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Varant - Rastplatz
Der Baumeister hörte seinem Gegenüber gespannt zu und versuchte die beschriebene Situation gedanklich noch einmal nachzuvollziehen. Das Waldvolk hatte sich bisher immer versucht aus den großen Machtkämpfen herauszuhalten und anscheinend war diese Einstellung auch weiterhin beibehalten worden. Ihr größtes Anliegen war wie eh und je das Wohl der Natur. Insofern brachte dies einige Vorteile gegenüber den anderen Parteien auf Argaan mit sich, die mehr um weltliche Güter und Land kämpften. Alles in allem nahm Melford den Bericht eher positiv auf.
„Nunja, wie erkläre ich das jetzt am besten.“ Fragte er und kratze sich am Kinn. „Wie gesagt, war ich bei der Ankunft damals auf Argaan mit dabei gewesen und habe hier und da mit angepackt. Als die meisten dann eine Bleibe gefunden hatten und sich die Situation stabilisiert hatte, bin ich wieder zurück nach Myrtana gesegelt, um die Waldläufer dort zu unterstützen. Myrtana ist einfach meine Heimat, da bin ich geboren und da kenne ich mich am besten aus. Ich bin mir sicher, dass ich so mehr von Nutzen sein konnte.“ Erklärte er in einem ruhigen Ton, während er sich seine damalige Lage noch einmal vor Augen führte. „Argaan war und ist mir immer noch sehr unbekannt, aber mittlerweile kann ich hier auf dem Festland nicht mehr viel erreichen. Die Situation hat sich festgefahren. Die Innosler sind nun die Herrscher des Landes und da können kleinere Angriffe auch nichts mehr anrichten. Vielmehr schaden sie dem einfachen Volk und das ist auch nicht Sinn und Zweck der Sache. Ich finde es natürlich beeindruckend, wenn Maris von einem Aufstand gegen die Unterdrücker redet, doch bisher hat er mich nicht überzeugt… Zumindest kann ich mir nicht vorstellen, dass es von viel Erfolg gekrönt sein würde. Ich glaube da kann man auf Argaan noch mehr erreichen. Wenn ich das richtig verstanden habe, haben die Innosler immer noch nicht so richtig Fuß fassen können und sind im Zwiespalt mit den Setarrifern. Wenn man es schafft sie dort zurückzudrängen und es den Argaanern ermöglicht die Insel wieder vollständig zu besetzen. Dann hätte man einen guten Ausgangspunkt, um die Innosler härter zu attackieren.“ Versuchte er Bartimäus so verständlich wie möglich zu erklären und war sich dabei selber sehr bewusst, dass dies viel einfacher klang, als es umzusetzen war. „Und um auf deine Frage zurückzukommen…Ich will es vermeiden von Vengard aus nach Argaan überzusetzen und hoffte hier in Varant ein Schiff zu finden. Dabei habe ich einen Abstecher nach Al Shedim gemacht und euch zufällig getroffen. In der Ruinenstadt habe ich mal vor Jahren bei einem großen Turnier mitgekämpft…ich wollte mir einfach nochmal die Stadt ansehen, wenn man schon die Gelegenheit dazu hat.“ Dabei schwelgte er leicht in Erinnerungen, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf Bartimäus richtete.
„Und wie sieht es bei dir aus? Was treibt dich hierher? Oder eher noch…zum Waldvolk?“
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Ja, was trieb ihn hier her? Maris hatte er die ganze Geschichte erzählt, doch empfand er nicht, dass jeder die zu wissen brauchte. Ganz abgesehen davon, dass es nicht so abwegig war ihn dafür für verrückt zu erklären. Und plötzlich erkannte er zum wahrscheinlich ersten Mal warum die Druiden sich hinter ihrer Maske aus Geheimnistuerei versteckten und beschloss es ihnen gleich zu tun, allerdings nicht ohne ein wenig schlechtes Gewissen zu empfinden.
"Man kann sagen ich bin im Auftrag der Natur unterwegs. Für den Moment werde ich Maris helfen, anschließend werde ich vielleicht diese Pilgerreise machen von der er erzählt hat um den Spuren der Natur zu folgen und davon zu lernen. Dann werde ich aber wieder nach Schwarzwasser zurückkehren. Wie gesagt, ich fühle mich dort zu Hause und möchte sie dort auch gar nicht zu lange verlassen. Am Ende hält man mich noch für tot, ich kannte schon einmal wem, dem das so ergangen war, nur weil er eine Zeit nicht da gewesen ist."
Und was trieb Maris da eigentlich die ganze Zeit? Erkennen konnte er natürlich nichts, also blieb ihnen wohl nichts anderes über als abzuwarten und sich weiter zu unterhalten.
"Ich denke in Schwarzwasser wird es immer einen Weg geben, wie man helfen kann. Außerdem ist die Insel nicht so sonderlich groß, ich hab sie schon öfter bereist und du wirst sie auch schnell kennen lernen. Und was die Innosler angeht: nein, die haben gerade mal eine Stadt. Die einzige Stadt mit Hafen zwar, aber ansonst nicht so viel Einfluss."
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Vengard
Einfacher gesagt als getan. Weder wusste Medin, wie sich die Sicherheitsvorkehrungen an den Vengarder Toren in den vergangenen drei Jahren entwickelt hatten, noch war er sich darüber im Klaren, wie präsent den Wachmannschaften sein Gesicht noch war. Aber er hatte sich schon früh auf dieser Reise von dem Gedanken verabschiedet, keinerlei Risiken einzugehen, sodass es auch hier wieder dazu kommen musste. Denn die Mauern Vengards waren hoch und sie in der Nacht zu überklettern erforderte erstens gute Ausrüstung und zweitens immer noch eine verdammte Portion Glück, denn Wachposten patrouillierten auch auf den Wällen. Also dann doch das kleinere Übel wählen und einen Versuch durch’s Tor wagen. Und wann waren Wachposten erfahrungsgemäß am unaufmerksamsten? Kurz vor dem Wachwechsel.
Also nährten sich die beiden kurz vor dem Vormittagswachwechsel den Toren in üblicher Rollenverteilung. Sie die Reisende aus besserem Haus und er als ihr recht stummer Problemlöser.
Der Betrieb am Tor war dem einer Reichshauptstadt würdig. Bauern, Händler und Reisende versuchten in die Stadt zu kommen, um ihre Waren feilzubieten, Geschäften nachzugehen oder einfach ihr Geld zu verprassen. Der Tordurchgang war mit fünf gut gerüsteten Wachsoldaten bemannt, von denen drei gerade das große Ochsengespann eines fahrenden Handelskaufmanns überprüften, das allerhand Kisten und Säcke geladen hatte.
„Langsam!“, rief der vierte Wachsoldat – wahrscheinlich der Hauptmann – ein paar Bauern zu, die sich dran vorbei drängeln wollten und Medin hörte, wie genervt der Mann schon sein musste. „Und ihr dahinten auch ab in die Reihe. Einer nach dem anderen!“
„Der hat keine Lust mehr“, flüsterte Medin zu Redsonja, die ihre Haare unter der Kapuze halbwegs verborgen hielt. „Nicht reizen, dann stellen sie wahrscheinlich drei Fragen und wir können rein. Hier herrscht schließlich kein Krieg mehr.“
Zumindest hoffte er, dass die Sicherheitslage halbwegs entspannt war.
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Varant - Die Angst des Löwen
Der Gefährte des obersten Nomaden war ein prächtiges Tier - elegant bewegte sich der sehnige, muskulöse Körper des Löwen auf ihn zu, den Kopf stolz erhoben, während die gewaltige Mähne sich dunkel im Mondschein abzeichnete. Die beiden hatten sich zwischen den Dünen getroffen und standen zwei Mannslängen weit voneinander entfernt, als sie zum Stehen kamen. Noch immer lag der subtile, beruhigende Duft der Löwenmutter in der Luft und Shakyors Löwe schien in aller Gänze auf die Botschaft angeschlagen zu haben. Das Tier strahlte Ruhe und Erhabenheit aus, trotz der Erschöpfung, die man ihm bei einem genaueren Blick ansehen konnte. Dennoch war seine Haltung leicht angespannt und Maris wusste, dass er behutsam vorgehen musste, um sein Vertrauen zu gewinnen.
