-
Mit knirschenden Zähnen verband er so gut wie er konnte die Wunde, mit Druck, damit nicht noch mehr Blut austreten konnte. Sein Blick fiel auf die lange Narbe, die diagonal von der linken Schulterpartie bis zur Bauchmuskulatur verlief und weckte unerwünschte Erinnerungen wach. Doch ein Schluchzen ließ ihn aufschrecken und die Personen erblicken, die er eigentlich retten wollte - Erlösen von ihrem Leid. So stand es ihm zu mindestens bisher im Sinn.
Sie war gefesselt und geknebelt und trotz verweinter Augen schön anzusehen - Doch bevor Noxus sich entscheiden konnte, wie er nun vorgehen wollte, schloss er die Tür und zog sein rostiges Messer um es auf den Tisch zu legen. Dabei bewegte er sich absichtlich langsam und verschmähte sich im selben Moment für den offensichtlichen Genuss von Macht.
»Nun.«, meinte er nach einigen Augenblicken der Stille und ging vor der Frau in die Hocke, löste ihren Knebel und blickte ihr in die Augen. Trotz des Chaos hatte das ganze für ihn eine durchaus erotische Situation, die ehemalige Gefangene war wie er teilweise entkleidet, doch würde er diesen Weg nicht einschlagen. Oder etwa doch?
Der Schwarzmagier fuhr mit der Zunge über die Zähne und setzte schließlich hinzu: »Wer bist du?«
-
Wald von Faring, Myrtana, Varghashs Kürschnerei
"B-Belana...", stotterte sie, während sie in seine kalten Augen blickte. Erstaunlicherweise ließ sie der Blick, obwohl sie mitansehen musste, wie Galen sich beim Anblick des Fremden gefürchtet hatte, recht kalt, auch wenn die weißen Pupillen etwas Beängstigendes an sich hatten. Doch entweder lag es daran, dass sie schon wesentlich Schlimmeres erdulden musste, als sie noch eine Sklavin des Schamanen war oder weil der Fremde seine Magie nicht anwandte. Denn dass er ein Magier sein musste, daran zweifelte sie nicht. Nur ein Magier konnte es mit drei Halunken gleichzeitig ohne schwere Waffe aufnehmen, dessen war sie sich sicher.
Noch immer am ganzen Leibe zitternd hockte sie immer noch in verkrampfter Stellung vor ihm und betete innerlich, dass sie die Sache lebend überstehen würde.
"Tu- tut mir nichts", presste sie schließlich flüsternd hervor, "I-Ich bitte euch, versch-schont mich! Ich w-werde alles tun, w-was ihr verlangt, a-aber bi-bitte-"
Die letzten Worte blieben ihr im Halse stecken, da sie abermals vor lauter Angst weinen musste. Der leichte Geruch von ihrem eigenen Urin stieg langsam auf, während sie sich in der Ecke verkroch, ein seelisches Wrack. Vermutlich hätte sie sich in normaler geistiger Verfassung dafür geschämt, doch zu groß waren für sie die Strapazen der letzten Woche gewesen, als dass sie noch auf Rettung zu hoffen wagte.
-
Die Frau vor ihm hatte deutlich mehr durchgemacht, als Noxus ihr zugetraut hatte. Das ganze hier war scheinbar nicht über Nacht gelaufen. Er wusste nicht, ob es Mitleid war, wenn man den Schmerz seines Gegenübers kannte und somit nachvollziehen konnte. Wahrscheinlich schon, was sollte es denn sonst sein?
Ohne weiter zu zögern, packte er die Klinge und ging auf sie zu, kniete kurz, beachtete das Schluchzen nicht weiter und schnitt mit einem kurzen Ruck die Fesseln durch, packte sie dann an den Schultern und raffte sie auf. Sie stand, wenn auch zitternd, ohne sich weiter zu bewegen, als ob sie auf eine Erlaubnis zu bloßen Atmen wartete. Der Schwarzmagier zog sich seine Robe über, verstaute die Klinge und öffnete die Tür und schritt auf sie zu, hielt dann inne und meinte zu Belana:
»Du solltest mitkommen, es gibt unweit von hier einen kleinen Teich, ich schätze du würdest anfangs Süßwasser bevorzugen,« sprach er und deutete auf die Schrammen an den Handgelenken, »Ich bin mit einem Schiff hier, also kann ich dir Verpflegung und etwas zum Anziehen anbieten. Und eine Reisemöglichkeit.«
Das Weißauge verstummte für einen Augenblick, fuhr abermals mit ernsten Blick durch die Hütte und suchte nach etwas brauchbarem, packte dann einen recht schmalen Goldbeutel und einige Felle über die Schulter und blickte abermals zu der neuen Bekanntschaft.
»Da, falls du hier bleiben willst, wirst du das brauchen. Die Feuermagier sind garstige Wesen.«
Den Goldbeutel vor ihren Füßen ließ er sie stehen und schritt langsam aus der Hütte. An ihrer Stelle wäre er ebenfalls recht umsichtig mit seiner Entscheidung gewesen.
-
"D-Danke", erwiderte sie atemlos und versuchte stehen zu bleiben. Ihr war als würden tausende von Ameisen durch ihre Beine und Arme krabbeln und sie von innen auffressen, während sie ein wenig orientierungslos durch das Fachwerkhaus taumelte. Es dauerte einige Zeit, bis sie sich sicher genug fühlte die Treppe hinauf auf den Dachboden zu gehen, wo ihre Sachen lagen. Tatsächlich dauerte es nicht lange, bis sie auch diese gefunden hatte, viele der Waffen, welche die Hehler hier lagerten, waren offenbar schon längst verkauft worden oder in ein anderes Lager gebracht. Der Beutel mit ihrer Reisekleidung, dem grünen Satinkleid und dem Meteoritenerzbrocken war jedoch glücklicherweise immer noch dort, wo Galen ihn abgelegt hatte. Sie erinnerte sich noch an seine letzten Worte bezüglich seines Versprechens, wenn er den Brocken nicht verkaufen würde und ihr Innerstes verkrampfte sich geradezu bei den üblen Gedanken die in ihr aufstiegen.
Nein, das war jetzt vorbei, sie würde nicht mehr daran denken!
Stattdessen zog sie lieber ihre vom Urin durchnässte Unterwäsche aus, wischte sich damit den letzten Rest Körperflüssigkeit ab und warf sie achtlos in die Ecke des Dachbodens. Selbst wenn sie eine Wäscherei finden würden oder sie in den Waschzuber tauchen würde, dieser Stoff war eindeutig hinüber und würde auch nach zehnmal baden stinken wie vom ersten Tag an. Zumal der Urin noch das kleinste Übel war...
Sie ging schließlich nach unten, setzte sich dort auf einen kleinen Schemel und begann schließlich ihre schwarze, enge Hose, ihr eng anliegendes Korsett sowie die Reisestiefel anzuziehen. Es störte sie dabei nicht, dass der Unbekannte ihr dabei zuschauen könnte, auf Feinheiten legte sie jetzt keinen Wert und er wäre nicht der erste Magier, welcher ihren zierlichen Körper sowie ihre Weiblichkeit gesehen hätte. Was sie wollte, war einfach nur weg von diesem grauenhaften Ort.
Als sie schließlich fertig war, gesellte sie sich zu dem Fremden, zu welchem sie zu ihrer eigenen Verwunderung recht schnell Vertrauen aufbaute. Vielleicht war es nur, weil sie wieder auf einen weiteren Menschen angewiesen war, der sie aus ihrer Not befreite wie es einst Keala tat, vielleicht war es aber auch das Gefühl, welches eine Frau verspürte, wenn ein Mann sie gerade aus einer schrecklichen Situation befreit hatte. Jedenfalls begann sie nicht mehr zu stottern, als sie ihn schließlich erneut ansprach.
"Uhm... falls es mir erlaubt ist zu fragen", meinte sie schließlich ein wenig schüchtern, als sie neben ihm herging, "aber: Wie heißt ihr?"
