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Varant – Verborgene Geheimnisse
Im Schatten der Ruine genossen Shakyor und Maris die kurze Rast, während der Löwe sich ganz in der Nähe auf den Boden warf und genüsslich im Sand herumwälzte - Katzen waren letztlich doch alle gleich. Bei Sonnenaufgang waren Thamar, Hussain und auch Ali als Boten zu verschiedenen Sippen aufgebrochen, um sie zum Rat in Al Shedim zusammenzurufen, und auch die beiden Hüter hatten den Umweg über die Höhlen von Kayors Sippe eingelegt, um sie persönlich einzuladen. Kayor selbst war zwar nicht zugegen gewesen, ebenso wenig wie Aaliyah, die immer noch in seinen Diensten stand, doch Sanuyem, sein zuverlässigster Späher, hatte versprochen, die Nachricht zu übermitteln. Nun führte sie ihr Weg gen Norden, doch am Nordende der westlichen Ruinenfelder hatten sie noch einmal eine Rast eingelegt, um das Wegstück gen Norden mit frischen Kräften hinter sich zu bringen.
"Was weißt du über die Druidinnen?", eröffnete Shakyor schließlich aus dem Nichts heraus, während sie aßen und tranken.
"Suzuran war diejenige, die das Seelenband zwischen Marik und mir knüpfte. Sie nahm den Löwenstein und seine Macht dafür zu Hilfe. Sie ist die Pantherfrau, so weit ich weiß... und ich vermute, dass sie es war, die in Gestalt eines Panthers Marik tötete. Sie ist meine Freundin und Mentorin, aber ich traue ihr nicht, wenn es um die tieferen Belange der Natur geht. Cécilia... sie ist auch Lehrerin und Freundin für mich. Sie ist die Dienerin des Luchsgeistes, glaube ich... und sie vertraut mir nicht vollends - das ist aber auch verständlich, immerhin habe ich sie einmal fast umgebracht. Ich war nicht ich selbst... nur der Löwengeist hat mit seinem Einschreiten Schlimmeres verhindert."
Shakyor blickte äußerst besorgt drein.
"Du bist von den Erinnerungen überwältigt worden. Das ist nicht gut, aber offenbar scheint das Eingreifen des Löwen dich gerettet zu haben. Du bist nicht der Erste, der von dieser Kraft übermannt wurde - deshalb wagt es kaum einer von uns, tiefer in die Erinnerungen vorzustoßen. Leider bist du nach deiner Prüfung viel zu schnell aufgebrochen, um von uns unterwiesen zu werden. Aber darum kümmern wir uns später. Was mir mehr Sorgen macht, ist die Rolle von Suzuran. Und jetzt verstehe ich auch, warum mein Freund ihr misstraut. Kennst du die Geschichte des Löwen und der Pantherin?"
Maris hob die Augenbrauen.
"Nein, worum geht es dabei?"
"Meine Meisterin hat sie mir dereinst offenbart, wie so viele andere Geheimnisse. Wir hatten schon vor langer Zeit einmal darüber gesprochen: Sie lehrte mich vieles Wissen und übertrug mir die Verantwortung, den Löwenstein zu bewahren, als sie ihre Zeit als gekommen sah, obwohl ich nie die magische Begabung der Druiden in mir trug. All das ist eine Ewigkeit her..."
Shakyors trauriger Blick driftete ab und verlor sich in der Ferne, doch nach einigen Momenten gewann er die Fassung wieder.
"Die Geschichte handelt von den Ursprüngen unserer Welt, als die mächtigsten und ältesten Wesen das Licht erblickten. Sie rangen um ihren Platz in der Welt und so ergaben sich Feindschaften und Bündnisse sowie die Rangordnungen, die wir heute noch kennen. Die Naturfürsten sind die niederen Geister bestimmter Tierarten oder die Schützer starker Untergruppen der mächtigeren Tiere. Über ihnen stehen die Naturgeister, die ältesten und mächtigsten der Naturkräfte - wie der Große Löwe oder die Pantherin. Die Naturgeister stritten jedoch unter sich darum, wer die Herrschaft über die gesamte Gattung sein nennen konnte. Man sagt nicht umsonst, der Löwe sei der König der Tiere - das ist zwar etwas weit gegriffen, doch in den Anfängen war er zumindest der Herrscher der Katzen, die Große Katze. Die Pantherin jedoch neidete ihm diese Macht und versuchte seit jeher, ihn vom Thron zu stürzen. Lange schwelte dieser Konflikt, bis die Pantherin einen Moment der Schwäche ausnutzte und den Großen Löwen tötete."
Langsam begann Maris zu begreifen.
"Also nahmen die Panther den Platz als Große Katze ein, während die Macht des Löwen in den Druidenstein überging und er auf seine Wiedergeburt wartete?"
Shakyor nickte.
"Genau. Deine Freundin ist also auch deine Feindin, doch im Gegensatz zu dir wusste sie das sicher schon längst. Was mich beunruhigt, ist, dass sie stets ihre Finger mit im Spiel hatte. Sie hat das Seelenband geknüpft und dazu auch noch über die Macht des Löwensteins verfügt, mit dem sie wer weiß was hatte anstellen können. Sie ist auch jetzt mit hier in Varant und begleitet dich. Du solltest dich von ihr lösen, um sicher zu gehen, dass du nicht von ihr kontrolliert wirst."
Maris seufzte. Das war ganz und gar nicht gut. Und Cécilia? Auf welcher Seite würde sie bei alldem wohl stehen?
"Leider kann ich dir nur alte Geschichten erzählen, die mir vor langer Zeit anvertraut wurden. Doch für mich sind es nicht mehr als bloße Worte, denn ich habe keine Ahnung von der Macht der Naturgeister und ihrer Magie. Bei diesem Kampf kann ich dir nur mit meinem Rat helfen."
Er sprang auf und der Löwe tat es ihm gleich.
"Komm, wir haben noch ein gutes Stück zu laufen!"
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Tempel des Löwen - Das Zeichen des Königs
Sie befanden sich mitten im Nirgendwo, und doch bewegten sich Shakyor und sein Löwe mit einer unumstößlichen Sicherheit über den steinigen Grund. Maris meinte, Varant gut zu kennen und beinahe jeden Winkel der Wüste bereits gesehen zu haben, doch so weit im Nordwesten schienen seine Ortskenntnisse weit weniger ausgeprägt zu sein als erwartet. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wo genau sie sich befanden, doch immerhin schienen seine Begleiter festen Orientierungspunkten zu folgen, die sie sicher zum Ziel brachten. Rings um sie herum erstreckte sich die flache Steinwüste bis zum Horizont, kaum eine Erhebung durchbrach die ebenen Linien in der Ferne. Doch dann, als wäre er just in diesem Moment erst aus dem Boden erwachsen, ragte ein erdfarbener Fels direkt vor ihnen imposant auf.
"Tolle Tarnung, was?", raunte Shakyor mit einem Lächeln, bevor er zusammen mit Maris dem Löwen hin zu einer schmalen Spalte im Fels folgte. Die Drei zwängten sich hindurch und traten schließlich auf einen kleinen von hoch aufragenden Felsen umsäumten Platz, der in seiner Mitte einen Steinkreis beherbergte, errichtet aus starkem, rot schimmerndem Stein.
"Das ist er - der Kreis des Löwen", sagte der Oberste Nomade und strich mit einer Hand über einen der Steine, in die alte Zeichen eingraviert waren.
"Vor Jahrzehnten war ich oft hier... doch es ist lange her, seit ich das letzte Mal hierher gekommen bin."
Fasziniert wandelte Maris zwischen den senkrecht im Boden steckenden Steinen umher und fragte sich, wie bei der heiligen Mutter es fertig gebracht wurde, sie durch den engen Felsspalt zu zwängen. Die Steine waren übersät von alten Runen, doch immer wieder fiel ihm ein bestimmtes Zeichen auf.
"Lass mich etwas versuchen", rief er Shakyor zu, zog sein Scimitar und zog stillschweigend Linien in den staubigen Grund. Er konnte die Kraft des Steinkreises in seinem Innersten fühlen, sie erfüllte ihn von Kopf bis Fuß und weckte in ihm die Gewissheit, dass er hier endlich Antworten auf seine Fragen finden würde. Immer wieder verglich er seine Zeichnung mit den Zeichen an den Steinen und korrigierte sie, bis er schließlich zufrieden zurücktrat und den Säbel wegsteckte.
Maris sammelte seine Kräfte und entließ den magischen Strom in Richtung des Zeichens - wie ein prickelnder Schwall unzähliger Sandkörner füllte die magische Kraft den natürlichen Fokus und bestätigte seine Vermutung. Schließlich schloss er die Augen und entfesselte den Geist. Mit einem gewaltigen Brüllen erhob sich der Schemen eines majestätischen Löwen aus dem Boden, trat in stolzer Haltung vor Shakyors Gefährten und verschwand genauso schnell wieder im Nichts, wie er erschienen war.
Lächelnd verwischte Maris die Zeichnung auf dem Boden. Er hatte das Zeichen des Löwen gefunden und würde fortan nicht mehr auf das gemeine Zeichen der Katzen zurückgreifen müssen.
"Es gibt noch mehr, was du sehen musst", murmelte Shakyor, der tief beeindruckt von dem Zauber schien. Ohne weitere Worte schritt er auf ein Ende des Platzes zu und verschwand zwischen den Felsen. Befand sich dort etwa eine Höhle im Fels? Neugierig folgte der Löwenkrieger seinem Freund.
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Tempel des Löwen - Unklare Botschaften
Alte, krumme Stufen führten hinein in den Fels und hinab bis tief unter die Erde. Der Gang war schmal und nur der entfernte Widerschein von Shakyors Fackel ließ überhaupt etwas erkennen. Doch Maris spürte es bereits in seinem Innersten: das Kribbeln, das die gewaltige magische Kraft in ihm auslöste, ganz wie damals, als das Seelenband zwischen ihm und Marik geschlossen worden war, ganz wie in der Anwesenheit von al-hamza, dem Großen Löwen. Seit seiner ersten Berührung mit diesem Gefühl hatte sich das Gespür des Nomaden für die Magie der Natur um Welten verbessert, doch es löste immer noch die gleiche Unsicherheit und gleichsam mitschwingende Erwartungsfreude in ihm aus.
Nach einer schier endlosen Zeit des bloßen Hinabsteigens, bei dem Maris immer wieder Acht geben musste, Shakyor nicht zu weit vor sich weg gehen zu lassen, mündete der schmale Treppengang in einen seltsam erleuchteten Raum. Der Oberste Nomade löschte seine Fackel und breitete die Arme aus.
