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Selerondar II
Vorb: Ich rate geneigten Lesern dazu Selerondar I zu überfliegen, bevor sie diese Geschichte lesen, da sonst einige Zusammenhänge/Anspielungen nicht klar werden dürften.
Das blütenweiße Segel des kleinen Einmasters spannte sich fast bis zum zerreißen, und er meinte die Planken unter dem Druck des heulenden Winds aufstöhnen hören zu können. Der Morgennebel hatte sich verzogen, doch weit und breit war kein Land in Sicht. Grimwards Blick richtete sich gen Himmel. Rasend schnell zogen die Wolken in Richtung des Windes über das Meer, ihm wurde geradezu schlecht davon. Als er dies feststellte wandte er seinen Blick ab und gleichzeitig drängte sich eine Frage mit aller Macht in seine Gedanken. Warum tat er sich das ganze eigentlich an? Er könnte jetzt… ja… er könnte jetzt; nichts könnte er. Was blieb ihm denn schon noch? Einige Erinnerungen, an Bardasch, Dansard… Uncle-Bin. Ihre Heldentaten, oder zumindest das was sie damals dafür gehalten hatten. Was sie erlebt hatten, auf Khorinis, seinem Khorinis. Grimward musste an sein Haus denken, direkt am Meer, gemeinsam mit seinem damals besten Freund hatte er dort gelebt. Diese Zeit schien ihm unsagbar fern und war doch kaum mehr als ein Jahr vergangen, seit er sein Haus zuletzt gesehen hatte. Seit er Bardasch zuletzt gesehen hatte. Auch Dansard hatte er schon lange aus den Augen verloren und dabei hatte es Momente gegeben, in denen er geglaubt hatte, ihre Freundschaft würde die Jahrzehnte überdauern. Vielleicht tat sie das auch, sagte er sich. Der Bogenschütze fühlte sich seinen alten Freunden noch immer verbunden, für Bardasch oder Dansard würde er ohne zu zögern durch jedes Feuer gehen. Vielleicht nur, weil er nichts mehr hatte, dass er dabei verlieren konnte, doch trotzdem blieb die Tatsache bestehen, er wollte nicht glauben, dass alles was sie zusammen durchgestanden hatten, einfach mit ein wenig Zeit und Entfernung vergehen konnte. Die Zeiten auf Khorinis und auch in Myrtana waren sicherlich hart gewesen, doch zumindest hatte er sich selten so einsam und verlassen gefühlt, wie in den letzten Wochen und Monaten. Er war vielleicht sechsundzwanzig Winter alt. Vielleicht ein wenig älter, doch er fühlte sich unsagbar alt, verbraucht und zu nichts mehr nütze. Sah er auch so aus? Plötzlich war diese Frage ungeheuer wichtig, obwohl sie in seinem Leben bis jetzt nie eine Rolle gespielt hatte. Einen Spiegel, er brauchte einen Spiegel. Ein hölzerner Eimer, nur zwei Ellen entfernt stach ihm ins Auge. Ungelenk rutschte er herüber und beugte sich über den Eimer, welcher bis zum Rand mit aufgefangenem Wasser gefüllt war. Die glatte Oberfläche des trüben Wassers war kein besonders guter Spiegel, doch er reichte für Grimwards Zwecke, er sah was er sehen wollte, oder besser nicht sehen wollte. Sein Bart, den der Barbier einst so penibel gepflegt und alle drei Tage gestutzt hatte war zwar nicht wirklich lang, aber ungewöhnlich voll und wirkte wild. Auch wenn er es im trüben Gewässer nicht erkennen konnte, war sich der ehemalige Soldat sicher, dass Dreck in ihm hing, Staub längst vergessener Tage. Seine tiefbraunen, fast schwarzen Haare hingen zerzaust bis weit über die Schultern und hatten den Namen Frisur nicht verdient. Seine Haut war trotz der kalten Jahreszeit recht dunkel, da er sich fast immer im freien aufhielt, dementsprechend war sie jedoch auch wettergegerbt und für sein Alter untypisch faltig. Abgewetzt, wie alles an ihm. Sarina hätte dieser Anblick sicher Freude bereitet. Sarina… sie war das Letzte an das er denken wollte. Denken durfte. Konnte.
Keine Gedanken an sie, sagte er sich und blickte zu Adriane hinüber. Auch sie war noch immer unbestritten hübsch, der Wind zerzauste ihr langes Haar und ihre einfachen und doch würdevollen Kleider flatterten im Wind, wie sie da am Steuer stand und den Gezeiten trotze, wirkte sie wie ein Abbild einer Kriegerin aus längst vergangenen Zeiten. Wild, schön und unbezwingbar zugleich. Grimward hasste sie dafür, hasste es auf diesem verdammten Kahn zu sitzen und von der aufgewühlten See herum geschubst zu werden, wobei sie jederzeit einer Ork Galeere über den Weg schippern konnten. Wie um sich zu vergewissern, dass eben jener Fall nicht eintraf, wandte er den Blick von ihr ab und lehnte sich an der Reling an.
„Bei den Berelonen liegt die Seefahrt in der Familie“, hatte sie einmal stolz behauptet. Und offenbar hatte sie durchaus Recht, das unwirtliche Wetter schien ihr nichts auszumachen und der Kahn nahm offenbar genau den Kurs ein, den Adriane beabsichtigte zu nehmen. Direkt nach Selerondar. Selerondar, schicksalhafte Stunden waren mit diesem Namen verbunden, vor nur etwa anderthalb Jahren waren sie dort gewesen. Dansard und er, auch damals hatte sie die Überfahrt mit Adriane gewagt. Der Gedanke versetzte ihm einen Stich, auch zu jener Zeit war er nicht sonderlich überzeugt von ihrer Unternehmung gewesen, doch immerhin war er aus völlig freien Stücken gegangen, nicht zuletzt auf das drängen seines Freundes hin. Dieses Mal, wusste er selbst nicht genau, was ihn dazu bewogen hatte. Waren es aufgewärmte Gefühle, eine gewisse Hassliebe für Adriane, die sich nie ganz gelegt hatte. Sein Blick huschte erneut zu ihr herüber. Er horchte tief in sich hinein, doch lediglich ein dumpfes Wummern ertönte und Grimward wandte sich angewidert ab. Er wollte lieber nicht erkunden was im Grunde seines Herzens vor sich ging, er befürchtete dort nichts zu finden, was ihn weiter antrieb zu Leben. Pflichtverbundenheit… vielleicht war es Pflichtverbundenheit, früher, in jenen glorifizierten Zeiten auf Khorinis, war dieses Gefühl vielleicht sein größter Antrieb gewesen. Pflichtschuldigkeit gegenüber, seinem eigenen Gewissen, der Garde, seinen Freunden, Innos. Im Namen der Pflicht, nein… viel mehr unter dem Deckmäntelchen der Pflichtschuldigkeit hatte er dutzendfach Menschen getötet, einige davon trugen sogar die Uniform seines eigenen Ordens, die meisten hatte er nur einmal in seinem Leben gesehen und diese Begegnung war für den anderen tödlich ausgegangen. Doch er war schon lange kein Soldat mehr und erst Recht kein Streiter Innos. Er hatte den heiligen Eid gebrochen, den er einst Uncle-Bin und Lord Hagen und nicht zuletzt auch seinem Gott gegeben hatte. Grimward war nie ein besonders gläubiger Mensch gewesen, doch er hatte gesehen was der Glaube zu bewirken mochte, dass er aus ganz gewöhnlichen Menschen gute Menschen machen konnte, wenn sie nur etwas hatten, an das sie glauben konnte. Grimward hatte nicht dem Gott einen Eid geschworen, vielmehr dem Glauben an eine gute Sache. Doch das alles war ins Wanken geraten und schließlich in sich zusammen gestürzt, mit seinem Wortbruch war seine Welt langsam aber sicher aus den Fugen geraten. Oft lag er ganze Nächte lang wach und fragte sich, ob es das Wert gewesen war, ob er Dansard nicht einfach hätte verteidigen sollen, mit seinen Worten, vielleicht auch mit beherzten Taten, aber ohne zu desertieren und sich des Hochverrates schuldig zu machen. Sicher er hätte Dansard niemals retten können, aber sicherlich sein Gewissen beruhigen können. Doch gerade jetzt, an der Seite der Frau die ihm mehr als alle anderen Frauen auf der Welt ängstigte, faszinierte und auch abstieß wurde ihm zum ersten Mal klar. All seine Worte, die ganzen Taten die er damals begangen hatte, wären absolut wertlos gewesen, wenn er seinem Freund nicht die Treue gehalten hätte. Und so hatte er seinen Schwur gebrochen, nur um im Einklang mit diesem Schwur leben zu können. Diese Zeiten waren jedoch vorbei, sein Wort band ihn nicht mehr, er hatte den Glauben an eine bessere Welt längst beerdigt, er wusste nicht wann es passiert war, er konnte nicht einmal einen richtigen Grund dafür nennen, vielleicht war es einfach die Aneinanderreihung vieler Gründe. Sein brennendes Haus auf Khorinis, das viele Blut, das an seinen Händen klebte, seine erzwungene Fahnenflucht. Grimward wusste es nicht und zum zweiten Mal in wenigen Augenblicken stieß er auf einen Punkt, den er lieber nicht näher erforschen wollte, etwas in seinem Innersten, dass unbedingt heraus wollte und das er nur mühsam im Zaum halten konnte.
Warum tat er sich das an? Hatte er sich diese Frage schon einmal gestellt? Er war sich nicht mehr sicher. Nachdenklich fuhr er sich durch die unsauberen Bartstoppeln und strich mit einer beiläufigen Bewegung seinen grünen, verdammt abgewetzten Mantel glatt. Auf sein braunes Wams, dessen brauner V Ausschnitt mit einigen Schnüren lose zusammengehalten wurde, war kein Wappen gestickt und keinerlei Verzierungen beschönigte die ausgelatschte und abgenutzte Wahrheit. Dabei hatte er mehr als genug Geld, denn seine Lebensweise war nicht besonders kostspielig. In den letzten Wochen war er einem rastlosen Jüngling gleich durch die Landen Myrtanas gezogen, bis sie ihn schließlich in Ardea aufgegabelt hatte. Der Stoff zwischen seinen Fingern war rau und grob, doch Grimward wollte ihn nicht missen, dieser Mantel und sein Wams waren zwei der wenigen treuen Gefährten, die ihm noch geblieben waren. Ein Seitenblick auf seine weiteren Gefährten stimmte ihn zugleich traurig, erfüllte ihn aber auch mit einem gewissen Besitzerstolz. Das schlanke, blanke Langschwert und der geschwärzte Langbogen, dazu ein kurzer gebogener Dolch, den er schon über zwei Jahre besaß und der ihm schon das ein oder andere Mal das Leben gerettet hatte. Daneben lag ein Köcher den er sich normalerweise über die Schulter hing und in dem einige dutzend Pfeile verstaut waren. Das altvertraute Säckchen mit Kräutern und das Rasiermesser steckten wie immer in seinem Gürtel, doch schon viel zu lange hatte er weder das eine, noch das andere benutzt. Zumindest diese Gefährten blieben ihm so lange treu, wie er es sich erhofft hatte sagte er sich und ein schmerzerfülltes Lächeln trat auf seine Züge. Adriane hatte es wohl bemerkt denn sie fragte über das heulen des Windes hinweg:
„Was grinst du in die Weltgeschichte, ich kann nichts Erheiterndes entdecken.“
Grimward glaubte zu spüren wie seine Gesichtsmuskeln einfroren und das Lächeln geriet vollends zur Grimasse. Er wollte nicht mit ihr reden, folglich tat er es auch nicht, seine Züge verschlossen sich und er meinte fast das zuschlagen einer Tür zu hören, einer Tür die es jedem unmöglich machte in seine Gedanken einzudringen. Eine Tür die ihm Schutz bot, sein Freund war, aber auch sein schlimmster Feind.
Plötzlich stand die Berelonin vor ihm und stemmte die Hände in die Seiten, es wirkte auf eine verdrehte Weise gerade so, als rüste sie sich zum Kampf, wie sie da vor ihm stand und ihn mit bitterbösen Blicken traktierte. Schön und schrecklich zugleich.
„Warum schneidest du mich, was ist los mit dir, damals hast du keine Gelegenheit zu einem Streit ausgelassen. Weshalb begleitest du mich überha-“
Doch Grimward unterbrach sie, „Das Schiff kommt vom Kurs ab, wenn du es nicht steuerst“, bemerkte er emotionslos.
„Das WUSSTE ich auch schon, als ich das Steuer losgelassen habe, vielen Dank“, giftete Adriane und Grimward musste wieder willen lächeln.
„WAS GRINST DU SO DÄMLICH! JETZT HÖR MAL ZU; ICH habe dich NICHT mitgenommen, weil du sein verdammt NETTER KERL bist oder so hübsch in die Gegend lächeln kannst. Du sollst mit mir zusammenarbeiten. Für Selerondar!“
Grimward wusste nicht wie ihm geschah, was mit ihm geschah, das nächste was er bewusst wahrnahm war, dass er Adriane am Kragen ihres Hemdes gepackt hatte und hoch gehoben hatte, sodass sie nun auf Augenhöhe mit ihm war. Der Barbier war ein außergewöhnlich großer Mann und er konnte sich ausrechnen, dass er Adriane, der vor schreck die Sprache abhanden gekommen war, sicher zwanzig, dreißig Zentimeter über den Boden gehoben hatte.
„Für Selerondar?“ zischte Grimward wütend und er war versucht sie zu schütteln, „Du tust es nicht für dich, sondern nur für deine heiß geliebte Insel. Du intrigierst gegen deinen eigenen Vater, mit dem Ziel dich selbst an die Macht zu bringen und erzählst mir mit dem Brustton der Überzeugung, du tätest das alles für dein Land. Du Schlange. Glaub ja nicht, dass du mir Sand in die Augen streuen könntest. Ich sitze bloß auf diesem verdammten Kahn, weil… weil“, er atmete tief ein und aus, dann besann er sich und setzte sie wieder ab.
„Steuer das Schiff“, krächzte er, mit einer Stimme, die so offensichtlich nicht zu ihm gehörte, dass es ihm kalt den Rücken hinunterlief. Adriane machte keine Anstalten sich zu bewegen.
„Nach mach schon“, brummte er und setzte sich wieder neben seine Habseligkeiten, während die Frau, immer noch mundtot sich zum Steuer umwandte. Just in diesem Augenblick begann es zu regnen und Grimward zog die Kapuze über und legte den Kopf in den Nacken. Kopfschmerzen hatte er nun ohnehin schon.
Geändert von Grimward (17.03.2008 um 12:02 Uhr)
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Noch einige Stunden vergingen und der Sturm auf See, mittlerweile kombiniert mit einem immer heftiger werdenden Regen, machte es den beiden Reisenden unmöglich, die Küste Selerondars bereits zu sehen, obwohl Adriane ihm versicherte, dass es nicht mehr weit sein könnte, waren sie noch immer nicht angekommen. Langsam aber sicher kamen dem Barbier Zweifel, ob die Berelonin das Schiff tatsächlich so gut beherrschte, wie sie immer behauptete. Sicherlich hatte sie Dansard und ihn auf ihrer ersten Reise nach Selerondar heil dort hin gebracht. Doch damals hatte es zumindest nicht gestürmt und auch der Regen hatte sich, soweit ihn seine Erinnerung nicht trog, zurückgehalten. Nun jedoch war die See stahlgrau, wie der Himmel und völlig aufgewühlt, gleich den Wolken die über ihnen mit unverminderter Geschwindigkeit vorbeizogen. Die Beine ausgestreckt, den Rücken an die Reling gelehnt und die Beine ausgestreckt, saß er am Heck des Schiffes, keine zwei Schritt von seiner Begleiterin entfernt und doch war eine unüberbrückbare Kluft zwischen ihnen. Vielleicht hatte sie lediglich Glück gehabt, immerhin war sie ziemlich erleichtert gewesen, als sie das letzte Mal angekommen waren. Und Selerondar war von Myrtana um einiges weiter entfernt als von Khorinis. Sie waren nun schon drei Tage auf See und bis zu ihrem Streitgespräch vor einigen Stunden hatte sich nicht besonders viel getan. Es war auch möglich, dass Grimward ihrer scheinbaren Sorgen lediglich einbildete, immerhin war der Nachmittag schon hereingebrochen, bis jetzt war noch nichts bedenkliches passiert und es war ganz normal, dass er nicht viel erkennen konnte, schließlich war das Wetter fürchterlich. Außerdem hatte er schlechte Laune, seine Kleider waren durchnässt, er war leicht seekrank, was ihm noch nie passiert war und seine Aversion gegen die junge und doch sichtlich gereifte Frau am Steuer tat ihr übriges. Vielleicht war ja alles in bester Ordnung. In bester Ordnung… das hörte sich gut an und war doch lächerlich und klang schmerzhaft nach in Grimwards Ohren. Nichts war in Ordnung, schon lang nicht mehr.
Der ehemalige Ritter spuckte in die See und verspürte Wut auf sich selbst. Er war ein selbstmitleidiger Versager geworden. Vielleicht konnte ihn Selerondar von dieser Krankheit heilen, vielleicht würde ewig Versagen. Grimward runzelte die Stirn, das hörte sich wiederum überhaupt nicht gut an, drei Monate lang hatte er die Gefangenschaft der Assassinen ertragen, Amazonen bekämpft und Orks besiegt. Mit Dansard hatte er Selerondar schon einmal gerettet, warum sollte ihm dies nicht erneut gelingen? Zum ersten Mal seit Monaten spürte er einen Anflug von Selbstwertgefühl eine Art „zum Teufel damit“ stolz und ein verwegenes Lächeln umspielte kurz seine Lippen. Doch eine bohrende Frage kam mit schriller Stimme zurück in sein Gedächtnis und das wischte den Anflug von Heiterkeit mit einer unmenschlichen Geschwindigkeit von seinen Zügen. Zog er wirklich aus um Selerondar zu retten? Der Barbier war sich nicht mehr sicher. Eigentlich war er sich nie sicher gewesen. Adriane plante den totalen Umsturz, die Entmachtung ihres Vaters als Statthalter und wollte sich selbst, als erste Statthalterin der Geschichte Selerondars einsetzen. Grimward hatte Maninger, ihren Vater noch in lebhafter Erinnerung. Schließlich hatte er in seinem Namen sein Erbrecht verteidigt und nicht zuletzt die Stadt gegen die Orks gerettet. Auch wenn die Soldaten der Stadt natürlich einen wichtigen Teil des blutigen Handwerks geleistet hatten, war sich Grimward ziemlich sicher, dass die Stadtwachen ohne Dansard und ihn einen ziemlich schweren Stand gehabt hätten. Eremor, der zuvor ihr Feind gewesen war, hatte sein Leben gegeben, um Selerondar vor den Orks zu retten und Maninger, der unfähige Statthalter aus dem Geschlecht der Berelonen hatte seinen Titel, Selerondar war zwar ausgeblutet, aber immerhin hatten Grimward und Dansard der Stadt eine kurze Zeit des Friedens beschert. Doch während der Erfüllung dieser Aufgabe, waren den Gefährten schon Zweifel an Maninger gekommen, der Statthalter besaß nicht sonderlich viel Willensstärke, war nicht außergewöhnlich schlau oder kampfkräftig, überhaupt besaß er keine überragenden Eigenschaften. Das schlimmste war jedoch, dass er unter einem akuten Mangel an Selbsvertrauen und würdevollen auftreten litt. Was nicht nur Eremor aus dem Geschlechte der Tundils gegen ihn aufgebracht hatte, sondern auch einen Gutteil des Volkes. Erst der Kampf gegen die Orks hatte die beiden Fronten wieder zu einer verschmelzen lassen und der Tod Eremors, der zweifelsohne der bessere Mann war, hatte die internen Streitigkeiten scheinbar beigelegt. Aus dem Geschlecht der Tundils blieb lediglich der Sohn Eremors und dieser war zwar durchaus ein fähiger Mann, doch ihm fehlte, dass hatte Grimward schon bei seinem ersten Besuch auf der Insel festgestellt, der Ehrgeiz und auch der Familiensinn seines Vaters. Er war nicht darauf bedacht irgendwelche Rechte einzufordern. Doch Maningers Unfähigkeit beschwor neue Gegner herauf.
Adriane. Und eben diese Adriane, die Tochter des Statthalters, welche Dansard und Grimward zu Errettung der Insel gerufen hatte, steuerte nun das Schiff, welches einen abgetakelten Ex-Ritter und die erste Anwärterin auf den Thron der Statthalterin mit sich führte. Das Schicksal konnte schon ironisch sein. Wieder gelangte er zu dem Punkt, an dem er sich fragte, ob Adriane wirklich eine Hilfe für Selerondar war. Argwöhnisch wanderte sein Blick zu ihr herüber und sie fing ihn zufällig auf.
