Beyo Vhan
Ziellos irrte der Turianer durch die Straßen der Bezirke. Er hatte sich seine Kapuze übergezogen, in der Hoffnung dass niemand ihn erkennen und einen Aufstand machen würde, doch diese Maßnahme schien relativ sinnlos.
Die meisten Leuten waren so oder so viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Sie hetzten an ihm vorbei, drängelte, stießen miteinander zusammen. Kurzum, die Stimmung war äußerst gestresst. Und wer konnte es ihnen verübeln?
Die terroristische Gefahr stieg mit jeder verstrichenen Stunde. Wo auch immer Braelyn zuschlagen würde, es würden sicherlich noch mehr Opfer zu beklagen sein, wenn sie damit durchkam.
Und genau dieser Punkt führte ihn wieder zur Ausgangsfrage: Was würde er dagegen tun? Was
konnte er tun?
Er hatte sich geschworen sie auszuschalten. Doch wie sollte er das anstellen? Er war so bereits nicht die größte Gefahr für sie gewesen. Und mit nur einer Hand? Überhaupt, sollte er einfach zum Rest der Gruppe zurückkehren? Dann würde er sich nur wieder endlose Belehrungen oder Beleidigungen anhören müssen.
"Was tun, was tun....." murmelte Beyo in sich hinein und hielt plötzlich inne. Durch die Reflexion der Scheibe, welche an dem Gang entlangführte, bemerkte er etwas. Oder eher
jemanden. Das Gesicht eines Menschen. Kein besonders einprägsames Gesicht, eher sogar eines das die Menschen selbst als "Allerweltsgesicht" bezeichnen würden. Niemand anderes hätte wohl irgendetwas besonderes daran gefunden.
Doch Beyo war anders. Gerade jetzt, in dieser extremen Situation, fuhren viele seiner alten Ermittler-Instinkte wieder hoch. Auch er war damals immer verdeckt unterwegs gewesen, hatte gelernt eins mit der Masse zu werden, Leute zu sehen ohne gesehen zu werden, ihnen wie ein Schatten unsichtbar zu folgen.
Dieser Kerl klebte an ihm, dessen war der rote Turianer sich nun sicher. Das erste Mal war er mit ihm in einem der großen Aufzüge gewesen, welche zum Präsidiums-Hafen hochfuhren. Beim zweiten Mal war er in Richtung der selben Dockingbucht unterwegs gewesen in deren Nähe er sich mit Sahenia getroffen hatte. Und jetzt war er wieder da. Nein, das war definitiv kein Zufall!
Ohne stehenzubleiben und sich etwas anmerken zu lassen ging der Turianer weiter. Er verließ die vollen Straßen, schlug sich in die etwas schlechter beleuchteten Gänge. Auch wenn er ihn nicht sah und der Sicherheitsabstand offenbar immer größer wurde, konnte er seinen sprichwörtlichen Atem im Nacken immer noch genau spüren. Wer war der Kerl? Für wen arbeitete er? Braelyn etwa?
"Würde sie es wirklich riskieren? Und vor allem hat sie....oh, oh natürlich.....wie reizend...." Der Turianer schnaubte laut. Wieso war er nicht direkt auf das Offensichtlichste gekommen?
"Dieser schleimige Kontroll-Freak! Na warte....."
Er beschleunigte seine Schritte etwas. Dezent, so dass man von außen immer noch nicht auf die Idee kommen würde, er fühle sich verfolgt. Die Straßen wurden immer enger und schmutziger. An immer mehr Ecken bog er ab. Und schließlich fand er die perfekte Stelle....
***
Ganz flach auf das kalte Metall gedrückt lauerte Beyo von dem großen Metall-Container herunter. Es hatte etwas mehr Kraft als sonst gekostet, sich heraufzuziehen. Doch es hatte geklappt. Die Müllentsorgung verwendete auch nach so viel Jahren noch die selben Modelle, auf welche er schon als Jugendlicher gerne geklettert war, wenn sein Vater ihn einmal nicht zu irgendwelchen Aufgaben die er hasste abgestellt hatte.
"Komm schon....komm schon!"
Und endlich tauchte er auf. Vorsichtig war er gewesen, das musste der Turianer zugeben. Doch nicht vorsichtig genug. Nur noch wenige Meter, dann war er in Reichweite....
Mit einem kräftigen Satz sprang der rote Turianer hinunter und landete mit seiner gesamten Körpermaße auf dem völlig überrumpelten Menschen.
"Keine Bewegung!"
