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Berash musterte die Küste Argaans mit kritischem Blick, als das Schiff an ihr entlang segelte. Er hatte nicht gedacht, dass ihn sein Weg noch einmal hierher zurück führen würde. Natürlich war er eine Zeit lang auf der großen Insel unterwegs gewesen, die den Hauptteil des argaanischen Königreichs ausmachte. Auf ihre Art und Weise war sie schon beeindruckend gewesen. Allein das Weißaugengebirge, welches die Insel fast komplett in zwei Hälfen teilte war eine Erkundung wert gewesen. Dort war es auch, wo er einen der verfallenen Tempel entdeckt hatte, dessen Aussehen sich so sehr von allen Ruinen unterschied.
Die verwitterten Fresken darin hatten Drachen und humanoid wirkende Echsen gezeigt, Kreaturen die früher immer dem dunklen Gott Beliar zurechnet worden waren. Doch der Tempel war anders gewesen.
Doch es hatte auch noch andere Dinge gegeben, wie zum Beispiel der riesige Baum in Toshoo. DAS war ein Wunder gewesen, welches seinesgleichen suchte.
"Ne, als ich zuletzt in Setarrif gewesen war, da stand es noch... glaube ich." Während er den ersten Teil des Satzes noch laut an die junge Frau zurück gegeben hatte, waren die letzten beiden Worte eher an sich selbst gerichtet und nur leise gemurmelt worden.
Vielleicht lag es am Alter, da war sich der Assassine nicht sicher. Doch seine Erinnerungen waren manchmal in einen verschwommenen Nebel gehüllt, ähnlich wie jener, den sie passiert hatten. Und noch während er nachdenklich hinaus aufs Meer starrte, kam er nicht umhin sich zu fragen, was er noch im Laufe der Jahre vergessen hatte. Welche Erinnerungen, gute wie schlechte, würden noch in diesem zähen Nebel untergehen und nur Bruchstückenhaft wieder auftauchen? Schließlich war die Tempelgeschichte auch wie aus dem Nichts in seinem Kopf aufgetaucht.
Berash schüttelte sich. Es hatte doch keinen Sinn in solch lang vergangenen Dingen herum zu wühlen wie ein Eichhörnchen, welches im Winter eines seiner Vorratsverstecke suchte. Schließlich fand auch das Eichhörnchen nie alles, was es vergrub. Also würden manche Erlebnisse des früheren Emirs ähnlich wie die Nüsse des Eichhörnchens für immer versteckt bleiben.
"Ich hoffe nur, dass der Rest der Fahrt genau so entspannt verläuft, wie die bisherige." Rief Berash an Ravia gerichtet herüber. "Es war ja schon fast langweilig."
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An Bord der Joka La Maji
Ach stimmt ja, er war ja schon mal auf Argaan, erinnerte sich Ravia bei den Worten Berashs.
Doch wenn er die Stadt der goldenen Kuppeln in ihrem jetzigen Zustand noch nicht erblickt hatte, dann durfte er sich auf eine Überraschung gefasst machen. Eventuell war es eine böse Überraschung, doch was geschehen war, ließ sich schwerlich rückgängig machen und er Anblick war noch immer eindrucksvoll, auch wenn es eher der Zerstörung schmeichelte, denn der einstigen Baukunst.
„Keine Sorge, nicht mehr lang und wir lassen dich per Beiboot von Bord!“, rief Ravia ihm zu, als sie ihr Tau festband.
Sie hatten ihren Kurs nach Süden eingeschlagen, weshalb sie nicht mehr durchgehend bereitstehen musste. Weit entfernen konnte sie sich jedoch auch nicht von ihrem Arbeitsplatz. An die Reling zu treten war aber im Rahmen, weshalb sie sich neben den Weißhaarigen stellte und ihn anlächelte.
„Na? Aufgeregt und froh, dass du bald wieder festen Boden unter den Füßen hast? Argaan wäre ja nicht der Ort meiner Wahl“, gab sie zu, übte aber keine Kritik an ihm aus, „Ich könnte mit dem Käpt’n reden und wir nehmen dich ein Stück weiter mit“, schlug sie offen vor und meinte es auch so.
Sie hatte Gefallen an seiner Gesellschaft gefunden und wollte noch nicht so bald Lebewohl sagen.
„Und ja, Schiffsreisen sind leider häufig langweilig, wenn man nichts zu tun hat. Darum habe ich dir ja ganz am Anfang der Fahrt geraten, dir eine Beschäftigung zu suchen! Wenn du noch etwas an Bord bleiben willst, finden wir sicher etwas, um die Langeweile zu vertreiben“, deutete sie etwas verschmitzt an, „Auch wenn ich nicht weiß, ob wir deinen Sieg gegen Naut übertrumpfen können. Aber vielleicht suchen wir uns einen kleinen Sturm und schauen mal, wie langweilig es dann noch ist.“
Sie lachte, doch schickte insgeheim eine Bitte an den Gott des Meeres, dass er sie nicht in einen Sturm leitete. Das war mit das schlimmste, was ihnen passieren könnte, solange sie auf dem offenen Meer waren und keine Bucht als Unterschlupf fanden.
„Schiff in Sicht!“, klang es vom Krähennest und ließ Ravia aufhorchen.
Wessen Schiff würde an der verlassenen Ostseite der größten südlichen Insel entlangfahren, außer ihnen?
„Orksegel an der Küste!“, folgte ein zweiter Warnruf.
Diese Warnung brachte Bewegung in die Mannschaft und selbst Arus stieg mit großen Schritten – zwei Stufen auf einmal nehmend, auf das Achterdeck.
„Ruhig bleiben!“, befahl er laut und versuchte der Aufregung und Angst seiner Männer und Frauen entgegenzuwirken.
Der riesige Torgaaner war nach Außen hin gelassen, doch seine Ziehtochter ahnte, dass auch sein Herz bei der Meldung schneller zu schlagen begonnen hatte.
„Sie liegen vor den Ruinen von Setarrif!“, rief jemand von weiter vorn und deutete auf die große Galeere, deren Segel eingerollt waren.
Hinter dem Kriegsschiff breitet sich das Ruinenfeld des einstigen Setarrifs aus. Der Nebel, der sich auf ihrem Weg gen Süden gelichtet hatte, verbarg nicht länger die Sicht und selbst auf diese Entfernung konnte man sehen, dass sich an Land Gestalten bewegten. Orks.
„Sieht aus, als würden sie ihr Schiff beladen, Käpt’n“, gab Naut seine Einschätzung, der in seinen Jahren bei der königlichen Marine mehr als ein Seegefecht gegen die Grünhäute ausgefochten hatte.
„Gut, dann können sie uns nur langsam folgen. Haltet den Kurs! Die Joka La Maji ist schneller, als die behäbigen Pötte der Orks!“
Ravia eilte zurück an ihren Platz, falls sie die Segel ausrichten mussten. Sie war aufgeregt und ein Hauch von Panik machte sich in ihr breit. Doch sie musste vertrauen. Vertrauen darauf, dass ihr Baba und die Mannschaft alles tat, um eine Konfrontation mit diesen Bestien zu umgehen.
Zwischen den Ruinen tauchten immer mehr Orks auf und sie hoben die Waffen, während sie so laut brüllten, dass man es noch an Bord hören konnte. Einige mutige und bekloppte Seeleute brüllten zurück, doch es war wohl eher, um ihrer Nervosität ein Ventil zu geben, als zum Kampf aufzufordern. Sie streckten die Zungen raus und rissen die Augen weit auf, was wohl keiner der Orks an Land erkennen können durfte.
„Diese Idioten“, fluchte Ravia und hielt ihren Blick auf die Küste gerichtet. Setarrif war riesig gewesen und es war noch ein Stück, ehe die Ruinen dem dichten Dschungel wichen, der die südöstliche Seite der Insel bedeckte. Kurz dahinter kämen die schwarzen Strände und sie hoffte inständig, dass ihr Baba dort nicht ankern würde, jetzt, wo sie wussten, dass die Orks so nah waren.
„Berash! Willst du wirklich auf diese Insel, wenn die Orks hier sind? Das kann nicht gut enden“, beschwor sie ihn, doch er hörte sie nicht oder ignorierte ihre Worte, während er von ihr abgewandt zur Küste blickte.
„Nur noch ein Stück, dann sind wir außer Sichtweite!“, rief Naut zur Motivation und er ließ sich nicht anmerken, ob er froh darüber war oder nicht.
Die Überreste des Stadttores lagen mittlerweile auf gleicher Höhe mit der Joka und als die zerplatzten Steine hinter ihnen kleiner wurden, war es fast so, als atmete die Mannschaft im Kollektiv auf.
„Den Göttern sei Dank“, stieß Ravia zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. Die Orks hatten keine Anstalten gemacht ihnen zu folgen. So wie es aussah, waren sie dabei die Galeere für die Abreise vorzubereiten und konnten wohl nicht schnell genug reagieren.
„Wir hätten es ihnen schon gezeigt!“, tönte Soren, der unweit von ihr stand, „Piraten fürchten keine stinkenden Orks!“
Damit war es raus. Wenn Berash es nicht schon längst gewusst hatte, wäre es nun kein Geheimnis mehr. Aber wieder ließ er sich nichts anmerken.
„Hergehört!“, verlangte Arus die Aufmerksamkeit, „Wir werden das Südkap umschiffen und beim großen Sumpf vor Anker gehen, um unseren Passagier abzuladen. Danach geht es weiter nach Norden! Wenn wir die Stadt der Türme erreicht haben, verrate ich euch, wo es als nächstes hingehen wird!“
Zustimmendes Gejohle, angefeuert durch die Euphorie die Orks hinter sich gelassen zu haben, begrüßte diese Bekanntgabe. Auch Ravia wollte wissen, wohin es sie als nächstes trieb, doch vorher galt es ihr Versprechen zu halten.
Die schwarzen Strände tauchten hinter dem Dschungel auf und darüber die dunklen Felsen der Schwarzen Schlucht. Hoch oben thronte ein Gebäude, das sich nahtlos in die Landschaft eingliederte, fast so, als wäre es schon immer so gewesen. Doch manche Seeleute, die schon länger im Geschäft waren, behaupteten, dass dort vor vielen Jahren noch kein Gemäuer gewesen war, bis es plötzlich wie von einem Tag auf den anderen dort erschienen wäre.
Unwahrscheinlich und mit ziemlicher Sicherheit Seemannsgarn der langleben Art.
„Hey Berash, das da könnte ja dein Kastell sein“, versuchte die Blonde die Aufmerksamkeit des Passagiers zu gewinnen und deutete auf das Gebäude.
Das Südkap umrundet – sie hatte sich wieder in die Seile legen müssen – änderten sie ihren Kurs nach West-Nordwest, wo die Strände am Rand des Sumpfes bereits in Sicht kamen. Das Weißaugengebirge kesselte das Feuchtgebiet eindrucksvoll ein und Ravia fragte sich, ob es dort wärmer war, als im Rest der Insel. Immerhin hatten die warmen Temperaturen im Umkreis des Sonnengürtels stetig abgenommen und es war beinahe zu kalt für ihren Geschmack.