"Das ist der Tempel des Löwen, das größte Geheimnis deines neuen Herrn, das ich dir offenbaren kann. Wir sind die einzigen lebenden Menschen, die diesen Ort kennen, und so sollte es bleiben, Maris. Ich weiß nicht, welche Botschaften und Kräfte er in sich birgt - dazu fehlen mir die Gabe der Magie und tieferes Wissen um den Löwengeist oder die alte Sprache - doch ich bin mir sicher, dass du einige davon enträtseln können wirst, wenn die Zeit reif ist."
Erst jetzt bemerkte Maris die feinen Linien an den Wänden, die aus ihrem Inneren heraus sanft zu leuchten schienen. Sie führten aus dem Raum hinaus und tiefer in das Innere des Tempels hinein. Der Löwenkrieger folgte ihnen und fand sich in einer Halle wieder, die unter den leuchtenden Linien in mystischer Pracht erstrahlte. Sie bildeten Inschriften und Bildnisse, verschränkten sich hie und da, um schließlich in der Kuppel der Halle in einem sich verdichtenden Wirbel zu münden. Direkt unter der Kuppel fand sich ein Altarstein mit einer Vertiefung, in der sich einst der Löwenstein befunden haben mochte.
"Direkt über der Kuppel liegt der Steinkreis", sagte Shakyor und bestätigte damit Maris' erste Vermutung. Die Kraft dieses Ortes war förmlich greifbar.
"Siehst du die Bildnisse dort und dort?"
Shakyor deutete auf die leuchtenden Abbildungen zweier Löwen in gegenüber liegenden Ecken der Halle.
"Das sind die Fürsten der Berge und der Ebenen - der Silberne und der Goldene Löwe. Ihr Zwist ist so alt wie die Geschichte der Löwen selbst. Dort drüben", er deutete auf eine weitere kunstvolle Zeichnung, "siehst du die Dritte Fürstin. Sie ist die Löwenmutter, die sanfte Behüterin aller Tiere. Sie ist an keinen Ort gebunden und ergreift keine Partei, alle Löwen sind ihre Kinder und genießen ihre Gunst."
Die Löwenmutter... selbst sie war Maris schon im Traum erschienen. Damals hatte sie eine Warnung ausgesprochen. Vor wem sie ihn wohl gewarnt hatte?
"Und dort drüben schließlich", Shakyors Hand deutete auf das größte und prächtigste Bildnis der gesamten Halle, "siehst du den Herrn der Löwen selbst in seiner Herrlichkeit als König der Katzen. Diesen Platz wieder einzunehmen - da bin ich mir ziemlich sicher - wird sein Ziel sein. Ein König gibt sich nicht mit einer Nebenrolle zufrieden."
Maris nickte, während er sich tief beeindruckt mit offenem Mund umsah. Gleichmäßig geformte Kristalle, die an verschiedenen Stellen des Tempels aus dem Boden, den Wänden und der Decke ragten, fielen ihm ins Auge, doch als Shakyor seinen Blick bemerkte, schüttelte er nur den Kopf.
"Ich kann dir nicht sagen, wozu sie dienen."
"Das ist ein eindrucksvoller Ort, doch inwiefern wird uns das nun bei unserer Aufgabe helfen?", fragte Maris offen heraus.
"Ich bin mir nicht sicher", entgegnete der Oberste Nomade, "doch ich glaube, dass du in den Inschriften Antworten darauf finden wirst, wo du die streitenden Fürsten findest."
Maris zuckte missmutig die Schultern.
"Ich beherrsche die alte Sprache nicht!"
"Eben deshalb müssen wir über deine tiefergehenden Erinnerungen sprechen. In ihnen stecken das Potenzial dazu, den Sinn hinter den Schriften zu erkennen, auch wenn es dir nicht die gesamte Sprache lehren wird, und die Möglichkeit, eine stärkere Gabe zu erlangen. Doch dazu müssen wir tief hinab steigen... und das wird dich einiges an Mut kosten."
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Tempel des Löwen - Erinnerungen
Skeptisch dreinblickend stand Maris vor dem Bildnis des Silbernen Löwen und verglich es mit dem, was er bei seiner Begegnung mit Shakyors Gefährten vor wenigen Wochen gesehen hatte. Es war ein detailliertes Ebenbild des Herrn der Löwen der Berge - kleiner als die Tiere auf den anderen Bildern, dafür kräftiger und gedrungener, mit einer dichten, wallenden Mähne. Darunter wanden sich uralte Runen in geschwungene Linien, die stärker aufzuleuchten schienen, wenn Maris sich ihnen näherte. Als er sie berührte, erloschen sie. Es waren dünnste Vertiefungen, fein und meisterlich gearbeitet, mit einer sagenhaften Kunstfertigkeit in den harten Stein getrieben - und dennoch hatte der Nomade keine Ahnung, wie er die alte Sprache entziffern sollte.
"Also, wie soll das jetzt funktionieren?", rief er zu Shakyor hinüber, der an seine Seite trat.
"Deine Erinnerungen werden dir nicht dabei helfen, die alte Sprache zu erlernen - das können dir nur die Druiden zeigen - doch du kannst nach den Erinnerungen einer Person forschen, die genau an dieser Stelle stand und der alten Sprache mächtig war."
Der Löwenkrieger war immer noch skeptisch.
"Unsere Erinnerungen umfassen nur die Leben der Hüter der Wüste und der Führer des Alten Volkes. Druiden gehören nicht dazu."
Ein Lächeln umspielte Shakyors Lippen.
"Wirklich? Zu keiner Zeit? Fällt dir niemand ein, dessen Grab ganz in der Nähe liegt und einer der Großen unter uns war?"
Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag.
"Haran Ho!"
Der alte Führer und große Krieger war eine der erhabensten Persönlichkeiten der Geschichte des Wüstenvolkes - und seine Existenz lag schon so lange zurück, dass sie beinahe schon ins Reich der Legenden gehörte. Wie sollte es ihm gelingen, so tief vorzustoßen?
"Hör zu: wie ich schon sagte, wagen nur wenige von uns, die Erinnerungen zu nutzen. Die Gefahr ist zu groß, sich darin zu verlieren oder von ihnen überwältigt zu werden. Was du über deine Erlebnisse auf Argaan berichtet hast, klang genau danach. Die Erinnerung eines besitzergreifenden und besonders präsenten Geistes hat dein eigenes Denken verdrängt und dein Handeln bestimmt. Die Frage ist, was genau der Löwe mit dir angestellt hat, um zu verhindern, dass du die Kontrolle verlierst."
"Ich weiß es nicht genau", gab Maris freimütig zu, "Er erschien vor mir und es war, als würde er mich zerreißen, doch danach war nur der dominante Geist verschwunden. Seitdem verliere ich die Kontrolle über mich nicht mehr, aber ich habe es auch vermieden, die Erinnerungen einzusetzen. Es erschien mir zu gefährlich."
Shakyor nickte nachdenklich.
"Wärst du bereit, es zu versuchen und in die Erinnerungen hinab zu tauchen? Ob es funktionieren wird, ist eine andere Frage, denn Haran Hos Existenz liegt so weit im Dunkel, dass du in die tiefsten Abgründe deines Geistes vorstoßen musst."
"Ich werde es versuchen."
Maris setzte sich nieder, schloss die Augen und versuchte, sich zu erinnern...
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Tempel des Löwen - Kein Weg hinab
Das gewaltige, verwinkelte Gebilde, das Maris' Gedächtnis mittlerweile darstellte, nach alldem, was ihm widerfahren war, stellte definitiv keinen Ort dar, an dem sich irgendetwas leicht finden ließ. Dort führten breite Pfade und Korridore in präsentere Erinnerungen wie die der letzten Jahre, Wochen, Tage. An anderer Stelle, führten Wege hinab ins Dunkel, und er wusste, dass er diesen Weg würde bis zum Ende gehen müssen, wenn er auf den Grund der Erinnerungen stoßen und durch die Augen Haran Hos zu seiner Zeit sehen wollte. Schon die ersten Schritte hinab waren ein Wagnis - nur undeutlich war der Bruch zu erkennen, an dem seine eigenen Erlebnisse endeten und die der vorigen Hüter begannen. An anderer Stelle fanden sich Gedanken und Versatzstücke aus Bildern, die nicht die seinen, sondern die Mariks waren - eine geteilte Seele, geteilte Erinnerungen. Der Geist des Nomaden war ein hochfragmentierter Haufen nur schwerlich zusammen passender Bruchstücke und es wunderte ihn nicht im Geringsten, dass unter diesen Umständen das Fundament eines gewöhnlichen Verstandes ohne jede Gegenwehr in sich zusammen gestürzt wäre. Doch das hier war kein gewöhnlicher Verstand. Überall waren die Stützen zu spüren, die aus der Kraft des Löwen erwuchsen und verhinderten, dass er verrückt wurde. Nun jedoch musste er dorthin hinabsteigen, wo ihm diese Hilfe nichts nutzen würde.
Ordnung und Sicherheit waren schon nach wenigen Jahrhunderten des durchforstenden Blickes zurück vergangen. Die Besonderheit des Ranges der Hüter der Wüste verlor seine absolute Erhabenheit, während er all die Hunderten seiner Vorgänger an sich vorbei ziehen sah. Er suchte nicht tiefer in ihren Erinnerungen, denn er war auf der Jagd nach denen eines bestimmten Mannes.
Das Dunkel und die Ungewissheit um ihn herum wurden immer größer. Nichts schien hier noch wahr und kaum ein Bild vor Maris' innerem Auge wies noch klare Konturen auf. Undefinierte Bilder zogen vor ihm vorbei und änderten ihre Form und Farbe, noch während sie sich abspielten. Es war, als versuchte er sich an Erlebnisse aus seiner frühen Kindheit zu erinnern, von denen ihm nur noch einzelne Details tatsächlich präsent waren. Sie waren sein Ankerpunkt, um weiter voran zu gehen.
Doch dann erreichte er den Punkt, an dem es kein Weiterkommen gab. Nun umgab ihn völlige Ungewissheit, ein dunkler Riss, unter dem die Erinnerungen der Uralten schlummerten. Krampfhaft versuchte er, Licht in die Finsternis zu bringen, doch er musste bald schon feststellen, dass es genauso hoffnungslos war wie seine Versuche, sich Erinnerungen an seine eigene Vergangenheit vor seinem Leben als Straßenjunge wach zu rufen, vor seinem vierten Winter an Lebensspanne. Dennoch: er wollte nicht aufgeben. Es musste doch einen Weg geben, den Pfad zu erleuchten!