Der Nomade präsentierte seinen Hals und stellte sich leicht zur Seite gedreht vor die Raubkatze, um die Spannung zwischen ihnen zu nehmen, dann blinzelte er dem Löwen entgegen. Noch immer war er nicht sicher, ob das Tier ihn wiedererkannte, doch es dauerte nicht lange, dann deutete auch der Löwe ein kaum merkliches Blinzeln an. Das musste reichen.
Behutsam sammelte Maris seine magischen Kräfte und ließ den Strom in Richtung der Katze fließen. Wie tausende kleiner Sandkörner perlte die kleine Welle magischer Energie seinem Gegenüber entgegen, kitzelte es an der Nase und berührte schließlich seine Stirn. Der Löwe schreckte unmerklich zurück, ließ sich dann aber ungewöhnlich schnell auf den Kontakt ein, als kannte er diese Art der Verbindung bereits, die nun zwischen ihnen hergestellt war.
Die Gefühle des Löwen beschrieben ein kleines Durcheinander aus Neugier und Furcht, Sehnsucht nach besseren Tagen und Wut über das Vergangene. Und wenn er ganz genau hinein fühlte in die Welt seines Gegenübers, konnte er sogar ein wenig Freude über dieses ungewöhnliche Wiedersehen erfühlen.
Es ist schön, dich wiederzusehen. Was mit Shakyor passiert ist, tut mir Leid, doch meine Freunde und ich sind hier, um ihm zu helfen. Doch ich muss von dir wissen, was passiert ist.
Der Löwe setzte sich in thronender Pose nieder in den Sand und blickte Maris aufmerksam an.
Was ist damals geschehen, als Shakyor gefangen genommen wurde?
Einige Momente lang geschah nichts, doch dann stürzte eine Bilderflut auf den Geist des Nomaden ein, die ihn einiges an Anstrengung kostete, um die Verbindung zum Löwen nicht zu verlieren. Er sah Shakyor im gleißenden Sonnenlicht, mitten in der Wüste und begleitet von einer Gruppe Nomaden. Der oberste Nomade schickte die anderen fort, kurz bevor eine bis an die Zähne bewaffnete Kampfeinheit auftauchte und ihn stellte. Sie sprachen miteinander, doch worüber, wusste der Löwe freilich nicht. Dann blickte Shakyor seinem Begleiter tief in die Augen und ließ ihn wissen, dass alles gut würde, bevor er seinen Speer in den Sand rammte und sich von den Häschern fesseln und abführen ließ.
Maris dachte nach. Shakyor hatte den Kampf vermieden und sich freiwillig ergeben, um ein unnötiges Blutvergießen zu vermeiden, ganz wie es ihm berichtet worden war - was er zuvor jedoch nicht gewusst hatte, war, dass die Männer, die auf den obersten Nomaden Jagd gemacht hatten, keine gewöhnlichen Soldaten waren. Die Gesichter dieser Krieger waren von Gewalt und Rücksichtslosigkeit geprägt gewesen, von Machtgier und Habsucht. Es waren die leeren Augen von Söldnern. Er würde darüber nachdenken müssen, was das für ihr Vorhaben bedeutete.
Ich danke dir. Wir werden ihn befreien, ganz sicher. Doch ich habe einen Löwen der Ebenen am Meer getroffen, schwer verletzt durch einen Löwen aus den Bergen. Er verriet mir, dass die Brüder aus den Bergen aus ihrer Heimat hinabgestiegen sind. Weißt du mehr darüber?
Die Bilder, die ihn erreichten, waren diffus. Shakyors Löwe wusste etwas über diese Geschehnisse, doch war er zu beschäftigt mit seinen eigenen Problemen, um sich damit näher auseinanderzusetzen. Das Einzige, was Maris erkennen konnte, war, dass die Löwen der Berge in Furcht geflohen waren, zum Teil mit schweren Verletzungen, und sich nun mit Gewalt einen Teil des Reviers der eigenen Brüder aus den Ebenen nahmen, weil ihnen keine Wahl blieb. Er sah die Bilder zweier gewaltiger Gestalten - die eines groß gewachsenen Löwen mit beinahe schon golden schimmerndem Fell und ebenso goldener Mähne und eines beinahe ebenso großen, dafür stämmigeren Löwen, dessen Fell eher silbrig anmutete und dessen Kopf eine dunkle, fast schwarze Mähne zierte.
Sind sie die Hüter der beiden Familien?
Mit einem Blinzeln stimmte das Tier zu und verriet gleichsam das Gefühl Ahnungslosigkeit darüber, wo sie zu finden seien. Vielleicht wusste ja Shakyor mehr darüber? Schließlich hatte er die alte Hüterin des Löwensteins lange begleitet, bevor er ihn für sie verwahrt hatte.
Maris wurde aus seinen Gedanken gerissen, als nun der Löwe seinerseits ein Thema anschnitt. Vor dem geistigen Auge des Löwensteinhüters tauchte das Bild von Marik auf. Es war die Frage danach, wieso er nicht von der riesigen Raubkatze begleitet wurde.
Er starb im Kampf gegen einen Panther. Doch er ist nun Teil von etwas Größerem, Mächtigerem.
Plötzlich sprang der Löwe auf und nahm eine alarmierte Stellung ein, bevor er sich nach einigen Atemzügen wieder ein wenig entspannte. Er wandte sich schließlich um und ging davon - nicht ohne den Blick hinauf auf den Dünenkamm zu werfen, wo Suzuran mit Runa wartete. Und bevor die Verbindung zwischen ihnen völlig abriss, vernahm er eine deutliche Warnung:
Hüte dich vor den dunklen Katzen!
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"Wer seid ihr?"
Kam Frage Nummer eins prompt. Redsonja setzte ihren leicht überheblichen Blick wieder auf, der das Fehlen entsprechender Kleidung wett machte und sie musste es nicht einmal spielen. Sie bemitleidete den Wachposten einer Stadt wie Vengard tatsächlich.
"Sumita, Tochter von Ben Aben Orei." Sie erstach ihn beinahe mit ihren Augen, während seine so etwas sprachen wie 'nicht noch mit einer Adligen anlegen vor Feierabend'. "Und das ist mein Söldner Coën."
"Und was wollt ihr in der Stadt?" Hakte er dennoch weiter nach, während Redsonjas Körpersprache eine gewisse Ungeduld verriet.
"Meinen zukünftigen Mann kennen lernen."
Sie wollte schon an der Woche vorbeigehen, als er nochmals Luft holte. An dieser Dreifrageregel war wohl tatsächlich etwas dran. Vielleicht hatte Medin dazu selber mal einen Befehl dazu verfasst. Der Wachmann schien zu suchen und wurde fündig. Erleichtert stiess er die letzte Frage aus.
"Und die Lieblingsfarbe eures Söldners?"
Redsonja lächelte grosszügig, denn diese Antwort gab sie doch gern.
"Natürlich rosa."
Nun lächelte auch der Wachmann erleichtert. Er hatte Feierabend.
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Sie ging durch die vertrauten Gassen, suchte einige Verstecke, die sie früher genutzt hatte. Viele waren noch an ihrem Platz. In einigen sassen aber auch neue Ratten und Viraya verkroch sich schnell wieder von dort. Ratten brachten gerne Krankheiten mit sich. Ihr liebstes Versteck gegenüber von Darlas Bordell hatte leider inzwischen auch einen neuen Bewohner gefunden. Einen Menschen. Noch schlimmer. Viraya überlegte, ihn von seinem bemitleidenswerten Dasein zu erlösen, entschloss sich aber dagegen und suchte sich einen anderen Beobachtungspunkt. Dort liess sie sich erstmals mit einem Bündel Proviant nieder und wartete geduldig. Wenn sie eines von Andreja gelernt hatte, dann sie mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen.