„Klar machen zum Ankern!“, donnerte der Befehl des Kapitäns über das Deck und die Mannschaft folgte den weiteren Anweisungen, wodurch sie nach und nach an Fahrt verloren und schließlich der Lotmann eine geeignete Stelle für sie fand.
„Beiboot ins Wasser lassen!“
Vorsichtig wurde das Ruderboot ins Meer abgelassen und eine Strickleiter über die Reling geworfen. Wie selbstverständlich kletterte Ravia hinunter und wartete, bis Berash sich zu ihr gesellte. Zu ihrer Überraschung folgten Saarina und Pakko, die sie begleiten wollten.
„Also dann, macht euch ans Rudern!“, meinte Saarina süffisant und blickte direkt Pakko an, der nur seufzte und eines der Ruder griff, während Ravia sich das zweite schnappte, ehe sie langsam Richtung Strand paddelten.
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An Bord der Joka La Maji
Da ging er hin, hinein in die Schatten der Mangrovenbäume, das Meer hinter sich lassend. Ravia hätte nicht gedacht, dass sie Berash so schnell vermissen würde. Noch während sie sich ins Ruder legte, beobachtete sie die Stelle, an der er zwischen den Bäumen verschwunden war. Er hatte sie mit Respekt behandelt und war ihr ein guter Gesprächspartner bei der Überfahrt gewesen. Irgendwann würden sie sich sicher noch einmal begegnen. Der Morgrad mochte groß sein, doch man sah sich bekanntlich immer zweimal im Leben.
„Langsamer!“, wies Saarina die beiden Ruderer an und Ravia legte weniger Kraft in die Schläge.
Pakko passte sich ihr an und wenige Momente später ditschte das Ruderboot gegen den Rumpf der Joka La Maji. Von oben wurde bereits eine Strickleiter hinabgelassen und die Navigatorin bedeutete Pakko als erstes den Aufstieg an Deck anzugehen.
Der junge Torgaaner schwang sich auf die wacklige Leiter und kraxelte sie empor, während Ravia die Paddel einholte, unter der Sitzbank verstaute und die von oben herabgelassenen Taue an dem Boot befestigte. Die Korshaani hielt unterdessen die Leiter fest, damit sie nicht so sehr hin und herschwankte.
Nachdem Pakko oben angekommen war, wollte Ravia sich an das Klettern machen, doch Saarinas Hand landete auf ihrer Schulter.
„Hör mir gut zu, solange wir allein sind“, flüsterte die ältere Frau ihr verschwörerisch zu, „Was du in Bakaresh erreicht hast, hat einigen alten Freunden von mir imponiert und sie wollen, dass ich dir das hier gebe.“
Die Navigatorin drückte ihre andere Hand in die der Blonden und Ravia spürte, dass es sich um ein zusammengefaltetes Stück Pergament handelte. Überrascht blickte sie in die grünen Augen der anderen Frau.
„Lese es, wenn du alleine bist und dich keiner sieht! Und jetzt rauf mit dir.“
Verwirrt ob dieser mysteriösen Nachricht schwang sich die Piratin zögerlich an die Strickleiter und nahm eine Tausprosse nach der anderen, bis sie sich elegant über die Reling schwang. Die meisten Matrosen waren bereits dabei sich auf das Ankerlichten vorzubereiten.
Saarina folgte wenige Momente später und kletterte an Deck.
„Beiboot einholen!“, befahl sie und einige das kleine Ruderboot wurde hochgehievt und an seinem angedachten Platz vertäut.
Die Navigatorin warf Ravia nicht mal mehr einen Blick zu, ehe sie sich auf den Weg zum Achterdeck machte, wo bereits Kapitän Arus stand, während Naut vom Hauptdeck aus Befehle erteilte.
Wenig später setzten sie bereits wieder Segel und nahmen Kurs Richtung Norden. Stewark war das nächste Ziel und von dort aus würde ihr Baba offenbaren, wohin die Reise gehen würde. Die meisten, so auch Ravia, vermuteten, dass sie ihren üblichen Hafen ansteuern würden, um die zu Gold gemachte Prise auszugeben. Es war ein gutes Geschäft gewesen, was sie in Bakaresh erzielt hatte und sie vermutete, dass mehrere Wochen davon gegessen, getrunken und gehurt werden würde. Sie hingegen hatte andere Pläne, denn es gab noch ein bestimmtes Kästchen, welches sie vor der Ankunft im Piratennest knacken musste, wenn sie nicht wollte, dass es mit Gewalt aufgebrochen wurde.
Dabei fiel ihr auf, dass Saarina vielleicht von ihrem Erfolg in Bakaresh gesprochen hatte, als sie ihre alten Freunde erwähnt hatte. Die Piratin würde erst die Nachricht lesen zu müssen, um sicher sein zu können, und sie kannte einen guten Ort an Bord, wo sie ungestört sein würde.
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An Bord der Victoria
Er hasste lange Wege übers Meer. Nicht, dass er das Wasser selbst nicht mochte. Das konnte er schon nicht so sagen. Die kühle Brise und der gleichmäßige Gang der Dinge hatte etwas meditatives, zutiefst beruhigendes. Das Wasser schien ihm Kraft zu geben. Auf eine Art war das Wasser die Essenz des Lebens selbst, grübelte er. Alles Leben sagten sie stammte aus dem Wasser. War es vielleicht Wasser gewesen in das er verbannt worden war? Tiefes Wasser statt unendlicher Schwärze? Seine Gedanken flogen wie eine Schar Vögel über das Wasser, während er neben Saraliel herlief. Sicherlich sagte er gerade wieder irgendetwas geistreiches und erzählte von Abenteuern und Entdeckungen. DraconiZ hatte sich angewöhnt dann und wann zu nicken und ein »Ja wirklich?« einzustreuen und konnte so mehr oder weniger gelassen seinen eigenen Gedanken nachgehen. Wenn der hohe Magier etwas wichtiges zu besprechen hatte, schaute er ihn ohnehin mit diesem missbilligenden Blick an, der keinen Zweifel lies, dass der Assassine irgendetwas versäumen lies, dass eigentlich von allerhöchster Wichtigkeit war. Sein Bruder war schon eine besondere Schneeflocke. Er konnte Wochenlang nichts essen und mit Keinem reden, aber wenn er ein Thema gefunden hatte, dass ihn interessierte, faselte er wie ein Wasserfall.
Während sie zum anderen Ende der Victoria liefen begegnete ihm mehrmals ein Blick, den er so lieber nicht empfangen hätte. Die Soldaten hielten sich zurück, denn das war Ihnen gesagt worden. Doch innerlich brodelte es. Sein Name hatte die Runde gemacht und Keiner lies einen Zweifel daran, dass sie lieber Staub fressen würden, als dem Verräter zu Nahe zu sein. Und sei es nur, weil es ein schlechtes Licht auf Ehre und Sold warf. Ein leichter Schauer lief dem Paladin über den Rücken.
»Eure Eminenz!«, meinte Saraliel so schrill und plötzlich, dass Draco fast von Bord gefallen wäre, als er unsanft aus seinen Gedanken gerissen wurde. Einen Moment taumelte er, dann schaute er in Françoise’ wie immer gütig blickendes Gesicht. »Mein Bruder erzählte mir alles. Eine Meisterleistung! Wirklich unglaublich was du vollbracht hast. Solch eine Magie habe ich noch nie gesehen! Es wäre sicherlich Niemand anderem gelungen«. Es folgten einige weitere Lobpreisungen und als endlich der Moment zur Unterbrechung gekommen war meinte der Streiter: »Saraliel wollte gerade davon berichten, wie wir in Khorinis vorgehen wollen«. Die Verwirrung die sich heftig im Gesicht des Hünen widerspiegelte nutze DraconiZ um fortzufahren: »Wenn wir an Land gehen, wird mein Auftrag sein die Stadt zu erkunden und Hagen bericht zu erstatten. Ich denke es ist wichtig für meine Gesundheit, dass ich dem Befehl schnellstmöglich Folge leiste«. Er hielt kurz inne und schaute argwöhnisch zu seinem Bruder, der scheinbar aber – den Göttern sei Dank – mit seiner Verwirrung rang. »Meine erste Idee wäre die Diebesgilde anzusteuern, sofern sie noch existiert heißt das. Zudem habe ich einige Assassinen aus Bakaresh gerufen, die das Umland erkunden sollen. Wenn der Wind glücklich stand, sind sie vielleicht sogar vor uns dort«. Er schaute Françoise an: »Es ist vielleicht dreist zu fragen. Doch: Wirst du mir helfen?«. »Uns Bruder«, ergänzte Saraliel und schaute jetzt auf seine komische Weise drein, die er aufsetze, wenn er meinte, dass große Worte angemessen seien. »Ich habe Vater versprochen auf meinen jüngeren Bruder aufzupassen und das werde ich«, meinte er mit deutlich mehr Pathos in der Stimme, als DraconiZ gut gefunden hätte. Der Assassine seufzte. Das hatte sich vor noch nicht allzu langer Zeit noch ganz anders angehört.
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An Bord der Victoria
Françoise wusste nicht, wie ihr geschah, als Saraliel sie mit so viel Lob überschüttete. Das sah ihm gar nicht ähnlich. Selbst sein Bruder schien davon überrascht zu sein und musste gekonnt einen Moment der Ruhe abpassen, um ein Wort dazwischen zu kriegen.
»Ich danke dir, Saraliel.«, sagte die Priesterin schließlich. »Ein Lob aus deinem Munde ist viel wert. Sei aber nicht zu voreilig. Ob das Konstrukt auf Dauer hält, muss sich erst noch zeigen. Daran mache ich den Erfolg fest.«
Dracos anschließende Frage überraschte die Oberste Feuermagierin zuerst genauso, wie Saraliels Lobpreisungen. Aber je mehr sie darüber nachdachte, desto deutlicher wurde ihr, dass genau diese Frage kommen musste. Sonst wäre Draco nicht Draco. Außerdem wäre es eine hervorragende Gelegenheit, auf andere Gedanken zu kommen. Ein bisschen in Nostalgie schwelgen, ein bisschen Abenteuer erleben. Es war genau das, was Françoise brauchte.
»Natürlich begleite ich dich gerne. Auf dich aufzupassen, braucht mindestens zwei Magier.«, witzelte die Priesterin. »Ich hoffe, du weißt auf was du dich einlässt, Saraliel. Wir werden nicht jeden Abend in einer Herberge unterkommen und bestimmt die ganze Zeit auf den Beinen sein. Es wird eine körperliche Herausforderung werden.«
Der darauf folgende Gesichtsausdruck des Feuermagiers ließ sich am besten als ambivalent beschreiben. Einerseits wollte er natürlich dem Wunsch seines verstorbenen Vaters gerecht werden, andererseits konnte er die Warnung der Obersten Feuermagierin nicht einfach in den Wind schlagen. Françoise ließ ihn über seinen Gedanken brüten und wandte sich an Draco.