Die Hand Shakyors auf seiner Schulter rüttelte ihn unsanft und energisch aus seiner Versenkung. Desorientiert blickte Maris um sich und verlor das Gleichgewicht, obwohl er bereits saß. Stöhnend legte er sich auf dem erstaunlich warmen Steinboden lang.
"Ich hatte die richtige Spur! Warum hast du mich gestört? Ich hätte nur noch ein bisschen länger gebraucht!"
Doch Shakyor schüttelte den Kopf.
"Nein, Maris. Du hast für mehrere Stunden völlig regungslos auf der Stelle gesessen und nicht auf das Geringste reagiert. Ich musste dich ins Jetzt zurückholen, sonst hättest du dich in deinen eigenen Gedanken verloren. Das passiert vielen, die zu tief zu graben versuchen."
Entnervt seufzte der Löwenkrieger. Die Versenkung hatte ihn erstaunlich viel Kraft gekostet.
"Also ist es zwecklos und wir geben auf? Ist es das, was du sagen willst?"
"Nein", entgegnete Shakyor, "Es war einen Versuch wert und wäre der schnelle Weg gewesen. Nun müssen wir es auf andere Weise versuchen."
Maris hob skeptisch die Augenbrauen - ein Ausdruck, den er für seinen Geschmack seit der Befreiung Shakyors viel zu oft zeigte.
"Was für eine andere Weise?"
"Du musst aufhören, dich zu erinnern, und beginnen, zu sehen."
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Tempel des Löwen - Die Mauern durchbrechen
Mit verschränkten Beinen saßen sich die beiden Hüter der Wüste in der Mitte des Steinkreises gegenüber. Sie waren zurückgekehrt an die Oberfläche, da ihre nächsten Schritte keiner Inschriften bedurften und die unheimlich starke magische Präsenz in der Mitte des Kreises möglicherweise eine Brücke darstellen konnte, um die Mauern des eigenen Verstandes leichter durchbrechen und das Gegenüber besser erkennen zu können.
"Also, wie genau soll es mir gelingen, zu sehen, und was genau meinst du damit?", fragte Maris trocken, konnte seine Neugier aber nicht verhehlen.
"Es heißt, diejenigen, die der Kräfte der Natur mächtig sind, können lernen, in Zukunft und Vergangenheit anderer Personen zu blicken. Eine Berührung reicht, um einen Blick zu wagen, und angeblich können sie dies ebenso mit bloßen Gegenständen bewerkstelligen. Meine Meisterin beherrschte diese Gabe - ich kenne freilich nur die Theorie, aber vielleicht kann ich dir trotzdem zumindest helfen, den Weg zu finden."
Der Löwenkrieger nickte entschlossen.
"Also", sagte Shakyor, "als dich die Erinnerung zu übermannen drohte, auf welche Art und Weise konnte sie so präsent in deinem Geist werden? Hast du zu tief gegraben im Leben einer bestimmten Person oder gab es... besondere Umstände dabei?"
"Die Erinnerung war die von Belshazzar, einem Priester des Alten Volkes. Als Tinquilius und ich vor Jahren in den Tempel von Ben Sala eindrangen, fanden wir sein Grab und ich nahm seinen Schädel als Reliquie mit, damit er nicht zwischen den wandelnden Toten verweilen muss."
Shakyors Gesichtsausdruck verriet keine Überraschung.
"Ich dachte mir schon, dass du nicht so dumm warst, aus blanker Neugier ohne spezielle Begleitumstände von den Erinnerungen hinfort gerissen zu werden. Der Einfluss, den der Schädel auf dich hatte - das war ein erster fremder Impuls. Versuche, dir zu vergegenwärtigen, wie sein Anblick auf dich wirkte."
Die Aufgabe klang einfacher, als sie tatsächlich war. Maris hatte die Erinnerungen an die seltsamen Geschehnisse mehr oder minder erfolgreich aus seinem Kopf verbannt, da sie nicht nur gefährlich gewesen waren, sondern auch hochgradig peinlich. Immerhin hatte er einen Freund niedergeschlagen und beinahe seine Mentorin erwürgt!
Unheilvoll sah er den Schädel vor seinem inneren Auge. Selbst jetzt erfüllte ihn die Erinnerung mit einem schlechten Gefühl. Unweigerlich zog ihn der Gedanke tiefer hinab, bis hinein in Belshazzars Gedankenwelt, und er dankte dem Löwengeist, dass er nun nicht mehr übermannt werden konnte. Maris erkannte die Brüche im Gebilde seines Geistes, die Abkürzung, durch die sein Bewusstsein ohne große Mühe in die Gedanken Anderer vordringen konnte. Doch dieser Durchbruch fand sich lediglich im Inneren seines eigenen, erweiterten Geistes.
"In Ordnung", sagte er schließlich mit völlig ruhiger Stimme.
"Gut. Diese Art der Abkürzung des Weges ist der Grundstein, um den Raum deines Bewusstseins zu erweitern. Nur musst du nicht innerhalb deines Geistes Abkürzungen schaffen, sondern an den Außenmauern deines Verstandes Hand anlegen. Das ist kein ungefährliches Unterfangen, denn wenn du zu forsch bist und zu viel willst, leidet die Stabilität deines eigenen Geistes darunter. Deshalb - und, weil die Mauern deines Verstandes dicker sind, als du denken magst - brauchst du Impulse von außen. Wir werden einen ersten Versuch mit mir starten. Die Grenzen zwischen den erweiterten Erinnerungen, die dir meine Vergangenheit zeigen, und meinem abgegrenzten Bewusstsein, das ich nicht mit euch anderen Hütern teile, sind fließend und du kennst meine nähere Vergangenheit. Einen leichteren Zugang kannst du nicht bekommen. Bereit?"
"Bereit."
Shakyor lächelte.
"Dann los."
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Tempel des Löwen - Fremde Vergangenheit
"Fass mich bei der Schulter und schließe deine Augen!"
Maris tat, wie ihm geheißen und konzentrierte sich auf seine Gedanken.
"Taste dich langsam heran, gehe zurück bis zur Zeit meiner Gefangenschaft. Ich habe ein Symbol in die Mauer meiner Zelle gekratzt. Welches war es?"
Das Bewusstsein des Löwenkriegers stieß in die Sphären vor, die zu den erweiterten Erinnerungen der Hüter gehörten, und suchte nach den Erinnerungen Shakyors. Sie waren ihm nicht völlig unbekannt, hatte er seine Neugier doch bereits in diese Sphären schweifen lassen. Doch Maris wusste, dass nur alte Erinnerungen in diesem geteilten Bewusstsein verfügbar wären - erst vor so kurzer Zeit geschehene Ereignisse blieben ihm auf diesem Wege verborgen. Dennoch drang er bis zu dem Punkt vor, an dem nicht die Tiefe der Zeit, sondern die Unmittelbarkeit des Seins die Linie der Erinnerungen zu einem abrupten Ende brachte. Aufmerksam musterte er die natürlichen Grenzen seines Verstandes und erkannte, wo seine Schwachpunkte waren - nirgendwo. Das konnte heiter werden...
Nun konzentrierte sich Maris auf Shakyor, entließ feine magische Ströme in die Schulter, auf der seine Hand lag und tastete sich vor bis zum Geist des Obersten Nomaden, der es bereitwillig mit sich geschehen ließ. Der Nomade widerstand dem drang, die Emotionen des berührten Geistes zu verstärken, da das bisher seine einzige Erfahrung mit der Beeinflussung anderer Gemüter gewesen war, und verinnerlichte sich seinen Charakter, seine Gedanken, sein Wesen an sich. Dann ergriff er mit Hilfe des magischen Stroms den Geist und sandte seine Energie hinein. Wie ein bleierner Strang lastete die Verbindung schwer in Maris' Bewusstsein, während er sich zurück in Shakyors erweiterte Erinnerungen begab.
Noch einmal holte er tief Luft, bevor er alle Kraft zusammennahm und mit aller Macht an der Verbindung zerrte, um über diesen Ankerpunkt die Mauern seines Bewusstseins zum Einsturz zu bringen. Maris' Finger krallten sich in Shakyors Schulter, während er alle Kraft aufbot, die er besaß - und dann brach der Wall.
Als sein Geist in den fremden Raum eintrat, stieß ihm eine unglaubliche Macht entgegen, die ihm schlagartig den Atem raubte. Nur mit Mühe konnte er gegen diese unbändige Gewalt ankämpfen, doch mit jedem Schritt in diesen neuen Raum, wurden ihm Details aus der Vergangenheit Shakyors gewahr.
Es war anders als in den erweiterten Erinnerungen. Nichts hier schien ihm, als wäre es ihm selbst geschehen, wie es bisher immer gewesen war. Alle Bilder, die auf ihn einströmten, waren... distanziert, fremd, entfernt. Während er die nahe Vergangenheit seines Testobjekts in sich aufzunehmen versuchte, tobte weiter der Sturm der Magie um ihn herum. Er raubte ihm die Kräfte, raubte ihm die Sicht, ließ das Bild der Vergangenheit nur verschwommen vor ihm erscheinen - und dennoch gelang es Maris, vorzudringen und nach Details zu suchen. Endlich fand er den Zeitpunkt der Gefangenschaft, sah einen verzweifelten, leidenden Shakyor vor sich, der nicht zu hoffen wagte, dass die Dinge sich bessern würden. Aufmerksam suchte er die Zellwände nach Auffälligkeiten ab und fand schließlich das Ziel seiner Mühen: das Symbol der Mutter ruhte fein in den Stein geritzt in einer dunklen Ecke des Verlieses.
Es war wie ein Schock, wieder ins Hier und Jetzt zurückzukehren, doch die abfallende Last, nicht länger gegen die Kräfte außerhalb seines eigenen Bewusstseins anzukämpfen, war eine befreiende Erleichterung.
"Das Zeichen der Mutter, in der Ecke links vom Fensterloch, zwei Handbreit über dem Boden", beschrieb er, was er gesehen hatte, während er Shakyors Schulter losließ. Seine Finger schmerzten, als hätte er sie krampfhaft all die Zeit tief in das Fleisch seines Freundes gekrallt. Doch der ließ sich nichts anmerken und lächelte anerkennend.
"Gut gemacht, Maris. Wirklich gut. Du hast den ersten Schritt getan."
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Tempel des Löwen - Lang vergangen
"Wie war es?"
Shakyors Neugier sprang ihm förmlich aus dem Gesicht.
"Anstrengend. Es war, als ob man in einen Sturm hinaus tritt, der einen ohne Chance auf Gegenwehr zurück stößt. Ich musste all meine Kraft aufwenden, um mein Ziel zu finden... und die Bilder waren schwer zu erkennen. Anders als die Erinnerungen... fremdartig und verwirrend."
