-
Nachdem sie sich von Lopadas verabschiedet hatten, hatten Jana und Ceron mit Pedro über die Heerbewegungen gesprochen. Jener hatte erzählt, dass Rhobars Heer die Stadt bereits in Richtung Montera verlassen hatte. Die junge Bäuerin krallte bei dieser Schilderung ihre Finger in den Unterarm des Hohepriesters. "Es hat keinen Sinn, dich aufzuregen, Jana", flüsterte er ihr zu. "Wendrik ist ein schlauer Kerl. Ich will nicht behaupten, was ich nicht weiss, doch ich denke er ist ein kluger Mann."
Von da an hatte Ceron sämtliche Entscheide gänzlich alleine getroffen, also auch ohne Zustimmung der jungen Frau. Bleich und starr vor Angst und Sorge hielt sie sich an seiner Seite. So hatten sie den Markt besucht, doch Nahrungsmittel waren dort keine mehr zu finden gewesen. Alles, was auch nur im entferntesten in einem Krieg von Nutzen hätte sein können, war bereits verkauft. "Vielleicht haben wir in der Taverne ja mehr Glück", murmelte der Hohepriester und so gingen sie zur nächsten Schänke. Sie schoben sich gerade durch die klemmende Eingangstüre, als ein erfrischender Schwall Magie an Ceron vorbeiglitt. Noch während er sich umsah, grüsste er freundlich: "Guten Abend... Melaine?" Ihre rote Haarpracht verriet die Wassermagierin sogar im spärlich beleuchteten Eingang einer Vengarder Taverne. "Was in Adanos Namen führt euch hierher? Ihr seht jedenfalls... gesund aus, sofern ich das hier im Dunkeln beurteilen kann natürlich." Dem leicht fragwürdigen Gruss folgte ein breites Lächeln.
-
Es verging kaum ein Augenblick, in dem sie sich wieder dem Buch widmen konnte, welches sie dem Schneider Jacque abgenommen hatte, da wurde sie erneut unterbrochen. Dieses Mal jedoch auf eine Art, die ihr nicht gefiel, auf eine Art, die ihr sagte, dass es keiner jener Menschen sein konnte, mit dem sie sich die letzten Tage unterhalten hatte. Es war jemand, der sie nicht unter dem Namen kannte, den sie hier benutzte. Auch, wenn sie glaubte, dass es niemanden schaden konnte, ihren richtigen Namen zu kennen, hatte sie es dennoch vorgezogen, den Menschen, die zur ihr gekommen waren, einen anderen zu nennen. Lady Ahndea war eine einfache Frau, die vielen als Gelehrte erschien und doch mehr als dies zu sein schien, gerade so an der Grenze, dass die meisten es nicht zu deuten verstanden und deshalb hinnahmen, was sie verstehen konnten.
Melaines Hand ruhte auf dem Buch, als sie den Blick hob, um den Mann zur Stimme betrachten zu können. Er war hochgewachsen, hatte eine Glatze und trug noch immer einen Stock, auf dem er sich stützte, während an seiner anderen Seite eine junge Frau stand und ängstlich die angesprochene Magierin trotz gesenktem Blick zu mustern versuchte.
„So gesund eine Frau meines Standes an einem Ort wie diesen sein kann, Ceron.“, erwiderte die Rothaarige und fragte sich insgeheim, was einen Schwarzmagier nach Vengard führte, wenn das Heer des Königs zum Krieg ausgerückt war. Wäre Angelina anstatt dieser furchtsamen Frau an seiner Seite gewesen, hätte sie vielleicht eine Vermutung gehabt, die ihr behagt hätte. „Seid ihr auf der Suche frischem Material für eure Studien?“, fragte sie mit kühlerer Stimme als sie zuvor an Harwin genutzt hatte. Vielleicht verdiente der Hohepriester das nicht, aber sie konnte sich nicht daran erinnern, ob sie ihm einst vertraut hatte. Es schien Jahre her zu sein, als sie sich das erste Mal getroffen hatten, Jahre, die durch die Äonen im Nebels verborgen schienen.
-
"Auch Wunderheiler müssen essen. Das Gesetz der Pirella besagt, dass magische Kraft allein einen Heiler nicht nähren kann. Pirella hat es versucht... Doch ich denke nicht, dass ihr gerade an Lebensmittel dachtet?" Manchmal kam er sich schon wie ein Hüter des Gleichgewichts vor. Feuermagier zündeten ihn an, Wassermagier machten kühle Bemerkungen und er blieb stets die Ruhe in Person. "Ihr wisst nicht zufällig wo meine Patientin Jana und ich noch etwas Proviant auftreiben können?"
-
Melaine nickte langsam in sich hinein. Entweder ignorierte er ihre Bemerkung, weil sie nicht von Belang war, oder sie hatte den Kern seines Besuches getroffen, dem jedoch die Lebendigkeit dieser Jana als Widerspruch entgegen stand. Warum sollte er sie nähren, außer sie war tatsächlich seine Patientin? Oder er spielte ein anderes Spiel… Wer wusste, inwieweit nicht in allen Schwarzmagiern die Grausamkeit verankert war, die bei dem Hüter des Kastells am deutlichsten zum Vorschein kam.
„Ich habe noch nie etwas von Pirella gehört.“, gestand die Magierin dem Hohepriester also wahrheitsgemäß und beschloss insgeheim, sich fürs erste darauf zu beschränken, Ceron zu beobachten. Hatte er ihr nicht sogar dereinst geholfen? Sie wusste es nicht sicher…
„Aber eure Behausung scheint dieses Gesetz auf wundersame Weise zu dehnen. Scheinbar.“, fügte die Rothaarige nachdenklich hinzu und wartete, ehe der Hohepriester sich doch noch gesetzt hatte. Jana schien das Stehen jedoch vorzuziehen.
„Die Gerüchte besagen, dass die Adeligen dieser Stadt noch genug zu essen und nicht die geringste Einbuße haben. Es wäre mir ein Vergnügen, herauszufinden, wie viel da dran ist.“, sprach sie leichthin, „Dennoch sind nie alle der Muße des Krieges verfallen, ohne die Folgen zu kennen. Im Hafenviertel soll es eine Armenspeisung geben. Das reicht, um den Tag zu bestreiten, aber nicht als Proviant. Habt ihr vor, Vengard wieder zu verlassen?“
-
"Ja, und zwar so bald wie möglich", antwortete er direkt. "Wir sollten Janas Hof finden bevor die plündernden Nachzügler dort ihr Unwesen treiben." Irgendwie hatte er das Gefühl, Melaine interessiere sich mehr für seine Absicht zu reisen als für sein viel dringenderes Bedürfnis, etwas rechtes auf den Teller zu bekommen. Dann besann er sich jedoch wieder seines knurrenden Bauches. "Nun, jetzt wo ihr's sagt. Die Magier im Tempelviertel schienen auch noch gut zu speisen. Vielleicht wissen die ja meinen Bärenhunger zu stillen."
