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    Post [Story] Ronan

    Vorwort: Vom Federbett in die Kartoffeln

    Dies ist die Geschichte von Ronan, einem jungen Mann, der bisher ein geradezu unverschämt leichtes Leben hatte und sich mit Unterstützung seiner Eltern alles leisten konnte und nun beginnen muss, sich durch den Alltag in Khorinis zu schlagen. Ein weiteres Abenteuer Ronans ist noch nicht geschrieben, aber das hier ist die Vorgeschichte dazu. Und jetzt haltet die Fresse und lest, ihr Maden.
    Geändert von MiMo (31.03.2017 um 16:36 Uhr)

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    Ronan


    Prolog: Tag des Schicksals


    "...der Reifrock, der die mit Puder..."
    Ronan schlug das Buch zu, zwar war er noch bei Weitem nicht am Ende angekommen, aber wenn er darüber nachdachte, konnte er auch gerne darauf verzichten, noch so viel Zeit auf den billigen Schund mit dem Titel "Die rosanen Wangen der Madame Colette" zu verschwenden, um dort hinzugelangen. Die Szene, auf die der Titel dezent hinwies hatte er ohnehin bereits beim ersten Durchblättern gefunden und gelesen. Es war mal wieder an der Zeit, dem Buchhändler einen Besuch abzustatten. Er setzte sich langsam in seinem Bett auf und schenkte sich ein Glas Rotwein aus dem vorigen Jahrhundert, welcher seinen festen Platz auf seinem Nachttisch hatte, ein. Während er den ersten Schluck seinen Rachen herunterrinnen ließ, sah er auf die direkt gegenüber von ihm aufgehangene Weltkarte. Detailgetreu waren auf ihr das Festland und die verschiedenen Inselgruppen niedergemalt. In die unbekannten Lande hatte er höchstselbst eine phallusförmige Landzunge ergänzt, der eine länglich gezogene Insel vorgelagert war, welche entfernt an einen Muschelmund erinnerte. Er musste noch immer etwas grinsen, bei dem Gedanken daran, wie er aus Langeweile stundenlang damit zugebracht hatte, Städte, Wälder und Berge auf seinen Kreationen einzuzeichnen. Dennoch hatte er langsam die Karte satt, ging der allgemeine Trend doch ohnehin zu glatten weißen Flächen und abgerundeten Raumecken.

    Er stellte sein Glas ab und begab sich vor seinen goldumrahmten Spiegel über der Kommode mit der Waschschüssel. Sein blondes Haar war etwas zerzaust von der Nacht, während die verkrusteten blauen Augen im Gegensatz zu seinem babyreinen Gesicht schon eine Ausgeburt der Hässlichkeit darstellten. Er klatschte sich etwas Wasser in sein Gesicht und zog eine rosa Bürste aus der obersten Schublade der Kommode, um sein Haar zu glätten. Nach ein paar Sekunden war die Welt wieder in Ordnung, bis Ronan entsetzt feststellen musste, dass sich an seinem Kinn ein fast durchsichtiges, kleines Haar emporragte. Er griff schnell nach einer Pinzette und riss es sich, nicht ohne eine Träne zu vergießen, heraus. Wenn er eines nicht haben konnte, dann war es der Bart, dem ihm die Natur nun bereits seit einem Jahr aufzudrücken versuchte. Aber er war stärker als die Natur, jedenfalls war er dieser festen Überzeugung.

    Er betrachtete sich nochmal eingehend. Doch er sah nur noch sein perfektes ich, im perfekten weißen, seidenen Morgenmantel, bei dessen Anblick man leicht hätte denken können, dass Ronans Familie reich war...und genau so war es auch.

    Sein Vater war ein einflussreicher Händler, der auch im inneren Zirkel um den Statthalter saß und als Rat und Anführer der khorinschen Händlergilde großen Einfluss und noch größere Reichtümer besaß. Ronan sah zu ihm auf, wenn auch nich so sehr, als dass er ihm nacheifern wollte, schien die Arbeit doch auch etwas anstrengend, insbesondere seit die Erzversorgungsprobleme in Nordmar Khorinis solch eine wichtige Position für das ganze Reich verliehen hatten. Doch auch das Geld, das ihm alle seine Hobbys finanzierte, sorgte dafür, dieses Verhältnis zu pflegen. "Geliebter Vater", "König der Herzen", so nannte Ronan ihn in Gedanken.

    Seine Mutter hingegen hatte meist lieber mit ihren Freundinnen oder dem Einkaufen zu tun, als dass sie sich mit ihm beschäftigte, insbesondere der Juwelier hatte es ihr angetan oder genauer genommen ihrer, beziehungsweise seines Vaters Brieftasche, indem er billigen Tand für überteuerte Preise verhökerte.

    Ronan war dies natürlich klar. Ihm war allerdings auch genauso klar, dass nicht alles, was er sich leistete auch den Kaufpreis verdient hatte, so schwieg er lieber. Er war kein Mensch, der einfach sagte, was Sache war, auch weil er meistens nicht unbedingt wusste, was diese Sache war und ihn das meistens auch nicht sonderlich interessierte. So lange er so leben konnte, wie er es wollte, war alles andere ohnehin nur nebensächlich. Zwar hatten seine Eltern schon mehrmals versucht ihn in eine Ausbildung reinzustecken, doch er hatte sich bisher immer gut herumgeredet, diese nicht anzutreten. Nach seinem Empfinden konnte das auch gerne so weitergehen, denn selbst wenn er mal alleine dastehen sollte, war das Erbe sicherlich noch groß genug, um ihn den Rest des Lebens durchzubringen.

