Seite 1 von 3 123 Letzte »
Ergebnis 1 bis 20 von 55
  1. #1
    Fionda per cereali  Avatar von Luceija
    Registriert seit
    Oct 2009
    Ort
    Köln, DE
    Beiträge
    13.908
    Tropfen für Tropfen quetschte sich das Wasser durch den Filter, berührte sekundenweise das frische Pulver der gemahlenen, importierten Kaffeebohnen und tropfte am Ende mit jener gleichbleibenden Gemütlichkeit im Sekundentakt aus der Maschine, wobei es in betörendem Takt einen Klang in das Porzellan zauberte. Der Geruch von frischem Kaffee sammelte sich in dem kleinen Pausenraum wie Dampf und machte es schwer, etwas anderes aus dieser schweren Note herauszufiltern. Selbst für einen Pausenraum war es hier verdächtig chaotisch. Irgendjemand hatte hier eine lange Spur aus Toastbrot zwischen dem entsprechenden Toaster und der Spüle gezogen, einen Rückweg zum unweit gelegenen, Plastik überzogenen Esstisch gelegt und dort etwas Marmelade auf der Oberfläche hinterlassen. In besagter Spüle stapelten sich mindestens fünf bis zehn Teller, diverses Besteck und sogar einige weitere Essensreste, für die offenbar keine Aufmerksamkeit investiert wurde. Craig ekelte sich nicht sonderlich vor dieser Unordnung, auch wenn er selbst lieber gehabt hätte, wenn am Ende ein anderer dafür beauftragt worden wäre selbige zu beseitigen als gerade er - der dämliche Praktikant.
    Doch im Moment machte er sich nichts draus, genoss seine Pause und umschlang seine Tasse Kaffee mit der rechten Hand. Einen kurzer Schluck genügte um dem jungen Mann ein Seufzen zu entlocken. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Arbeitsfläche und genoss das Heissgetränk in vollen Zügen. Das hier war so ziemlich der erste Kaffee, den er seit etwa drei Wochen bekommen hatte. Es war nicht so, dass es nicht genug Zeit gegeben hätte um sich einem solchen Getränk hin zu geben, viel eher war er sonst kein Kaffeetrinker und vermied es daher tunlichst, die Koffeinbombe zu konsumieren. Jetzt aber, nachdem er sich kaum wach halten konnte, hatte er keine Wahl und entgegen seiner Erwartungen...fühlte es sich so ein bisschen an wie ein weiches, kuscheliges Bett an in dem er ruhen konnte.

    Nach dem ersten Blinzeln sah er sich um: Die Digitaluhr zeigte etwa 11 Uhr an, also hatte er wieder eine Nacht durchgemacht ohne es wirklich bemerkt zu haben, wie er am aktuellen Datum erkennen konnte. 18. Februar 2183. Der wahrscheinlich ungünstigste Tag auf Noveria zu sein. Und doch war er hier.

    Heute jedoch, am 25.3.2183, vermisste Craig Kiran Gillespie sogar den Geschmack des Billigkaffees. Sogar den aus der Kantine seiner Universität. Alles, was irgendwie an Freiheit erinnert hätte. Stattdessen lag er mit dem Rücken auf der Pritschenähnlichen Schlafgelegenheit innerhalb eines kleinen Raumes der selbst für eine Zelle schon zu mickrig war. Zu seiner Linken ein Kleiderschrank, der nur einen einzigen Inhalt kannte. Hier gab es keinen Spiegel, keine Toilette und keine Dusche. Einzig prangte hier ihm ein dreifach verstärktes Fenster mit allerlei Gittern davor, welches ihm nicht ermöglichte nach draussen zu sehen, weil ihn die Helligkeit des Schnees in Kombination mit der Sonne derartig blendete, dass es schmerzte.
    So zermürbend diese Zelle auch war, er wusste, dass er sie nicht lange aushalten musste. Von draussen waren da schon wieder die Geräusche der massiven Stiefel, die sich auf seine Zellentür hin bewegten..
    Luceija ist offline Geändert von Luceija (10.04.2013 um 01:14 Uhr)

  2. #2
    Ritter Avatar von Tjordas
    Registriert seit
    May 2012
    Beiträge
    1.127
    Er fand sich auf einer weiten, saftigen Wiese wieder, endlos in ihren Ausmaßen und bedeckt von einem makellosen Himmel ohne die geringste Störung im perfekten Blau bis auf einen bereits am Tage leuchtenden Mond im Westen und einer sich langsam senkenden blutroten Sonne im Osten. Die Landschaft war unnatürlich flach; nicht die sanfteste Steigung, geschweige denn ein Hügel bäumten sich aus der Fläche auf. Stattdessen stand, akribisch platziert, etwa alle dreihundert Meter ein einzelner, dünner Baum auf der Wiese mit einer immer gleich geformten Krone und einem einzelnen Granatapfel an immer der gleichen Stelle. Er schleppte sich durch diese Ebene mit kleinen, kraftlosen Schritten wie die eines Verirrten in einer Wüste, denn er fühlte sich, als wäre er bereits Tage gelaufen, konnte jedoch nicht sagen, was eigentlich sein Ziel war. Erlösend durchfuhr ihn das Gefühl einer warmen, zierlichen Frauenhand auf seiner rechten Schulter, woraufhin er stehen blieb und sich beinahe ehrfürchtig umwandte. Vor ihm stand die schwarzhaarige Laborassistentin, aber diesmal ohne die klinisch wirkende Schutzbrille, die nach Gummi stinkenden weißen Handschuhe oder die bedrohlich lange Drei-Millimeter-Kanüle auf dem Spritzenkolben. Sie trug ein leichtes und sehr dünnes, weißes Sommerkleid und ihr schwarzes Haar lag scheinbar federleicht vor ihren schmalen Schultern. Sie lächelte nicht, sondern starrte nur mit Augen, die in leichter Besorgnis zu fragen schienen "Was fehlt dir?". Er dachte diese Worte, und sie sprach sie aus wie diktiert. Er dachte nur daran, wie schön es wäre sich neben ihr in das endlose Gras zu legen und sofort legte sie sich wortlos auf die Seite. Er tat es ihr gleich, legte sich ein seiner ebenfalls reinweißen Kleidung seitlich neben sie, den Kopf auf die Hand aufgestützt, und betrachtete zufrieden das Gesicht der Laborassistentin, doch ihr Blick der Besorgnis wich noch immer nicht. Ihre Gesellschaft schien ihm trotzdem angenehm, und so senkte er seine Wange allmählich ins feuchte Gras und er spürte, wie seine Wange und sein Mundwinkel davon befeuchtet wurden und wie ihn die Halme kitzelten als der traumhafte Anblick der schönen, grauen Augen plötzlich verschwand.

    Seine Wange war feucht von seinem eigenen Speichel, mit dem sich das Kissen unter seinem Mundwinkel vollgesogen hatte. Eine schweißnasse Haarsträhne kitzelte seine Nase. Ein reinweißer Raum blendete seine sich blinzelnd öffnenden Augen, die allmählich unter dem Nebel eines ewigen Schlafes einen Laborraum enthüllten. Er hasste diese Momente, in denen das echte Leben zurückkam und die Träume verdrängte, so wie eine eifersüchtige, alte, hässliche Ehefrau, die die junge, heimliche Geliebte verstößt. Er nannte sein Leben daher gerne 'Agnes', denn das war so ziemlich der hässlichste Frauenname, der ihm einfiel. Musste an seiner Großtante Agnes gelegen haben.