Er stolperte rückwärts wieder aus der Taverne heraus. "Möchtet ihr uns begleiten? Oder habt ihr gar eine andere Tafel im Sinne?", fragte er freundlich.
-
„Jedes Heer zieht seinen Tross aus Unrat mit sich.“, erwiderte die Magierin auf die erste Bemerkung des Hohepriesters und erhob schließlich. Ruhig nestelte sie an den Saum ihrer weißen Kapuze, bis diese wieder ihre roten Haare vollkommen verdeckte, ehe sie sich dem Magier anschloss.
„Ich werde euch begleiten. Manch wohlhabender Mann ist zwar bereit, sein Essen für das ein oder andere Wort zu teilen, doch man sollte die Großzügigkeit jener nicht zu sehr ausreizen. Sie… fallen viel zu schnell anderen Verlangen zum Opfer.“, fügte Melaine hinzu und gedachte eines Abends, der nun bereits drei Tage hinter ihr liegen musste. Jefron war Händler und hatte ihre Gesellschaft durchaus genossen. Jefron war es auch, der seit zwei Tagen die Armenspeisung im Hafenviertel betrieb und durch diese Geste sicherlich mehr Einfluss gewinnen würde, auf eine Art, die, wie er glaubte, gut für ihn sein würde. Solange er jedoch etwas tat, um zu helfen, sollte es der Magierin recht sein. Am Ende würde er feststellen müssen, dass Gutherzigkeit ihm keinen Einfluss und kein Gewinn einbrachte, aber eine Achtung, die, wenn er klug war, mehr wert war, als jede Goldmünze und jeder Konkurrent, den er auszuschalten vermochte.
Die kleine Gruppe verließ die Taverne und folgte den nächtlichen Straßen zum Tempelviertel. Ihr war es noch nicht in den Sinn gekommen, mit den Feuermagiern ein Plausch zu halten und irgendetwas sagte ihr, dass dieses Verlangen noch längere Zeit ruhen würde. So verbarg dank einer kleinen Konzentrationsübung ihre magische Aura, auch, wenn sie wusste, dass nicht jeder Magier dieser bedurfte, um zu erkennen. Aber solange der erste Blick über sie hinweg glitt…
„Warum helft ihr dieser Frau?“, fragte die Rothaarige schließlich und warf Jana einen Blick, der die vermeintliche Abwertung ihrer Frage revidieren sollte. Sie war sich nicht sicher, ob diese ängstliche Frau es bemerken würde…
-
"Weil sie meiner Hilfe bedurfte", erklärte der Heiler knapp. "Sie litt an einer seltsamen Erscheinung, der ich noch nie zuvor begegnet bin. Bereits vor einigen Monaten versuchte ich, sie zu heilen. Damals hat..." Er umging den Namen ihres Geliebten "... ihr Freund mich gebeten, sie zu untersuchen. Vor ein, zwei Wochen bin ich ihr erneut begegnet und ihr Zustand hatte sich verschlechtert. So entschied ich, sie besser mit mir zu nehmen, um ein Auge auf sie werfen zu können. Zudem konnten die Feuermagier mir bei der Lösung ihres Problems helfen. Doch am besten beantwortet eure Frage immernoch: Weil sie meiner Hilfe bedurfte."
Sie wanderten durch den Kräutergarten, vorbei am Hospital und steuerten geradewegs auf das Gebäude zu, in welchem Ceron bei einem seiner letzten Besuche eine sehr rustikale Klostermahlzeit zu sich genommen hatte. Vor dem Treppenabsatz, welcher aus dem Gärtchen heraus führte, sprach der Hohepriester einen Novizen des Feuers an und fragte, ob ihr Speisesaal zu solch später Stund' noch geöffnet war. "Natürlich, wohin denkt ihr... Schwarzmagier?" - "Ihr kennt mich?" - "Ich.. nein nein, nicht persönlich. Aber man hat in den letzten Tagen, wenn man nicht gerade vom Krieg sprach, eigentlich meist von euch geredet" - "Seid ihr hier, um im Hospital zu arbeiten? Man sagt, ihr seid ein fantastischer Heiler" - "Nein, nein. Ich möchte bald aufbrechen" - "Das ist gut, Schwarzmagier, denn draussen wird's bald mehr Heiler brauchen als hier drinnen" - "Das hoffe ich für euch, Novize. Doch zu meiner Frage..." - "Natürlich... sprecht einfach mit dem Novizen, der dort noch den Boden fegt. Er wird euch für einen Batzen etwas bringen." Cerons Miene erhellte sich bei der Vorstellung, bald ein Glas Wein, eine Wurst und ein Brötchen vor sich zu haben.
Sie gingen zu dem besagten Novizen und auf ein paar Goldmünzen hin begab jener sich mit einem grossen Schlüsselbund auf die Suche nach einigen Vorräten. Ceron sass am Tisch gegenüber von Melaine und fragte, als jene ihre Hände verschränkt auf den Tisch legte: "Und weshalb folgt ihr uns? Ist es der Hunger oder möchtet ihr mit uns gar die Stadt verlassen?"
-
Also ist er doch als Heiler in diese Stadt gekommen und die Angst der Frau erklärt sich aus ihrer Sorge darüber, was mit ihrem Hof geschehen mochte?, überlegte die Rothaarige im Stille und fixierte mit ihrem Blick das Buch, welches sie bedächtig zwischen ihren Händen hin und her schob. Darüber hinaus erklärte dieser Umstand, warum der Novize des Feuers den Hohepriester zwar nicht freundschaftlich mit seiner Gattung betitelte, aber dennoch nicht den nötigen Respekt vermissen ließ. Es erklärte, warum dieser Respekt wahrhaftig in dem funkelnden Blick des Novizen gestanden hatte, so als wäre ihm der Schwarzmagier tatsächlich ein Vorbild. Zumindest hinsichtlich der Heilung.
