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Setarrif #39
Nigel winkte ab.
"Lass' mal, geht auf mich. Dafür könntest du mir aber schon verraten, was du vorhast. Sollst du jemanden verzaubern?" mutmaßte Nigel aus dem Blauen.
Es war offensichtlich, dass es sich bei dem Jungen um einen Magier handelte oder vielmehr um einen, der davor stand, Magier zu werden. Vielleicht bereitete ihm ja die Prüfung zum Magier, so fern es eine derartige gab, die Sorgen und Nigel hatte nicht ganz Unrecht mit seiner Vermutung.
"Vielleicht kann ich sogar helfen. Ich glaub zwar nicht daran, aber wer weiß das schon genau?!" drängte sich der Krieger, der wohl schon einen über den Durst getrunken hatte, weiter auf. Hauptsache, er lenkte sich von Manuele ab.
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Na klasse, scheint nichts zu wirken. Vielleicht hilft ja Zaubern?
„Dann bedanke ich mich freundlich“, meinte der Magier und nahm einen kräftigen Schluck. Sofort spürte er das kühle Gesöff seine Kehle hinunter fließen und seinen ganzen Körper erfassen. Ein wahrlich angenehmes Gefühl. Wie konnten die meisten Magier es bloß nicht schätzen?
„Wenn es nur darum ginge, jemanden zu verzaubern, bräuchte ich sicherlich kein Bier. Damit kenne ich mich, zumindest was meine derzeitige Position angeht, mehr als genug aus. Nein, ich habe einen Auftrag vom Obersten Wassermagier.“
Er hielt kurz inne und musterte seinen gegenüber etwas genauer. Wie ein Spion sah er nun nicht aus, zumindest etwas konnte er ihm erzählen.
„Ich kann natürlich nicht alles preisgeben, ich hoffe, dass ihr das versteht, aber der Auftrag ist, sagen wir einmal, geheim. Was ich sagen kann, ist, dass er mich aus Setarrif hinaus führen wird und mein nächstes Ziel weit weniger gastfreundlich sein wird als diese Taverne hier. Und ich muss gestehen, dass das etwas unbehaglich ist, aber es kommt von ganz oben. Da macht man nichts.“
Um seine Aussage zu unterstreichen erhob er erneut den Humpen und nahm einen weiteren Schluck.
„Mir scheint es aber, als ob ihr auf der Suche nach Arbeit seid? Gibt es nicht genug zu tun in der Akademie?“
Tinquilius
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Da musste Nigel schlucken. Der Punkt ging zweifelsohne an den Magier.
"Nein.. doch. Naja, eigentlich schon. Aber mich beschäftigt etwas anderes." antwortete Nigel und beließ es dabei.
Er widmete sich wieder seinem Bier und nahm ein großen Schluck. Und schon war da wieder die Sorge um seinen alten Mitstreiter. Und plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er war zwar ein wenig abwegig, aber was hatte Nigel eben noch selbst gesagt?! Einfach mal wagen...
"Falls euer Weg Euch rein zufällig nach Thorniara führt, so lasst mich Euch begleiten. Ich hätte da auch etwas zu erledigen.", nahm Nigel das Gespräch schließlich wieder auf.
Es war eine gute Möglichkeit, um herauszufinden, was wirklich mit Manuele war und so lange der Meister der Klingen keine Antworten hatte, so lange würde er auch keine Ruhe geben. So viel war klar!
Auffordernd lehnte sich Nigel seitlich an den Tresen und blickte den Robenträger eindringlich an.
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Domi musste alles tun, damit ihm seine Gesichtszüge nicht entglitten ob dieser Frage.
Waren meine Worte dann doch so klar zu verstehen? Oder ist das alles nur Zufall?
„Ähm, nach Thorniara wollt ihr?“
Er hielt wieder inne. Wäre das vielleicht gar eine Möglichkeit, etwas Spannung aus der Situation zu nehmen? Der Fremde sah wie ein kräftiger Bursche aus und würde vielleicht ganz hilfreich sein. Nicht, dass sich Domi nicht zu verteidigen wusste, doch Magie war nicht allmächtig und vor allem waren 4 Augen und Ohren besser als nur zwei, wenn sie herausfinden wollten, wer im Kerker saß.
„Vielleicht muss ich dorthin. Bevor ich mich aber auf so etwas einlassen kann, würde mich brennend interessieren, wer ihr überhaupt seid und was wollt ihr in Thorniara? Damit das aber nicht so unhöflich klingt: Mein Name ist Domi und wie ihr richtig erkannt habt vorhin, bin ich ein Wassermagier.“
Tinquilius
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Na geht doch!, dachte Nigel erleichtert.