    Ronan hatte nun endlich seine Morgenwäsche beendet und setzte sich nachdem er in seine Tageskleidung geschlüpft war, wieder in Bewegung. Dabei dachte er darüber nach, welches Buch denn das nächste sein konnte. Er dachte an die letzten Neuerscheinungen und teilte sie gedanklich in seine drei unverrückbaren Kategorien ein, die da Komik, Sex und Schrott hießen. Die Namen des monatlichen Literaturmagazins flogen umher. "Mondnacht von Kirschplotzer", Sex. "Eintopf, von Laididumdei", Komik "Die absolut wahre und...", zu lang. Er dachte gerade darüber nach, warum er diesen Roman nicht kategorisieren konnte, als er auch schon in das Licht des großen Ballsaals trat.
    Es war der Morgen eines neuen Tages. Eines neuen Tages, welcher Ronans Geburtstag war.
    Ronan wurde heute 17 Jahre alt.
    Geändert von Oblomow (10.10.2012 um 00:06 Uhr)

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    Halbgott Avatar von Oblomow
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    Kapitel 1: Ein Stück unnützer Tand


    Ronan sah sich um.
    Im gesamten Haus wuselten bereits Angestellte umher und gingen ihrer Arbeit nach, beziehungsweise suchten krampfhaft nach einer, um bei einer Kontrolle nicht als faul oder noch schlimmer überflüssig bewertet zu werden. Manche Bediensteten konnten ziemlich durchdrehen, so wie Dorlan, der ständig in der Küche bei der Essensausgabe noch einmal die Speisen mit Förmchen und Spritztülle bearbeitete, um die Optik „aufzuwerten“, obwohl sie schon immer tadellos waren. Goran, den Chefkoch der Hauptküche, störte dies und so ging er oft zu Dorlan herüber, um ihn gewaltsam daran zu hindern, weiter an seinen Speisen herumzuwerkeln. Die Hausverwalter interessierte das nicht.
    Die Hauptküche war in dieser Hinsicht fast schon vergleichbar mit dem Hafenviertel. Hier störte es, bis vielleicht auf manche Köche, überhaupt Niemanden, wenn sich zwei oder mehrere Personen schlugen. Nur, wenn die Qualität der Zubereitung oder der Servierzeitpunkt darunter litt, wurden die Haushalter aktiv, alles darunter interessierte sie nicht oder nur sehr, sehr wenig. In den anderen Teilen des Hauses war dies schon etwas anderes, hier lebten und wandelten die Herrschaften des Hauses. Und das war man nur, wenn man das Glück hatte, in die richtige Familie geboren zu werden, so wie Ronan. Bei genauerer Überlegung fiel Ronan erst auf, wie klein doch diese Gemeinschaft war. Außer ihm und seinen Eltern lebten zwar noch seine vier Großeltern und sein schwachsinnig gewordener Urgroßvater zweimal väterlicherseits in dem Haus, aber um mit ihm reden zu können, mussten fast schon vier ärztliche Experten dies gutheißen. Ronan hätte gerne einmal mit seinem Urgroßvater geredet, um etwas vom ersten Orkkrieg von einem Zeitzeugen zu erfahren, so schwierig es auch im Dialog mit dem 84-jährigen geworden wäre, doch ohne dass seine Eltern das zuließen, wurde das nichts und dieses Glück hatte Ronan bisher nicht gehabt. Sie hielten den Mann lieber fern von allen Menschen, in der Hoffnung, dass er die Familie so nicht blamieren konnte, vielleicht aber auch, dass er eher starb.
    In den zahllosen Gästezimmern fand man hin und wieder auch ein paar entfernte Cousins auf der Durchreise, wie zum Beispiel den dicken Oblomow, bei dem man immer den Eindruck hatte, dass er die Reise von Nordmar nach Khorinis nur auf sich genommen hatte, um sich hier ein paar Wochen zu verköstigen oder Zarkis, welcher immer mal wieder seltsame Mixturen aus Varant mitbrachte, um sie auf dem khorinschen Markt zu verkaufen. Ronan vermutete wahrscheinlich nicht zu unrecht, dass sein Cousin damit etwa 90% der Giftmorde auf der Insel verursachte.

    Ging man weiter, kam man zum Hausschrein. Er war ein eher kleines Gebilde in einer Nische, die oben von einer steinernen Kuppel beendet wurde. Dort hielt meist ein Gelehrter Innos' Gebetsstunden ab. Ronan nahm so wenig möglich an ihnen Teil. Religiöse Hochgefühle wollten bei ihm nicht so wirklich aufkommen, doch waren diese Überlegungen meist irrelevant, zwang man ihn aufgrund der Kosten doch meist dazu den Gebeten beizuwohnen. Dabei waren es immer die gleichen in der gleichen Reihenfolge mit den gleichen, stumpfen Gesten. Ronan wusste nicht, warum man dafür einen Geistlichen bezahlen musste, er selbst hätte es in der Zwischenzeit kaum schlechter machen können und Magie war auch keine Vorraussetzung, konnte der Vorbeter ihm auf Nachfrage doch noch nicht einmal die Funktionsweise eines Feuerballs erklären.
    Hinter dem Schrein befanden sich dann schon die Räumlichkeiten seiner Eltern. Ronan hatte einmal versucht, des Nachts hereinzuschleichen, doch just als der den Kopf durch die Tür gestreckt hatte, wurde er von seinem Vater entdeckt. Er hatte Ronan nicht erkannt, dennoch hatte er seitdem keinen weiteren Versuch unternommen, und vielleicht war dies auch besser so.

    "He, Ronan"
    Der Siebzehnjährige wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen, als Bina ihn begrüßte.
    „Hallo Ronan“ , sagte sie freundlich, „du hast heute Geburtstag, nicht?“ „Ja“ , erwiderte Ronan. „Dann habe ich was für dich. Sieh mal.“
    Bina überreichte Ronan ein kleines, verpacktes Etwas. „Was ist das?“ , fragte dieser.
    „Mach es auf, und du wirst sehen“ , sagte Bina vergnügt grinsend.
    Behutsam öffnete Ronan das Päckchen.
    Er sah grobe Linien, mit einem billigen Messer geschnitzt, wie sie Augen, Münder, Füße, Sehnen, und mehr kennzeichneten, ebenso wie den Hut, und das Gewand.
    „Eine Schnitzerei“ , sprach Ronan etwas verhalten. Bina schmunzelte. „Gefällt sie dir?“ „Äh ... ja! Ich danke dir, Bina, wirklich ernsthaft.“ Bina lachte.
    „Da bin ich aber beruhigt. Ich habe sie extra für dich angefertigt, und mir sehr viel Mühe gegeben.“ „Ja, es ist wahrlich ein Meisterstück“ , stimmte Ronan zu, ohne sich ein leichtes Husten verkneifen zu können.
    Sie konnte nun nicht mehr an sich halten, und umarmte den Jungen, welchen Bina ziemlich ins Herz geschlossen hatte.
    Bina hatte sich ihm langsam entfremdet. Sie war als Kindermädchen seine Ersatzmutter gewesen. Er hatte sie dennoch niemals als solche angesehen und stattdessen immer "Tante Bina" genannt. Bina selbst hatte keine Kinder, und schien es ebenfalls zu genießen, eine Art Neffen zu haben, nur, er sah sich nicht mehr als solcher, die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, die sie mit sich trug, wurden ihm darum auch immer unangenehmer.
    Und heute, dachte sich Ronan, heute schenkt sie mir sogar eine selbstgemachte Schnitzerei zum Geburtstag, als ob das nicht schon genug wäre.
    "Ich krieg keine Luft mehr", druckste Ronan heraus. Bina ließ ihn los.
    "Nimm es mir nicht übel, Bina, aber ich glaube ich sollte jetzt erst einmal zu meinen Eltern gehen, sie werden wohl eher ungehalten sein, wenn sie glauben, nicht die ersten Gratulanten zu sein, du verstehst?"
    „Kein Problem, geh nur. Und vergiss bloß dein Geschenk nicht!“
    „Das freut mich“ , sagte Ronan und ging in die Richtung der Schlafzimmer seiner Eltern, die glücklicherweise in der gleichen Richtung wie sein eigenes lagen. Er trat ein und warf die Schnitzerei achtlos in eine seiner Schubladen. Wenn alles gut lief, sah er sie für die nächsten fünf Jahre nicht mehr.
    Er hörte Schritte, ein Diener kam in sein Zimmer.
    "Sir, Ihr Vater möchten Sie sprechen."
    „Jaja“, sagte Ronan, und daraufhin verließ der Diener den Raum wieder.
    "Hätte nicht gedacht, dass der Kerl noch weiß, wann mein Geburtstag überhaupt ist", murmelte er hinterher.
    Er sah noch einmal auf die Schnitzerei, dann knallte er die Lade zu und machte sich diesmal wirklich auf zu den Räumlichkeiten seines Vaters.
    Geändert von Oblomow (03.11.2012 um 16:46 Uhr)