Es dauerte nicht lange, da brachte der andere Novize den drei Gästen die Speisen, die er gefunden hatte und einigermaßen den Wert des überreichten Goldes entsprachen. Kalter Moleratbraten in dünnen Streifen geschnitten, Käse, der frei von jeder Art von Befall war, einen Laib Brot, ein Teller mit drei Äpfel und eine Karaffe mit Wein. Natürlich fehlten die nötigen Becher, Teller und Besteck nicht. Darüber hinaus gab es noch eine Entschuldigung kostenlos, dass in diesen Zeiten, Zeiten des Krieges, mehr nicht möglich war. Wie genügsam…
Melaine legte die Hand über den Becher, als der Hohepriester ihr anbot, ihn mit Wein zu füllen, und füllte ihn stattdessen mit Hilfe ihrer Magie mit kühlem, klarem Wasser. „Ich bevorzuge Wasser. Zu vieles ist im Leben bereits undurchsichtig, da muss ich meinen Geist nicht noch weiter in Nebel tauchen.“, erklärte die Rothaarige und hob den Becher, um den anderen beiden zuzuprosten und sich einen kleinen Schluck zu genehmigen.
Sie hatte das Gefühl, dass der Hohepriester ihr Vertrauen verdiente, auch, wenn sie die kleine Stimme in ihrem Kopf, welche die Magierin vor Ceron warnte, nicht vollends unterdrücken konnte. Ein kleiner Zweifel blieb, doch mit der Zeit würde er vielleicht auch verschwinden oder recht behalten und so war sie wenigsten beständig gewarnt.
„Um ehrlich zu sein, wollte ich sehen, was einen Schwarzmagier in diesen Tagen des Chaos, jenen, in denen man meint, Beliars Hand lastete auf der Welt, an eine der Quellen des Chaos treibt. Aber es scheint, als suchtet ihr eurem Gott zuwider zu handeln und den Menschen stattdessen zu helfen. Eine Seite, die ich bei den meisten meiner Begegnungen mit Schwarzmagierin wohl übersehen haben muss. Es wäre mir eine Ehre, wenn ihr meine Gesellschaft weiterhin dulden würdet. Vielleicht kann auch ich ein wenig helfen, wenn ich auch nicht so bewandert in der Kunst der Heilung bin wie ihr es seid.“, antwortete Melaine schließlich nach einer Weile des Schweigens, in der die anderen mit ihrem Mahl begonnen hatten. Es hatte doch mehr Überwindung gekostet, als sie geglaubt hatte…
-
Die dunklen Gassen der Königsstadt
Als der Streitkolben die blanke Stirn traf machte es einen dumpfen Schlag.
Seine feste behandschuhte Hand zog der Stadtwache Ekkel Åls Kopf zurück in den Schatten.
Das hatte man davon wenn man einfachen Handlangern das Handeln überließ, nicht mal einen anständigen Betrüger vermochte so ein junger Waschlappen ausfindig zu machen und hinterher musste er wieder die Drecksarbeit machen und aufräumen.
Morestes nahm den Dolch zur Hand und schlitzte dem bewusstlos geschlagenen in Stadtwachenuniform Kehle und Pulsadern auf.
Roter Lebenssaft ergoss sich in den Rinnstein der dunklen Gasse neben der heruntergekommenen Spelunke, in der es nur lauwarme Pisse und verschimmelten Käse zum harten Brot für wenige Kupfermünzen gab.
Ekkel Ål hatte dort nichts essen wollen, nein, er hatte den Betreiber um Schutzgeld erleichtern wollen. Der Kerl war so verfressen und geizig, dass er selbst mit Taschen voller Myrtanischer Gulden nicht genug bekam und jeden Silberling, den er in seine schmierigen dreckigen Finger bekommen konnte, zusammenraffte.
Der Auftragsmörder des Krüppels verspürte nur Abscheu und Verachtung für diesen fetten Idioten, der es nicht besser verdient hatte, als in einer ungemütlichen stürmischen Nacht wie dieser in einer dunklen Gasse abgestochen zu werden.
Regen prasselte zwischen den eng stehenden Häusern auf den Mörder und die Leiche nieder, spülte Unrat wie Blut in die Kanalisation der Metropole, der Hauptstadt eines Reiches, die ihren vermeintlichen – nein, eigentlich jede Art von Glanz nie besessen hatte, außer vielleicht in den verblendeten heroischen Scheinwelten von Feuerpriestern, Paladinen und Innosverehrenden Vollpfosten, alles ein Haufen Geschmeiß, wie der leblose Körper und die Hundescheiße, in die Morestes ihn nun gleiten ließ, nachdem er ihn all seines Goldes erleichtert hatte.
Der durchnässte gedungene Mörder verschwand unbemerkt und unerkannt in den trüben Schatten zwischen den verkommenen Häusern und heruntergekommenen Hütten eines leeren, ausgelaugten und ausgehöhlten Albtraumes von Gemeinwesen.
Man betrog keine Unterweltgrößen.
Yared
-
Es bedurfte keines Frauenverstehers um zu deuten, dass Melaine den Grossteil ihrer Skepsis dem Hohepriester gegenüber überwunden hatte und dass sie dies etwas Überwindung gekostet hatte. So streckte der Heiler denn auch gern seine Arme aus - natürlich nur metaphorisch - um diejenige, welche sich auf für sie scheinbar dünnes Eis hinausgewagt hatte, sicher aufzufangen. "Natürlich könnt ihr uns begleiten. Es ist ohnehin sicherer, gemeinsam zu reisen..." Wo Angelina wohl gerade war? Reiste sie etwa auch gemeinsam mit anderen... Magiern? "Bei Beliar! Ich sollte schon am frühen Abend zurück sein!", rief er urplötzlich aus. "Wo war ich auch nur mit meinen Gedanken...", murrte er vor sich her.
Die Treppen hätten ihn beinahe zu Fall gebracht und es schien, als hätte sein schwaches Bein wie durch Zauberhand den Sturz noch abgefangen. Im Eiltempo durchhumpelte er das Tempelviertel und steuerte auf das Gasthaus zu, in welchem er sich bereits zum dritten Mal einquartiert hatte. Die Wirtsfrau sass noch immer am Tisch und neben ihr Jil, die genüsslich die Karottenscheibchen verspeiste. "Es tut mir leid. Ich habe völlig die Zeit vergessen", erklärte er der Frau, welche ihn mit einem vernichtenden Kopfschütteln begrüsste. 'Wenn Angelina das erfährt. Nein, sie wird es nicht erfahren', schloss er schnell und nahm Jil bei der Hand. Er hätte der Wirtsfrau Gold geben können, doch ihr Blick verriet, dass sie davon nichts halten würde. "Habt vielen Dank, gute Frau", sprach er schliesslich und verliess unter dem kritischen Blick der Gattin des Wirts die Schankstube. "Jil, das bleibt unter uns", erklärte er seiner Tochter. "Papa vergessen?" - "Ja, hätte dich beinahe vergessen", gestand er grinsend. "Nein, dein Pferd!" - "Ach du meine Güte, mein Pferd." Der Hohepriester hielt einen Moment inne und dachte an alle anderen Sachen, die er hätte vergessen können. Als ihm nichts mehr in den Sinn kam, ging er zum Stall und holte das Pferd. Jil sass bereits im Sattel als die beiden Frauen gemächlichen Schrittes vom Tempelviertel her auf ihn zukamen. Melaine umarmte ihr Buch und Jana ging dicht neben ihr.