"Meinst du, dass du weiter zurück gehen könntest - jetzt, da du weißt, was dich erwartet?"
Skeptisch verzog Maris das Gesicht. Er war nicht allzu willig, sich sofort wieder dieser Anstrengung auszusetzen.
"Dann gebe ich dir ein anderes Ziel vor. Welche Farbe hatte das Haar meiner Meisterin?"
"Es war pechschwarz, obwohl sie nicht mehr die Jüngste war. Ich habe bereits in deine Erinnerungen gesehen."
Der Oberste Nomade verzog missmutig das Gesicht.
"Stimmt, das funktioniert so nicht. Wir bräuchten eine unbeteiligte Person, um deine Fähigkeiten zu üben."
Maris überlegte, wie sie weiter machen konnten, ohne den Tempel des Löwen erst wieder verlassen zu müssen. Es musste eine Möglichkeit geben, schneller zum Ziel zu gelangen! Wenn ihm nun wirklich endlose Übungen bevorstanden, bis die Inschriften selbst genügten, um zurückzublicken in die Vergangenheit der Tempelhalle, würden sie hier noch ewig festsitzen - und dafür hatten sie keine Zeit! Doch plötzlich kam ihm eine Idee.
"Lass uns noch einmal hinabsteigen! Ich will mir die Inschriften und Zeichnungen noch einmal ansehen."
So gingen sie wieder die Stufen hinab in den Hauptraum des Tempels. Aufmerksam musterte Maris die Linien, die teilweise in verschiedentliche Inschriften übergingen, und fand, was er suchte. Eine dünne, unscheinbare Linie verband die Bildnisse des Fürsten der Berge und des Herrn der Ebenen. Im Gegensatz zu allen anderen Linien leuchtete sie nicht und fügte sich so fast vollständig in den Boden ein. Genau zwischen den Bildnissen waren Runen in den Boden graviert.
"Das muss es sein. Die Inschrift, die den Goldenen und den Silbernen verbindet."
"Das bringt uns nicht weiter als zuvor. Du musst immer noch lernen, die Vergangenheit des Steins selbst zu erkennen, um die Runen lesen und ihren Sinn verstehen zu können!"
Maris schüttelte den Kopf - eine Reaktion, die Shakyor sichtlich ratlos machte.
"Warst du je dabei, wenn deine Meisterin die Inschriften las?", fragte der Löwenkrieger, wenngleich er die Antwort bereits ahnte.
"Ja, oft sogar. Aber ich kann mich an nichts davon erinnern."
Lächelnd zeigte Maris auf Shakyor.
"Ganz genau. Komm her!"
Der Oberste Nomade verstand und gehorchte. Gemeinsam setzten sie sich direkt neben der unscheinbaren Inschrift nieder und erneut schloss Maris die Augen, während er eine Hand auf Shakyors Brust und die andere auf den gravierten Lettern verweilen ließ.
Erinnerungen konnten trügerisch sein und auch die erweiterten Erinnerungen der Hüter waren vor der Entartung durch nachträgliche Betrachtung oder unvollkommene Wahrnehmung nicht gefeit. Wenn es Maris hingegen gelang, bis in die Vergangenheitsebene zurückzublicken, in der Shakyor Zeuge der Aktivierung der Inschrift wurde, konnte er nicht nur die Worte entschlüsseln, ohne die Alte Sprache zu kennen, sondern auch erkennen, was genau Shakyors Meisterin mit ihr getan hatte und wozu sie diente.
Maris nutzte den gleichen Weg wie bei seinem ersten Versuch, um in Shakyors Vergangenheit vorzudringen, doch diesmal war er auf den ihm entgegen schlagenden Sturm vorbereitet. Er nahm alle Kraft zusammen, um dem Strom entgegen zu treten, und stieß Schritt um Schritt vor in die Ungewissheit. Jeder Schritt wurde schnell zur Qual und bald schon musste Maris seine Gedanken einzig auf seinen Weg fokussieren, um nicht völlig die Orientierung zu verlieren. Einzig seine magische Verbindung zu Shakyor und der Ankerpunkt der Inschrift des Tempels waren seine Anhaltspunkte, mit denen er sich immer tiefer ins Dunkel voran wagte. Die Sicht wurde immer schlechter, immer unklarer wurden die möglichen Visionen, doch die magische Verbindung führte ihn tief hinab bis zum Augenblick, den er gesucht hatte.
Ein jüngerer Nomade mit Hoffnungen und Träumen stand neben einer weisen, alten Frau, die mit gesenktem Haupt just an diesem Ort stand, an dem sich die beiden Männer nun aufhielten. Das Bild war unklar, doch Maris konnte selbst in der Vision die Macht spüren, über die sie verfügte. Mit Hilfe ihrer Magie brachte sie die Inschrift zum Leuchten, erweckte eine Änderung im magischen Gefüge. Und dann sagte sie den Spruch.
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Tempel des Löwen - Gefangene Fürsten
Schwer atmend wurde der Löwenkrieger aus seiner Vision gestoßen und fand sich rücklings auf dem Boden liegend wieder. Besorgt beugte sich Shakyor über ihn.
"Maris, alles in Ordnung?"
Er wollte antworten, doch ihm fehlten Luft und Kraft dazu. Nur ein knappes Nicken brachte er hervor, bevor er sich ein wenig aufrappelte und an einen nahen Sockel lehnte, um nicht wieder umzustürzen. Der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn.
"Ich weiß es jetzt", keuchte er schließlich.
Nach einer ausführlichen Mahlzeit und übermäßig viel Wasser war der Sehende wieder bei Kräften und mehr als bereit, sich endlich ihrer eigentlichen Aufgabe zu widmen.
"Also, worum geht es?", fragte Shakyor frei heraus. "Führt uns die Inschrift zu einem der Fürsten?"
Maris lächelte verschmitzt.
"Besser."
Wieder einmal blieb dem Obersten Nomaden nichts anderes, als ratlos drein zu blicken, doch Maris scheuchte ihn mit neu gefundenem Eifer auf.
"Los los, geh schon einmal nach oben zum Steinkreis. Bleibe aber daneben, nicht darin! Und halte deinen Freund an deiner Seite, falls er nicht zur Jagd aufgebrochen ist..."
Shakyor hatte es schnell aufgegeben, mehr erfahren zu wollen, und fügte sich ohne Widerrede, sodass Maris allein vor der Inschrift zurückblieb. Mit gesenktem Blick kniete er nieder und ließ seine Magie durch die Fingerspitzen in die Runen strömen, die schlagartig wie ein Leuchtfeuer aufflammten. Der Stein begann zu vibrieren, als stimmten sich die Magie des Löwenkriegers und die des Tempels aufeinander ein, bis die Vibration unter der Kraft der Resonanz zu einem wahren Dröhnen anwuchs. Mit fester Stimme schließlich rief er die Worte der Inschrift:
"Telperion ar Laurelon! Telya i costa!
Túl mi cala ar oranya mi oron ar latinath!
Lelyan mi rinde a lastath!"
Das Leuchten der Inschrift ergoss sich schlagartig in die feinen Linien und schoss in atemberaubender Geschwindigkeit durch die Bahnen an den Wänden bis hinauf in den zuströmenden Wirbel, der an der Spitze der Kuppel mündete. Mit einem lauten Knall erstarben das Dröhnen und das Leuchten gleichermaßen.
So schnell er konnte, stürmte Maris nach oben, wenngleich die verlorenen Kräfte seine Schritte unsicher und ungenau machten. Als er den Steinkreis an der Oberfläche erreichte, erkannte er, dass der Zauber besser als gedacht funktioniert hatte.
Brüllend und Zähne fletschend umkreisten sich die mächtigen Gestalten eines gewaltigen golden schimmernden Löwen und seines kleineren, aber kräftigeren Pendants, dessen Fell silbern erstrahlte und dessen Mähne schwarz war wie die Nacht. Am Rande der Szenerie erblickte Maris seine Begleiter, die einmütig nebeneinander im Staube lagen und ihre Demut zeigten. Offenbar zwang das Seelenband auch Shakyor dazu, vor Ehrfurcht zu erzittern, wenn die Hüter der Löwenstämme gemeinsam vor seinen Augen auftauchten.
"Herren von Berg und Ebene, hört mich an!", rief Maris lauter, als es notwendig war. Vermutlich hätte er sich die laut ausgesprochenen Worte auch sparen können. Immer noch brüllend und wilde Drohgebärden zeigend umkreisten sich die Streithähne noch immer und schenkten ihm kaum Beachtung.
"Hört her, oder ich werdet in eurem Gefängnis bleiben bis zum Ende aller Tage, ihr Narren!"
Nun hatte er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Seite an Seite standen die streitenden Brüder und waren in ihrem Zorn auf den unwürdigen Menschen vereint, der es wagte, sie mit diesem ungehörigen Hilfsmittel zur Zusammenkunft zu zwingen.
"Ihr macht mir keine Angst! Ich bin der Diener des Großen Löwen und hier, um euch zu helfen. Etwas hat euch erneut in den alten krieg gezwungen, aber wenn ihr nicht Seite an Seite steht, sondern euch weiter zerfleischt, werdet ihr untergehen! Also, Herr der Berge, was hat deine Kinder aus dem Land getrieben, das euch nach der alten Einigung zusteht?"
Das gewaltige Brüllen ließ die Ohren des Nomaden klingeln, doch er ließ sich nicht beirren und trat in den Steinkreis. Bedrohlich richteten sich die Löwenfürsten auf und umrundeten ihn mit gefletschten Zähnen, doch sie taten ihm Nichts. Dann traf ihn die Botschaft des Silbernen wie ein Schlag.
Eine wilde Abfolge von Bildern strömte auf Maris' Geist ein und es fühlte sich an, als schlug ihm jemand direkt ins Gesicht. Die Löwen der Berge herrschten in ihrem natürlichen Reich, doch aus dem Nichts zeigten sich schwarze Katzen in ungekannter Zahl. Auf den Hängen der Berge nutzte den Löwen ihre körperliche Überlegenheit nichts, die schiere Überzahl und die Aggressivität des völlig überraschenden Übergriffs hatte sie in den Ebenen strömen lassen.
Ein rüder Kopfstoß vom goldenen Herrn der Ebenen ließ ihn wanken. Nun war er es, dessen Botschaften auf den Geist des Nomaden hereinbrachen wie ein Sandsturm. Die Verletzung der Grenzen hatte die Löwen der Ebenen dazu gezwungen, ihr Territorium zu verteidigen, und der Krieg der Brüder brach mit nie gekannter Grausamkeit von Neuem los, wie er es vor Urzeiten schon einmal getan hatte.