"Verzeiht mir meine anfängliche Forschheit. Aber Ihr saht irgendwie hilflos aus. Und verzweifelt. Nun, ich bin Nigel Ascan und bin ein Meister der Klingen der Akademie, wie Ihr richtig festgestellt habt. Ich denke, dass ich Euch durchaus helfen kann. So wie Ihr, so darf auch ich nichts zu meinen Zielen sagen. Ich sage nur, dass ich jemanden suche." entgegnete Nigel und reichte versöhnlich die Hand.
Er wollte nichts an die große Glocke hängen, zumal er nicht wusste, was Edon dem Leiter der Akademie schon gesagt hatte.
"Wenn Ihr wollt, können wir sofort los. Ich bin bereit." bot er schließlich an.
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Und so kann sich das Blatt doch noch wenden. Einen Weggefährten gefunden, der gar ein Meister der Klingen war und somit sicherlich einiges vom Kampf verstand, und zudem jemand, der auch wusste, wie wichtig ein Geheimnis war.
„Gut, ihr müsst nach Thorniara und ich ebenfalls. Ich sehe kein Problem darin, wenn wir gemeinsam reisen. Das sollte eigentlich nur Vorteile bringen, vor allem in Thorniara selbst. Denn auf eine gewisse Art und Weise suche ich auch nach jemandem, auch wenn wir zumindest bereits wissen, wo diese Person sich befindet.“
Er leerte sienen Humpen, dann stand er auf.
„Nun gut, ich bin ebenfalls bereit. Dann lasst uns auf!“
Tinquilius
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Das Geräusch der herunterfallenden Tropfen wurde stetig leiser.
Der große Mann saß im Schneidersitz, tief in seine Adeptenrobe gewickelt und seinem Kampfstab auf den Knien, in seinem selbst gebauten Schrein und meditierte seit Tagen fast ununterbrochen. Ein relativ milder Regen hatte bereits am gestrigen Nachmittag eingesetzt und war seitdem präsent. Immer und immer wieder strichen die großen, schwieligen Hände des Zimmermanns über seinen Kampfstab und konzentrierte sich auf dessen magische Aura.
Meister Kilijan hatte ihm diverse Unterweisungen gegeben, die dem Studium der Magie äußerst nützlich waren. Ebenfalls hatte der Adept ein weiteres Mal mehrere Tage suchend und studierend in der Bibliothek zugebracht, bis er schlussendlich wieder zu seinem Haus und damit dem Schrein zurückgekehrt war.
So waren etwa die Konzentration und die innere Ruhe immens wichtig, wollte der angehende Magier eine Aura der Magie spüren. Und in der Tat. Je länger und intensiver die Meditationssitzungen des Adepten dauerten, umso mehr schien er in immer tiefere Ebenen hinunter zu steigen. Es erschien ihm, als tauche er in einem tiefen dunklen See in immer tiefere Regionen hinab. Die Stille und die blaue Dunkelheit schienen bei jedem Mal intensiver zu werden.
Je tiefer er in der Meditation versank, umso klarer wurden die feinen, magischen Fäden, die sich aus dem Stab in seine Unterarme rankten. Er spürte das Holz, die feine, magische Aura des Stabes mit jeder neuen Sitzung intensiver und schneller.
War es ihm zu Beginn seiner Sitzungen nicht möglich gewesen auch nach stundenlangem, ruhigen Verharren auch nur einen Hauch der Aura wahrzunehmen, so schaffte er es nun bereits schon nach wenigen Minuten. Aber nicht nur die Konzentrationen gelangen ihm schneller, auch die Intensität, mit der er sie wahrnehmen konnte.
Nach einer weiteren Stunde beendete der Adept zufrieden seine Übungen und blickte, immer noch im Schneidersitz sitzend auf den blassgrauen Horizont und lauschte wohlig fröstelnd den dicken Regentropfen.
Er hatte auf jeden Fall genügend Erfahrungen gesammelt um Kilijan davon zu berichten zu können. Die Magie hatte er nun erfühlen können, wie würde es wohl sein, wenn er diese Macht selber formen gelernt hatte?
Wombel stand auf, reckte knackend seine steifen Glieder und schulterte sein Bündel und den Stab.
Kilijans Werkstatt war wieder mal das Ziel. Freudig stapfte er auf dem schlammigen Pfad in Richtung Stadt hinunter.
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Ankunft ...