"Entschuldigt bitte den jähen Aufbruch. Ich habe die Wirtsfrau ganz schön lange warten lassen. Wollen wir dann eure Sachen holen, Melaine? Oder habt ihr bereits alles? Wollt ihr mir euer Buch vielleicht in die Satteltasche geben?"
-
Mit einem kräftigen Fußtritt verjagte der Abgesandte die Riesenratte, die sich bereits am Leichnam zu schaffen machte - und gleichzeitig auch einen dichten Schwarm Fliegen. Da wollte man sich doch wundern, denn schließlich stand der Winter bald vor der Tür. Wo kamen da bloß all diese Viecher her. Vielleicht lag es auch an der Gegend. Sie machte nichts her und wenn man sie als heruntergekommen beschrieb, schmeichelte man dieser Ansammlung windschiefer Häuser sogar.
Trotzdem oder gerade deshalb gab es keinen besseren Ort, um krumme Geschäfte abzuwickeln, wie es hier offensichtlich auch der Fall gewesen. Vorsichtig beugte sich der Abgesandte über die Leiche und zog gleich den Kopf wieder zurück. Die bloße Mischung aus Exkrementen und Tod ließ ihn den Atem anhalten. Dennoch überwand er sich schließlich und hockte nieder. Alle Anzeichen eines Verbrechens lagen offenkundig vor ihm ausgebreitet wie ein Buch.
Zuerst fiel der Schnitt entlang der Kehle auf, denn die Riesenratte hatte sich dort breit gemacht. Gewiss keine unübliche Methode, jemanden zu töten, indem man ihm die Kehle aufschlitzte. Während die rechte Seite zwar angeknabbert, hatte die Ratte ob der Störung wegen die linke noch verschont. Der Abgesandte seufzte innerlich, denn die schwarzen Lederhandschuh, die er trug, konnte er danach vermutlich nur noch verbrennen. Trotzdem griff er zum Kinn des Toten, um seinen Kopf etwas zu drehen und einen besseren Blick auf die Wunde zu erhalten. Für einen Moment hielt er inne. Der Schnitt schien etwas kürzer als üblich zu sein. Jedenfalls kürzer als solche, die von hinten ausgeführt. Er ließ das Kinn los und sah nachdenklich auf die Leiche herab.
Hatte der Milizsoldat noch mit seinem Mörder gesprochen? Zumindest standen sie sich Aug in Aug gegenüber, bevor es passierte. Doch da war noch etwas. Auf der bleichen Stirn zeichnete sich ein dunkler Fleck ab. Das war interessant. Er konnte unmöglich von einem Sturz herrühren, dafür war er viel zu klein. Zuerst vermutete der Abgesandte einen Faustschlag, doch niemand schlug seinem Feind mit der Faust auf die Stirn. Eine stumpfe Waffe kam schon eher in Frage. Da es wenig Sinn ergab, jemandem zuerst die Kehle aufzuschlitzen und ihm danach auch noch einen Schlag vor die Stirn zu geben, lag es auf der Hand, dass der Milizsoldat zuerst niedergeschlagen wurde und anschließend ermordet.
Womöglich hing es damit zusammen, dass der Milizsoldat ihn zuvor gesehen hatte. Kannte er seinen Mörder vielleicht sogar? In dieser Gegend patrouillierte die Stadtwache weniger regelmäßig als in anderen Vierteln der Stadt - vor allem den wohlhabenderen. Das konnte bedeuten, dass dieser Mann hier unter Umständen gar nichts zu suchen hatte. Ungeachtet dessen trug er seine Uniform, musste sich folglich in mehr oder weniger offiziellem Auftrag hier befunden haben. Das ließe sich einfach herausfinden. Gehörte denn das Treffen mit seinem Mörder letztlich dazu?
Der Abgesandte rätselte und ließ seinen Blick über den Leichnam wandern. Noch immer stieg dieser entsetzliche Geruch in seine Nase und solange er regungslos da saß, krabbelten wieder Schwärme von Fliegen über den Körper und auch in ihn hinein. Mit ein paar Handgriffen verjagte er nicht nur die Fliegen, sondern vergewisserte sich auf von etwas anderem. Der Milizsoldat trug kein Gold bei sich. Entweder hatte er von Anfang an nichts bei sich oder - was wesentlich einleuchtender erschien - war ausgeraubt worden, nachdem man ihn niedergeschlagen hatte. Dass das nicht alles hier geschehen, bezeugten die Furchen im Unrat, die von den Stiefeln der Leiche aus der Gasse herausführten. Er musste hierher gezerrt worden sein und seiner Fettleibigkeit wegen, hatte sein Mörder sicherlich einige Mühe mit ihm.
Der Abgesandte resümierte in Gedanken. Ein uniformierter Milizsoldat begab sich in eine der heruntergekommensten Gegenden der Stadt zu einem Gasthaus, das dieser Bezeichnung wirklich mit jedem Nagel und jedem Holz spottete, aus dem es gebaut. Er traf auf seinen Mörder, wechselte vielleicht einige Worte mit ihm. Stand ihm zumindest von Angesicht zu Angesicht gegenüber, bevor dieser dem Soldaten einen Schlag auf die Stirn verpasste und den Bewusstlosen hierher zerrte. Er entledigte ihn seines Goldes und tötete ihn. Es stellte sich allerdings die Frage, weshalb jemand einen Milizsoldaten tötete. Dass die Soldaten des Königs keinen übermäßig hohen Sold für ihren Dienst erhielten, war ein offenes Geheimnis. Dennoch zog der Mord an einem von ihnen unweigerlich Interesse auf sich. Das Motiv konnte deshalb unmöglich das Gold gewesen sein, es sei denn ein Schwachsinniger steckte hinter der Sache. Die Tatsache, dass er ihn niederschlug und dann hier versteckte, sprach allerdings entschieden dagegen. Das wirkte zu versiert und gezielt. Zumal der Zeitpunkt, so kurz nach dem Abrücken des Heeres und damit einem großen Teil der militärischen Präsenz, verdächtig erschien.