"Die schwarzen Katzen!", stieß Maris atemlos hervor. Er spürte, dass es zunehmend gefährlicher wurde, sich der Gewalt der Fürsten auszusetzen, und beschloss die Anrufung zu einem schnellen Ende zu bringen.
"Der Feind trägt keine Mähne! Kämpft Seite an Seite, egal wie viel Hass in eurem Blut wallt! Ihr seid Brüder und ihr seid Diener des Großen Löwen. Ihm und seinen Schutzbefohlenen seid ihr verpflichtet! Also kämpft an der Seite des Anderen, kämpft an meiner Seite, nur bis euer wirklicher Gegner vertrieben ist! Die schwarzen Katzen sind das Ziel! Nun geht, aber ich werde euren Beistand brauchen."
Maris kappte die magische Verbindung des Steinkreises, in dem die Magie wie ein tosender Wirbel umher wallte, und öffnete damit das Gefängnis, in das er die Löwenfürsten gesperrt hatte. Binnen eines kurzen Augenblickes waren die mächtigen Wesen ins Nichts entschwunden.
Unsicheren Schrittes verließ Maris den Steinkreis und trat zu den immer noch am Rande knienden Gestalten.
"Shakyor, ich muss sofort nach Al Shedim zurückkehren! Ist es in Ordnung für dich, wenn ich dich hier zurücklasse?"
Immer noch überwältigt vom gerade Gesehenen musste sich der Oberste Nomade erst einmal ordnen.
"Wir... gemeinsam sind wir schneller und sicherer unterwegs!"
"Nicht, wenn ich mich teleportiere!", entgegnete Maris trocken. Shakyor zögerte einen Moment, dann nickte er wortlos.
"Pass auf dich auf, Freund!"
"Du auch, Maris. Denke immer daran, dass diese Wesen weit mächtiger sind als du!"
Der Löwenkrieger grinste, während er die Hände für den Zauber ausbreitete.
"Keine Sorge, das wird schon."
Mit einem blauen Lichtblitz war er im Nächsten Moment schon verschwunden.
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Al Shedim - Langfinger
Runa wieder in den Armen zu halten, war ein tolles Gefühl gewesen, denn obwohl ihre Reise dank des Teleports nur wenige Tage gedauert hatte, war Maris diese Zeit wie eine Ewigkeit vorgekommen. Doch der Kontakt zu seiner Tochter hatte ihm nur noch deutlicher vor Augen geführt, wie sehr er seine Familie vermisste. Er musste dringend zurück nach Setarrif - doch noch hatte er etwas zu erledigen. Bei seiner Ankunft hatte der Sippenführer feststellen müssen, dass nicht nur einige der anderen Nomadensippen bereits dem Ruf ihres Obersten gefolgt waren und sich zum Rat eingefunden hatten, sondern auch seine eigenen Brüder aus den Wirren Mora Suls zurückgekehrt waren. Djafar sah etwas mitgenommen aus und auch die Sippenkrieger Omar und Wassar hatten ordentlich etwas abbekommen, doch Warus, der gerade erst von einer Reise nach Setarrif zurückgekehrt war, hatte sich um sie gekümmert und letztlich zählte für Maris nur, dass alle wohlbehalten zurück waren.
"...ich muss Suzuran also irgendwie Einhalt gebieten und ein paar Antworten aus ihr herauspressen, doch wenn ich sie offen stelle, wird sie sich nur wieder in Ausflüchte retten, ganz zu schweigen von ihren Fähigkeiten, die weit über meinen liegen. Ich kann sie also auch nicht zwingen", sprach Maris mit gesenkter Stimme, während Djafar sich die Kurzfassung der wichtigsten Punkte dieser verrückten Geschichte anhörte. Er war der Gerissenste unter den Mitgliedern der Sippe und wusste immer noch einen versteckten Winkelzug, um die Situation zu ihren Gunsten zu wenden.
"Dann sorge dafür, dass sie ihre Magie nicht einsetzen kann!", entgegnete der junge Ruinenwächter, "Müsst ihr nicht genau wie die Wassermagier mit euren Händen herumwedeln, um die Magie zu formen? Fessle sie, dann schlägst du zwei Fliegen mit einer Klappe! Sie wird weder flüchten, noch ihre Fähigkeiten einsetzen können."
Es war zumindest einen Versuch wert. Maris fasste also den Plan, seine Freundin, die zugleich seine Feindin war, zu überwältigen und ein paar klare Worte mit ihr zu sprechen. Doch konnte er jemanden, der ihm so nahe stand, einfach so niederschlagen, zu allem Überfluss noch eine Frau? Nicht, dass das Geschlecht irgendetwas über ihre Wehrhaftigkeit ausgesagt hätte, aber ein paar Prinzipien hatte der Nomade dann doch noch. Nachdenklich bedachte er Djafar mit einem Blick, der am Verband am Arm des jungen Mannes hängen blieb.
"Warus wird doch sicherlich Schlafmittel besitzen, oder?"
Djafar war überrascht, begriff aber schnell, wofür Maris es benötigte.
"Sogar ein ziemlich starkes! Omar hat welches bekommen, weil er einen ordentlichen Hieb auf den Schädel bekommen hat und der Schmerz ihn nicht mehr ruhen ließ."
Ohne ein weiteres Wort wandte sich der Sippenführer um und stürmte in den Tempel. Er wusste, wo sich die Heilkammer befand, und dank einiger Unterredungen mit dem grantigen, aber stets hilfsbereiten Heiler wusste er sogar, wo dieser seine Vorräte für die schnelle Behandlung aufbewahrte.
Als Maris sich in die Heilkammer schlich, kamen ihm Zweifel, ob solche Mittelchen bei einer Frau wie Suzuran überhaupt Wirkung zeigten. Immerhin hielt dieses Weib so manche Überraschung bereit, da glaubte er mittlerweile nichts mehr als sicher. Doch wenn es nicht funktionierte, blieb immer noch Plan B: B wie besonders harter Hieb. Manchmal musste man die Prinzipien ruhen lassen, wenn es einem höheren Zweck diente.
Die Heilkammer war leer, abgesehen von Omar, der selbst unter der Wirkung des Schlafmittels stand und mit seiner Kopfverletzung offenbar zur Sicherheit einbehalten wurde. Aufmerksamen Blickes schritt Maris an dem Schlafenden vorbei und untersuchte das abgeschlossene Schränkchen am Ende des Raumes. Hier würde er sicherlich keinen ausgewachsenen Giftschrank haben - der war wohl eher in einem der Alchimielabore oder direkt in Warus' Kammer zu erwarten - aber zumindest die häufig gebrauchten Lösungen fanden sich unter Garantie hier. Leider gab es nur ein Problem: das Schränkchen war abgeschlossen.
Noch einmal überprüfte Maris, dass Omar auch wirklich tief und fest schlief, dann zog er seinen Säbel, stemmte ihn in den Spalt, den die Schranktür ließ und hebelte das mickrige Schloss auf, das mehr Zierde als Schutz zu sein schien. Der Lärm dabei war kaum zu überhören, aber die mangelnde Reaktion Omars nahm Maris als Beweis der Wirksamkeit des Schlafmittels.
Nach kurzer Suche hatte er die Phiolen gefunden, die das Gesuchte enthielten. Sicherheitshalber nahm er gleich eine ganze Handvoll davon mit. Er ließ den Schrank, wie er war, und verließ die Kammer auf schnellstem Wege - Warus' Zorn würde er sich später stellen.
Mit genügend Lösungen, um einen wütenden Elefanten in einen tiefen Schlummer zu werfen - auch wenn er sich dieser Tatsache nicht ganz bewusst war - schritt Maris die Treppen hinab bis in den Keller, anstatt den Tempel zu verlassen. Eine der früheren Handwerkskammern dort unten musste jetzt ungenutzt sein und würde den perfekten Befragungsraum für ihn bieten. Er brauchte nur noch einen bruchfesten Stuhl, reißfeste Seile und eine Idee, wie er sie überzeugen konnte, das Gleichgewicht in Varant wieder so gerade zu richten, dass es dem entsprach, was die Löwen als ein Gleichgewicht der Kräfte ansahen.
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Al Shedim - Süß und Bitter
Ein betörender Duft erfüllte das Zelt und strömte bis vor den Eingang des Tempels, während Maris das frisch gebackene Baklava in akzeptable Portionen aufteilte. In der Hoffnung, dass sie nichts von seinem Plan ahnte, hatte er Suzuran eingeladen, ein wenig davon zu probieren, um einmal in den Genuss der Koch- und Backkünste des Nomaden zu kommen. Immerhin waren sie Freunde und Freunden konnte man doch einmal etwas Gutes tun, nicht wahr? Vermutlich ging sie davon aus, dass er mit ihr etwas Bestimmtes besprechen wollte, und lag damit auch nicht ganz falsch - die Art und Weise der Unterredung würde nur ganz und gar nicht nach ihren Vorstellungen sein.
Behutsam öffnete der Nomade alle fünf Phiolen des gestohlenen Schlafmittels und tränkte die typisch varantische Süßspeise mit der Flüssigkeit, während er sein eigenes Stück mit Rosenwasser verfeinerte. Äußerlich waren die Speisen quasi identisch, doch in ihrer Wirkung vollkommen verschieden. Konzentriert, um sie nicht versehentlich zu vertauschen, kümmerte er sich um die Platzierung auf dem niedrigen Tischchen, das inmitten der Kissenlandschaft des Zeltes stand. Eine Wasserpfeife zierte die Mitte des Tisches und eine Kanne mit Ataya, dem traditionellen varantischen Tee, stand ebenfalls schon bereit.
Maris ließ sich seine Ungeduld nicht anmerken, als Suzuran endlich erschien.
"Hey, alles klar bei dir? Freut mich, dass du gekommen bist. Setz dich, ich habe alles schon vorbereitet!"
Er deutete auf ihren Platz und setzte sich direkt auf den seinen, um ihr gar nicht erst die Möglichkeit der Platzwahl zu lassen.
"Wenn wir schon einmal hier sind, will ich dir doch wenigstens einmal die Möglichkeit geben, etwas aus meiner breiten Palette von Speisen zu probieren, während du die trockene Luft meiner Heimat atmest. Glaub mir, das hat einen nicht zu verachtenden Einfluss auf den Geschmack!"
Ruhig griff er nach der Kanne und goss erst seinem Gast, dann sich selbst ein in der üblichen Art der Teezeremonie, dann gönnte er sich einen Bissen von seiner eigenen Portion.
"Das ist Baklava, eine typische Süßspeise hier in Varant. Blätterteig, gehackte Nüsse, abgeschmeckt mit ein wenig Rosenwasser. Ist eine ziemlich süße Angelegenheit, aber deshalb habe ich unseren Tee auch nicht allzu sehr gesüßt. Lass es dir schmecken!"
Lächelnd griff er nach dem Mundstück der Wasserpfeife und nahm einen tiefen Zug. Eine dichte Rauchwolke lag schwer in der Luft und weigerte sich, seine gesammelte Existenz aufzugeben, bis Maris den Rauch mit einem leichten Pusten zerstreute.
"Also erzähl mal, wie findest du das Land so? Und willst du, dass wir noch hier anfangen, deinen Körper mit ein paar Leibesübungen zu foltern, oder wollen wir das machen, wenn wir wieder auf Argaan sind?"
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Palast des Statthalters, Mora Sul, Varant, Provinz des Großreiches Rhobars III.
Der Kapitän hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt,. Nachdenklich ging er vor den aus den typischen varantischen Hufeisenbögen bestehenden Arkaden des Galeriesaals, der als Lokalität für die Stabsbesprechungen im Palast des Statthalters diente, auf und ab.
Er verstand es, wirklich er verstand, die Logik, die hinter dem stand, was Lord Hector beschlossen hatte. Aber das hieß nicht, dass er es für gut befand. Im Gegenteil, es verursachte ihm ein verdammt flaues Gefühl im Magen. Es war einfach die falsche Wahl, die die Probleme nur aufschob statt sie zu lösen.
Wäre es nach Yared gegangen, hätte man die Verräter in den Reihen der Blutnattern, allen voran Cerone dieses Rabenaas mit seinem unangenehm breiten Grinsen, das selbst dem Kapitän ein warnendes Unbehagen bereitete, hingerichtet. Es ging ihm nicht darum die Offiziere der Blutnattern tot zu sehen. Er hätte deshalb nicht Genugtuung empfunden oder sonst etwas. Es war keine Rache, die seine Gedanken trieb. Hier ging es um Überlegungen die Zukunft betreffend. Diese ungehobelte Bande, dieses Regiment voller Mordplünderer und Marodeure brauchte kein Streicheleinheiten, sie brauchten ein Exempel und zwar eines, das sich gewaschen hatte.
Statt aber die Rädelsführer, die sich so gerne hatten kaufen lassen und sich bei der nächsten Gelegenheit sicher nicht nein sagen hören würden - diese sich als vertrauensunwürdigen erwiesen habenden Giergeier waren wieder oben auf, auch wenn sie jetzt natürlich dem Statthalter ständig Honig ums Maul schmierten. Immerhin schienen sie sich bewusst zu sein, dass das Hühnchen noch nicht für alle gerupft war und nur die Disziplin der anderen Kompanien und deren Treue zu Hector und dem König sie momentan davon abhielten, Selbstjustiz zu üben.
Knut hielt anders als Yared mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Der Söldnerhauptmann knallte sichtlich wütend seinen Becher auf den großen Tisch. "Zum Beliar! Ich möchte den Entschluss des Statthalters nicht infrage stellen, aber ich halte es nach wie vor für keine gute Idee, die Offiziere der Blutnattern im Amt zu belassen. Er hätte ihnen die königliche Soldkapitulation entziehen und sie vor ein Kriegsgericht bringen sollen.", knurrte er.
"Es gibt leider keine Alternative, Hauptmann. Wir brauchen die Blutnattern, wenn wir die Aufständischen in der Wüste verfolgen, aufspüren und ausräuchern wollen.", hielt ihm Dantero entgegen.
"Die übrigen Nattern hätten man auf unsere Kompanien aufteilen können. Angesicht des Exempels an ihren Kommandanten hätten sie sich schon einzuordnen gewusst, oder etwa nicht?" Knut schaute erst Dantero an, dann wanderte sein Blick zu Osgar
Der reagierte nicht. Der Hauptmann der Garde stierte nur still vor sich hin, seit Lord Hector den Saal verlassen hatte.
Yared hielt inne und kam zum Tisch zurück. Er stützte sich auf selbigen und sah den aufgebrachten Mitstreiter an. "Knut, mir gefällt das ebenso wenig, wie Euch. Aber erstens hätten wir da schnell einen Haufen Fahnenflüchtiger gehabt und bei deren Veranlagung einen Haufen Briganten. Sie würden mordend und plündern durch die Wüste ziehen. Die Varanter würden uns verantwortlich machen, denn auch sie unterscheiden nicht zwischen Myrtaner und Myrtaner, was nur noch mehr von ihnen in die Arme der Aufständischen treiben würde. Wir können die Provinz nicht befrieden, wenn wir an zwei Fronten gleichzeitig kämpfen müssen." Er machte eine kurze Pause. "Und zweitens würden wir die subversiven Elemente direkt in unsere eigenen Reihen einladen. Wenn sie vielleicht auch nicht die anderen gegen uns aufwiegeln könnten, so können wir im Notfall wenigstens auf den Rückhalt unserer Männer bauen und vereint gegen sie vorgehen - zudem sie besser unter Beobachtung halten. Wenn sie in unseren Reihen stehen, wird es für sie nur einfacher, die treuen Kräfte unter uns hinterrücks zu erdolchen, wie sie es schon versucht haben."
"Verdammte Politik." Knut hob den Becher wieder. Aber auch der Alkohol würde seinen Frust nicht lindern.
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Al Shedim - Süß und Bitter
Dieser unglaublich süße Duft strömte ihr schon vor dem Zelteingang entgegen und ließ in ihr ein wenig das Gefühl von Vorfreude aufkommen. Selbst wenn sie auf Diät wäre, sie hätte diesem Duft wahrscheinlich nicht widerstehen können, erst recht nicht, als sie das Zelt betrat und der Geruch noch betörender wurde. Die Szenerie war fast zu perfekt. Maris hatte alles schön hingerichtet und er war betont freundlich, was in ihr ein wenig Misstrauen weckte. Stand wirklich nur die Präsentation der nomadischen Backkünste im Vordergrund oder hatte er ein Anliegen mit ihr zu besprechen?
Nachdem sie sich gesetzt hatte, sah sie sich kurz um. Ob man mit solch einer Pfeife wohl auch Sumpfkraut rauchen konnte? Wenn sie nicht so teuer waren, würde sie vielleicht eine mit nach Tooshoo bringen, sie sah gut aus und der Rauch duftete besser als der von Sumpfkraut. „Da hast du dir ja Mühe gegeben, willst du mich damit bestechen oder wieso betreibst du den ganzen Aufwand?“, fragte sie und nahm das süße Teilchen in die Hand um einen kleinen Bissen zu nehmen. Es war ein Traum, nussig, süß, weich und der zarte Geschmack von Rosenwasser, der nicht zu aufdringlich war, all das war betörend, wodurch sie nicht widerstehen konnte noch zwei weitere Stücke abzubeißen. „Oh ein Traum, warum gibt es das bei uns nicht?!“, murmelte sie mit vollem Mund und nickte Maris anerkennend zu und ging dann auf seine Fragen ein. „Naja das Land ist schön, es hat etwas, aber immer hier leben wollte ich nicht, mir fehlt das grün hier, die Möglichkeit sich in einem tiefen Wald aufzuhalten, im Schatten der Bäume…sag Mal kann es sein, dass ich die Nüsse nicht vertrage? Fühl mich so schummrig plötzlich.“
Sie lehnte sich langsam zurück, Arme und Beine schienen immer schwerer zu werden und sie hatte plötzlich das Bedürfnis einfach ihre Augen zu schließen, um zu schlafen. „Waaas…“, bevor sie ihre Frage zu Ende stellen konnte, sank sie auf ihrem Stuhl schlafend zusammen und wenn sie noch kein Prinz geküsst hat, dann schläft sie wohl noch heute…
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Nordmar - Der Hammerclan - Baldivurs Langhaus
Die Kälte kroch selbst zu dieser Jahreszeit noch in die Knochen und der blonde Hüne rieb sich die frostigen Hände, ehe er die Tür hinter sich verschloss und somit der eisigen Kälte wieder einmal lebendig entkommen war. Eilig schritt er über den harten Boden seines Hauses, quer durch den düsteren Raum, bis er am offenen Feuer angekommen war, welches die einzige Lichtquelle der langen Hütte darstellte und inmitten einer steinernen runden Ummauerung langsam an den dürren Ästchen zehrte, die man eigens für diesen Zeck hinein gelegt hatte. Die aufsteigende Wärme belebte die ausgestreckten Hände des Nordmarers und bald brummte er wohlig, ehe er sich daran machte ein Fass Honigmet zu öffnen und sich einen Krug zu füllen. Bewaffnet mit diesem Getränk setzte er sich auf einen kleinen Hocker vor dem Tisch und starrte gedankenverloren in die Glut.
Dieses Haus hatte einst seinem Vater gehört, noch bevor Baldivur auf die Welt gekommen war, hatte sich seine Mutter um das Anwesen gekümmert und den kleinen Garten bewirtschaftet, gekocht und die Mäuler seiner beiden älteren Brüder gestopft. Doch dann war sie bei seiner Geburt verstorben und sein Vater hatte nie wieder geheiratet. Trauer hatte den Ahnenkrieger seitdem erfüllt und seine ebenfalls verwitwete ältere Schwester hatte sich seit dem um sein Haus und seine drei Kinder gekümmert. Nun war auch Greta gestorben, vor ihr noch Knut, Baldivurs Vater und auch seine zwei Brüder waren tot. Das Alter hatte Greta eingeholt und sie war einen friedlichen Tod gestorben, doch die Männer der Familie hatten im Angesicht ihrer Ahnen die Feinde des Nordens bekämpft und waren bei dem Versuch die Freiheit zu bewahren, um nicht zu sagen gescheitert, umgekommen. Nein, dieses Wort dachte sich der Barde gar nicht erst. Sie waren nicht gescheitert, ihr Tod war ehrenvoll und hatte einen Sinn, fürs Vaterland und für die Brüder und die Ahnen. Das war der sinnvollste und ehrenhafteste Tod und die erfolgreichste Tat, die es gab.
Doch auch der fanatische Blondschopf musste sich eingestehen, dass sie nicht gesiegt hatten. Myrtanische Truppen hatten Stellungen in Nordmar errichtet, es kamen fremde Händler und Arbeiter und für Baldivur ging alles den Bach runter. Nichts war mehr gut. Der Norden des Festlandes war kalt und einsam geworden. Der Charme war verflogen und was blieb war Verbitterung und Ödnis.
Es wurde ein Schinken geholt und das Sax gezückt, Baldivur spülte den salzigen Trockenschinken mit Met hinunter, während er weitere streifen mit seinem Jagdmesser abschnitt und in Gedanken verweilte.