    Selten hatte sein Kopf so geschmerzt wie gerade und so folgerte er, dass Agnes wohl gerade wütend ihr Nudelholz schwang, zur Strafe, dass sich Julian offenbar nächtelang - das folgerte er aus dem beinahe leeren Infusionsbeutel über ihm - mit seinen Träumen vergnügt hatte. Es war heute eindeutig stiller in der Versuchsanlage als zuvor, denn statt Schreie hörte man durch die Gänge nun das leise, aber aggressive Heulen des Windes, der an den Gebäudekanten vorbeischnitt. Dazu gesellte sich nun allmählich der Klang von schweren Stiefeln, die sich näherten, weshalb er sich entschied, aufzustehen und zur Zellentür zu gehen. Ein gutes Frühstück wäre nun schließlich optimal gewesen, um den Nährstoffmangel von Tagen auszugleichen und sicher brachte der Wächter gerade welches. Ei wäre gut. Und Orangensaft für die kurzkettigen Kohlenhydrate.
    Tjordas ist offline Geändert von Tjordas (24.08.2012 um 23:26 Uhr)

  3. #3
    Fionda per cereali  Avatar von Luceija
    Registriert seit
    Oct 2009
    Ort
    Köln, DE
    Beiträge
    13.908
    Er war bereits wach noch bevor der Stiefelklang abrupt vor seiner Türe geendet hatte. Es war ja ohnehin nicht so, dass er so viel Schlaf gefunden hätte, so ruhig das Gebäude auch geworden war. Nein, viel eher war es zu den 'ruhigen' Zeiten noch viel schlimmer. Damals war Craig nicht überall dabei gewesen, hatte nur zu bestimmen Bereichen Zugang erhalten und ausschliesslich hie und da durch einen Türschlitz hindurch erspähen können, was sonst hinter verschlossenen Türen lief. Aber er dachte sich seinen Teil...und fühlte sich dabei alles andere als wohl.
    Urplötzlich erschraken ihn drei präzise Schläge mit dem Griff der Waffe gegen seine Türe, die ihn eigentlich nicht mehr erschrecken sollten. Aber er war innert Sekunden in einem schier ewigen Strang aus Gedankenfetzen versunken. An den Geruch des Kaffees, an seinen kurzen Blick zur Uhr, an das freundliche Lächeln der Dame, die an ihm vorbei in den Pausenraum gelaufen war. Wie sie lachte und er den Sinn dessen nicht verstand. Als er zurück ging und bereits im Gefühl hatte, dass er diesen Raum, dieses unordentliche Viereck voller Chaos und Unordnung nie wieder betreten und eines Tages wirklich vermissen würde.
    "J-ja! Ja! Ich-..bin wach!", stotterte der junge Mann und viel beinahe von seiner spärlichen Schlafgelegenheit. Sofort riss er mit einer Hand den Schrank auf, riss den Jumpsuit heraus und riss sich sein - optisch bis auf die Farbe exakt gleiches - Nachthemd vom Leib, wobei er es kurz danach mit einem orangenen Kleidungsstück ersetze, auf welchem ebenfalls die ständig präsente Nummer '21' prangte. Kaum war er richtig in die Ärmel geschlüpft und zog den Reissverschluss nach oben, öffnete sich auch schon die Türe und er starrte in den Lauf eines Sturmgewehres, welches einem komplett uniformierten Mann gehörte. Instinktiv hob der Weisshaarige, junge Mann beide Hände und drehte sich mit dem Rücken zur Türe. Er hatte sich nicht zu rühren, ansonsten würde er noch auf die dumme Idee kommen seine Waffe zu benutzen. Und womöglich wäre der Schlacksige nicht der erste gewesen, der diese "Strafe" zu spüren bekommen würde.
    "...21 gesichert.", gab der Uniformierte über seinen - im Helm eingebauten - Commlink weiter. Und kurz darauf hörte man eine Bestätigung mit diversen anderen Nummern.. .
    Luceija ist offline

  4. #4
    Ritter Avatar von Tjordas
    Registriert seit
    May 2012
    Beiträge
    1.127
    Das Aufstehen erwies sich als schwieriger als bis dahin angenommen: Schon beim Aufrichten ins Sitzen auf dem unbequemen Krankenbett machte sich ein deutliches Schwindelgefühl bemerkbar, und das zusätzlich unterstützt durch die Kopfschmerzen, die mit jedem Herzschlag hinter Julians linkem Auge drückten wie ein anschwellender Tennisball. Und er hasste Tennis. Dennoch stellte er sich, ohne lange zu zögern, auf den kalten Fliesenboden und erhob sich, doch schon nach einem Schritt gaben seine Beinmuskeln erschreckend stark nach, sodass er mit ausgestreckten Armen in äußerst tollpatschig wirkender Pose zu Boden fiel, sich jedoch direkt wieder erhob und die Stelle, an der er gefallen war, misstrauisch beäugte, als glaubte er, dass sie aus Watte bestanden hätte. Nun etwas vorsichtiger, tappte er in seinem Krankenhemd in Richtung der Tür, wobei er seine Arme ein paar Streckübungen ausführen ließ.

    Ein Blick durch das schmale Sichtfenster der Zellentür blieb ergebnislos, da der vermeintliche Wächter bereits vorübergegangen war und sich nun an der Nachbarzelle befand. "...21 gesichert.", vernahm er gedämpft von dort und blickte dabei mit verwirrt zusammengeschobenen Augenbrauen abwechselnd von links nach rechts.
    "Hallo? Wächter? Könnten Sie mir vielleicht die Uhrzeit nennen? Es wäre doch sicher längst Zeit für ein Frühstück, nicht wahr?"

    Da logischerweise keine Antwort erfolgte, entschloss sich der zwischenzeitliche 'Patient' dazu, die Nahrungssuche selbst in die Hand zu nehmen, weshalb er an der Tür nach einer Schlossvorrichtung Ausschau hielt. Bald darauf fragte ein kleines Display seitlich der Tür nach einem Zugriffscode, den Julian, seltsamerweise ohne zu zögern, intuitiv eingab, woraufhin die Tür mit einem leisen Zischen entriegelte. Erst im Nachhinein stutzte er bei dieser Tatsache, war er sich doch selbst nicht bewusst, woher er diesen Zahlencode kannte und hätte man ihn auf dem Gang danach gefragt, so hätte er geschworen, nicht zu wissen, wovon die Rede sein solle.

    Der Gang vor der blendend weißen Patientenzelle wirkte wohl weniger einladend: Blanker Beton ohne Fenster und spärliche Beleuchtung machten insgesamt eher einen sehr bedrückenden Eindruck. Glücklicherweise war der 'Wächter' eine Zelle weiter noch nicht gänzlich durch die Tür getreten, sodass es sich anbot, ihn einfach direkt nach dem Weg zur Kantine zu befragen. Er näherte sich mit kleinen Schritten und streckte bereits mit einem leisen "Verzeihung?" die Hand nach der Schulter der Person aus, doch erst, als er diese bereits angetippt hatte, bemerkte er das Gewehr in der Hand der Person und zuckte einen kleinen Schritt nach hinten.
    Tjordas ist offline Geändert von Tjordas (25.08.2012 um 00:34 Uhr)

  5. #5
    Fionda per cereali  Avatar von Luceija
    Registriert seit
    Oct 2009
    Ort
    Köln, DE
    Beiträge
    13.908
    "Oh komm schon, was jetzt..?!", knurrte der uniformierte und bis an die Zähne bewaffnete Namenlose, zückte die Waffe direkt und zielte - anstatt auf Craig - doch tatsächlich zur Seite weg auf irgendeinen anderen. Kaum hatte er die richtige Position gefunden und seinen Blick auf Julian versteift, tippte er wieder sein Comm an und murmelte etwas, dass er als "Mister Galvannos, Subjekt 40 hat sich selbst befreit. Warum in aller Welt ist das Terminal noch aktiviert?" Die Frage war durchaus berechtigt, immerhin konnte der ziemlich angeschlagen wirkende Mann ohne grosse Mühe mittels des Codes abhauen. Die Tatsache, dass sich der Hochgewachsene jedoch in einer Zelle befand, die ein Terminal beinhaltete war schon seltsam genug. Wahrscheinlich, so an der Nummer anzunehmen, waren keine andere Räume mehr verfügbar und sie improvisierten ganz einfach.
    Craig selbst jedoch blieb wie an Ort und Stelle festgefroren. Es dauerte nicht lange, eher er weitere Stiefelschritte in seine Richtung kommen hören konnte und die Person, die so naiv ins Nichts gefragt hatte, wo er denn etwas zu essen bekommen konnte, umringt wurde. Er traute sich nur, kurz über die Schulter zu sehen, da spürte er schon den Stich eines Laufs in seinem Rücken und er schüttelte angestrengt den Kopf.
    "N-nein, ich hab nichts getan!"
    "Ruhe! Mitkommen."
    Und schon war er auf dem Weg - den Uniformierten im Rücken - in Richtung der..."Duschen", wenn man sie denn als solche bezeichnen konnte.
    Luceija ist offline Geändert von Luceija (25.08.2012 um 00:56 Uhr)