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Etwas war seltsam. Das Muster, der Personen, die sich um Darlas Bordell herum bewegten stimmte einfach nicht ganz. Es wirkte nicht natürlich. Das glaubte Viraya zumindest zu erkennen, aber ganz sicher war sie sich auch nicht. Und das obwohl sie sämtliche Ängste ausgeblendet hatte. Sie lauerte einfach nur und wartete ab. Es spielte keine Rolle, ob sie an dem Abend noch lebte. Je weniger sie daran dachte, desto grösser war die Chance, dass sie es tatsächlich noch tat. Nun galt es herauszufinden, wer in diesem Muster ihre Zweifel schürte. Das war gar nicht so einfach, denn Darlas Geschäft schien geradezu zu florieren. Nur Darla selber hatte sie noch nicht gesehen und das beunruhigte die Frau mit den bläulich schimmernden Haaren doch ein wenig. Darla war eine Überlebenskünstlerin, die durch jede Situation irgendwie durchgeschlüpft war. Dennoch war auch sie nicht unsterblich und der Dimosaclan war gnadenlos. Nicht grausam. Sauber, schnell und unauffällig. Es konnte sein, dass sie Darla beseitigt, das Bordell übernommen und erfolgreich weiter geführt hatten. Mit denselben Mädchen, denselben Türstehern,... Viraya beobachtete. Sie musste damit rechnen, dass etwas derartiges eingetreten war.
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Mora Sul - Rückkehr
Die Sonne stand tief am Himmel, als die bunte Reisegruppe aus Nomaden und Mitgliedern des Waldvolkes nach einem harten Aufstieg endlich die Tore Mora Suls erreichte. Der Tafelberg, auf dem die Stadt lagerte, schien im rötlichen Licht der Sonne wie ein loderndes Feuer, während die weißen Fassaden in unwirklichem Glanz vor ihnen aufragten. Die überall aufragenden, massiven Türme aus ebenso hell strahlendem Gestein und mit ihren goldenen, stachelbewehrten Kuppeln erinnerten Maris auf seltsame Weise an veredelte Phallussymbole - als ob die Assassinen dereinst versucht hätten, die Prallheit ihrer Goldsäckchen auf die in ähnlichen Regionen baumelnden Säcke zu übertragen. Ein Wunder, dass dem Nomaden der Gedanke in all den Jahren zuvor nicht ein einziges Mal gekommen war.
So kehrte er wieder ein in die Stadt, die er seine alte Heimat nennen konnte, doch schnell sah er, dass sie sich verändert hatte. Bereits der scheue Blick auf die Straßen noch von außerhalb des Tores verriet dem Hüter, dass der anregende, wilde Trubel, das nach allen Gewürzen dieser Welt, schwarzem Tee und dem süßen Schweiß unter der Sonne zergehender Fettsäcke riechende Durcheinander - kurzum: all das exotische Chaos - einer leblosen, grauen Ordnung gewichen war.
"Halt!"
Genüsslich grinsend baute sich ein aufgeblasen wirkender Glatzkopf mit viel zu breiten Schultern und zu viel Kompetenz für seinen Grad an Intelligenz vor der Gruppe auf.
"Wer seid ihr und was wollt ihr hier?"
Ein paar Worte aus seinem Munde reichten, um feststellen zu können, dass er seine Arbeit hasste und die Unzufriedenheit durch die gnadenlose Ausnutzung seiner "Macht" zu kompensieren versuchte.
"Wir sind Reisende aus Bakaresh, der Perle des Ostens, und freuen uns auf eine gemütliche Herberge nach einem anstrengenden Marsch durch die Wüste", entgegnete Maris und versuchte, möglichst unschuldig dreinzuschauen.
"So so, Reisende also. Und was wolltet ihr gleich nochmal hier?"
"Wir führen Wertvolles mit uns und versuchen, es hier in bare Münze zu verwandeln."
"Wertvolles, hm? Na dann lasst mal sehen."
Der gierige Kerl freute sich bereits darauf, etwas für sich abfassen zu können. Maris fiel auf, dass er nicht die übliche Kleidung der myrtanischen Ordnungshüter trug, wie es in anderen Städten der Fall war. Etwa einer der Söldner?
"Nichts, das du greifen, sehen, schmecken kannst, mein werter Herr. Geschichten aus tausend und einer Nacht unterm Sternenzelt von Varant sind es, die wir mit uns führen. Wir sind Märchenerzähler."
Missmutig verzog sich das Gesicht des Glatzkopfes.
"Pah, Geschichten. Du willst mir doch nicht erzählen, dass IHR ALLE hier Geschichtenerzähler seid!"
"Hast du schon einmal tausend und eine Geschichte zusammengetragen? Das sind ein paar Abenteuer zu viel, um sie alle allein zu erleben, mein Herr."
"Und die Waffen?"
"Es ist gefährlich da draußen. Die Nomaden greifen wieder zu den Waffen, munkelt man. Da muss man sich vor Übergriffen schützen."
"Ehrlich? Hmm, ist mir neu", grummelte der schmierige Kerl.
"Schleicht euch halt, ihr Pack, und erzählt eure dummen Märchen. Aber wehe, ihr macht Ärger, hört ihr? Dann schneide ich euch die Zungen persönlich heraus!"
Als sie endlich auf den Straßen der Stadt in der Menge untertauchten, grübelte Maris noch immer über diese merkwürdigen Söldner nach. Sie waren, wie man sich Söldner vorstellte - raffgierig, brutal, egoistisch. Es wollte so gar nicht in das Bild perfekter Ordnung passen, dass das Reich auf die Hilfe von Gestalten solch zweifelhafter Natur zurückgreifen musste. Vermutlich aber galten hier selbst für die Myrtaner andere Regeln als im Kernland im Norden.
"Folgt mir! Ich führe euch zu Jubairs Unterkunft!", raunte Azad und schritt voraus.
"Ein weiterer Sippenbruder", erklärte Maris knapp und war der Erste, der ihm eilfertig folgte. Er kannte die Gassen, die sie durchschritten, hatte er doch gleich im Nachbarviertel seine Kindheit und Jugend durchlebt. Immer tiefer stießen sie in das Gewirr der labyrinthartig erscheinenden Wege vor, die völlig beliebig angeordnet wirken mussten, jedoch einem logischen Plan folgten.
"Jedes Viertel kann für sich isoliert leben. es hat ein eigenes Badehaus, Brunnen, öffentlichen Backofen und eigene Aborte. Die Gassen mögen euch beengt vorkommen, doch schreitet ihr durch eine Tür, werdet ihr feststellen, dass die nach außen hin abgeschlossenen Häuser im inneren durchaus geräumig und gemütlich sind. Alles zum Schutz der Privatsphäre. Und dass unser mahallalar - der Hof, auf dem sich das Leben der umliegenden Häuser abspielt - von außen nicht einsehbar ist, wird unserer Sache durchaus dienlich sein", versuchte der Hüter kurz die Umstände für die zu erklären, die mit der Bauweise der Stadt nicht vertraut waren - freilich so leise, dass andere Leute nicht mithören konnten.
Plötzlich hielt Azad an.
"Die nächste Abzweigung rechts, die dritte Tür auf der linken Seite. Wir gehen nacheinander in kleinen Gruppen rein. Sicherheitshalber."
Der Sippenführer nickte zustimmend. Sie wussten nicht, wer sie hier beobachtete, wenngleich die Gassen kaum eine vernünftige Beobachtung zuließen.
Maris, Runa, Bartimäus und Azad bildeten die erste Gruppe, der alle anderen umgehend folgen würden. Zügig, aber nicht hektisch schritten sie zu besagter Tür, die mit ihrem dunklen, alten Holz und dem dezenten, künstlerischen Eisenbeschlag unscheinbar in der Lehmwand versank. Das klopfen erschien ihm so laut, dass die ganze Nachbarschaft es gehört haben musste. Einen Moment lang herrschte völlige Stille, dann öffnete sich die Tür leise und Jubair stand in der Öffnung.