»Solange wir in der Stadt sind, kannst du ja nach den Dieben Ausschau halten.«, sagte sie. »Denk daran, dass diese Leute normalerweise hinter Gitter gehören. Mache keine Versprechungen, die du nicht halten kannst. Sobald du da fertig bist, sollten auch alle offiziellen Dinge in der Stadt erledigt sein, die meine Anwesenheit bedürfen. Dann können wir zusammen losziehen. Was ist mit deinen Assassinenfreunden? Erzähl mir mehr über sie.«
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»Ja denk gut nach Bruder«, meinte DraconiZ lachend und klopfte dem Hünen an die Schulter. Vielleicht hätte er ihm tatsächlich auch auf die Schulter geklopft, doch das war aufgrund des Unterschieds an Höhe eine schwierigeres Unterfangen und hätte sicherlich komisch ausgesehen. Er verfehlte nicht den Effekt. Saraliels Gesicht verzog sich zu einer fragenden Miene und man konnte fast sicher erkennen wie es unter seinen Schläfen arbeitete. Eine Bereicherung in jedem akademischen Disput. Eine Vollkatastrophe auf jedem Abenteuer. »Ich werde tun was ich kann«, meinte der hohe Magier schneller als gedacht und Françoise und der Streiter nickten. Das war – angesichts der körperlichen Voraussetzungen – ein hohes Zugeständnis. »Ich bin froh dich weiterhin an meiner erm unserer Seite zu wissen«, meinte der Assassine dann in Richtung seiner Lehrerin.
»Ich kenne die Diebesgilde noch von früher«, meinte der Weißhaarige als er kurz den Blick über das Meer schweifen lies. »Es wird Zeit die Kenntnisse zu vertiefen und neue Wege zu gehen. Ich werde nichts tun, was dem Reich auf Dauer schaden wird«, versprach er und blieb schwammig genug um sich einigen Spielraum zu verschaffen. Die Götter allein wussten, was genau sich dort ereignen mochte. Möglicherweise mussten Diebe in diesen Tagen gar nicht mehr mit der Kanalisation vorlieb nehmen, sondern konnten mehr oder weniger offen operieren. Das Recht des Königs würde Ihnen genug Angst einjagen, dass er sich daraus Kooperation erkaufen konnte. Zumindest war das seine Hoffnung. »Es ist nicht unser Niveau. Auch wenn du zu manchem fähig warst, so ist dein Weg nun ein anderer«, belehrte ihn Saraliel mittendrin und schaute tadelnd auf ihn herunter. In diesem Moment erinnerte er ihn sehr an die weniger liebenswerten Gespräche die er mit Arion geführt hatte. Er lies den Kommentar unkommentiert. »Alenya, eine ehemalige Klingenmeisterin aus Braga und maximal fünf weitere sind von Bakaresh aufgebrochen um Khorinis und das Umland in Augenschein zu nehmen. Es ist mir gelungen sie zu überzeugen für das Reich einzutreten«. Er schluckte und schaute Françoise an. Sie würde ohnehin darauf kommen, dass es nicht umsonst war. »Im Gegenzug versprach ich Ihnen Straffreiheit und einen sehr gnädigen Umgang mit etwaigen anderen Götteranbetungen«. Er schaute ernst drein. »Es musste sein. Wenn wir irgendwann wirklich Frieden in Varant haben wollen, müssen wir die Kulturen zusammenbringen. Eine Exklusion wird nur weiter Krieg bringen«. Er fuhr sich mit der Hand über sein Kinn. »Jedenfalls vertraue ich Ihnen weit genug, um ihrem Urteil zu trauen. Ich werde dennoch vor Hagen mit meinem Kopf hinhalten«. Der hohe Magier vor ihm schaute ihn nur missbilligend, ja vielleicht sogar mitleidig an. Wie ein Kind, was es einfach nicht lernen wollte, wie man einen Apfel schält. Am liebsten hätte er ihm seinen…
Er verscheuchte den Gedanken. »Was sind es für Dinge die du im Sinn hast? Wirst du den Glauben der Bevölkerung erneuern? Dann ist vielleicht Saraliel wirklich eine Hilfe«, stichelte er.
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An Bord der Esmeralda
Nachdenklich saß Sunder Achtern auf einem Faß und schaute hinaus aufs Meer und fragte sich, ob es wirklich die richtige Entscheidung war, sich für die Khorinis Expedition zu melden. Mit Verstand betrachtet machte alles einen Sinn, die alte Heimat wiedersehen, Menschen in der Not helfen, vielleicht sogar ein paar alte Bekannte wiederfinden, das waren nur einige Gründe die dafür sprachen, sich auf die Reise zu begeben. Etwas sinnvolles tun, noch etwas aus seinem Leben machen und die Chance nutzten sich und der Welt noch zu beweisen, das der Seebär noch nicht zum alten Eisen gehört, das waren die Argumente mit denen der Kommandant versucht und letztlich auch geschafft hatte ihn zu überzeugen. Ulrich konnte wirklich geschickt auf einen einreden, so das man am Ende nicht mehr wusste wo einem der Kopf stand und einem die Worte fehlten dem Kommandanten etwas entgegen zusetzten. So gewandt wie der Paladin mit Worten umgehen und Andere überzeugen konnte, hätte er durchaus auch Prediger werden können. Ein kurzes Lächeln huschte über die Lippen des Seebären, als er sich vorstellte wie Ulrich in einer schicken Kutte auf dem Marktplatz steht und versucht mit inbrünstigem Geschwafel die Leute in seinem Bann zu ziehen. Das würde Sunder zu gerne erleben und sicherlich auch ein paar Münzen spenden, das wäre ihm der komische Anblick allemal wert.
„Na alles klar bei dir?“ riss Luthger den Seebären aus seinen Gedanken, „siehst ja glatt so aus, als würdest du Trübsal blasen.“ Sunder wandte sich Luthger zu und schüttelte den Kopf, „ach wat..., isch hab mir nur ein bisschen Jedanken jemacht“ brummte der Seebär. „So, über was denn?, wenn ich fragen darf“ hakte der kleine Späher nach. „Ach, nix besonderes, wie dat manschmal so ist, da hat man plötzlisch wat im Sinn da und drüber denkt man dann nach“ erklärte Sunder. „Verstehe, du denkst wohl an deine alte Tage als Seefahrer, nehme ich an“ mutmaßte Luthger“, „wieso fährst du eigentlich nicht mehr zu See?“ Der alte Seemann machte eine wegwerfende Handbewegung, „dat ist ne lange Jeschichte, die disch ja nix anjeht“ knurrte Sunder, dem es sichtlich unangenehm war das er auf einen wunden Punkt in seinem Leben angesprochen wurde. „Ist ja gut..., ich wollte dir nicht zu nahe treten..., es hat mich nur interessiert, weiter nichts“ versuchte sich der Jäger zu erklären. Der Seebär bemerkte das er wohl etwas zu schroff reagiert hatte“, „ist alles jut Jung, kannst ja nix dafür, dat isch da nit jerne drüber spresche..., isch hätte dir dat auch ein bisschen netter beibringen können“ räumte der Seebär ein und grinste Luthger an, der Jäger grinste zurück, somit war die Sache geklärt.
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Mit halb geschlossenen Augen saß Jacques gegen einen Heuballen gelehnt im Lagerraum der Gloriana und lauschte den Geräuschen des Schiffes. Den Wellen, die gegen den Rumpf schlugen, dem Knarzen und Quietschen der hölzernen Planken, den gedämpften Stimmen der Matrosen oben auf dem Deck, dem Schnauben und Stampfen der Pferde, die sich noch an die völlig fremdartige Umgebung gewöhnen mussten und entsprechend unruhig waren. Er war hier unten, um im Notfall eingreifen zu können, falls einem der Tiere der Stress zu groß werden sollte, aber auch, weil er selbst sich nach den anstrengenden letzten Wochen und Tagen nach ein wenig Ruhe sehnte. Ruhe, um nachzudenken.
In seiner Hand hielt er den Fingerknochen des Heiligen, den er vom Weißaugengebirge mitgebracht hatte, und er rief sich die Ereignisse dort unter den noch einmal ins Gedächtnis – oder zumindest versuchte er das. Er tat das nicht zum ersten Mal. Seit seinen Erlebnissen dort unten hatte er oft an sie zurückgedacht und versucht, den Ablauf des Geschehens zu rekonstruieren. Doch wirklich gelungen war es ihm nie.
Seine Erinnerungen waren lückenhaft und verschwommen; vieles wusste er gar nur, weil Jörg es ihm später erzählt hatte, und bei manchem, woran er sich zu erinnern glaubte, war er sich nicht sicher, ob es überhaupt seine eigenen Erinnerungen waren – Erinnerungen, in denen er die schattenhaften Umrisse einer monströsen Kreatur sah, die entschlossenen Gesichter seiner Mitstreiter, die bereit waren, ihm bis in den Tod zu folgen, und … sein eigenes Ende. Aber er lebte offensichtlich noch, also wie passte das zusammen? Jacques konnte es sich nur so erklären, dass diese Eindrücke gar nicht seine eigenen waren, sondern die des toten Paladins, der vor langer, langer Zeit sich selbst geopfert haben musste, um das Siegel zu schließen und einzusperren, was auch immer dort unten im Berg bis heute an seinem Gefängnis rüttelte. Wer war dieser Mann, dieser Märtyrer, gewesen? Und wie kam es, dass er seine Erinnerungen, seine letzten Eindrücke mit ihm teilte? Jacques konnte sich all das nicht erklären. Er wünschte, er hätte die Zeit gefunden, in Thorniara einen der Feuermagier danach zu fragen, aber mit dem königlichen Befehl zur Expedition nach Khorinis hatten sich die Ereignisse überschlagen.
Aber, auch wenn er es nicht ganz verstand – es fühlte sich gut und richtig an. Der Märtyrer hatte das größte aller Opfer gebracht, um andere zu schützen und zu retten. Damit verkörperte er alles, was gut und richtig war, und Jacques schwor, dass er das Andenken dieses heiligen Streiters mit seinen Taten ehren würde. Ob auf Argaan, Khorinis, oder sonstwo auf der Welt – so wahr ihm Innos helfe!
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An Bord der Victoria
»Auf Dauer?«, wiederholte Françoise und wollte im Grunde gar keine Antwort darauf haben. Ihr Freund würde zweifellos unorthodoxe Mittel zum Erreichen seiner Ziele einsetzen; der Ziele des Königs, um genau zu sein. Schließlich war Dracos Anwesenheit und Auftrag von Rhobar höchst persönlich abgesegnet gewesen. Es würde das beste sein, entschied sich Françoise, kein allzu genaues Auge auf die Machenschaften des früheren Assassinen zu werfen.