  6. #6
    Ritter Avatar von Tjordas
    Registriert seit
    May 2012
    Beiträge
    1.127
    Beim Anblick der Waffe in den Händen der vermeintlichen Auskunftsperson entschloss sich Dr. Ward spontan, sich besser nicht weiter mit dem Mann zu befassen, zudem dieser nun ohnehin lieber mit seinem ComLink sprach als mit ihm, doch gerade, als er sich umwenden wollte, spürte er den Lauf einer weiteren Waffe in seinem Kreuz, wobei er instinktiv die Hände leicht anhob und die weiteren Wärter um sich herum ein wenig verwirrt begutachtete.
    "Ich hatte ehrlich gesagt erwartet, ein wenig freundlicher beraten zu werden", merkte er dabei in einem etwas überrascht klingenden, aber wenig nervösen Tonfall an.
    Erst beim Anblick, wie mit dem unbekannten 'Patienten' verfahren wurde wallte in Julian ein seltsames Gefühl des Unwohlseins auf, und obschon er den Mann nicht kannte, fühlte er sich auf unerklärliche Weise verantwortlich für dessen grobe Behandlung. Zugleich schwang aber auch der Gedanke mit, dass dies ein notwendiger, vorhergesehener Ablauf der Dinge war, in den es sich nicht einzumischen galt; ein notwendiges Übel, quasi, und so schüttelte er sämtliches Mitgefühl ab.
    "War mir ein Vergnügen!", rief er dem Mann daher nur mit einem freundlichen Lächeln hinterher, wie einem freundlichen Passanten, mit dem man im Wartesaal einen zweiminütigen Small-Talk geführt hatte.
    Nachdem er diesem kurz hinterhergesehen hatte, bemerkte er wieder die Läufe, die auf ihn gerichtet waren, begutachtete jene kurz, ebenso aber die unmittelbare Umgebung, um dann den Wärter direkt vor ihm mit etwas verwirrtem Blick zu fragen: "Sagen Sie... Kann es sein, dass ich hier arbeite?"
    Tjordas ist offline

  7. #7
    Fionda per cereali  Avatar von Luceija
    Registriert seit
    Oct 2009
    Ort
    Köln, DE
    Beiträge
    13.908
    Notfälle gab es immer. Entweder war da mal einer dieser ausgehungerten Gestalten, die versuchten, zuzutreten wenn gerade ihre Türe geöffnet wurde und sich dabei fast alle Knochen im Leib an den gut gepanzerten Wachmännern brachen. Oder einer kam nach nur einer Woche auf die glorreiche Idee den Feueralarm zu betätigen, indem er eine kleine Scheibe mit blosser Hand einschlug und einen kleinen Brotkrumen-Weg aus knallroten Rinnsalen seines Blutes hinter sich her zog, wodurch man ihn sehr leicht verfolgen und wieder zurückbringen konnte. Ja, es gab schon Verrückte, die glaubten, es wäre so simpel hier aus den Meterdicken Mauern der Untergrund-Forschungsanlage zu kommen. Eine, die nur so vor Sicherheitsvorkehrungen und Kameras strotzte. Aber dennoch gab es solche Fälle. "Not"fälle. Und auf die, wie beispielsweise nun den Fall mit Subjekt 40, waren die Wachleute vorbereitet.
    Craig nahmen sie ebenfalls mit und schleiften ihn wie auch alle anderen Subjekte in Richtung der Dusche. Noch immer warf er argwöhnische, unsichere Blicke um sich wenn er den verfliesten Raum betrat, der komplett offen war und ebenfalls von drei bis vier Wachmännern belagert wurde, die darauf acht gaben, dass sich nicht zufällig jemand den Kopf an der Wand blutig schlug, bis er endlich vom gnädigen Tod empfangen wurde. Privatsphäre Fehlanzeige. Und wer glaubte, hier würden sie einen Unterschied zwischen Männlich und Weiblich machen, der hatte sich ganz besonders getäuscht und es wurde selbst den verblendetsten unter ihnen vor Augen geführt, dass man sich hier nicht in einem entspannenden Sommerurlaub in einem 5-Sterne-Hotel befand, sondern in einer Anlage, in der man Versuchen an Menschen durchführte.

    Der junge Mann war schon lange hier. Länger, als es ihm lieb gewesen wäre und wohl auch länger, als sein Geist ertragen konnte. Immer wieder erinnerte er sich schemenhaft an die Szenerie im Pausenraum, in der er seinen letzten Kaffee getrunken hatte, ehe er hier gelandet war. So simpel sie auch war, so stark hatte sie sich in sein Hirn gebrannt und wiederholte sich alle paar Tage wieder. Meist, während er schlief. Und doch...empfand er noch immer dieses beklemmende Schamgefühl, wenn er in den Duschbereich geleitet wurde und aufgefordert wurde - wie auch jetzt - seine nummerierte, standarisierte Kleidung abzulegen. Instinktiv bedeckte der Fünfundzwanzigjährige mit einer Hand seinen Schambereich und lies sich apatisch und deutlich geknickt unter den Duschstrahl buchsieren. Im ersten Moment schreckte er zusammen wie ein getretener Hund, denn hier hatten sie sich nicht wirklich die Mühe gemacht, das Wasser, dass sie aus dem Schnee um sie herum gewannen, grossartig zu erwärmen, dass es für die Personen angenehm wäre. Alles nur zusätzliche Kosten, die sie ohnehin schon zwei oder dreifach einschränken mussten. Und so stand er dann da und lies das Wasser über seinen eingefallenen Körper hereinbrechen.

    So viele Personen wie hier auch waren, so ruhig war es dennoch. Er hob seinen Kopf an, wischte sich mit der freien Hand etwas Wasser aus dem Gesicht und betrachtete wie immer die Leute, die um ihn herum standen. Er wusste nicht wieso, aber fälschlicherweise hatte er immer geglaubt, dass er vielleicht eines Tages ein Gesicht unter den vierzig anderen erkennen würde, das ihn an alles wieder erinnern würde, was er während seines Aufenthaltes hier vergessen hatte.
    Immer wenn er hier des Morgens stand, glaubte er, zwischen einer Horde Zombies zu erwachen. Links von ihm stand ein Mann, der etwa so ausgemergelt war wie er selbst, ihn allerdings deutlich überragte. Er konnte ein paar Narben auf seinem Bauch erkennen, die sorgsam vernäht worden waren und sich bis zu den rechten, ersten Rippen nach oben zog. Interessanterweise war dieser Mann hier, der unentwegt die Wand anstarrte und immer und immer wieder leise den Satz "Fremde haben keinen Einfluss" wiederholte, eine körperliche Ausnahme. Denn alle anderen schienen wohlgenährt und wirkten nicht gerade so, als würden sie jeden Moment elendig verhungern. Er wusste auch wieso. Zwangsernährung war das Stichwort. Wer in der Knastähnlichen Kantina nichts ass, dem wurde essen mittels Schläuchen direkt in den Magen beigebracht. Einige 'lernten' danach, lieber selbst die eintönige Kost zu verspeisen. Andere jedoch schienen sich ein wenig mehr zu wehren, wie er am Beispiel einer der wenigen Frauen zu seiner Rechten zu wissen glaubte. Sie war ein gutes Stück kleiner als Craig und tatsächlich untergewichtig. Zu ihrem Glück waren ihre brandschwarzen Haare lang genug um zumindest mal die Hälfte ihres Körpers zu bedecken. Die, die frei lag verdutzte den jungen Ex-Studenten eher. Krallenspuren. Beim blossen Gedanken daran zuckte er zusammen. Er hatte sie nun schon ein paar Male hier gesehen. Einer der Neuzugänge wie er vermutete. Neugierig positionierte er sich um um die Nummer an ihrem Unterarm abzulesen und identifizierte sie als Nummer 37. Auch in die andere Richtung wandte sich sein Kopf und studierte die Nummer, die auf dem Arm des Mannes prangte. 28. Nunja, Ausnahmen bestätigten ja bekanntlich die Regel. Wenigstens verrieten ihm die Nummern, wie lange die Personen schon da waren und das Nummer 37 vor ihr vor etwa zwei Wochen das zeitliche gesegnet haben musste.