Der Frühling hielt auch in dieser Gegend wieder seinen Einzug. Die kalten Winde, die gerne vom Gebirge oder Meer aus kamen, ließen nach und verloren an Härte, die Sonne zeigt sich öfter und schöner als in den tristen Wintermonaten. Und Setarrif schien ebenso wie die Welt drum herum zu erblühen. Kuppeln und Runddächer schienen golden und strahlend, machten klar, warum das Großreich vom Festland diese Stadt so gerne besitzen wollte. Das hier ein Mann auf dem Thron saß, der die Menschheit in ihrer schwersten Stunde im Stich gelassen hatte, war ein anderer Grund. Lange hatte Lydia diese Tatsache verdrängt, hatte in Schwarz und Weiß unterteilt, Gut und Böse. Doch mit der Zeit hatte sie gemerkt, dass die Welt grau war. Einheitlich grau, ob in den finstersten Winkeln oder den hellsten Orten. Grau war, was blieb. Und sie hatte gelernt, dass an jedermanns Händen Blut klebte. Vor allem an denen von Königen und Herrschern.
„Ein Traum, nicht wahr?“, fragte Redewig seufzend, als sie den Weg zum Stadttor nahmen, vorbei an den wenigen Feldern und Flächen, die die direkte Versorgung der Stadt sicherten. Lydia hatte aber auf ihren Reisen zwischen den Inseln letztes Jahr gemerkt, dass Ethorn nicht nur ein hartherziger Herrscher, sondern auch ein beinharter Händler war. So gab es genug Männer auf Korshaan und Torgaan, die ihn versorgten. Verständlich, sonst wären die Myrtaner schon wie ein Feuersturm über ihn gekommen und hätten seine Zeit des rebellischen Trotzes aus den Erinnerungen der Menschen gefegt.
„Ja, obwohl“, begann sie leise und schaute ohne Grund zum Gebirge, „Es ist nicht alles golden, was glänzt.“ Die Akrobatin hob die Schultern, während Redewig sie einen Moment interessiert musterte. Dann lächelte er in einer Mischung aus Verständnis und Spott.
„Na, Kleine, endlich gemerkt, dass du diese unsere schöne Welt nicht strikt in zwei Lager aufspalten kannst? Die Macht der Erfahrung, würde ich sagen. Ethorn ist ein Arsch. Das ist Fakt. Der Kerl hat 'nen Gesandten erledigt. Die stehen seit Jahrtausenden schon unter Schutz, das sind alte Gesetze der Zivilisation und des menschlichen Zusammenlebens. Darauf pfeift er.“ Der Hüne hob die kräftigen Schultern. „Dafür kriegt er sicherlich seine Strafe, aber er ist eben nicht der Grund, weswegen ich für diese Stadt einstehe. Das Volk, die Vielfalt, die Schönheit … das macht Setarrif aus. Auf dem Festland leben dutzende verschiedene Ethnien, Gruppen, Stämme und Klans. Haben sie Frieden? Hat es Rhobar bewerkstelligt, dass sie sich alle lieben und schätzen? Mitnichten. Ein Moment Unachtsamkeit und das ganze Reich stürzt wie ein Kartenhaus zusammen. Nur die Angst vor der Rache des Königs lässt jedermann die Füße stillhalten. Hier ist es anders. Ethorn hat’s aus Eigennutz geschafft, verschiedene Gemüter unter einen Hut zu kriegen. Wohl auch Dank der Magier und der Akademie. Aber es herrscht Frieden in der Stadt. Dafür kämpfe ich. Nicht für diesen Choleriker, sondern für die Menschen.“
Minuten der Stille folgten, in denen Lydia lange über eine Antwort sann. Sie fand keine. Ehrlich gesagt, hätte sie auch nicht erwartet, dass Redewig so gut reden konnte. Der Posten in der Wache war also mehr als verdient. Schlussendlich nickte sie nur.
„Ich danke dir, Großer. Das sind Gründe, für die es sich zu kämpfen lohnt.“
Und im Stillen schwor sich Lydia, für genau solche Werte ins Feld zu ziehen. Denn vielleicht würde der Tag kommen, da das Volk nicht nur vor einem, sondern zwei Königen beschützt werden musste. Und dann wäre Lydia eine der Barrieren, die überwunden werden mussten. Entschlossen marschierte sie weiter, was dem Hünen ein väterlich zufriedenes Grinsen auf die Lippen zauberte.