»Du strapazierst die Gunst des Königs ziemlich, Draco.«, sagte die Priesterin, als ihr Freund von seinen Versprechen erzählte. »Der letzte Rhobar würde früherer Assassinen, besonders hochrangige Assassinen ohne viel Federlesens hinrichten lassen. Um ein Exempel zu statuieren. Du kannst von Glück reden, dass der jetzige Rhobar viel mehr an Resultaten interessiert ist. Er ist sehr weltoffen und kann Dinge aus anderen Perspektiven sehen. Vielleicht kommst du ja damit durch bei ihm. Aber wenn du meinen Ratschlag willst, versprich nichts, das du nicht halten kannst. Sonst hast du schnell alle gegen dich.«
Als dann das Gespräch dahin kam, was die Oberste Feuermagierin denn geplant hatte, überlegte Françoise einen Moment.
»Um ehrlich zu sein, werden wir das erst vor Ort entscheiden können.«, sagte sie schließlich. »Die Bedürfnisse der Menschen stehen allem voran. Eine Doktrin zu predigen, während das Chaos herrscht, ist sinnlos. Wir müssen zuerst unter Beweis stellen, dass wir dort sind, um zu bleiben und um Verantwortung zu übernehmen. Das wird eine schwierige Aufgabe werden.«
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In Richtung Gorthar - Schiff Luzkan
Heric stützte die Arme auf die Reling und sah dem Spiel der Wellen zu, beobachtete, wie der mächtige Rumpf das Wasser teilte und Gischt zu den Seiten hochsprühen ließ. So in Gedanken versunken, verirrte sich sein Geist zurück zu dem Aufeinandertreffen mit dem Kapitän des Gortharischen Schiffes vor Stunden …
„Verpisst euch, Landratten!“, fuhr ein bulliger Seemann die Vierergruppe an, die fast außer Atem eintraf. Seine Kumpanen lachten abfällig, jedoch nur so lange, bis Ragnar vortrat und dem Mann schlicht und einfach die Hand auf die Schulter legte, nah am Nacken. Ein wohlmeinendes Lächeln, das die kalten Augen des Hünen nicht erreichte, ließ jede weitere Beleidigung und Verwünschung im Kern ersticken. Heric räusperte sich und trat vor.
„Wo ist der Herr Kapitän?“, fragte er laut. Der Matrose vor Ragnar öffnete den Mund, suchte nach Worten, schloss ihn intelligenterweise wieder. Er deutete nur mit dem Kopf in Richtung des Schiffes, zur Laufplanke. An ihrem Ende stand, eine Hand auf der Reling, der Kapitän des Schiffes. Er trug angemessene Kleidung gortharischen Stils, aufwendig verziert, Reichtum und Erfolg wiederspiegelnd.
„Grüße, meine Damen, meine Herren“, sprach er, machte aber keine Anstalten, sich zu ihnen zu bewegen oder sie zumindest an Deck zu bitten. Mit einem Stirnrunzeln blickte er zu Ragnar hin, der immer noch die Hand auf der Schulter seines Crewmitglieds hat. Der Kapitän räusperte sich und der Hüne ließ sie Hand sinken, den Matrosen nach wie vor anlächelnd. Heric ging schnell zur Planke.
„Herr Martjeen?“, fragte der junge Mann. Ein Nicken. Unverbindlich.
„Wir haben eine Passage nach Gorthar gebucht.“
„Ihr seid spät dran.“
„Aber noch nicht zu spät …“
„Vielleicht habe ich die Kajüten schon anderweitig vermietet.“
Heric lächelte knapp. „Dann würdet Ihr Euch nicht auf ein Gespräch einlassen, sondern hättet uns mit Knüppeln und Stangen vertrieben, Herr Martjeen.“ Er hob die Hände, entschuldigend. „Wir hatten … Komplikationen, alte Bekannte, die uns einfach nicht in Ruhe lassen wollten, denen der Abschied schwerfiel.“
Vielsagend blickte Martjeen den Pier hinab, schnalzte mit der Zunge, trat zur Seite.
„Hoch mit euch. Hopp, hopp. Sonst dürft ihr gleich mit anpacken. Na, na, junger Herr, erst die Damen, dann die Herren. Etwas Manieren solltet ihr Argaaner auch besitzen, nicht wahr? Willkommen auf der Luzkan, meine Damen. Die Herren.“ Fujeeda und Qarrah bekamen eine formvollendete Verbeugung, wohingegen Ragnar und Heric nur ein knappes Nicken bekamen. „Die Damen, ich helfe Ihnen mit dem Gepäck. Joost, du kümmerst dich um die Herren, klar?“
„Aye, Käpt’n.“ Der Maat namens Joost sah sie ungeduldig an. Heric seufzte.
Während sie dem Mann folgten, sah sich der junge Mann um. Die Crew bestand aus Männern und Frauen aller Herren Länder. Er wusste von Meister Kiyan, dass der Kontinent, an dessen äußeren, westlichen Ende das Herzogtum Gorthar lag, unglaublich groß war. Ihn zu umschiffen, so hatte er gesagt, dauert einige Wochen. Und dann kommt man zum Östlichen Archipel. Man könnte meinen, das ist das Ende der Welt.
„Nordmann, mh?“, der Maat sah Ragnar an, der seine wenigen Habe schleppte.
„Blitzmerker.“
„Wie is’s so … am Rockzipfel der Myrtaner?“
„Wie am Rockzipfel deiner Mutter, Gortharer.“
Zu Herics Überraschung lachte der Seemann auf und grinste anerkennend. Dann wandte er den Blick auf den jungen Mann.
„Und du bist ein kleiner Scheißer von Argaan, mh? Woher genau?“
„Schwarzwasser.“
„Dieses nach Pisse und Scheiße stinkende Brackwasserkaff neben der Monstereiche?“
„Äh …“
„Ich dachte da leben nur Blutfliegen und Einfaltspinsel. Wobei …“
Nun lachte Ragnar zustimmend und klopfte dem Maat auf den Rücken.
„Du gefällst mir. Habt ihr hier was zu trinken?“
„Nur guten Schnaps aus dem Herzogtum, nicht euern aus Sackhaaren und Orkscheiße gepanschten Stollengrollen.“
Witzbolde, dachte sich Heric, nachdem sie ihre Kajüte erreicht hatten und Ragnar dem Maat nach oben folgte. Wahrscheinlich würde er mit anpacken, war er doch selbst schon zur See gefahren. Erst auf Langschiffen der Nordmänner, dann mit Schiffen des Myrtanischen Reiches.
Später, als das Schiff aus dem Hafen aufs offene Meer gerudert worden war und sie Segel gesetzt hatten, kam Heric an Deck. Der Wind wehte ihm durch die Haare, zerrte stetig aber nicht störend an seiner Kleidung. Er trat zu dem Kapitän, der gerade vom Oberdeck herunterkam und mit einem zufriedenen Nicken die Mannschaft begutachtete. Er sah Heric, musterte ihn von oben bis unten.
„Heric, nicht wahr?“, fragte Martjeen.
„Ja, Herr Martjeen.“ Er neigte abermals grüßend den Kopf.
„Und du … bist der Lehrling eines Vetters der Calveits?“
„Ich war sein Lehrling. Wir … ich … er beendete die Ausbildung nach unserer Rückkehr aus seiner und Eurer Heimatstadt. Was er mir an kaufmännischem Wissen beibringen konnte, hat er mir beigebracht.“
Das war zwar eine glatte Lüge, aber besser als zu erwähnen, man habe Monate in einer Mine als Gefangener geschuftet.
„Eine Schande“, seufzte Martjeen und trat an die Reeling, blickte zur Insel Argaan zurück, die sich immer weiter entfernte. „Eine absolute Schande, was mit seinem Verwandten in der Stadt passiert ist. Das Anwesen abgebrannt, der Ältere Calveit ist dabei umgekommen … und seinen Bruder, den Jüngeren, vermutet man tot irgendwo in der Ferne.“
Er lächelte kurz. „Ich habe ihn oft auf diesem Schiff Willkommen geheißen. Wenn er zu seinen Expeditionen fuhr. Etwas verschroben, der alte Krüppel, aber im Grunde ein guter Mann.“ Ein Schulterzucken. „Nur ertragreich waren diese Fahrten nie. Das Geschäftstalent hatten sein Bruder und der Vater. Eine Schande“, wiederholte Martjeen und schwieg.
„Gab … gab es denn Familien, die den Calveits hätten, … schaden wollen?“, fragte Heric vorsichtig und wusste, dass er einiges auf eine Karte setzte, die ihn am Ende in die Hände von Salvaro Barenzia manövrieren könnte.
Der Kapitän sah Heric an, schien seinen Wert zu bemessen. Dann nickte er langsam.
„Siehst du, junger Heric, Gorthar war dereinst ein Herzogtum mit einem Herzog, einem Mann, der Rechenschaft gegenüber Rhobar dem Ersten und später dem Zweiten ablegen musste. Vor … Götter, zwanzig, fünfundzwanzig Jahren dann gab es ein wundersames Geschehnis, das dafür sorgte, dass die magische Kuppel über dem Minental von Khorinis …“
„Die Barriere?“, hakte Heric nach. Martjeen nickte anerkennend und fuhr fort.
„… genau, die Barriere verschob, erweiterte sich und … tja, umschloss auch einen Teil des Herzogtums. Wir führten Krieg gegen die Häftlinge, die erbitterten Widerstand leisteten. Herzog Talron suchte eine Möglichkeit, den Sieg davon zu tragen, aber er scheiterte am Ehrgeiz und der Rücksichtslosigkeit des verhassten Hurensohns und Hofmagiers Sorim. Er barg an der Seite des legendären General Kaszan Toras magische Artefakte, weckte ein altes Übel und sorgte so für den Untergang des Hauses von Herzog Talron. Später beschlossen die Adeligen, dass ein Rat das Schicksal des Herzogtums bestimmen sollte. Und das tut er bis zum heutigen Tage.“
Der Mann rieb sich das wettergegerbte, leicht narbige Kinn. „Leider gibt’s unter den Adeligen manch einen, der die Herzogswürde gerne bei sich sehen würde. Und diesen alten Adelsfamilien sind junge, neureiche Dynastien ein Dorn im Auge. Die Calveits, Heric, sind Goldadel. Reich geworden durch den Handel. Für die Grafen und Barone sind sie jedoch nicht mehr als Emporkömmlinge. Und wenn sie dann noch an Einfluss gewinnen, eine Bedrohung werden … nun ja. Gift, fingierte Unfälle, Auftragsmorde.“
Eine Karte, alles oder nichts.
„Wer ist Salvaro Barenzia?“, fragte Heric frei heraus. Kapitän Martjeen, ein augenscheinlich weltgewandter, erfahrener, vom Leben auf See gezeichneter Mann, der sein Schiff mehr als einmal vor Piraten schützen musste, erbleichte. Er beugte sich zu Heric, die Augen eindringlich schauend.