Seit er vor vielen Monaten für seine Mission ausgewählt, hatte der Abgesandte etliche Dinge in den Straßen der Stadt gesehen und erlebt. Das meiste davon stand nicht im Zusammenhang mit seinem Auftrag, wie vielleicht auch dieser Mord damit nichts zu tun hatte. Dennoch lüftete er unweigerlich auf seiner Suche so manch anderes Geheimnis. Große und kleine Vergehen der Stadtbewohner und von Reisenden; kurz, allem Volk, das sich in Vengard aufhielt. So konnte er sich letztlich auch zusammenreimen, dass Habgier ganz gewiss nicht das Motiv dieses Mordes sein konnte.
Der Abgesandte erhob sich, blickte auf seine verschmutzten Handschuhe herunter und noch einmal zur Leiche. Er war sich inzwischen sicher, dass dieser Mord nichts mit seinem Auftrag zu tun hatte und dennoch sollte die Stadtwache über den Tod ihres Kameraden erfahren. Die Nachricht erhielten sie und all seine Erkenntnisse.
Françoise
-
Es war seltsam. Je weiter Kialar sich in die Magie vertiefte, desto schwieriger fiel es ihm, die einfachen Arbeiten des Klosters zu erledigen. Beim frühmorgendlichen Aufstehen, dem Fegen der Zellen, der Küchenhilfe und bei all den anderen Arbeiten…immer war er mit seinen Gedanken woanders.
Seitdem die Ausbildung bei seinem Lehrmeister Nero begonnen hatte, schien sich die ganze Welt verkehrt zu haben. Der Wüstensohn war ursprünglich davon überzeugt gewesen, dass es irgendwo Magier gab, die eigenartige, unvorstellbare Fähigkeiten hatten, doch diese wahrhaftige Kunst der Magie war ihm immer unglaubwürdig vorgekommen, wie der Eifer für eine religiöse Richtung. Inzwischen wusste er jedoch um die Wahrheit dieser seltsamen Lehre, Weisheit und Fähigkeit und konnte kaum glauben, dass auch er einen Teil dieser Macht in sich hatte.
Nicht nur, dass er täglich mehr von seinen eigenen Kräften verstand und spürte, durch das eifrige Lesen in der Bibliothek erfuhr er auch noch genügend über das Wissen darüber, sodass er schon langsam das seltsame Gefühl hatte, diese ganze Materie zu durchblicken. Als hätte man einen Schleier von ihm genommen, öffnete sich sein Weltblick und ein Magieverständnis kam zum Vorschein, welches er niemals in ihm schlummern vermutet hätte. Natürlich war er weit davon entfernt, in die hohen Sphären der allgemeinen Zauberei – wie es gern von Misstrauischen genannt wurde – zu tauchen, aber zumindest hatte er es gewagt, seine sprichwörtlichen Zehen darin zu legen und fühlte dieses neue Bewusstsein in ihn hineinsickern, was sich eben leider auch in kleinen Missgeschicken bei den klösterlichen Aufgaben offenbarte, wenn er wieder einmal über einer die vielen Fragen nachgrübelte, die sich jeden Tag aufs Neue auftaten.
Er freute sich direkt auf die Stunden beim Lesen und war im Buch „Magie in den Grundzügen“ weiter vorangeschritten. Das Kapitel „Essenz der Magie“ beschäftigte sich mit der Frage, wo die Quelle dieser Kraft lag und in welchen verschiedenen Auswüchsen sich diese zeigen konnte. Pflanzen, Tränke, magische Plätze, heilige Verehrungsstätten, seltsame Gewässer, Weihgerüche…es steckte viel Kraft in naheliegendster Form, wenn man nur verstand, diese freizusetzen. Dass die Magie nur aus dem Körper gerufen wurde, war dabei eigentlich ein Trugschluss oder vielleicht nur die halbe Wahrheit. Viel mehr musste man sie gleichermaßen aus der Umwelt ziehen, sich aber gleichzeitig in die richtige Stimmungs- und Gedankenebene bringen, um sie zu verwirklichen. Natürlich war dies einer der Punkte, der noch recht unklar war und über den sich viele Gelehrte stritten.
Aber eines war klar: Nicht jeder Mensch konnte Magie wirken und jeder Magieschüler hatte ein unterschiedliches Potential, sich dieser letztlich bedienen zu können. Insgeheim war Kialar natürlich glücklich darüber, von seinem Lehrmeister überzeugt worden sein, dass diese Macht in ihm steckte.
Noch immer war es nur dieses Kribbeln in ihm, was scheinbar die Magieaffinität bei ihm andeutete. Er bemühte sich, es länger aufrecht zu halten, ihm mehr Raum zu gewähren und hatte das Gefühl, dass es täglich wuchs.
Kialar war beeindruckt davon, wie sehr diese kurzen Anstöße Neros zu solch einem Ergebnis geführt hatten. Im Buch war von den vielen unterschiedlichen Lehrmethoden die Rede, aber bei einem waren sich scheinbar alle einig: Der Schüler musste im Endeffekt selbst durch das Tor schreiten, der Lehrer konnte sie nur öffnen.
…und somit gedieh der magische Spross, der in dem Wüstensohn steckte und seine Magieausbildung schritt voran.
-
Vengarder Armenviertel, Vor einem Lagerhaus
Der Bote verschwand hinaus in die bei dem tristen Wetter, fast völlig verwaisten Straßen. Yared trat zu Kaldrin, Ijan und Chris.
"Und was sagt der Krüppel?"
"Er bestätigt, dass was du sagtest, Chris. Der Wisch ist die Tinte nicht wert, mit der er geschrieben wurde. Wir können die Söldner nicht bezahlen."
"Ein Glück, dass ich in Khorinis niemanden verpflichten konnte."
"Das mindert unser Problem nur minimal. Wir müssen hier verschwinden."
Kaldrin zünde sich seinen Grünen Novizen an.
"Was hast du vor?"
"Wir werden unsere Habseligkeiten packen und etwas Unruhe stiften. Da hinten im Hof lagern gut sechzig waffenstarrende Halsabschneider. Wenn wir denen erzählen, dass der König sie nicht bezahlen will, werden sie sich ihren Anteil nehmen. Das müssen wir ausnutzen.", dozierte Yared, "Wir werden ein Wachhaus angreifen und uns Waffenröcke besorgen, dann lassen wir den wütenden Gewalthaufen hier und verdrücken uns. Soll die Stadtgarde sich um die kümmern."
"Und wohin soll es gehen?"
"Ganz einfach Ijan wir tun so, als wären wir zwangsrekrutiert und schließen uns einem Versorgungstreck, der Nachhut des Hauptheeres an."