„Was starrst du mich so an“, fragte sie giftig und Grimward stöhnte innerlich, seine Aktion vor ein paar Stunden hatte seinen Stand bei ihr sicher nicht verbessert.
„Ich fragte mich gerade was aus dem Sohn Eremors geworden ist, wie hieß er glei-“
„Theregor“, vollendete Adriane und selbst durch den Schleier des fallenden Regens glaubte Grimward zu erkennen wie sich ein Lächeln auf Adrianes Lippen stahl, „er wird keine Schwierigkeiten machen.“
Der Barbier hatte Mühe diese Zweideutigkeit zu deuten, was hieß keine Schwierigkeiten, meinte Adriane etwa…. Plötzlich brach sich eine Erinnerung in seinen Gedanken bahn. Er stand gemeinsam mit Dansard und Adriane vor Maninger, es war ihre erste Begegnung mit dem Statthalter gewesen und sie diskutierten gerade darüber, wie man sich Eremors entledigen konnte. Da hatte Adriane mit eiskalter Stimme vorgeschlagen:
„Wir müssen der Schlange den Kopf abschlagen.“
Jeder im Raume hatte diese Andeutung verstanden, Adriane hatte es für nötig befunden, Eremor, das Oberhaupt der Tundils zu ermorden. Grimward lief es kalt den Rücken herunter.
„Was heißt… keine Schwierigkeiten genau?“ vergewisserte der ehemalige Ritter sich.
„Sieben Fuß unter der Erde wird er kaum einen Aufstand wagen“, bestätigte Adriane seinen Verdacht.
Grimwards Lippen kräuselten sich, doch er erwiderte nichts mehr. Egal was er sagte, Theregor würde nichts davon zum Leben erwecken und wenn es ihrer Sache diente, konnte es ihm ja eigentlich nur Recht sein. Eigentlich. Immerhin, war er ja auf Adrianes Seite, auch wenn er sich gelegentlich daran erinnern musste. Als sie ihn in der Spelunke in Ardea gefunden hatte, war Grimward zunächst beinahe vor Schreck vom Stuhl gefallen. Sie war so ziemlich der letzte Mensch den zu treffen er erwartet hatte. Doch in ihrer ureigenen, berechnenden Art, hatte sie den Schreck sehr schnell überwunden und Grimwards Lage binnen weniger Augenblicke richtig eingeschätzt. Eine Chance seiner eigenen Glanzzeit nachzueifern, konnte er sich nicht entgehen lassen, ganz gewiss nicht. Adriane hatte ihm ein Angebot gemacht, dass er nicht ablehnen konnte und egal was er zu ihr sagte, für ein paar Stunden war es ihr durchaus gelungen, ihm Sand in die Augen zu streuen. Er hatten an Maninger gedacht, an all das, was ihn zu einem schwachen Herrscher gemacht hatte, all das was gegen ihn sprach und sich eingeredet, zum Wohle des Volkes sei so ziemlich alles erlaubt. Nun saß er seit drei Tagen auf diesem verdammten Kahn, während ihm in regelmäßigen Abständen Regen auf die Kapuze pladderte und zweifelte an seinen Entschlüssen.
„Selerondar voraus“, murmelte Adriane plötzlich, sodass Grimward sie über das heulen des Windes, das Rauschen der See und das platschen der Regentropfen beinah überhört hätte. Doch als er nun die Augen zusammenkniff und nach vorn blickte, erkannte er einen Streif am Ende des Blickfelds. Adriane hatte Recht.
Selerondar voraus.
Geändert von Grimward (19.03.2008 um 19:50 Uhr)
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Knirschend fraß sich der Bug des kleinen Schiffes in den nassen Sand der Küste und das kleine Schiff durchlief ein Ruck, der Grimward beinahe von den Füßen riss, als es schließlich zum Stillstand kam. In einer geschmeidigen Bewegung packte Grimward mit der einen Hand die hölzerne Reling und schwang sich hinüber, sodass er mit seinen Stiefel im seichten Wasser landete. Hastig verließ er das kühle nass und erreichte den halbwegs trockenen Strand. Nur halbwegs, da der Regen noch immer in heftiger Form auf ihn und seine Begleiterin herunter prasselte und natürlich auch den sandigen Boden befeuchtete, sodass seine ledernen Stiefel, mit jedem Schritt den er tat, ein wenig einsanken. Auch Adriane verließ, nicht weniger behände als Grimward, der sich selbst immer zu den Geschickteren auf diesem Planeten zählte. Mit vereinten Kräften zogen die ungleichen Begleiter das Boot vollständig an Land und befestigten es mit einem stabilen Seil an einem größeren Stein, der fast ein Findling hätte sein können. Selbst in der Dunkelheit des Abends und trotz der Verschleierung seiner Sicht durch den dichten Regen, war Grimward sofort klar, dass sie nicht an der gleichen Stelle gelandet waren, wie bei seinem ersten Versuch, der Küstenstreifen war hier ungleich schmaler, schon fünfzehn Schritt von ihrer Position entfernt, begann sich die Vegetation zu verändern und ging sehr rasch in einen dichten Wald über. Selerondar war eine weitestgehend von Wald bedeckte Insel, eine Eigenschaft die Grimward durchaus sympathisch fand. Es hatte noch eine ganze Weile gedauert, bis sie schließlich das Land erreicht hatten und der Barbier versuchte sich zu orientieren. Doch es war zu dunkel um heute schon in den Wald zu gehen, ein kurzer Blick zu Adriane genügte um festzustellen, dass sie anderer Meinung war, denn sie marschierte bereits auf den Waldesrand zu, obwohl Grimward sogar seine Waffen noch im Boot gelassen hatte. Unbewusst zuckte er mit den Schultern und wandte sich einfach von Adriane ab, die Frau würde schon zurückkommen sobald sie bemerkte, dass der ehemalige Ritter nicht gedachte ihren Weg zu Teilen. Zumindest heute noch nicht. Vielleicht wollte sie ja auch nur eine kleine Erkundung wagen, um herauszufinden, wo genau sie gelandet waren. Grimward wuchtete seinen hageren Körper wieder auf das Schiff und blickte sich kurz um. Adriane hatte all ihren Proviant zurückgelassen, wie er erwartet hatte. Also hatte die junge Frau definitiv vor, zurückzukommen. Trotzdem, man konnte nie vorsichtig genug sein, sagte sich Grimward, er jedenfalls traute Adriane ungefähr soweit, wie er sie werfen konnte. Also ging er in die Knie und griff nach seinem Schwert. Es war schon viel zu lange nicht mehr zum Einsatz gekommen, der Barbier war sich sicher, dass er das Meiste verlernt hatte. Auch wenn er im Grunde ein friedliebender Mensch war, so war er doch der Überzeugung, dass regelmäßige Erprobung mit dem Schwert noch keinem geschadet hatte. Der mit schwarzem Leder umwickelte Griff fühlte sich angenehm kühl und rau an und gab Grimward ein lange entbehrtes Gefühl der Selbstsicherheit. Mit einem fast ehrfürchtigen Gefühl fuhr er mit seinen Blicken an der langen, graden Klinge entlang und spürte einen Anflug von Stolz. Schon den Bruchteil einer Sekunde verflog dieser Moment wieder, das Schwert in seiner Hand war wieder das Werkzeug, dass es zuvor gewesen war und mit ihm verbrachte Grimward für gewöhnlich das blutigste und schrecklichste Handwerk, das man sich vorstellen konnte, dieses Schwert hatte schon Menschen getötet, schärfte er sich ein und ließ es hastig in die gegürtete Schwertscheide gleiten. Er warf sich den Köcher mit den Pfeilen über und griff nach seinen treuesten Begleitern, Scorpio, dem Dolch, der, für ungeliebte Augen unsichtbar, in einer dafür vorgesehenen Tasche in seinem Wams verschwand und dem geschwärzten Langbogen. All diese Waffen hatte er bereits auf Selerondar benutzt und nun war er mit ihnen im Gepäck zurückgekehrt um ein weiteres Wunder zu vollbringen. Er packte ein paar Vorräte ein und versuchte sich zumindest genau das einzureden.
Einige Minuten vergingen, in denen Grimward, immer unruhiger werdend, auf dem Schiff war und Adrianes Rückkehr erwartete, doch als die Frau immer länger ausblieb, konnte der Barbier das Warten nicht länger ertragen. Es mochte sein, dass Adriane irgendwelchen wilden Tieren über den Weg gelaufen war, oder hinterlistige Attentäter sie abgefangen hatten. Eine tolle Hilfe war er, wartete hier auf dem Kahn, während Adriane Innos weiß was zustieß. Ihn packte die Unrast und erneut schwang er sich über die Reling, diesmal für den Kampf gerüstet. Er konnte im Nachhinein nicht sagen, ob er sein Tempo langsam erhöht hatte, oder sofort in den Sprint übergangen war, er wusste nur, dass er in schnellst möglichster Geschwindigkeit durch das Unterholz brach und sich den Weg in den Wald bahnte. Im dichten Wald war es unbestreitbar unheimlich. Grimward konnte kaum drei Schritt weit sehen, der Regen prasselte auf die Blätter der Bäume und schien in etwa hundertmal so laut zu sein wie zuvor, einige Tiere gaben selbst zu dieser späten Stunde noch Laute von sich. Dann, ganz plötzlich, als hätte jemand am Lautstärkeregler gedreht, wurde es ganz still, der Barbier vernahm auf einmal nur noch das Klopfen seines eigenen Herzens, welches im Achteck zu springen schien.
Unvorhergesehen erhellte ein Blitz die Szenerie, Grimward zuckte zusammen, erfasste am Rand seines Blickfeldes eine schemenhafte Gestalt, dann war der erhellende Moment vorüber, der Donner rollte heran und jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Instinktiv riss er sein Schwert aus der Scheide und wirbelte herum, irgendwo musste die Gestalt sein. Ein zweiter Blitz, wieder die Gestalt, keine fünf Meter von ihm entfernt, der ehemalige Ritter hob das Schwert, nun hatte der… die, wer immer es war ihn auch gesehen, ein schwarzer Schatten sprang auf ihn zu, Grimward riss sein Schwert hoch und Stahl knallte auf Stahl.
„GRIMWARD!“ stieß Adriane aus. Das Schwert, welches gerade noch tonnenschwer auf seinem gelastet hatte, zog sich zurück. Verwirrt blinzelte er in die Dunkelheit und erkannte sie. Adriane. Beinah hätten sie sich gegenseitig umgebracht.
„Verdammt was machst du denn hier“, fluchte die Berelonin, welche als erste die Fassung zurückgewann.
„Ich-“, auf einmal kam er sich unwahrscheinlich dämlich vor. Wahrscheinlich war er genau das. Unsagbar dämlich.
„WAS? Bei allen Göttern du…… Gott, was reg ich mich eigentlich auf“, fauchte Adriane, „Ich wollte bloß Feuerholz sammeln und die Gegend kurz erkunden. Wir können am Waldesrand rasten, da sind wir ein wenig vor Wind und Wetter geschützt.“
„Gut. Hast du genügend Feuerholz für die Nacht?“
„Wohl kaum, am besten ich hole den Proviant, und du suchst noch etwas zusammen, wir treffen uns am Waldrand.“
„Wie ihr befehlt, Majestät“, knurrte Grimward, doch bevor sie etwas Bissiges erwidern konnte, war er schon im Dunkel des Waldes verschwunden.
Einige Minuten später saß die Berelonen Tochter und der ehemalige Ritter am Rande des Waldes und versuchten ein Feuer zu entfachen, gnädiger weise hatte der Regen fast gänzlich aufgehört seinem Tagwerk nachzugehen und außerdem bot ihnen das Dach der Bäume einen gewissen Schutz. Das Holz war zwar nicht ganz trocken und der Qualm biss ziemlich in den Augen, aber nach einigen erfolglosen Versuchen, prasselte ein halbwegs anständiges Feuer und die Beiden packten ihren Teil des Proviants aus und wärmten ihre durchnässten Körper am Feuer. Schließlich, nachdem sie einige Augenblicke bloß schweigend ihren Proviant verzehrt hatten, fasste sich Grimward ein Herz, er musste jetzt wissen, wie genau die Lage Selerondars war. Adriane hatte ihn bislang weitestgehend im Dunkeln darüber gelassen, was in den letzten Jahren falsch gelaufen war, sodass Adriane sich nun dazu auserkoren sah, gegen ihren eigenen Vater zu revoltieren. Auch wusste er nicht, wie die Stimmungslage in der Stadt genau aussah.
„Warum ich?“ begann er das Gespräch.
„Was?“ fragte Adriane, die in Gedanken versunken gewesen war, irritiert.
„Warum hast du mich für deine Sache gewonnen. Es gibt soviele Glücksritter, Söldner und Krieger, die du hättest überzeugen können, einige davon sind deutlich bessere Krieger als ich und ich bin sicher, das jeder unter ihnen dich besser leiden könnte, als ich. Warum ausgerechnet ich.“
Adrianes Züge verhärteten sich bei den letzten Worten Grimwards deutlich und sie erwiderte kühl:
„Keiner von ihnen bringt eine… ganz besondere Qualität mit sich. Denn keiner von ihnen hat in der Schlacht gegen die Orks mitgewirkt. Du, Grimward, bist in deiner Abwesenheit zu einer Art Volksheld geworden, genau wie dein Freund Dansard, den ich im Übrigen um einiges lieber mitgenommen hätte, als dich. Die Leute werden dir folgen, sie werden tun, was du für richtig hältst.“
Und ich werde tun, was du für richtig hältst, vollendete Grimward in Gedanken und funkelte Adriane zum Zeichen das er durchaus verstanden hatte, wütend an.
„Hör zu“, sagte die Berelonin in versöhnlichem Tonfall, „Die Lage ist ähnlich wie zu Zeit der Thundils. Der Großteil des Volkes wird sich erheben, wenn sie sehen, dass du auf meiner Seite bist. Es wird schnell gehen und ich werde Ordnung nach Selerondar bringen. Wenn du willst, kannst du für immer hier bleiben, du wirst alles bekommen, ein Haus, ein Stück Land, was immer du willst.“
Grimward ließ sich nicht anmerken wie sehr ihn dieses Angebot reizte und fragte lediglich: „Eine letzte Frage, bevor ich mich hinlege. Warum stellst du dich gegen deinen eigenen Vater, warum ausgerechnet jetzt? Du hast doch auch vor anderthalb Jahren für ihn gekämpft, er war schon damals ein Schwächling.“
„Du verstehst das nicht, vor anderthalb Jahren ging es uns blendend, wenn man es mit heute vergleicht. Flüchtlinge aus Myrtana haben Selerondar überschwemmt, der Wohlstand der Stadt ist dahin, ohne eine starke Hand sind wir verloren. Mein Vater…“, Adriane brach ab und starrte einige Augenblicke schweigend ins Feuer, „Mein Vater, er hat sich nicht zu seinem besten verändert in letzter Zeit, er trinkt zu viel, er isst nicht, er frisst, die Geschicke der Stadt sind ihm letztlich gleich.“
Und nun fühlst du dich berufen ihm von seinem Leid zu befreien, wie rührend, hätte Grimward sagen können. Dies und ein dutzend anderer spitzer Bemerkungen lag ihm auf der Zunge, doch er schluckte sie widerwillig hinunter und ließ seinen Worten Taten folgen, indem er sich zu der länge nach austreckte und in seinen Mantel gehüllt, einschlief.
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Das Licht trübe Licht eines hereinbrechenden, doch wolkenverhangenen Tages, weckte Grimward aus seinem unruhigen Träumen. Einige Minuten genoss er noch die Schlafwärme, in seinen leicht feuchten Mantel gehüllt, hielt er die Augen geschlossen und ließ seine Gedanken in unverfänglichen Bahnen gleiten, ohne irgendwelche wichtigen Themen zu streifen. Er lauschte lediglich dem rauschen des Meeres, welches nur wenige Meter von ihrer Lagerstatt entfernt war. Schließlich befand er, dass er sich nicht den ganzen Tag vor den bedeutenden Abschnitten seines Lebens verstecken, konnte und sich irgendwann der Tatsache stellen musste, dass der neue Morgen bereits angebrochen war. Jetzt, ist so gut wie später, sagte sich der ehemalige Ritter und setzte sich ruckartig auf. Verschlafen rieb er sich die Augen und streckte sich ein wenig, um Blut in alle Gliedmaßen fließen zu lassen. Dann wandte er seinen Blick kurz nach rechts, dann nach links, wie um sich zu vergewissern, dass er nicht von Feinden umstellt war. Die Welt sah aus, als hätte jemand die Farbsättigung ein wenig heruntersetzt. Das Meer war stahlgrau und schwappte gemächlich an den Strand, welcher ebenfalls nicht von leuchtender und goldener Farbe war, sondern eher von einem matschigen graubraun. Einige der kahlen Äste zu seiner linken waren noch nass und die Tropfen schimmerten auf den Zweigen. Tristesse soweit das Auge blickte, grau in grau dominierte an diesem Morgen. Doch zumindest regnete es nicht mehr. Adriane lag noch, zu einem handlichen Paket zusammengerollt, an der erloschenen Feuerstelle und schlief selig. In dieser Haltung sah sie weitaus friedlicher aus, als sie in Wirklichkeit war und Grimward verschloss sich vor dem jähen Anflug von Sympathie. Er erinnerte sich an die kaltblütige Adriane und mit einem Mal fiel es ihm leicht, keine Zuneigung für diese Frau zu empfinden. Noch immer ein wenig verschlafen griff Grimward nach einer der Wasserflaschen und öffnete den metallenen Drehverschluss mit geschickten Fingern. Achtlos fiel der der Deckel zu Boden und er setzte das ebenfalls metallene Mundstück an die Lippen und trank einige große Schlucke Wasser. Mit dem letzten durchspülte er seinen Mund gründlich und spuckte das mittlerweile warm gewordene Wasser in den Sand. Schließlich verschraubte er die Flasche wieder und erhob sich, nicht ohne ein Stück Brot aufzuheben. In einer beiläufigen Bewegung stopfte er sich große Stücke des Brotes in den Mund und verschlang sie regelrecht. Dann begann er die Spuren ihres Lagerfeuers ein wenig zu verwischen, indem er die verbrannten Holzstücke im Wald verteilte und Sand über die Asche streute. Er wusste nicht, ob dies wirklich nötig war, wahrscheinlich war es eine närrische Angewohnheit, aber Grimward mochte nicht darauf verzichten. Man konnte nie wissen, wozu dies gut war.
Als es sich nicht mehr vermeiden ließ, weil er alles nötige für den Aufbruch getan hatte, weckte er Adriane, indem er einfach zweimal ihren Namen, laut rief, obwohl er nur zwei Schritt von ihr entfernt war.
„Wir sollten aufbrechen“, befand er, als sie ein wenig Wasser getrunken hatte und auf ihren Beinen stand. Adriane nickte bloß und blickte sich um, so als suche sie nach Spuren die sei beseitigen sollte. Als sie nichts fand, hob sie lediglich ihre Waffe, ein kurzes, schlankes Schwert, welches Grimward besser kennen gelernt hatte, als er sich hätte träumen lassen, und ihren Proviant auf und verstaute beides. Dann nickte sie ihm kurz zu und marschierte los.
„Du weißt wo wir sind?“ fragte Grimward, während er den Langbogen vom Rücken nahm und ihn, so wie er es gewohnt war, als Wanderstab benutzte.
„Ja, auf der anderen Seite der Insel. Du kennst diesen Teil nicht, aber es ist in etwa so wie von der Stadt entfernt, wie der Strand, an dem wir das letzte Mal gelandet, sind. Warte nur ab, ein paar hundert Meter in den Wald hinein und wir stoßen auf einen Pfad. Der führt dann nach Selerondar. Keine Sorge“, sagte sie mit einem charmanten Lächeln, welches sie weit netter wirken ließ, als sie war, „ich kenne meine Insel.“
Meine Insel. Grimward entging keineswegs die Betonung auf den Worten. MEINE Insel. Sie musste sich ziemlich sicher sein, dass der Sieg schon so gut wie eingefahren war. Der Ritter fragte sich mehr und mehr, warum sie ihn eigentlich brauchte. Doch vielleicht spielte sie ihm die siegesgewisse Gewinnerin auch nur vor. Der ehemalige Ritter würde sich selbst ein Bild machen müssen. Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gebracht, tat sich vor ihnen Füßen ein kaum wahrnehmbarer und doch nicht zu leugnender Trampelpfad, der auf verschlungenen Wegen durch den Wald zu führen schien.