„Erwähne in Gorthar niemals diesen Namen, Bursche. Niemals! Das ist, als würdest du Beliar selbst herbeirufen. Und jetzt lass mich in Ruhe, verstanden? Ich habe ein Schiff zu führen.“
Kopfschüttelnd ging der Seemann davon und ließ Heric zurück. Nachdenklich und besorgt. Vor allem besorgt
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Zwischen Argaan und Gorthar - nahe der Khorinischen Küste
Dunkle Wolken bringen dunkle Kunde.
Das war eine Lebensweisheit seines Vaters gewesen, eines guten, eines aufrechten Mannes. Erst als Handwerker im Jägerlager des Bluttals, später als Quartiermeister der Wächter unter Hauptmann Hayabusa. Lebensweisheiten waren seine Spezialität gewesen, für jede Lebenslage in jedem Moment. Vielleicht war’s der Sumpf, der ihn so hatte werden lassen. Im Augenblick wäre es Heric ein Königreich wert gewesen zu erfahren, was er zu ihrer Situation gesagt hätte.
Vor wenigen Stunden waren die Wolken aufgezogen, hatten sie eingeholt auf dem Weg nach Gorthar. Der Kapitän der Luzkan hatte eben mitgeteilt, dass sie in Richtung der Khorinischen Küste segeln würden, um dort dem Sturm nicht schutzlos ausgeliefert zu sein. Zu spät erkannte Martjeen, wer ihre Flucht vor dem Unwetter nutzte.
„Piraten?“, fragte Ragnar und ballte die Fäuste. Götter, wahrscheinlich freute sich der Nordmann darauf, Wellen von Entermanövern abzuwehren. Das war genau die Art von Abschied von der Bühne, die er vorziehen würde. Martjeen sah den Hünen lange an, schüttelte den Kopf.
„Schlimmer“, presste er hervor, „Auf ihre Art Piraten, aber viel, viel schlimmer. Sturmkrähen.“
Ragnars in nordmarischer Sprache ausgespiener Fluch in lautem Ton ließ Qarrah und Heric zusammenzucken. Fujeeda spuckte aus und machte mit der Hand eine abwehrende Geste zum Heck des Schiffes hin.
„Wer sind die Sturmkrähen?“, fragten die jungen Leute unisono.
Ragnar wandte sich ab, begab sich unter Deck, um seine Waffe zu holen. Fujeeda schwieg. Martjeen seufzte schwer, schicksalsergeben. „Die Sturmkrähen sind ein seefahrendes Volk. Fast alles Frauen. Männer haben bei ihnen einen … mh, praktischen Wert. Spar dir das dumme Grinsen, Junge.“
Aber Heric grinste nicht einmal ansatzweise. Ihm war bewusst, wovon Martjeen sprach.
„Jedenfalls sind sie schlimmer als die Piraten der hiesigen Gegend oder die Freibeuter im Auftrag der Myrtanischen Krone. Die Sturmkrähen … lassen nur sinkende Schiffe, verbrannte Wracks an der Küste zurück, mehr nicht. Angeblich nehmen sie von jeder Crew einen Mann gefangen, einen Seemann, um so Nachwuchs zu bekommen, der Salzwasser in den Adern hat. Frauen … nun, entweder töten sie sie oder – auch das ein Gerücht – sie bieten ihnen, wenn sie sich als Löwinnen im Kampf beweisen, in ihr Volk auf.“
Er blickte über die Heckreling in Richtung Sturm, hob sein Fernrohr, beobachtete, fluchte dann leise. „Seht ihr sie?“, fragte er die Diebe. Heric kniff die Augen zusammen. Er sah sie. Graue, dunkle Segel, schnittige Schiffe, keine Flagge. Wahrlich, wie Krähen kamen dort drei dieser Schiffe auf sie zu, besser und leichter im Wind liegend als ihr Schiff, welches auch noch die wenigen Handelswaren geladen hatte, die die Thornarianer an die Gortharer veräußern durften.
Schweigend sahen sie dabei zu, wie die Schiffe immer näherkamen. Mehr und mehr Details waren zu erkennen. Das vorderste Schiff hatte eine Harpyie zur Galionsfigur. Silbern abgesetzte, ausgebreitete Schwingen aus Holz, von der Gischt und dem Salz verfärbt und zernarbt.
„Macht euch bereit. Geht entweder unter Deck oder nehmt, was ihr als Waffe greifen könnt. Das wird nicht ohne Blutvergießen abgehen, bei Adanos!“
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Zwischen Argaan und Gorthar - nahe der Khorinischen Küste
Schreie, die das Heulen des Sturmes übertönten oder Teil davon waren, als würden die Naturgewalten der Lüfte in den gleichen Atemzügen brüllen wie die Kehlen der Männer und Frauen, die sich an Bord der Luzkan gegenseitig den Tod bringen wollten. Schwarz gewandete, mit Federn von Raben, Habichten und Harpyien verzierte Frauen mit wettergegerbten Gesichtern, kalten, hasserfüllten Mienen schlugen und hackten nach Matrosen beiderlei Geschlechts, die ihr Bestes gaben, um das Entermanöver zu unterbinden.
Das schnellste Schiff der Sturmkrähen war näher und näher gekommen und hatte beizeiten gleichgezogen mit dem Handelsschiff, welches wesentlich langsamer durchs unruhige Wasser pflügte. Enterhaken waren geworfen worden, mit Armbrüsten hatte man mit Seilen verbundene Bolzen geschossen und auf diese Art das eigene Schiff näher herangebracht, um die Distanz zu verringern, die die Sturmkrähen überbrücken mussten. Den ersten Trupp hatte der Erste Offizier der Luzkan – eine einäugige Frau namens Calistja – blutig zurückgeschlagen. Kurz angebunden hatte Martjeen Heric erklärt, dass seine Matrosen allesamt zuvor in der Marine des Herzogtums gedient hatten und sich zu wehren wussten. Entsprechend waren die folgenden Versuche der Sturmkrähen vorsichtiger und strategisch klüger angelegt.
Ragnar hielt blutige Ernte unter den Sturmkrähen. Einer der Seeleute hatte ihm einen mächtigen Krummsäbel in die Hand gedrückt, den er mit zwei Händen führte und mehr als eine der Frauen tot zu Boden schickte. Dabei lachte er, blutbespritzt und wahnsinnig, ganz der Berserker aus dem hohen Norden, ein Mann, mehr Tier als Mensch, der das Töten als einzigen Lebenszweck betrachtet. Qarrah hielt sich in Deckung, hatte von irgendwo her eine Armbrust geholt und feuerte mehr schlecht als recht auf die Sturmkrähen. Fujeeda setzte sich mit einem Bootshaken zur Wehr, wobei sie mehr Schaden mit dem Holz anrichtete als mit dem eisernen Haken an sich.
Und Heric? Stach hier und da zu, zitterte am ganzen Leib und wusste nicht, ob er schreien oder kreischen sollte. Ebenso wenig war er sich bewusst, ob er traf und verwundete oder tötete, oder ob die Schreie und Flüche der Sturmkrähen ihm und seiner Talentlosigkeit im Kampf galten.
„Käpt’n!“, brüllte der Erste Offizier, nachdem sie einen Blick zur Seite werfen konnte, „Schiff auf Backbord! Die wollen uns in die Zange nehmen!“
„Dämliche Hurentöchter!“, grollte Martjeen, während er eine Sturmkrähe sauber enthauptete, sich aber gegen zwei weitere zur Wehr setzen musste. In dem Schrei schwang Verzweiflung mit. Da bemerkte niemand – nun, niemand außer Heric – wie Fujeeda den Bootshaken fallen ließ, als sie sich ihrer Gegnerinnen erwehrt hatte. Sie hechtete zur linken Seite des Schiffes, breitete die Arme aus und murmelte etwas. Sie stieß die Hände hinab, packte mit ihnen Luft und wuchtete sie nach oben, als würde sie ein schweres Gewicht heben. Und … das Schiff driftete ab, begann sich zu drehen, wurde von Wind, Wetter und vor allem Wasser weggedrückt, als hätte sich der Herr der Meere entschieden, dass ein enterndes Schiff ausreichte. Fujeeda sank an der Reling zusammen, sah nicht die Sturmkrähe, die auf sie zusprang. Heric schrie eine Warnung, kam dazu, bekam die Hand mit dem Säbel zu packen und hatte das Gefühl, gegen einen ausgebildeten Ringer anzutreten. Es ging einen Moment hierhin, dann da hin, wie in einem engen, anstrengenden Tanz. Dann zischte die Sturmkrähe, stieß Heric mit Wucht von sich. Er spürte nur die Reling im Rücken, merkte, wie die Welt einmal kippte, der Himmel unter ihm und die tosenden Fluten über ihm waren. Noch einmal wechselte die Perspektive, ehe ein Schlag gegen die Schiffshülle dafür sorgte, dass Schwärze jegliche Orientierung verpuffen ließ.
Ohnmächtig stürzte Heric ins Meer.
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Lond en Faein, Gestade der Anderswelt, Sphäre der Mutter
Die auf den Strand auflaufenden Wellen umspülten Yareds Füße. Der Kapitän stand allein und mit leeren Händen mit dem Rücken zum Mond, der sich zumindest vorerst aus dem Netz der tiefschwarzen Wolken hatte befreien können und nun die Szenerie in ungewöhnlich helles Licht tauchte.
Er war verunsichert, verzweifelt, aber er schien keine Wahl zu haben. Keine Wahl, als dem Spuk ein Ende zu setzen. Fehlte nur noch die Ratte.
Der Waldläufer, der seiner Sippe abgeschworen hatte, intonierte die Anrufung seines Patrons und Parasiten:
"Ich rufe dich.
Ich rufe dich Höhennebel in den Tiefen,
rufe dich Spielmann, der den Vollmond besingt.
Ich rufe dich I nadhor,
denn ich bin jener,
welcher die Nebel und Schatten durchschritten hat,
welcher im Glanze des Vollmondes dem Spielmann folgte,
über Berge und durch Täler.
Ich war I býr en nedhyr
und ich rufe dich Geist der Ratten."
Der Wind frischte auf. Die Palmen bogen sich unter den stärker werdenden Böen. Blätter raschelten. In der Ferne vermochte man immer noch die lautlosen Blitze am Horizont zu erkennen.
"Warum hast du mich gerufen, Verblassender? Sind es feige Rachegelüste? Soll ich dir beim Dahinsiechen in dieser Sphäre fern von den Gestaden Adanos' zusehen?", fragte die Ratte in der alten Sprache des Waldvolkes herablassend.
Die hagere menschliche Gestalt I nadhors trat aus der Dunkelheit zwischen den Bäumen ins Freie.
Das antike Waldvölkisch klang immer etwas geschwollen, wenn man nicht gerade versucht war, jemanden vulgär aufs Ärgste zu verunglimpfen. In den roten Augen des uralten Naturgeistes blitze Bosheit, Verachtung, die Yared nur zu gut kannte. Aus Sippschaft war Feindschaft geworden.
"Nicht um Vergeltung zu üben, sondern um deinem Treiben ein Ende zu setzten.", antwortete der Kapitän in der alten Zunge.