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Gegen Abend hatte Redewig die Kämpferin zur Akademie geführt, genau vor ein bestimmtes Büro in einem bestimmten Teil des prächtigen Gebäudes. Ein wenig genervt seufzte sie, ehe sie dem Hünen zunickte, der nur grinste und sich trollte. Er hatte ihr mehr oder weniger aufgetragen, was sie erbitten sollte. Arbeit, Arbeit und Arbeit. Alles, um sich wieder zu beweisen. Oder um alte Taten zu übertreffen. Nun, es lag alles im Bereich des Machbaren. Knapp klopfte die Akrobatin an die Tür.
„Herein!“, rief eine altbekannte Stimme von innen. Lydia begab sich hinein, stand vor dem Leiter der Akademie stramm und verneigte sich dann respektvoll. Er war quasi ihr Vorgesetzter gewesen und würde es sicherlich auch bald wieder sein. Etwas Bekunden von Respekt konnte da nicht schaden.
„Grüße, Raad“, sprach Lydia dann grinsend. Der Südländer hatte sich nicht verändert, zumindest nicht so sehr, dass es ihr auffiel. Das gleiche dunkle Haar, das gleiche Gefühl vermittelnd, diesen Posten und die Verantwortungen nicht gerade haben zu wollen, aber die stille Autorität, die mit dieser Aufgabe kam, ausstrahlend. „Es ist einige Zeit her, Leiter.“
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Zeit. Manche behaupteten, jene wäre ein Rad. Oder von einem Rad getrieben. Geschichte, die einst gewesen war, war nun erneut. Mythen, die zu Legenden wurden und vergessen waren, wenn die Zeit ihres Ursprungs von Neuem begann. Das ganze epische Geseier eben.
Demnach hatte er bereits auf diesem Stuhl gesessen. Demnach hatte er die Dokumente, die vor ihm lagen bereits bearbeitet. Demnach war er aber auch bereits tot. Und war erneut geboren worden, um den gleichen Trott, der sich sein Leben schimpfte, erneut zu begehen. Was für eine beruhigende Vorstellung. Wenn er sich jetzt einen Dolch ins Herz rammte, würde er dennoch wieder hier sitzen. Und die Frau, die vor ihm stand, erneut vor ihm stehen. Zum Einhundertfünfundachtzigsten Mal dann. Denn sie kam immer öfters. Wie auch immer man dies nun wieder verstehen wollte…
Wobei. Hatte sie schon immer schwarze Haare gehabt? Oder versuchte mit jenen nur die neu gewonnene strenge ihres Gesichtes zu verbergen? Umrahmte ihre Haare diese nicht erst? Vielleicht wirkte sie deswegen anders, als noch vor einigen Monaten, da Raad Lydia zuletzt gesehen hatte. Er glaubte, sich zu erinnern, dass sie damals irgendwie anschaulicher gewesen war. Aber vielleicht empfand er sie auch nur als weniger anschaulich, weil er in letzter Zeit nichts in seinem Umfeld wirklich etwas abgewinnen konnte. Ihm fehlte… irgendetwas.
„Lydia.“, erwiderte der Leiter der Akademie den Gruß der Frau knapp und nickte zur Bestätigung ihrer anderen Worte. Sie war gut darin, immerhin das offensichtliche zu erkennen. „Und was hat dich so lange ferngehalten? Ich hoffe, etwas Sinnvolles. Kinder vielleicht. Obwohl… Kinder sind eine Plage. Genauso wie Fra… uke, die neue Gesellin des Akademiekochs…“, der ehemalige Assassine räusperte sich und begann, seine Pfeife zu stopfen. Wirklich interessante Arbeit, die unbedingt erforderte, dass er den Blick von Lydia abwandte.
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Lydia schnaubte nur, schenkte dem, was der Akademieleiter fast gesagt hätte jedoch keinen weiteren Kommentar. Mehr war es eigentlich an ihr, verlegen zu schauen oder etwas deutlich Interessanteres an der Decke zu beobachten, als die Frage aufkam, was sie so lange fern gehalten hatte. Zum Teufel, eine triftige, gute Antwort gab es da nicht. Ganz im Gegenteil, alles was ihr auf der Zunge lag war banal, nichts weiter als Ausreden. Denn egal was sie sagen würde, letztendlich wäre es nämlich genau das: Ausreden.