    Er sah hinab auf seinen eigenen Arm. 21. Er war schon viel zu lange hier. Deutlich zu lange.
    Luceija ist offline

  8. #8
    Ritter Avatar von Tjordas
    Registriert seit
    May 2012
    Beiträge
    1.127
    Nummer 40, hingegen, war entsprechend eines der weniger gepeinigten Testsubjekten innerhalb der Anlage. Sicher, einige Versuche waren auch bei ihm äußerst schmerzhaft und von luxuriöser Behandlung konnte keine Rede sein, doch schwang in ihm stets der Gedanke mit, dass dies alles einem tieferen Sinn diente, so wie ein Patient sich am Ende einer langwierigen Therapie eine Heilung versprach; nur mit dem Unterschied, dass Julian eben nicht wusste, was er sich davon versprach. Die Ziele der Untersuchungen und die darunterliegenden Ergebnishypothesen erschlossen sich ihm aber mit relativer Eindeutigkeit: Die häufige - und zudem äußerst schmerzhafte - Entnahme von Rückenmarksgewebe, vornehmlich im Nackenwirbelbereich, die ständigen Reaktions-, Intelligenz-, Gedächtnis- und Reflextests, sowie die beeindruckend große Spannweite an Neurotransmitter unterstützenden Medikamenten in allerlei Aufnahmeform machten es mehr oder weniger eindeutig, dass man entweder vorhatte, an seinem Gehirn herumzupfuschen, oder es bereits getan hatte und nun die Folgen beobachtete. Eine äußerst spannende Vorstellung, wie er fand. Neugierig tastete er daher wieder nach der kleinen kahlrasierten Stelle am oberen Nackenbereich, wo sich allerdings keine große Narbe, sondern nur drei kugelschreiberminenbreite Wunden ertasten ließen. Minimalinvasiv - beeindruckend.

    "Hey!", unterbrach ihn dabei einer der Wärter mit einem kräftigen Stoß seines Gewehrlaufs in Julians Rücken. "Nicht daran rumfummeln, klar?"
    Er quittierte es mit einem freundlich lächelnden Nicken. Er würde es einfach später untersuchen.
    Inzwischen führten ihn die groben Wärter zu dritt in eine andere Kammer als die, aus der er erfolgreich entkommen war. Offenbar nutzte man seinen wachen Zustand bereits für die nächste Untersuchung. Diese Annahme bestätigte sich, als ihm die Tür zu einem weiteren grellweißen Raum geöffnet wurde, in dem sich nichts weiter befand als ein einzelnes Pult in der Mitte des Raumes mit einem Stuhl davor und einem dahinter, sowie einer verspiegelten Scheibe in der Wand seitlich davon und einer blinkenden Kamera in der rechten oberen Ecke des Raumes. Sogleich betrat die attraktive, schwarzhaarige Laborassistentin aus seinem Traum das Zimmer durch eine Nebentür und nickte den Wärtern leicht zu, woraufhin diese den Raum verließen und die Eingangstür mit einem bedrohlichen quietschen schlossen und hörbar verriegelten. Sicher ölten sie diese Türen absichtlich niemals.
    "Nehmen Sie bitte Platz, Julian.", 'begrüßte' sie ihn dann mit einer einladenden Geste zu dem Stuhl, vor dem ein Mikrofon auf dem Pult stand. Ein kurzer Blick an ihrem Körper hinab enthüllte ihr Namensschild: Eveline Watson. Nichteinmal ein Doktortitel; aber ansehnliche Proportionen. Ihr Lächeln, jedoch, war falsch: ein professionelles Lächeln, von dem Julian sich gut vorstellen konnte, dass dessen genaue Ausführung irgendwo unter dem Punkt "Versuchsaufbau" beschrieben war. Er erwiderte es, seines aber war, fast wie aus Trotz, freundlich und ehrlich, woraufhin er sich auf dem schlichten, weißen Plastikstuhl niederließ, die Hände auf den Oberschenkeln vor und zurück rieb und sich neugierig im leeren Raum umsah.
    "Schöne Einrichtung haben Sie hier. Für das Farbkonzept hat sicher ein Innenarchitekt viel Geld einkassiert, nicht wahr?"
    Sie quetschte sich ein gekünsteltes Schmunzeln aus den Nieren, das sofort wieder verschwand, während sie sich setzte und ihr Klemmbrett durchlas. Diese kalte Frau, die Agnes ihm da bot, würde sich wohl kaum mit ihm an einem sonnigen Tag ins Gras legen.
    Tjordas ist offline

  9. #9
    Fionda per cereali  Avatar von Luceija
    Registriert seit
    Oct 2009
    Ort
    Köln, DE
    Beiträge
    13.908
    Jetzt war es soweit. Die Zehen froren ihm regelrecht ab und genau das war das punktgenaue Zeichen dafür, dass gleich das Wasser abgestellt wurde, was wenige Sekunden, nachdem er diesen Gedankengang beendet hatte auch geschehen sollte. Testweise bewegte er sie um herauszufinden ob sie nicht doch bereits zu kleinen Eisklötzen erstarrt waren. Doch nichts davon traf zu. Und so schlüpfte er - nach einem routinierten Gänsemarsch-Gang durch eine Luftstromschleuse - bald wieder in sein eben noch abgelegtes, nummeriertes Gewand, dass ihn wohl ebenso sehr aufwärmte, als wäre er zum Trocknen schnell nach draussen gestanden. Erst dann kam er zurück in den Gang und schloss sich dem Zug der Testsubjekte an, die wie abgerichtete Schäfchen vom Hund getrieben in Richtung der Kantine wandelten.
    Hier war der einzige Raum, der etwas mehr an ein Gefängnis erinnerte als an ein komplett-steriles Kellerabteil mit allerlei angsteinflössenden Gerätschaften, die ausschliesslich Schreie und Schmerzen produzierten. Craig trottete allem nach und setzte sich an einen der leeren Tische ganz an der Wand. Absichtlich. Er konnte diesen Kerl in seinem Nacken nicht mehr ertragen, der die ganze Zeit den selben Satz stammelte. Am liebsten hätte selbst ER ihm einen kräftigen Tritt in die Kniekehle beschert - grade er, der normalerweise Friedliebender nicht sein konnte.
    Hm...er sah sich um und begann sich zu fragen, ob sie denn hier auch einen Kaffee hatten..
    Luceija ist offline