Die Ratte zog ein langes Messer aus einer Scheide am Gürtel. Scheinbar verließen sich Naturgeister in Menschengestalt nicht nur auf Krallen und Zähne.
Yared ging stand still da. Die Konfrontation war unausweichlich, doch ihm standen weder Schwert noch Schild zur Verfügung. Der Kapitän war allein.
Vielleicht hätte er wenigstens das Tageslicht abwarten sollen. Die Ratte konnte gewiss in der Dunkelheit besser sehen, als ein Mensch, aber immerhin leuchtete der volle Mond groß und weiß über ihnen den Strand aus.
Die Ratte ergriff die Initiative. Mit einem Ausfallschritt brachte sie ihre Klinge über seiner rechten Schulter herunter. Yared riss instinktiv seine linke Hand nach oben. Besser er verletzte sich an der Hand, als dass sein Gegner lebenswichtige Organe erreichte. Doch noch bevor das Messer seinen Handrücken traf, blieb die Klaue der Ratte samt Klinge in der Luft stehen.
„DU BIST MEIN GEFOLGSMANN. DU BIST NIE ALLEIN. DENN ICH, DEIN GOTT FÜHRE DEINEN BLICK UND DEINE HÄNDE FÜHREN MEIN SCHILD UND MEIN SCHWERT“, dröhnte es aus dem Firmament über ihm herab. Es war ein freundliches fast herzliches Dröhnen. „SADAR UINARTHAN*, STRECK DEINE HAND AUS UND LASS MEIN LICHT DEINEN WEG ERHELLEN.“
Yared tat wie ihm geheißen. Er streckte die Rechte aus und öffnete sich im Vertrauen auf seinen Gott. Der Paladin drehte die Handfläche nach oben und zwischen Daumen und Zeigefinger erschien kurz einen Funken göttlichen Lichts, der in den Augen seines Widersachers widerschien. ER war da. Er war nicht allein. ER war wirklich da. Eine Kugel aus licht strömte über seiner Handfläche zusammen, kreiste wie ein alles verschlingender heiliger Mahlstrom über seinen Fingern, wuchs und zeichnete seinem Gegenüber das Erschrecken ins Gesicht.
„ÛRCHEBOR**, STRECKE DEINE HAND AUS UND KEINER MEINER FEINDE WIRD DIR EIN LEID ZUFÜGEN KÖNNEN.“
Yared gab die Lichtkugel frei dehnte sie aus legte sie über sich und zwischen sich und die Ratte. Plötzlich bewegte sich auch die Klaue seines Gegners wieder, raste samt Klinge auf die immer noch zu Abwehr erhobene Linke. Doch kein stechender Schmerz fuhr im durch die Handfläche. Offenbar war der Schild aus Licht zu stark, als dass die Ratte ihre Waffe hindurchtreiben konnte.
Stattdessen prallte die Waffe ab, entglitt der Klaue und auch die Ratte selbst musste die Klauen schützend vor die Augen gerissen zurückweichen, zurückgeworfen vom hellen Glanz des Schildes. Der Kapitän presste die Linke zur Faust zusammen und dehnte den Schild weiter nach außen, drängte sein Gegenüber zurück. I nadhor zog ihren Parierdolch, mit dem er nun versuchte auf des Paladins Bauch einzustechen. Yared riss den Schild aus Licht hoch und ließ das Messer der Ratte abermals davon abprallen. Nur um den Schild gleich darauf fallen zu lassen und der hageren Gestalt des Naturgeistes in die Rippen zu boxen.
I nadhor keuchte. Ganz offensichtlich hatte eine menschliche Gestalt auch erhebliche Nachteile.
„MEGIL ARVADHOR AFAEL***, STRECK DEINE HAND AUS UND MEINE MACHT WIRD MEINE FEINDE NIEDERSTRECKEN.“
Der Sappeur lächelte gelöst und setzte nach, indem er mit der bloßen Handfläche gegen seine Brust stieß. Licht flammte auf unter seinen Händen, bohrte sich tief in den Körper unter seinen Fingern. Sein Feind musste den Dolch fallen lassen, fauchte nur um sich rückwärts loszureißen, fallen zu lassen und zu versuchen, seine krallenbewehrte Hand in den freiliegenden Oberschenkel des Kauffahrers zu bohren. Doch der war schneller, hatte seine Hände zurückgezogen und warf dem Angriff der Ratte erneut den hell strahlenden Schild aus purer Energie entgegen. Die Krallen der Ratte krachten hinein, drückten dagegen, versanken darin. Durchbohrten es? Nein, sie schmolzen regelrecht, verglühten im Gleißen des göttlichen Schildes.
Yareds linkes Bein zitterte vor Anspannung und war versucht unter ihm wegzuknicken. Sein Gesicht verzerrte sich vor Anstrengung. Doch er hielt stand.
Dann sah er aus den Augenwinkeln, wie die Ratte Anstalten machte sich wieder aufzurappeln. Schnell ließ er noch einmal den Schild fallen und drückte nun beide Hände gegen den verzerrten Leib der Kreatur, die sich auf unnatürlichste Weise ans Leben klammerte. Zeilen, Verse, Rezitative durchfluteten sein Bewusstsein. Lautstark pries Yared seinen Gott, der ihn rettete. Der Lichtschein unter deinen Händen verstärkte sich, dass der Paladin den Blick abwenden musste, um nicht zu erblinden. Unter seinen Händen fühlte er, wie sich der Leib der Ratte aufzulösen begann, auseinanderfledderte, zerbröselte. In einer Verzweiflungstat drückte die Ratte das, was von ihren Krallen übrig geblieben war in die Hüftgegend ihres Kontrahenten. Die erzeugte Wunde blutete oberflächlich, doch Yared ließ sich nicht beirren. Immer weiter presste er seine Handflächen in den zerfallenden Brustkorb der Ratte, immer weiter rief er seinen Gott an, der ihm die Kraft schenkte, standhaft zu bleiben. Das Brüllen der Ratte erstarb in einem Gurgeln, dann röchelte sie nur noch, sackte in sich zusammen und verging kurz darauf völlig im strahlenden warmen Licht.
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* Gefolgsmann des ewigen Leuchtfeuers
** Feuerhüter
*** Schwert des höchsten gerechten Richters
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An Bord der Santorija, Korsarenflottille unter myrtanäischer Flagge, Südmeer vor Gorthar
Yared wachte auf.
Die Sonne reckte gerade ihre ersten Strahlen über den Horizont und streckte sich vorsichtig tastend von achtern durch die Kajütenfenster.
Der Kapitän schob die Decke zurück und glitt aus der Hängematte. Barfuß schritt er hinüber, goss sich einen Becher frischen Wassers ein und trat mit frisch angefeuchteter Kehle an die Fensterfront.
Draußen breitete sich das Kielwasser der Santorija im frühen Sonnenglanz aus, wie ein großer glitzernder Teppich aus in Silber gefassten Perlen und Edelsteinen.
Jetzt war er sich sicher. Er war nicht allein. Niemals mehr. Sein Gott würde wirklich immer bei ihm sein.
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Die Nebelklaue, Kogge des Sir Patrick
Der Wind pfiff kalt und salzig über das Deck der Nebelklaue, jenes ehrwürdigen Handelsschiffes, das Sir Patrick von Montera III. über Jahrzehnte hinweg mit Stolz zur See hatte fahren lassen. Der salzige Duft erinnerte ihn an die Jahre, in denen er selbst noch Verträge in Übersee besiegelte, nicht nur unterzeichnete.
Der Edelmann trug wie stets ein makellos weißes Tuch unter dem Mantel, der Kragen sauber gefaltet, das Gold seiner Mantelknöpfe matt vom Gebrauch, aber unübersehbar. Seine Haltung verriet die Last der Jahre, doch in seinen Augen lag kein Anflug von Müdigkeit. "Das Meer ist milder als erwartet." sagte er, ohne sich umzuwenden.
Hinter ihm trat Logarius Scato heran, ein Bündel Papiere unter dem Arm. Der Sekretär hatte die Überfahrt mit stoischer Ruhe überstanden, doch das leise Knirschen seiner Schritte verriet eine gewisse Anspannung. "Der Wind steht südwestlich." entgegnete er knapp. "Wenn er hält, erreichen wir den Hafen von Thorniara in fünf Tagen. Vermutlich zur Dämmerung." Sir Patrick nickte. "Gut. Ich will nicht, dass wir mit dem Ladekram der Morgenschiffe vermischt werden."
Ein Seemann grüßte hastig, als er vorbeiging, dann war es wieder ruhig. Nur das Rauschen der See und das leise Knarren der Planken begleiteten die beiden Männer. "Ich habe zu viele Jahre mit zu vielen Leuten unter einem Dach verbrach..." sagte Sir Patrick. "Aber der Bedarf hat sich geändert. Ich führe keine Kontore mehr, sondern ziehe Fäden. Die Arbeit ist leiser geworden."
"Und kürzer." ergänzte Logarius. Sir Patrick lächelte kaum merklich. "Das mag sein. Doch ich habe lange genug in dieser Welt gewirtschaftet, um zu wissen, wann man Ballast streichen muss – und wann es klüger ist, gute Leute in gute Hände zu geben." Logarius Scato nickte kaum merklich und erwiderte: "Der Burggraf wird sich nicht beklagen. Sein Bedarf scheint gewachsen, wenn man sich die Liste der Positionen anschaut, für die Ihr geeignete Diener beschaffen solltet. Er führt sein Haus mit festen Griff."
"Mit eisernem Griff." korrigierte Sir Patrick. "Und das ist gut so. Wer führen will, muss Ordnung stiften, nicht nur versprechen." Logarius schwieg, während Sir Patrick sich abwandte und langsam in Richtung seiner Kajüte ging. Nach einem kurzen Zögern holte er zu ihm auf. "Glaubt Ihr, er wird das Angebot annehmen?" fragte er leise.
Sir Patrick blieb kurz stehen. Er sah nicht zurück, doch seine Stimme war klar. "Er wird es prüfen. Und wenn er klug ist – und das ist er – wird er erkennen, dass es kein schlechter Handel ist." Ein paar Schritte weiter. Dann: "Wir sind keine Freunde. Das waren wir nie. Aber wir haben uns stets aufeinander verlassen können, auch wenn der Ton gelegentlich rau war. Es gab keine falsche Höflichkeit, nur klare Erwartungen. Ich habe seine immer erfüllt. Und er auch meine." Logarius nickte langsam.
"Er bekommt Leute, die ihren Dienst verstehen, die wissen, was Disziplin heißt und was Verschwiegenheit wert ist. Und ich..." – Sir Patrick zog die Tür zur Kajüte auf – "...ich weiß sie in festen Händen. Nicht irgendwo, wo man sie bald entlässt oder verkommen lässt. Es ist ein Gewinn für beide. Und am Ende zählt das."