„Mich trieb es fort, Raad“, begann die Akrobatin dann langsam, „Frag nicht, was es war. Rastlosigkeit, Ruhelosigkeit. Zu viele Dinge, die mich beschäftigten, die mich aus dem Gefüge der Klingen rissen und davon treiben ließen wie ein Blatt im Wind. Ich habe keine Entschuldigung, Leiter, keine schlechten Ausreden, die ich hier verlegen vortrage und darauf hoffe, dass du mir auf den Kopf patschst und brav für die treuselige Wiederkehr belohnst. Das wäre der Akademie nicht angemessen. Ich weiß nicht, ob die Regeln dieser Einrichtung so etwas wie Bestrafung für das Fernbleiben kennen, aber wenn es sie gibt, nehme ich sie ohne Widerworte entgegen.“
Die Haltung der Frau straffte sich, das Ernste wich einen Moment, „Aber keine Sorge, du wirst hier keine Spielecke für Kleinkinder aufmachen müssen, das Thema ist noch lange nicht von Bedeutung.“
Das Lächeln schwand wieder. Gespannt wartete Lydia auf die Antwort des Leiters.
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Der Leiter der Akademie seufzte leise. Eigentlich hatte er beinahe etwas Besseres erwartet als das, was er nun bekommen hatte. Das war allzu menschlich. Man erwartete stets das Beste am Anfang. Hoffte auf das Gute, wenn man erkannt hatte, dass das Beste nicht mehr möglich war. Und bekam am Ende einen Tritt in den Arsch.
Ruhig drückte Raad den Tabak fest. Danach nahm er sich vorsichtig einen kleinen Holzspan und entzündete ihn an der Kerze, um damit die Pfeife zum Glühen zu bringen. Als die gelungen, wedelte er mit dem Holz, bis es verloschen war.
Als er erneut zu sprechen begann, quoll Rauch aus seinem Munde. „Wärst du eine läufige Hündin, würde ich dir das mit der Ruhelosigkeit und der Rastlosigkeit zugestehen. Aber du bist weder läufig noch eine Hündin.“, brummte der Schwarzhaarige und wünschte sich insgeheim für einen kurzen Augenblick, dass zumindest Letzteres anders war. Dann hätte er Lydia am Nacken packen und sie so lange in ihre Ecke drücken können, bis sie verstanden hatte, wo ihr Platz war.
„Willst du mir das auch erzählen, wenn du in irgendeiner Schlacht dein Schwert fallen lässt und in die andere Richtung rennst? Ich habe keine Ausrede für meine Fahnenflucht. Ich war bloß rastlos. Das hat nichts damit zu tun, dass der vor mir stehende Gegner dreimal größer als ich war.“
Wenn Raad es richtig bedachte, war er tatsächlich angepisst wegen Lydia. Aber nicht, weil es Lydia war. Sondern weil die Leute viel zu oft verschwanden und dann wieder zu ihm kamen, weil sie alles besser machen wollten. Und wer dieser Leute war jetzt noch da? Würde er nach Manuele verlangen, würde dieser auch nicht auftauchen.
„Was hast du getrieben?“, fügte Raad scharf an.
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Eine verständliche Reaktion. Früher hätte die Akrobatin anders reagiert, als sie es jetzt tat. Sie hätte mit den Füßen aufgestampft, hätte eine emotionale Antwort gegeben, naiv ihr Tun verteidigt und auf Verständnis beim Akademieleiter gehofft. Aber diese Lydia war Vergangenheit.
„Würde ich in irgendeiner Schlacht für die Stadt streiten, wäre das Letzte, was ich tue, das Schwert fallen zu lassen. Selbst wenn der Gegner so groß wäre wie der höchste Turm der Stadt. Große Feinde haben mich nie beeindruckt“, erwiderte die Kämpferin langsam, „Soll ich dir sagen, was die Gründe sind? Das mir vor etwa einem Jahr aus den Rängen der Klingen geschmissen wurde, obwohl ich in der Silberseeburg Dienst geschoben habe. An der Front. Nicht hier gegen Holzsoldaten ziehend, sondern den Feind vor den Augen habend. Bei meiner Rückkehr in die Stadt wurde mir dann von irgendeinem – entschuldige – Arsch von Meister gesagt, ich sei ja nicht mehr als Klinge zu gebrauchen und müsse mir dies erst wieder verdienen.“
Lydia bleib ruhig, obwohl das Thema sie innerlich kochen ließ. Währenddessen rauchte der Leiter weiterhin fast teilnahmslos seine Pfeife und hörte ihr zu.
„Also suchte ich außerhalb der Stadt nach einem Weg, mich zu beweisen. Irgendetwas, das zeigt, das ich doch noch als Klinge tauge. Das dauerte dann ein Jahr, samt Abstecher auf die anderen Südlichen Inseln, wo ich Land und Leute kennenlernte und doch wusste, dass ich nichts finden würde. Also ging es zurück. Hier her. Ohne etwas, das ich präsentieren kann. Wie eine gemeine Hündin. Reicht das, Leiter?“, fragte sie und hob mit einer Spur Trotz in der Haltung den Kopf.