  10. #10
    Ritter Avatar von Tjordas
    Registriert seit
    May 2012
    Beiträge
    1.127
    Das übliche Prozedere: Erst ein paar simple Reaktionstests, die in ihrer Einfachheit so gestaltet waren, dass selbst ein sabbernder Irrer noch verstand, was man von ihm wollte. Und sicher war diese simple Konzeption kein Zufall angesichts dieser Zombiefabrik. Ähnlich war es auch mit den Tests des Kurzzeitgedächtnisses und der Konzentrationsspanne bestellt. Frustrierend war nur, dass er die Ergebnisse nie mitgeteilt bekam, denn er war überzeugt, dabei hervorragend abgeschnitten zu haben und würde nur zu gerne die erstaunten Gesichter der Laboranten sehen, wenn sie die Ergebnistabellen auswerteten und ihre hochheiligen Quotienten daraus zogen. Nur bei den Fragen im Anschluss daran wurde es ihm erneut äußerst unwohl, denn sie erinnerten ihn an ein kaum abzuweisendes Defizit in seinem momentanen Zustand.
    "Sind Ihre Erinnerungen inzwischen zurückgekehrt?", fragte Ms. Watson routiniert, während sie leicht von ihrem halbdurchsichtigen Datenpad hochschielte und bereits bedrohlich den Finger über das Antwortfeld schweben ließ. Er schüttelte mit zusammengepressten Lippen den Kopf.
    "Keine Erinnerungen an Ihre vorige Tätigkeit in diesem Komplex?"
    "Da Sie es ja scheinbar wissen, könnten Sie mir ja netterweise sagen, was die Tätigkeit war."
    "Das ist mir leider nicht möglich."
    "Verstehe, Verstehe. Gefährdete Testobjektivität, Blabla."
    "Wir müssen die Zeitspanne messen, nach der Ihnen Ihre Erinnerungen von selbst wieder zugänglich werden."
    "Dann scheinen Sie ja zumindest zu wissen, warum sie mir überhaupt unzugänglich geworden sind"
    "Auch das ist Teil der Informationen, die Sie sich selbst erschließen müssen."
    Noch während Sie diese Worte aussprach, erhob sie sich von ihrem Stuhl (der unfairerweise im Gegensatz zu seinem gepolstert war) und sprach danach zu der verspiegelten Glaswand.
    "Bringen Sie ihn nun zum Speisesaal. Er ist für die physischen Tests sonst nicht bereit."
    Er glaubte, einen Moment lang in ihrem Gesicht zu erkennen, dass sie tatsächlich etwas wie Mitgefühl empfand, als sie ihn zum Essen entließ, aber vielleicht bedauerte sie auch nur, weitere Versuche verschieben zu müssen, bis seine lästigen Grundbedürfnisse befriedigt waren.
    "Sehr vorausdenkend. Dann muss ich mich dieses Mal vielleicht nicht auf Ihre Schuhe übergeben, wenn Sie mir zuviel Synthemesc auf leeren Magen geben. Wirklich clever." So sarkastisch sie auch klingen mochte, die Aussage war sein voller Ernst und so sprach er sie mit einem freundlichen Lächeln aus wie immer, während sich bereits zwei Wärter hinter ihm postierten und ihn hinausdrängten.Kurz überlegte er, diese zu fragen, wie denn der Speiseplan für heute aussähe, doch ihn beschlich ein Gedanke, dass er keine freundliche Antwort erhalten würde. Ebenso wollte er Ms. Watson noch ein "Bis später, Doc." zurufen, als ihm ihr fehlender Doktortitel wieder einfiel und so schwieg er in Ermangelung einer korrekten Ansprache und ergab sich der stillen Vorfreude auf sein verspätetes Frühstück.

    Wie immer nickte er den Menschen in der Schlange zur Essensausgabe freundlich zu, doch keiner der stöhnenden Zombies erwiderte auch nur seinen Blick. Die Maschine, die ihm mit einem unappetitlichen, schmatzenden Geräusch einen grauen Schleim in die Schüssel spuckte, war leider nicht empfänglich für Sonderwünsche bezüglich seines Rühreis, aber dennoch schritt er damit leise pfeifend zu einem Tisch an der Wand und setzte sich zielstrebig neben die Person, die ihm am wenigsten apathisch erschien: Craig.
    "Mhm, es gibt wieder Pappmaché. Hoffentlich haben sie heute nicht wieder am Kleister gegeizt, was?", spöttelte er zu seinem neuen Tischnachbarn und stieß ihn dabei breit grinsend mit dem Ellenbogen an.
    Tjordas ist offline Geändert von Tjordas (27.08.2012 um 23:39 Uhr)

  11. #11
    Fionda per cereali  Avatar von Luceija
    Registriert seit
    Oct 2009
    Ort
    Köln, DE
    Beiträge
    13.908
    Eigentlich wollte er das 'Essen' diesmal ausfallen lassen und tatsächlich riskieren, dass man ihm als Antwort darauf einen matschigen Brei servieren würde, der allerdings keinen Umweg über seinen Mund nehmen würde, sondern direkt im Magen zu landen hatte. Aber selbst wenn dieses gräuliche Zeug, dessen Konsistenz undefinierbar schien, so eklig war wie es nur sein konnte, begann sein Magen beim Anblick der Schüsseln der anderen zu rebellieren. Also stand er doch seufzend auf, reihte sich in die Schlange ein um die klebrige Pampe aus dem Schlauch ins innere des Plastikbechers befördern zu lassen und griff sich einen der vollkommen ungefährlichen, abgerundeten Plastiklöffel, ehe er sich wieder setzte.
    Angewidert stocherte er in seinem Essen herum, ehe er sich dazu aufraffte, es tatsächlich zu verspeisen. Was hätte er auch sonst tun sollen...verhungern?

    Es dauerte nicht lange, da erdreistete sich einer der anderen Testsubjekte dazu, sich neben ihn zu setzen. Sofort schwang sein Blick um: Nicht in sein Gesicht, sondern direkt auf seinen Arm. Eine grosse 40 prangte auf dem hellen Fleisch. Für einen Moment jedoch hielt er inne und überdachte, was er da gerade getan hatte. Wieso in aller Welt waren es nicht seine Augen, die er zuerst begutachtete? Nein, nur seine Nummer. Er reduzierte sie selbst alle auf ihre Nummern und war dadurch auch nicht besser als die, die ihn hier mit Waffen bedrohten und gefangen hielten. Oder...?

    "Hör auf zu reden", flüsterte Craig zu seinem Nachbarn und versuchte sich den leichten Schmerz seines spasshaft gedachten Ellenbogenschlages nicht anmerken zu lassen. "Sie beobachten uns."
    Luceija ist offline

  12. #12
    Ritter Avatar von Tjordas
    Registriert seit
    May 2012
    Beiträge
    1.127
    Julian blickte nun zunächst ein wenig verwirrt um sich und betrachtete einige der Wachmänner etwas genauer, doch nach kurzem Zögern schien er keinen Grund mehr zur weiteren Vorsicht zu sehen.
    "Umso besser", nun erhob er sich und fuchtelte kurz mit seiner Schüssel in die Luft. "Die sollen ruhig wissen, dass ihr Essen nach Tapete schmeckt.", dann setzte er sich wieder und aß gemütlich von dem, was er eben nörgelnd angepriesen hatte, mit einem Appetit, der nichts davon verriet.
    "Und natürlich beobachten sie uns", fügte er dann schmatzend an, nun aber in etwas gedämpfterem Ton. "Die Frage ist eher, ob sie dabei etwas interessantes herausfinden". Wieder schob er einige Löffel des Breis nach und nahm sich, da sein Mund kurz gefüllt war, einen Moment Zeit, seinen Tischnachbarn genauer zu begutachten.
    "Hey, Sie sind doch der Kerl, den sie vorhin abgeführt haben. Sieht so aus, als wären wir Zellennachbarn!" Kurz wartete er wohl soetwas wie Begeisterung seitens Craig ab, die wohl ausbleiben sollte. "Ja, großartig nicht? Ich bin übrigens Julian. Julian Ward, und Sie? Jim tut's übrigens genauso. Oder Dr. Quirk, wenn Sie sich der Masse der Kretins hier anschließen wollen, die mich für einen Freak halten. Ja, ich bin Doktor, ganz recht. Nur worin weiß ich nicht mehr so recht. Lange Geschichte. Aber eins kann ich Ihnen sagen, es ist mit Sicherheit von größerer Bedeutung als das, was diese Quacksalber hier sonst so untersuchen. Auch wenn ich da genauso überfragt bin, worum es sich dabei handelt. Hören Sie mir überhaupt zu? Oh, ja, richtig, Sie haben ja sicher auch ein paar Drogen intus. Was haben Sie so bekommen? Wirklich spannend, was die hier alles zur Verfügung haben, nicht? Muss ein Vermögen gekostet haben. Sicher also keine staatliche oder allianzabhängige Institution hier. Muss was Privates sein. Privatmänner verschwenden gerne Geld, wissen Sie? Ach, davon kann ich ein Lied singen..." Und so schritt sein Redefluss immer weiter fort, nur gelegentlich unterbrochen durch nachgeschobenene Essensportionen, die er beim Sprechen in den Backentaschen zwischenspeicherte, bevor er sich erst einige Worte später Zeit zum Schlucken nahm. Nur allzu lebhaft gestikulierte er dabei mit dem Löffel herum, der nicht selten einige Spritzer des Breis in Craigs Richtung katapultierte.
    Tjordas ist offline