"Maris!"
In einer herzlichen Geste fiel der in fiel der in die Jahre kommende Vater unzähliger Kinder ihm um den Hals und rief seine gesamte Familie herbei. Nacheinander durften sie nun jeden herzlich drücken.
"Salam, mein Name ist Jubair, der Herr des Hauses", stellte er sich auch Bartimäus vor, "Mein Haus soll dein Haus sein."
Im hektischen durcheinander deutete Jubair in den Innenhof, der durch die offenen Türen des Hauses bereits vom Eingang aus zu sehen war.
"Tretet nur durch, Freunde! Der Rest kommt gleich, nehme ich an? Wenn der Rest der Sippe und Kayors Männer auch noch eintreffen, wird das eine gemütliche Runde, sag ich euch!"
Froh, endlich aus der für einen Nomaden unangenehmen Enge der Gassen in die recht großzügige Weite des Grundstücks zu treten, ging Maris voran. Wohl war, wenn sie alle einkehrten, würde selbst dieses Haus sich bis an die Belastbarkeitsgrenze füllen!
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Taverne im Tuchhändlerviertel, Bakaresh, Varant, Provinz des Großreiches Rhobars III.
"Sie sind also Yared. Der Mann, der einer meiner fähigsten Mitarbeiterinnen den Kopf dermaßen verdreht hat, dass sie doch tatsächlich ihre Anstellung aufgeben will.", die Frau mit der leicht rauchigen Stimme hatte es ganz offensichtlich darauf angelegt, seine Aufmerksamkeit zu erheischen, also tat Yared ihr den Gefallen und schob sein Gesicht in den fahlen Helligkeitsbereich. Man war ja schließlich Kapitän und Ehrenmann.
Die Frau war offensichtlich Myrtanerin, was man an ihrem für diese Gefilde zu blassen Teint merkte. Sie hatte hellbraune Augen, die sie aus irgendeinem unerfindlichen Grund in kräftigen schwarzen Farben gefasst hatte, genau wie ihre Lippen - für Yareds Geschmack etwas zu stark. Das dunkle Haar trug sie kurz und zerzaust und sie trug Männerkleidung und einen nicht u verachtenden Säbel an ihrer Seite - nichts prunkvolles, aber effektiv, leicht und sicher sehr robust. Sie war nicht überragend schön, etwas herb, jedoch keinesfalls hässlich. Vielleicht war sie aus höheren Kreisen. Yared meinte an ihr die noch leichte Schatten der Arroganz einer Adelstochter wahrnehmen zu können, vielleicht war das aber auch einfach nur ihr überbordendes Selbstbewusstsein.
"Ihr seid Daca.", stellte er genauso ungerührt fest, wie sie ihn zuvor identifiziert hatte.
"Nennen Sie mich Zyra.", erwiderte sie und setzte sich ihm gegenüber an den Tisch. Die Taverne im Viertel der Tuchhändler, eines der wenigen Etablissements mit myrtanischem Mobiliar, war um diese fortgeschrittene Nachtzeit und wohl auch wegen ihrer abgelegenen Lage - fernab von Markt und Arena sowie auf der den Piers abgewandten Seite hinter dem Hafen gelegen - nur spärlich besucht und auch genauso spärlich ausgeleuchtet.
Ein Wirt ohne Gäste sparte gerne Öl.
"Aber Ihr arbeitet für Daca.", stellte Yared aus seiner dunklen, nur vom Flackern einer einzelnen Öllampe erhellten Nische fest.
"Meine Rechte ist ihre Rechte und meine Linke ist ihre Linke. Meine Gedanken sind ihre Gedanken und meine Worte sind ihre Worte. So sagt man doch hier in der Wüste.", bestätigte sie seine Vermutung, "Ich spreche hier in ihrem Auftrag."
Daca war ein Phantom. Jeder - zumindest in gewissen Kreisen - kannte den Namen, niemand jedoch kannte die Person, die sich dahinter verbarg. Es kursierten tausende Gerüchte über sie. Nach manchen war sie gar keine Frau, sondern ein Mann, andere wiederum behaupteten, sie sei die Mätresse des Königs oder gar seine uneheliche Tochter.
Klar war nur eines, sie hatte Lord Hector als Chefin von Rhobars Geheimdienst beerbt. War Nachfolgerin jenes Mannes, der nun das Amt des Statthalter von Varant bekleidete - kein Posten mit hoher Lebenserwartung, wenn man an die Nachrichten aus Mora Sul dachte.
"Wo ist Sianna?", fragte der Kapitän.
"Ja, ich habe schon gehört, dass Sie nach ihr suchen. Aber deswegen bin ich nicht hier.", wies Zyra seinen direkten Vorstoß zum für ihn eindeutig wichtigsten Thema dieses Treffens vor.
"Aber ich bin deswegen hier.", konstatierte er seelenruhig. Es machte keinen Sinn anzufangen herumzuwüten, nur weil sein Gegenüber offenbar nicht direkt mit den Informationen herausrücken wollte - noch nicht.
"Formulieren wir es anders, Sianna ist nicht mein Hauptanliegen. Ich möchte Ihnen erst ein Angebot machen.", eröffnete die Agentin Yared.
Diese Frau machte einen gefährlichen Eindruck - gefährlich wie ein Messer zwischen den Rippen, weniger bedrohlich, wie das gewaltige Schwert am Rosshaar aus der Sage von Demoklaas, einem aufmüpfigen Spaßmacher, dem man vor Urzeiten an irgendeinem gortharischen Fürstenhof eine Lektion erteilt hatte. Nein, sie lauerte wie ein Tiger auf das geringste Anzeichen von Schwäche. Sie kannte seine offensichtlichen Schwachstellen. Aber die würden ihm nicht zum Verhängnis werden. Zum Verhängnis wurden einem immer nur die Schwachstellen, derer man sich nicht bewusst war.
"Ich höre.", sagte er ohne eine Miene zu verziehen.
Yared hatte sich seine Unnahbarkeit, seine scheinbar ewig grimmige, unverrückbare Miene im Angesicht der Gräuel der vergangenen Epoche des Krieges hart verdient und im Anblick Dutzender Freunde und Familienmitglieder, die er zu Grabe hatte tragen müssen, kultiviert. Ebenso, wie sie seinen Körper gestählt und gezeichnet hatte, hatten sie seine Seele gezeichnet. Er war nicht zerbrochen, aber er wusste Schmerz auszuhalten, körperlichen, wie seelischen. Er hatte gelernt seien Körper still zu halten und seine Gefühle zu verbergen.
"Das Reich bedarf Ihrer Dienste.", begann Zyra, "Die Assassinen bereiten einen Aufstand vor. Ich denke, Ihr habt die jüngsten Nachrichten aus Mora Sul und Braga vernommen. Aber da draußen regt sich noch weit mehr. Auch einige Nomadenstämme scheinen unruhig. Die frisch aufgestellten Stadtmilizen reichen nicht aus, um die notwendige Sicherheit zu gewährleisten. Daher werden Truppen verlegt."
Das war zu erwarten gewesen - vor allem nach dem Anschlag auf den Statthalter.
"Ich biete Ihnen eine Kapitulation als Schiffshauptmann im Dienste der Krone samt Werbepatent für alle Häfen des Reiches, sowie ein Pauschquantum von tausend Myrtanischen Gulden im Jahr. Bevor Sie mir jetzt entgegenhalten, dass der Sold nicht ausreicht. Sie erhalten ergänzend einen Kaperbrief gegen alle Parteien, mit denen sich das Reich im Krieg befindet - dies sind momentan einige gortarische Fürstentümer, das Orkreich und die argaanischen Rebellen, sowie alle die für diese Parteien Schmuggel betreiben - gegen einen üblichen Anteil der Beute versteht sich. Sie erhalten das Recht die myrtanische Fahne zu führen, müssen jedoch die Uniformierung Ihrer Leute in den Reichsfarben aus Ihren Einnahmen zu den üblichen Konditionen bestreiten. Zudem wird von Ihnen die Bereitstellung eines geeigneten Schiffes sowie dessen ausreichende Bewaffnung gefordert. Die Krone bietet Ihnen des Weiteren an Transporte in ihrem Auftrag extra zu vergüten. Dies alles werden Sie erhalten, wenn Sie bereit sind für die nächsten Wochen eine Kompanie der Marineinfanterie nach Mora Sul zu führen."