Geändert von Lydia (04.02.2014 um 20:45 Uhr)
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Blatt um Blatt hoben sich die Seiten im großen Buch der Weltgeschichte. Sie wurden umgeschlagen, um die Geschichte am Laufen zu halten. Immer weiter und weiter. Man hoffte darauf, dass am Ende alles gut ausging. Wer wohl derjenige war, der den ganzen Schwachsinn lesen musste? Und waren sie am Ende wirklich nicht mehr als ein paar Linien auf dem Papier, von der Sonne gebleicht und der Zeit verschlissen? Oder gar noch weniger?
Raad nickte langsam, als der Schwall an Worten aus dem Mund der Frau abgeebbt war. Manche Dinge ließen sich nicht mehr ändern. Und er war sich sicher, dass er nicht jener Meister gewesen war. Froh darum war er nicht. Auch, wenn es keine Garantie gab, dass es dann besser gelaufen wäre.
„Eigentlich nicht. Nur bockige Kinder laufen schmollend davon, wenn sie ihrem Willen nicht bekommen. Keine Ahnung, ob Meister von Arsch ein Recht dazu hatte, dich zu degradieren. Aber er hatte wohl Recht damit, es zu tun. Auch eine Möglichkeit, den Willen zu fordern.“, sprach der Leiter der Akademie langsam und legte seine Pfeife in die Messingschale. Er war viel zu oft in diesem Zimmer und tat die immer gleichen Dinge.
„Was hast du über Torgaan und Korshaan erfahren? Viel wichtiger aber: Was hast du über dich erfahren?“, hakte der Leiter nach. Er suchte eine Versicherung in ihren Worten. Irgendetwas. Ein kleines, winziges Detail, welches ihm sagte, dass sie der Mühen wert war, die er haben würde, wenn er sie wieder in die Akademie ließ. Meister von Arsch hätte sicher etwas dagegen. Aber Meister von Arsch hatte auch nur eine Stimme. Um die anderen würde er sich kümmern müsse, wenn Meister von Arsch seiner Entscheidung widersprechen wollte.
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„Die eine Insel besteht aus genauso viel Dschungel und Sumpf wie die Gegend südlich von Setarrif oder Tooshoo, wo dieses zugekiffte Waldvolk lebt. Die Schwarzen Krieger – so nennt man sie und sie selbst sich auch – sind ernst zu nehmende Gegner und verdingen sich gerne überall auf der Welt als Söldner. Einer, so wurde mir erzählt, war gar im Dienste der Orks in Trelis, nachdem er lange in der Barriere gesessen hatte. Ansonsten ein lebensfeindlicher Ort, ich würde keinem empfehlen, dort einfach hin zu segeln. Selbst ich war nur in den wenigen Orten, die einen Hafen besaßen. Mir wurde zwar eine Menge Geld angeboten, um als Schutz von Händlern und Reisenden durch die Dschungel zu ziehen, aber … nun, meine Haut war mir dann doch lieber“, erklärte die Akrobatin und wippte ein wenig vor und zurück, um ihre Füße und Beine zu entlasten. Sie war zwar langes Stehen gewohnt, mochte aber das Gefühl nicht, wenn die Beine steif wurden.
„Und Korshaan … nun … ja. Das ist ein Ort, den man nicht beschreiben kann. Nicht schön. Finster. Ich war nur in der Stadt Sendar, die dort liegt. Das Umland ist schön, aber mir wurde tunlichst abgeraten, tiefer vorzudringen. Daran habe ich mich gehalten, wusste ja schon von Torgaan, das man bei sowas eher vorsichtig ist.“, meinte Lydia und hob die Schultern. „Ansonsten stell eben mal einen Erkundungstrupp zusammen, der die Orte bereist. Die werden mehr erfahren als ich, die nur in den Städten war, nicht aber im Land selbst.“
Dann griff sie die letzte Frage auf. Die Wichtigste eigentlich, deren Beantworten sie sich aufgespart hatte. „Ich habe über mich erfahren, dass dies hier meine Heimat ist. Das die Menschen dieser Stadt mein Volk sind. Sie zu verteidigen, das sehe ich als meine Aufgabe an. Ich schwöre meine Dienste nicht dem König, der – so habe ich gehört – selbst vor der geschützten Person des Gesandten nicht Halt macht, sondern der Vielfalt dieser Stadt. Denn der Frieden, der hier zwischen Menschen verschiedener Schichten und Herkunft herrscht, ist größer und besser als der, den sich dieser Moloch von Reich auf die Stirn schreibt. Dafür bin ich hier, dafür will ich wieder Klinge werden … und mehr.“
Vielleicht würde das reichen. Vielleicht auch nicht. Raad würde entscheiden.