  13. #13
    Fionda per cereali  Avatar von Luceija
    Registriert seit
    Oct 2009
    Ort
    Köln, DE
    Beiträge
    13.908
    Fast schon panisch wandte Craig den Kopf zur Seite und verschluckte sich am verschwommenen Bild des lebensmüden Mannes, der wie die grösste Plaudertasche aus dem Nähkästchen schwafelte und damit nicht nur sein eigenes, sondern auch Craigs Leben aufs Spiel setzte. Wie viel auch immer dieser Kerl bekommen hatte, es musste definitiv zu viel gewesen sein! Oder das Falsche. Gerade so gelang es dem jungen Psychologiestudenten, den Breihappen in seinem Mund zu schlucken und nicht daran zu ersticken und lies den Löffel mit sofortiger Wirkung in die Schüssel zurückfallen, wo er in die Pampe klatschte und einen kleinen Bruchteil auf dem Tisch und den Klamotten der beiden Testsubjekte hinterlies. "Bist du denn-", begann er und presste dann instinktiv - mit einem stets wachen Auge in Richtung einer der Wachen, der in ihre Richtung lief auf Grund des Tumults den die beiden - oder besser Julian - veranstaltet hatte - seine Hand gegen Julians Mund um ihn zum Verstummen zu zwingen.
    Sofort hörte der junge Mann ein wohlbekanntes Knacken, welches zum Nachladen einer Waffe gehörte und fand sich dann ein weiteres Mal vor dem Lauf des Cerberus-Skunkworks-Fabrikat wieder. Ein unschuldiges, falsches Grinsen spielte sich auf seine Lippen, als er deutlich nervös in das vermummte Gesicht des Wachmannes sah. "Gibts hier Probleme..?", knurrte er ihnen entgegen und Craig schüttelte den Kopf.
    "Nein. Nein! Alles in Ordnung."
    "Dann haltet die Schnauze und esst!"
    Noch ein Nicken...und er gesellte sich zu den Anderen zurück.
    Craig seufzte und entlies damit die Luft, die er vor Schreck angehalten hatte. Das hier war knapp und hätte ganz anders ausgehen können. Wenn sie rauskriegen würden, dass sie-...dass wenigstens EINER von ihnen noch halbwegs bei Verstand war, würde es nicht lange dauern, ehe sie für das Gegenteil sorgen würden. "Bist du völlig Bescheuert..?!", zischte er daher an seinen Tischnachbarn, die Wache im Augenwinkel behaltend, auch wenn das was er von ihm sah sich nicht gross vom Inhalt seiner Schüssel unterschied. Er seufzte und brauchte viele Minuten, ehe er sich dazu ermutigen lies, einen weiteren Satz zu formen. "..bist noch nicht lange hier, hm?" Dabei wollte er wieder in Richtung Julians Arm blicken um die eintätowierten Zahlen genauer zu deuten, aber ohne seine Brille war das ein sinnloses Unterfangen.
    Luceija ist offline Geändert von Luceija (03.09.2012 um 01:12 Uhr)

  14. #14
    Ritter Avatar von Tjordas
    Registriert seit
    May 2012
    Beiträge
    1.127
    Auch der mehr als gesprächige Neuankömmling verlor relativ schnell die Sprache, als er die Geräusche eines Gewehrs im Anschlag vernahm. Obschon er in der Regel keine allzu große Furcht in der Gegenwart der Wärter empfand, so gab es doch bestimmte Dinge, die sich durch die recht häufige Gewaltanwendung bereits instinktiv eingebrannt hatten und dazu gehörte nunmal auch die unbewusste Assoziation zwischen dem Klicken von Sicherungsschaltern und einem Gewehrkolbenschlag im Genick. Wohl durch diesen kurzen Adrenalinschub begünstigt, mischte sich Julian unmittelbar in die Auseinandersetzung ein, indem er sich direkt nach Craigs verneinender Antwort zum Wachmann umwandte und ergänzte:
    "Mit diesem hirnverfaulten Gemüse hier kann man sich ohnehin nicht mehr unterhalten. Es kommt kaum mehr als Speichel aus seinem Sprechapparat", während er mit seinem Zeigefinger eine kreisende Geste an seiner Schläfe zeigte und sich dann wieder über sein Essen beugte. Erst, als die Wache in einiger Entfernung stand, ergänzte er mit nun gedämpfter Stimme:
    "Damit dürften Sie auf jeden Fall ein paar Idiotenpunkte gesammelt haben. Was mich betrifft: Mein halbwegs intakter Verstand scheint für die Burschen hier kein Problem zu sein. Oder zumindest scheint es, als wären sie angewiesen, es zu dulden. Wahrscheinlich will jemand sich nach meiner Obduktion neben das größte geangelte Hirn stellen können und sich dämlich grinsend mit erhobenem Daumen fotografieren lassen. Oder so ähnlich zumindest. Aber ein paar graue Zellen darf ich behalten."
    Leise schmatzend blickte er sich kurz im Raum um, bevor er leise anhängte:
    "Und? Schon 'nen alcatraz-mäßigen Fluchtplan parat?"
    Sein Ton war dabei erschreckend nüchtern, sodass kaum zu sagen war, ob er auf diese Frage eine ernstgemeinte Antwort erwartete, oder nur spöttelte.
    Tjordas ist offline

  15. #15
    Fionda per cereali  Avatar von Luceija
    Registriert seit
    Oct 2009
    Ort
    Köln, DE
    Beiträge
    13.908
    Verwirrt wandte er sich wieder seinem undefinierbaren Brei zu und ass ihn lieber, solange er noch konnte. Nein, er hatte keinen Plan. Flucht war keine Option und absoluter Wahnsinn. Sie befanden sich hier unter einer sicherlich meterdicken Schicht aus Eis und Schnee die es unmöglich machte...einen Tunnel zu Buddeln und welchen Quatsch auch immer zu tun. Und selbst WENN sie es schaffen würden auszubrechen und an den Wachen...und den Selbstschussanlagen...und den bewaffneten Ärzten...und den paar Varren...und den Alarmanlagen...und-..na jedenfalls allem vorbei zu kommen, dann stünden sie in einer wahren Eiswüste. Mit kleinen, hauchdünnen, orange-weissen, nummerierten Hemdchen, die nicht mehr Wärme abgaben als eine paar Efeublätter um ihre Körper. Nein. Es wäre ihr Tod. So oder so.
    Dementsprechend schüttelte er seinen Kopf und schob sich noch eine Ladung braune Pampe zwischen die Zähne, ehe er antwortend schmatzte: "Hier gibts keinen Weg raus. Glaub mir, ich habs versucht. Wenn wir nicht grade zufällig tot umfallen haben wir keine Chance jemals wieder etwas wie Tageslicht zu sehn."
    Und nachdem wieder einige Sekunden Ruhe herrschte, dachte er...er wäre es ihm schuldig. Nachdem er mehr Worte mit ihm gewechselt hatte als mit jedem anderen hier drinnen. "Ach und...ich bin Craig."
    Luceija ist offline