"... und der Krüppel?", fragte Kaldrin rauchend.
"Hat sich bis dahin schon nach Gorthar abgesetzt. Den wird die Stadtwache nicht finden."
Wenige Glasen später versammelten sich Mel, Chris' Küstenläufer und die freiwilligen Wächter, unter ihnen Snydex mit ihren spärlichen Habseligkeiten - viel hatte man auf einen Kriegszug sowieso nicht mitgenommen - vor den Toren von Vengard, wo sie auf Yared und die anderen warten sollten.
Währenddessen trat Jarved de Maradras vor die versammelten angeworbenen Söldner. Unruhe hatte sich in deren Reihen breit gemacht. Nicht, weil plötzlich ein Teil des Regiments fehlte - die Angehörigen des Waldvolkes waren schließlich nicht ohne Grund als Meister der verdeckten Operation bekannt -, aber es kam selten vor, dass der Obrist zum ganzen Regiment sprach ohne, dass eine Schlacht unmittelbar bevorstand.
"Jungs ich mach's Kurz. Der König hat uns betrogen, man weigert sich zu zahlen und will uns alle zwangsrekrutieren ..."
Schon brach das Geschrei los.
"Der Saftsack von Rotbart will und an die Orks verfüttern!"
"Lyncht das Schwein!"
"Plündert die Stadt!"
"Genau! Wenn man uns nicht geben will, was uns zusteht, holen wir es uns mit Gewalt!"
Yared machte sich mit Hilfe von Murdoc und Moe, die ihm den weg freigehalten hatten, schleunigst vom Acker, bevor ihn der erste geworfene Stein am Kopf treffen konnte und traf sich vor dem Tor mit Kaldrin und einem jungen Wächter, während hinter ihm schon zerspringende Fensterscheiben und das arhythmische Trommeln des Vandalismus zu vernehmen war.
Schnell entfernten die vier sich von dem Pulk der Söldner und entledigten sich in einer Seitengasse ihrer Waffenröcke in grün und weiß.
Mittlerweile konnte man die Warnglocke der Stadtwache vernehmen, die die Rotröcke dazu anhielt, den Hafen aufzusuchen und der randalierenden Horde Einhalt zu gebieten.
-
Alon rannte zusammen mit einigen anderen des Waldvolkes durch die Strassen Vengards, einer Wachstube entgegen. Sie sollten zehn Wappenröcke holen, um sich danach den Soldaten der Gilde Innos anzuschliessen und Unruhe zu stiften.
Der Schweiss rann ihm über die Wangen, Yared, ihr Anführer, zeigte auf ein Gebäude. Alon rannte wie die anderen auch auf es zu und sie traten die Türe ein. Das Holz splitterte mit einem dumpfen Geräusch.
Fünf Krieger standen dort, ihre Waffen in den Händen, wahrscheinlich vom Lärm des Tumultes erschrocken, und schrien, als die Waldvölker in den Raum rannten.
Es würde für jeden einen geben, dachte er. Yared krachte schon mit dem Ersten Soldaten zusammen. Der Kampf hatte begonnen.
-
Unterbesetztes Wachhaus im östlichen Armenviertel
Yared zog die Armbrust nach oben und erwischte den sich umwendenden Wachmann nur am Bein, bevor er die Armbrust fallen ließ und Schwert und Schild vor seinen Körper brachte.
Bis auf den einen an der Tür, der seine Hellebarde griffbereit gehabt hatte, mühten sich die anderen drei Wachleute und der Feldwebel des Wachhauses im östlichen Armenviertel sich dem Überfall mit Händen und Schwertern zu erwehren.
Während Alon, Moe und der Sippenführer den flüchtenden und zu ihren Schwertern greifende Wachmannschaft im Nahkampf in Bewegung hielt, kümmerten sich Kaldrin und Murdoc um den Hellebardier, der niemanden an sich heran ließ.
Der ehemalige Mühlenwächter von Silden hielt ihn mit seinem Speer in Schach. Gleichzeitig versuchte Kaldrin seine Armbrust nachzuladen, was ihm eben so gelang, wie dem Stadtwächter mit einem Bolzen den Garaus zu machen.
Schnell eilten die beiden Alon und Moe zu Hilfe die mit ungezielten aber heftigen und schnellen Schlägen drei blutjunge Wachrekruten beschäftigten. Die Erfahreneren hatte man wohl längst zum Kriegsdienst abgezogen.
Der Kapitän hatte sich den Feldwebel herausgepickt und drang mit dem schweren Stahlschild auf dessen Schwertarm ein. Der Veteran sprang über eine umgeworfene Bank und versuchte auf den Tisch zu gelangen um den Schild besser umgehen zu können.
Keuchend kamen die beiden Kontrahenten zum stehen. Der Tisch war zu schwer um ihn mit dem Fuß umstoßen zu können, daher musste Yared seinen Schild hoch reißen und seinen Kopf vor dem Hieb des Wachstubenleiters schützen. Geistesgegenwärtig rammte der Ältermann seinem Gegner die Klinge in die nun erreichbaren Waden.
Der Kerl schrie vor Schmerz auf. Yared nutzte den Moment und schlug mit dem Schild nach vorne, um den Feldwebel, der sich nun nicht mehr auf den Beinen halten konnte und zusammensackte, anschließend das Falchion in den Unterleib zu stoßen. Der durch sein Kettenhemd geschützte fing an zu husten und zu würgen. In diesem Moment kam Kaldrin, von Hinten und sein riesiger varantischer Säbel fraß sich einen Weg zwischen Schulter und Hals in den Brustkorb. Blut triefte hervor und der Veteran kippte röchelnd, da offensichtlich das lebenswichtige Nass in seine Lunge eindrang, neben den Tisch auf den Boden.
-
Alon schlug, zusammen mit einem anderen Waldvölkler, kräftig auf zwei junge Soldaten ein, die nicht sehr erfahren waren, jedoch flink und schnell. Ihre Schwerter blockten die unpräzisen Schläge der Waldler und stellten ein gefährliches Hindernis dar.
Der junge Wächter blockierte mit seiner Waffe diejenige seines Kontrahenten und trat nach ihm. Der Gegner wich zurück. Aus den Augenwinkeln konnte er sehen, wie sein Verbündeter an die Wand gedrängt wurde. Blitzschnell fuhr Alons Klinge dem anderen Soldaten ins Bein, sodass der Waldler kurzen Prozess mit ihm machen konnte.
Der Gegner Alons rannte auf die Tür zu, er wollte türmen. Der junge Krieger schnappte sich seinen Dolche und sprang in den Lauf des Soldaten hinein. Nach einigem Gerangel am Boden gelang es ihm, seinen Dolch zwischen den Rippen seines Gegners zu platzieren.