Er trat ein, ohne sich noch einmal umzusehen. Logarius blieb einen Moment stehen, dann wandte auch er sich ab. Das Schiff schaukelte ruhig weiter seinem Ziel entgegen.
Maximus
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An Bord der Joka La Maji
Sie wartete, bis das Deck sich beruhigte, bis das Klatschen der Segel und das Rufen der Matrosen sich wieder in jenes rhythmische Wogen fügten, das jedes Ablegen begleitete wie ein altes Seemannslied. Dann schlich sie sich unter Deck. Nicht in ihre Hängematte, sondern weiter nach achtern, in einen Vorratsraum, von dem kaum jemand wusste, dass er überhaupt eine Tür hatte – es sei denn, man roch wie der Smutje oder suchte nach dem alten Zimt, der seit drei Fahrten auf seinen Einsatz wartete.
Drinnen roch es nach Salz, Wurzelgemüse und etwas, das mit Glück einmal Rum gewesen war. Eine flackernde Lampe warf unsicheres Licht auf Fässer und Kisten, auf ein loses Wandbrett, das sich als provisorischer Hocker eignete.
Ravia setzte sich, zog das Pergament hervor und betrachtete es in aller Stille. Die Oberfläche fühlte sich rau an, fast wie von Salz und Öl getränkt. Keine gewöhnliche Nachricht. Kein Brief. Kein Auftrag. Nur Linien.
Zwei… nein, drei davon, kaum sichtbar. Sie musste das Papier gegen die Lampe halten, damit sich die dunkle Tinte zeigte. Kein Text, nur ein feines Gitter aus Strichen und Kringeln. Fast wie ein Lageplan. Oder ein Symbol? Sie runzelte die Stirn.
Das Zeichen in der Mitte war ihr fremd. Es erinnerte sie an eine Laterne – oder einen Baum? Vielleicht beides. Und darunter: Einkerbungen. Zahlen. Koordinaten? Sie wusste nicht, was sie da sah, doch etwas daran kribbelte in ihrem Nacken, wie das Gefühl beobachtet zu werden.
Wieso hat Saarina mir das gegeben?
Weil sie glaubt, dass du damit etwas anfangen kannst. Oder weil jemand glaubt, dass du dafür geeignet bist, raunte eine innere Stimme, die zu viel Erfahrung mit Misstrauen hatte.
Sie versuchte sich zu erinnern, wo sie so etwas schon einmal gesehen hatte. In Bakaresh, irgendwo in den alten Gassen hinter dem Basar – da war eine Wand mit Kreidesymbolen gewesen. Ähnliche Linien, von Kindern gemalt, dachte sie erst. Aber einer der Bettler hatte sie angespuckt, als sie fragte, was sie bedeuteten. „Das fragt man nicht, wenn man noch Zunge hat“, hatte er gesagt.
Ravia atmete aus.
Was auch immer diese Botschaft war – sie war für jemanden gedacht, der sich in Dingen auskannte, in denen sie nur dilettierte. Und doch hatte Saarina sie ihr gegeben. Entweder weil sie selbst nichts damit anfangen konnte. Oder… weil jemand wollte, dass Ravia dieses Rätsel löste.
Sie faltete das Pergament wieder zusammen, schob es in den Saum ihres Stiefels und stand auf.
Vielleicht ist es nur ein Spiel. Vielleicht ist es eine Falle. Oder vielleicht ist es die Art Welt, die einem ein bisschen Aufmerksamkeit schenkt, bevor sie einem etwas wegnimmt.
Draußen rief jemand nach ihr. Naut, wahrscheinlich. Ravia trat aus dem Schatten des Laderaums, den Blick starr geradeaus, während das Gewicht der kleinen Botschaft an ihrem Bein ihr schwerer vorkam als jede Kette.
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An Bord der Joka La Maji
Der Anker fiel mit einem dumpfen Grollen, das sich durch den Schiffsrumpf zog wie das letzte Donnern eines längst verrauschten Gewitters. Ravia blickte über die Reling. Vor ihnen lag der schmale Küstenstreifen, südlich von Stewark, wo das Land in bröckelnden Terrassen aus Sandstein und schwarzem Wurzelwerk die See empfing. Ein unscheinbarer Strand, kaum mehr als eine seichte Bucht – und doch der sicherste Landeplatz, den man finden konnte, wenn man nicht den wütenden Wellen trotzen wollte, die nördlich an den Klippen zerschellten wie Glas.
Die Türme von Stewark ragten in der Ferne auf wie zerbrochene Speere. Der Nebel des Morgens hing noch über dem Pfad, der sich serpentinenhaft den Hang hinaufwand – kaum mehr als eine Ziegensteige, übersät mit losem Geröll und knorrigem Buschwerk. Kein Ort für eine stattliche Ankunft. Aber genau das war es, was sie brauchten.
„Ravia.“
Die Stimme war ruhig, aber fest. Sie drehte sich um. Kapitän Arus stand da, mit verschränkten Armen, das Gesicht im Halbschatten des Großsegels.
„Komm mit“, sagte er nur, und sie gehorchte wortlos, auch wenn ihr Herz sofort schneller schlug.
Auf dem Achterdeck, fern der übrigen Mannschaft, zog er ein zusammengerolltes Pergament hervor – dick, von See und Sonne gegerbt – und einen kleinen Beutel aus dunklem Leder. Darin: ein Siegel, eingefasst in altes Messing, das Symbol des Königs nur grob angedeutet. Kein Prunkstück, aber eindeutig: das Zeichen jener, die mit dem Söldnergold und den Freibriefen handelten. Es war nicht für jeden bestimmt, es zu tragen, und doch vertraute Arus es ihr an.
„Das bringst du nach oben, zu den Männern des Königs. Sie wissen, wo du es abgeben musst. Und glaub mir – sie hören besser auf dich, wenn sie das da sehen.“
Er reichte ihr den Beutel.
„Das Schreiben enthält keine Namen, nur Zahlen und Signale. Wer es lesen darf, wird es verstehen. Wer nicht… sollte hoffen, dass die Götter nicht hinsehen.“
Ravia ließ den Blick kurz über das raue Leder gleiten. Es roch nach altem Rauch und Wachs – nach etwas, das älter war als sie selbst.
„Warum ich?“, fragte sie schließlich leise.
Ein kurzes Auflachen, rau wie Kiesel im Rum. „Weil du die Einzige bist, der ich dabei nicht die Kehle umdrehen müsste. Und weil du lesen kannst, msichana wangu.“
Sie zuckte leicht zusammen bei dem vertrauten Wort. Seine Zunge formte es weich, doch die Verantwortung, die darin mitschwang, war hart wie Eisen. Arus war nie jemand gewesen, der in langen Reden sprach. Aber sie hörte in seinen wenigen Worten mehr als genug. Vertrauen. Erwartungen. Und dieses unausgesprochene „Enttäusch mich nicht.“
„Du gehst nicht allein“, fügte er dann hinzu, als sie gerade das Schreiben im Gürtel verstaute. „Pakko begleitet dich. Ihr… braucht das.“
„Ich kann alleine—“
„Du kannst vieles alleine, das weiß ich“, unterbrach er sie mit einem Blick, der schärfer war als jedes Messer. „Aber du musst es nicht. Und Streit innerhalb der Mannschaft ist wie ein verfaulter Kiel.“
Sie schwieg. Nicht weil sie überzeugt war, sondern weil sie wusste, dass kein weiteres Wort etwas ändern würde.
„Und komm nicht mit leeren Händen zurück. Der König zahlt nicht für Geschichten, sondern für Ergebnisse. Und ich brauche diesen Auftrag, wenn ich die Mannschaft auch in Zukunft bezahlen will.“
Ein Seufzen kroch in ihre Brust. Es war kein theatralischer Ton, sondern etwas Echtes, das sich wie Nebel zwischen ihre Rippen legte.
„Verstanden.“
Arus legte ihr eine Hand auf die Schulter. Schwer. Warm.
„Du weißt, was auf dem Spiel steht. Ich vertraue dir. Und ich erwarte, dass du mit mehr als einem netten Gruß zurückkommst.“
Sie nickte, fast automatisch. Dann, ganz leise: „Danke, Baba.“
Er sagte nichts darauf. Stattdessen sah er kurz zur Stadt hinüber, die wie eine kalte Drohung in der Ferne stand.
„Stewark ist nicht groß, aber verwinkelt. Geh wie jemand, der weiß, dass jeder Schritt gesehen wird.“
Sie verließ das Achterdeck, das Pergament sicher verstaut, das Siegel tief in ihrer Manteltasche. Sie hatte ihre Haare gebunden, das Hemd gegürtet, das Gesicht gewaschen – so gut es eben ging. Es reichte, um nicht aufzufallen. Nicht mehr als nötig jedenfalls.
Pakko wartete bereits am Beiboot, die Ruder in der Hand, ein Schatten über den Augen. Sie wusste nicht, ob er ihre Nähe mied oder sich ihrer zu sehr sehnte. Vielleicht beides. Die Dinge zwischen ihnen waren... kompliziert. Zu viele Blicke, zu viele Worte, die man besser nicht gesagt hätte. Oder zu viele, die man nicht gesagt hatte, als es an der Zeit gewesen wäre.
„Du kommst also doch“, murmelte sie.
„Was dachtest du? Dass ich dich auf die Stadt loslasse, ohne zu sehen, wie du auf dem Rückweg fluchst?“
Sie verzog die Lippen, ein angedeutetes Grinsen. Kein echtes, noch nicht. Aber ein Anfang.
Sie stieg zu ihm ins Boot. Das Wasser war still, fast zu still, und doch wirkte es, als würde es ihnen lauschen. Jeder Ruderschlag ein Flüstern. Jeder Atemzug ein Echo. Mit jedem Meter, den sie sich dem Land näherten, wuchs das Gewicht in ihrer Brust. Das Siegel. Das Schreiben. Pakko neben ihr. Und all das Ungesagte, das zwischen ihnen lag wie nasse Seile auf dem Plankenboden.
Die Joka La Maji wurde kleiner hinter ihnen. Aber sie wusste, sie würde zurückkehren. Mit Auftrag. Mit Antwort. Mit allem, was sie sich unterwegs nicht nehmen ließ. Der Kiel schabte über den Sand.
Stewark wartete.
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Das Licht der letzten Kerze flackerte leicht auf, als der kalte Wind durch den Raum wehte. Kaltes Gemäuer und Dunkelheit umgaben den Streiter Innos. Einzig dieses kleine, brennende Licht strahlte eine Wärme aus. Sie reichte nicht, um den Raum zu erwärmen, aber genügte, um für alles zu stehen, was die Dunkelheit vertrieb. Für das zu stehen, was er war.
In den blauen Augen des Hochländers spiegelte sich die kleine Flamme, die er schon seit ein paar Stunden in Stille anstarrte.
Wartend, im Stillen betend und den Geist auf das Kommende vorbereitend.
Sein Geist war bereit, seine Seele rein und sein Körper ausgeruht für große Taten. Die letzten Taten, bevor es endlich ein Ende nehmen würde.