„Na bitte“, hörte er Adriane sagen und war sich sicher, dass es nicht allzu lange dauern würde, bis er tatsächlich die Gelegenheit bekommen würde, sich selbst ein Bild zu machen.
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Schon nach weniger als einer Stunde hatte es wieder begonnen zu regnen, was die Wanderung durch das dicht bewaldete Selerondar, welches durch den noch immer spürbaren Winter, merkwürdig kahl wirkte, nicht gerade angenehmer werden ließ. Klaglos und sich beharrlich anschweigend, setzten das ungleiche Duo seinen Weg fort. Adriane führte den ehemaligen Ritter auf Pfaden, die selbst er, als erfahrener Wanderer und ausgewiesener Freund des Waldes wohl übersehen hatte. Die Trampelfpfade waren die meiste Zeit kaum erkennbar, so als ob schon lange niemand mehr auf ihnen gelaufen wäre und verzweigten sich häufig. Die Wälder wirkten seltsam leblos und irgendwie… surreal, während ihrer Wanderung trafen sie auf kein einziges Tier und auch der Zusammenstoß mit anderen Wanderern oder gar Strauchdieben, blieb ihnen erspart. Im Grunde war dies eine erfreuliche Nachricht, schärfte sich der Barbier immer wieder ein. Doch all seine guten Vorsätze änderten nichts daran, dass ihn die nicht vorhandene Geräuschkulisse und das ausbleiben von jeglichem Kontakt mit Lebewesen, abschreckte. Auch auf Flüsse oder Bäche trafen sie nicht, sodass Grimwards Feldflasche schon seit geraumer Zeit leer war und eine unangenehme Trockenheit in seinem Mund zu spüren war, als Adriane unerwartet stehen blieb. Der Tag war schon ziemlich weit fortgeschritten und hätte die Sonne geschienen, dann wäre sie wahrscheinlich nur noch drei, vielleicht vier Stunden zu erspähen gewesen, bevor sie sich weit genug um die Erde gedreht hatte, um zu verschwinden.
„Was ist los“, fragte Grimward, der beinahe auf Adriane aufgelaufen wäre und stützte sich auf seinen Bogen. Man merkte es ihm vielleicht nicht an, aber er war schon Mal besser in Form gewesen und der lange Marsch hatte ihn doch mehr ermüdet, als er selbst zugegeben hätte.
„Wir sind fast da“, bekundete Adriane, ohne sich nach ihm umzuwenden.
„Warum bleibst du dann stehen?“ erkundigte sich der Bogenschütze mit gespielter Freundlichkeit in seiner Stimme, mit der er versuchte seine Ungeduld zu übertönen.
„Was denkst du eigentlich was in meinem Kopf vorgeht. Bist du der Meinung, dass ich so eine schöne farbige Karte von Selerondar im Gedächtnis habe, auf der sich zwei rote Kreuze, welche uns darstellen, bewegen. Ich muss mich auch orientieren. Einen momentlang dachte ich, wir wären an der Stadt vorbeigezogen, ohne sie zu bemerken!“ gab Adriane unwirsch zurück.
„Aber?“
„Nichts aber. Wir sind auf dem richtigen Weg, ich wird es dir beweisen, los, durch diese kleine Baumgruppe hier“, dirigierte Adriane und Grimward folgte ihr raschen Schrittes. Tatsächlich mussten sie nur zwei dutzend Schritte zurücklegen, als sich der Wald vor ihnen ziemlich schnell lichtete und den Blick auf die Stadtmauern von Selerondar freigab. Sie waren gar nicht weit entfernt, vielleicht vierhundert Meter. Die Mauern erinnerten Grimward an jene der Hafenstadt Khorinis, auch wenn sie vielleicht einen Meter niedriger waren. Die Spuren der Schlacht von vor über einem Jahr waren noch immer nicht vollständig ausgebessert worden. Grimward erkannte die untrügerischen schwarzen Streifen die brennendes Pech hinterließ und an der einen oder anderen Stelle war ein Stein aus der Mauer gebrochen. Eine einzige Fackel markierte einen einsamen Wachtposten auf der Mauer, der sich hin und wieder ein paar Meter auf der Mauer bewegte, sie jedoch schwerlich erspähen konnte, da sie in ihren dunklen Kleidern auf diese Entfernung mit dem Wald verschmelzen mussten. Doch ein Tor oder sonst ein Einlass in die Stadt war nirgendwo zu erkennen. Grimward wandte den Blick zu beiden Seiten, doch sein erster Eindruck trog ihn nicht.
„Wir müssen und jetzt rechts oder links halten ganz wie es dir beliebt, noch ein kleines Stück, dann müssten wir das Eingangstor sehen. Wir müssen die Stadt zur Hälfte umrunden, wie du vielleicht noch weißt hat Selerondar nur einen Eingang. Wir sind genau auf der anderen Seite der Stadt.“
Grimward nickte und wartete nicht darauf, das Adriane wieder los ging, sondern wählte eine der beiden Möglichkeiten(er ging die rechte Route) und vertraute darauf, dass die Berelonin, welche ihm klaglos folgte, Recht behielt und beide Richtungen ans Ziel führten. Während dem letzten Abschnitt ihrer Wanderungen, warf Grimward immer wieder Blicke zur Mauer, er wusste noch immer nicht genau wie es um Adrianes Beliebtheit im Volke stand, aber wenn es zum schlimmsten Falle, einer Belagerung der Stadt kam, wollte er wissen, wie gut die Stadt darauf vorbereitet war. Der erste Eindruck des Ritters war durchweg zwiespältig. Er wusste nicht ob er sich über die laxen Sicherheitsvorkehrungen, die unregelmäßigen Wachfeuer und die nur notdürftig ausgebesserten Schäden der letzten Schlacht ärgern sollte. Oder ob er darin einen möglichen Vorteil sehen sollte. Wahrscheinlich, erinnerte er sich, war es müßig, darüber nachzudenken, denn laut Adriane war das ganze doch ein Kinderspiel. Maningers Position war geschwächt, Adriane eindeutig die willensstärkere Person und das Volk von Selerondar glich dem Volk in anderen Ländern aufs Haar. In der breiten Masse, war es ein leicht zu manipulierender, selbstgerechter Mob. Außerdem war Maninger nie besonders beliebt gewesen, die meisten Einwohner der Stadt hatten sich vor nicht allzu langer Zeit auch auf die Seite Eremors gestellt. Grimward wusste, dass er vielen Menschen mit diesen Gedanken unrecht tat, doch seine Erfahrung hatte ihn eins gelehrt. Es war besser zunächst das schlechteste im Menschen zu vermuten.
Schließlich erreichten sie den gepflasterten Pfad, der einstmals völlig unbeschädigt, mittlerweile ziemlich zertrampelt, zum Tor der Stadt führte. Sie änderten ihre Route und hielten nun direkt auf das Stadttor zu. Dieses, so erkannte Grimward, war weit weniger stümperhaft repariert worden, als der Rest der Mauer. Selbst auf einige Meter Entfernung, erkannte er die metalleneren spitzen eines Fallgatters, welches die altertümlichen hölzernen Torflügel ersetzte, welche bei der Belagerung durch die Orks eingesetzt worden waren. Momentan war das Fallgatter natürlich oben und nur die metallenen Spitzen waren erkennbar, aber Grimward konnte sich ausmalen, wie lange es dauern würde, wie viele Männer es kosten würde, ein solides Metallgatter zu durchbrechen. Er hoffte inständig, dass dies nicht nötig sein würde. Zwei behelmte Wachen in den traditionellen blau-weiß gefärbten Uniformen Selerondars, welche bedrohlich wirkende Hellebarden trugen, vertraten ihnen den Weg. Doch als sie Adriane erkannten wichen sie zur Seite.
„Grüße, Wachmänner“, meinte Adriane huldvoll.
„Grüße, Mylady“, gab eine der Wachen zurück, doch die andere brummte irgendetwas, was eindeutig abfällig klang. Adriane blieb wie vom Donner gerührt stehen und auch Grimward, der seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen hatte, sodass ihn die Wachleute nicht erkennen konnten, hielt inne.
„Nimm deinen Helm ab und lass mich dein unverschämtes Gesicht sehen, Wache!“ forderte die Berelonin schneidend.
Ohne zu zögern öffnete der Wachmann seinen ledernen Kinnriemen und nahm den Helm ab, sodass sein barhäuptiger Kopf zum Vorschein kam. Der Mann war für einen Gardisten schon recht alt, doch er wirkte gleichzeitig noch rüstig und kräftig. Grimward konnte den Gedanken, ihn irgendwoher zu kennen nicht abschütteln. Kein Wunder, wahrscheinlich hatten sei schon Seit an Seit gefochten und vielleicht gemeinsam einen Ork erschlagen.
„Was hast du vorzubringen, dass du mir den Gruß verweigerst?“ fragte Adriane und ihre Stimme klang scharf, wie ein frisch geschliffenes Schwert.
„Am liebsten würd ich euch den Zutritt zur Stadt verwehren. Das hab ich vorzubringen. Du unverschämtes Gör, wie kannst du deinem Vater die Treue versagen. Dabei warst du ein so hinreißendes Kind. Was ist bloß aus dir geworden, eine heuchlerische Intrigantin“, knurrte der Gardist unwillig und seine tiefe, raue Stimme klang wie ein Reibeisen.
„Ich verbiete mir solche Anschuldigungen, du kannst froh sein, dass ich dich nicht zum Richter schleife.“
„Ihr könnt gar nicht glauben wie egal mir das is, Mylady“ brummte der Wachmann und blickte sie offen an, „Für Maninger haben wir unser Leben gegeben, für Selerondar. Meinetwegen für Eremor, vielleicht sogar für diese ausländischen Ritter, aber ganz sicher nicht für euch.“
„Ich fürchte mit dieser Meinung stehst du ziemlich alleine da“, bemerkte Adriane, mittlerweile ziemlich genervt und wollte sich abwenden.
„Und wer seit ihr überhaupt, ihr neuer Liebhaber“, fragte der Wachmann und Grimward war klar, dass er gemeint war. Er hörte noch Adriane nach Luft schnappen, sprachlos angesichts dieser neuerlichen Respektlosigkeit, doch Grimward wandte sich bloß wieder um und ging zwei Schritte rückwärts, sodass er wieder auf einer Höhe mit dem Wachmann war und mit einer lässigen Handbewegung, die Selbstsicherheit ausstrahlen sollte, warf er die Kapuze in den Nacken.
„Ich denke… das trifft es nicht ganz“, ließ der Barbier verlauten und er sah wie sich in den Augen des rebellischen Wächters viele Emotionen gleichzeitig trafen. Scham, Freude, Aufregung, Hoffnung und ein kleiner Rest der vorangegangen Wut. Auch sein Kamerad staunte nicht schlecht und er konnte einen überraschten Laut durch das metallene Visier vernehmen.
„Ihr seit dieser Ritter… Grimward. Bei Innos… ich, vergebt meine Unverschämtheit. Ich… wo ist euer Gefährte, ich meine… ich…“, stotterte der glatzköpfige doch rauschbärtige Wächter, schließlich hielt er inne und sammelte sich ein wenig, „vielleicht erinnert ihr euch noch an mich, ihr und euer Freund habt meine Leute und mich damals aus dem Gefängnis befreit. Seit ihr gekommen um diesen Wahnsinn ein Ende zu bereiten?“
„Diesem Wahnsinn“, widerholte Grimward versonnen.
„Ihr werdet Maninger doch helfen, nicht wahr. Sein Anspruch auf den Statthalterthron ist zweifelsfrei und dieses ungezogene Kind weiß nicht, was sie ihrem Vater schuldig ist. Aber…“, er unterbrach sich, „Nein. Ihr seid nicht gekommen um Maninger zu helfen…“, plötzlich verhärteten sich die Züge des Mannes und Grimward konnte dabei zusehen, wie sich eine Kluft zu ihm auftat, wie er vom Freund zum Feind wurde, „Sonst würdet ihr sicher nicht so einträchtig mit ihrer Lordschaft herumlaufen. Ihr steht auf Adrianes Seite“, die letzte Worte murmelte er sich in den Bart und dann, ohne noch etwas zu sagen, setzte er den Helm auf und orderte:
„Weitergehen, wenn ich bitten darf, ihr blockiert das Tor!“
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Die Stadt hatte sich seit Grimwards letztem Besuch verändert und zwar nicht zum besseren. Der Barbier hatte noch ungewöhnlich klare Bilder der Zustände im Kopf. Denn Selerondar war, als er und Dansard angekommen waren, eine ausnehmend wohlhabende Stadt gewesen. Der ehemalige Ritter erinnerte sich noch genau an die säuberlich gekehrten Gassen, den belebten, doch nicht überfüllten Marktplatz, welcher direkt hinter dem Eingangstor lag und die größtenteils wohlgenährt und gut gekleideten Bürger, die keine größeren Sorgen kannten, als des Nachbarns störende Hauskatze. Nach Aufstand der Thundils und dem Angriff der Orks, hatte es um den Gemütszustand der Menschen natürlich ein wenig anders ausgesehen, doch die Stadt selbst, war bis auf das Rathaus und gewisse Gefängniszellen ziemlich unbeschädigt geblieben. Denn schließlich hatten die tapferen Gardisten Selerondars es geschafft, den Vormarsch der Grünfelle zu stoppen, bevor diese weitreichende Verwüstungen in der Stadt anrichten konnten. Trotzdem war das Bild, welches die Stadt abgab, nun weit weniger beeindruckend, als noch vor anderthalb Jahren. Der Marktplatz war zwar gut gefüllt wie eh und je, doch Grimward entging nicht die ziemlich ausgedienten Kleider und die verhärmten Gesichter der Menschen. Auch einige der einstmals wohl gepflegten Häuser wirkten ein wenig… heruntergekommen war falsch. Noch waren sie gut in Schuss, doch man sah ihnen an, dass der Zahn der Zeit und mangelnde Pflege an ihnen zu nagen begann. Hier und da war eine Fensterscheibe gesprungen und nicht ersetzt, oder nur notdürftig mit Brettern verschlagen worden, ein wenig Dreck kroch langsam aber sicher die Hauswände hoch. Der Verfall dieser Stadt hatte erst begonnen, doch Grimward konnte sich ausmalen, wohin dieser Trend führen mochte Der Barbier zog die Kapuze wieder tiefer ins Gesicht und schloss zu Adriane auf. Er wollte kein Aufsehen erregen wund war sich ziemlich sicher, dass die meisten Menschen ihn erkenn würden, wenn sie sein Gesicht sahen. Eigentlich war sogar sein geschwärzter Langbogen aufällig genug, doch bis dato schien sich noch kein Bürger Gedanken um ihn gemacht zu haben. Einige grüßten Adriane, die meisten jedoch gingen, die Köpfe gesenkt, ihrem Tagwerk nach, stur und beinahe leblos, ignorierten sie das Geschehen um sich herum.
„Was genau hast du jetzt vor“, raunte Grimward seiner Gefährtin zu, die, hin und wieder ein gekünsteltes Lächeln aufsetzen, kräftig ausschritt und offenbar genau wusste, wo sie hinwollte.
„Zu meinem Vater, ins Rathaus.“
„Wie bitte?“ Grimward blieb einfach stehen und zwang so auch Adriane zum innehalten, „Was versprichst du dir denn bitteschön von dieser Aktion?“
„Vielleicht lässt sich Maninger ja doch noch überzeugen, wenn du mit ihm sprichst zum Beispiel“, erwiderte die Berelonin schlau.
Grimward war, gelinde gesagt, nicht gerade begeistert: „Ich hatte nie einen besonders guten Draht zu Vätern die von ihren Töchtern verraten werden“, erklärte er trocken, „Können wir nicht gleich in das Gasthaus gehen. Du kannst deinen Vater doch alleine besuchen.“
„Unsinn. Grimward, du bist die letzte Hoffnung auf eine friedliche Lösung, die letze Chance diesen Konflikt beizulegen, bevor ein Aufstand daraus wird.“
„Ich soll deinen Vater zum Abdanken bewegen? Nein“, weigerte sich Grimward und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Also schön“, keifte Adriane und stampfte, gänzlich undamenhaft, mit dem Fuß auf, „Dann komm halt bloß mit und sag einfach nichts dazu. Aufjedenfall werden wir jetzt zu meinem Vater gehen.“
Grimward war noch immer nicht begeistert von dieser Vorstellung, doch er widersprach nicht länger, vielleicht war es ja tatsächlich möglich, dass seine bloße Anwesenheit sich positiv auf das Verhältnis zwischen dem Statthalter und seiner Tochter auswirkte, auch wenn er diese vage Hoffnung ernsthaft bezweifelte.
Ergeben folgte er also Adriane und schon bald erreichten sie das Rathaus. Dies war gänzlich aus dunklem Stein und mit Abstand das größte Gebäude in der Stadt. Vier Gardisten bewachten die beiden großen, runderneuerten, hölzernen Torflügel.
„Lady Adriane“, grüßte einer der Gardisten frostig, als er die Frau und ihren Begleiter entdeckte.
„Wache“, erwiderte Adriane gewohnt knapp und arrogant und schritt durch das Tor, ohne das die Wächter anstalten machten sie aufzuhalten. Doch Grimward fragte sich langsam aber sicher, wo Adriane Rückhalt in der Bevölkerung zu finden gedachte. Zumindest die Gardisten machten mehrheitlich nicht den Eindruck, als würden sie sich beim ersten Anflug von Ärger von Maninger abwenden und seine Tochter unterstützen. Im Gegenteil, sie schienen der Tochter mit offener oder zumindest verhohlener Feindseligkeit gegenüber zu stehen. Zumindest in diesem Punkt hatte Adriane nichts als die Wahrheit gesagt, jeder in Selerondar wusste um die angespannte Lage zwischen den beiden Berelonen, doch der Barbier konnte nicht einschätzen, ob die Stadt mehrheitlich hinter der jungen Frau stand, so wie diese behauptet hatte. Andererseits erinnerte sich Grimward daran, dass auch zu Zeiten Eremros die Gardisten weitestgehend zu Maninger gestanden hatten und ihm diese Unterstützung auch nicht sonderlich viel genutzt hatte.
Hintereinander gehend betraten sie die große Eingangshalle des Rathauses, die wieder prunkvoll hergerichtet worden war, die Wände strotzen nur so vor Gemälden, Wandteppichen und die Statur des Paladin in voller Rüstung war wieder aufgestellt worden. Ganz am Ende des Ganges saß Maninger und beugte sich über seinen Schreibtisch, scheinbar ohne von ihnen Notiz zu nehmen. Grimward schluckte vernehmlich und machte sich, direkt hinter Adriane gehend, auf den langen Weg zu Maninger.
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Der Berelone blickte nicht von seinem Schreibtisch auf, obwohl die Schritte der beiden Neuankömmlinge eigentlich deutlich vernehmbar waren. Vielleicht wusste er, dass nur seine Tochter einfach grußlos hereinspazieren konnte, ohne von den Wachen angekündigt zu werden, überlegte Grimward. Während sie auf den Statthalter zugingen, bestaunte Grimward die Wandgemälde und Wandbehänge, die im Vergleich zu seinem letzten Besuch noch prunkvoller daherkamen. Offenbar hatte Maninger es nicht für nötig befunden, einen Sparkurs, der an seine eigene Annehmlichkeiten ging, zu fahren.
Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken, schoss es dem Barbier durch den Kopf und er musste unbewusst Grinsen, angesichts der Bauernweisheit, die ihm gerade in diesem Moment in den Sinn gekommen war. Schließlich standen sie vor dem Tisch des Statthalters, welcher noch immer nicht von seinen Papieren aufgesehen hatte und Adriane räusperte sich. Erst jetzt sah der Berelone auf und schien ehrlich überrascht, Menschen in seinem Zimmer, welches am Ende des Ganges lag, zu sehen. Doch schon einen Augenblick nachdem er Adriane erkannt hatte, verdunkelte sich sein Blick und seine Augen verschlossen sich vor der Welt. Grimward war im Türrahmen stehen geblieben und druckste verlegen im Hintergrund herum. Er hätte sich einfach weigern sollen, mit Adriane zu ihrem Vater zu gehen war eine dumme Idee gewesen, immerhin war er so etwas wie ihr Feind. In Maningers Fall war es besser, ihn nicht näher zu kennen, denn der Barbier hatte den dringenden Verdacht, dass es ihm unmöglich gemacht hätte, gegen den Statthalter zu kämpfen. Ganz einfach, weil er sich ziemlich sicher war, dass ihm der Berelone dann leid getan hätte. Maninger wäre sicher kein schlechter Tischler geworden oder Bäcker, oder Schmied. Aber man konnte regelrecht sehen, wie er unter der Last der Verantwortung dahinwelkte. Er sah schlechter aus, als noch vor anderthalb Jahren. Schon damals war er ein älterer Mann gewesen, der ein bisschen zu einer pummeligen Figur neigte, doch jetzt? Maninger hatte sichtlich Mühe seine ganze Leibesfülle auf den Stuhl zu zwängen, seine Haut wirkte teigig und blass, so als hätte er die Sonne schon einige Zeit zu lange nicht gesehen und seine Augen waren wässrig und seltsam leblos, als starre er zu lange im Dunkeln auf Papiere.