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    Kapitel 2: Eine endlose Tortur


    „...und bereits im jungen Alter von 11 Jahren trank ich nach einem harten Arbeitstag meinen ersten Humpen in Stewark. Da waren die Zeiten noch ein bisschen besser als heute, wo jedes zweite Schiff von den Orks versenkt wird. Der Leuchtturm im Norden der Stadt wies den Heerscharen von Händlern den Weg an diesen wertvollen Außenposten des Reiches, wo der Pfeffer spross und der Kardamon seinen Weg in das ganze Reich antrat.
    Im Süden der Stadt, das weiß ich noch ganz genau, kam man an Gerwigs Hof vorbei. Einer der vielen Gewürzplantagenbesitzer, der seinen Tagelöhnern meist etwas zu viel des Zuckerbrotes gab. Ich war ein paar Male dort vorbeigekommen, doch es gefiel mir angesichts des ungenutzten Potentials dort überhaupt nicht.
    Folgte man dem Weg weiter, kam man zum Gasthaus zur Gespaltenen Jungfrau. Die Wirtin davon hieß Murdra. Eine starke Frau und ein fesches Ding gleichermaßen. Nur selten traute sich ein Mann, sich ihr anzunähern, sie sollte sie angeblich direkt auf die Speisekarte setzen. Ich glaubte natürlich nichts, was ich nicht am eigenen Leib erlebt hatte. Ich war neugierig, nicht leichtgläubig. Das brachte mir damals manch üble Schelle ein, aber ich glaube, ich belasse es dabei.
    Verließ man die Stadt gen Osten, konnte man einen Pfad hoch zur alten Krypta nehmen, oder weiter in östlicher Richtung gehen. In beiden Fällen kam man unweigerlich an Ogtars Hof vorbei, dem Gut eines Großbauern. Folgte man dem Weg noch weiter, so stieß man bald auf die Burg am Silbersee, einem Treffpunkt für Ritter und Edelmänner der Gegend. Ein weitaus feineres Publikum, als das im kleinen Stewark, zu denen ich mich insbesondere bei meinem zweiten Besuch wesentlich stärker hingezogen fühlte. Der Burgherr war ein umgänglicher Gastgeber, der jedoch jede Gelegenheit wahrnahm, ein profitables Geschäft zu machen, auch wenn er sein Gegenüber dafür übers Ohr hauen musste. Allerdings fand man bei ihm immer ein sauberes, warmes Zimmer als Bleibe.

    Von der Burg aus zweigten einige Wege ab. Ging man nach Norden, so kam man erst an einer weiten Ebene vorbei. Ein paar Meter befand sich ein Pass, welcher, wenn man ihn überquerte, direkt nach Thorniara führte. Ich hatte damals häufiger darüber nachgedacht, alles hinzuschmeißen und in das Kloster der Innoskirche dort zu gehen, doch der religiöse Aspekt schreckte mich ein wenig ab, und wenn man einmal sein Leben in den Dienst Innos stellt, ist dies endgültig und hält ein Leben lang, wenn nicht sogar darüber hinaus. Im obersten Norden der Insel befand sich ein Leuchtturm über einer magischen Erzquelle, bei der ab und an Rituale vollführt wurden. Ich interessierte mich dafür aber damals nicht so sehr.
    Östlich von der Burg am Silbersee befand sich das Orkland. Orks waren primitive Zeitgenossen und waren jene Exemplare auf Argaan auch nicht so wie die wilden Bestien in Khorinis, so waren sie doch ein Volk von Kriegern, um sich zu schützen oder Handelsreisende zu überfallen. Sie waren kräftig und eine Zeit lang habe ich sie dafür sogar bewundert. Immerhin kontrollierten Sie trotz noch so vieler Burgen und Ritter das Gebirge und das Vorland und konnten allein mit ihrem Willen das Leben auf der Insel deutlich verändern, ob zum Guten oder zum Schlechten.
    Die Orks galten gemeinhin als brutal und ungehobelt, jedoch konnte ich bei all meinen Besuchen nie nachvollziehen, wie diese Leute darauf kamen, schließlich begegnete man außer vereinzelten Sklaven selten einem Ork, erst recht nicht im normalen Leben. Also wie konnten diese Vorurteile entstehen? Ich vermutete , dass die Orks deshalb einen schlechten Ruf hatten, weil ihre Schädel eine solch sonderbare Form hatten. Doch ich wusste nie, ob dies ein Wesen wirklich automatisch böse machte. Regonas, ein Cousin von mir, hatte auch eine etwas bulligere Statur, die etwas an diese Wesen erinnerte. Und er war wirklich so eine Art Mensch, bei der man sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie so jemand böse sein konnte. Andererseits war mein Onkel dafür wieder ein gar räudiger Mensch mit mehr als bloß zweifelhafter Moral. Verwandte Menschen können sehr verschieden sein. Man sollte nicht alle über einen Kamm scheren, versuch dir das für deine Zukunft zu merken, Ronan.
    Doch zurück zu dem, was ich wirklich sagen wollte. Im Südosten lag Setarrif, das nur über den Dschungel und das Kloster oder über die Handelsstraße von Thornaria aus erreichbar war. Am einfachsten ging es über die Handelsstraße, welche in den Bergen im Osten der Insel von Argaan lag. Ein einstiger Herrscher hatte sie vor Urzeiten durch das Gebirge treiben lassen.
    In Setarrif lebten die Aristokraten und wohlhabenden Händler, welche sich weitestgehend aus dem operativen Geschäft zurückgezogen hatten. Nach langer Zeit des Disputes waren dereinst alle Uneinigkeiten zwischen den beiden Parteien begraben worden und man verhandelte wieder untereinander. Die Aristokraten lebten in der Burg, nahe einer seltsamen Felsformation und die Händler in den Villen der Stadt. Außer diesen Regionen gab es nur eine dürre Graslandschaft und das Gebirge, in denen niemand lebte.
    Von der Burg am Silbersee konnte man auch gen Süden ziehen, bis man in den Dschungel kam. Der Dschungel war trotz der tropischen Früchte, die dort wuchsen, nicht zu bewirtschaften. Von Orks war er weitgehend frei. Aber die waren in diesem verfluchten Gebiet das kleinste Problem.
    Ich hatte in einem Buch gelesen, dass es einst eine alte Kultur gab, die sich um eine Gottheit jenseits unserer drei bekannten gebildet hatte. Ein wilder Stamm unheimlicher Gesellen hat einst jeden Besucher an der Durchquerung gehindert. Man war unbeschadet hereingekommen, aber nicht lebend heraus. Denn durch die Zauberkraft, gegeben durch diese Art von vergöttertem Erzdämon, waren die Bewohner nicht unter Kontrolle zu halten und so stark, dass nicht nur einfache Reisende, sondern auch Magier und königliche Truppen machtlos waren.
    Es gab drei größere Fundstätten, die unterschiedlichen Völkern zugeordnet werden konnten, alle drei verfeindet, doch vor einigen Jahrhunderten war es gerüchteweise einem Diener Innos gelungen, den Dämon zu verbannen und so war der Dschungel zumindest weitestgehend passierbar geworden.

    Ich habe mir die Fundstätten angesehen. Die Regionen, wie sie einst gewesen sein mochten, hatten sich stark verändert. Im Westen, wo es bedingt durch einen Meeresstrom etwas kälter war, waren die Ruinen des jüngsten Volkes, eine im Nachhinein als größte Abspaltung, aufgrund religiöser Zerwürfnisse, identifizierter Stamm, im Schutz der Sümpfe unangreifbar. Direkt beim Grabmal war die Urgemeinschaft gewesen, doch von deren Zeugnissen war kaum noch etwas übrig. Alle originären Bauten waren völlig zerstört. Ganz im Osten war früher einmal auch ein Sumpf, doch dieser war nach Verschwinden des Dämonen verlandet, stattdessen hatte sich ein neuer Sumpf nahe Emris' Hütte nahe der ehmaligen Urgemeinschaft gebildet, und das aufgrund eines verwunschenen Lebensbaumes.
    Dieser Baum wurde vom selben Helden gepflanzt, der auch den Dämonen besiegte. Niemand wusste seinen Namen, und Erzählungen zufolge war dieser Held entweder tot, aufs Festland zurückgekehrt, oder Dominique. Letzteres war ein Scherz, der in Forscherkreisen sehr beliebt war, nur glaubten die einfachen Leute unglücklicherweise daran, galt Dominique doch als allmächtiger Held des ganzen Archipels.
    Ronan ließ seinen Vater noch eine Weile reden über Gebirgsketten und Flussläufe.
    Der Geschichte konnte er nichts abgewinnen, er ging schon fast dazu über sie zu hassen. Es machte keinen Spaß ihr zuzuhören, mit all ihren unwichtigen Details, die sein Vater für so überaus erwähnenswert hielt. Zudem war sie ohnehin nur ein Beispiel, um ihm wieder eine Karriere als Händler aufzuquatschen, worum Ronan sich nie geschert hatte.
    Plötzlich wurde Ronan aus seinen Gedanken gerissen, ein lautes Blöken drang aus dem Flur. Ronan lauschte, hörte aber zunächst nichts mehr.
    Doch nach einiger Zeit hörte er Schritte, der Vorbeter kam mit einem Schaf herein.
    „Ronan“, sagte sein Vater streng. „Was ich dir damit sagen will. In deinem Alter habe ich schon so viel von der Welt gesehen. Und ewig werde ich auch nicht leben. Aber deine Unwilligkeit zum Handwerk und Handel respektiere ich. Estrios wird daher mit dir die Magier aufsuchen. Du brauchst ja eine Arbeit.
    Ronan war ziemlich verärgert, schließlich wurde er damit sein geplanter Lebensentwurf unterbrochen.
    „Nein“, sagte er bestimmt, „nur weil du mit elf schon angefangen hast zu saufen, werde ich nicht den Magier spielen.“ „Ronan!“, schrie ihn sein Vater an, „du gehst gefälligst ins Kloster, oder willst du, dass das Schaf umsonst stirbt?“ „Ja“, sagte Ronan, der nun ebenfalls lauter geworden war, „vielleicht hat er das nur verdient der olle Schafbock!“ „Es reicht!“, schrie Ronans Vater, nahm Ronans Bild von der Wand hinter ihm ab und zerriss es in Hunderte von kleinen Stücken. Es war zerstört.
    Ronan blickte seinen Vater an. Sein Bild. Er wusste nicht...weg. Er musste weg.
    Schnell wies er einen Diener an, seinen Besitz zusammenzunehmen, darunter auch seine Bücher und auf eine braune Kutsche zu packen. Notgedrungen nahm er die Aufgabe seines Vaters auf seine Schultern und lief raus. An der Türschwelle des Hauptportals blieb er noch einmal stehen, und drehte sich zu seinem Vater um. „Ich hasse dich“, sagte Ronan mit tiefem Abscheu in der Stimme. „ICH HASSE DICH!“ Beim zweiten Mal schrie er die Worte wie im Wahn hinaus. Doch Ronan war nicht wahnsinnig geworden, sondern fasste den undenkbaren Gedanken, der sich soeben manifestierte, der lange Jahre bedrohlich über ihm geschwebt war: Weg! Weg von den Eltern!
    Ronan lief raus, an seiner mit Rehaugen bedachten Mutter vorbei.
    Draußen empfing ihn die warme Luft des Frühlings.
    Äußerlich war ihm warm, doch innerlich gefror er vor Angst, und schwappte das Gift vor Verbitterung. Er empfand neben großem, abgrundtiefen Hass auf seinen Vater auch eine Traurigkeit, einen Schock über sein zerrissenes Bild.
    Es war schon dunkel geworden, so lange hatte er seinem Vater zuhören müssen. Und jetzt war sein Leben zerstört. Ronan standen die Tränen in den Augen.
    Wohin er sollte? Sein Vater kannte nur noch einen Ort. Ins Kloster.
    Dieses war mindestens eine Nacht entfernt. Ronan klopfte an die Kutschtür.
    Nach kurzer Zeit öffnete Estrios sie.
    Er sah Ronan die Verzweiflung an.
    Dieser wollte nichts sagen und nichts mehr hören, doch der Prediger setzte dennoch zu sprechen an. „Ich weiß, was passiert ist Ronan und ich kann verstehen, dass du etwas aufgelöst sein dürftest, aber wenn du dich beruhigst und zu mir setzt, erzähle ich dir bei einem Schluck Wasser, was dich erwartet, wenn das in Ordnung ist.“ Ronan nickte nur und nahm auf der gegenüberliegenden Sitzbank Platz, während der Prediger schnell eine Karaffe aus einem Fach holte, um Wasser für sie beide einzuschenken. Ronan dachte nach. In ein Hotel konnte er nicht mehr ausbüchsen, Leute wie er mussten bezahlen, und er hatte kein Geld. Zurück nach Hause konnte er nicht mehr, so sehr er das auch wollte. Konnte er vielleicht...wäre es möglich gewesen, wenn er Estrios darum bitten würde...? Schon hatte der Vorbeter zwei Gläser Wasser in den Händen. Er stellte sie auf der Türablage ab und wandte sich Ronan zu. „Nun“, sagte er „dann erkläre ich dir also was mit dir passieren wird.“
    Der junge Mann ihm Gegenüber sammelte sich kurz, und begann dann seinerseits mit einer eigenen Rede dazwischenzugehen.
    „Ich weiß ja, du magst meine Eltern nicht besonders.“ Er wartete darauf, dass Estrios etwas dazu sagte, doch dieser hielt es für besser, erst mal zu schweigen, damit Ronan in Ruhe erzählen konnte. Deshalb fuhr dieser fort. „Und heute, da haben Sie zu meinem Geburtstag mich als Sohn verloren. Und als ich mir die Lage näher besah..:“ Ein Husten wollte aus ihm heraus, doch er hielt die Luft an um ihn zu unterdrücken.
    Nach kurzer Zeit sprach er weiter.
    „Ich habe Sie genau überwacht, wie sie zu meinem Vater hereinkamen, mit dem Schafbock. Sie warten nur auf den Moment an dem er zu weit gehen würde. Er hat gemeint, ich solle zum Kloster begleitet werden. Warum durch Sie? Er hätte dies genauso gut tun können. Ihre Ausbildung ist meinem Vater egal, für ihn sind Sie kein richtiger Gelehrter, sondern ein Laufbursche. Als mein Vater Ihnen sagte, dass sie mich zum Kloster begleiten sollten wurden Sie sicher wütend. Und Sie haben so lange für einen bessere Arbeit studiert... Wenn Sie sich Ihnen und mir ein Geschenk machen wollen, dann fahren wir zum Morgen hin in den Hafen. Und dann setze ich meinen Kragen zurecht, packe meine Sachen und fahre mit dem nächsten Schiff weg. Wohin weiß ich noch nicht, aber ich melde mich bei Ihnen, wenn Sie schlau sind, was ich denke, haben Sie bis dahin eine Entführung mit Lösegeldforderung fingiert.“ Ronan schwieg eine Weile.
    Estrios schwieg eine Weile. Ronans Wangen glänzten im Mondschein, er fühlte sich besonders schlau.
    Endlich brach der Vorbeter das Schweigen.
    „Sie...“, fing er an, doch brach wieder ab, und schwieg wieder. Dann setzte er wieder an. „Sie wissen gar nicht wie gerne ich es hätte, dass Sie sterben würden. Haben Sie nicht einmal ein Mindestmaß an Ehrgefühl oder Stolz?“ Ronan hob den Kopf. „So wenig, wie es für jemanden meines Standes nötig ist.“
    Es folgte erneutes Schweigen.
    Dann fasste Estrios einen Entschluss.
    „Du wirst verdammt nochmal im Kloster wohnen. Du wirst dort arbeiten. Nicht in einer Lehrlingsstelle, sondern um die Gemeinschaft zu versorgen und zu unterstützen.
    „Nein, nein, bei Innos nein“, sagte Ronan, der fassungslos war, „ich will nicht für andere arbeiten“ „Du solltest deine letzten Momente im Warmen genießen“, sagte Estrios. „Im Kloster wird es bestenfalls ein paar Decken für dich geben, wenn du auf dem Steinboden schlafen musst.“ „Das ist doch alles ein böser Scherz, oder?“, wimmerte Ronan, und er meinte es ehrlich damit. „Nein“, sagte Estrios, „wir sind bald da. Deine persönlichen Dinge werde ich übrigens, wie mit deinem Vater abgesprochen, wieder mitnehmen. Mach dich bereit.“
    Ronan zog die Füße sich heran. Er hatte unweigerlich ein neues Zuhause. Wieder einmal hatte er sich vergeblich versucht, sich gegen den Willen seines Vaters zu wehren.
    Schon bald waren Sie da und Estrios drückte ihm ein Paket voll Geld und die Leine für das Schaf in die Hand, bevor er mit seinem Hab & Gut abfuhr. Ronan orientierte sich so gut es ging gen Kloster, wo seine neue Heimat lag.
    Estrios hatte ihn einfach in der Nacht entsorgt. Ronan ging auf das einzelne Licht über dem See zu, wo man sich weitestgehend schon zum Schlaf gebettet zu haben schien.
    Geändert von Oblomow (09.02.2015 um 01:04 Uhr)

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    Kapitel 3: Fremdelei


    Ronan schrak hoch, denn er hatte ein Geräusch gehört.
    Um sich blickend konnte er in der Dunkelheit nur die Silhouette des Schafs ausmachen, dessen Leine ihm Estrios in die Hand gedrückt hatte und in dessen Augen der Mond glänzte, gleich einem winzigen Feuer.
    Ronan hätte gerne eine Kerze oder Fackel gehabt um sie anzuzünden. Mit einem Fuß wagte er sich vor, den anderen zog er nach. Die Leine hielt er vor sich um nicht durch einen Ausbruchsversuch des hinter ihm trottendes Schafs dieses direkt zu verlieren oder deswegen die Brücke hinunterzustürzen. Je näher er dem Kloster kam, um so heller wurde es. Nach einer gefühlten Ewigkeit des Tastens durch die Dunkelheit konnte er vor dem Klostereingang eine Person erkennen, die auf einem Stuhl saß. Es war ein Feuermagier. Die Geräusche wurden von Münzen verursacht, die dieser unablässig in den See unter der Brücke warf.
    „Geehrter Feuermagier?“, fragte Ronan unsicher.
    Es kam keine Antwort. Er versuchte es erneut.
    „Was tut Ihr denn da?“ Der Diener Innos blickte ihn an.
    „Ich werfe Goldstücke ins Wasser, das bekämpft die Nacht“, antwortete der alte Mann.
    Ronan blickte zum kaum zu erahnenden See. Blobb. Wieder eine Goldmünze.
    Eine merkbare Auswirkung war neben dem Goldstück weniger nicht zu erkennen. Der nun völlig verwirrte Ronan wusste nicht was das sollte.
    „Wieso? Ich verstehe nicht. Wieso machst du das?“, fragte er und blickte sich wieder zum Magier um. Doch dort auf dem Stuhl saß nicht mehr der Diener des Feuers.
    Dort saß ein Mann mit einer riesigen Bettflasche. Sein Gesicht war voller Falten und er hatte kaum noch Haare auf dem Kopf. Seine Kleidung stank nach Urin.
    „Großvater?“, fragte Ronan zaghaft.
    „Ronan, ich gehe kurz Geld holen. 500 Münzen, okay? Deine Bücher kannst du neben meinen Stuhl stapeln.“ Die Stimme kam von irgendwo aus dem Inneren der Klostermauern. Es war der Feuermagier, der gesprochen hatte. Der Diener Innos hatte die Klosterpforte schon durchschritten. Ronan bekam Angst. Was sollte dies alles? Seine Bücher hatte doch Estrios mit sich genommen! Ein Stöhnen. Ronan schaute wieder auf den Stuhl. Dort saß, oder vielmehr lag, sein Großvater. Die Augen geschlossen, die Atmung blieb aus. Ronan lief durch die noch offene Pforte ins Kloster. Vom Diener des Lichts keine Spur. Deshalb ging er wieder zurück zu seinem Großvater, und musste erkennen, dass dieser tot war.
    Er entdeckte das Opferschaf für das Kloster in den Armen des Alten. Was hatte das nun wieder zu bedeuten?
    Der Feuermagier kehrte wieder zurück. „Ach“, sagte er, „du hast, dein Schaf vergessen. Hast es wohl auf der Brücke gelassen. Ich gehe es holen. Bin gleich wieder da.“ „Nein“, wollte der Angesprochene ihn aufhalten, „mein Schaf ist da, bei meinem Großvater! Er ist...“
    Der Magier war schon längst wieder in der Dunkelheit verschwunden.
    Ronan schritt wieder herüber zum Stuhl.
    „Ronan.“
    Woher kam diese Stimme? Der Gerufene konnte keinen genauen Punkt ausmachen, von dem sie hätte kommen können.
    „Ronan.“
    Noch einmal. Er wurde unruhig. Er blickte auf seinen Großvater, der dort regungslos auf dem Stuhl lag.
    „Ronan!“
    Die Stimme wurde lauter. Er blickte seinen Großvater an, wusste nicht was er tun sollte.
    „RONAN!“
    Die Stimme brüllte nun, und die Leiche des Großvaters schlug die Augen auf. Sie starrten Ronan durchdringend an.
    „NEIN!“
    Der vorhin noch Träumende saß nun senkrecht auf dem Stuhl und war hellwach. Ein Novize stand neben ihm. „Ronan?“, sagte er, „du hast geschrien! Als ich heute Morgen zur Wache vor das Tor ging, fühlte ich deine Stirn, ganz heiß war sie. Hast wohl geträumt!“
    Sämtliche Muskeln Ronans waren angespannte, doch der Anblick des zwar fremden, aber immerhin nicht toten Novizen, ließ ihn ein wenig entspannen. Jetzt merkte er auch selbst die Schweißperlen auf seiner Stirn. „Geht es dir gut? Soll ich Medizin aus der Klosterapotheke holen?“ „Nein“, sagte Ronan, und versuchte gefasst zu klingen. Es gelang ihm nicht, dennoch sprach er weiter.
    „Es ist...vielleicht sollte ich nochmal richtig schlafen.“
    „Wie du meinst“, sagte der Novize „aber ich würde dir raten, mal dein Schaf und Gold bei mir abzugeben und den Magiern vorstellig zu werden, die werden sonst noch so bockig wie dein Haustier.“
    Während dieser Worte zeigte er auf das sich windende Schaf, dessen Leine fest um Ronans Hand gewickelt und geknotet war. Im Gegensatz zu ihm, fiel eines auf: Dies war ein definitiv traumloses Schaf.

    Als er die Formalitäten mit dem Novizen geklärt hatte, ging es Ronan schon ein wenig besser. Er befühlte seine Stirn und stellte erleichtert fest, dass seine Körpertemperatur sich normalisiert hatte. Lichtstrahlen erhellten Ronan den Klosterhof genügend, um zu erkennen, dass noch kein Magier oder Novize in diesem flanierte. Ronan beschloss in Ermangelung der Kenntnis seiner Rechte zu warten, bis dies der Fall sein würde. Der Traum lag ihm immer noch ein wenig schwer im Magen. Er war ihm so real erschienen, obwohl er sehr wirr war. Was im Traum noch klaren Sinn machte, war, nachdem man aufwachte, nichts als Unsinn. Einige Augenblicke später, trat ein Magier aus der zentral gelegenen Kapelle heraus. „Ronan“, sagte er „bist du gut angekommen? Pedro meinte, du hättest auf dem Nachtschemel halluziniert. Wäre ja ein denkbar schlechter Start, wenn dich dein Vater krank hergeschickt hätte.“ „Alles gut“, antwortete diese, „es war nur ein Traum. Meine Stirn ist auch gar nicht mehr heiß.“ Ronan faltete die Hände ordentlich und verneigte sich vor dem Feuermagier und legte seine Äußerungen behutsam in einer Ecke seines Verstandes ab. Wie lange hatten sein Vater und die Magier diesen Coup schon ausgemacht gehabt und was hatte er den Magiern dabei von ihm erzählt?
    „Wir haben uns ja schon gefragt, wo du warst. Es war ja eigentlich ein Klopfzeichen ausgemacht und dass dein Vater und Mutter diesem erhabenen Moment der Aufnahme in unsere Gemeinschaft beiwohnen. Stattdessen findet Pedro dich heute Morgen an unserer Schwelle, als wärst du betrunken eingeschlafen und von deinen Eltern fehlt jede Spur.
    Ronan schwieg betroffen eine Weile. Hätte er kein solches Gezänk am letzten Tag veranstaltet, hätte die Sache wohl auch anders ablaufen können.
    „Ich hoffe du vermisst deinen Vater jetzt nicht?“, fragte er dann. Ronan brauchte trotzdem nicht lange zu überlegen. „Ich will ihn nicht sehen. Ich habe damit abgeschlossen. Es ist nicht mehr mein Vater. Ich möchte...“ Ronan brach ab. „Ja?“, fragte der Feuermagier irritiert, „was möchtest du?“ „Essen. Ich habe Hunger und Durst. Ich würde gerne frühstücken.“
    „Nein!“, sprach der Magier während sich seine Gesichtszüge verfinsterten. „Das gemeinsame Frühstück hast du schon verschlafen und mit deinem Initiationsritus stehen wichtigere Dinge auf dem Programm für dich. Mal ganz abgesehen, davon dass du auch so aussiehst, als würdest du ein fehlendes Frühstück mühelos überstehen können. Wir gehen jetzt erst einmal zur heiligen Statue Innos, damit du dein Gelöbnis ablegen kannst. Der Novize Gwertlyn gibt dir dann deine Kleidung und zeigt dir alle wichtigen Ecken unserer hohen Hallen. Der Magier und der Zurückgewiesene gingen zusammen los. Schon wieder bevormundete man Ronan. Nicht einmal etwas zu Essen gab man ihm. Ronan wusste, dass die Feuermagier nicht endlos Zeit hatten, aber diese Hektik war übertrieben, erst recht wenn sie ihn das Frühstück kostete. Die Magier hatten wichtige Geschäfte, ohne Frage, aber fast alle waren der Natur, dass gerade ein besonnenes als ein schnelles Handeln erforderlich war. Im Kloster, wo ohnehin nur die Magier und Novizen lebten, war sowieso nichts eilig zu erledigen Und auch nur selten verirrten sich hohe Persönlichkeiten oder Paladine in diese Gegend. Der Feuermagier machte nun trotzdem unnötig Druck, aber es gab ja auch einen Unterschied zwischen ihnen beiden, der das erklärte. Er hatte Autorität Kraft seines Standes und Ronan nicht. Warum sollte also der Magier, der nichts mit ihm gemein hatte, ihm entgegenkommen?
    Die beiden kamen vor dem hohen Rat des Innosklosters an, hinter dem sich eine große Innosstatue bis zum Dach der Kapelle erhob. „Ich hoffe es tut dir leid uns so lange warten haben zu lassen“, teilte ihr Vorsitzer Ronan mit und fuhr fort ohne eine Antwort abzuwarten. „Mein Name ist Pyrokar, Vorsteher dieses Klosters und oberster Magier von Khorinis, Ich werde dir das Gelöbnis abnehmen der Kirche Innos zu dienen und ich bin es auch, der dich zur Prüfung des Feuers ruft und dir den Eid des Feuers abnehmen wird, falls du dich dem Stand des Magiers würdig erweisen solltest. Für alle anderen Dinge wende dich an deine Mitnovizen und jene Magier, außer uns dreien. „Oh“, knurrte ein noch älter wirkender Magier rechts von Pyrokar, als ob er dem nicht so ganz zustimmen wollte. „Kein Problem“, äußerte sich Ronan, ohne es zu meinen. „Gut, gelobst du, Ronan, der heiligen Flamme Innos, seiner heiligen Kirche, den Worten und Anweisungen seiner Diener und den alten Schriften Gehorsam zu leisten? Dann antworte mit „Ja, ich gelobe es““. „Ja, ich gelobe es“, antwortete Ronan, der sich seit dem Morgen schon überrumpelt ob des Umstands fühlte mit welch schnellen Schritten er aus seinem alten Leben herausging.
    Als der Magier, der ihn willkommen geheißen hatte und er aus der Kapelle bogen, wurden sie von einem Novizen aufgehalten. Der Magier machte sie beide bekannt. „Das ist Gwertlyn, Vorsteher der Novizen, gestählt von der Gartenarbeit. Macht euch bekannt, macht keinen Ärger, ihr werdet euch noch öfter sehen.“ Der Magier legte seine Hände auf die Schultern der beiden und machte sich dann daran, dass er verschwand.
    „Na, auch dank des Geldes hier hingekommen?“, fragte er.
    „Naja, schon irgendwie“, antwortete Ronan schüchtern. „Aber das Leben ist ja jetzt vorbei.“
    „Oho“, sagte ein Novize, der sich in diesem Moment zu den Zweien gesellte „Da will jemand seine Herkunft zur Seite schieben.“
    Ronan wurde noch unsicherer.
    „Was soll ich denn anderes machen?“, fragte er „mal Spaß beiseite, sonst...“
    „Sonst was?“, fragte Gwertlyn. „Hilfe, mein Leben ist zerstört!“, spöttelte der andere.
    „Vielleicht sollten wir dir mal etwas den Respekt vor all dem hier etwas nehmen“, meinte Gwertlyn und rempelte Ronan sachte an. „Sonst fällt er uns wirklich noch aus den Wolken“, sagte der Hinzugekommene wieder. Sie lachten. Sie lachten Ronan aus.