Das war ein ausgewogener Handel - zumal es die Reichskasse nicht sonderlich belasten würde. Am Ende machten sie sogar Gewinn durch ihn.
"Ich möchte die Garantie einer allgemeinen Amnestie für begangene Verbrechen gegen das Reich für all jene, die sich in meine Musterungslisten eintragen, und eigene Kriegsgerichtsbarkeit, wie sie einem freien Söldnerhauptmann zusteht." Noch ehe sie einen Einwurf vorbringen konnte, fuhr Yared fort: "Man kann sich die Leute manchmal nicht aussuchen und wenn, dann will ich derjenige sein, der sie richtet."
Zyra zögerte kurz, dann sagte sie: "Das lässt sich machen."
"Gut. Und Sianna?", fragte der Kapitän.
"Sie ist für uns da draußen und erledigt ihren letzten Auftrag. Wenn Sie einwilligen, hoffentlich erfolgreich.", bemerkte sie etwas spitz.
Ah, da war der Speck, mit welchem man ihn letztlich zu ködern gedachte. Er, Yared, hatte ein offensichtliches Interesse an Sianna und an den Möglichkeiten, die ihm im Dienste der Krone erwuchsen. Zyra hatte ihm gerade beides angeboten.
Offenbar ging es hier um mehr als bislang ersichtlich. Warum machte Zyra in Dacas Namen so umfassende Zugeständnisse? Sicher, Sie konnten ihn nicht die ganze Zeit, die sein Auftrag oder der daraus eventuell erwachsende Feldzug dauern würde, überwachen und versicherten sich so seiner Loyalität. Aber irgendwie wurde Yared das unterschwellige Gefühl nicht los, dass das Ganze einen gewaltigen Pferdefuß besaß. Vielleicht aber unterstellte er dem myrtanäischen Geheimdienst einfach auch nur mehr Rücksichtslosigkeit und Böswilligkeit, als sie tatsächlich verdienten.
"Gut,", Yared nickte bedächtig, "wir haben einen Handel. Jetzt sagt mir, was ich wirklich für Euch tun soll."
"Wir haben einen Mann in Mora Sul. Dantero. So lange nichts passiert erfüllen Sie Ihren offiziellen Auftrag. Sollte etwas passieren, das so nicht in unserem Sinne ist, werden Sie seine Verstärkung darstellen.", erläuterte sie.
"Ihr rechnet mit Verrat in den eigenen Reihen?", warf Yared ein.
"Nicht alle, die die Farben des Reiches tragen, handeln ausschließlich zum Wohle des Reiches.", bemerkte Zyra kryptisch.
Aufgrund der unsicheren Lage waren die Söldnerregimenter, die im Zuge der Rückeroberung Varants angeworben wurden, noch nicht aufgelöst worden. Unter ihnen waren zu viele schwarze Schafe, die von der Amnestie des Königs profitiert hatten, eigentlich aber nur der Aussicht auf Gewalt und Beute wegen in die Wüste gezogen waren und nun wohl begannen sich zu langweilen. Yared kannte diesen Menschenschlag zur Genüge. Sie würden zu Räubern und Plünderern mutieren, wenn man aufhörte ihren Sold zu berappen. Aber was war das Problem, wenn sie die Regimenter weiterhin bezahlten? Rechneten sie damit, die Hunde nicht länger an der Kette halten zu können?
Sollte das der Fall sein, würden sich die Übergriffe auf Assassinen oder Nomaden, die in die Städte zurückgekehrt waren, häufen. Gerade Letztere hatten mittlerweile das Stigma der Verräter erhalten, da man sie allzu gerne mit den argaanischen Rebellen in einen Topf warf, die sich ja auch auf die Priesterschaft Adanos' stützten. Im schlimmsten Fall würde es Pogrome in den Städten geben - Plünderungen, brennende Viertel, Mord und Totschlag, Vergewaltigungen.
Oder aber tatsächlichen Verrat in den eigenen Reihen? Machten Söldner und Assassinen gemeinsame Sache?
Doch warum ging das Angebot dann an ihn?
Wahrscheinlich war er der einzige in Reichweite mit ausreichend hohem Rang und ohne Verbindungen zu den Söldnern oder Beziehungen zu hochrangigen Militärs. Dafür jedenfalls hatte Sir Maldun gesorgt - Beliar wusste warum. Und seine Beziehung zu Sianna garantierte immerhin, dass er nicht plötzlich die Seiten wechseln würde.
Aber all das Bleib unausgesprochen.
"Kommen Sie morgen in die Hafenkommandantur. Dort wird man Ihnen die Urkunden und das Kommando über die Kompanie übergeben. Innos sei mit Ihnen.", sagte Zyra und stand auf.
"Innos Segen auch Euch.", murmelte Yared.
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Vengard
Erinnerungen waren etwas vom Grausamsten, was die Götter jemals erfunden hatten und obwohl Sumita mit erhobenem Haupt neben Coën her schritt, tobte in Redsonjas wahrer Identität ein Sturm. Sie war nicht diese arrogante Adlige, die sie in den letzten Tagen gespielt hatte. Sie war eine Mörderin. Lothario Berengar von Trelisberg ihr berühmtestes Opfer. Allerdings nicht jenes, das sie am meisten bedauerte. Er hatte alle nicht adligen Menschen als unnötigen Dreck angesehen. Hätte sie ihn nicht zuerst erwischt, wäre sie dran gewesen. Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Medin schwieg, doch sein Blick liess vermuten, dass er ihren inneren Tumult erkannt hatte. Ob er es auskostete? Sie an seiner Stelle hätte es getan.
Sie hatten sich in einer Herberge unweit vom Tempel eingemietet. Von hier hatten sie das ehemalige Anwesen des Lords im Blick. Dort sassen sie nun schon einige Zeit schweigend und beobachteten.
"Die junge Dame müsste Arya sein und der Jüngling Jarno."
Meinte Redsonja dann, während sie die beiden inzwischen erwachsen gewordenen Kinder aus der Ferne musterte. Vier Jahre waren seit dem Tod ihres Vaters vergangen. Sie schloss die Augen. Vier Jahre spielten keine Rolle. Die Kinder waren wohl bereits in jener schicksalhaften Nacht erwachsen geworden. Was wohl mit der Mutter geschehen war? Wollte sie das wirklich wissen? Sie schüttelte den Kopf und erinnerte sich. Sie tat es nur ungern, dennoch war es notwendig, denn sie wollte nicht ewig in Vengard bleiben. Einzelne Bilder erschienen vor ihrem inneren Auge. Blutige Bilder. Nur eines schien relevant.
"Nachdem ich den Lord von Trelisberg umgebracht hatte..." Begann sie ohne Vorwarnung. "... kamen fünf Wachen. Zwei sind geflohen. Diese sollte noch leben."
Was mit den anderen drei passiert ist, wusste sie nicht mehr. Ihre Erinnerung war verschwommen, doch sie konnte es erahnen. Medin wohl auch.
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Sie wartete und wartete. Nichts geschah, zumindest nichts Greifbares. Aber vielleicht wussten sie, dass Viraya hier war. Dann war es dumm immer im gleichen Versteck zu kauern. Sie hatte auf die Nacht gewartet und pirschte dann los. Sie versuchte sich möglichst normal zu bewegen und dennoch keinerlei Geräusche zu machen. Schlussendlich verschwand sie in einem Keller. Er roch modrig. Von oben war das leise Schnarchen eines Mannes zu hören. Vorsichtig drückte sie die Luke auf und späte ins Zimmer hoch. Es war stockdunkel. Sie liess die Luke langsam wieder zugleiten und blieb im Keller. Es war zu heikel. Sie wartete lieber den Tag ab und hoffte, dass der Mann arbeiten ging.