„Adriane, e ist eine Freude dich zu sehen", begrüßte er sie förmlich, doch seine Stimme sprach eine ganz eigene Sprache. Bittere Enttäuschung und nur mühsam unterdrückte Wut brachen sich in jeder Silbe bahn.
„Vater, die Freude ist ganz auf meiner Seite", erwiderte Adriane, nicht weniger frostig und formell.
„Was willst du hier?" fragte Maninger, der Grimward offenbar noch gar nicht bemerkt hatte und nach den Begrüßungsfloskeln gleich zur Sache kam.
„Mit dir reden...", setzte Adriane an, doch ihr Vater schnitt ihr grob das Wort ab.
„Mit mir reden, so so, jetzt willst du mit mir reden. Mit mir reden", wiederholte er noch einmal und seine Stimme überschlug sich theatralisch und Maninger erhob sich schwerfällig, sodass er Adriane um einiges überragte und für einen Moment erinnerte seine Haltung tatsächlich mehr an einen tadelnden Vater, als an einen in die Enge getriebenen Statthalter, "Es gibt nichts mehr zu reden, du hast mein Vertrauen missbraucht, du hast mich hintergangen und ich weiß ganz genau was du planst. Du willst mich der Macht berauben und dich selbst auf den Thron des Statthalters setzten. Prinzipiell gehört diese Insel dem König, doch du und ich, wir beide wissen, der Statthalter ist der wahre König Selerondars. Oder die Königin", fügte er bitter hinzu und ließ sich schwerfällig in seinen Stuhl zurückfallen.
„Wer zum Henker ist das?" fragte er dann, als er endlich Grimward erblickt hatte, „Dein neuer Liebhaber oder wer?“
Was? Warum zum Henker dachten eigentlich alle Leute, das der Barbier Adrianes neuer Liebhaber war. Wenn er Zeit dazu fand, würde der Barbier diesem Geheimnis auf den Grund gehen müssen, doch bevor er diesen unberechtigten Vorwurf zurückweisen konnte, hatte Adriane ihn schon vorgestellt.
„Mitnichten, ihr beide kennt euch schon gut, also muss ich Grimward nicht weiter vorstellen, denke ich“, meinte die Berelonin und machte einen spöttischen Diener in die Richtung des ehemaligen Ritters, welcher die Kapuze zurückzog, sodass Maninger sein Gesicht sehen konnte. Der Statthalter war mehr als überrascht, seine Kinnlade klappte herunter und aus seinem Doppelkinn wurde ein Dreifachkinn, in seinen Augen blitze einen Moment lang Freude auf, bis ihm klar wurde, in wessen Begleitung Grimward gekommen war und was dies zu bedeuten hatte. Das lief alles gar nicht, wie er es gewollt hatte. Eigentlich hatte er sich im Hintergrund aufhalten wollen, doch Adriane machte es ihm unmöglich sich diskret aus der Affäre zu ziehen, jetzt hieß es Farbe bekennen. Just in dem Augenblick in dem er das dachte, wurde ihm auch klar, dass die Berelonin genau diese Reaktion erhofft hatte und sich wahrscheinlich genau in diesem Moment ins Fäustchen lachte.
„Eure Treue hat sie sich auch gesichert“, sprach er an Grimward gewandt und sah ihm dabei fest in die Augen, offenbar in der Hoffnung genau das Gegenteil dort zu entdecken. Tatsächlich schien er sich geradezu zu wünschen, dass der Schütze nun sein Schwert packte und die aufsässige Tochter und alle die auf ihrer Seite standen zu Beliar jagte, so wie er auch die Orks zu Beliar gejagt hatte.
„Meine Treue gilt Selerondar und ich fürchte ich bin zu dem Schluss gekommen, dass einiges im Argen liegt“, antwortete der Barbier und er wusste, dass seine Aussage nicht nur anmaßend klang.
„Ach hört mir auf mit diesen Förmlichkeiten, ihr habt euch auch gegen Eremor gestellt.“
„Ich stelle mich nicht gegen euch.“
„Ihr stellt euch auf Adrianes Seite. Wo ist euer Freund? Wartet er draußen, ich will ihn sprechen “
„Aber diese Seite kann auch die deine sein“, warf die Berelonin ein, „Ein paar Zugeständnisse… einige Kompromisse…“
„Niemals!“ schnappte Maninger, „Du wirst mich beerben, wie es Sitte ist, aber ich werde nicht vor meiner eigenen Tochter knien. Fahr zur Hölle du und ihr auch Sir, schickt mir euren Freund“, rief er, mit untypisch dröhnender Stimme und deutete mit seinem Finger auf die Tür.
„Wenn das dein Wunsch ist“, sagte Grimwards Begleiterin kühl und wandte sich zu Tür. Der ehemalige Ritter folgte ihr auf dem Fuße, ohne eine Bemerkung über Dansard zu machen und gemeinsam verließen sie das Rathaus. Draußen angekommen, atmete Adriane einmal tief ein und dann wieder aus.
„Stell jetzt bitte keine Fragen… du gehst einfach zum Gasthaus, das du und Dansard damals bewohnt haben und dann... sag dem Wirt einfach, dass du ein Zimmer willst. Du wirst merken, dass die meisten Leute dir aufgrund deiner Taten Tür und Tor öffnen werden. Du musst nichts zahlen. Wir hören voneinander, ich muss mich jetzt mit ein paar Leuten treffen.“
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Das Licht der hereinbrechenden Morgens, ließ Grimward sanft aus seinen Träumen erwachen. Wenn er bei seinem Besuch auf Selerondar eins gelernt hatte, dann war es, dass Zimmer nicht zu sehr zu verdunkeln, da es sonst leicht geschehen konnte, dass man die Tage komplett verschlief. Sein Schachzug tat offensichtlich Wirkung, den ein Strahl hellen Lichts fiel genau auf sein Bett und weckte ihn. Dieser Strahl ließ auch vermuten, dass das Wetter besser wurde, als in den letzten Tagen, dachte der Barbier und wunderte sich über die fast kindliche Freude, die er bei diesem Gedanken empfand. Er konnte sich nicht helfen, aber die Welt sah beinahe farblos und veregnet, doch deutlich düsterer aus, als an einem solchen, sonnendurchfluteten Morgen. Grimward erhob sich seufzend und blickte sich im Zimmer um. Das Gasthaus hatte nichts von seiner einsteigen Pracht und Behaglichkeit verloren. Auch dieses, Einzelzimmer, war mit einigen Möbel bestückt, eine fremdartige Pflanze stand auf dem Tisch, neben den Resten des vorzüglichen Abendbrots. Die Sonne fiel durch ein poliertees und makelloses Fenster, welches, wie der ehemalige Ritter wusste, sündhaft teuer gewesen sein musste. Er trat zu eben diesem Fenster und öffnete es, um die frische Morgenluft einzulassen, ein Blick auf die Stadt verriet ihm, dass es doch schon ein wenig später war, als er gedacht hatte. Der Morgen war schon einige Stunden erwacht. Doch der ehmaligen Ritter störte sich nicht daran, ein langer, erholsamer Schlaf in einem bequemen Bett, war etwas, dass er schon zu lange nicht mehr genossen hatte. Adriane hatte nicht gelogen, seine bloße Vergangenheit auf dieser Insel, hatte den Wirt, der immer noch derselbe war, dazu bewogen, ihm kostenlos ein Zimmer zur Verfügung zu stellen. Lediglich das Essen musste er bezahlen, hatte der Wirt mit einem fast verschämten Blick erzählt. Die Zeiten seien nun einmal hart auf Selerondar. Grimward war diese Freundlichkeit nicht nur beinahe peinlich gewesen, er war es nicht gewohnt, dass ihm irgendjemand mit Respekt, Freundlichkeit oder gar Verehrung gegenübertrat. Denn auch wenn die Leute auf dieser Insel es nicht wussten, er war schon lange kein Ritter mehr. Nun wollte er in den Schankraum und dort auf Adriane oder sonst irgendeine Informationsquelle warten. Irgendjemand musste ihm erklären, wie es weitergehen sollte.
Er schlüpfte in seine Kleider und gürtete auch sein Schwert und schwang seinen Bogen über, man wusste ja nie. Schließlich stieß er, voll gerüstet, die Tür seines Zimmers auf und trat hinaus. Sein Gemach befand sich im oberen Stockwerk und der ehemalige Ritter musste, um in den Schankraum zu gelangen, eine kurze knorrige Treppe hinab steigen. Letzlich war er unten angekommen und blickte sich um. Wie zu erwarten, war der Schankraum zu dieser frühen Tageszeit völlig leer. Die Tische waren, säuberlich angeordnet, verwaist und statt des üblichen Lärms, herrschte ziemliche Stille. Lediglich der Wirt war schon erwacht und beschäftigte sich gerade damit, einige Teile seines Bestecks zu polieren. Als er Schritte auf der Treppe hörte, hielt er jedoch inne und blickte erwartungsvoll hinüber, als er Grimward sah, zauberte er schnell ein Lächeln auf sein Gesicht, was ihn nicht unbedingt hübscher werden ließ, wie der Barbier registrierte.
„Sir Grimward, ich hoffen ihr hattet eine angeneheme Nachtruhe", grüßte der Wirt.
„Hört schon auf mich Sir zu nennen", winkte er ab und fuhr fort, "Aber gut geschlafen habe ich, ja.“
Grimward setzte sich an einen der herrenlosen Tische und bestellte quer durch den Schankraum ein komplettes Frühstück. Sofort begann der Wirt zu werkeln und Grimward konnte ihn nach seiner Frau rufen hören, welche in der Küche arbeitete. Was nun? Fragte er sich. Schließlich, dass Frühstück stand mittlerweile vor ihm und er hatte bereits die ersten Happen des vorzüglichen Mahls genossen, beschloss er einfach im Schankraum darauf zu warten, dass Adriane ihn aufsuchte, immerhin hatte sie ihm versprochen, dass sie ihn aufsuchen würde. Also lehnte er sich zurück und harrte der Dinge, die da kommen mochten.
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Als Adriane das Gasthaus, welches noch immer völlig frei von anderen Besuchern war, betrat, war es bereits Mittag. Grimward hatte den ganzen Vormittag damit verbracht, auf die Berelonin zu warten und sich in der Zwischenzeit hin und wieder einen Becher Wein kommen lassen, ohne sich jedoch schon betrinken. Zumindest diesen inneren Beliar hatte er besiegt, den zwanghaften Konsum von Alkohol war er, mangels zugriff auf Bier oder andere alkoholische Getränke, in einer schmerzhaften Prozedur los geworden. Der Barbier wunderte sich, dass niemand hier in der Schenke war, immerhin ein, oder zwei reiche Paare, die gemeinsam ein Mahl zu sich nahmen, hatte er erwartet. Doch auf eine Nachfrage, hatte der Wirt, welcher wie Grimward erfahren hatte, Mekon hieß, bloß geantwortet, dass dies zurzeit nicht üblich sei. Der frühere Soldat, konnte sich durchaus denken, was diese Aussage in Wahrheit bedeutete. Der Geldbeute der Menschen war nicht so gut gefüllt, wie noch vor kurzer Zeit, die Geschäfte in diesem Gasthaus schienen nicht mehr allzu gut zu laufen und dies lag sicherlich nicht an der Qualität der Zimmer oder der Speisen. Als die junge Frau die Tür aufstieß, stellte der Wirt ihm gerade ein deftiges Mittagsmahl hin. Dieses bestand aus einem guten, goldbraun gebratenen Stück Fleisch, in duftender Soße und einigen dazugehörigen Kartoffeln. Der Bogenschütze langte herzhaft zu, denn er hatte gehörigen Hunger und das Essen duftete verführerisch, Adriane würde das sicher verstehen. Die Berelonin hielt direkt auf ihn zu, zog sich einen Stuhl herüber, nickte knapp zum Wirt und setzte sich Grimward gegenüber.
„Mundet die fremde Küche“ fragten Adriane spöttisch und Grimward konnte spüren, dass sie seine nicht unbedingt geschliffenen Tischmanieren beäugte. Er sah nicht von seinem Mahl auf, sonder zuckte lediglich mit den Schultern.
„Ein gebratenes Stück Scavengerkeule, schmeckt mir an jedem Ort der Welt gleich gut. Es sei denn es ist nicht anständig gebraten, aber das trifft hier nicht zu."
„Naja, wie dem auch sei Grimward, sieh zu das du hier fertig wirst, in ein paar Augenblicken werden einige wichtige Leute hier hereinkommen und wir beide werden einige ernste Gespräche zu führen haben. Ich hoffe ich kann auf dich zählen. Ich kann jetzt keinen Loyalitätskonflikt gebrauchen."
Grimward runzelte verärgert die Stirn, das passte ihm überhaupt nicht, was nicht zuletzt daran lag, dass er den köstlichen Braten würde hinunterschlingen müssen.
„Was für Leute?" fragte er knapp und nahm einen großen bissen des Bratens.
„Ach... bist du denn so blind. Natürlich die wichtigsten Bürgerlichen. Männer mit Einfluss auf die Stimmung im Volk. Um genau zu sein, der oberste bürgerliche Richter, zwei Vertreter der Handwerkergilden und, das ist das wichtigste, der Hauptmann der Garde Selerondars."
Grimward erstickte an seinem, ohnehin schon großen, Stück Fleisch.
„Wie bitte?" schmatzte er. Der Barbier hatte die Treue der Garde zu Maninger bis jetzt für ziemlich unerschütterlich gehalten. Sicher es gab einige Querulanten, die auch auf Eremors Seite gekämpft hatten und sich jetzt wahrscheinlich auch Adriane anschließen würden, aber der Hauptmann der Stadtgarde? Damit hatte er wirklich nicht gerechnet und der selbstzufriedene Ausdruck auf Adrianes Gesicht bestätigte ihn noch zusätzlich. Auch der Berlonin war bewusst, dass sie mit diesem Mann einen großen Wurf landen konnte. Grimward verspeiste hastig die Reste seines Mittagessens und versicherte Adriane zähneknirschend, dass sie... wie sagte sie so schön, auf ihn zählen konnte. Der Barbier hieß nicht gut, was sie tat, doch er sah den drohenden Verfall Selerondars und er redete sich zumindest ein, für diese Menschen eine gewisse Verantwortung zu haben. Er hatte nicht so viel Schweiß und Blut in diese Insel gesteckt, nur um sie in den Händen eines weltfremden, der Aufgabe nicht gewachsenen, Mannes verkrüppeln zu lassen. Seine Aversion gegen Adriane spielte keine Rolle, rief er sich immer wieder in Erinnerung und er hatte es sich gerade wohl zum hundertsten Male eingeschärft, da öffnete sich die Tür der Schänke und vier Männer hintereinander ein. Das mussten sie sein, denn Adrianes Haltung veränderte sich sofort, sie saß kerzengerade auf ihrem Stuhl, dann erhob sie sich und ging den vier Männern entgegen. Mekon, der Wirt, blickte zunächst zur Tür, dann zu Grimward herüber.
„Verschwinde hier", formte der ehemalige Ritter lautlos mit den Lippen und wedelte mit den Armen. Mekon verstand und verzog sich in die Küche.
Adriane hatte unterdessen die vier Männer begrüßt und deutete nun auf den Tisch, an dem Grimward saß. Der Barbier ließ schnell den Teller verschwinden, als keiner hinsah, indem er ihn einfach auf einen Tisch stellte und musterte die vier Neuankömmlinge.
Alle waren sie Männer mittleren Alters in ziemlich teuer wirkenden Kleidern. Er glaubte den Richter unter ihnen erkennen zu können, ein recht kleiner Mann mit Halbglatze und Vollbart, der eine safranfarbene Robe trug. Der Hauptmann der Garde war offenbar in Zivilkleidung erschienen, denn keiner der Männer trug eine blau-weiße Uniform. Grimward erhob sich höflich und schüttelte jedem die Hand, wobei er sich jedes Mal vorstellte. Die Männer erwiderten seine Vorstellung und der Barbier hatte sich nicht getäuscht. Der gelb gekleidete war tatsächlich der Richter, seine Name war Rethorn. Ein großer, bärbeißiger Typ stellte sich als Hulden, Hauptmann der Garde Selerondars vor, Grimward kannte ihn flüchtig, und die beiden Vertreter der Handwerker hießen Nagon und Meldor. Nachdem sie sich alle miteinander bekannt gemacht hatten, setzten sie sich und einer der Männer rief nach dem Wirt, den Grimward weggeschickt hatte. Mekon kam umgehend aus der Küche und nahm die Bestellung auf, welche lediglich einige Krüge Wein beinhaltete. Kaum einen Augenblick später stand die Bestellung auch schon auf dem Tisch und der Wirt nahm die Anweisungen, niemanden in seine Taverne zu lassen, die er von Rethorn bezog, schweigend zur Kenntnis.
„Meine Herren, kommen wir gleich zur Sache, ihr alle wisst, warum ich euch zu mir gerufen habe, ich brauche eure Unterstützung, gegen meinen eigenen Vater, der unsere Stadt zusehends in den Untergang führt. Ich plane schon morgen eine Rebellion in den Straßen vonstatten gehen zu lassen, wenn ich auf eure Unterstützung zählen kann“, eröffnete Adriane das Gespräch und Grimward musste ihr lassen, dass sie Schneid hatte. Es war ziemlich riskant, ein solches vorhaben vor dem Hauptmann der Stadtgarde und dem obersten Richter offen zu äußeren. Es konnte leicht dazu führen, dass man eingebuchtet wurde oder schlimmeres passierte, denn immerhin war Maninger immer noch, der rechtmäßige Statthalter von Selerondar und verfügte über so ziemlich alle Rechte.
„Wie stellt ihr euch das vor“, fragte Nagon.
„Das Bedarf keiner größeren Planung, wenn Grimward und ihr auf meiner Seite seit, wird das Volk von Selerondar sich nicht auf die Seite von Maninger, diesem Schwächling stellen, wenn wir es dazu auffordern“, erklärte Adriane kalt.
„Ich darf doch sehr bitten“, fuhr sie der Richter an, „Er ist der Statthalter von Selerondar und zugleich euer Vater!“
„Und doch sitzt ihr hier und beteiligt euch an den Verhandlungen zu seinem Sturz“, warf Grimward bissig ein. Die Scheinheiligkeit Rethorns ließ Aggressivität in ungeahnten Mengen in ihm hochsteigen. Der Richter warf ihm einen beleidigten Blick zu, sagte jedoch nichts dazu. Adriane funkelte Grimward wütend an, doch er starrte bloß angriffslustig zurück.
„Sir Grimward, wir alle wissen… das ihr ein Mann von Ehre seit. Wenn ich ehrlich sein soll, wäre ich wohl kaum gekommen, wenn ihr nicht auf der Seite Adrianes stehen würdet“, sprach der Hauptmann der Garde an den Barbier gewandt, der sich aufgrund der, beinahe ehrfürchtigen Ansprache ein unwilliges Schnauben verkneifen musste. Mann von Ehre, so hatte ihn lange Zeit keiner mehr genannt.
„Aber wir alle müssen eine harte Entscheidung treffen“, fuhr Meldor fort, „Die Leute in Selerondar interessieren sich nur am Rande dafür, welches Geschlecht jetzt über sie regiert und ob der Statthalter etwas taugt, hängt in ihren Augen nicht davon ab, ob er als Statthalter geboren wurde, oder ob er dieses Privileg… auf anderen Wegen errungen hat.“
Grimward nickte, „Meine Herren wir sind nicht hier, um mich zu überzeugen, ich bin auf Adrianes Seite. Ich frage mich lediglich, wie es sein kann, dass es Eremor möglich war, die Kontrolle in der Stadt an sich zu reißen, ohne ein solches Gespräch zu führen.“
Betretene Stille trat einen Moment ein, dann erklärte Rethorn ihm die Lage: „Nur, weil ihr nicht davon wisst, heißt es nicht, dass es dieses Gespräch nicht gegeben hat. Meldor, Nagon und ich saßen vor anderthalb Jahren in eben jener Schänke und habe mit Eremor verhandelt. Lediglich Hulden ist neu in dieser Runde, er war nicht dazu bereit mit Eremor zu verhandeln.“
„Was soll das heißen, verhandeln?“ fragte Grimward ärgerlich, es klang als wollten sie um eine Kuh feilschen.
„Die Bedingungen, unserer Unterstützung“, meinte Nagon und die anderen nickten zustimmend.
„Bedingungen“, wiederholte Grimward unwillig, „Also schön…
So begannen die Gespräche und Verhandlungen, die vier wichtigsten Bürgerlichen forderten weitreichende Zugeständnisse Adrianes, welche natürlich zunächst nicht darauf einging und darauf hinwies, dass sie es notfalls auch ohne die Mithilfe dieser Vier zu schaffen gedachte. Eine geschlagene Stunde feilschten Adriane mit ihnen und Grimward kam sich ziemlich Elend vor. Das Schicksal eines gesamten Volkes lag, einem Kartenspiel nicht unähnlich auf dem Tisch und die Beteiligten pokerten nun darum. Schließlich und endlich wurden sie sich einig und Grimward schreckte aus seiner grüblerischen Trance hoch.
„So sei es denn“, erklärte Adriane seufzten, „Nach der erfolgreichen Revolte werde ich den Thron der Statthalterin besetzten und die vier Anwesenden Bürgerlichen zu meinen wichtigsten Beratern ausrufen. Der bisherige Statthalter Maninger wird, als Verräter am eigenen Volke, hingerichtet.
„WAS?“ warf Grimward geschockt ein, damit hatte er nicht gerechnet, diese Kaltblütigkeit hätte er nicht einmal Adriane zugetraut. Er war stets davon ausgegangen, dass Maninger ins Exil gehen musste oder schlimmstenfalls eingekerkert wurde.
„Ja selbstverständlich, wir schneiden die alten Zöpfe ab und er ist der Erste und wichtigste, mich schmerzt es, dass sagen zu müssen“, behauptete Adriane kühl und die Bürgerlichen schienen ihr zu Glauben, doch der Barbier durchschaute sie sofort. Es kratzte sie kein bisschen mehr, sie hatte diesen Entschluss schon lange getroffen und sich damit abgefunden. Grimward wollte aufbegehren, am liebsten wollte er aufstehen und weggehen oder noch besser, er wollte das ganze Gespräch rückgängig machen. Doch dann rief er sich zur Ordnung… es gab noch eine andere Möglichkeit. Eine verrückte, vielleicht gerade deshalb verlockende Möglichkeit, er entschied sich in sekundenschnelle dafür, diese Option zu ziehen.
„Also schön, aber es gefällt mir nicht“, murrte er, um den Schein der Machtlosigkeit aufrecht zu erhalten.
„Ich sage nicht das es dir gefallen soll, ich sage nur, dass es geschehen wird. Dann ist es also beschlossene Sache. Wir werden morgen einen Aufstand anzetteln, indem wir die Bevölkerung zum Aufstand gegen Maninger aufrufen.“
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„Lasst mich durch", befahl Grimward den Torwachen. Diese erkannten ihn, ganz anders als noch gestern, als ihn seine Kapuze vor allzu neugierigen Blicken geschützt hatte und ließen ihn passieren. Er spürte ein paar neugierige Blicke im Rücken, doch sie stellten nicht einmal Fragen oder versuchten seine Beweggründe herauszufinden. Wenn er dieses Rathaus betreten würde, um Maninger zu ermorden, dann wäre es ihm sicherlich ein leichtes. Es war schon erstaunlich, wie viel Respekt ihm die Leute entgegenbrachten und im Grunde auch irgendwie ungerecht. Im Grunde hätte man den Gardisten den gleichen Respekt zu Teil werden lassen müssen, wie ihm selbst, immerhin hatten sie, genau wie Grimward, die Stadt mit ihrem Leben verteidigt um im Gegensatz zu ihm, hatten sie viele Angehörige und Freunde verloren. Er selbst hatte nichts geopfert um Selerondar zu retten, auch wenn er sich natürlich in Lebensgefahr begeben hatte und ihn die Kämpfe viel Anstrengung gekostet hatten, war sein Aufwand im Grunde doch kleiner als der, jedes Gardisten in der Stadt. Der Barbier fragte sich, warum die Leute sich diese, eigentlich leicht zu begreifenden Zusammenhänge, nicht vergegenwärtigen konnten. Denn selbst die Garde Selerondars, die eigentlich neidvoll hätte reagieren müssen, trat ihm mit einer Art ehrfürchtigem Respekt gegenüber, den er sonst noch nie erlebt hatte. Wahrscheinlich lag es daran, überlegt er, während er durch den langen Gang auf Maningers Büro zuschritt, dass Dansard und er von Khorinis nach Selerondar gekommen waren, gerade als die Katastrophe passierte. Deshalb brachten die Leute auf der Insel natürlich immer die beiden Fremdländer in den Zusammenhang mit diesen Geschehnissen. Außerdem blieb Grimward jegliche Abnutzung seines Heldenstatus erspart. Da die Menschen auf Selerondar ihn nicht im Alltag erlebte und bis auf einige wenige, seine Schwächen gar nicht kannten, blieb lediglich das Bild eines strahlenden Recken hängen, während der Heldenstatus der Gardisten sich sehr schnell abgenutzt hatte, da jeder in seinem normalen Leben mit Unzulänglichkeiten zu kämpfen hatte. Ungerechterweise, dachte Grimward, werden die meisten unter ihnen viel bessere Kerle sein als ich. Die Welt war eben ungerecht, folgerte der ehemalige Ritter düster und klopfte an diesmal verschlossene Türe des Statthalterbüros.
„Wer da?" keifte Maninger unfreundlich.
„Grimward, ich möchte euch sprechen", erklärte er und klopfte erneut an die Tür. Diese war aus solidem, dunklen Holz und offenbar sehr gut im Türrahmen verankert. Diese Türe war neu, offenbar hatte Maninger seit der letzten Rebellion doch ein wenig dazu gelernt, wenn schon seine Wachen nicht, dann zumindest er. Einen Moment lang herrschte Stille auf der anderen Seite, Maninger schien zu überlegen, ob er den Ritter, der sich scheinbar mit seiner Tochter verbündet hatte, einlassen sollte. Schließlich hörte Grimward schwere, langsame Schritte, die sich der Tür näherten. Ein Schlüssel drehte sich knarzend im Schloss und die Türe schwang nach innen auf. Grimward konnte jedoch nicht eintreten, denn der massige Körper Maningers, der fast genauso groß war, wie der Barbier, welcher wiederum kaum durch den Türrahmen passte, vertrat ihm den Weg.
„Was wollt ihr, geht weg, schmiedet Ränke mit meiner verräterischen Tochter, macht was ihr wollt, aber lasst mich einen letzten Tag lang in Frieden. Ihr könnt das Rathaus morgen begutachten, wenn ihr es euch genommen habt.“
„Bitte… lasst uns darüber reden, es gibt noch Vernunft auf dieser Insel. Ganz in Ruhe darüber reden“, bat Grimward.
Einen momentlang rang Maninger mit sich, der Bogenschütze konnte sehen, wie es in seinem Gesicht arbeitete, seine Stirn zog sich kraus und glättete sich wieder, seine Augen schienen durch ihn hindurch zu blicken, dann jedoch gab er seine ablehnende Haltung auf und gab den Weg frei. Erleichtert trat Grimward ein, zumindest die erste Hürde hatte er genommen. Maninger hatte sich bereits wieder in den Stuhl hinter seinem Schreibtisch fallen lassen und wies mit einer nachlässigen Handbewegung auf die Stühle vor dem Schreibtisch. Der Barbier kam der Aufforderung sich zu setzten nach.
„Ich frage euch noch einmal, was wollt ihr“, bohrte Maninger, fernab von jeder Höflichkeit oder gar Freundlichkeit.
„Ihr wisst genau, dass ich am Wohlergehen der Insel interessiert bin, ihr konntet mir doch auch vor anderthalb Jahren vertrauen. Warum nicht auch jetzt?“
„Vertrauen euch? Ich kann meiner eigenen Tochter nicht mehr vertrauen“, meinte er bitter und aus seinen Augen sprach die Trauer nur zu deutlich Bände. Grimward wusste nicht was er darauf erwidern sollte, Maninger war ein Mann mit gebrochenem Herzen, am besten war es wahrscheinlich, wenn er gar nicht weiter darauf einging, sondern seinen ursprünglichen Weg fortsetzte.
„Wie dem auch sei“, baute er unbeholfen eine Brücke, „Ich habe gerade einem Gespräch beigewohnt. Ihr irrt euch nicht, eure Tochter empfindet, fürchte ich, den starken Wunsch, das sich etwas in Selerondar ändert und plant einen Umsturz. Aber das wusstet ihr ja schon. Was ich sagen will, ist, dass dieser Umsturz schon sehr bald geschehen wird. Morgen und, verzeiht mir wenn ich so offen bin, mit meiner Unterstützung hat sie mehr als genug Männer hinter sich, um euch aus Amt und Würden zu entheben. Mehr als genug“, widerholte Grimward eindringlich.
„Und? Worauf wollt ihr hinaus, dies alles kann ich mir selber denken. Egal was die Leute euch sagen, Sir, ich bin kein Schwachkopf“, behauptete Maninger schneidend und tatsächlich wirkte er in diesem Moment weitaus herrschaftlicher als zuvor. Doch der Moment verflog schneller, als er gekommen war und unter Grimwards Antwort schien der Statthalter regelrecht zusammenzubrechen.
„Mylord, eure Garde wird sich gegen euch stellen, zumindest ein erquicklicher Teil, der Hauptmann der Garde hat sich auf Adrianes Seite geschlagen. Sie werden euch töten, befürchte ich, bitte, nehmt heute noch einmal Kontakt zu eurer Tochter herum, ihr seid diesem Thron doch nie gewachsen gewesen. Stellt euch eurer Niederlage mannhaft und man wird euch in besserer Erinnerung behalten. Ich appelliere an eure Vernunft, verschließt euch nicht vor dem unvermeidlichen.“
„Ich…“, der Statthalter schien zu einem Häuflein Elend zusammengeschrumpft zu sein… welches plötzlich explodierte. Eine pochende Ader bildete sich auf seiner Stirn, sein Kopf verfärbte sich rot und er brüllte:
„RAUS! RAUS! RAUS AUS MEINEM BÜRO! Verschwinde du verdammter, heuchlerischer Mistkerl. Bevor ich die Wache rufen lassen. Aber nein“, er schnappte nach Luft und fuchtelte mit den Armen herum, „Die gehorchen euch ja auch schon was. Also was ist, wollt ihr es nicht gleich beenden? Los! Nur zu. Aber ich werde mich keinesfalls ergeben, merkt euch das ein für alle Mal“, schrie er und deutete nun unmissverständlich auf die Tür. Der ehemalige Ritter reckte wütend das Kinn und stolzierte hinaus. Als er wieder draußen war, trat er wütend nach einer herumliegenden Kiste und ignorierte die fragenden Blicke der Passanten. Sollte Maninger bleiben wo der Pfeffer wächst. Grimward würde jedenfalls kein schlechtes Gewissen haben, wenn er den Aufstand morgen anführte. Ganz sicher nicht, sagte er sich, ganz sicher nicht. Mit rauchendem Kopf ging er zurück ins Gasthaus und stürmte hinauf in sein Zimmer, wo er sich für den Rest des Abends einschloss.
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„Grimward, wach gefälligst auf“, drang eine unangenehm laute Stimme in seine Träume und der Ritter schlug die Augen auf. Er lag unter der behaglich warmen Decke, in dem geradezu unverschämt bequemen Bett und blickte zur Decke. Heute war der Tag, der Tag an dem sich das Volk erheben sollte. Erheben gegen Maninger, jenen Statthalter den er noch vor nicht allzu langer Zeit, gegen eben jenes Volk verteidigt hatte. Die Welt war schon verrückt. Adriane und er hatten, gemeinsam mit Dansard, den größten Anteil daran, dass Maninger überhaupt noch auf dem Thron des Statthalters saß. Nun waren sie drauf und dran ihn aus eben jenem Amt zu entheben. Wahrscheinlich, so überlegte Grimward, hatte die Berelonin schon damals genau diese Schritte geplant. Adriane war eine verdammt durchtriebene und machtgierige Frau, der Barbier konnte nicht umhin, dies festzustellen. Aber gleichzeitig war er überzeugt, dass sie für Selerondar nur das beste im Sinn hatte, wenn sie selbst nicht allzu schlecht dabei weg kam. Sicher, auch Maninger hatte nur das beste im Sinn, doch er war den Aufgaben eines Statthalters ganz sicher nicht gewachsen, er hatte nicht nur eine, sondern gleich zwei Möglichkeiten gehabt, das Gegenteil unter Beweis zu stellen und beide Male war er offenbar kläglich gescheitert, wenn sich nun sogar seine eigene Garde gegen ihn stellte, sagte sich Grmward, dann musste er wirklich unfähig sein. Er selbst hatte doch gestern alles versucht um Maninger wenigstens die Peinlichkeiten eines zweiten Putches zu ersparen, doch dieser verbohrte alte Mann hatte sich quergestellt. Nein, beruhigte er sich, er stand auf der richtigen Seite, selbst wenn dies bedeutete, dass Maninger vors Gericht kam und zum Tode verurteilt würde. Er gähnte herzhaft und streckte sich.
„Ich... ich kommen gleich", ließ er Adriane wissen, die scheinbar drauf und dran war, die Tür einzuschlagen.
„Beeil dich, heute ist ein großer Tag, du darfst ihn nicht einfach verschlafen", schnauzte Adriane unwirsch und der ehemalige Ritter wusste, dass er gut beraten war, sich schleunigst zu erheben, wenn er die Berelonin nicht weiter verägern wollte. Also entstieg er seufzend seiner Lagerstatt, öffnete das Fenster und atmete die frische Morgenluft. Der Tag war grau und wolkenverhangen, doch immerhin regnete es noch nicht. Zumindest ein gutes Omen, redete sich der Barbier ein.
Nur wenige Augenblicke später, Grimward stand mittlerweile fertig gerüstet im Schankraum, seine Waffen hingen im Gürtel oder über seiner Schulter und er blickte sich erwartungsvoll um. Nur der Wirt war im Schankraum.
„Mekon, wo ist Lady Adriane?“ fragte er.
„Sie sagte sie kommt gleich wieder, ihr sollt hier auf sie warten“, gab der Wirt wieder und auf einen kurzen Wink Grimwards hin, begann er ein Frühstück zuzubereiten. Der einstmalige Ritter ließ sich an einem der Tische nieder und wartete auf Adriane. Tatsächlich ließ sich die junge Berelonin viel Zeit. Er hatte genug Zeit, das gesamte Frühstück zu verspeise und er beeilte sich nicht einmal damit. Ihm war es im Grund Recht, ein gefüllter Magen war eine gute Grundlage für einen erfolgreichen Tag. Doch als er schließlich aufgegessen hatte, begann er sich zu Fragen, warum Adriane ihn überhaupt geweckt hatte und darauf bestanden hatte, dass er sich beeilte, wenn sie doch offensichtlich alle Zeit der Welt hatte. Gerade als er begann sich ernsthaft über die junge Frau zu ärgern, öffnete sich Tür zum Schankraum und die hübsche Berelonin trat ein, erkannte Grimward und trat zu ihm herüber. Schließlich saß sie ihm gegenüber und er fragte unwillig:
„Was gab es denn noch wichtiges, ich hab hier ne ganze Weile gewartet?“
„Ich habe mit Nagon und Meldor gesprochen du erinnerst dich die beiden waren die…“
„…Vertreter der Handwerker und Händler, ja, ich leide nicht unter Gedächtnisschwund, weiter“, fiel Grimward ihr ins Wort und Adriane zog eine beleidigte Grimasse, fuhr jedoch sogleich fort:
„Richtig, mit den beiden habe ich gesprochen. Sie tun jetzt in der ganzen Stadt kund, dass es am Marktplatz besondere Angebote und günstige Preise gibt. Sie sprechen sich mit ihren wichtigsten Vertrauten ab und halten die Menschen so bei der Stange, bis der Großteil der Bevölkerung von der Aktion wind bekommen hat. In diesen Zeiten, in denen alles fast doppelt so teuer ist, wie früher, da werden die Menschen den Händlern die Bude einrennen“, erklärte Adriane mit einem freudigen Grinsen und sie schien zu erwarten, dass auch Grimward sich freute, doch der Bogenschütze erkannte nicht, was daran so toll sein wird.
„Und weiter?“
„Man“, stöhnte Adriane, „Wie ich sehe leidest du zwar nicht unter Gedächtnisschwund, aber dafür unter anderen schwerwiegenden Problemen. Also hör zu“, setzte sie an und Grimward überhörte die Beleidigung, die sie eingebaut hatte, geflissentlich, „Wenn sich ein Großteil der Bevölkerung eingefunden hat, werden Nagon, Meldor und ihre Kollegen erklären, dass die Aktion überraschend beendet werdne müsse, da Maninger plane, eine Sondersteuer zu erheben, die es unmöglich mache, die Ware so billig zu verkaufen. Der Mob wird toben, just in diesem Moment, kommen wir beide ins Spiel. Wir schnappen uns irgendetwas, auf das wir uns stellen können und verschaffen uns Gehör, dann sollte es reichen, drei, vier einfache Sätze ans Volk und gegen Maninger zu richten, der sich nicht verteidigen kann, da er ja im Rathaus über seinen Akten sitzt. Das Volk wird völlig außer Rand und Band geraten und wir werden diese Kraft bündeln und gegen das Rathaus richten.“
Grimward nickte bedächtig, Adrianes Plan war ebenso hinterhältig wie gut, er war sich ziemlich sicher, dass er funktionieren würde. Um der Berelonin ein paar Gewissensbisse zu bereiten, sagte er jedoch:
„Hat Eremor nicht genau das gleiche getan, haben wir ihn nicht dafür verurteilt?“
Adriane zog lediglich die Augenbrauen hoch und bestellte sich einen Becher Wein, die Frage ließ sie unbeantwortet, was jedoch, wie Grimward sehr genau wusste, Antwort genug war.
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Unruhig tigerte Grimward auf und ab, das ganze dauerte ihm zu lange, es hatten sich doch mittlerweile mehr als genug Menschen auf dem Marktplatz eingefunden und wie Adriane prophezeit hatte, trampelten sie sich beinahe gegenseitig platt um die günstigen Angebote nutzen zu können. Wenn sie noch länger warteten, so befürchtete er, könnte es durchaus passieren, dass die ersten wieder nach Hause gingen. Sie mussten die Menge nutzen, jetzt nutzen, doch wann gab Adriane endlich das Zeichen. Die ganze Zeit beobachteten sie das Treiben von einer Ecke des Marktplatzes und jedesmal wenn Grimward sich erkundigte, verneinte sie lediglich knapp und erklärte, dass die Zeit noch nicht gekommen war. Dieses närrische Weib hatte ja keine Ahnung, am Ende machte sie sich noch ihren Vorteil zu Nichte, einfach weil sie noch mehr Sicherheit, noch mehr Stärke wollte. Sicher, ein paar Nachzügler strömten noch auf den Platz und bis jetzt war Adrianes Rechnung aufgegangen, doch Grimward fragte sich langsam, ob sie nicht doch noch auf etwas anderes warteten.
„Adriane-", setzte er wieder an, doch die Berelonin schnitt ihm mit einer herrischen Geste das Wort ab.
„Jetz gib schon Ruhe... Ach, wirst du ja eh nicht. Ich warte auf ein Zeichen von Hulden. Er versammelt fast seine gesamte Garde in der Kaserne, zu einer mehrstündigen Besprechung hinter verschlossenen Türen. Wenn er die ganzen Gardisten eingesammelt hat, gibt mir eine der Torwachen ein Zeichen."
„Was-aber ich dachte er unterstützt uns", fragte Grimward verständnislos.
„Du Holzkopf, ich dachte immer du bist ein Taktiker. Natürlich unterstützt Hulden mich und ein paar Gardisten habe ich auf meine Seite bringen können. hast du nicht gemerkt, dass mein Rückhalt bei der Garde... eher gering ist. Nur der Hauptmann und einige andere stehen auf meiner Seite."
„Folgen die Männer denn nicht ihrem Hauptmann?"
„Gegen ihren hochwohlgeborenen Statthalter? Wohl kaum! Ironischer weise war ihre Treue zu Maninger nie so unerschütterlich, wie nach der Schlacht gegen die Orks. Aus ihnen ist eine richtige Einheit geworden, fast wie in einer kleinen Armee und die meisten folgen einfach dem, was sie kennen“,
„Die ganze Garde ist also gerade in einer wichtigen Besprechung?" Grimward glaubte einen fatalen Schwachpunkt erkannt zu haben. Irgendjemand MUSSTE einfach bemerken, dass sich alle Wachen verkrümelten und neugierige Fragen stellen.
„Natürlich nicht, zum Schein hat Hulden sogar die Wachen am Rathaus verdoppeln lassen, aber das sollte kein Problem sein, also..."
„..Also, nimmst du die Karte einfach aus dem Spiel.", schlussfolgerte Grimward verblüfft. Immer wieder aufs Neue von der Gerissenheit der Berelonin überrascht.
„Aber wird das nicht später Probleme geben?“
„Sicher nicht, einige werden mich verdammen, keiner von ihnen wird mich lieben, aber es sind einfach Menschen, wenn es ihnen unter mir besser geht und das wird der Fall sein, dann werden sie mir auch folgen.
„Ein riskantes Unterfangen“, murmelte der ehemalige Ritter.
Adriane nickte nur und spähte weiterhin über die Menschenmenge hinweg zum Tor, dort herrschte plötzlich Bewegung. Grimward konnte kein bestimmtes Zeichen ausmachen, doch die Berelonin, die das verabredete Zeichen ja auch kannte, nickte plötzlich.
„Grim, die Stunde der Wahrheit ist gekommen... folge mir", orderte Adriane und gemeinsam bahnten sie sich den Weg durch die Menschenmenge.
Sie hielten auf den Stand Nagons zu, wo auf einmal ein großer Tumult ausbrach, der Händler gestikulierte wild und rief etwas. Dann kletterte er auf irgendeine Kiste oder etwas in der Art und formte die Hände zu einem Trichter.
„RUHEEE!! RUHEEEEE! LEUTE VON SELRONDAR; RUHEEE!" brüllte er aus Leibeskräften und einige seiner Kollegen an den Ständen taten es ihm gleich und beruhigten die Menge, die noch immer zu den Ständen drängte um die Schnäppchen zu erhaschen, bevor der garstige Nachbar sie einem vor der Nase wegschnappte. Langsam, ganz langsam und nur zögerlich, trat Ruhe auf dem Platz ein, vereinzelte, letzte Gespräche verstummten und alle starrten hinüber zu Nagon. Auch jegliche Bewegung auf dem Platz war erstorben, lediglich Grimward und Adriane gingen noch immer weiter in Richtung des Standes. Sie mussten ihn erreichen, bevor das gemeine Volk sich in wütende, aber unkontrollierte Häufchen zerstreute und somit nutzlos war, raunte Adriane ihm zu.
„ALLE WAREN, ich widerhole, alle Waren, kosten nun wieder ihren normalen Preis.“
„WAS???“ schrie die Menge verärgert zurück, die Ruhe auf dem Platz war mit einem Schlag fortgewischt, augenblicklich brach ein Tumult aus, diejenigen die die Sachen billig erhalten hatten, waren doch im Vorteil. Was war mit den Anderen. Das war ungerecht. Verdammt ungerecht. Das Volk wollte jetzt einen Schuldigen, noch wandte sich ihre Wut gegen… Gott, die Händler, gegen alles und jeden, doch Grimward und Adriane, die jetzt Nagons Stand erreichten, würden ihnen einen geben. Der Händler nickte ihnen kurz und schrie wieder los:
„Der Statthalter hat eine Sondersteuer auf alle Handelsgüter erlassen, die es uns unmöglich macht, die Dinge zu einem kleineren Preis zu verkaufen, es tut uns wirklich Leid.“
Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer auf dem Platz und aus der unkontrollierten Wut wurde in sekundenschnelle bitterer Hass gegen die Obrigkeit. Jetzt war Adrianes Stunde gekommen, sie sprang blitzschnell auf die Holzkiste, die Nagon freigab und bedeutete Grimward, sich ebenfalls eine erhöhte Position zu suchen. Der Ritter zog schnell einen Schemel herbei, mit dem er sich neben Adriane stellte und schärfte sich ein letztes Mal ein, das dies alles zum Wohle der Insel geschah, alles was jetzt folgte war ein notwendiges Übel um ein weitaus schlimmeres zu verhindern und er schwor sich, die Menschen die er eventuell überzeugen musste, nichts von seinen Zweifeln merken zu lassen, was die Richtigkeit des Planes anging. Adriane hob die Stimme an und begann ihre Brandrede.
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„Volk von Selerondar hört mich an", schrie Adriane und Grimward war erstaunt, wie kraftvoll ihre Stimme mit einem Mal klang. Kraftvoll, lauter als jene von Nagon und seinen Händlerkameraden und vor allem, zu allem entschlossen. Ganz die Stimme einer echten Anführerin, schoss es ihm durch den Kopf, doch das war nun wirklich keine neuer Erkenntnis mehr, realisierte er später. Adriane hatte alles was man brauchte, um eine wahre Anführerin zu sein, außer vielleicht die nötige Portion Menschlichkeit, die ihr Vater offenbar für eine Generation im Voraus veranschlagt hatte. Denn Maninger strotzte geradezu voller Menschlichkeit, was allerdings auch jede Menge menschliche Fehler nach sich zog.
„Hört mich an“, widerholte sie und Grimward sah, dass sie die Aufmerksamkeit der Menge langsam aber sicher auf sich vereinte. Die Berelonin wartete noch einige Augenblicke, dann hob sie erneut an, mittlerweile war es wieder einigermaßen ruhig auf dem unüblich gut gefüllten Platz, nur einige gemurmelten Bemerkungen kamen vom Volk und Grimward spürte, dass viele Blicke auch auf ihm ruhten. Von seiner Anwesenheit hatten die meisten sicherlich erfahren, aber dass er sich jetzt neben Adriane zeigte, sorgte sicherlich für einigen Gesprächsstoff.
„Bürger von Selerondar die Zeit des Wartens ist vorüber. Vor anderthalb Jahren, gab es bereits einen Mann, der die Zeichen der Zeit erkannt hat und erkannte, dass die Stadt auf einen Abgrund zu steuerte. Damals, vor anderthalb Jahren, war ich noch nicht bereit das offensichtliche zu erkennen. Viele von euch, wussten schon damals, dass die Stunde geschlagen hat und in diesem Punkt, ward ihr viel weiser als ich. Jetzt, viele Wochen und Monate später musste ich mir die Frage stellen, was ich vor meinem Gewissen verantworten kann. Einen Verrat an meinem Volk oder einen Verrat an meinem Vater. Ich habe meine Entscheidung getroffen. Das eigene Blut ist nichts wert, wenn man seinen Landsgenossen nicht mehr ins Auge blicken kann. Ihr alle wisst zu gut wovon ich rede. Maninger, mein Vater, hat uns in die Krise manövriert. Unsere Wirtschaft, sie pfeift auf dem letzten Loch und, ihr alles spürt es am eigenen Leibe. Einstmals waren wir ein reiches Volk, doch seit einiger Zeit steuern wir immer weiter auf die Armut zu. Darum sage ich euch, wagt einen neuen Anfang. Hier und jetzt“, Adrianes Stimme steigerte sich noch einmal, sie unterstrich ihre Worte mit druckvollen Gesten und Grimward konnte spüren, dass das Volk an ihren Lippen hing, jeder Geste gebannt folgte, „unter meiner Führung wird es wieder bergauf gehen. Maninger, mein Vater muss weichen, er wird der Verantwortung für das Volk nicht gerecht. Lange genug habt ihr hinter vorgehaltener Hand getuschelt, lang genug sind eure Sorgen unerhört geblieben. Folgt mir in eine bessere Wehrt euch, wehrt euch tapfere Bürger von Selerondar, wehrt euch auch wenn es schmerzt, so wie ihr euch schon damals gewehrt habt. WEHRT EUCH“, wiederholte sie noch lauter und zog ihr Schwert, „Was wir nicht auf friedlichem Wege erreichen können, müssen wir anders bekommen!!“
Die Händler und Handwerker, die sich hinter Adriane versammelt hatten, wussten fast alle schon im Groben von ihren Absichten und brachen in laute Jubelstürme aus. Der Name der Berelonin wurde skandiert und die Stimmung auf dem Marktplatz kippte vollends. Grimward spürte die Wut und die Entbehrungen der letzten anderthalb Jahre, die sich plötzlich als reißender Strom bahn brachen und wie Marionetten an Fäden, taten sie genau das, was Adriane beabsichtigt hatte sie griffen irgendetwas, mit dem man andere verletzten konnte und brüllte ihren Namen. Jene die nicht begeistert schienen, so machte Grimward flüchtig aus, versuchten sich davon zu stehlen, doch es waren nur wenige und die meisten kamen nicht besonders weit oder waren nicht wirklich entschlossen. Die Berelonin hatte die Kraft des Volkes gebündelt, jetzt musste sie den Strahl nur noch loslassen.
„BÜRGER!“ schrie sie wieder, „Ihr seit noch immer genauso weise wie damals. Sehet, welch tapferer Recke sich meinem Zug für die Gerechtigkeit noch angeschlossen hat. Sehet wer noch auf unserer Seite steht und mit dem Volk von Selerondar für Gerechtigkeit eintritt. Sir Grimward, unter vielen bekannt als der Retter unserer schönen Stadt, ist von weit her gereist, um uns erneut zu helfen. Mit ihm an der Spitze, werden wir das Rathaus stürmen“, erläuterte sie und wies auf den ehemaligen Ritter. Der aufgrund dieser gar zu beschönigten und völlig überzogenen Darstellung Mühe hatte, nicht wütend zu werden. Doch nun war Selbstbeherrschung gefragt, Adriane hatte schon immer eine Schwäche für theatralische Auftritte gehabt. Dem gemeinen Volk schien es zu gefallen, den Grimward spürte, dass die Blicke nun fast alle auf ihm ruhten, beinahe gespenstische Stille trat ein, alle schienen darauf zu warten das er etwas tat. Er konnte die Welle vielleicht noch aufhalten, doch stattdessen entfesselte er die Woge endgültig, indem er brüllte:
„Für das Volk von Selerondar“, und sein Schwert ebenfalls zog. Er sprang von der Kiste, auf die Auslage Nagons, von dort auf den Boden und bahnte sich den Weg durch die Menge, die ihm beinahe ehrfürchtig platz machte. Es war… berauschend wie viel Macht er mit einem Schlag besaß, Adriane hatte ihm diese Macht zugeworfen, wie einen besonders spaßigen Spielball, mit dem Volk im Rücken, hätte er in diesem Moment wahrscheinlich sogar selbst nach dem Thron des Statthalters greifen können, wie ihm bei einer späteren Gelegenheit klar wurde. Doch er tat nichts dergleichen, sondern stürmte vorwärts, als er die Spitze des Zuges erreicht hatte und hielt auf das Rathaus zu, denn dort war Maninger den ganzen Tag. In zügigem Tempo durchquerte der Zug die Stadt, mittlerweile war Adriane neben ihm, ebenso Rethorn, der oberste Richter, welcher ein kurzes Schwert trug. Hinter ihnen herrschte ein unglaublicher Lärm, Fenster gingen zu Bruch, doch sie trafen auf keinerlei Widerstand, was nicht weiter verwunderlich war, Adriane hatte den Weg für eine Rebellion perfekt geebnet.
Schon kam das Rathaus in Sichtweite und aus dem zügigen Gang wurde ein Lauf, Grimward preschte vorran, auf die Gardisten zu, die das Tor bewachten. Diese wussten gar nicht wie ihnen geschah, es blieb ihnen gerade noch Zeit genug, sich in das innere des Rathaus zu flüchten, doch die Tür schlossen sie nicht mehr, Grimward stürmte als erster hindurch, einer der blau-weiß gewandeten stellte sich ihm, die Panik im Gesicht stehend, entgegen. Aus vollem Lauf prallte Grimwards Schwert auf das des Gardisten, welcher von der schieren Kraft zu Boden geworfen wurde, das Schwert flog durch die Luft und landete vergessen irgendwo im Rathaus. Den anderen Gardisten ging es nicht besser, sie hatten keine Zeit sich zu ordnen, die meisten wehrten sich nicht einmal richtig, sie ergaben sich einfach. Vielleicht überlebten außer Grimwards Gegner noch einige, der Barbier wusste es nicht. Seine Augen taxierten bereits das verschlossene Büro, während die Menge damit begann das schöne Rathaus zu plündern, hielten er, Rethorn, Adriane und ein paar andere auf die Türe zu.
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Als sie die Hälfte des Weges zurückgelegt hatten, öffnete Maninger die Türe und brüllte hinaus.
„RUHE WENN ICH- bei Innos…“, die letzten beiden Worte konnte Grimward nur erahnen und dann schlug er die Türe auch schon wieder zu. Adriane nickte Rethorn, Grimward und Meldor zu, während Nagon sich damit beschäftigte, die Menge wieder aus dem Rathaus zu bugsieren.
„Mit Maninger wird nun verfahren, wie er es verdient hat“, rief Nagon, „Sir Grimward und der ehrenwehrte Master Meldor werden…., den der oberste Richter Rethorn….. Ich bitte die Bürger aus dem Rathaus zu gehen“, hörte Grimward noch, doch er verstand bloß die Hälfte. Dann standen sie vor der Tür. Das ging alles viel zu leicht, irgendein nennenswerter Widerstand musste doch kommen. Die von innen verriegelt war. Grimward packte sein Langschwert mit beiden Händen und ließ es zweimal auf das massive Holz niedersausen. Er war in dieser Gruppe der Mann fürs grobe, dachte er, fast belustigt. Das Holz barst und splitter taten sich auf, doch die Tür ließ sich nicht einfach aus der Verankerung schlagen. Eine Lösung war schnell gefunden, sie packten die massive Statur eines Heiligen oder was auch immer und benutzten sie als Rammbock. Dem ersten Schlag widerstand die mittlerweile arg mitgenommene Tür noch, dann zerbarst das ein weiteres großes Stück und die Tür fiel rücklings aus dem Rahmen. Grimward betrat als erster das Büro und hätte diese Entscheidung beinahe mit dem Leben bezahlt. Maninger lauerte hinter der Tür und stürzte sich mit einem infernalischen Schrei auf den Lippen, auf den Barbier, der gerade noch Zeit hatte, das Schwert hochzureißen, sodass der Schlag des Statthalters ihm nicht den Schädel spaltete. Seine Waffe wurde ihm aus der Hand geprellt, die Wucht des Schlages schien durch seinen ganzen Arm zu gehen und dieser Vorgang schmerzte höllisch. Aus Angst vor einem weiteren Schlag Maningers, warf er sich zur Seite und entging tatsächlich einem Hieb. Dann waren die anderen auch im Büro und überwältigten den keuchenden Statthalter.
„Lasst mich, ihr Strolche“, schrie Maninger und wehrte sich verbissen, nach Meldor und Rethorn tretend, doch die beiden Bürger waren unerbittlich und schließlich erlahmte die Gegenwehr des Statthalters. Grimward hatte währenddessen sein Schwert wieder aufgelesen und rieb sich den Arm. „Einen harten Schlag hat er schon noch“, murmelte der eheamlige Ritter verwundert vor sich hin und ging zum Türrahmen herüber. Nagon war es tatsächlich gelungen, die Menge aus dem Rathaus zu drängen, welches nun, nachdem es geschätzt zwei Minuten dem Volk ausgeliefert war, so aussah, als sei eine Horde wilder Orks hindurch getrampelt. Die Kunstschätze waren verschwunden oder zerstört, Teppiche hingen in Streifen an der Wand oder lagen auf dem Boden, alles war heillos durcheinander. Anarchie und Chaos wohin das Auge blickte. Grimward wandte sich ab und dem Statthalter, der sich inzwischen ein wenig von seinen Wächtern gelöst hatte, zu. Maninger sah furchtbar aus, verbraucht und mitgenommen. Erst jetzt ergriff Adriane, die sich bis hierhin erstaunlich zurückgehalten hatte, das Wort.
„Vater schön dich zu sehen“, sagte sie mit einem frostigen Lächeln, dass Grimward frösteln ließ.
„Kennst du denn gar keinen Anstand. Habe ich dir nichts gelehrt, Tochter?“ fragte Maninger erschöpft und Grimward glaubte Tränen in seinen Augen schimmern zu sehen, was dazu führte, dass er einen jähen Anflug von Mitleid niederkämpfen musste.
„Ich fürchte das hast du versäumt, du hast mich lediglich gelehrt, dass ich mir alles selbst erarbeiten muss“, behauptete Adriane schneidend.
„Es reicht dir nicht deinen Vater zu stürzen, zu verraten und Schande über ihn zu bringen. Jetzt musst du mich auch noch verspotten“, spie Maninger aus und Grimward konnte nicht umhin, ihm in gewisser Weise recht geben. Warum befahl Adriane ihm nicht, Maninger zu packen und ins Gefängnis zu werfen. Dann wäre diese ganze skurrile Szene ein für alle mal beendet und Grimward könnte wieder nach Hause.
„Also was ist, hast du dich genug an meinem Anblick geweidet, wie wäre es, wenn du deinem ausländischen Handlanger jetzt sagst, er möge mich doch bitte in das tiefste Loch werfen, dass er findet“, fauchte Maninger und er wirkte wie eine in die Enge getriebene Schlange. Der leise Anflug von Mitleid den Grimward empfand, verflog. Der Statthalter hatte nicht mehr Anstand als seine Tochter. Im Gegenteil, er bewegte sich auf einem furchtbar niedrigen Niveau. Sollte er doch zur Hölle fahren, Grimward war drauf und dran ihn einfach ohne Befehl zu packen.
„Ich fürchte…“, seufzte Adriane da, „so einfach kommst du aus dieser Geschichte nicht heraus.“
„Was soll das heißen?“ schnappte Maninger und auch Grimward wandte sich verwundert um. Einmal hatte der alte Mann recht, was sollte das heißen.
„Das soll heißen, dass ich nicht zufällig den obersten Richter von Selerondar mitgenommen habe, du wirst des Hochverrats angeklagt, des Verrates an deinem eigenen Volke. Du als Statthalter weist, was darauf für eine Strafe steht.“
„Tod“, murmelte Rethorn und macht eine betretene Miene, doch Grimward glaubte ein spöttisches blitzen in seinen Augen zu erkennen und auch Meldor wirkte nicht angemessen schockiert.
„Was… Nein! Adriane, was wird hier gespielt. Ihr habt nicht wirklich vor ihn hier und jetzt zum Tode zu verurteilen“, warf der ehemalige Ritter ungläubig ein und seine Blicke wanderten von einem Gesicht zum anderen.
„Aber, aber, wer wird den plötzlich den Moralapostel spielen wollen, du musst doch gewusst haben, dass er nicht weiterleben kann“, erwiderte Adriane und keinerlei Regung zeigte sich in ihrem hübschen Gesicht.
Grimward schüttelte wild den Kopf: „Vielleicht, es hätte sein können, dass er in einem anständigen, langen Prozess zum Tode verurteilt, nachdem alle Pro und Contra Punkte abgewogen worden sind aber nicht so.“
„Mach dich nicht lächerlich“, antwortete Adriane schnippisch, „Dieser Prozess wäre eine Farce geworden, genau wie der den wir jetzt hier durchziehen werden. Richter, verleset die Anklage! Und verkündet zu welchem Urteil das Gericht gekommen ist.“
Tatsächlich besaß Rethorn ein kleines Papier auf das er einige Notizen gekritzelt hatte.
„Der Angeklate, Maninger Berelon, wird beschuldigt durch fahrlässiges Haushalten mit der Schatzkammer des Staates und lotterhaften Lebenstil auf Kosten des States, Verrat an seinem Volke begangen zu haben. Hinzu kommt ein widerholter und langjähriger Amtsmissbrauch. Auf dieses Vergehen steht laut dem Gesetzbuch der Tod. Das Gericht befindet den Beklagten in vollem Maße für schuldig. Der Tod durch den Strick oder Schwert ist unverzüglich zu vollstrecken.“
„NEIN!“ brüllte Grimward erneut. Das konnte nicht wahr sein. Durfte nicht wahr sein. Wie ein gehetztes Tier blickte er sich im Raum um, auf der Suche nach einem der ihm helfen würde. Doch Maninger schien jeden Antrieb verloren zu haben, er saß da, wie ein Häuflein Elend und erwartete sein Schicksal. Adriane und Rethorn machten amtliche Mienen, konnten ihren Hohn jedoch nicht verbergen und Meldor starrte stur ein Gemälde an der Wand ein.
„Keine Einwände?“ fragte Adriane und tat so, als hätte sie Grimward nicht gehört, „Dann erkläre ich das Urteil, als Statthalterin für Rechtsgültig. Meldor…“, sagte sie an den Handwerker gewandt. Der Mann nickte und drückte den Statthalter zu Boden, sodass dieser kniete. Maninger versuchte nicht mehr, sich zu wehren, im Angesicht des Todes bewies er mehr Größe, als im Angesicht seiner weltlichen Aufgaben. Der Statthalter hatte die Augen geschlossen und schien zu beten.
Meldor holte mit seinem Schwert aus und der Stahl beschrieb einen sirrenden Bogen, der auf Maningers Nacken treffen sollte. Doch die Klinge sollte sich nicht hindurchschneiden. Grimward sprang im letzten Moment vor, packte sein Langschwert mit beiden Händen und führte einen Hieb von unten, der mit voller Kraft gegen das Schwert des Henkers krachte. Der Barbier war auf diesen Aufprall vorbereitet gewesen, Meldor ging es anders und er wurde zu Boden geworfen. Trotzdem war der Schlag Meldors mehr, als Grimward verkraften konnte, er zog seinen Arm weg und ließ sein Schwert zu Boden fallen.
„SEIT IHR VON SINNEN?“ brüllte Rethorn und auch Adriane schrie etwas unverständliches, von Meldor kam nur ein dumpfes Stöhnen, aus den Augenwinkeln nahm der Bogenschütze war, dass er sich wieder aufrappelte.
„SEIT IHR VON SINNEN!?“ schrie Grimward aus Leibeskräften zurück und er spürte, dass ihm Tränen über die Augen rannen, Tränen der Wut, „Was ihr macht ist grotesk! Sperrt ihn ein oder macht sonstwas mit ihm. Aber so werdet ihr ihn nicht hinrichten!“
Mit unnatürlicher Schnelligkeit verging die Wut von Adrianes Gesicht und sie hob Grimwards Schwert auf und drückte es ihm in die Hand. Sein Arm schmerzte noch immer und er konnte die Waffe kaum halten, doch viel mehr interessierte ihn, was die Berelonin damit bezwecken wollte.
„Grimward, wir alle wissen um die Dienste… deswegen wirst du nicht gleich mit ihm hingerichtet. Rethorn, Meldor… packt ihn und bringt ihn aus der Stadt.“
Die beiden Handlanger ließen sich nicht zweimal bitten, eh Grimward sich versah, hatten sie ihn gepackt und schleiften ihn durch das Rathaus. Er wehrte sich nach Kräften und dann, kurz bevor sie das Tor erreicht hatten, schlug Meldor ihn einfach zu Boden und alles wurde schwarz….
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Das nächste was Grimward warnahm war eine raue Hand die ihm ins Gesicht schlug. Nicht mit voller Wucht, eher zögerlich, so als ob der Schläger nicht sicher wahr, ob ihn nicht doch ein göttlicher Bannstrahl treffen könnte, oder wenigstens die spitze von Grimwards Schwert.
"Sir...", drang eine Stimme in sein Ohr, er erkannte die Stimme und seine Nackenhaare richteten sich auf. Entsetzt schlug er die Augen auf und kroch rückwärts, weg von Meldor, der sich über ihn gebeugt hatte um ihn zu wecken. Bloß weg von diesem Henker. Der Bürger von Selerondar lächelte, doch es war eine schmerzverzerrte Grimasse.
"Ja, wahrscheinlich habe ich eure Verachtung verdient", murmelte er, mehr an sich selbst gewandt. Der Ritter ging nicht darauf ein, sondern blickte gen Himmel, überall war es stockdunkel, doch er lag unter freiem Himmel, durch einige Äste hindurch, konnte er einen einsamen Stern leuchten sehen. Meldor musste ihn vor die Stadt gebracht haben. Doch wo war der andere... der Richter.
"Wo ist Rethorn?" fragte Grimward, noch immer benommen. Meldor zuckte mit den Schultern.
"Wo sind wir?" bohrte der Barbier und blickte sich um, er war in einem kleinen Waldstück, soviel stand fest, aber in Selerondar war das nichts besonderes, fast die ganze Insel war bewaldet.
"Vor der Stadt, wir haben euch durch die Menschenmenge getragen und ihnen erzählt, Maninger hätte euch niedergeschlagen, daraufhin hätte Adriane ihn getötet. Auch wenn euch das sicher nicht passt, ihr habt der Berelonin ein perfektes Alibi geliefert."
"Maninger ist tot?" widerholte Grimward dumpf, obwohl er es gewusst hatte, war diese endgültige Bestätigung doch ein weiterer Schlag.
"Sie hat ihn erschlagen, noch ehe ihr aus dem Rathaus heraus wart", bekannte der Henker und machte andstandshalber eine halbwegs betretene Miene.
"Mein Beileid, dann seid ihr wohl ein arbeitsloser Henker, wollt ihr mich vielleicht begleiten, ich scheine öfter Leute zu treffen, die dringend einen Kopf kürzer gemacht werden müssten", bemerkte der ehemalige Ritter bissig und seine Stimme troff vor Hass. Meldor ignorierte die Beleidigung und fuhr fort:
"Ihr könnt froh sein, dass ihr so viel für die Insel getan habt, sonst hätte sie euch auch getötet. Aber in ihrer Großzügigkeit, gestattet sie euch die Insel unbeschadet zu verlassen. Aber ich denke ihr solltet nicht versuchen, noch einmal in die Stadt zu gelangen. Ich kenne Adriane, sie lässt kein zweites Mal Gnade walten."
"Besten Dank, du mieser Bastard", fluchte Grimward. Er konnte es einfach nicht fassen. Er hatte dabei geholfen. Nicht nur einen Putsch anzuzetteln, sondern auch noch einen Mord an dem legitimierten Statthalter ermöglicht. Sehenden Auges in das unvermeindliche gerannt. Er hätte es besser wissen müssen, er kannte Adriane gut genug um wissen zu müssen, das dies passieren würde. Außerdem hatte sie nie wirklich einen hehl daraus gemacht, dass er sterben würde. Aber selbst ihr hätte er nicht zugetraut, dass sie ihren Vater einfach so abschlachtete, wie einen dahergelaufenen Strauchdieb, unbewaffnet, völlig wehrlos. Grimward schüttelte den Kopf und rutschte noch ein wenig weiter weg von Meldor.
"Lasst mich eine Frage stellen, warum zum Henker, habt ihr in letzter Sekunde die Seite gewechselt. Euch muss doch klar gewesen sein, dass Adriane das ganze möglichst schnell abwickeln wollte."
"Verschwinde", knurrte Grimward.
"Immerhin ist doch genau das eingetreten, was wir alle wollten, Maninger ist vom Thron gestoßen, die Macht ist auf Adriane übergangen, dafür habt ihr doch auch gekämpft, ich verstehe euch wirklich nicht. Ihr selbst wisst doch, dass es das Beste für das Volk von Selerondar ist."
"Das Beste für das Volk? Die beste Lösung ist eine Mörderin an ihrem eigenen Vater? Armes Selerondar", antwortete der Barbier bitter.
"Aber Maninger wäre doch ohnehin hingerichtet worden."
"Aber auf eine andere Art und Weise!"
"Was spielt das für eine Rolle, tot ist tot", behauptete der Henker.
"HAUT AB! ICH WILL DAS NICHT MEHR HÖREN!" brüllte Grimward und sprang auf.
"Na dann, wenn das alles ist, was ihr zu sagen habt...", sagte er und erhob sich ebenfalls.
"Wie soll ich denn bitte von dieser Insel herunterkommen", erkundigte sich Grimward höflich obowohl seine Stimme vor Wut bebte.
Meldor lachte nur und ging von dannen. Grimward ließ sich wieder auf den Boden sinken und legte sich der Länge nach hin, vielleicht um zu schlafen, vielleicht auch um zu sterben, im Grunde war es ihm egal.
Geändert von Grimward (21.03.2008 um 10:22 Uhr)
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Steine. Winzige, aber vielzählige Steine wurden auf seinen Körper geschleudert. Es schmerzte tierisch und Grimward war außerdem eiskalt, er schlug die Augen auf. Tatsächlich hagelte es, die Steine waren kleine, gefrorene Wassertropfen, die mit großer Geschwindigkeit auf ihn trafen. Der Barbier setzte sich auf, wobei er festestellte, dass seine Gliedmaßen steif gefroren waren und er ziemlich üble Schmerzen litt. Mal wieder hatte er sich närrisch angestellt. Sich ohne Feuer und Decke einfach auf den Boden zu legen und darauf zu warten, dass man einschlief, war in diesen kühlen Monaten, so ziemlich das dümmste, was man überhaupt machen konnte. Im Grunde war es ein Wunder, dass er tatsächlich noch einmal aufgewacht war. Ächzend erhob er sich gänzlich und stand wieder auf durchgefrorenen und ziemlich wackligen Beinen. Er streckte sich und ballte die Hände zur Faust und öffnete sie wieder, eine bewährte Methode um Blut in die Hände laufen zu lassen. Schließlich, nachdem er sich einige Augenblick erwärmt hatte tastete er sich selbst ab, zumindest seine Ausrüstung und sein Geld hatten sie ihm gelassen. Nun versuchte er sich zu orientieren. Was hatte Meldor gesagt, er befand sich kurz vor der Stadt. Das musste ihm erst einmal jemand beweisen. Wer konnte schon wissen, wo sie ihn, ohne Proviant, ausgesetzt hatten. Grimward schlug sich durch das dichte, noch blattlose, Gestrüpp und tatsächlich, er machte nur ein paar Schritte, dann war er auch schon durch den Wald hindurch und vor seinen Augen tat sich die Stadtmauer von Selerondar auf, welche, wie üblich, ein paar Hunder Meter vom Waldstück entfernt lag. Grimward konnte sogar das Stadttor erkennen. Meldor und Rethorn hatten sich keine große Mühe mit ihm gegeben sondern ihn einfach in das nächstliegende Stück Wald gebracht, um ihn vor allzu neugierigen Augen zu schützen. Der Barbier schüttelte versonnen den Kopf. Er war schon ein verdammter Idiot, zum ersten Mal seit einigen Tagen sah er klar. Der Bogenschütze hätte von anfang an erkennen müssen, worauf Adrianes Aufstand hinauslief. Natürlich hatte sie Maninger nicht leben lassen und können und selbstverständlich war sie, gerade sie, skrupelos genug um eine Hinrichtung ihres Vaters möglichst schnell und reibungslos über die Bühne zu bringen. Bevor das Volk sich wieder beruhigen konnte und eventuell gegen eine Hinrichtung war. Er machte sich schwere Vorwürfe, auch wenn die Berelonin auf lange Sich sicher ein besserer Herrscher war und dem Volk von Selerondar vielleicht sogar zu seinem alten Wohlstand verhalf, war es doch so grundlegend falsch, eine Mörderin und Verräterin auf dem Thron sitzen zu haben. Denn de facto war der Statthalter von Selerondar in Wirklichkeit auch der König, beziehungsweise die Königin von Selerondar. Grimward schüttelte erneut den Kopff, er war so furchtbar naiv. In all der Zeit hatte er so verdammt wenig gelernt.
Nun stand eine wichtige Entscheidung an, sollte er zurückgehen, zurück in die Stadt, sollte er versuchen Rache an Adriane zu nehmen, versuchen einen weiteren Aufstand anzuzetteln. Oder wollte er sich abwenden von Selerondar, ein für allemal, für immer. So tun, als wäre er nie hiergewesen, sein Leben so weiterleben, wie er es zuvor getan hatte, elend, aber zumindest ungefährdet. Eine ganze Weile stand er da, die Kapuze über die Haare gezogen, den Reisemantel eng anliegend und betrachtete lediglich die Stadtmauern, trotzte Wind und Wetter, gleich einer Statur. Dann, ganz unbewusst und ohne weiter zu zögern, wandte er sich um und kehrte der verdammten Stadt den Rücken. Ein erneuter Versuch in die Stadt zu gelangen, führte nur zum Tod, Grimward war sich dieser Tatsache die ganze Zeit bewusst gewesen, vielleicht hatte er genau deswegen so lange gezögert. Im Nachhinein konnte er es nicht einmal so genau sagen, denn nachdem er sich einmal dagegen entschieden hatte, war es die natürlichste Sache der Welt, den Weg zurück nicht zu versuchen. Doch trotzdem hatte er sich unheimlich schwer damit getan. Nun jedoch, musste er überlegen, wie er von dieser gottverdammten Insel herunterkam. Was ging ihn das ganze eigentlich noch an? Sollten diese verdammten Inselaffen sich doch um ihren eigenen Dreck kümmern. Er würde Adrianes Schiff nehmen und von Selerondar verschwinden. Auf nimmer Widersehen. Doch dazu musste er diesen Kahn erst einmal finden. Leichter gesagt, als getan, Grimward kannte sich auf Selerondar überhaupt nicht aus, bis heute hatte ihn Adriane immer geführt, oder er war einfach dem Weg gefolgt, der von der Stadt weg, bis zum Strand führte, zu ihrer alten Anlegestelle. Doch das Boot lag diesmal auf der anderen Seite der Insel. Der ehemalige Ritter hatte zwar einen guten Orientierungssinn und wanderte gerne in Wäldern, doch ein Blindflug durch die Wälder Selerondars, war auch ihm zu gefährlich. Also beschloss er, einfach dem Pfad zu folgen, der bis zum Strand führte und die Insel dann am Strand entlang zu umrunden. Es mochte sein, dass dies einige Zeit in Anspruch nahm, vielleicht benötigte er Tage, doch er hatte ja Zeit. Für ihn gab es keine Zukunft, keine Planung und daher auch keine Notwendigkeit sich zu beeilen. Schweren Herzens und schweren Schrittes folgte Grimward dem gepflasterten Pfad, der schon bald in einen der einfachen Trampelpfade überging, die ganz Selerondar zu durchziehen schienen, gleich einem Geflecht von Adern in einem menschlichen Körper. Das wandern auf den etwas matsichen Pfaden war normalerweise nicht besonders angenehm, doch Grimward störte sich nicht weiter daran, sondern hing seinen trübseeligen und wütenden Gedanken nach und verfluchte sich alle paar Augenblicke selbst, nichts würde etwas daran ändern, dass er einer Mörderin auf den Thron verholfen hatte.
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Der Abend dämmerte mittlerweile herein, Grimward war die ganze Zeit lang über die Insel gewandert und erreichte gegen Abend den Rand des Waldes. Der Hagel hatte erst vor etwa einer halben Stunden aufgehört und in den Mittagstunden auch hin und wieder kleinere Pausen eingelegt, sodass die Hagelkörner geschmolzen waren und den Waldboden aufgeweicht hatten. Grimwards gesamte Umgebung glich, trotz den vielen Bäumen die zumindest einen Teil der Hagelkörner auffingen, einem einzigen großen Sumpf. Das marschieren fiel ihm deutlich schwerer, als noch vor einigen Tagen, selbst auf dem Pfad ging es deutlich langsamer voran, da er mit jedem Schritt im Modder zu versinken schien und es auf Dauer ziemlich kraftraubend war, sich auf diese Art und Weise vorwärts zu schleppen, doch schließlich hatte er den Waldrand erreichte und blickte erschöpft auf den Strand. Das Boot war erwartungsgemäß nirgendwo zu sehen, doch auf dem wogenden Meer erkannte er einige schwarze Punkte, die offenbar Schiffe verkörperten. Die Schiffe waren nicht einmal besonders weit entfernt. Der ehemalige Ritter konnte sie sogar zählen, es waren fünf Stück und sie mussten ziemlich groß sein, schätzte er. Eine richtige, kleine Flotte. Wer hatte heute schon eine Flotte? Richtig, überlegte er. Die Orks, nur die Orks. Die Paladine waren doch froh wenn sie ein seetaugliches Boot hatten und auch die Glanzzeit der Piraten war lange vorbei. Grimward runzelte die Stirn, doch dann zuckte er mit den Schultern, denn was könnte diese Schiffe schon dazu bewegen, ausgerechnet hier an Land zu gehen. Selerondar war keine bedeutende Insel, laut Adriane hatte sich kein einziges Grünfell auf der Insel gezeigt, seitdem Grimward und Dansard bei der Schlacht um Selerondar mitgewirkt hatten. Er blickte sich um, sollte er nach Rechts oder nach links gehen? Wahrscheinlich war es egal, er hatte versucht sich möglichst gerade von der Stadt wegzubewegen, also konnte es keinen allzu großen Unterschied machen, in welche Richtung er sich nun wandte, früher oder später würde er die Rückseite der Insel schon erreichen. Gewiss, früher wäre besser als später, Grimward hatte zwar einen kleinen Bach gefunden, welcher seine Feldflasche füllte, die er glücklicherweise auch beim Sturm auf das Rathaus bei sich getragen hatte, doch etwas zu essbares hatte der Bogenschütze nicht auftreiben können. Nun ja, beinahe nichts. Ein paar, halb vergammelte Nüsse hatte er gefunden, doch er hatte sie nicht verspeist, so verzweifelt war er noch nicht. Nichtsdestotrotz knurrte sein Magen zusehends und die viele Wanderrei verbrannte natürlich zusätzlich Energie.
Schließlich wandte er sich nach rechts, blieb in der Nähe des Waldes und setzte seinen Weg, nun über den festeren Sand laufend, fort. Dabei behielt er die Schiffe im Auge, die, wie er nach einigen Minuten verdutzt feststellte, Größer wurden, sich folglich der Insel näherten und das in erstaunlichem Tempo, denn der Wind wehte vom Meer auf die Insel zu, sodass die Schiffe Rückenwind hatten. Einige weitere Minuten versuchte der ehemalige Ritter sich noch einzureden, dass die Schiffe Innos weiß wohin fahren konnten, doch als er schließlich sogar Einzelheiten der Schiffe erkennen konnte, zum Beispiel, dass es alles recht kleine Zweimaster waren und er die eigentümliche grünliche Farbe ihrer Segel erkennen konnte, da war es nicht mehr zu leugnen. Die Schiffe steuerten eindeutig auf Selerondar zu, es gab keinen Zweifel. Grimward versuchte auszurechnen, wie lange die Schiffe wohl noch brauchen würden. Er kam auf eine beunruhigend kurze Zeit. Er gab ihnen, bei diesem Rückenwind vielleicht noch eine Stunde und er hatte keine Ahnung, was sie hier wollten. Vielleicht waren sie in dieses Unwetter geraten und der Hagel hatte ihr Schiff beschädigt, vielleicht die Segel zerfetzt. Nein. Die Schiffe schienen in geordneter Formation zu segeln, eines fuhr vorneweg, die anderen vier segelten in einer ziemlich klar erkennbaren Linie dahinten, der Abstand war jedoch ziemlich gering. Aber die Alternative gefiel Grimward gar nicht. Die Alternative sprach für eine Invasion, denn Flüchtlinge aus Myrtana oder von Khorinis hätten sicherlich keine vier Schiffe von dieser Größe und ganz sicher würden sie nicht in geordneter Formation dahin schippern, wie eine Armee, die in die Schlacht ritt. Grimward wich instinktiv in den Wald zurück und versteckte sich, vor neugierigen Augen. Wenn diese Knilche vorhatten, Selerondar anzugreifen, dann würden sie einen einsamen Wanderer, der am Strand entlang spazierte, sicherlich nicht nach dem Weg fragen müssen. Wenn es Orks waren schon gar nicht. Der Barbier legte sich also flach auf den Boden, auch wenn das bedeutete, dass er seiner Körpertemperatur und seinen Kleidern einen Bärendienst erwies und harrte der Dinge, die da kommen mochten. Wenn ein paar dutzend, vielleicht sogar hunderte Krieger in den Rümpfen dieser Schiffe darauf warteten, an Land zu gehen, dann würden sie das gewiss nicht verbergen können und Grimward könnte ja… er könnte natürlich die Stadt warnen. Aber er war sich nicht sicher ob er das auch tun würde. Nein, wahrscheinlich würde er sich einfach noch ein wenig weiter zurückziehen und sich irgendwie zum Schiff durchstehlen. Sollte Adriane doch gucken, wie sie dieses Problem in den Griff bekam. Grimward wusste, dass diese Gedanken ungerecht und heuchlerisch waren, hatte er doch noch vor zwei Tagen bekundet, für das Volk von Selerondar einzustehen, mit seinem Leben wenn nötig. Doch Adriane hatte seinen Stolz so grundlegend mit Füßen getreten, dass er nicht einfach darüber hinweg sehen konnte. Also blieb er einfach im Schlamm liegen und wartete auf das Kommende…
Geändert von Grimward (21.03.2008 um 20:49 Uhr)
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Knirschend fraß sich der Bug des ersten Schiffes in den Strand. Das war ein durchaus gefährliches Unterfangen. Schiffe von dieser Größe benötigten eine Anlegestelle um an Land gehen zu können und konnten normalerweise nicht einfach an den Strand gehen. Doch der Kapitän dieser Segler schien ein optimistischer Mann zu sein und sein Plan ging auf, zumindest das erste Schiff kam sicher an Land. Auf dem Deck, so erkannte, der jetzt nur noch gut dreißig Schritt entfernt liegende Grimward, herrschte reges Treiben und unter dem grünen Segeln tummelten sich keine Orks, sondern Menschen, soviel stand fest, selbst im Dunkeln war er ja nicht blind und außerdem leuchteten viele Fackeln auf den Decks. Nach und Nach kamen trafen auch die anderen Schiffe auf Land, bei einem sah es zunächst so aus, als könne der Kapitän den Kurs nicht halten und würde eines der anderen Schiffe rammen, doch alles ging gut. Schließlich waren alle fünf Schiffe auf Grund gelaufen und noch immer hatte sich kein Mann von Bord begeben. Der Barbier, welcher sich weiterhin am Waldesrand versteckt hielt, vernahm zwar Rufe und Gespräche, doch über diese Entfernung konnte er natürlich nichts verstehen. Dann, ganz plötzlich und wie auf ein vereinbartes Zeichen hin, kletterten einige Matrosen über die Reling und wagten einen abenteuerlichen Sprung, denn das Deck des Schiffes lag, wie bei einem solch großen Schiff üblich, einiges über dem Erdboden. Den Matrosen wurden Planken hinterher geworfen und die Männer lehnten diese an die Bordwand der Schiffe, die Holzstücke wurden an der Reling befestigt, Grimward hörte das aufprallen von Hämmern und schließlich waren einige behelfsmäßige Brücken entstanden. Grimward erkannte, dass die ganzen Handgriffe auf allen fünf Schiffen recht synchron verliefen und ein flüchtiger Blick über die Decks der Schiffe, ließ ihn erkennen, dass sie alle gut bevölkert waren. Jede Menge Männer tummelten sich auf den Decks und alle drängten sie nun zu den Brücken die an Land führten. Viele von ihnen trugen Rüstungen, die offenbar völlig bunt zusammengewürfelt waren, eine einheitliche Uniform war jedenfalls nicht zu erkennen. Auffällig und selbst im Schein der Fackeln deutlich zu erkennen war, dass die Farben Grün und Weis in fast jeder Rüstung irgendwie vorkamen. Ob als Malerei auf dem Schild, Wappen auf der Brust oder Bändchen am Arm. Grün und weiß... Grün und Weiß... im Zusammenhang mit Selerondar waren ihm diese Farben schon einmal wahrgenommen, er konnte sich bloß nicht mehr erinnern. Wichtigeres verdrängte diesen Gedanken, denn Grimward wurde gewahr, dass diese Truppe von Männern, die den Strand zusehends bevölkerten, eindeutig eine Armee war, eine Armee, die sicherlich keine Gratulation zur erfolgreichen Übernahme der Stadt mit sich führte, sondern darauf aus war, Selerondar zu erobern. Wer zum Henker hatte Interesse an Selerondar, fragte er sich.