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„Ich habe Menschen für weniger sterben sehen.“, erwiderte der Leiter der Akademie, „Man muss es nicht gut heißen. Aber man kann Ethorn verstehen, wenn man sich Mühe gibt. Die Impertinenz, mit der Rhobar auf diese Insel gekommen ist und diese Angebot formulierte, verdiente eine Antwort, die sicher verstanden wird. Deswegen hat Ethorn es getan.“
Der Schwarzhaarige erhob sich von dem schweren Eichenholzstuhl und schritt um den wuchtigen Tisch herum. Er verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Es gibt keinen Schutz. Wir werden gewinnen oder wir werden sterben. Ethorn wird sich nicht beugen. Und das Volk wird sich nicht beugen. Rhobar bekommt dieses Land nur, wenn er die Seele, die Kultur dieses Landes vernichtet. Wer am Ende der bessere Herrscher war, werden erst jene beurteilen können, die uns nachfolgen. Vielleicht aber selbst diese nicht.“
Raad seufzte. „Torgaan klingt nach einem Ort, an dem man sich einmal umsehen sollte. Vielleicht sind diese Krieger dort genau das, was wir brauchen. Hast du noch mehr Informationen über sie?“, fragte der Leiter, um dann noch ein anderes Thema aufzugreifen. „Merk dir die Worte, die du über dich selbst gesagt hast. Solltest du ein weiteres Mal hier ankommen, weil du ruhelos von dannen gezogen bist, weiß ich nicht, wie deine Chancen stehen. Ansonsten musst du mir zeigen, dass deine Worte wahr waren. Selbst, wenn ich geneigt bin, dir zu glauben. Du wirst als Rohling wieder aufgenommen und das Feuer suchen müssen, welches dich erneut zur Klinge schmiedet. Vielleicht dort, wo dir jemand etwas beibringen kann. Wir könnten ein paar Leute gebrauchen, die etwas vom Bogen verstehen.“
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„Mehr Informationen habe ich nicht, entschuldige. Ich biete mich beizeiten aber an, Näheres in Erfahrung zu bringen. Denn allgemein schien es so, als wäre die Stimmung gegenüber Ethorn nicht ganz so kritisch wie die gegenüber Rhobar, der sein Weltenreich schaffen will, was zwangsläufig auch die anderen Südinseln umfasst“, erklärte die Akrobatin und rieb sich das Kinn, ehe sie über die weiteren Worte des Akademieleiters nachdachte. Der Umgang mit dem Bogen? Für Lydia etwas vollkommen Neues, einfach aus dem Grund, da sie ihn nicht kannte. Nun, sie wusste schon, was das für eine Waffe war und das Pfeile sehr schlecht rauseiterten, jedoch hatte sie bisher keinen Gedanken daran verschwendet, selber die Kunst des Fernkampfes zu erlernen. Interessanter Anstoß, den Raad da gab …
„Sollte ich ein weiteres Mal hier stehen als ruhe- und ehrlose Hündin, ramm mir einen Dolch in den Hals, wie du es mit ebenjener machen würdest, wenn sie wiederholt zeigt, dass sie aus schlechter Zucht stammt und unbelehrbar ist“, erwiderte Lydia entschlossen und blickte den Südländer an, „Ich werde tun, was du verlangst. Einen Bogenmeister finde ich sicherlich und durch den Umstand, dass ich recht geschickt bin, mag aus mir sogar eine recht passable Jägerin oder Waldläuferin werden.“ Sie lächelte verlegen. „Denn, um ehrlich zu sein, so sehr ich den Tanz des Kampfes mag, er und die Angst vor Verkrüppelung, machen mir jedes Mal eine Heidenangst.“
Das Lächeln verschwand wieder so schnell, wie es erschienen war. Hatte der Akademieleiter noch Punkte? Wenn nicht, würde sie sich wohl abmelden und schauen, wo sie einen Schlafplatz in der Akademie finden würde …
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Der Leiter der Akademie war zufrieden. Mehr konnte er im Augenblick nicht erwarten. Zwar könnte er weitere Fragen stellen. Sie weiter reden lassen. Doch es wären nur weitere Worte. Worte, von denen man nicht wußte, was hinter ihnen stand. Ein reuiger Geist oder ein berechnender Wille? Ein sehnendes Gefühl oder ein von Gier getriebenes, steinernes Herz?