-
Ein Grinsen durchzog das Gesicht des Schwarzmagiers - Wie oft hatte er diese Frage schön gehört. Wie oft hatte er geantwortet, fast immer auf verschiedene Weise. Da er bei Belana, falls das ihr richtiger Name war, sich mit Sicherheit keine Sorgen darüber machen musste, dass sie mit dieser Information auf die Straßen rannte um sie hinauszuposaunen, beschloss er ihr diesen zu verraten. Und zwar ohne mystische Andeutung, wie er es sonst so gerne tat.
»Man nennt mich Noxus Exitus, Ihr könnt mich gerne Noxus oder einfach Nox nennen, wie es Euch beliebt.«, sagte er absichtlich höflich, in der Hoffnung ihr zu zeigen, dass diese entwürdigenden Ereignisse mit Sicherheit keinen Einfluss auf seine Meinung hatten - Dafür kannte er so etwas zu gut.
Nach einem kurzen Stück der Strecke lenkte er ein und zeigte in Richtung des kleinen Teiches.
»Ich brauche nicht lange, nur bin ich ein wenig verschwitzt.«, meinte er knapp, während er sich entkleidete. Er hasste es verschwitzt in Klamotten zu eingefangen zu sein und da das immerhin durch die Rettung der irritierten Dame verursacht wurde, konnte diese einen kurzen Moment warten. Für einen lächerlichen Augenblick stellte er sich vor, wie sie seine Robe und restliche Kleidung nehmen und abhauen würde. Das hätte etwas komisches an sich wenn er nackt zum Ork Schamanen spazieren müsste.
Das Wasser war kalt und weniger zum Trinken geeignet, vor allem war der Teich, den er insgeheim bereits Trollpfütze getauft hatte, nicht sonderlich groß, sodass er sich knien musste um komplett unterzutauchen. Die Kälte ordnete seine Gedanken und ließ ihn nochmals über die Sachlage nachdenken. Wenn er Belana mit an Bord nimmt, falls sie das überhaupt möchte, müsste sie auf ihm liegen, so wenig Platz war in ihrer Kajüte. Obwohl, für sie würde der schrullige Kapitän vielleicht noch ein Plätzchen finden? Er könnte auch einfach auf dem Deck schlafen, Erkältung waren in seinem Fall sehr selten, dafür hatte Nordmar bereits gesorgt. Außerdem müsste er Rok Shar noch einweihen, wobei es diesem wohl komplett egal ist, solange sie endlich an ihrem Ziel ankommen.
Die Sonne neigte sich dem Horizont zu, sie müssten bald aufbrechen.
-
Sie lächelte als Noxus sich zum Teich begab. Offenbar machte es ihm ebenso wenig aus sich vor fremden Leuten zu entkleiden als ihr. Sie musste lächeln, wenn sie daran zurückdachte, wie sie Lucia irritiert hatte, als sie sich vor ihr ausgezogen hatte, das war durchaus erheiternd.
Ihr fiel allerdings auf, dass auch sie ein Bad dringend nötig hatte. Der Körpergeruch, welchen sie in dieser Woche angenommen hatte, war alles andere als feierlich gewesen.
"Sofern es euch nicht stört", meinte sie schließlich, "begebe ich mich ebenfalls hinzu. Ein Bad könnte ich jetzt auch vertragen."
Belana glaubte, dass er genickt hatte oder evtl. hatte sie es sich eingebildet, der Mann, der sich ihr als Noxus vorgestellt hatte, schien offenbar in Gedanken versunken zu sein und die Ruhe zu genießen. Da er sich ihr gegenüber bisher höflich verhalten hat und sie bei ihm langsam ein gutes Gefühl entwickelte, zog sie sich ebenfalls aus und badete sich ebenfalls.
Sie genoss das kühle Wasser regelrecht, als sie darin eintauchte, zumal damit jegliche Müdigkeit sowie der Schmutz der letzten Woche von ihr abfielen.
-
Das nasse Haar klebte ihm am Leib, er spürte die Spitzen bis tief in den Rücken. Sie wuchsen nicht mehr weiter, was ihm sehr recht war, denn weitere Länge wäre hier eindeutig fehl am Platz. Damit sie nicht im Gesicht hingen, strich er sie mit der Rechten zurück, indem er den Kopf kurz in den Nacken legte.
»Sofern es euch nicht stört begebe ich mich ebenfalls hinzu. Ein Bad könnte ich jetzt auch vertragen.«
Noxus nickte nur, ohne sich direkt zu Belana zu drehen. Trotz aller Umstände war er noch immer ein Mann und wollte die Situation nicht peinlich werden lassen. Besonders weil das Wasser nicht sonderlich hoch war. Also ließ er den Blick dem Teich entgegen geneigt und als er sich Sauber genug fühlte, stieg er aus - Sein Blick blieb für einen kurzen Moment an ihrem Busen hängen, doch marschierte er dennoch ohne zu zögern aus dem Wasser, trocknete sich mit einem der weniger fusseligen Felle ab und zog sich an.
Wie froh er doch in diesem Moment war, dass seine Robe Geheimnisse für sich behielt.
-
Auch die junge Damen verließ nach wenigen Augenblicken die Trollpfütze, trocknete sich ab und zog sich an. So sehr Noxus auch versuchte die Waldluft und deren Landschaft zu genießen, fielen ihm immer wieder blaue Flecken und gerötete Hautstellen auf. Das ließ ihn bewusst werden, dass sein Handeln wahrscheinlich das Richtige war.
Trotzdem sollten sie nun allmählich aufbrechen, Rok Shar wurde sicherlich ungeduldig, vor allem da die Sonne bereits unterging und der Kapitän meinte, sie seien nun bereit zur Abreise. Wenn er nicht zu viele gehoben haben sollte.
Die Waldgrenze war nicht weit entfernt, schon bald war das kleine Schiff an der sandigen Bucht zu sehen und auch der Orkschamane, der ihnen bereits entgegen kam.
»Morra lassen sich Zeit! Morra lassen sich zu viel Zeit! Und bringen noch mehr Morras mit!«, brüllte dieser wütend und machte seinen Vorwurf mit einem Nicken Belana entgegen wirkend.
»Beruhige dich, ich komme gleich nach. Sag dem Kapitän, er soll die Segel setzten.«, ihm war hierbei bewusst, dass dies nur eine Redewendung war - Der alte, schrullige Kapitän würde wohl kaum hier Segel setzten.
Der Schwarzmagier drehte sich nun zu Belana um, »Und? Willst du mitkommen? Oder hierbleiben?«
-
Reagans Kontor, Vengard, Myrtana, Hauptstadt des Großreiches Rhobars III.
Nachtfalter, Motten und Stechmücken tanzten um die Laterne hinter seinem Rücken, die mit ihrem goldgelben Glanz den Wandelgang erhellten. Yared ließ die Beine baumeln. Er hatte sich auf den Balken der Balustrade gesetzt, welche die umlaufenden Galerie im ersten Stock des Kontors vom Innenhof trennte. Feine grünliche Rauchschwaden stiegen aus seiner langstieligen Pfeife auf.
Der Kapitän hatte sich gut eingelebt. Nach ein paar Tagen Ruhe hatte Yared angefangen sich in den Haushalt einzufügen, schließlich wollte er seinem Onkel nicht auf der recht gut, wenn nicht prall gefüllten Tasche liegen. So hatte er Onkel Reagan und Ron schließlich sogar im Kontor ausgeholfen und sich selbst dabei bewiesen, dass, auch wenn er bei weitem nicht so fachkundig war was das Tuchgeschäft anging wie seine Verwandtschaft, er das Handelsgeschäft besser als je zuvor beherrschte. Er hatte als Ältermann der Sildener Südmyrtana Schiffer- und Handelskompanie ja auch mehr als genug Übung gehabt.
Nun waren Ron und Onkel Reagan für ein paar Tage auf Messe nach Montera gefahren.
Yared hatte den ganzen Vormittag lang den Laden beaufsichtigt und war dann am späten Nachmittag auf den Markt gegangen. Irgendwie hörte er noch immer das Quietschen seiner neuen Lederstiefel, seiner ersten Neuanschaffung, die er mit Geld seines Anteils an den treliser Handelskompaniegeschäften getätigt hatte, obgleich sie längst in seinem Zimmer neben der Tür standen. War das Kraut vielleicht etwas zu stark?