Er handelte schnell. Natürlich wusste er, dass er mit nur einer Hand nur eine begrenzte Gefahr war. Also handelte er pragmatisch. Die Klauen seiner verbliebenen Hand griffen um den weichen, verwundbaren Hals des Mannes und drückten zu. Nur eine falsche Bewegung konnte jetzt fatal sein.
"Sie arbeiten für ihn, nicht wahr?" hauchte er dem Mann entgegen. Dieser sah ihn zunächst so an, als wüsste er von nichts.
"Verschwenden Sie nicht meine Zeit! Sie arbeiten für Vincent van Zan!" Der Griff wurde fester.
"Richten Sie ihrem Boss folgendes aus: Ich bin nicht sein Schoßhund! Ich gehe wohin ich will, und ich habe ein privates Leben! Eines das ihn nicht einmal im Geringsten etwas angeht! Falls er sich bloß Sorgen macht, ich würde den großen Showdown verpassen, dann sagen Sie ihm er braucht sich keine Sorgen machen! Ich werde zu gegebener Zeit wieder zu ihm stoßen! Aber Sie hören auf mir zu folgen! Verstanden?"
Zunächst erfolgte keine Reaktion. Vor Wut schnaubend verlor Beyo die Geduld. Der Gedanke alleine, dass dieser Schleimbolzen van Zan von seinem Treffen mit Sahenia erzählen würde, rief den größten Ekel den man sich vorstellen konnte in ihm hervor. Sein Griff verfestigte sich weiter. Die scharfen Klauen drangen in das Fleisch des Menschen ein, etwas rotes Blut begann zu fließen. Von der Panik gepackt nickte dieser nur hastig und Beyo ließ ihn wieder los. Hustend griff er sich an den Hals. Die Wunden waren nur oberflächlich. Doch sie hatten ihre Wirkung getan.
"Und das hier können Sie gerne als Gruß mitgeben!" rief Beyo, immer noch wütend, und trat dem immer am Boden liegenden Kerl mit voller Wucht in die Brust. Es gab ein scheußlich krachendes Geräusch und der Mensch heulte vor Schmerzen auf. Dann richtete er sich taumelnd auf und machte dass er fortkam.
Der Zorn war langsam etwas abgeflaut. Doch weiter wusste er immer noch nicht. Er war kurz davor zu resignieren und einfach wieder zurückzukehren, als sich sein Omni-Tool wieder meldete. Erstaunt blickte Beyo auf das holografische Display. Die Nachricht war von Karvas. Er öffnete sie und überflog den Inhalt.
"Oh....."
Nun wusste er was zu tun war.
Captain Kaneko Yuhki
"Wo bleibt sie nur, verdammt?"
Unruhig ging der Captain zwischen den beiden Hauswänden der Gasse auf und ab.
"Sie wird bald da sein! Keine Sorge." Rarkin versuchte ihn etwas zu beruhigen. Die Asari hatte sich vor ca. einer halben Stunde zurückgemeldet. Auch wenn sie zu diesem Zeitpunkt bereits ausgerückt waren, so hatten sie sich doch an die Anweisung der Spectre-Agentin gehalten und sich bislang nur in ausreichende Entfernung zum Zielobjekt bereitgehalten.
Nathaniel Hudson lehnte unweit von ihm an einer Wand. Etwas weiter hinten alberte Guesarie Linyria mit Thomen und Krzeminski herum, offenbar um sich die Wartezeit zu vertreiben. Sie hielt beide Arme von sich gestreckt und versuchte seine beiden Untergebenen dazu zu motivieren, sie auch nur einen Zentimeter von der Stelle zu bekommmen, was jedoch ein sinnloses Unterfangen war, egal mit wie viel Kraft die beiden sich auch dagegen stemmten. Eine derart grotesk muskulöse Asari hatte Yuhki in seiner gesamten Dienstzeit wirklich noch nicht gesehen.
"Na was denn jetzt, ich dachte ihr Jungs wolltet mir zeigen wie das geht?" kicherte die Asari amüsiert und warf beide mühelos einige Schritte zurück.
"Könnten Sie alle sich vielleicht ein wenig professioneller verhalten?" schnaubte Yuhki gereizt und öffnete den Funkverkehr, während ein halblautes
"Spielverderber!" im Hintergrund zu hören war.
"O'Grady, wie ist die Lage?" "Unverändert Captain." antwortete es, mit leichtem Rauschen.
"Auf den Straßen patrouillieren gerade nicht mehr als 5 dieser Kerle....der Haupteingang und die Hintertür sind fest verrammelt.....keine Wachen davor...."