  16. #16
    Ritter Avatar von Tjordas
    Registriert seit
    May 2012
    Beiträge
    1.127
    Bei diesen erstmals etwas längeren Ausführungen seines bisher schweigsamen Sitznachbarn verschwand allmählich die naive Sorglosigkeit in Julians Gesicht. Nach einer Weile suchte er beim Zuhören auch nicht mehr den Blickkontakt, sondern richtete seine Augen jetzt in die allmählich leere Schüssel vor sich und schob die verbleibenden Reste des grauen Schleims gedankenverloren mit dem Löffel herum.
    "Das war leider zu erwarten", brummte er nur kurz, presste dann die Lippen unhörbar seufzend aufeinander und schwieg für einige Augenblicke. Erst als sich Craig ihm endlich mit Namen vorstellte, erwachte er aus seiner kurzen Abwesenheit und lächelte, nach kurzer Überraschung, freundlich, dann hob er die Schale vor sich an die Unterlippe und schaufelte den 'Tapetenkleister' mit einigen Löffelschwüngen restlos in seinen Mund. Offenbar beinahe stolz darauf, die Portion geleert zu haben, lehnte er sich in seinem Stuhl nach hinten und hielt seinen Löffel gestikulierend vor sich etwas in die Luft.
    "Da ich nicht annehme, dass du auf jemanden wartest, der dich pünktlich um Sieben abholt, Craig, und ein Ausbruch, wie du sagst, nicht in Frage kommt, werden wir wohl versuchen müssen, diesen inkompetenten Haufen davon zu überzeugen, dass sie uns nicht nur entlassen, sondern auch zum nächsten Raumhafen bringen sollen. Die Chancen dafür liegen wohl irgendwo nahe Null, aber das ist für dich immernoch einhundertmillionenmal wahrscheinlicher, als gemeinsam mit einem dieser medikamentengedüngerten Buchsbäume hier... Und Apropos: Versuch einen noch bescheuerteren Eindruck zu machen als bisher, der Wärter sieht gerade rüber"
    In diesem Moment hob Julian seine Hand und winkte dem misstrauischen Wärter am Ende des Saals mit einem naiven Grinsen zu, doch dieser drehte sich, statt sich provoziert zu fühlen, nur naserümpfend weg. Es war mehr als offensichtlich, dass Julian eine Sonderbehandlung erhielt, aus welchen Gründen auch immer.
    Tjordas ist offline Geändert von Tjordas (10.09.2012 um 19:37 Uhr)

  17. #17
    Fionda per cereali  Avatar von Luceija
    Registriert seit
    Oct 2009
    Ort
    Köln, DE
    Beiträge
    13.908
    Er blinzelte und warf einige Blicke zur Seite. Auch wenn sein Magen knurrte, entschloss er sich dazu, im Gegensatz zu Julian die Schüssel endgültig von sich weg zu schieben und zu ignorieren. Das war definitiv der ekelerregendste Frass, den er runterwürgen musste. "Du-..", begann er, schluckte dann aber nochmal etwas Speichel hinunter um wenigstens das Gefühl zu haben, dass alles endlich in seinem Magen verschwand und er nichtmehr daran denken musste. "..du spinnst.", vervollständigte er, stand von seinem Platz auf und lies den Stuhl dazu unangenehm laut quietschen. Ordnungsgemäss nahm er die gebrauchte Schüssel, stellte sie auf das Tablett zurück, schmiss sogar das Besteck daneben und verräumte alles säuberlich in einem Schacht, der die Utensilien automatisch zurück in die Küche beförderte. Doch lies er sich nicht nehmen Kopfschüttelnd noch einmal an Julian vorbei zu gehen, sich leicht zu ihm hinab zu beugen und zu flüstern: "Im Ernst jetzt J, wenn du meinst du kannst fliehen: Versuch es. Los. Starte dein kleines Selbstmordkommando. Aber ich sage, freunde dich lieber mit dem Gedanken an, noch eine Weile diesen Mist hier hinunter schlucken zu müssen."
    Luceija ist offline

  18. #18
    Ritter Avatar von Tjordas
    Registriert seit
    May 2012
    Beiträge
    1.127
    Kurz hob er eine Augenbraue in leichter Verwunderung über den aufgebrachten Zustand seines neuen Freundes, sah ihm auch noch einen Moment lang blinzelnd hinterher, doch begab er sich schon bald in eine gemütlichere Position auf seinem Stuhl, legte beide Hände in den Nacken und begann, den Blick an die Decke gerichtet, mit seinem Stuhl ein wenig zu kippeln. Gedankenabwesend berührten seine Finger dabei erneut die kahle Stelle an seinem unteren Hinterkopf, wo sich die Male einer Hirnoperation noch deutlich ertasten ließen. "Die Zeitspanne messen, nach der die Erinnerungen von selbst zugänglich werden", hatte die ansehnliche Assistentin gesagt. Die Formulierung klang fast wie seine eigene und daher war er sich sicher, dass es auch seine gewesen sein musste. Es war sein Fragebogen, und dennoch erkannte er ihn nicht wieder.

    Der Gedanke verließ ihn den restlichen Tag nicht mehr und je länger er daran bohrte, dest häufiger kam ihm alles vor, wie ein großes, seltsames Déjà-vu. Alle Ereignisse der Vergangenheit, die er versuchte aufzurufen, gaben nur kurze Impulse ihrer Existenz, bevor sie sogleich spöttisch kichernd wieder in seinem Unterbewusstsein abtauchten. Alle anderen seiner Denkprozesse schienen ihm hingegen nicht beschädigt worden zu sein, im Gegenteil: viele seiner Gedankengänge, gerade die logischen Folgerungen, waren ihm eine Leichtigkeit. Den restlichen Tag in sein Bett in der klinisch weißen Kammer beordert, hatte er innerhalb einer halben Stunde bereits einen perfekten Fluchtplan im Sinn, wovon sich jedes Detail sofort unvergesslich in sein Gedächtnis stanzte. Er selbst, üblicherweise sehr überzeugt von seiner eigenen mentalen Leistungsfähigkeit, war verwundert über diesen gewaltigen Leistungszuwachs. Doch es waren andere Dinge als dies oder der Ausbruchsplan, die seine Gedanken belagerten. Wilde Bild- und Wortfetzen, Gesichter, Stimmen, Namen sausten durch sein Bewusstsein und schrien förmlich nach einer sinnvollen Zuordnung, die ihnen verwehrt bleiben sollte. Und schließlich das Gesicht von Eveline Watson. Seit seinem rätselhaften Traum schien es ihm noch viel mystischer.

    "Dr. Ward?", unterbrach ihn nun die Stimme der besagten Dame, die er wohl seit geschlagenen zwei Minuten lediglich ansah, ohne zu antworten. Ihre Frage war irgendwann in seinen Gedanken einfach unwichtig geworden, als sich sein Blick in den Details ihrer Nasenproportion verlor.
    "Neurologie und Kybernetik", antwortete er er dann knapp, damit sie aufhörte zu reden und er sie besser ansehen konnte. Sie schaute ihn daraufhin verdutzt an und brachte erst nach einer erheblichen Pause eine Antwort heraus.
    "Und seit wann erinnern Sie sich daran?"
    "Tue ich nicht. Ich habe es mir einfach erschlossen. War nicht allzu schwierig." Evelines Mimik flimmerte zwischen Bewunderung und Resignation, bevor sie seufzend den Finger über das Feld 'Nein' hob, um es anzuwählen, doch griff seine Hand plötzlich nach ihrem Gelenk und hinter ihm hörte er das Geräusch von Gewehren, die entsichert wurden.
    "Aber ich fürchte, wenn Sie meiner Erinnerung nicht bald auf die Sprünge helfen, muss ich das schöne Gesicht verunstalten.", sagte jemand mit seiner Stimme, doch es war nicht er selbst. Dann lächelte jemand kühl mit seinen Lippen, doch er selbst war es nicht und ein Gewehrkolben traf seine Schläfe. Schwärze.
    Tjordas ist offline