Seine Erinnerung an das Stopfen der Pfeife abrufend betrachtete er den Pfeifenkopf in seiner Rechten.
Der Sappeur wusste vom strickten Sumpfkrautverbot durch die Kirche Innos', aber Maeve und ihr Kind waren bereits zu Bett gegangen und er selbst hatte zuvor das Tor zum Innenhof abgeschlossen. Wenn sich nicht ein Ordnungshüter über die Dächer der Stadt anpirschen sollte, war er vor Entdeckung sicher.
Der einzige, der einen Schlüssel hatte und in Vengard weilte, war Martus, der sich aber zur Zeit nur selten Blicken ließ. Als Hauptmann bei der Garde schob er eigentlich eine ruhige Kugel im Palast auf der anderen Flussseite, immerhin weilte der König noch immer auf Argaan, doch war er seit einigen Tagen schon nicht mal mehr zum Schlafen herübergekommen und in der Stadt mehrten sich die Gerüchte, dass das Einlaufen eines Kurierbootes, einer dieser kleinen hochseetauglichen Kutter der Marine, etwas damit zu tun hatte. Man munkelte von schlechten Nachrichten und davon, dass der Generalstab hinter verschlossenen Türen beriet. Das ganze wurde durch Berichte von Handelsschiffern angeheizt, die vor zwei Tagen von den Südlichen Inseln zurückgekehrt waren und vom Fall der Baronie Silbersee, von verlustreichen Rückzugsgefechten mit Waldgeistern und schließlich von einem zurückgeschlagenen Überfall auf Thorniara zu erzählen wussten.
So abenteuerlich das alles klingen mochte, fragte sich Yared doch hauptsächlich, was Jarvo geritten haben mochte, dass er sich mit den Aufständischen Argaanern verbündete.
Yared verließ diesen Gedankengang ruckartig, als er hinter sich eine der Dielen knarren hörte.
"Yared, du hast Ron und meinen Bruder angelogen."
Maeve hatte bisher recht wenig mit ihm gesprochen, wohl auch, weil er sich ständig im Laden, im Lager oder in der Stadt herumtrieb und sie für ein Neugeborenes zu sorgen hatte, dennoch oder gerade deswegen kam diese Feststellung mehr als unerwartet.
"Woran hast du es gemerkt?", fragte er ohne es abzustreiten.
Sie sprachen beide leise und ruhig. Ob sie wirklich so ruhig war oder nur das Baby nicht wecken wollte, konnte Yared nicht sagen.
"Der Yared, den ich kenne, würde sich niemals dem Alkohol hingeben, egal was für Schicksalsschläge ihn treffen."
Der Schiffbauer und die junge Frau mit den langen braunen Zöpfen kannten sich noch aus der Zeit der Invasion, als sie bei ihren Bruder bei Montera besucht hatte. Der ehemalige Sergeant war damals einer ihrer vielen Verehrer gewesen. Man bekam schließlich nicht oft Damenbesuch bei der Truppe. Auch wenn sich normalerweise nur reiche und adlige wirklich Hoffnung auf die junge Dame aus dem Ritterstand machen durften, hatte es Yared doch vor allem durch seine guten Kontakte zu Martus geschafft mit ihr ins Gespräch zu kommen, sogar etwas zu flirten, soweit es schicklich war.
Dabei hatte er eines erkannt: Maeve war klüger als ihr Bruder - im übrigen auch klüger als Ron, weshalb ihn die Ehe der beiden nur umso mehr erstaunte.
"Warum hast du es nicht Ron oder Martus gesagt?"
Hätte sie das getan, wäre er längst mit Vorwürfen der beiden konfrontiert worden.
"Ich meine dich gut genug zu kennen, Yared. Du verbirgst Dinge normalerweise nicht grundlos."
Sie stand nun neben ihm und sah hinauf zum vollen Mond.
Yared blies den Rauch gen Himmel.
"Vieles von dem, was ich sagte, ist wahr. Manchmal ist zuviel Wissen gefährlich."
Er machte eine Pause und inhalierte noch einmal den dünnen grünen Dunst. Rauchen entspannte ihn. Dennoch streckte er das Kraut, um nicht die Kontrolle zu verlieren. Der Kapitän wusste nicht warum, aber instinktiv hatte er irgendwo Angst davor die Kontrolle zu verlieren. Vielleicht war auch dass der Grund gewesen, warum er sich gegen die Bürde der Druiden entschieden hatte. Vielleicht war er egoistischer, als er zugeben wollte. War er zögerlicher geworden? Weniger draufgängerisch?
Tief in sich wusste er, dass der Yared, der damals bei Gotha in den Minecrawlerexkrementen gewühlt hatte, immer noch irgendwo in ihm steckte. Nur wie und ob er diese Angst überhaupt loswerden wollte, darüber war er sich noch nicht im klaren.
"Wirst du es ihnen sagen, wenn sie wiederkommen?"
"Ist deine Anwesenheit hier eine Gefahr für uns?"
Yared hob seinen linken Mundwinkel zu einem fast unmerklichen schiefen Lächeln. Das war eine sehr gute Frage. Sie wollte gar nicht wissen, was er verschwieg. Sie wollte ihre Familie schützen, genau wie er auch.
"Vielleicht. Eigentlich hatte ich nicht vor lange hier zu bleiben."
"Du weißt, dass Ron dich fragen wollte, ob du ins Familiengeschäft einsteigst, sobald sie wieder zurück sind?"
Gewusst hatte er es nicht. Geahnt? Vielleicht.
"Ich hatte vor dankend abzulehnen."
Ihr Gesicht strahlte immer noch und auch im Halbdunkel des Innenhofes die aristokratische Schönheit aus, die er an ihr so bewundert hatte. Doch er bemerkte, dass sich darauf kaum eine Gefühlsregung zeigte. War das nur Ausdruck ihrer Sorge oder war sie in den letzten Jahren so sehr abgekühlt.
"Was willst du machen, Yared? Was ist dein Ziel?"
Er war ehrlich zu sich selbst, er wusste es noch immer nicht.
"In diesem Punkt bin ich noch zu keinem Schluss gekommen. Aber ich werde mich bemühen. So kann es jedenfalls nicht weitergehen. Vielleicht sollte ich einfach verschwinden und euch euer Leben leben lassen. Vielleicht gen Gorthar anheuern?", sinnierte er abschließend vor sich hin.
Es waren diese Worte die ihre Maske zerspringen ließen. Traurigkeit stahl sich in ihr Gesicht, ihre warme sanfte Hand sich auf seine Schulter.
"Wenn du schon nicht ehrlich zu uns sein kannst, so kann ich es doch wenigstens dir gegenüber. Wärst du nach Gotha zurückgekehrt und hättest überlebt, wäre mein Kind nicht von deinem Cousin."
Yared verschluckte sich fast bei dieser ungeheuerlichen Andeutung. Sie empfand immer noch etwas für ihn, etwas, dass er damals nicht erkannt hatte, sonst wäre er bestimmt nicht desertiert.
"Ich werde nichts sagen. Egal was du getan hast oder nicht getan hast, gehörst du zur Familie und Innos lehrt uns, dass es nur wenig gibt, was heiliger ist als Ehe und Familie."
Ihr Hand rutschte von seiner Schulter und hinterließ das Gefühl, dass etwas fehlte, an der stelle, an der sie gelegen hatte. Das was zwischen ihnen beiden hätte sein können, war eine verpasste Gelegenheit.
"Und besorg dir Apfeltabak, wenn du schon unbedingt rauchen musst, bevor mein Bruder dich mit dem Kraut erwischt.", sagte sei belehrend mit ihrer warmen, sanften Stimme.
Sie wandte sich ab und ging zurück zu ihren Gemächern.
"Danke, Maeve."
Yared brauchte ein Ziel.
Sein Blick folgte gedankenverloren den Rauchschwaden zu den Sternen.
Geändert von Yared (04.08.2012 um 19:42 Uhr)
-
Marktplatz, Vengard, Myrtana, Hauptstadt des Großreiches Rhobars III.
Was wollte er hier wirklich?
Yared strich mit den Fingern über die Saiten eines Banjos, das er soeben zum ausprobieren unter den wachsamen Augen des Krämers vom Marktstand genommen hatte.
Das Griffbrett war schön dünn. Natürlich reichte das puristische sechschörige Instrument bei weitem nicht an die Instrumentenbaukunst eines Thimo Lurkers heran, aber der Instrumentebauer Sildens war wie so vieles in den vergangenen Jahren der Entbehrung abhanden gekommen. Auch das Meisterwerk, dass er einst für den Kapitän geschaffen hatte, hatte den Krieg nicht überstand und lag längst unter dem Sand der varantischen Wüstenei begraben.
Tja, der Krieg ... Das war jetzt auch schon länger her.
Während Vengard in den letzten Tagen zu einem varantisch anmutenden Glutofen verkommen war, hatte Yared sich nach den klaren kühlen Wassern des sildener Sees zurückgesehnt. Die Sonne brannte erbarmungslos vom Morgen bis in die späten Abendstunden, so lange sie sich am Firmament halten konnte, als wolle sie das staubige Pflaster der Reichshauptstadt zum schmelzen bringen.
Selbst in Beria, in der Steinwurzelbucht oder im türkisen Meer am Südstrand von Argaan hätte er wohl mehr Erholung gefunden, als es hier in Vengard möglich war. Der Fluss der von Faring hinunter strömte, die Stadt durchzog und die Klippe, auf welcher der Palast thronte, umspülte, hatte extrem wenig Wasser geführt. Das Hafenbecken der Hauptstadt hatte den Anschein erweckt nur aus Unrat und Fäkalien zu bestehen. Nicht mal Hunde mochten sich an dem dünnflüssigen Schlamm laben.
Die Befürchtungen des Frühjahrs, dass die Schneeschmelze in Nordmar den Fluss hier in seinem Delta über die Ufer treten ließ, konnte Angesichts dessen, nur den Gedanken eines Spinners oder den Legenden aus grauer Vorzeit zu entstammen.
Doch das hatte sich über Nacht nun schlagartig verändert. Eine breite Regenfront war von der See herauf gezogen und von Dämmerung bis Dämmerung hatten sich die Schleusen des Himmelsozean geöffnet. Ein gewaltiger Platzregen hatte das stockende Rinnsal wieder in einen reißenden Fluss verwandelt, aus Rinnsteinen waren Bäche, aus Straßen glatte Wasserströme mit kleinen Wirbeln geworden. Die Fluten stürzten von den Dächern der Kaufmannshäuser, der Villen, Kasernen und durch die lecken Dächer der notdürftigen Bretterbuden der Südvorstadt und spülten die fingerdicke Schicht aus Straßenstaub aus den Ritzen der Pflastersteine hinunter ins Meer.
Hätte die Sonne geschienen, die Reichshauptstadt hätte sicher in ihrem sauberen Glanz selbst die goldenen Kuppeln von Setarrif überstrahlt. Aber die Sonne verbarg sich nun hinter einem dichten grauen Wolkenteppich, der keinerlei Anstrengungen machte, wieder abzuziehen. Es war regelrecht kühl geworden. Das jedoch war Yared ganz genehm. Jetzt bildeten sich immerhin keine Seen aus Schweiß mehr, wo man stand und ging.
Dennoch war alles, auch sein jetziger Tagesablauf für den Schiffbauer etwas unwirklich.
Was willst du machen, Yared? Was ist dein Ziel? Maeve mochte nicht wissen, welchen Nerv sie mit diesen Worten bei ihm getroffen hatte.
Vielleicht sollte er einfach wieder zur See fahren, sich den frischen nach Salz und Seetang riechenden Wind um die Nase wehen lassen. Yared könnte bei einem vengarder Kauffahrer oder bei der Gilde der gortharischen Fernhändler als Schiffer anheuern.
Das war immerhin mal ein Plan für die nächsten paar Monde.
Der Kapitän wandte sich wieder von seinen Gedanken ab und dem Instrument in seinen Händen zu. Dieses Gitarrenbanjo hatte den Vorteil recht simpel bespielbar und nicht allzu groß zu sein - ideal für Reisegepäck. Er schlug ein paar Akkorde an. Es klang etwas schief. Kein Wunder, das Instrument war nicht gestimmt.
"Wie viel wollt Ihr dafür?", fragte er den varantischen Musikalienhändler ohne den Blick von seinen Fingern respektive dem Instrument abzuwenden.
"Nun es ist ein schmuckvolles Instrument von ausgezeichneter Machart, Sahib. Ich mache Euch einen Freundschaftspreis. Sagen wir drei myrtanische Goldgulden?"
Der Händler sprach fast dialektfrei. Yared blickte empört drein, während er insgeheim grinste.
"Das nennt Ihr schmuckvoll?"
Mit einer ausladenden Geste bezog er das ganze Instrument in seine Argumentation ein.
"Mit Verlaub, dieses Banjo ist spartanischer als ein Eimer Straßenstaub und schaut euch nur die Wirbel an, gut gepflegt ist es auch nicht. Ich würde Euch nicht mal dreißig silberne Guldiner dafür geben."
"Aber seht doch nur die gute Verarbeitung. Mindestens anderthalb Goldgulden ist das sicher Wert."
"Und die Saiten sind ganz rau. Ihr habt sie gewiss nicht neu bespannt."
"Gut, ich gebe Euch einen neuen Satz Saiten dazu. Beides für anderthalb Gulden. Ihr müsst zugeben, Sahib, das ist ein fairer Preis. Kommt, schlagt ein."
Der Krämer bot ihm schon die Hand dar, wollte das Geschäft schnell abschließen. Dem Kapitän war es immer noch zu viel.
"Schaut Euch lieber mal diese Stelle hier an."
Yared drehte das Instrument.
"Da ganz eindeutig starke Gebrauchsspuren. Das mindert den Wert ganz erheblich."
Jetzt wurde der Händler langsam angefressen.
"Ach, Sahib, Ihr kennt Euch mit Instrumenten wohl nicht ganz so gut aus. Das ist ein Gütezeichen des Instrumentenbauers. Es ist mir vorher gar nicht aufgefallen. Allein dieses Zeichen erhöht den Wert des Instrumentes um einige Silbergulden. Ich kann Euch dieses Instrument nicht unter zwei Goldgulden verkaufen, immerhin hat es ja Sammlerwert."
Welch puristische Dreistigkeit. Das hätten sich viele Kunden nicht gefallen lassen, hier auch noch vom Händler durch die Blume als einfältig bezeichnet zu werden.
"Ihr habt recht. Ich bin kein Fachmann. Wartet einen Moment ich rufe geschwind den Instrumentenbaumeister, der seinen Laden dahinten an der Ecke hat. Er soll dieses Instrument und seinen Zustand für mich begutachten. Er kennt bestimmt auch das Brandzeichen, das ich nicht so recht erkennen vermag."
Yared legte das Instrument zurück auf die Auslage des Standes.
"Ich bin gleich wieder da."
Jetzt brach dem Krämer der Schweiß aus.
"Nicht doch, Sahib, macht Euch doch nicht die Mühe. Der Instrumentenbauer wird gewiss etwas für seine Expertise haben wollen ..."
"Wenn es so ein wertvolles Instrument ist lohnt sich gewiss eine Zertifizierung."
Der Kapitän fühlte regelrecht wie der Krämer bleich wurde, als er ihm den Rücken zuwandte und sich besonders eindrucksvoll zum Gehen wandte.
"Nicht doch, Sahib. Das ist nicht nötig. Spart doch die Kosten für die Urkunde. Ich gebe Euch das Instrument für einen Goldgulden."
Yared fuhr herum.
"Fünfundachzig Guldiner für das Banjo und einen Satz Saiten und keinen Silberling mehr!", sagte er mit Nachdruck.
"Ihr macht mich arm, Sahib."
"Schlagt ein oder lasst mich den Instrumentenbauer holen."
Der Krämer nahm zähneknirschend die Hand des Sappeurs und besiegelte den Vertragsabschluss. Beide wusste, dass er dennoch kein schlechtes Geschäft machte, auch wenn er es nie zugeben würde. Varantische Waren waren dieser Tage sehr billig.