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Vengard
Am nächsten Tag ging Viraya auf Erkundungstour in der Stadt. Sie besuchte einen alten Freund, der kaum noch sah, doch er freute sich sehr die junge Frau vor sich zu haben. Er erzählte viel. Einiges war relevant, anderes weniger, dennoch hörte sie aufmerksam zu. Ernesto war ein Fischer gewesen bis vor einigen Jahren, doch seit er älter geworden war, hatte er sich nach Vengard in den Ruhestand zurück gezogen. Nun verkaufte er manchmal den Fisch, den seine Freunde fingen. Familie hatte er keine mehr.
"Und wie läuft das Geschäft?"
Fragte Viraya schlussendlich höflich.
"Ach weisst du. Das ist doch nebensächlich. Ich bekomme jeden Abend etwas zwischen die Zähne. Was will ich noch Geld anhäufen."
Er lachte und die Diebin lachte mit ihm.
Geändert von Viraya (08.06.2014 um 11:09 Uhr)
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"Aber du, was machst du hier?" Ernesto wurde auf einen Schlag ernst. "Es wurde nach dir gesucht. Keiner hat gefragt, dennoch waren sie hier. Niemand weiss woher sie kommen, keiner weiss ob sie wieder gegangen sind."
Viraya wurde sichtlich blass und fragte nur:
"Wann?"
"Vor ungefähr zwei Monaten."
"Und Darla?"
Wollte Viraya plötzlich aufgeregt wissen.
"Keine Ahnung. Sie erschienen mir zu gefährlich, als dass ich ihnen einen einzigen Moment hinterher spioniert hätte. Nicht nur das. Ich habe alles gemieden, was mit dir in Verbindung stand."
"Aber verhindert, dass ich hier reinkomme hast du nicht."
"Nein." Er schüttelte etwas müde den Kopf. "Muss ich dir das wirklich erklären Kind. Ich habe doch nichts mehr zu verlieren. Mein Leben habe ich gelebt. Gut gelebt, glaub mir." Er lachte heiter. "Nein, ich habe gewartet, damit ich dich warnen kann und dir ein sicheres Versteck bieten."
Es war zu schön um wahr zu sein, warnte ein kleines, leises Stimmlein im Hinterkopf der Frau mit dem schwarzen Haar.
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Vengard
„Der einarmige Tjore?“, fragte das Waschweib und blickte skeptisch und mit verschränkten Armen zwischen den beiden Neuankömmlingen hin und her. Redsonja und Sumita gaben fürwahr ein ungleiches Paar ab, vor allem hier in den hinteren Gassen des Vengarder Hafenviertels. Die kleine Rothaarige bewegte sich für einen geschickten Beobachter – und solche fand man meistens in den Armenvierteln eher als in denen der Händler und Adligen – zu selbstsicher, um so wehrlos zu sein wie sie erschien und der größere Südländer mit den beiden Schwertern roch schon aus dreißig Schritt nach Ärger. Aber dieser Eindruck konnte von Vorteil für sie sein.
„Man hat uns gesagt, dass er hier in der Gegend lebt“, nickte Medin geduldig und seine Gesprächspartnerin schien etwas enttäuscht zu sein, dass er auf ihren provozierenden Ton nicht einging. Sie schien selbstsicherer zu sein, als ihr wohl gut tun würde.
„Was hat er denn getan?“, hakte sie nach. „Hat er einmal zu viel der Gisel nachgepfiffen und ihr Mann schickt euch, um ihm auch noch den anderen Arm zu brechen?“
„Nein, ein alter Freund aus seiner Zeit als Soldat schickt uns. Ein Kamerad von früher ist verstorben“, log Medin und zerstreute damit jegliche Hoffnungen der Frau, es gäbe irgendeine Belohnung abzugreifen.
„Ach so. Na dann geht da hinten in die Gasse. Die letzte Kate ist seine. Wenn er nicht gerade in der Spelunke hängt, ist er vermutlich da.“
Medin bedankte sich knapp und die beiden legten die letzten Schritte zu dem Soldaten zurück, von dem Redsonja in der Taverne gesprochen hatte. Der ehemalige General hoffte, dass dieser Tjore wirklich etwas Hilfreiches beitragen konnte. Ansonsten hoffte er, dass er nicht erkannt wurde.
Endlich standen sie vor der Tür. Dreimal hämmerte er mit der Hand dagegen. Sogleich begann sich im Inneren was zu regen. Einen Augenblick später wurde die Tür der windschiefen Kate aufgezogen.
„Ich hab dein Geld ni… oh“, und Tjore räusperte sich, während sich seine Augen an der Tageslicht gewöhnten, das anscheinend nur spärlich in den Innenraum zu gelangen schien.
„Wer seid ihr denn?“, kam ihm noch über die Lippen, als sein Blick schließlich an Redsonja hängen blieb. Augenblicklich wurde sein Gesicht bleicher. Das mit dem nicht erkannt werden funktionierte bei der Kriegerin schon einmal nicht mehr.
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Er taumelte langsam in seine Kate zurück und die beiden ungebetenen Besucher sahen das als Einladung ihm zu folgen. Coën zog die Tür hinter ihnen zu. Redsonja lächelte, was auch diesen Mann nicht zu beruhigen schien. Er reagierte eher, als würde sie die Zähne blecken.
"Setz dich doch Tjore."
Forderte sie ihn unbeirrt freundlich auf und drückte ihn in den alten Sessel, der in der Ecke der heruntergekommenen Bude stand. Obwohl er ihr kraftmässig eindeutig überlegen gewesen wäre, leistete er keinerlei Widerstand. Der Schrecken, der ihm in die Glieder fuhr, widerspiegelte zwar nicht den blanken Terror ihrer letzten Begegnung, aber allzu weit davon entfernt war es nicht.
"Keine Angst. Du bist lebend zu wertvoll, als dass ich dich einfach umbringen würde." Sprach sie langsam und liess die Worte wirken. "Unendlich geduldig bin ich natürlich trotzdem nicht."
Ergänzte sie noch, bevor er sich vollkommen hätte fassen können, denn sie wollte ihn in seinem Zustand halten. Angst konnte ein guter Motivator sein und da er ihr zweifellos glaubte, das der Dolch, der eben in ihre Hand gewandert war, nicht nur als Spielzeug diente, war sie auch einfach aufrecht zu erhalten. Tjore war schliesslich nicht bekannt, dass dieser Dolch sein Ziel bisher immer verfehlt hatte.
"Momentan interessiert uns auch nicht wem du noch Gold wofür schuldest. Aber mein Begleiter hätte ein paar Fragen und ich bin der Ansicht, dass du ihm sie wahrheitsgetreu beantworten solltest. Auch wenn sie mich belasten."
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Vengard
Viraya kniff die Augen zusammen.
"Bist du dir sicher, dass du auf der richtigen Seite stehst?"
Ernesto ignorierte die Frage allerdings einfach und meinte.
"Redsonja ist übrigens in der Stadt."
Nun vergass auch die ehemalige Magierin ihre Frage. Er hatte sie eiskalt erwischt. Redsonja. Das bedeutete Gefahr.
"Seit wann und warum?"
Fragte sie dennoch ruhig, während sie Ernesto beobachtete, um all das zwischen den Zeilen ebenfalls noch zu lesen.
"Warum weiss ich nicht, doch sie ist schon seit einigen Tagen da und nicht alleine."
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Mora Sul - Der fromme Mann
Ernsten Blickes saß das nomadische Trio, bestehend aus Maris, Djafar und Jubair, dem alten Mann gegenüber, der in einladender Geste die Arme ausbreitete.
"Greift zu, meine Gäste! Mein Haus ist Euer Haus."