-
Es hätte eine ruhige Nacht werden können, aber irgendein Unruhestifter schien etwas dagegen zu haben.
Für Sir Gilmore war es die zweite Nacht als Hauptmann der Stadtwache in diesem Bezirk. Nachdem das Hauptheer ausgezogen war, hatte man ihm als alternden Paladin die Verantwortung übertragen. Und schon fand er sich wieder schwer gerüstet mit dem Schwert in der Hand auf dem Weg zum Unruheherd – begleitet von genug Gardisten, um den Aufstand fünfmal niederzuschlagen. Der König war jedenfalls nicht so dumm gewesen um jeden, der ein Schwert schwingen konnte, mitzunehmen in die Schlacht. Auch wenn letzte Woche noch mehr Männer für Recht und Ordnung gesorgt hatten, so war die Stadt alles andere als schutzlos.
Kurze Zeit später war er zum Ursprung des ganzen Radaus vorgedrungen und fand dort die Randalierer vor. Einige hielten Fackeln in den Händen und planten wohl ein paar der umliegenden Häuser anzuzünden – Sir Gilmore war noch gerade rechtzeitig gekommen.
Es dauerte nicht lange und man hatte ihn und die restlichen Gardisten bemerkt. Sofort war es still geworden, als sie sich den zahlreichen Königstruppen gegenüber sahen – mit einer so schnellen Reaktion hatten sie wohl nicht gerechnet.
„Ihr seid umzingelt!“, sprach der Paladin schließlich mit fester Stimme. Sofort waren alle Blicke auf ihn gerichtet.
„Umzingelt von wem?!“, schrie einer zurück, ahnungslos wie er noch war.
„Umzingelt von uns.“
Er brauchte seine Stimme noch nicht mal sonderlich anstrengen, denn es dauerte nicht lange und auch aus allen anderen Straßen rückten die Gardisten an. Ebenfalls positionierten sich einige Bogen- und Armbrustschützen auf nahe gelegenen Häuserdächern und sonstigen höher gelegenen Positionen und nahmen die Randalierer in Visier. Der ganze Drill war jedenfalls nicht umsonst – ebenso wenig das ganze Training. Seine Stadtwache konnte sich innerhalb kürzester Zeit in Stellung bringen.
„Ihr seid verhaftet“, sagte er mit seiner ruhigen Stimme, die anscheinend schon deeskalierend wirkte. Das, und die schiere Übermacht der Stadtgarde. Die Männer waren jedenfalls nicht bereit ihr Leben wegzuschmeißen, so viel war jetzt schon klar. „Lasst eure Waffen fallen und ich garantiere euch, dass keiner von euch die übliche Strafe für Aufständische erhält – ihr könnt euch hoffentlich denken, wie die lautet.“
Er schwieg einen Moment. Zum Glück taten das auch die Umzingelten. Die ersten ließen bereits ihre Waffen fallen.
„Jetzt kommt ihr mit mir“, fuhr der Paladin schließlich fort. „Morgen rede ich mit ein paar von euch über das Geschehene, das ist mein Angebot. Ich habe jedenfalls kein Interesse daran, dass hier Blut fliest oder ihr über Monate hinweg die Vengarder Gefängnisse füllt. Kommt mit und wir finden eine andere Lösung. Aber nur, wenn ihr euch jetzt ergebt. Ihr habt mein Wort als Paladin.“
Der alte Hauptmann hätte wohl alle ohne Kompromisse entweder direkt erschießen lassen oder zum Schafott geführt – so nicht aber Sir Gilmore. Auf ihn hörte man, hatte man schon immer gehört. Deswegen hatte man ihn für diese Aufgabe ausgewählt.
Ohne weitere Mätzchen zu machen löste sich die Meute auf und wurde abgeführt.
Sein Stellvertreter drang unmittelbar danach vor. Beinahe wie gerufen.
„Rodrick“, sprach Sir Gilmore erneut mit seiner ruhigen Stimme. „Wo sind die Leute des Wachhauses hier in der Nähe?“
„Nicht hier“, antwortete sein Untergebener. Die Antwort hätte er sich auch sparen können.
„Das sehe ich auch. Aber irgendwas ist hier faul, die Verantwortlichen hätten längst hier sein müssen. Sucht euch ein paar Männer, hier stehen ja genug rum. Wir statten dem Wachhaus einen Besuch ab."
Rodeon
-
„Und so sieht der Typ aus, bist du dir da sicher?“
Sir Gilmore war noch skeptisch, wo er sich den Steckbrief genauer ansah. So sieht doch kein Mensch aus, dachte er. Innos muss ihn wirklich hassen um ihn so ein Gesicht gegeben zu haben.
„Ich schwör’s“, sagte die Söldnerseele, die der Paladin dazu auserkoren hatte als Verhandlungsführer zu fungieren. Denn die Söldner mussten verhandeln, wenn sie nicht am Galgen baumeln oder auf dem Schafott landen wollten, so viel war ihnen inzwischen klar geworden.
„Nun gut, ich werde den Steckbrief, und den der anderen Aufwiegler, verbreiten lassen. Hoffentlich fassen wir sie.“
„Und was passiert nun mit uns?“, fragte der sichtlich nervöse Söldner.
„Das hängt ganz davon ab, was ihr nun plant. Wenn ihr weiter Unruhe stiften wollt … nun ja, dann wird der Scharfrichter eben was zu tun bekommen. Zellen sind kostbar, Nahrung noch mehr, da machen wir es uns einfach.
Oder“, den nächsten Teil betonte er besonders, „oder ihr macht das, wofür ihr eigentlich angeheuert wurdet, wenn auch vom falschen Mann, der euch ja hereingelegt hat. Dieser Jarved hatte nie das Recht euch anzuwerben oder gar euch durch die Staatskasse zu bezahlen. Ich aber schon. Geht nach Montera und unterstützt dort, was es zu unterstützen gibt. Und wenn über der Stadt wieder das Banner des Reiches weht, dann zieht eben weiter. Ihr bekommt die Bezahlung, die euch ursprünglich versprochen wurde. Und einen Bonus, falls ihr die Augen offen haltet.“
„Nach wem?“, jetzt war der Söldner neugierig geworden. Sir Gilmore konnte förmlich das Blinken der Goldstücke in den Augen seines Gegenübers sehen.