Geändert von Yared (14.08.2012 um 13:09 Uhr)
-
Marktplatz, Vengard, Myrtana, Hauptstadt des Großreiches Rhobars III.
Yared erhob sich von dem steinernen Pfosten am Brunnen vor der Marktschänke, als er Martus durch das Tor zum unteren Palasthof kommen sah. Der Kapitän ging auf den jungen Paladin zu. Kurz reichten sich die beiden die Hände.
"Und wie lief es?"
"Bescheiden, Martus."
Yared seufzte und verzog in leichtem Sarkasmus den Mund, während sie durch das Tor schritten.
Wenigstens war das Wetter angenehm - Sonnenschein, aber nicht zu heiß.
"Deine fehlenden Papiere?"
"Das hat sich ja gleich erledigt, sobald wir auf der Militärregistratur waren. Nein. Die Gilde will mir keine Arbeitserlaubnis erteilen. Der Sekretär der myrtanische Schifferkompanie erkennt mein Kapitänspatent nicht an, weil es nicht von ihnen selbst ausgestellt wurde. Und du weißt, was das heißt."
"Zunftzwang ..."
"Da diese feinen Herren sich nicht bewegen, kann ich die innosfürchtige Seefahrt für mich abschreiben. Übrigens nochmal danke, dass du mir bei den Formalitäten hilfst."
"Ist doch Ehrensache."
Gemeinsam steigen sie die wenigen Stufen zum Gebäude der Militärverwaltung nach oben und folgten einem langen Gang vorbei an großen vergitterten Fenstern zu einer kleineren Schalterhalle. Es war nicht besonders viel los - wie eigentlich immer um die Mittagszeit.
Der Magistrat hinter seinem Pult machte zunächst einen recht abwesenden Eindruck, bis er des Wappenrocks von Martus gewahr wurde. Sofort bemühte er sich um ein entgegenkommendes Auftreten.
"Innos mit Euch, Sir. Was kann ich für Euch tun?", grüßte er dienstbeflissen.
"Mein Schwager hier kommt aus Trelis und benötigt eine Reichsbürgerurkunde."
Jetzt machte der Magistrat große Augen.
Der Kapitän musste sich ein grinsen verkneifen. Wenn überhaupt war Yared vielleicht eine Art Schwager zweiten Grades, aber der verdeckte Hinweis auf eine bestehende Verwandtschaft mit einem Paladin mochte der myrtanischen Zettelwirtschaft Beine zu machen.
"Sir, mit Verlaub, warum kommen Sie damit zur Registratur, wissen Sie nicht, dass für derlei Anliegen, die Kanzlei respektive das Stadtamt zuständig sind?"
Yared mischte sich ein.
"Die Sache ist etwas verzwickter, Herr Magistrat. Ich bin Veteran und werde meines Wissens nach als vermisst, wenn nicht sogar als gefallen geführt."
Jetzt ging dem Beamten ein Licht auf. Er drehte sich um und winkte einen jungen Saalbediensteten zu sich.
"Sie heißen?"
"Yared Garethson, geboren in Geldern"
"Und Sie dienten zuletzt wo?"
"Königlich myrtaniäisches Marinepionierregiment, erst in Trelis, später in Montera unter Lord Roald."
"Seit wann vermisst?"
"Das war kurz vor dem Fall von Gotha."
Der Magistrat drehte sich zu dem Jungen.
"Besorg mir geschwind die Akte des Herr."
Man konnte regelrecht sehen, wie er dem Bediensteten mit den Augen bedeutete, dass es hier um etwas wichtiges ging und er sich zu beeilen hatte.
"Es tut mir Leid, Sir, mein Herr, aber es könnte etwas dauern. Wollen die Herren so lange dort hinten Platz nehmen? Ich werde Sie rufen lassen, sobald die Akte da ist."
Martus nickte so huldvoll und gestreng, wie es scheinbar nur Paladine können, und sie zogen sich zum Rand der Halle zurück, um sich auf die die gesamte Wand umspannende stilvoll geschnitzte Holzbank nieder zu lassen.
"Und, Yared, was hast du jetzt vor?"
"Ehrlich gesagt? Keine Ahnung ..."
-
Militärregistratur, Vengard, Myrtana, Hauptstadt des Großreiches Rhobars III.
Sie hatten eine weile schweigsam dagesessen und ihren eigenen Gedanken nachgehangen. Yared konnte nur spekulieren, was zur Zeit hinter der Stirn des jungen Paladins neben ihm und den Palastmauern ablief. Gerüchte in der Stadt sprachen von einem Machtgerangel zwischen jenen, die Lord Hagen die Treue hielten, den ehemaligen Rebellengenerälen unter Wenzel, dem Statthalter von Myrtana, und einer dritten Partei unter Lord Scaruder. Letzterer war erst spät in Varant in Erscheinung getreten, hatte aber maßgeblich dazu beigetragen die Festungen von Mora Sul und Ishtar zu erobern. Angeblich war er der jüngste Lord, der je Mitglied im Kronrat geworden war. Sicher war, dass er mächtige Gönner im Beamtenadel hatte, die ihm erst das Kommando über die Südmeerflotte und dann vor wenigen Monden gar den Posten des Großadmirals des gesamten Myrtanischen Reiches eingebracht hatten.
Aber diese Gedanken waren nur Ablenkung von seinem wirklichen Problem. Der Sekretär der Schiffergilde hatte eindeutig durchscheinen lassen, dass sie sein Patent nicht anerkennen würden. Was sollte er also tun? Der Weg aufs Meer bleib ihm verschlossen, wenn er nicht wieder ganz unten anfangen wollte. Nein, Yared war wahrlich nicht scharf darauf im besten Fall als Steuermann im schlechtesten als unterbezahlter Leichtmatrose anzuheuern.
Was bleib ihm sonst noch? Armbruster brauchte man nur im Heer. Als Bergmann war man heutzutage genauso schlecht bezahlt wie als Leichtmatrose. Musste er wirklich wieder von Null anfangen, wollte er nicht in das Tuchgeschäft seines Onkels einsteigen?
Noch ehe sich der Sappeur weiter diesen Gedanken widmen konnte, winkte sie der Magistrat wieder an den Schalter.
"Die Papiere sind da."
Martus nickte und sie gingen hinüber.
Der Militärbeamte hatte indes Bücher, einige Register und mehrere Musterrollen auf seinem Pult aufgetürmt.
Als sie herantraten drehte er eine der Rollen so, dass die beiden den Eintrag, auf dem sein Zeigefinger lag, lesen konnten.
"Hier haben wir Ihren Eintrag in der Liste der Gefallenen von Montera. Und hier drüben den Vermerk in der Musterrolle."
Er nahm ein anderes Pergament zur Hand.
"Wie es scheint hat man Sie posthum befördert, Kapitän."
Yared konnte es nicht fassen, er stand da doch tatsächlich mit Offiziersrang im Register der Marine.
"Sie waren damals was?"
"Kommandierender Sergeant."
"Dann hat man Ihre Bestallung wohl nachträglich bestätigt, Sir, und Ihnen den Ihrer letzten Stellung angemessenen Rang zugestanden."
Der letzten Stellung angemessen - der war gut. Die hatten sich sicher gedacht, dass es bei einem Unteroffizier ohne Hinterbliebene garantiert nicht schaden konnte. Sowas spornte die anderen einfachen Soldaten an, nach dem Motto 'Seht, welch tolle Aufstiegschancen wir euch bieten!'. Und das, ohne dass man einer Witwe und ihren Kindern die Witwenrente einer Hauptmannsgattin zugestehen musste. Hätte Yared Familie im damals noch freien Teil Myrtanas gehabt, er wäre gewiss nicht befördert worden und wenn doch, dann höchstens zum Leutinger.
Der Beamte nahm eine andere, eine wesentlich neuere Liste zur Hand. Das Pergament war weniger abgegriffen. Er setzte Yareds Namen und Rang darauf.
"Und Sie, Sir, bürgen dafür, dass es sich bei Ihrem Schwager wirklich um den genannten Yared Garethson handelt? Dann unterschreiben Sie hier."
