Samuel Rashovski
Es war Hochsommer. Um diese Jahreszeit waren die gewohnt milden Nächte in London besonders angenehm und erfrischend. Vielleicht fand sich Sam ja gerade deswegen auf der Tribüne sitzend wieder und ertappte sich dabei, wie er in den sternenklaren Nachthimmel blickte und das Zirpen der Grillen genoss, statt wie üblich seine Runden zu laufen. Das Jahr war viel zu schnell vergangen. Schon bald würde er wieder nach Hause reisen und sich zurück in sein gewohntes Leben begeben müssen. Ehe er sich versah, würde er sich wieder in seinem normalen, langweiligen Alltag befinden. Dies war womöglich seine letzte Gelegenheit, sich zurück zu lehnen und ein wenig die Zeit zu genießen, die ihm an diesem Collage noch blieb. Aus diesem Grund konnte er es sich leisten, ausnahmsweise mal auf den Sport zu verzichten. Zumindest war dies die Entschuldigung, die er sich für sein schlechtes Gewissen zurecht gelegt hatte. In diesem Moment der Ruhe und Entspannung zuckte er kurz zusammen, als er die Stimme des ausgelassenen Mädchens vernahm, das sich unmittelbar darauf neben ihn setzte und ihn mit heiterer Miene ansah. Sie war offensichtlich so gut drauf wie immer und ließ sich ihre Laune kein Bisschen von den Gedanken an das sich nähernde Ende des Schuljahres verderben. Aber wie konnte sie auch? Immerhin wusste sie es noch nicht. Er hatte bisher auch keine Anstalten gemacht, es sie wissen lassen. Für sie waren die Ferien nach wie vor ein Grund zu Feiern, genau wie für die meisten Schüler an dieser Schule. Dieses Gefühl wollte er ihr solange wie möglich lassen.
"Was tut ein so junges Mädchen wie du um diese Uhrzeit denn noch hier draußen?" scherzte Sam mit gespielt verwunderter Miene.
"Ich hab gepackte Taschen in deinem Zimmer gesehen."
Es war also soweit. Dass er es ihr früher oder später beichten musste, war ihm schon lange bewusst gewesen. Jedoch hatte er gehofft, dass ihm dafür noch ein wenig mehr Zeit blieb. Er hasste es, schlechte Nachrichten zu überbringen. Ganz besonders Zora wollte er so etwas nicht antun.
"Willst du mir nicht erzählen wohin wir fahren?"
Sam senkte seinen Blick und schaute nun betreten auf das weite Feld, das sich vor den Beiden erstreckte und in der Ferne allmählich von der Dunkelheit verschluckt wurde, die die Nacht mit sich gebracht hatte.
"Naja, eigentlich habe ich noch ein wenig Zeit. Aber ich packe gerne schon etwas im Voraus, damit ich mich nachher nicht mit so viel Stress herumschlagen muss." Er grinste und versuchte zunächst, die eigentliche Antwort auf ihre Frage hinauszuzögern. Er wusste nicht, wie er es am Besten formulieren sollte. Und wenn er ehrlich war, wollte er das auch gar nicht. Zumindest nicht sofort. Als ihm das klar wurde, stand er auf und bedeutete ihr, ihm zu folgen. Kraftvoll schwang er sich über das Geländer und lief einige Schritte über den Rasen, ehe er sich an einer seiner Meinung nach geeigneten Stelle hinlegte und seine Arme hinter seinem Kopf verschränkte. Das Gras fühlte sich unter seinen Händen angenehm weich und trocken an. Erneut schaute er gen Himmel und lächelte.
"Sind dir Sterne schon aufgefallen? Sie sind unfassbar schön."