Schritte von schweren Stiefeln erklangen im Korridor. Fackelschein erhellte den Türbogen und dann schauten ihn die Augen eines Khoriners an. Eines Paladins, eines Waffenbruders, eines Unsterblichen der legendären Kompanie, eines Veteranen der Varant-Feldzüge, eines Ritters der ersten Sonne, eines Weggefährten, seit er Rekrut der myrtanischen Armee war, eines Freundes ohne den Jun längst tot oder tief gefallen wäre.
“Der Morgen naht. Sie sind gekommen, um zu kämpfen.”, sagte Giran mit der Gelassenheit eines großen Kriegers.
Jun erhob sich, richtete seine Rüstung und prüfte, ob alles saß. Dann griff er Innos Zorn und schob die Klinge leicht aus der Scheide.
Im Fackelschein blitzte das Metall rötlich auf und offenbarte alle Schmiedekunst und Macht in ihr. Jun schob sie zurück.
“Sie sollten es besser wissen. ER sollte es besser wissen”, knurrte Giran
“Würdest du es, Freund? Würde ich es?”, fragte der Paladin und griff nach seinem Helm. Giran brummte und folgte dann dem hochgewachsenen Streiter aus dem Gemäuer.
Hier auf den Feldern von Anvil an der Küste Colovias stand der letzte Kampf bevor. Das Reich zerfiel, der Kaiser war durch Attentäter gestorben und jedes Herrschaftsgebiet rief - nach Jahren der Unterdrückung durch die kaiserlichen Truppen - seine Unabhängigkeit aus. Es war das Jahr der neun Könige und des ungekrönten Kaisers in Cyrdonia. So würde es in den Geschichtsbüchern stehen.
“Für Innos!”, rief die starke Stimme des Qel-Droma und sein Ruf wurde lautstark erwidert. Seine Ordensbrüder standen da.
Der Paladin Lord Taron von Eirrin, Sir Azon von Braga, Lord Gilles de Josselyne aus Orlais, Lord Orbas, die Ritter-Brüder Kus und Vas, Sir Olivier, Ritter Ursopal und Lord Nywroht. Zu Juns Rechten platzierte sich Lord Giran von Khorinis und gemeinsam bildeten sie einen Kreis, gingen auf die Knie und stützen sich an ihren Waffen ab.
Die Sonne ging auf und der Orden der aufgehenden Sonne betete laut zu Innos. Andächtig, mächtig und erleuchtet vom Gott des Lichts selbst. Das Heerlager des Königs von Colovia vernahm das Gebet und zu den betenden Streitern und Rittern gesellten sich die Reiterkrieger der Qel-Droma. Allen voran Juns Bruder Karth - der neue König von Colovia. Um sie versammelte sich das ganze Heer. Befreite Männer aus Ordo und Anvil. Die Truppen von Gil de Chatillion und anderer Pferdfürsten und myrtanische Söldner. Veteranen der Belagerung von Vengard und der Varant-Feldzüge, die dem Ruf des Predigers gefolgt waren. Angeführt von Sir Bors und seinen zehn Söhnen.
Als das Gebet endete, umgab die Paladine unter ihnen eine goldene, inspirierende Aura, die jeden, der sie sah, in ihren Bann zog.
Kommandos wurden durch das Heerlager gebrüllt. Banner flatterten umher und die Anführer kamen zusammen.
Hochgerüstete Herren und große Krieger.
König Karth stand in ihrer Mitte. Gehüllt in einen Bärenfellumhang und einer Reiterrüstung - ganz im Stile des Oberhaupts der Qel-Droma. Stattlich war er und ein großer Kriegerkönig, der die einfache, innosgefällige Krone Colovias auf dem Haupt trug. Jun zu seiner Rechten war stolz auf seinen Bruder und dankte Innos, dass sie beide heute hier standen.
“Ich grüße euch Freunde und Weggefährten. Innos Gerechtigkeit straft jeden Verräter und Diener des Bösen. Und heute ist dieser Tag. Mein Bruder Lucien und dieser dunkle Hund von Razar brauchen Anvil, um sich neu aufzustellen. Und wir stehen dazwischen. Die Späher berichten, dass sie nur noch über wenig Reiterei verfügen. Der Schlag, den wir ihnen vor Ordo versetzt haben, hat sie härter als erwartet getroffen. Die Angst vor Razar hält ihre Truppen zusammen. Ansonsten hat sich an unserer Situation nichts geändert. Innos ist heute mit uns! - Ihr kennt den Plan! Innos möge euch leiten!”, sprach der König sehr entschlossen und entließ alle zu ihren Truppen.
Karth und Jun blickten einander an und umarmten sich wie Brüder, die kurz vor ihrem Ziel standen. Es waren keine hochtrabenden Worte, Wünsche oder Scherze nötig.
“Glaube. Kämpfe. Siege.”, war der Leitspruch und die Maxime des Qel-Droma Clans und die einzigen Worte, die sich die Brüder sagten. Die letzte Schlacht um Colovia stand bevor…
Jun lächelte auf, als er aus seinen Erinnerungen erwachte. Giran stand vor ihm und zeigte in die Richtung, wo gerade Land gesichtet wurde.
“Bereit für neue Abenteuer?”, fragte der Paladin mit der mächtigen Doppelaxt.
“Bereit um zu richten, zu strafen, zu vernichten und Innos in die Herzen der Menschen zu bringen. Ja. Lass uns die Dunkelheit erhellen und jenen, die glauben wollen, zeigen, wie man Innos nahe kommt.”, sagte der Streiter Innos und blickte aus stahlbauen Augen in die Ferne.
-
Das Meer lag bleigrau unter einem fahlen Himmel. Kein Land war mehr zu sehen, seit gestern früh. Nur noch Wellen, die sich gleichmütig hoben und senkten, und das Knarren des Schiffsrumpfes, das man mit der Zeit kaum noch hörte. Delvin Corgano stand an der Steuerbordseite, den Blick fest auf den Horizont gerichtet, auch wenn dort nichts war. Kein Segel, kein Vogelschwarm, nicht einmal ein Wetterumschwung.
Seit dem Ablegen hatte sich alles in geregeltem Takt vollzogen. Galbor steuerte das Schiff mit gewohnter Ruhe. Die Männer sprachen wenig. Christoph war zurückhaltend, aber aufmerksam – man sah es an der Art, wie er Gespräche mied, ohne sie ganz zu verweigern. Severin notierte fast alles, selbst die Essenszeiten. Rudwin arbeitete wie erwartet – wortlos, kraftvoll, stumpf. Nur Heinrich blieb schwer zu lesen. Er stand oft allein am Heck, die Arme verschränkt, den Blick auf das Seilwerk gerichtet, als warte er auf eine Entscheidung, die noch nicht getroffen war.
Delvin hatte mit jedem von ihnen gesprochen. Kurz und sachlich. Er hatte ihnen nicht erklärt, wohin die Reise wirklich führte – sie wussten es ohnehin nur zum Teil. Und das genügte. Ihre Aufgabe war nicht zu verstehen, sondern auszuführen.
Unter Deck, in einer der schmalen Kajüten, lag ein Bündel Pergamente. Seine Aufzeichnungen. Erste Gedanken zur Verteilung der Güter, zur Frage, wer in Khorinis Einfluss haben könnte, wer bestechlich war, wer zu stolz, wer zu müde. Es waren die wenigen Informationen, die er in der kurzen Zeit zusammentragen konnte. Kaum etwas davon war wirklich handfest aber es war besser als nichts. Zumindest glaubte der Edelmann das. Was ihn tatsächlich auf Khorinis erwarten würde, war ungewiss.
Die See schien endlos. Und doch wusste Delvin, dass die entscheidenden Tage nicht auf dem Schiff lagen. Sondern in dem, was jenseits des Hafens wartete.
Delvin trat langsam an die hölzerne Brüstung des Achterdecks. Von hier aus überblickte er das Schiff: die breite Mitte mit den gestapelten Kisten, die Männer, die sich zwischen Seilen und Luken bewegten, und vorn das einfache Holzgeländer des Bugs. Darüber spannten sich die Segel, nun ein wenig praller gefüllt als zuvor.
Noch vier Tage. Vielleicht fünf. Dann würde Delvin Corgano erneut geprüft werden.
-
Von Khorinis nach Argaan
Das Schiff schaukelte auf und ab. Auf und ab. Auf und ab. Saraliel blinzelte in den Abendhimmel. Elyndra und er hatten sich eine Ecke auf dem Schiff gesucht, an der sie ungestört zu sein schienen. Die Magierin schaute verstört drein. Ungläubig und von den Geschehnissen noch immer sehr eingenommen. »Ich bin immer noch ratlos was ich von dem allem halten soll«, meinte die ansonsten für ihre flinke Zunge bekannte Magierin. Zumindest hatte das Saraliel so von Daelon und Draco gehört. Nun die waren vielleicht nicht die beste Adresse. Ein eigenes Bild hatte er eigentlich noch nicht gemacht. Seine Gedanken kreisten. Dann wurde er gewahr, dass die Frau vor ihm wohl noch auf eine Antwort wartete, was ihn noch mehr durcheinander brachte.
»Äh«, machte er und war überfordert von der Vielzahl an Ideen die er im Kopf hatte, wie er jetzt darauf antworten sollte.
»Es war ein eindeutiges Zeichen des Herrn Innos’«, entschloss er sich dann bei dem Offensichtlichen zu bleiben.
»Es wäre ein Sakrileg Hand an euch zu legen. Zudem war es eindeutig, dass meines Bruders Schwert euch nicht verletzen konnte. Das kann ich kaum ignorieren«. Elyndra nickte.
»Wie wird es weiter gehen?«
»Wir fahren nach Thorniara und von dort nach Bakaresh. Ich war mit DraconiZ auf der Insel wo er hauste. Dort fangen wir zu suchen an«, entschied Saraliel und beanspruchte die Führungsrolle. Sein Gegenüber schien diese nicht streitig machen zu wollen.
»Was weißt du noch über ihn?«, fragte der Magier geradeheraus.
»Er hat einen Pakt mit Beliar geschlossen, der ihm nicht nur Magie verlieh, sondern auch ein extrem Langes Unleben verschafft hat. Er sieht sich selbst als Beobachter der Völker und ist meiner Ansicht nach eher ein Parasit im Gefüge des heiligen Lebens. Er nimmt Einfluss auf das Geschehen. Hat meiner Familie mehr als einmal drastisch geschadet. Er muss von der Erde getilgt werden«
Saraliel nickte verstehend.
»Ich stimme zu«. Er dachte kurz nach. »Onkel Daelon wird sicherlich versuchen zu helfen und wir werden seine Hilfe annehmen«. Elyndra schluckte, hielt kurz inne und nickte dann.
»Es ist schwierig mit uns«, meinte sie zögerlich.
»Ich sehe auch manches kritisch«, pflichtete der Magus bei. »Wir werden das Beste aus der Situation machen«, beschloss er.
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