Gerade wollte Martus seine Empörung über diese mögliche Unterstellung lautstark zum Ausdruck bringen, als der Beamte anfügte.
"Niemand zieht Ihre Worte in Zweifel, Sir, aber Sie wissen doch, wie das mit den Formalitäten ist."
Immer noch leicht Grummelnd setzte der Paladin seinen Namen neben Yareds Eintrag in die Liste. Der Beamte warf nochmals einen prüfenden Blick und etwas Löschsand darauf, dann nahm er die Liste der Gefallenen heran und merzte den falschen Eintrag aus.
Nachdem das erledigt, setzte er eine Reichsbürgerurkunde mit Yareds Namen auf.
Geändert von Yared (16.08.2012 um 00:07 Uhr)
-
Tempel des Innos, Vengard, Myrtana, Hauptstadt des Großreiches Rhobars III.
Mit fast unhörbarem Zischen verging der Weihrauch langsam auf den glühenden Kohlen und schwang sich vereinigt mit den Dämpfen von Brandopfern und Räucherstäbchen der anderen Altäre durch die kreisrunde Öffnung im gewaltigen Kuppeldach des Tempels hinauf in die göttlichen Sphären als Zeichen für das Gebet des Bittstellers, der das wohlriechende Harz in Dankbarkeit, Trauer, Verzweiflung, Zorn oder Freude dem großen Feuergott darbrachte.
Yared streute einige weitere Körner in die golden glänzende Opferschale vor dem Nebenaltar. Es war lange her, dass er einen Tempel Innos' besucht, seine Bitten und Gedanken an den Gott der Ordnung gerichtet hatte.
Als Waldläufer suchte man eher den Schrein eines Waldgeistes auf, als die großen Gotteshäuser der Reichskirche. Doch Yared hatte seine Wurzeln nie vergessen, nicht die Worte aus der Heiligen Schriften, die ihn sein monastischer Lehrer in frühester Jugend lehrte, nicht die Weisheiten des Gleichgewichts des Eremiten in der Wüste, nicht die Worte der Druidenmeister und auch nicht die Kunde von der Freiheit in der Dunkelheit.
In seiner Vorstellung der Welt, war es wichtig Innos und die Ordnung, die Frieden und Sicherheit bot, in der Sphäre Adanos' zu stärken. Der Feuergott mochte für viele ein kriegerischer Gott sein, doch wie jede andere transzendente Gestalt der Sphären war das nur eine Seite von unzählbar vielen Medaillen. Man durfte Gottheiten nicht so einfach kategorisieren, nicht versuchen unfassbares in menschliche Kategorien einzuordnen. Das allein schon war ein Sakrileg.
Yared betete in Gedanken zu den Großen Vier, Adanos, Innos, Beliar und der Mutter, dankte für die freundliche Aufnahme bei seinem Onkel, insbesondere der Mutter dankte er dafür den Kampf mit der Ratte überlebt zu haben. Als letztes bat er die Götter um Erkenntnis - Erkenntnis darüber, was er mit seinem Leben anfangen sollte, und wartete in Stille vor dem Altar kniend auf ein Zeichen.
Mochten sie ihn erhören? Ihm den Weg weisen?
-
Reagans Kontor, Vengard, Myrtana, Hauptstadt des Großreiches Rhobars III.
"Aufmachen!"
Polternd schlug der juvenile Vollpfosten weiter mit der geballten Faust gegen das Tor des Kontors.
Eisen klapperte aufeinander, während Yared den Schlüsselbund nach dem Torschlüssel durchsuchte. Gerade eben noch hatte er von etwas geträumt, an das er sich schon nicht mehr erinnern konnte, als ihn der Lärm aus dem hitzebedingt leichten Schlaf gerissen hatte. In Windeseile war der Sappeur in seine Hose geschlüpft und hatte sich das Hemd übergeworfen. Dann war er hinunter in den Hof geeilt, um zu öffnen.
"Bin doch schon da!", murrte der Kapitän.
Der draußen hörte ihn bei seiner alles übertönenden Eigenlautstärke wohl nicht. Jedenfalls hämmerte er ungebremst weiter auf den bebenden linken Torflügel ein.
Bei den Göttern! Konnte sich dieser Idiot nicht zu einer innosgefälligeren Zeit hier einfinden, um sein Anliegen vorzutragen?
Es war ein Wunder, dass Maeves Kind noch nicht aufgewacht war, um sich lautstark greinend dem Geschrei anzuschließen.
Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gebracht, brach sich schon die erste akustische Angriffswelle aus der Kemenate, in der Maeve und das Baby schliefen, brachial im Hofe Raum.
Dann hörte er oben Maeve, die fieberhaft versuchte das Kind zu beruhigen.
Endlich hatte Yared bei dem schummrigen Licht den Schlüssel ertastet, drehte ihn im Schloss herum und schwang den rechten Flügel nach außen auf. Schon war er mit einem Fuß auf der Straße und sah sich im fahlen Licht der Laterne einen Jungspund von vielleicht sechzehn Wintern in der leichten Rüstung der Garde, der vor lauter Krachmacherei nicht einmal gemerkt hatte, dass nun jemand neben ihm im halb offenen Tor stand.
"Ruhe, verdammt nochmal!", versuchte Yared den Kerl zu überschreien.
Irgendwie brachte das den Jungen vollkommen aus dem Konzept. In diesem Moment öffneten sich die Schleusen des Firmaments und heftiger Platzregen ergoss sich auf den Soldaten.
Die Abkühlung brachte ihn wieder in Fassung.
"Yared Garethson, Sir?"
Das Baby schrie noch immer.
"Stehen Sie da nicht einfach so herum! Kommen Sie rein!", fauchte Yared fast, der vor dem Regen unter dem Torbogen in Deckung gegangen war.
Der Kapitän zog hinter dem Burschen die Tür zu. Draußen rauschte der Regen, wie auch vor ihnen im Innenhof.
"Was wollen Sie?"
Der Kapitän machte in Gestik und vor allem im Tonfall jedem, der ihn hören konnte klar, dass er nicht sonderlich gut aufgelegt war. Dieser Grünschnabel hatte ihm schon genug Scherereinen beschert und er war müde.
"Sir, ich habe Befehle für Sie."
Der Gardist schien völlig außer Puste zu sein vor lauter Lärmen. War wohl einer dieser sonderlich dienstbeflissenen Sorte.
Er hielt dem Schiffbauer zwei verschiedene versiegelte Umschläge entgegen. Yared nahm alle beide und brach die Siegel gleichzeitig.
Dann entfaltete er den ersten - ein Marschbefehl nach Bakaresh mit einen Kurierkutter der Marine, heute Nacht noch von Vengard aus, ausgestellt auf Kapitän Yared Garetson von der königlichen Marineinfanterie, unterzeichnet von einem Sir Maldun im Namen von Lord Admiral Scaruder höchstpersönlich.
Der zweite, den der Schiffbauer nur grob überflog, war ein Brief von Martus, in dem er sich zunächst einmal für die Umstände entschuldigte und davon faselte, dass Yared den Militärdienst ja de jure nie aufgegeben hatte und man ihn dringend brauche. Offenbar hatten die hohen Herren einen Gedankenblitz mitten in der Nacht erheischen können, dessen Ergebnis nun eine Freifahrt nach Bakaresh für Yared war. Dort sollte er sich bei Sir Cruz, dem Admiral der Südmeerflotte melden, um weitere Instruktionen zu erhalten. Zudem wünschte er ihm alles Gute und Innos' Segen.
Die Entschuldigung hätte er wohl besser an seine Schwester adressiert, die mit dem sich wieder beruhigten Kind auf dem Arm die überdachte Stiege von der Galerie herunter kam.
"Was sollte der Krach?", fragte sie sichtlich erschlagen von den Strapazen der Nacht und der Hitze des vergangenen Tages.
Yared seufzte und schaute auf.
"Scheinbar hat Innos eine Verwendung für mich gefunden. Ich muss heute Nacht noch nach Varant."