  19. #19
    Fionda per cereali  Avatar von Luceija
    Registriert seit
    Oct 2009
    Ort
    Köln, DE
    Beiträge
    13.908
    Spoiler:(zum lesen bitte Text markieren)
    Zitat Zitat von Tjordas Beitrag anzeigen
    Kurz hob er eine Augenbraue in leichter Verwunderung über den aufgebrachten Zustand seines neuen Freundes, sah ihm auch noch einen Moment lang blinzelnd hinterher, doch begab er sich schon bald in eine gemütlichere Position auf seinem Stuhl, legte beide Hände in den Nacken und begann, den Blick an die Decke gerichtet, mit seinem Stuhl ein wenig zu kippeln. Gedankenabwesend berührten seine Finger dabei erneut die kahle Stelle an seinem unteren Hinterkopf, wo sich die Male einer Hirnoperation noch deutlich ertasten ließen. "Die Zeitspanne messen, nach der die Erinnerungen von selbst zugänglich werden", hatte die ansehnliche Assistentin gesagt. Die Formulierung klang fast wie seine eigene und daher war er sich sicher, dass es auch seine gewesen sein musste. Es war sein Fragebogen, und dennoch erkannte er ihn nicht wieder.

    Der Gedanke verließ ihn den restlichen Tag nicht mehr und je länger er daran bohrte, dest häufiger kam ihm alles vor, wie ein großes, seltsames Déjà-vu. Alle Ereignisse der Vergangenheit, die er versuchte aufzurufen, gaben nur kurze Impulse ihrer Existenz, bevor sie sogleich spöttisch kichernd wieder in seinem Unterbewusstsein abtauchten. Alle anderen seiner Denkprozesse schienen ihm hingegen nicht beschädigt worden zu sein, im Gegenteil: viele seiner Gedankengänge, gerade die logischen Folgerungen, waren ihm eine Leichtigkeit. Den restlichen Tag in sein Bett in der klinisch weißen Kammer beordert, hatte er innerhalb einer halben Stunde bereits einen perfekten Fluchtplan im Sinn, wovon sich jedes Detail sofort unvergesslich in sein Gedächtnis stanzte. Er selbst, üblicherweise sehr überzeugt von seiner eigenen mentalen Leistungsfähigkeit, war verwundert über diesen gewaltigen Leistungszuwachs. Doch es waren andere Dinge als dies oder der Ausbruchsplan, die seine Gedanken belagerten. Wilde Bild- und Wortfetzen, Gesichter, Stimmen, Namen sausten durch sein Bewusstsein und schrien förmlich nach einer sinnvollen Zuordnung, die ihnen verwehrt bleiben sollte. Und schließlich das Gesicht von Eveline Watson. Seit seinem rätselhaften Traum schien es ihm noch viel mystischer.

    "Dr. Ward?", unterbrach ihn nun die Stimme der besagten Dame, die er wohl seit geschlagenen zwei Minuten lediglich ansah, ohne zu antworten. Ihre Frage war irgendwann in seinen Gedanken einfach unwichtig geworden, als sich sein Blick in den Details ihrer Nasenproportion verlor.
    "Neurologie und Kybernetik", antwortete er er dann knapp, damit sie aufhörte zu reden und er sie besser ansehen konnte. Sie schaute ihn daraufhin verdutzt an und brachte erst nach einer erheblichen Pause eine Antwort heraus.
    "Und seit wann erinnern Sie sich daran?"
    "Tue ich nicht. Ich habe es mir einfach erschlossen. War nicht allzu schwierig." Evelines Mimik flimmerte zwischen Bewunderung und Resignation, bevor sie seufzend den Finger über das Feld 'Nein' hob, um es anzuwählen, doch griff seine Hand plötzlich nach ihrem Gelenk und hinter ihm hörte er das Geräusch von Gewehren, die entsichert wurden.
    "Aber ich fürchte, wenn Sie meiner Erinnerung nicht bald auf die Sprünge helfen, muss ich das schöne Gesicht verunstalten.", sagte jemand mit seiner Stimme, doch es war nicht er selbst. Dann lächelte jemand kühl mit seinen Lippen, doch er selbst war es nicht und ein Gewehrkolben traf seine Schläfe. Schwärze.


    "Hey.", klang eine Stimme an Julians Ohr. Craigs Stimme. Die Stimme von #21. Die Stimme eines ausgehungerten, schlacksigen Mannes, der den nackten Körper des unbekannten Arztes mit einer Hand an der Schulter versuchte durch Schütteln aufzuwecken. Wasser preschte auf ihn ein, während er auf den Fliesen lag und eine kleine Platzwunde an der Schläfe zu haben schien. Nicht gerade ungefährlich an einer solchen Stelle. Craig sah sich um, durch den Schutz der achtunddreissig anderen, duschenden Testsubjekten hindurch und beobachtete die Wachmänner, die den Raum verliessen und zuvor noch Julian in den Raum geschleift hatten. Es war ihm schon aufgefallen, dass er heute beim 'Frühstück' - aka ekelhafte, ungeniessbare aber Nährstoffreiche Pampe - gefehlt hatte, hatte aber keine Ahnung weshalb. Und jetzt dieser Zustand, in dem sie ihn ohne Kleidung in die Dusche geworfen hatten und der junge, ehemalige Psychologiestudent seine zweifarbigen, besonderen Augen auf ihn und die letzten Rinnsale Blut richten konnte. "He..J, wach auf. Alles in Ordnung?", flüsterte er weiter und rüttelte nun mit beiden Händen an ihm. War er tot? Aber-..nein. Tote wurden direkt aussortiert und ersetzt. Man sah sie nie. Also musste er leben. Irgendwie. Zumindest fühlte Craig noch einen Puls.
    Die Situation war eigenartig. Aber dennoch strich er sich durch das nasse Haar, dass bereits schon wieder weiss auswuchs und wie ein Kalender davon zeugte, dass er lange nichtmehr die Pillen geschluckt hatte, die ihm innert weniger Minuten die schlohweisse Farbe mit sattem Schwarz überdeckte.
    Luceija ist offline

  20. #20
    Ritter Avatar von Tjordas
    Registriert seit
    May 2012
    Beiträge
    1.127
    Auf der Seite liegend hob Julian allmählich seine Augenlider, sodass Tropfen des Duschwassers sofort seine Augäpfel benetzten und seine Sicht erneut vernebelten. Erst allmählich setzte etwas wie ein Blinzeln bei ihm ein, dass den trüben Blick etwas klärte. Eine halbwegs bekannte Stimme sprach mit ihm, aber er verschob es auf später, zu entschlüsseln, was sie ihm mitteilen wollte. Stattdessen hob er seine Hand von den Fliesen auf, ließ die Finger hinunterhängen und beobachtete mit Faszination, wie die Tropfen daran hinunterflossen, sich an den Spitzen sammelten und hinuntertropften. Dummerweise tropften diese immer viele zu früh und ungleichmäßig, da er ständig unangenehm von jemandem geschüttelt wurde. Träge drehte Julian daher den Kopf zu Craig und blickte abwechselnd in seine beiden Augen. "Du hast ja zwei Augenfarben, Craig.", war nach langem Starren seine seltsame Begrüßung und sicher wäre auch das kindische Grinsen gefolgt, hätte er nicht den penetranten Schmerz wieder bemerkt, der seinen Kopf durchbohrte. "Was soll das hier? So übel habe ich doch sicher auch nicht gerochen, dass man mich in die Dusche prügeln muss", witzelte er dann mit einem gewissen Galgenhumor, während er sich in die Hocke begab, die Beine angezogen, und sein von den Fliesen geblendetes Gesicht in den Händen verbarg.
    Tjordas ist offline

Seite 1 von 3 123 Letzte »

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •