal nicht schon viel näher? Niklas beschleunigte seine Schritte, obgleich seine Beine schon schwer und der Weg so verdammt steil war.
    Abrupt blieb der junge Mann stehen, als er plötzlich sah, wie die Lichter mehrerer Lagerfeuer die Finsternis der Nacht durchsetzten. Auch endete hier der Pfad, dem er gefolgt war. Stattdessen war da eine Brücke, die hinüber in das kleine verborgene Tal mit den vielen Lichtern führte. Niklas konnte dort neben ein paar kleinen Hütten einen hohen, in der Dunkelheit schaurig aussehenden Turm ausmachen. Näher heran traute er sich nicht, denn das jenseitige Ende der Brücke war von zwei Männern verteidigt, die dicke Keulen oder Äxte trugen. Wo er hier wohl gelandet war? Das konnte doch kein Banditenlager sein, oder? Dafür sah es ihm etwas zu zivilisiert aus. Wahrscheinlich war es ein weiteres Holzfällerlager, dachte sich der Weißmagier. Grom und seine Freunde konnten ja wohl kaum die einzigen hier in der Gegend sein, die sowohl die Höfe, als auch die Stadt und das Kloster mit Bauholz versorgten. Allein schon im Hafenviertel bestand doch fast alles aus Holz. Und nicht nur die Schiffe! Warum sich Holzfäller die Mühe machten, so weit oben im Gebirge ihrem Gewerbe nachzugehen, konnte Niklas nicht sagen. Vielleicht gab es hier besondere Hölzer, die dem mineralhaltigen Untergrund bedurften. Oder vielleicht gab es hier auch einfach weniger Raubtiere. Dennoch wollte Niklas nicht das Risiko eingehen, ...
    Und als aus dem Wald dort unten abermals ein Raubtier die Gestirne anrief, war Niklas' Entscheidung gefällt. Langsam und bedächtig trat er auf die Brücke. Die beiden Lagerwächter bemerkten ihn und zogen unvermittelt ihre Knüppel und Äxte.
    „Halt! Wer bist du?“
    Als Zeichen seiner friedlichen Absichten hob Niklas die Arme.
    „Niklas heiße ich. Ich bitte nur darum, heute Nacht in eurem Lager Unterschlupf gewährt zu bekommen. Ich kann auch etwas arbeiten, wenn es sein muss...“
    Einer der Wächter kam auf ihn zu, während der andere aus sicherer Distanz beobachtete, jederzeit bereit, einzugreifen.
    „Arbeiten kannst du also?“, höhnte der Näherkommende, „Das ist sehr gut! Wir suchen zur Zeit nämlich jede Menge Arbeiter!“

    Berberil fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, aber das war ja auch kaum ein Wunder, wenn man seine gegenwärtige Lage bedachte. Er saß mitten in einem Lager der gefährlichsten Ausbrüchigen der damaligen Strafkolonie. Räuber, Mörder und Vergewaltiger... zwar auch ein paar Äpfeldiebe und harmlose Trickbetrüger und Falschspieler, aber vor allem Räuber, Mörder und Vergewaltiger. Und er war gekommen, um ihnen eine glatte Absage seines Herrn zu erteilen...
    Seit Stunden ließen sie ihn nun schon warten. An sich gab Berberil darauf nicht viel, war es doch eine gängige Taktik, um im Vorhinein wichtiger Verhandlungen die Gegenseite zu entmutigen. Und in diesem Fall erreichte man das angedachte Ziel sogar. Berberil wurde von Minute zu Minute nervöser, die er in der kleinen Hütte zubrachte. Er war bemüht, es sich nicht anmerken zu lassen – die beiden Halsabschneider, die ihm als Wächter zugeteilt worden waren, beobachteten ihn genau – doch es brachte alles nichts. Obwohl er theoretisch einen Garant für sein Überleben hatte, war dieses Lumpenpack aus der Barriere doch unberechenbar. Berberil sah sich in Gedanken schon an dem großen Turm des Banditennests baumeln...
    Die Tür öffnete sich und ein weiterer Bandit trat in Erscheinung.
    „Der Boss will dich jetzt seh'n“, war alles, was er sagte. Die beiden Wächter standen auf und Berberil tat es ihnen gleich.