"Oh der Norden, Trauers Land, verblasstes Niemandsland, außer Rannt und Band, er uns entschwand, nun nicht mehr erkannt", nach diesem kläglichen Versuch der Poesie wurde noch mehr Met geholt und die Lethargie konnte fortgeführt werden.
Geändert von Baldivur (05.09.2014 um 18:08 Uhr)
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Neuling
Nordmar - Der Hammerclan
Langsam wurde die kalte Luft des Nordens durch die Nase des Hünen eingesogen, befreite sie von dem verbrauchten Dunst, der durch die Feuerstelle im Innern eines der Häuser die Luft vergiftete. Eine dicke Fellweste schützte die Haut des Mannes, der allein auf der Treppenstufe saß, die zum Eingang seines Heims führte. Der dicke Stoff seiner Hose konnte nicht der beißenden Eindringlichkeit des pulverartigen Schnees standhalten, die sein Gesäß langsam betäubte. Der eisige Wind zog über seinen kahlen Schädel, brachte den Schweiß, den er in der warmen Stube gesammelt hatte, zum zittern und fügte ihm damit Stiche, wie mit einer feinen Nadel zu, die er auch für die Nähte seiner Kleidung benutzte. Es war ein vertrautes Gefühl und er konzentrierte sich mit all seinen Sinnen darauf, erspürte jeden einzigen Salztropfen und horchte darauf, wie die Schweißperlen an seinem Ohr hinunter flossen, um der Erstarrung zu entfliehen, mit der die Kälte drohte.
Nie war der Nordmarer so klar im Kopf, wie in solchen Momenten, wo er glaubte, den Schein des Mondes auf der Haut zu spüren, getragen vom Nordwind, der den Winter brachte. Es war längst noch nicht die Zeit der großen Kälte, doch hier oben war es immer kalt und jeder Mann, jede Frau, jedes Kind und vor allem die Tiere, die in diesen Landen geboren worden waren, liebten es.
Der Kerl, dessen Bart ihm bis zum Brustbein reichte, öffnete langsam seine rechte Hand, Finger für Finger spreizte er ab. Gemächlich ließ er die Pranke sinken, vorbei an der Treppenstufe, auf der er saß, hinein in den frostigen Schnee zu seinen Füßen. Jeder Nerv in seinen Fingerspitzen reagierte auf den äußeren Reiz, warnte vor der Kälte. Doch für ihn war es keine Warnung, die er beachten wollte. Viel lieber konzentrierte er sich darauf, wie die gefrorene Decke seiner Körperwärme nachgab, allmählich schmolz und sich im wässrigen Zustand in den kleinen Kerben und Falten seiner Haut verkroch.
Eine Handvoll der weichen Masse entnahm er dem Boden führte sie zu seiner Nase und sog den Geruch ein, den er sein ganzes Leben lang wahrgenommen hatte. Er spiegelte seine Unnachgiebigkeit wider, die er immerzu hochgehalten hatte, wenn andere ihm nicht zutrauten, was er sich vorgenommen hatte. Die frische Note, die an Wasser aus einem unberührten See erinnerte und doch ganz anders war, beflügelte seinen Sinn für Romantik und ihm kam Jara in den Sinn. Die Nordmarerin war stolz und ihr Gesicht fühlte sich unter den Berührungen Hods zart und zerbrechlich an. Herzförmig konnten seine Hände ihren Kopf entlangfahren, bis sie ihren schlanken Hals und die zierlichen Schultern erreichten. Wann immer sie ihre Stimme gebrauchte, setzte das Herz des Hünen einen Schlag aus und er horchte auf die verschiedenen Nuancen. Der Gesang von Vögeln und das Rauschen eines eiskalten Baches, sowie das Heulen der Wölfe fanden sich in ihren Worten wieder. Wenn sie lachte klang es genauso, wie der höchste Ton, den der glühende Stahl auf dem Amboss sang, klar und rein.
Die Hand des Kahlköpfigen schloss sich, verwandelte auch den Rest des Schnees in einen Rinnsal, der zu Boden tropfte. Mit ihm verflog auch der Geruch und der Schneider erhob sich. Er klopfte sich die restlichen Flocken von seinem Hosenboden und griff zielsicher nach seinem Stock, den er neben sich an die Hauswand gelehnt hatte. Ein Spaziergang war jetzt das, was er brauchte, damit er nicht so bald schon wieder der schlechten Luft der warmen Stube ausgesetzt war.
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Mora Sul - In den Schatten der Hinterhöfe
Jeder Dieb, der etwas auf sich hielt, bevorzugte Geld, egal welcher Wertigkeit oder Prägung - obgleich es da auch spezielle Vorlieben gab - solange es Münzen waren. Geld ließ sich schließlich nicht zurückverfolgen - Schmuck hingegen schon und zwar je wertvoller und seltener, desto einfacher. Der einzige Weg Schmuck loszuwerden war also, ihn einzuschmelzen und sich mit dem reinen Materialwert zufrieden zu geben oder aber einen privaten Sammler an der Hand zu haben, der genau das anvisierte Stück haben wollte. Der Kontakt zu solchen Leuten war nur schwer zu erhalten und noch schwerer zu halten, es sei denn man hatte einen guten Hehler zur Hand. Golveer aus Al'She war der beste im gesamten Umkreis und hatte - so hatte es Arvideon ein Vögelchen gezwitschert - seine Geschäfte, seit Beginn der myrtanischen Besatzung gen Süden bis nach Mora Sul ausgeweitet.
Nicht, dass Arvideon zur Zeit sonderlich viel Beute hatte, die verkauft werden musste. Mora Sul war schon vor dem Aufstand ein schwieriges Pflaster gewesen, vor allem wegen der Ausgangssperre. Doch jetzt war es beinahe unmöglich die Schatten der Nacht für einen Raubzug zu nutzen. Die Wachen waren verdreifacht, die Ausgangssperre ausgeweitet worden. Dennoch, der Wandermönch hatte eigentlich nicht vor noch lange hier zu bleiben, wollte jedoch die Stadt nicht verlassen, ohne Golveer wenigstens eine Nachricht hinterlassen zu haben. Ebenjene Nachricht schob er gerade im Schatten des Türsturzes lauernd unter dem Türschlitz hindurch.
Der kleine Wandermönch versuchte die Nachricht soweit wie möglich unter die dicke beschlagene Holztür zu drücken, sodass sie niemand wieder von Außen darunter hervorziehen konnte. Sie war zwar in einem Geheimcode verfasst, dennoch - eine Nachricht, die einem nicht in die Hände fiel, konnte man auch nicht zu entziffern suchen. Er fühlt nochmals mit seinen Fingern die von der Witterung angegriffene Unterkante ab. Dann erhob er sich zufrieden ob seines Werkes und stapfte um die nächste Ecke in den Hinterhof eines Handelshauses. Dort hatte er auf dem Hinweg schon einen Haufen Kisten entdeckt, der ihm den Aufstieg zu den Straßen der Diebe, den Dächern der Festungsstadt erleichtern sollte.
Auf leisen Sohlen glitt der Adanosdiener über das versandende Kopfsteinpflaster des Hofes stets leichtfüßig von einem Schatten zum nächsten huschend. Kurz vor den Kisten hielt er inne und lauschte. Beim Aufstieg würde man ihn leicht beobachten können. Er sah hinauf zum Mond, der doch recht hell, wenn auch nicht ganz voll über der Stadt stand - dennoch zu hell für Arvideons Geschmack.
Moment. Arvideon fuhr herum. Hatte er da nicht eben ein Atmen gehört, als ob irgendwo ein Unwissender versuchte mit möglichst wenig Atemzügen auszukommen, um nicht entdeckt zu werden? Sowas ging doch immer nach hinten los und endete nur in einem erhöhten Adrenalinspiegel und noch lauterem Schnaufen, weil der Körper vor Stress und in Vorbereitung der Flucht noch mehr Luft anforderte.
Der Wanderpredigers schob seine gewitzten goldenen Augen mit den in der Dunkelheit geweiteten Pupillen über die Kante einer Kiste, eine der untersten Stufe, welche noch im Schatten lag und auf die er soeben geklettert war. Unter ihm kauerte ein Mann im Schatten der Kisten. Er hatte längeres dunkles Haar - die genaue Farbe ließ sich im Zwielicht nicht feststellen - und eine wild zusammengewürfelte Lederrüstung - eine Mischung aus myrtanischer Söldner, varantischer Wüstenkrieger und Gladiator mit zahlreichen Stilbrüchen. Aus dem Dunkel heraus starrten den gnomenhaften Wandermönch zunächst furchterfüllte, dann erstaunte Augen vom helleren kräftigen Grün der Blätter der Magnolie an.
Arvideon grinste den Mann breit an. Er hatte ihn schon einmal getroffen.
"Der Wanderer auf den Schattenpfaden begrüßt dich Melford aus der Sippe der Ratten im schönen Mora Sul. Darf er anbieten, dich zu einem angenehmeren Nachtlager zu geleiten?", bot er ihm freundlich, jedoch mit gesenkter Stimme, damit sie nicht weit drang, an und machte eine einladende Geste.
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Al Shedim - Klare Worte
Die alte Werkstatt im Keller des Tempels war zwar nicht der schönste Raum und die fehlenden Fenster mochten sie unter den momentanen Umständen wohl eher wie ein Verlies oder eine Folterkammer erscheinen lassen, doch immerhin waren sie hier ungestört. Mit einem ehrlich gemeinten entschuldigenden Lächeln auf den Lippen wartete Maris geduldig, während Suzuran langsam aus ihrem tiefen Schlummer erwachte. Zugegeben, er schämte sich ein wenig dafür, sie so hinterhältig betäubt zu haben, noch dazu mit einer Menge, die manch schwaches Persönchen vermutlich in einen nicht mehr endenden Schlaf geschickt hätte. Doch die Druidin war kein gewöhnliches, schwaches Persönchen und konnte ihm durchaus gefährlich werden.
Suzuran begann sich ächzend zu regen, allerdings blieb ihr dafür nicht allzu viel Bewegungsfreiheit, denn während ihres Schlummers hatte Maris die Gelegenheit genutzt, sich die Dame über die Schulter geworfen und auf den Stuhl in der Kammer gesetzt, wo er mit übertrieben viel Seil für eine nur allzu feste Verschnürung gesorgt hatte, aus der sich auch eine schlüpfrige Schlange nicht mehr hätte lösen können. Die Finger Suzurans hatte er mit dünneren Kordeln paarweise zusammen gebunden, sodass die Hände doppelt aneinander gefesselt waren und sie keine Möglichkeit hatte, irgendwelchen Unsinn anzustellen.
"Guten Morgen, Schlafmütze!"
