Zitat von
Tjordas
Kurz hob er eine Augenbraue in leichter Verwunderung über den aufgebrachten Zustand seines neuen Freundes, sah ihm auch noch einen Moment lang blinzelnd hinterher, doch begab er sich schon bald in eine gemütlichere Position auf seinem Stuhl, legte beide Hände in den Nacken und begann, den Blick an die Decke gerichtet, mit seinem Stuhl ein wenig zu kippeln. Gedankenabwesend berührten seine Finger dabei erneut die kahle Stelle an seinem unteren Hinterkopf, wo sich die Male einer Hirnoperation noch deutlich ertasten ließen. "Die Zeitspanne messen, nach der die Erinnerungen von selbst zugänglich werden", hatte die ansehnliche Assistentin gesagt. Die Formulierung klang fast wie seine eigene und daher war er sich sicher, dass es auch seine gewesen sein musste. Es war sein Fragebogen, und dennoch erkannte er ihn nicht wieder.
Der Gedanke verließ ihn den restlichen Tag nicht mehr und je länger er daran bohrte, dest häufiger kam ihm alles vor, wie ein großes, seltsames Déjà-vu. Alle Ereignisse der Vergangenheit, die er versuchte aufzurufen, gaben nur kurze Impulse ihrer Existenz, bevor sie sogleich spöttisch kichernd wieder in seinem Unterbewusstsein abtauchten. Alle anderen seiner Denkprozesse schienen ihm hingegen nicht beschädigt worden zu sein, im Gegenteil: viele seiner Gedankengänge, gerade die logischen Folgerungen, waren ihm eine Leichtigkeit. Den restlichen Tag in sein Bett in der klinisch weißen Kammer beordert, hatte er innerhalb einer halben Stunde bereits einen perfekten Fluchtplan im Sinn, wovon sich jedes Detail sofort unvergesslich in sein Gedächtnis stanzte. Er selbst, üblicherweise sehr überzeugt von seiner eigenen mentalen Leistungsfähigkeit, war verwundert über diesen gewaltigen Leistungszuwachs. Doch es waren andere Dinge als dies oder der Ausbruchsplan, die seine Gedanken belagerten. Wilde Bild- und Wortfetzen, Gesichter, Stimmen, Namen sausten durch sein Bewusstsein und schrien förmlich nach einer sinnvollen Zuordnung, die ihnen verwehrt bleiben sollte. Und schließlich das Gesicht von Eveline Watson. Seit seinem rätselhaften Traum schien es ihm noch viel mystischer.
"Dr. Ward?", unterbrach ihn nun die Stimme der besagten Dame, die er wohl seit geschlagenen zwei Minuten lediglich ansah, ohne zu antworten. Ihre Frage war irgendwann in seinen Gedanken einfach unwichtig geworden, als sich sein Blick in den Details ihrer Nasenproportion verlor.
"Neurologie und Kybernetik", antwortete er er dann knapp, damit sie aufhörte zu reden und er sie besser ansehen konnte. Sie schaute ihn daraufhin verdutzt an und brachte erst nach einer erheblichen Pause eine Antwort heraus.
"Und seit wann erinnern Sie sich daran?"
"Tue ich nicht. Ich habe es mir einfach erschlossen. War nicht allzu schwierig." Evelines Mimik flimmerte zwischen Bewunderung und Resignation, bevor sie seufzend den Finger über das Feld 'Nein' hob, um es anzuwählen, doch griff seine Hand plötzlich nach ihrem Gelenk und hinter ihm hörte er das Geräusch von Gewehren, die entsichert wurden.
"Aber ich fürchte, wenn Sie meiner Erinnerung nicht bald auf die Sprünge helfen, muss ich das schöne Gesicht verunstalten.", sagte jemand mit seiner Stimme, doch es war nicht er selbst. Dann lächelte jemand kühl mit seinen Lippen, doch er selbst war es nicht und ein Gewehrkolben traf seine Schläfe. Schwärze.