Nützliche Vandalen
Firmen und Staaten Versagen beim Datenschutz. Das machen die Hacker von Anonymous sichtbar – gut so | von Götz Hamann
Vor zwanzig Jahren kamen Aktivisten im Schlauchboot oder seilten sich von Kühltürmen ab. Heute schleichen sie sich über Datenleitungen an und attackieren Konzerne, Regierungen und deren Dienstleister – wie am vergangenen Wochenende. Da gab das Hacker-Netzwerk Anonymous bekannt, dass es erneut einen großen Datendiebstahl begangen hat. Es trag die US-Firma Stratfor, die Analysen über die Sicherheitslage in Ländern und Regionen erstellt - und damit traf es auch ihre deutschen Kunden.
Natürlich war dieser Datendiebstahl ein Verstoß gegen geltendes Recht, und deshalb sitzen Dutzende Hacker, die früher Einbrüche zu verantworten haben, auch im Gefängnis. Aber wer die Hacker nun für schlichte Verbrecher hält, hat die Welt des 21. Jahrhunderts nicht verstanden.
Anonymous erinnert in seinem groben zivilen Ungehorsam an die frühen Ökoaktivisten von Greenpeace. Die kämpften einst gegen Atomtests auf dem Mururoa-Atoll, gegen den Walfang und gegen umweltverschmutzende Ölkonzerne. Dabei brachen die Aktivisten ebenfalls diverse Gesetze, ihre Ziele aber halten viele Menschen bis heute für ehrenwert. Und warum? Weil der Staat damals versagte und es des brachialen Protests bedurfte, um weiteres Unrecht zu verhindern.
Auch die Hacker von Anonymous treibt nicht die Profitgier, sondern die gute Sache oder das, was sie dafür halten. In nahezu hundert Fällen haben sie einem jeden, der es sehen will, vor Augen geführt, wie verantwortungslos Unternehmen und Behörden mit einem der kostbarsten Güter umgehen, die es im 21. Jahrhundert gibt: den digitalen persönlichen Daten. Des halb haben ihre Aktionen tatsächlich gesellschaftlichen Wert.
Im Fall Stratfor konnten die Hacker auf vier Computer der Sicherheitsfirma zugreifen und 200 Gigabyte Daten abgreifen. Wieso? Weil sie eine Schwachstelle in einem Standard-Computerprogramm kannten, das Stratfor benutzt. Mit diesem Programm verwaltet man die Adressdaten von Kunden. Stratfor tat dies unverschlüsselt, und als wäre das nicht genug, gehörten zu den Datensätzen viele Tausend Kreditkartennummern (inklusive des Sicherheitscodes auf der Rückseite der Karte).
Gerichte bis hoch zum Bundesverfassungsgericht messen persönlichen digitalen Daten eine hohe Schutzbedürftigkeit zu. Ein eigenes Grundsatzurteil beschreibt das Recht auf >>informationelle Selbstbestimmung<< in der digitalen Welt, weil solche Daten für die Richter zum inneren Kern der Privatsphäre gehören. Dieser Raum, in dem sich jeder Bürger unbehelligt und frei entfalten können soll, erstreckt sich auf die Wohnung und die unbeobachtete Kommunikation per Brief, Telefon und Internet. Hier darf kein Staat (ohne sehr triftigen Grund) und schon gar keine Firma zugreifen. Hinein darf nur der, den ein Mensch von sich aus hineinlässt – und als eine solche Erlaubnis gilt, wenn man einer Firma einige Daten überlässt, um ein Geschäft abzuwickeln.
Kommen diese Daten aber unkontrolliert in Umlauf, kann der Ruf eines Menschen darunter leiden. Oder er verliert Geld. In jedem Fall aber schränkt es seine Selbstbestimmung ein. Das Argument der Verfassungsrichter lautete: Wenn der Einzelne fürchten muss, was andere über ihn wissen, wird er sein Verhalten verändern, vorsichtiger handeln - und wäre damit weniger frei.
Datenverluste müssen so teuer werden, dass es Unternehmen schmerzt
Man könnte nun sagen: Die paar Informationen! In einem Fall! Ist ja eine Ausnahme! Aber dem ist nicht so. Diese Datenschluderei hat System, und dieses System zieht sich durch die gesamte westliche Welt, weil kein Staat die verantwortungslosen Datenmanager in Unternehmen und Behörden zur Verantwortung zieht. Man lässt sie gewähren, wie man früher Walfänger und Ölkonzerne gewähren ließ. Anders ausgedrückt: Der Staat versagt.
Aber in der Analogie zu den Ökoaktivisten liegt auch die Lösung. Deren Protest hat einst das Bewusstsein der Bevölkerung verändert. Folge dieses veränderten Bewusstseins waren schließlich Umweltschutzgesetze, die ihren Namen verdienen, und seither ist, wie zuletzt der Ölkonzern BP erfahren hat, für Umweltsauereien ein hoher Preis zu zahlen. Der Konzern entschädigt die Opfer der Ölpest im Golf von Mexiko mit bis zu 20 Milliarden Dollar.
Die Entschädigung für eine der größten Datenpannen ist etwa um den Faktor 1000 kleiner: Der Unterhaltungselektronik-Konzern Sony, der sich Ähnliches zuschulden kommen ließ wie nun die Firma Stratfor, verschenkte an die Opfer ein paar Filme und ein bisschen Software. Alles aus dem eigenen Haus. Es kostete ihn fast nichts.
Hier muss der Gesetzgeber ansetzen. Er muss pauschalierte Schadenssummen für fahrlässige Datenverluste so hoch bemessen, dass es Behördenvorsteher und Manager schmerzt. Dass es ihre Jobs bedroht – und die Dividende der Aktionäre. Für Anonymous heißt das umgekehrt: Wenn der Gesetzgeber sein Versäumnis aufarbeitet, müssen die Hacker weiterziehen (nach China vielleicht). Denn ohne Staatsversagen gibt es keinen legitimen zivilen Ungehorsam. Daran wird sich zeigen, ob sie die wahren Erben von Greenpeace werden – oder moderne Vandalen.