„Nach den Aufwieglern natürlich. Nach diesen hier“, er deutete auf die Steckbriefe. „Findet mir den und seine Komplizen. Tot oder lebendig ist mir ziemlich egal, Hauptsache ich bekomme den Beweis, dass es mit denen vorbei ist. Dann bekommt ihr auch die ausgeschriebene Belohnung.“
„Das sind aber wirklich viele Nullen!“
„In der Tat“, die Stimme des Paladins klang nachdenklich. „Aber ich rate euch mich nicht zu belügen. Ich bin Paladin, ich weiß, wann man mich anlügt und mir einen wehrlosen Bauern präsentiert, der zur falschen Zeit am falschen Ort war. Ich dulde keine Täuschungsversuche, ansonsten überlege ich mir das mit dem Schafott noch einmal.“
„Gar kein Problem!“
Das Leuchten in den Augen des Söldnervertreters war noch deutlicher geworden. Sir Gilmore war soweit zufrieden.
„Aber vernachlässigt nicht eure Pflichten. Geht nach Montera, bereits morgen. Schlagt ein paar Orkschädel ein und ich sehe über die gestrigen Ereignisse hinweg. Schätzt euch glücklich, dass ihr an mich geraten seid.“
„Aye Aye! Dürfen wir auch die Zellen verlassen? Ist kalt da.“
Sir Gilmore grinste.
„Ich denke mit zwei Nächten hinter Gittern seid ihr für die Unruhe von gestern noch ganz gut davon gekommen. Strapaziert euer Glück nicht noch weiter.“
Mit diesen Worten beendete der Paladin das Gespräch. Er hatte noch genügend andere Pflichten.
Rodeon
-
Die Nacht besaß eine Kühle, die in der Wassermagierin Erinnerungen an Zeiten hervorrief, in denen sie fern kriegerischer Städte und fern der meisten weltlichen Probleme leben konnte, ohne dass sie den geringsten Zweifel daran gebar, dass es falsch sein konnte. Es schien, als sei die Zeit, die sie in der Wüste in Frieden verbracht hatte, endgültig vorbei. Es schien, als sei die Zeit, in der sie unbekümmert die Langeweile genießen konnte, auf ewig verschollen. Es schien, als hätte sie einen weiteren Teil des Puzzles ihrer Erinnerungen verstanden, obwohl sie geglaubt hatte, dies schon vor Jahren getan zu haben.
Melaine warf einen kurzen Blick auf die Frau an ihrer Seite und schaute dann wieder geradeaus. Jana war nicht gerade gesprächig und was das betraf, konnte es die Rothaarige sehr gut nachvollziehen. Vielleicht hätte sie auch im Nebel schweigen sollen, als er Jail angefallen hatte. Stattdessen schien es, dass ihre Worte die Dunkelhäutige nur darin bestärkt hatten, an ihm zu zerbrechen. Und es schien, als sei jene mit diesem Ausweg nicht im Unrecht gewesen, auch, wenn es kein Weg gewesen wäre, den Melaine gegangen wäre. War sie vielleicht bloß freigekommen, weil sich Jail geopfert und sie es zugelassen hatte?
Die Magierin schüttelte den Kopf und zuckte leicht zusammen, als sie die Stimme des Hohepriesters vernahm. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie schon am vereinbarten Treffpunkt angekommen waren.
„Ich…“, begann die Rothaarige und stockte. Sie hatte Jail doch nicht geopfert? Hatte sie tief in ihrem Inneren gewusst, so freizukommen und deswegen nicht reagiert?
Die Zauberin schüttelte energischer mit dem Kopf, doch die Lücken in diesen Augenblicken wollten sich nicht füllen. „Ich denke, ich habe alles.“, antwortete sie schließlich leise dem Heiler und reichte ihm das Buch. Sie glaubte nicht, dass Ceron es ihr nicht wiedergeben würde, doch selbst wenn… Vielleicht wog das, was sie dann tun müsste, um es sich wieder zu holen, das auf, was sie sah, wenn er es lesen würde. Was sie erfahren würde… Ihr Blick fiel auf das kleine Mädchen in den Armen des Hohepriesters und ihre Gedanken zögerten, stolperten und fielen wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Was ist mit dir los?, fragte eine leise Stimme in ihrem Inneren, die sie von früher kannte und die sie immer liebevoll „Vernunft“ genannt hatte…
-
Die Tage schritten voran und seine Ausbildung ebenfalls. Hätte Kialar anfangs noch nicht geglaubt, überhaupt irgendein Magieverständnis zu besitzen, war er inzwischen eines besseren belehrt worden. Er hatte gelernt, seine inneren magischen Fähigkeiten zu erspüren, die Materie der Magie zu erkennen und sich gedanklich zumindest teilweise auf etwas bestimmtes zu konzentrieren, denn zum Wirken von Magie würde es wichtig sein, seinen Geist zu fokussieren, um einen Gegenstand zu verändern oder einen Spruch zu wirken. Das war aber momentan noch Zukunftsmusik.
Seine Abwesenheit im Kloster fiel nicht mehr so auf, denn die ganze Stadt war wie ausgewechselt. Die seltsame Anspannung, die über die letzten Wochen spürbar in den Gassen Vengards gehangen war, hatte sich nun in einen Strom von Rekruten und in einen Wirbel aus Kriegsmaschinerie verflüchtigt. Wo vorher noch murmelnd von einem Krieg gegen die Orks die Rede gewesen war, schien nun alles klar und offen vorzuliegen. Paladine, Söldner, Rekruten, normale Stadtwachen, sogar Magier und andere Klosterangehörige waren in den Krieg gezogen, um sich der finsteren Macht zu stellen, was sich in einem beeindruckenden Kreuzzug manifestiert hatte.
Ein wenig komisch fühlte sich der Wüstensohn schon, bei diesem Krieg so außen vor zu sein und überhaupt nicht daran teil zu haben, aber immerhin hatte er schon vor seiner Aufnahme als Adlatus zumindest einen Kleinen Teil dazu beigetragen. Außerdem hielt sich seine Begeisterung bezüglich solch eines Armeeaufmarsches und einer riesigen Schlacht in Grenzen. Er war in Frieden aufgewachsen und wollte sich diesen auch so lange wie möglich bewahren, sofern er sich nicht total von der Außenwelt abkoppelte und in einer eigenen Utopie lebte. Was sollte jemand wie er, der nicht einmal seinen Stab schwingen konnte, schon beitragen können?
Ob es nur Ausreden war oder nicht; es beschäftigte ihn ohnehin nur wenig. Das Wesentlichste war nun, die Ausbildung bei Nero weiter zu verfolgen.
Berechtigungen
- Neue Themen erstellen: Nein
- Themen beantworten: Nein
- Anhänge hochladen: Nein
- Beiträge bearbeiten: Nein
|