    Die Gesetzlosen, die sich um die Lagerfeuer des Platzes tummelten, sondierten ihn mit einer Mischung aus Neugier und Abscheu. Wahrscheinlich war es Berberils feiner Zwirn, den er als Angestellter und Abgesandter eines der einflussreichsten Überseehändler der Insel trug, den sie ihm besonders übel nahmen.
    Wenn das hier vorbei ist, dachte sich Berberil, mach ich mit dem Lohn für diese Wahnsinnstat mein eigenes Geschäft auf und sitz' selbst nur noch den ganzen Tag faul im Sessel rum...
    Man führte ihn in das Hauptgebäude des Banditenlagers. Dort wollte Dexter ihn empfangen.
    „Ich wünsche einen guten Tag“, begrüßte Dexter ihn, ohne aus seinem Sessel aufzustehen. Er sah eigentlich gar nicht so gefährlich aus. Klein und nicht sonderlich kräftig. Berberil fragte sich, welche Talente es wohl waren, die Dexter zum unangefochtenen Anführer dieser großen Gruppe gemacht hatten. Er verbeugte sich innerlich widerstrebend vor dem Banditen.
    „Dasselbe wünsche ich Euch.“
    „Lasst uns allein!“, herrschte Dexter die Wachen an, die Berberil hereingeführt hatten.
    Seine Worte für dieses Zusammentreffen hatte Berberil sich mit Bedacht zurechtgelegt und doch war es die größte Überwindung seines Lebens, sie hervorzupressen. Er hatte eine Heidenangst.
    „Ich muss Euch leider mitteilen, dass Herr Fernando Eure Anfrage zurückweist. Er ist weiterhin bereit, Euch Nahrungsmittel und einige Kleider zu schicken. Waffen werdet Ihr von ihm aber trotz der schlechten wirtschaftlichen Lage nicht erhalten.“
    Ein quälender Moment des Schweigens trat ein, in dem Dexter ihn nur aus zusammengekniffenen Augen anfunkelte.
    „Das ist mehr als bedauerlich“, äußerte er sich schließlich mit gespielter Leichtigkeit in der Stimme, „und umso mutiger ist es von dir, mir mit dieser Kunde unter die Augen zu treten.“ Ein diabolisches Lächeln schlich sich in seine Züge. „Du weißt doch sicher, was den Überbringern schlechter Nachrichten häufig zustößt?“
    Berberil nahm allen Mut zusammen, bevor er sprach.
    „Herr Fernando lässt außerdem ausrichten, dass er Stillschweigen über dieses Lager bewahren wird. Wenn mir jedoch etwas zustoßen sollte, wird er Lord Andre alles erzählen, was er über Euch weiß.“ Berberil zwang sich zu einer Kunstpause. „Und er weiß mehr, als Ihr vielleicht denkt.“
    Dexters Lächeln wurde breiter, was Berberil nicht behagte.
    „Du hast Schneid, so mit mir zu reden, das muss ich dir lassen. Dein Argument hat schließlich auch Gewicht... Na schön, ich will mal nicht so sein. Du wirst freies Geleit aus unserem Lager bekommen.“
    Dem Boten fiel ein Stein vom Herzen. Er verbeugte sich in höfischer Manier vor dem Gesetzlosen.
    „Allerdings“, warf Dexter ein, „habe ich auch noch ein Argument von Gewicht vorzubringen.“
    Er klatschte zweimal in die Hände und aus einem Hinterzimmer brachte ein Wächter einen gefesselten und geknebelten jungen Mann. Berberils Augen weiteten sich, als er diesen als den Sohn seines Arbeitgebers erkannte, der ihn mit einem flehenden Blick bedachte.
    „Ich sehe schon, du weißt, um wen es sich handelt. Der Junge war so unachtsam, uns seinen Namen einfach zu verraten... Naja, ist ja auch besser für ihn, da er als Geisel wesentlich wertvoller ist.“ Dexter lachte aus voller Kehle, „Und jetzt, Bote: Geh zurück zu Fernando und erläutere ihm die neue Sachlage. Der junge Niklas genießt derweil meine volle Gastfreundschaft.“

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