War das das göttliche Zeichen? Ein lärmender Junge und ein Marschbefehl? Dem mochte sein, wie es wollte. Er würde dem Befehl Folge leisten. Alles andere konnte üble Folgen nach sich ziehen und das nicht nur für ihn, sondern auch für Martus.
"Ich werde packen und Alana aufzäumen gehen."
Vielleicht war es nicht die zufriedenstellendste Lösung seiner Probleme, aber es war auch nicht die schlechteste.
-
Hafen von Bakaresh, Varant, Provinz des Großreiches Rhobars III.
In Myrtana war es dieser Tage heiß, in Varant ungleich heißer. Es war wir mit dem Regen und der Traufe, nur dass der Vergleich in punkto Nässe und Kühle mehr als nur hinkte.
Der Kutter hatte sich verspätet. Nicht um ein paar Glasen, das wäre wetterbedingt nicht ungewöhnlich gewesen, sondern um einen halben Tag.
Der junge Kapitän aus nicht adligem aber offenbar sehr reichem Hause, den seine Eltern wohl zum Militärdienst gedrängt hatten, hatte kaum mit auf- und ablandigem Wind an der Küste umzugehen gewusst. Kreuzen assoziierte er wohl eher mit Klingen als mit innos'scher Seefahrt. Hinzukam, dass auf den Kurierbooten keine Segelmeister oder zusätzliche Navigatoren mitfuhren, der etwaige Unwissenheit des Kommandanten hätte ausgleichen können. Wieder einmal hatte sich anschaulich bewahrheitet, dass es nicht umsonst hieß, ein Boot können noch so vorzüglich konstruiert sein, ohne guten Schiffsführer war es hoffnungslos verloren.
Yared selbst hatte sich mit Müh und Not gehütet, das Kommando an sich zu reißen respektive den Jungspund zu unterstützen, nachdem sich der bei einer ersten Anfrage als recht hochmütig und beratungsresistent herausgestellt hatte.
So waren sie mehrere Glasen vor der Bucht von Trelis herumgedümpelt, als wären sie nicht an Bord eines schnellen Kurierbootes, sondern einer abgehalfterten Nuckelpinne.
Der Sappeur war sichtlich desillusioniert, als er auf dem Pier des Militärhafens von Bakaresh darauf wartete, bis die Schauerleute sein Maultier Alana aus dem Bauch des flachen Kahns gehievt hatten. Sie waren sowieso schon verspätet, da machte es auch nichts mehr aus, wenn er noch für die ordnungsgemäße Unterbringung und Versorgung seines Lasttieres sorgte, bevor er Sir Cruz aufsuchte.
Still betrachtete er die wenigen Galeeren, Karavellen und Karacken, welche das Kernstück der Südmeerflotte ausmachten. Die myrtanische Marine hatte sich immer noch nicht so recht von ihrer fast gänzlichen Auslöschung während der Orkinvasion erholt und die meisten Neubauten, die in den Arsenalen von Vengard, Kap Dun und Trelis vom Stapel liefen, bekam die Nordmeerflotte zugesprochen. Man erachtete das Sichern der Handelsrouten nach Gorthar, Khorinis und dem Östlichen Archipel und die dortige Bedrohung durch Piraten und Orks als vorrangig. Bakareshs eigene Werften, hatten stark unter der Assassinenherrschaft gelitten und viele Jahre geradezu brach gelegen. In Effizienz und Können erreichten sie momentan nicht an die Marinewerften Myrtanas heran, geschweige denn an die eigenen Glanzleistungen vergangener Tage.
Alana hingegen legte außerordentlich gutes Betragen an den Tag, währen sie in einem Geschirr aus Leder und Tauen mit dem Hafenkran vom Schiff auf den Kai gehievt wurde. Unbeschadet setzte sie kurze Zeit später ihre Hufe unweit neben ihm auf varantischen Boden. Sie war noch etwas wackelig auf den Beinen.
Yared wischte sich den Schweiß von der Stirn, dann nahm er ihre Zügel.
Es war Zeit einen Stallknecht zu finden und danach bei Sir Cruz vorzusprechen.
-
Bakaresh
„Ach Siggi“, seufzte der hochgewachsene Mann, während er dem Esel über die Flanke strich. Als er dem Tier auch noch einige Möhren vom Markt zu fressen gab, vergaß es fast sein trauriges Los. Zumindest ging sein Besitzer davon aus. „Tut mir Leid, alter Karottenvernichter, aber hier trennen sich unsere Wege. Die letzten zwei Jahre … zum Teufel, warst du wohl mein einziger Freund und Begleiter. Dafür bin ich dir wahrhaft dankbar. Du hast mich zwar nie auf deinem Rücken getragen, was daran liegt, das sich Nordmänner auf Pferden so gut machen wie Orks auf Katzen, aber stets und ständig warst du an meiner Seite und hast getragen, was ich dir auftat. Truhen, Monster, Frauen …“
„Jetzt übertreibt Ihr aber, Herr“, murmelte der Stallknecht namens Byron, ein Neu-Bakaresher myrtanischer Herkunft und der großen Klappe eines Gelderners, „Monster und Frauen?“
Der Nordmann wandte sich halb zum Jungen hin. „Keine Drachen und Jungfrauen, nur eine alte Frau, die eine Truhe mit Habseligkeiten bei sich hatte. Glotz nicht so blöde, das Vettelchen wollte über einen Bergpass in Khorinis zu ihrem Sohn nach Drakia. Glaubst du, dass ich alte Frauen einfach so missachte und ihnen sage, dass sie sich um ihren Kram scheren sollen? Ich half ihr natürlich, aber sie war undankbar wie Beliar selbst. Deshalb Truhen, Monster und Frauen.“
Kopfschüttelnd trat der Stalljunge hinaus auf die Straße und murmelte etwas von irren Nordmännern, während der Hüne wieder den Esel tätschelte. „Mach’s gut, Siggi, und nimm’s mir nicht übel. Zwei Jahre treue Dienste sollen mit der besten Stallung in ganz Bakaresh wettgemacht werden. Goldmünzen überzeugen wirklich jeden, sogar die Bediensteten eines reichen Freihändlers.“ Er hüstelte. „Und vielleicht die Bemerkung, dass du aus der besten Mauleselzucht stammst, die die Welt kennt. Also, freu dich auf Karotten und willige Eselinnen. An beidem wird es dir hier nicht mangeln.“
Treuherzig blickte Siggi ihn ein letztes Mal an, ehe eine Katze auf einem der Dachbalken seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Der Nordmann grinste, streichelte dem Esel die kurze Mähne und verschwand.
Ja, zwei Jahre war es nun her, seit er das Wüstenvolk verlassen hatte. Zwei Jahre, in denen sich die Welt veränder hatte. Das Volk in den Ruinen ward nicht mehr, die Königstreuen herrschten fast über die gesamte Welt und die Grünhäute dienten, wenn überhaupt, nur noch dazu, um Gruselgeschichten zu erzählen. Und er, Tavik, hatte zwei Jahre die Welt bereist. Zwei Jahre, in denen er viel kennen und vermissen gelernt hat. Alleine war er die meiste Zeit gereist, nur mit Siggi dem Esel. Ab und zu hatten ihn verschiedene Menschen begleitet. Mal Söldner oder Diebe, Huren und Nonnen, Priester und Ritter. Aber letztendlich ... war er immer alleine gereist, fernab von Myrtana und dessen Veränderung. Der Hüne seufzte und machte sich auf.
Am Ausgang der Stallung traf er mit jemandem zusammen, der nach Salz und See stank und ebenfalls ein Lastentier mit sich zog. Der Blick in das bekannte Gesicht verschlug dem Nordmann den Atem.
-
Hafen von Bakaresh, Varant, Provinz des Großreiches Rhobars III.
"Da hinten?"
Yared sah fragend zu der Schankmaid, die wie in Varant üblich aufreizend in Seide und Kettchen gehüllt war und ihm freundlicherweise den Weg zu den Stallungen des Gasthauses, das neuerdings einem myrtanischen Freihändler gehörte, andeutete.
"Habt dank."
Er führte Alana links am Eingang des Wirtshauses vorbei, an einer leicht verfallenen Mauer aus bröckelndem Lehm entlang. Sand knirschte unter seinen Stiefeln.