Der junge Ire kreiste im stetigen Rhythmus in dem Transporter über ihren Köpfen und hielt die Szenerie mit dem Scharfschützengewehr im Auge.
"Auch keine Aktivitäten an den Fenstern oder dem Außenplateau...."
Die Verbindung wurde wieder unterbrochen.
"Wir können eigentlich von Glück reden dass wir noch Verstärkung erhalten." sagte Rarkin.
"Einerseits, ja. Andererseits wird es aber auch die Durchführung des Plans erschweren! Wollen wir es trotzdem noch durchziehen?" "Unbedingt." erwiderte der vernarbte Turianer voller Überzeugung.
"Wir ziehen das durch. Oder eher gesagt, ich ziehe das durch. Kümmern Sie sich nur darum dass ihre Familie dort heil rauskommt!"
Das würde er. Und wenn es das letzte war. Nichts würde ihn daran hindern seine Frau und die beiden Kleinen zu retten.
"Sehen Sie mal, wenn man vom Teufel spricht!"
Tatsächlich, da war sie. Allerdings nicht alleine.
Sofort erkannte er Hanna Ilias, welche ihrerseits offenbar sofort Hudson erkannte und grüßte. Rarkin derweil begrüßte Syren Vox und seine Assistentin.
"Ich hatte versucht Sie zu erreichen! Es freut mich sie beide bei dieser Sache dabeihaben zu können."
Über den Anblick der Sportlerin Cas‘ tivera war er wiederum nicht sehr erfreut. Allerdings sagte er nichts dazu. Sie konnten gerade so oder so nicht wählerisch sein. Guesarie Linyria schüttelte ihr begeistert die Hand.
"Hey, ich hatte es ja erst nicht geglaubt, aber wir haben ja tatsächlich prominente Unterstützung bei diesem Fall. Meinen Sie nach dieser ganzen Sache wäre eine Runde Freikarten für die Illuminates drin?"
Thomen und Krzeminski hielten sich bei der Begrüßung im Hintergrund. Ebenfalls im Hintergrund blieb zunächst der vollkommen schwarz gekleidete Kerl, der schon vor einigen Tagen in den Tips dabei gewesen war, als sie Beyo Vhan verwundet angeschleppt hatten. Von dem roten Turianer selbst hingegen fehlte jede Spur. Und Yuhki konnte nicht sagen, dass ihn dieser Umstand störte.
"T'Saari, es freut mich dass Sie hier sind!"
Er verschwendete keine Zeit und legte sofort die Fakten auf den Tisch.
"Ich habe sämtlichen möglichen Ressourcen und Ziele von Gavros' analysiert! Ich bin mir zu 99% sicher dass ihr nächstes Ziel der Präsidiumshafen sein wird! Und zwar wird sie ihn mittels einer Sprengung der unterirdischen Hauptleitung lahmlegen!" Dass dies eine Katastrophe wäre musste er bei ihr wohl nicht betonen. Auch die Tatsache, dass die Leitungen kilometerweit unter der Oberfläche der Station verliefen und es unzählige mögliche Stellen gab wo zugeschlagen werden konnte, lag für die Asari sicherlich auf der Hand.
"Der Executor jedoch kann ohne konkreten Beweis nichts tun!" Womit er direkt beim nächsten war. Er begann das
Video an eine der Gassenwände zu projizieren. Jeder der Anwesenden sollte wissen, wie das Gebäude was sie stürmen würden von innen aussah. Er kommentierte den Umstand, dass seine Familie auf dem Video zu sehen war, nicht weiter.
"Da Sie dieses Video offenbar nicht kennen, woher waren Sie über den Ort hier im Bilde?"
Es interessierte ihn schon, wer ihre Quelle dafür war.
"Nun, ich bin mir sicher Sie haben ihre eigenen Pläne, und ich möchte mich nicht wieder mit ihnen streiten. Daher nur mein Angebot: Mein Leute und ich werden den Hintereingang nehmen. Wir dringen dort ein, ziehen die Aufmerksamkeit auf uns und geben dann das Signal. Dann sind Sie und ihre Leute vorne dran und wir nehmen sie gemeinsam in die Mangel. O'Grady gibt uns aus der Luft Deckung."
"Captain!" funkte ihn dieser wieder wie auf Kommando an.
"Visuelle Bestätigung! Sie ist hier! Braelyn Gavros ist im obersten Stock des Gebäudes!"
"Sie haben es gehört! Also, ihre Befehle?"