    „Jetzt hört aber mal auf“, sagte eine kindliche, aber auch interessante Stimme. Eine Gestalt lief aus dem nächstgelegenen Schlafraum heraus und gesellte sich zu den dreien.
    „Andreas, alter Troubadour, hast du den Hahnenschrei auch mal gehört? Andreas ist begnadeter Sänger, aber hat auch eine gewisse Stimmgewalt, die ab und an aufs Ohr geht. Wir haben ihm deshalb den Spitznamen Dur-Au gegeben, wenn du verstehst“, stellte Gwertlyn Ronan den Barden vor. Ronan blieb davon unbeeindruckt. „Besser ihr verschwindet und lasst mich endlich in Ruhe weiterschlafen, sonst gibt’s gleich nen Tritt in die Magengrube Gwertlyn“, drohte Andreas auch schon, der diese Vorstellung aus Gründen wohl gar nicht lustig fand. „Ja klar, bist ja so ein toller Kämpfer“, sagte Gwertlyn nur und die anderen schien das ebenfalls nicht zu denken, denn Andreas zog sich bereits wieder in sein Schlafgemach zurück.
    „Naja, kommen wir mal in Tritt, damit du noch was vom Tag hast“, meinte Gwertlyn. „Danke für deine Hilfe“, sagte Ronan bissig, der gerade dabei war seine Gedanken wieder zu sammeln.
    „Kein Problem“, meinte der Novize, „dann geht’s mal los. Das da drüben ist Gorax' Weinkelterei, wenn du Lust hast mitzukommen, können wir schnell 'ne Flasche Wein für heute Abend mitgehen lassen, wenn wir Andreas zuhören, du wohnst ja in seinem Raum. Angeblich hat er eine neue „majestätische Liedersammlung“ am Start, die er vortragen will. „Danke für das Angebot. Aber ich kann so etwas nicht am ersten Tag abziehen. Ich muss das Kloster kennenlernen und mir dann vermutlich irgendwelche Aufgaben abholen.“ Gwertlyn schaute ihn an und er schien zu verstehen. „Du musst es eilig haben mit dem Magier werden“, sagte er. „Ich habe gehört, dass du dich mit deinen Eltern verworfen hast und deshalb hier bist? Mein Beileid.“ „Ach, vielleicht ist es ja gar nicht so schlecht in kalten feuchten Klosterräume bei Brot und Wasser zu leben“, witzelte Ronan. Gwertlyn lachte laut und ausgiebig, wurde dann aber wieder ernst. „macht es dir denn nichts aus, dass deine Eltern… naja, du weißt schon.“ „Klar“, sagte Ronan bestimmt, „sie haben sich um mich gekümmert und sich dabei nicht in mein Leben eingemischt. Wenn ich etwas hatte, das ich wollte, bin ich immer zu ihnen gegangen, da das Personal und insbesondere dieser Hausbeter“, Ronan verschluckte sich für einen Moment vor Wut „entweder uninteressant waren oder mich nach Möglichkeit abwimmelten.“
    „Schon traurig das ganze“ meinte Gwertlyn. „Aber wenn du jetzt wirklich so wissbegierig bist, würde es dir etwas ausmachen, wenn ich dich einfach selber das Kloster erkunden lasse? Wenn Fragen bestehen, kannst du ja auf mich zurückkommen, ich würde mich dann nämlich zum Wein empfehlen.“ „Nein, mach ruhig“ „Herzlichsten Dank und dann viel Glück bei deinem Start ins weitere Klosterleben. Wir begegnen uns ja sicher spätestens heute Abend wieder.“
    Mit diesen Worten zog Gwertlyn weiter in Richtung der Kelterei von Gorax. Ronan schaute ihm noch nach, bis er den Eingang durchschritten hatte.
    Ronan machte sich auf den Weg und lief zügig den Seitengang ab, an dem auch sein Schlafquartier lag, er hatte schon zu viel Zeit verloren.
    Schnell entdeckte er einen Gang, der in den Keller führte. Er sah sich um, ob es Anzeichen geben konnte, dass der Weg hinab nicht gestattet hätte sein können. Nach ein paar Moment entschied er sich hinabzugehen. Als er im Zentrum des Keller angekommen war, meldete sich schon eine Stimme aus den angrenzenden Nebenräumen. „Was war los, warum hast du so lange gebraucht?“, fragte eine pampige Stimme. „Das Aufnahmeritual hat sich aufgrund meiner Eltern etwas verzögert und ich habe mich mit Gwertlyn etwas verquatscht und ich habe Andreas Dur-Au kennengelernt. Mit mir ist noch alles in Ordnung, keine Sorge.“ Zu der Stimme gesellte sich nun auch ein Körper. Ein blässlicher Feuermagier mit einem Laborfläschchen in der Hand zeigte sich Ronan. „Ich dachte, mein Novizenhelfer wäre endlich vom Kräutersammeln zurück. An deiner Lebensgeschichte habe ich kein Interesse Junge. Aber Andreas kenne ich, er ist eine integre Person. Wenn du meinst, du kannst ihn wie die anderen Novizen mit so einem Spitznamen hänseln, dann rate ich dir deinen ungewaschenen Mund zu halten. Und von Gwertlyn halte dich mal lieber fern. Ist ein verzogenes Balg, nur kümmert das kaum einen meiner Mitmagier. Das solltest du nicht vergessen.“
    Während der weiter andauernden Standpauke durch den Magier, der sich irgendwann auch als Neoras vorstellte und unter anderem in höchstem Maße empört darüber schien, dass Ronan sich noch keine Robe aus dem Lager hatte geben lassen, dachte Ronan über Gwertlyns Worte nach. Die anderen Magier kümmerten sich nicht um ihn weil er offenbar auch aus wohlhabendem Hause stammte, nur er musste sich jetzt, anders als er, diese Standpauke des Grottenmagiers über sich ergehen lassen. War er einfach zu unfähig Problemen aus dem Weg zu gehen? Ronan war sich nicht sicher.
    Er beschloss nicht weiter darüber nachzudenken, und sich halbwegs auf Neoras' Worte zu konzentrieren. Nachdem der Magier geendet hatte, holte der neue Bewohner des Klosters erst mal seine Novizenrobe ab. Dazu gab es einen Stab, ein Tintenfässchen samt Feder und ein Blatt Pergament. Dazu noch Kleinkram, wie eine Probe des Klosterweins und andere Dinge, an die er sicher in größerem Maße mittels Gwertlyn gekommen wäre. Das was er nun besaß war wahrlich nicht viel. Und es stank ihm jetzt schon ungemein.
    Doch was ihn hoffnungsvoll stimmte war, dass er all die leeren Stellen seiner Truhe sicher bald wieder auf dem ein oder anderen Wege füllen konnte, damit wieder das Gewünschte dort war, wo es hätte sein sollen.
    Geändert von Oblomow (21.04.2020 um 14:32 Uhr)

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