Langsam öffnete sie die Augen und blickte sich desorientiert um, während ihr Kopf noch schwer zu hängen schien.
"Tut mir wirklich leid, dass das hier sein muss. Wenn du willst, bereite ich dir nochmal ein richtiges Entschuldigungsessen, wenn wir wieder auf Argaan sind, aber da du nie mit mir sprichst, hast du mir keine Wahl gelassen. Jetzt reden wir."
Er trat hinter seine Gefangene und entließ den Zauber, den er während der Wartezeit vorbereitet hatte. Ein nicht wahrnehmbarer Duft erfüllte den Raum, der jedoch - so hoffte Maris - eine anziehende Wirkung auf sein Opfer haben würde. War es verwerflich, dass er seine Erinnerungen an die Stunden in den Armen seiner Liebsten nutzte, um Lockdüfte zu erzeugen, um eine andere Frau williger zu machen, seine Fragen zu beantworten? Er war sich nicht sicher, doch letztlich war der Zauber nur Mittel zum Zweck.
"Verzeih mir, dass ich dich verschnürt habe wie ein kleines Paket, aber ich musste sichergehen, dass du diesmal nicht ausweichst oder deine magischen Kräfte einsetzt, um meine Fragen nicht beantworten zu müssen. Das ist schon zu oft vorgekommen und diesmal brauche ich die Antworten."
Er beugte sich vor, bis sein Kopf neben ihrem war, und berührte ihre Schultern. Ob sein Lockduft bei ihr überhaupt Wirkung zeigen würde. Vielleicht würde es ihr zumindest die Konzentration rauben, immerhin konnte ihr Geist noch nicht wieder ganz wach sein.
"Frage eins: Bist du die Dienerin des Panthergeistes?"
Er war sich ziemlich sicher, was diesen Punkt betraf, aber er wollte es aus ihrem Mund hören.
"Womit wir gleich zu den Fragen zwei, drei und vier kommen. Als du damals das Seelenband zischen Marik und mir geschmiedet hast, lag die Macht des Löwensteins in deinen Händen. Hast du ihn manipuliert? Als Marik dann im Sumpf starb, wurde er von einer Frau getötet, die sich in einen Panther verwandelte. Warst du diese Frau? Und schließlich: Warum hast du Marik getötet? Die Wiedergeburt des Löwen wird wohl kaum dein Ziel gewesen sein. Ist dir bewusst, dass du mich damit unter gewöhnlichen Umständen getötet hättest und dass du dadurch dafür verantwortlich bist, dass ich von der Natur gezeichnet wurde?"
Am liebsten hätte er ihr einen Schwall von Fragen entgegen geworfen, doch manche Fragen mussten noch ein wenig auf ihre Beantwortung warten. Zunächst musste Maris die Dinge wissen, die ihm seit Jahren auf der Seele lagen - erst dann würde er zu akuteren Problemen kommen.
"Und komm nicht auf die Idee, mir ausweichen zu wollen! Ich werde dich erst wieder losbinden, wenn ich mit dem zufrieden bin, was du mir erzählst. Keine Ausflüchte diesmal!"
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Mora Sul - Unerwartete Begegnung
Auf den Straßen Mora Suls war es ruhig geworden, etwas ruhiger zumindest. Die Kämpfe waren vorbei, der Tumult niedergeschlagen und die Flucht...geglückt? Melford hoffte es zumindest, doch irgendwie hatte er ein schlechtes Gefühl wenn er so über die Aktion nachdachte. Im Nachhinein betrachtet erschien es ihm mehr wie reiner Selbstmord, sich einkerkern zu lassen, um dann unter dem „Deckmantel“ einer Straßenschlacht sich in die Freiheit durchzukämpfen. Nun, in der Vergangenheit war er bei ähnlich wahnwitzigen Plänen dabei gewesen und bisher war immer alles weitestgehend gut ausgegangen für alle Beteiligten. Doch solch ein Glück konnte nicht ewig währen und umso besser die Dinge liefen, desto mehr verhärtete sich sein Gedanke, dass es bald nicht mehr so gut aussehen würde. Das Gleichgewicht Adanos‘, wenn man so wollte.
Hatte er sich deshalb so kampfeslustig in das Getümmel geworfen? Weil er diese vermeintlich drohende Gefahr endlich hinter sich haben wollte?
"Der Wanderer auf den Schattenpfaden begrüßt dich Melford aus der Sippe der Ratten im schönen Mora Sul. Darf er anbieten, dich zu einem angenehmeren Nachtlager zu geleiten?" drang es von Oben an des Kämpfers Ohr und ließ ihn aufschrecken. Er schaute nach oben, doch in der Dunkelheit konnte er keine Details ausmachen. Die Person die ihn gefunden hatte, schien zumindest von recht kleiner Statur zu sein und auch schon einige Jahre hinter sich zu haben. Der kleine Mann kannte ihn, wusste von der Rattensippe und so kam ihm nur eine Person in den Sinn, die er da über sich haben konnte:
„Arvideon…“ flüsterte er zurück, wenn auch nicht ganz so meisterhaft wie der Alte. „…ich bin zweifelsfrei überrascht euch zu sehen. Aber lasst uns doch lieber woanders darüber reden…wo sagtet ihr, gäbe es ein gutes Nachtlager?“ fragte er mit einem verschmitzten Grinsen und erhob sich vorsichtig aus seinem Versteck.
Na mal sehen, was mich jetzt noch erwartet. Dachte er bei sich und war sich noch unklar, ob das Erscheinen des Zwerges ein gutes oder schlechtes Zeichen war.
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In ihrem Kopf dröhnte es, als hätte man ihr mit dem Hammer auf den Kopf geschlagen, ihre Augen waren schwer, als hätte sie jemand mit Honig verklebt, es war einfach ihr ganzer Körper, der sich falsch anfühlte. Suzuran öffnete langsam die Augen. Wo war sie? Sie probierte sich aufzurichten, aber jede Bewegung schmerzte, ihre Handgelenke fühlten sich seltsam an und auch ihre Finger konnte sie nicht bewegen. „Was im Himmel“, brabbelte sie verwirrt, während sie probierte sich die schweren Augen reiben, voller Panik musste sie erneut feststellen, dass sie sich kein Stück regen konnte. Als sie dann den Kopf leicht neigte, sah sie ihn, diesen Mann, der ihr so bekannt vorkam, aber dessen Namen sie irgendwie vergessen hatte. Dieser Mann sprach schneller, schneller als sie ihm folgen konnte, dabei wollte sie weiter seiner wunderbaren Stimme lauschen, die sie ein wenig beruhigen konnte. „Was hast du gesagt?“, lallte sie dann, weil jener sie nur erwartungsvoll ansah und nicht mehr weitersprach. Er sah sie fragend an, wiederholte dann aber seine Worte. Satz für Satz stellte er irgendwelche Fragen, die sie beantwortete als würde man ihr die Antworten auf magische Art entlocken, obwohl sie diese Fragerei nicht ganz verstand und einordnen konnte. Sie wollte eigentlich einfach nur schlafen, doch sah er sie mit diesem Blick an, der sie aufforderte weiterzumachen. „Ich wurde auserwählt ja…ich habe nie etwas manipuliert, dass was geschehen ist, musste doch geschehen…bewusst wurde nie etwas getötet, es war eine Wandlung, die das erste Mal geschah, verwirrt, überfordert und überwältigt, war ich, der Verstand zunächst fast tierisch, nicht menschlich, was dabei geschah? Ich kann mich nicht daran erinnern, nachdem ich als Mensch wieder zurückverwandelt war.“
Sie atmete tief durch, schloss die Augen. Verwirrt und müde wollte sie einfach nur schlafen. Wer war dieser Mann, wieso schien er ihr so vertraut zu sein?
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Al Shedim - Klare Worte
Vor seelischem Schmerz aufstöhnend ging Maris in die Knie. Er war auf viele Antworten vorbereitet gewesen, hatte mit wilden Verschwörungen und heimtückischen Plänen gerechnet, die ans Licht kommen würden, doch die Gewissheit, dass alles, was geschehen war, dass Mariks Tod nicht mehr als bloßer Zufall und Kontrollverlust war, traf ihn härter als jede andere mögliche Antwort. Marik war nicht nur ein Freund und Gefährte gewesen. Sie hatten sich eine Seele geteilt, waren praktisch Eins gewesen! Nun war er gegangen, allein wegen ihr, was auch seinen eigenen Tod bedeutet hätte, wäre nicht der Löwengeist aus dem Reich der Toten auferstanden. Eine tiefe Wut überkam den Nomaden - Wut über die Dummheit dieser Frau, die da vor ihm an den Stuhl gefesselt war. Er wollte sie packen und durchschütteln, wollte ihr klar machen, was sie mit ihrem unbedachten Handeln angerichtet hatte. Doch er fand keine Worte, keine Taten dafür. Nur langsam kamen Kraft und Besinnung in seinen Körper zurück.
Maris atmete tief durch und dachte nach. Immerhin hatte er nun Gewissheit, dass Suzuran die Dienerin der Pantherin und auch diejenige gewesen war, die dereinst in Gestalt eines Panthers Marik getötet hatte. Die Wiedergeburt des Löwengeistes gehörte nicht zu ihren Plänen und er gönnte es ihr nur allzu sehr, dass ihre dummen Taten ihr nun das Leben schwer machten. Die Fragestunde gestaltete sich schwieriger als erhofft, offenbar hatte er ein wenig zu viel Schlafmittel ins Essen gemischt und sie in einen derartigen Schlafrausch versetzt, dass sie kaum etwas wahrzunehmen schien. Jegliche Versuche der weiteren Einflussnahme auf sie waren wohl völlig sinnlos, also blieb Maris wohl nichts anderes, als ihr einfach seine Fragen zu stellen.
"Die Löwen der Berge laufen vor etwas davon und fliehen in die niederen Ebenen", begann er und sprach betont deutlich und langsam. So, wie Suzuran hier in den Seilen hing, war es ein Wunder, dass sie ihn bei den ersten Fragen überhaupt verstanden hatte.
"Was machen diese schwarzen Katzen in den Bergen? Warum zwingst du die Löwen dazu, sich gegenseitig zu bekämpfen? Ich will, dass das ein Ende findet. Du wirst dafür sorgen, dass die Panther in den Bergen wieder verschwinden, sonst werde ich dich hier unten in diesem Kellerloch verrotten lassen!"
Sein Zorn und die Drohung waren nicht nur bloße Fassade. Suzurans erste Antworten hatten ihn derart aus der Fassung gebracht, dass er tatsächlich darüber nachdachte, sie einfach hier unten zurückzulassen, die Kammer zu verriegeln und sie ihrem Schicksal zu überlassen.
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