Es war nicht der Anlass selbst, der ihnen den Ausdruck ins Gesicht gestanzt hatte, sondern vielmehr die Nachrichten der Späher, die in den letzten Tagen und Wochen die Sicherheitslage der Stadt überprüft hatten, um etwaige Möglichkeiten zur Befreiung Shakyors aufdecken zu können. Mit den zusätzlichen Männern, die Kayor, der Führer der nächstgelegenen Nomadensippe, im Gegenzug für Aaliyahs magische Unterstützung für sie abgestellt hatte, betrug deren Zahl ganze sieben Augenpaare. Dazu kamen die Ortskenntnis Jubairs und seiner Familie, wobei sich insbesondere seine Kinder als fähige Beobachter erwiesen hatten, die unbemerkt so manche Wachstellung hatten beobachten können. Dazu kamen Maris' restliche Sippenmitglieder, die sich in den vergangenen Tagen allesamt - abgesehen von Aaliyah - im Unterschlupf eingefunden hatten, sodass weitere zehn Augenpaare die Straßen im Blick hatten. Mit dieser Masse an Beobachtern hatten die Nomaden die Lage in erstaunlicher Effektivität sondieren können, zumal sie zusätzlich auf die Langzeit-Beobachtungen einiger Mitglieder ihrer Unternehmung zurückgreifen konnten. Die Mitglieder des Waldvolkes indes hatten ihr Möglichstes getan, um ebenfalls zu helfen, wenngleich vor allem Kayors Männer ihnen trotz Maris' Beteuerungen nur begrenztes Vertrauen entgegen brachten.
So hatten die Söhne und Töchter der Wüste recht schnell einen Überblick über die Sicherheitslage erlangen können und feststellen müssen, dass die Präsenz der Wächter besorgniserregend stark war. Die Garnison Mora Suls schien jedoch zweigeteilt zu sein: einerseits waren da gewöhnliche Stadtwachen, wie sie in allen Städten des Myrtanischen Reiches anzutreffen waren, doch andererseits zogen erstaunlich viele der Söldner, deren Auftreten Maris bereits in den Erinnerungen von Shakyors Löwen einiges Kopfzerbrechen bereitet hatte, durch die Straßen. Es waren Männer, die auf grausame Weise effektiv wirkten, skrupellos und nicht davor zurückschreckend, die gierigen Hände tief in das Blut anderer zu stecken. Stolz trugen sie das Zeichen der blutroten Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt, auf ihren Armschienen und Schilden, zum Teil auch auf den Brustpanzern ihrer Lederrüstungen, die für diesen Landstrich völlig unpassend wirkten. Doch trotz der Tatsache, dass sie in ihrer Ausrüstung unter der Sonne Varants vor Hitze umkommen mussten, brauchte es nicht viel, um zu erkennen, dass sie gefährlich waren - bewaffnet mit Streitkolben, Schwertern und einer berüchtigten Brutalität.
Sie nannten sich die Blutnattern, wie Jubair ihm berichtet hatte, und sie waren scheinbar ein notwendiges Übel für die Myrtaner geworden, um eine ausreichende Truppenstärke zu gewährleisten, wenngleich ihr Ruf und Verhalten den Unmut der Menschen heraufbeschwor. Diese Männer waren es, die Maris und den anderen Nomaden wirklich Kopfzerbrechen bereiteten, denn im Gegensatz zur gewöhnlichen Stadtwache waren sie unberechenbar.
"Also, was genau kann ich für Euch Drei tun?", fragte der alte, nippte an seinem Messingbecher und rieb sich über das bartlose Kinn. Er hatte ein freundliches, offenes Gesicht und schien noch einmal zehn Jahre älter zu sein als Jubair. Als er sich bewegte, wackelte die traditionelle, krempenlose Kopfbedeckung leicht auf seinem Kopf hin und her und das weite Gewand raschelte leise. Die völlig weiße Bekleidung des Alten hob sich in starkem Kontrast von seiner dunklen Hautfärbung ab.
Maris betrachtete den Mann, während Djafar das Gespräch in diesem von Jubair arrangierten Treffen eröffnete. Er war durch und durch fromm - ein Umstand, den der Nomade vor einigen Jahren hätte schwerlich akzeptieren können angesichts des Glaubens des Greises.
Nachdem die Lage in der Stadt und in dessen Umland geklärt war, hatten sie einen Rat zusammenberufen, um zu klären, wie sie vorgehen konnten. Maris hatte feststellen müssen, dass Jubairs Haus trotz seiner Geräumigkeit bei voller Anwesenheit aller Teilnehmer ihrer Unternehmung an seine Kapazitätsgrenzen stieß - immerhin waren sie beinahe drei Dutzend Personen, wenn man die Kinder mitzählte! Doch trotz des zu erwartenden Durcheinanders waren sie recht schnell zu einem Ergebnis gekommen. Allein würden sie keine Möglichkeit haben, doch wenn es ihnen gelang, für Ablenkung zu sorgen und dann gleichzeitig schnell und präzise von innen und außen vorzustoßen, würden sie die Wachen lang genug überrumpeln können, um mit Shakyor im Schlepptau aus der Stadt zu flüchten. Und dieses Treffen hier diente dem Zweck der Ablenkung.
Der Alte, der sie so herzlich empfangen hatte, war der Fafki der Gemeinde dieses Viertels - ein Titel, der offiziell der Vergangenheit angehörte, seit die Myrtaner hier regierten. Der Fafki war ein akzeptiertes Mitglied der Beliaranhänger gewesen, das sich verstärkt dem Studium seines Glaubens widmete und als Berater und Seelsorger diente, Predigten hielt und bei Ritualen half. Fafkis waren durch ihre außergewöhnliche Position als fromme Vorzeigegläubige und Unterstützer für die Mitglieder der Gemeinschaft die besten Ansprechpartner, wenn man einen Vertreter der Menschen des gesamten Viertels suchte - die offiziellen Aufgaben waren durch den aufgezwungenen Innosglauben zwar Geschichte, doch die Anerkennung der Menschen hatten diese Leute immer noch inne - und so mussten sie lediglich einige der Fafkis auf ihre Seite ziehen, um für Unruhen in der Bevölkerung dieser Stadt zu sorgen. Es geschah alles im Stillen und keine der Ordnungskräfte würden irgendetwas davon bemerken. Es war ein schleichender Aufruhr, dessen Intensität zwar nicht genau abschätzbar war, aber durchaus genügen sollte, um für die nötige Ablenkung zu sorgen.
Djafar redete auf den Fafki ein und versuchte, ihn zu überzeugen, während Jubair als Vermittler des Treffens und Maris als Sippenführer sich eher zurückhielten. Der junge Nomade war der beste Redner unter ihnen und wusste es geschickt, dem nicht völlig abgeneigten Mann zu erklären, weshalb sie sich die Unterdrückung ihres Glaubens nicht gefallen lassen durften. Dass sie Nomaden waren, verschwiegen sie dabei geflissentlich und hatten auch durch neutrale Kleidung dafür gesorgt, dass sie nicht als solche zu erkennen waren. Ein wenig lastete die Tatsache, dass er die Beliargläubigen für seine Zwecke ausnutzte, schon auf seinem Gewissen, doch mit ihren Worten meinten es die Nomaden durchaus ernst - die Unterdrückung des freien Glaubens und damit der persönlichen Freiheit war nicht akzeptabel. Die Myrtaner waren Invasoren und mussten irgendwie vertrieben oder in ihrem Tun zurückgedrängt werden.
"Wir werden mit den Fafkis der anderen Viertel sprechen und euch dann darüber informieren, wann wir unseren geschlossenen Willen demonstrieren wollen", schloss Djafar. Hatte Maris das gesamte Zwiegespräch in seinen eigenen Gedanken schwelgend verpasst? Er würde noch einmal mit Djafar sprechen müssen, um zu wissen, wie der Stand nun wirklich war. Die Nomaden erhoben sich und dankten dem Alten für seine Gastfreundschaft. Wer hätte schon gedacht, dass solch ein Treffen so bald nach den vielen Anfeindungen zwischen den Assassinen und Nomaden stattfinden würde, auch wenn der Fafki nicht wusste, wen er da vor sich hatte?
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Mora Sul - Der Plan
Anderer Ort, veränderte Besetzung, gleiches Ziel.