Ganz plötzlich und völlig unverhofft fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. GRÜN UND WEIS! Die Farben der Thundils, die Farben Eremors und Theregors. Die Thundils. Was lag näher... doch seine Aufregung verflog, das war schlich unmöglich. Theregor, das hatte ihm Adriane verraten, war tot. Sie hatte ihn umbringen lassen. Die Berelonin schien sich ihrer Sache sehr sicher gewesen zu sein, es musste einfach stimmen. Außerdem, selbst wenn der Erbe der Thundils überlebt haben sollte. Woher sollte er eine solche Armee haben, immerhin wuchs eine solche Truppe nicht aus dem Boden! Noch dazu fünf staatliche Schiffe... mit grünen Segeln. Doch, doch, es musste einfach ein Thundil sein, alles andere wäre ein einfach unglaublicher Zufall. Und dann tat er etwas ungeheuer blödes, er erhob sich aus seinem Versteck und klopfte den Schlamm von seinen Kleidern, was ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen war und letztlich nur dazu führte, dass seine Hände ebenso dreckig waren, wie sein Umhang und sein Wams. Doch trotzdem trat er aus seinem Versteck hervor und hielt auf den Strand zu. Immerhin waren diese Kerle Menschen, Menschen hielten in diesen Zeiten doch zusammen, so hoffte er. Natürlich gab es ausnahmen, aber wie Orksöldner sahen ihm diese Männer wirklich nicht aus, es mussten einfach Theregor und seine Männer sein. Vielleicht... vielleicht war der junge Thundil seinen Häschern entgangen und dann still und heimlich geflohen. Ja, das hörte sich doch plausibel an. Und jetzt kam er zurück um sich Adriane, beziehungsweise Maninger zu stellen, wobei das Problem Maninger schon erledigt worden war. Doch noch immer blieb die Frage, wie Theregor an das viele Geld gekommen war, das man benötigte um eine Armee dieses Ausmaßes zusammenstellen, denn es war zwar eine kleine Armee, aber für einen Privatmann wiederum, war es eine verdammt große. Grimward schritt kräftig aus, noch hatte ihn niemand bemerkt, aber er war jetzt fast da und schließlich wurden doch einige der Männer auf ihn aufmerksam. Der Bogenschütze wusste gar nicht wie ihm geschah, wie auf ein Zeichen stürmten vier, fünf Männer auf ihn los, die Schwerter gezückt und umstellten ihn.
„Wer bist du was willst du, woher kommst du, du Made“, bölkte ihn einer an.
„Ich verbitte mir solche Frechheiten“, fauchte Grimward zurück und zog sein Schwert, ein schwerer Fehler, denn das genügte den Kämpfern schon um ihn anzugreifen. Grimward wehrte den Schlag des Redners ab, doch seine Kameraden überwältigten ihn, ein höllisch schmerzhafter Tritt vors Schienbein ließ ihn einknicken, dann spürte er einen dumpfen Schmerz und zum zweiten Mal binnen kurzer Zeit, wurde es dunkel um ihn…
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Dämonisches Wummern. Sein ganzer Schädel schien in jeder Sekunde einmal zu platzen, es schmerzte wirklich fürchterlich. Er fragte sich ernsthaft, ob er diesen Schmerz überleben würde. Grimward hielt die Augen fest geschlossen, er glaubte, wenn ihnjetzt auch nur ein Sonnenstrahl treffen würde, dann würde er endgültig draufgehen. Die Dunkelheit hatte etwas diskretes, den Schmerz übertünchendes an sich. Wenn er nur lange genug hier liegen blieb, würde es sicher vergehen, tatsächlich war es jetzt schon besser als vor ein paar Momenten. Der Barbier war unfähig sich auf etwas anderes zu konzentrieren als den Schmerz und deshalb versuchte er gar nicht herauszufinden wo er war, oder wer ihn dorthin gebracht hatte, nein, er hielt die Augen geschlossen und bekämpfte den Schmerz. Alles andere würde sich schon, irgendwann, finden... irgendwann, das war ein Versprechen, ein Versprechen auf bessere Zeiten, Zeiten, jenseits dieser verdammten Schmerzen. Plötzlich und gänzlich unverhofft, drangen Stimmen an sein Ohr, zunächst war er nicht im Stand nachzuvollziehen, was sie sagten, doch dann hörte er ein rascheln, so als würde jemand ein Stück stoff bei Seite Schlagen und merhere schwere Stiefel betraten das Zimmer. Grimward, der jetzt versuchte sich auf etwas anderes zu konzentrieren als den Schmerz, war einen Moment versucht, die Augen zu öffnen und zu überprüfen, wer da kam, doch dann lauschte er bloß.
„Ihr habt was?" fragte eine befehlsgewohnt klingende Stimme, dessen Besitzer sich offensichtlich über etwas ärgerte und zwar ganz gewaltig über etwas ärgerte. Grimward kam die Stimm vage bekannt vor, doch der wummernde Schmerz machte es ihm unmöglich, darüber nachzudenken, er konnte sie nicht zuordnen.
„Ihn... niedergeschlagen, Sire", antwortete ein anderer Mann und seine Stimme klang belegt, so als schäme er sich oder wolle zumindest den Anschein erwecken.
„Narren, warum habt ihr das getan?" fragte der erste, der eine Art Anfürher zu sein schien, obwohl er unverkennbar jugendlich klang.
„Er... er hatte ein Schwert und es gezogen und wir dachten...", erwiderte der Gescholtene kleinlaut, doch der Anführer unterbrach ihn.
„Was dachtet ihr, dass er euch... wie viele wart ihr?" bohrte der Anführer und seine Stimme klang ganz und gar nicht so, als würde er eine Lüge dulden.
„Fünf!“
„Also, euch fünf niedermacht und dann wie der Schnitter höchst persönlich ins Lager fährt um uns alle zu erledigen?"
„Wir... ich, also... ich meine", stotterte der andere, nun völlig konfus und der Anführer seufzte.
„Gib mir seinen Kram, ich seh ihn mir mal an und wehe es fehlt etwas... dann lass ich euch in der See ertränken!"
„Zu Befehl", erwiderte der andere bloß und Grimward vernahm das rascheln von Gegenständen die den Besitzer wechselten, dann entfernte sich der eine.
„Sieh zu, dass du und die anderen Rabauken mir in der nächsten Zeit nicht mehr über den Weg laufen", rief ihm der Anführer, der offenbar geblieben war, noch hinterher. Dann näherten sich seine Schritte und kamen schließlich zum stehen.
Ganz unerwartet, sog der Mann scharf die Luft ein und murmelte:
„Bei Innos..."
Grimward schlug die Augen auf und zuckte erschrocken zusammen, ein junger Mann beugte sich über ihn, sein Gesicht nur wenigen Zentimeter von seinem entfernt.
„Ah, ihr seid wach“, stellte der junge Mann scharfsinnig fest und Grimward glaubte sein Gesicht zu kennen. Die dunkelbraunen Haare , die das junge und doch wettergegerbte und entschlossene Gesicht einrahmten, die grünen Augen. Grün… Grün-Weiß.
„Theregor“, krächzte Grimward, völlig perplex. Der Schmerz in seinem Schädel ließ mit einem Schlag nach. Theregor! Der Thundil war tatsächlich hier und diese Männer, sie schienen unter seinem Befehl zu stehen.
„Sir Grimward“, erwiderte Theregor, er klang auf der einen Seite ziemlich ehrfürchtig, so als spreche er zu einem alten Veteranen, auf der anderen Seite auch… ein wenig verärgert und vorsichtig, so als spreche er zu einem Feind oder jemanden den er nicht einschätzen konnte. Grimward verstand ihn nur zu Gut, immerhin hatte Theregor ihn als Streiter der Berelonen in Erinnerung. Sicher als es gegen die Orks ging, hatten sie alle zusammen für Selerondar eingestanden, doch abseits solcher Kriege, hatte Grimward auf der Seite der Berelonen gestanden und nicht zuletzt versucht, Eremor, Theregors Vater an der Machtergreifung zu hindern. Einige Augenblicke schwiegen sie, diese Nutzte Grimward um sich ein wenig umzusehen, er befand sich in einem winzig kleinen Zelt. Um ihn herum lagen jede Menge Schwerter, Pfeilbündel und verstreute Rüstungsteile, er selbst lag einfach auf dem sandigen Boden, doch immerhin war er nicht nass, da das Zelt wasserdicht zu sein schien. Dann ergriff Eremors Sohn das Wort:
„Ich denke eure Anwesenheit auf Selerondar spricht dafür, dass die Berelonen von unserer drohenden Invasion gewusst haben und sie euch zur Verteidigung herangezogen haben. Sagt schon wo ist euer Kamerad Dansard? Lauert er gerade meinen Männern auf und nimmt sie gefangen, wenn sie versuchen zu pinkeln?“
Die Vorstellung ließ Grimward ungewollt Grinsen, was Theregor wohl als Bestätigung auffasste, denn seine Miene verdüsterte sich weiter.
„Nein… Dansard ist nicht auf Selerondar, macht euch keine Sorgen, ich bin der einzige Ausländer hier. Naja, und eure Männer nehme ich an. Wie habt ihr es eigentlich geschafft, lebendig von Selerondar herunterzukommen. Adriane versicherte mir, sie hätte euch umgebracht und nun kommt ihr wieder und seit… der Herr einer kleinen Privatarmee, das seit ihr doch?“
„Ja bin ich“, bestätigte Theregor stolz, fuhr dann jedoch fort, „Ich habe auch ein paar Fragen. Was zum Henker wollt ihr hier? Warum seit ihr wiedergekommen, wart ihr in der Stadt, was ist dort passiert? Außerdem würde ich sagen, ich bin der junge Adlige aus gutem Hause, mit einer Privatarmee im Rücken und ihr seit lediglich ein Ritter der zufällig mein Gefangener ist“, meinte er, doch er zwinkerte und nahm seinen Worten die Schärfe, „Also würde ich sagen, dass ihr zuerst auspacken müsst.“
Grimward grinste, ein wenig verdutzt über die Bauernschläue des jungen Thundil, doch dann begann er, zunächst schleppend, da sein Kopf noch immer weh tat, schließlich jedoch flüssig und vollständig, lediglich seine Beweggründe, nach Selerondar zu kommen ließ er außen vor, davon zu berichten, was sich in den letzten Tagen auf Selerondar zugetragen hatte.
„…Also ist Adriane nun an der Macht, ihr Vater ist tot, ich bin vertrieben und nun sitzen wir hier, in diesem Zelt und mich würde interessieren wie du hierher gekommen bist, noch dazu mit fünf voll besetzten Seglern“, endete Grimward, der inzwischen in das vertrauliche Du verfallen war, genau wie der junge Thundil auch. Seine Erinnerung hatte den ehemaligen Ritter nicht getrogen, Theregor war aufgeweckt und stark, doch nicht so verbissen wie sein Vater. Auch wenn sich dieser Ehrgeiz in der Zeit, die er offenbar im Exil verbracht hatte, weiterentwickelt hatte.
„Das sind… beunruhigende Neuigkeiten“, konstatierte Thereogr, völlig zu Recht. Ein schwacher Maninger war sicher leichter zu beseigen, als Adriane.
„Doch nun, bitte ich euch, mir zu erzählen, wie ihr das Husarenstück vollbracht habt, Adrianes Mordbuben zu entgehen, von der Insel zu fliehen und wenig später mit einer gesamten Armee an Land zu gehen“, forderte Grimward und Theregor lächelte versonnen, bevor er mit seiner Erzählung begann.
Geändert von Grimward (22.03.2008 um 10:58 Uhr)
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„Nun, Adriane sollte ihre... Mordbuben das nächste mal vielleicht ein bisschen sorgfältiger auswählen", eröffnete ihm Theregor mit einem süffisanten Lächeln, "Die zwei Männer die mich im Schlaf ermorden sollten waren beide auf meiner Seite und haben mich sofort informiert, als sie den Auftrag erhielten. Es war vereinbart, dass sie mich umbringen sollten und dann ganz schnell von der Insel verschwinden sollten, ein Boot stand bereit, es war alles vorbereitet. Nur statt mich umzubringen, haben sie mich einfach auf das Boot gepackt und wir sind geflohen. Denn wir waren uns sicher, zweimal würde Adriane den gleichen Fehler nicht begehen. Beim nächsten Mal hätte ich mit Sicherheit das Zeitliche gesegnet und ebenso meine tapferen "Mordbuben". Es gelang mir jedoch, das gesamte Vermögen meines Vaters mit an Bord zu nehmen und ich kann dir versichern, dass wir Thundils alles andere als arm waren. Im Gegenteil, ich hatte, selbst mit meinen zwei Helfern, mühe, den ganzen wertvollen Krempel auf das Boot zu schaffen. Mit diesem Kapital sind wir geflohen, nur ich, Jeron und Caran, die beiden Männer die mich töten sollten. Wir sind nach Khorinis geschippert und... nun ja, ich war noch nie dort und ich weiß nicht, wann du das letzte Mal dort gewesen bist, aber ich kann dir sagen, die große Insel ist ein merkwürdiger Ort geworden. Es gibt kein Gesetz, keine Obrigkeit... nichts. Aber es gibt auch keine echte Feindschaft zwischen den Orks und den Menschen mehr. Du kannst es glauben oder nicht, ich habe gesehen, dass manche gemeinsam in der Taverne saßen und ein Bier tranken."
„Das kommt auf Myrtana auch vor, doch es gibt dort auch noch Widerstand, aber keine Sorge, ich glaube dir", warf Grimward ein. Theregor nickte und fuhr fort:
„Jedenfalls, mit dem Geld, dass ich dabei hatte konnte ich einiges anstellen und ich beschloss, diese Beleidigung, aus meiner Heimat vertrieben worden zu sein, nicht auf mir sitzen zu lassen. Ich begann Pläne zu schmieden und Leute anzuheuern. Ich zog über die ganze Insel, gabelte hier ein paar Bauern auf, die auf etwas Besseres hofften, hier und da schlossen sich mir ein paar Glücksritter an, selbst einige Leute aus der alten Stadtgarde. Sie alle wurden angezogen von dem Geld und der Aussicht auf etwas Besseres als ihr bisheriges Leben. Ein bisschen Ruhm vielleicht. Schließlich glaubte ich genug Männer gefunden zu haben und darunter waren auch einige Handwerker. Mit der Hilfe von ein paar tüchtigen Männern aus Drakia, haben wir in der Küstebene Holz gefällt und daraus Schiffe gebaut."
„Das muss ein gewaltiges Vermögen sein, wenn du damit tatsächlich fünf solche Schiffe bauen konntest."
„Du wirst lachen, ein solches Schiff kostet kaum mehr als ein richtig gutes Schlachtross."
Grimward machte ein verwundertes Gesicht.
„Das ist eigentlich auch schon die ganze Geschichte, nichts aufregendes. Jetzt sind wir gekommen um das Volk von dem schwachen Maninger und der hinterlistigen Adriane zu befreien, wobei Adriane ersteres ja schon erledigt hat. Ich frage mich, ob uns das noch zum Vorteil oder zum Nachteil gereichen wird. Adriane wird überall im Volk herum erzählt haben, dass ich vermisst werde, mittlerweile werden sie aufgehört haben, nach mir zu Suchen… wahrscheinlich haben die meisten mich so gut wie vergessen", grübelte er, wohl eher an sich selbst gewandt. Grimward argwöhnte, dass es eher ein Nachteil werden würde und er hielt sich bedeckt.
„Grimward, was ist mit euch, seit ihr nicht ein ebensolcher Glücksritter?“ fragte Theregor plötzlich, „Ist die Aussicht diese Mörderin wieder um den Thron zu bringen, nicht vielversprechend? Ich könnte euch brauchen, ihr kennt die Stadt, ihr kennt die Garde, ihr kennt die Begebenheiten und vielleicht kennt ihr sogar einige meiner Männer. Ich brauche Leute die etwas vom Krieg verstehen. Versteht mich nicht falsch, meine Leute sind gute Kämpfer, aber die meisten sind keine echten Soldaten, sie haben in keinen großen Schlachten gekämpft und wenn doch, dann meistens um Haus und Hof zu verteidigen. Natürlich gibt es Ausnahmen, die Söldner und Glücksritter unter meinen Leuten sind echte Veteranen, aber keiner von ihnen war jemals auf Selerondar und kennt die Verteidigungsanlagen der Stadt so gut wie ihr. Wie siehts aus, seit ihr dabei, wollt ihr euch dem Kampf für die gerechte Sache anschließen?“
Grimward runzelte die Stirn. Kampf für die gerechte Sache. Er wusste ganz genau, wo er das schon einmal gehört hatte, vor ein paar Tagen erst. Doch trotzdem hatte Theregor in allem was er sagte recht und soweit der ehemalige Ritter es einschätzen konnte, war es sogar möglich, dass er es schaffte, mit der Hilfe des Bogenschützen von Khorinis hatten sie einen Soldaten mehr. Nur einen einzigen Soldaten, doch Grimward wusste was er wert war. Er hatte schon einige Schlachten gesehen. War es das wert? Wollte er wirklich sein Leben riskieren, um Selerondar zu retten. Oder wollte er seinen ersten Gedanken treu bleiben und dieser Insel den Rücken kehren. Nein, er würde diese Entscheidung bereuen, Grimward spürte es, ganz instinktiv, er würde sich immer wieder fragen, wer gewonnen hatte und wenn es Adriane war, würde er sich Vorwürfe machen. Also streckte er die Hand aus.
„Ihr habt einen neuen Soldaten in euren Reihen“, sagte er feierlich und Theregor schlug ein, wobei er grinste wie ein Lausbube, dem gerade ein besonders gelungener Scherz geglückt war.
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