Das hier war ein besseres Quartier als die heruntergekommenen Stallungen der Marine, irgendwo in einer der Hinteren Ecken der Speicherstadt und so hatte er Alanas Gepäck und seinen Seesack erst in der Hafenkaserne abgeladen und war dann auf Empfehlung eines Offiziersburschen hergekommen. Mit seinen Bezügen als Offizier sollte er sich das locker leisten können.
Er bog um eine Ecke durch ein halb offen stehendes Tor zu einem Hinterhof. Der Geruch von Pferden, Heu und Mist schlug ihm entgegen. Gerade stieß er das Tor einen Spalt weiter auf um sein Maultier hindurch zu führen, als er eines blonden braun gebrannten Nordmarers gewahr wurde, der leicht über ihm aus dem Halbdunkel der Nacht heraus aufragte. Diese Silhouette würde er sein Lebtag nicht vergessen.
"Bei den Großen Vier!", er versuchte diesen Ausruf schnell wieder zu verschlucken, bevor ihn jemand auf seine theologischen Ansichten ansprechen konnte.
"Tavik?"
-
Bakaresh
In den Augen des Nordmannes trat erst Verwunderung, dann Überraschung und am Ende die helle Freude. Da stand er leibhaftig vor ihm. Das alte, wettergegerbte Gesicht, braun wie ein abgenutzter Lederstiefel und wahrscheinlich genauso ansehnlich. Verfilzte Haare umrahmten die Züge, die dem Hünen so bekannt waren und die er so lange Zeit nicht mehr gesehen hatte. Vor ihm stand jemand, der stets Begleiter und Waffengefährte gewesen war. Munterer Tavernengänger und Abenteurer. Dort, am Hafen von Bakaresh, stand ihm Yared Garethsson gegenüber, der wohl einzige wahre Freund, den Tavik kannte. Ein Waffenbruder, wenn nicht sogar wirklich ein Bruder.
„Bei allen Göttern dieser Welt!“, rief der Nordmann aus, „Bei verdammt noch mal allen Dingen, die es gibt! Du bist es wirklich, Yared! Alter, hässlicher Bursche, zum Teufel, was bin ich froh dich zu sehen!“, jubelte er und umarmte den Kapitän wie einen verloren gegangenen Bruder, was er in gewisser Hinsicht sicherlich war. Ein amüsantes Bild, war Tavik nicht nur gut zwanzig Zentimeter größer und um einiges kräftiger. „Ich wusste, dass du lebst. Nur nicht, dass es dich hier hin verschlagen hat. Warum Bakaresh? Warum noch das Festland? Hier gibt’s doch nur rote Soldaten und frömmelnde Möchtegernpriester, die Rhobars Größe preisen!“
Dass die Worte natürlich gehört werden könnten, war dem Nordmann im Moment egal. Er wusste, zwar, dass in Vengard immer noch Steckbriefe hängen könnten, auf denen seine Visage gezeichnet war, aber das hatte ihn auch die letzten zwei Jahre nicht daran gehindert, seine Meinung zu äußern. Zwar hatte er das Ergebnis dann oft mit den Fäusten begleichen müssen, aber keiner seiner Gegner würde meinen, Tavik wüsste nicht, was er tut. Vor allem nicht dann, wenn es darum geht, jemandem die Kauleiste zu verzieren.
„Ehrlich“, meinte Tavik dann in ruhigem, ernstem und fast schon liebevollem Ton, „Es tut wirklich gut, dich zu sehen, Yared. Wie ist es dir ergangen?“
-
Rot versank die Abendsonne hinter den sanften Hügeln, die die Ländereien von Wendas Familie umgaben. Erschöpft vom Tagwerk saß diese an einen Baumstumpf gelehnt, während der Schweiß auf ihrer Stirn trocknete. Das trockene Wetter nutzend hatte die Dorfgemeinschaft den Tag für die Heumahd genutzt. Nun lehnte die Sense neben der Frau am Baum. Den Blick in die Ferne gewandt und die Sonne im Rücken massierte Wenda die schwieligen Hände, als ihr ein Wasserschlauch über die Schulter gereicht wurde.
"Na, am Ende?", fragte ihre Mutter.
"Ach was." lächelnd erwachte sie aus ihrer Abwesenheit und nahm dankbar zu Helena aufsehend das Wasser entgegen.
"Du solltest nicht solche Männerarbeit machen müssen." Ein Ächzen unterdrückend ließ die ältere Frau sich zu ihrer Tochter am Baumstamm nieder.
"Ach Mama. Ich tu, was getan werden muss." Wenda nahm einen erfrischenden Schluck aus dem Wasserschlauch, während ihre Mutter nur ein abfälliges Geräusch machte.
"Du solltest dich wirklich nach einem Mann umsehen. Den ersten hier hast du ausgeschlagen, aber du sollst doch nicht als alte Jungfer enden. Was ist eigentlich aus diesem Verlobten von dir geworden?" Ihre Mutter meinte es nur gut. In ihrer dörflichen Welt war eine Frau ohne Mann eben nur eine Frau. Trotzdem konnte sie einen Hauch Ärger in der der Stimme nicht vertrauben als sie antwortete: "Keine Ahnung, wo der abgeblieben ist. Trilo ist aus Vengard verbannt worden, als er unter fremdem Einfluss einen Kampf mit mehreren Wachen begonnen hat. Seitdem hab ich ihn nicht mehr gesehen." Und sein Ring klemmt vermutlich zwischen den Dielen eines Zubers in der Vorburg zu Vengard, fügte Wenda in Gedanken hinzu. Ihre Gedanken mussten sich in ihrer Miene wiedergespiegelt haben, denn Helena meinte so gleich "Ach, aber der war ja eh nicht der richtige, gell. Dieser Herr Ritter dagegen..."
"- Paladin.", korrigierte Wenda sie. "Sir Iwein ist ein Paladin."
Helena nickte verträumt. Für sie schien da kein großer Unterscheid zu bestehen.
"Und überhaupt, ich gehöre nich mehr zu den kämpfenden Truppen. Was soll er denn mit einer Bauerntochter, Veteranin oder nicht."
"Ach, das wird er dann schon wissen, was er mit dir anfangen soll..." Helena erhob sich.
"Mama!!"
-
Hafen von Bakaresh, Varant, Provinz des Großreiches Rhobars III.
Was sagte man dazu.
"Eigentlich sollte ich eher dich fragen, wo du dich überall herumgetrieben hast, alter Streuner. Immerhin warst du es, der sich damals in Nordmar aus dem Staub gemacht hat und sich nicht wieder blicken ließ.", erwiderte er auf des Freundes Wortschwall etwas säuerlich.
Es tat gut ihn zu sehen, aber das musst man ihm nicht gleich auf die Nase binden. Yared war sich in den letzten zweieinhalb Jahren nicht immer sicher gewesen, ob sein Kamerad aus frühen sildener Zeiten noch unter den Lebenden weilte. Scheinbar hatte so manches Stoßgebet geholfen.
Gerade wollte er mit Erzählen anfangen, als ihm sein Treffen mit dem Kommandanten siedend heiß einfiel. Er hatte es sowieso schon sehr hinausgezögert.
Yared grinste nun breit.
"Tut auch gut, dich wieder zu sehen, Tavik. Allerdings bin ich gerade eigentlich auf dem Sprung. Ich wollte Alana hier unterstellen und muss mich dann bei Admiral Cruz im Hauptquartier der Marine melden. Wenn du willst, könnten wir uns danach vorne in der Taverne treffen oder draußen an der Kaimauer, dort ist es um diese Zeit wohl eher abgeschieden und vielleicht wäre das ganz gut so."
Letzteres murmelte Yared eher. Er konnte nicht einsehen, wer sich noch auf dem Hof hinter dem Nordmarer befand, bevor er den Torflügel noch weiter öffnete, um Alana an Tavik vorbei hindurch zu leiten.
Berechtigungen
- Neue Themen erstellen: Nein
- Themen beantworten: Nein
- Anhänge hochladen: Nein
- Beiträge bearbeiten: Nein
|