Maris, Djafar und Azad saßen in einem stillen Hinterzimmer in Jubairs Haus und blickten konzentriert auf die Zeichnung des Hüters. Es handelte sich um eine grobe Skizze der Region um den Kerker, der sich durch die früheren Vorlieben der Assassinen bedingt in den Katakomben unter der Arena befand. Kunstliebhaber hätte er mit seiner Zeichnerei sicher nicht begeistern können, doch es erfüllte seinen Zweck: mögliche Ein- und Ausgänge des Arenakomplexes sowie sämtliche umliegenden Straßen und Wege fanden sich in der Übersicht wieder, genauso wie eine Reihe von Symbolen, die vermutete Wachtruppen verschiedener Stärke darstellten. Es hatte seinen Sinn, dass die drei Sippenbrüder hier anwesend waren, denn ein jeder von ihnen würde einen anderen Weg verfolgen müssen, damit sie zum Ziel kamen.
"Auf den Straßen finden wir feste Wachposten und Patrouillen hier, hier und hier", sagte der Hüter und deutete auf verschiedene Punkte, "Außerdem ist der Westzugang der Stadt nicht weit, sodass die Wachen dort schnell zur Arena gezogen werden können."
Einige der Zeichen deuteten darauf hin, dass Maris die Bögen der Arena als mögliche Fluchtwege ansah.
"Wir haben zwei große Unbekannte: die Zahl der Wachen in der Arena und die genaue Lage von Shakyors Zelle. Deshalb will ich einen Teil von uns als Gefangene in die Arena einschleusen, damit wir uns einerseits ein Bild machen können, bevor der Sturm losbricht, und wir die Wachen andererseits durch mehrere Zugriffspunkte dazu zwingen, sich aufzuteilen und sie im Unklaren darüber lassen, ob es weitere Gruppen gibt."
Mit Tusche und Feder umkreiste er ein Gebiet abseits des eigentlichen Ziels.
"Alle Bürger, die wir dazu bringen können, sich gegen die Unterdrückung zu wehren, müssen gleichzeitig aufbegehren. Am besten, sie konzentrieren sich auf dieses Gebiet. Dadurch werden die Wachen vor der Arena und am Tor abgezogen und mit ein wenig Glück auch einige Männer aus der Arena. Der Kontakt zu den Fafkis und die genaue Abstimmung überlasse ich dir, Djafar. Wenn ihr beginnt, braucht ihr irgendetwas Lautes. Wie wäre es mit ein paar Mizmar-Bläsern und anderen Musikern, um die Demonstration zu unterstreichen?"
Djafar nickte und verstand. Er war wohl der gerissenste und sprachlich versierteste Sippenbruder und wusste genau, was er tat. Aufgaben mit dem Anspruch an diplomatisches Geschick waren genau das, was man beruhigt in seine Hände legen konnte.
Aus einer anderen Richtung kommend zeichnete Maris einen schwarzen Pfeil in Richtung der Arena ein.
"Sobald das Signal durch die Musikinstrumente ertönt, macht sich eine kleine Gruppe unter Azads Führung auf den Weg zur Arena und kämpft sich einen Weg zu den Zellen vor. Wartet, bis sie auf die Massen reagiert haben und arbeitet dann schnell und leise! Währenddessen brechen diejenigen, die sich gefangen nehmen lassen, aus und suchen Shakyor. Diese Gruppe werde ich anführen."
"Was dann?", wollte Azad berechtigterweise wissen. Maris deutete auf die Südseite der Arena.
"Wir seilen uns an der Außenseite des Gebäudes ab. Azad, deine Gruppe bereitet den Fluchtweg aus dem Obergeschoss heraus vor. Wir stoßen dort zusammen. Wenn wir einmal unten sind, schirmt uns die alte Südmauer gegen die Stadt ab, sodass wir je nach Lage den weiteren Fluchtweg planen können. Danach entfernen wir uns so schnell wie möglich von der Stadt und bewegen uns nach Al Shedim zurück."
Der grundlegende Plan schien ihnen so weit klar, doch einige Fragen waren durchaus noch offen.
"Was ist mit den Menschen, die wir hier anstacheln?", wollte Djafar wissen.
"Wenn sie friedlich bleiben, sollten die Stadtwachen es ebenfalls. Die Blutnattern machen mir dabei ein wenig Sorgen, doch ich glaube, die Leute sind schlau genug, um die Lage nicht eskalieren zu lassen. Alle von uns, die danach in Mora Sul bleiben, halten sich völlig raus. Das sind Kayors Leute und Jubair mitsamt seiner Familie. Wir gefährden unsere eigenen Leute nicht unnötig."
"Wen willst du mit ins Gefängnis nehmen?", fragte Azad.
"Ich werde wohl die Mitglieder des Waldvolks mitnehmen. Ich vertraue ihnen und zumindest die beiden Mädels und ich kennen einige Kniffe, die uns helfen werden, uns auch ohne Waffen zu verteidigen. Unsere Sippe konzentriert sich ansonsten auf den Einstieg von außen. Du nimmst mit, wen du für kampffähig genug befindest. Thamar mit ihrer Nase bleibt aus dem Spiel. Sie wird sich vorher mit Runa aus Mora Sul verziehen und nach Al Shedim zurückkehren - egal, ob ihr das passt oder nicht."
Azad nickte, doch Djafar wollte noch einmal nachhaken.
"Wie wollt ihr dort rauskommen? Ganz ohne Waffen, ohne jedes Werkzeug! Immerhin werdet ihr in einer Zelle sitzen!"
"Vertrauen wir doch ein wenig auf das Potenzial der Magie. Was hast du dem Fafki eigentlich erzählt, wer wir sind?"
Djafar war nicht wirklich zufrieden mit Maris' Antwort, doch er beließ es dabei. Ein schelmisches Grinsen stahl sich in seine Züge, als er die Frage beantwortete.
"Ich sagte, wir seien Mitglieder des Alten Bundes und wären nahe Bakaresh verborgen geblieben bis zur rechten Zeit. Das scheint sogar irgendwie funktioniert zu haben..."
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"Und weisst du, ob sie mich sucht?"
Ernesto schüttelte den Kopf. Er wusste es nicht. Aber Redsonja war schon immer unberechenbar gewesen. Andreja jedoch nicht und sie hatte offen mit Darjel gedroht. Die Frage war, ob das bei der rothaarigen Kriegerin genutzt hat. Sie war hart ausgedrückt eine Rabenmutter. Wobei sie einfach überfordert mit dem ganzen war.
"Ich rechne also damit, dass sie mir an den Kragen will."
Dieses mal nickte Ernesto bedächtig. Er hatte Redsonja einst eine Überfahrt gegönnt mit seinem Boot und ihren Namen nicht wissen wollen. Ein seltsamer Zufall, dass er ihn Jahre später doch erfahren hatte. Er musterte Viraya. Sie nickte nur zurück. Dann verliess sie das Haus. Es war Zeit Redsonja zu finden.
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Sie überhastete nichts, stattdessen schlenderte sie einfach durch die Gassen, liess sich treiben. Ernesto hatte ihr noch einen Hinweis gegeben und diesem ging sie nun nach. Plötzlich hörte sie Schritte hinter sich. Das dumpfe Schlagen von Stiefel auf Staub. Ihr Herz begann etwas schneller zu pochen. Sie hatte nichts, was sie gegen einen Bolzen schützen konnte, nichts gegen einen Dolch. Früher hätte sie noch ihre Magie gehabt, sie hätte ihre Hand nach vorne gestreckt und langsam einen Wirbel darauf entstehen lassen, um eine Schattenflammen nach dem Verfolger zu werfen und er hätte nichts bemerkt, nichts bevor es zu spät gewesen wäre. Aber sie hatte sich ausgebrannt. Also musste sie sich etwas anderes einfallen lassen. Sie bog einfach um die nächste Ecke, dann nochmals um eine, damit keine direkte Schussbahn vorhanden war. Die Schritte folgten, kamen weder näher, noch waren sie weiter entfernt.
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