Raad lächelte. „Es wird sich ein Weg finden lassen. Bis dahin bleib einfach eine Weile hier und lass dir diesen Ort zum Heim werden. Wo du schlafen kannst, weiß du ja. Hier in der Akademie. Nimm einfach das Zimmer, zu dem ich dir vor einer gefühlten Ewigkeit mal einen Schlüssel zu überreicht habe. Wir sehen uns!“, verabschiedete der Schwarzhaarige Lydia und ließ sie, als sie zeigte, dass sie keine weiteren Punkte mehr hatte, von dannen ziehen.
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Kerker
Wochen waren ins Land gezogen. Oder Monate?
Isolation. Totale Einsamkeit...nein hin und wieder der süsse Besuch eines Häschers.
Eines Orkhassers mit Speer und sadistischer Ader.
Schemenhaft wurde das Spiel von der Grauhaut wahrgenommen. Schon lange war er nicht mehr wirklich hier gewesen.
Schon lange hatte er kein Wort mehr gesprochen. Grunzen, Knurren und Kläffen wie ein Warg waren seine einzigen Regungen gewesen.
Von oben bis unten eingedreckt, im eigenen Kot lebend und bissig wie ein tollwütiger Hund war der einst stolze Krieger zu etwas dahinvegetiert was einer ziellosen Bestie glich.
Manchmal hatte er Fieber, manchmal grossen Hunger. Manchmal gab es essen, manchmal konnte er sich nicht erinnern wann er zuletzt gegessen hatte.
Er war nicht er selbst, er war ein Tier. Gefangen und vergessen. Voller ungenutzter Energie.
Und so voller Mordlust.
Die Gier nach Tod, nach Blut, nach dem Schmerz,sie verblendete seine Sinne.
Irgendwo im tiefen seines Inneren war der einst stolze Krieger und gab sich seinen Erinnerungen hin.
Dort wo Schnee liegt. Wo die Eisenhauer noch die Stärke eines Volkes zählte und man ihren Namen über die Schädelberge trug.
Knurren, hecheln.
Der Grauork mit fiebrigem Blick flüchtet vor der einfallenden Sonne in die Schatten seiner Kerkerecken!
Eine Kakerlake! Eifrig wurde sie unter seiner Faust zermalmmt und anschliessend genussvoll mit der Zunge abgeleckt.
Stimmen...sie drangen immer wieder auf ihn ein.
Morras redeten, Morras schrien in der Arena. Morras lachten, Morras weinten.
Nazarg nicht...Nazarg war gar nicht mehr hier....
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Dunkelheit hatte sich über den Schießplatz gelegt. Meist übten hier Klingen, doch die waren längst verschwunden und verbrachten den Abend in der Schenke oder mühten sich noch auf dem Hof der Akademie, um diese eine Schlagkombination endlich perfekt umzusetzen oder die Kontrolle über ihren Körper noch weiter zu schärfen. Diese Dinge kümmerten Adson in diesem Moment wenig. Er konnte das Schwert sicher und variantenreich führen und sich bewusst bewegen. Mehr brauchte er im Moment nicht, schließlich wollte er keiner dieser Artisten der reisenden Gaukler werden, die sich wie eine Schlange verbiegen konnten und mit dem Schwert Buchstaben in Kleider ritzen konnten.
Also befand sich Adson nicht auf dem Hof der Akademie und auch nicht in der Arena, sondern auf eben jenem Schießplatz nahe des südlichen Tores, welcher nur vom unsteten Licht zweier Fackeln erleuchtet war und sonst verlassen und leer schien. Adson liebte diese Momente der Ruhe, in welchen er mit sich und seinem Bogen allein sein konnte, seine ganze Konzentration auf den Schuss lenken konnte und sich um nichts anderes kümmern musste.
Der Arenaleiter blickte leicht seitlich, hielt den Bogen noch gesenkt und den Pfeil schon bereit. Keine Regung seines Gesichtes ließ einen seiner Gedanken erahnen und wahrscheinlich hätte in diesem Moment auch keinen klaren Gedanken formulieren können. Sein Blick war starr nach vorn gerichtet, wo eine schwingende Zielscheibe manchmal vage im Fackelschein erkennbar wurde, um dann wieder im Schatten zu verschwinden. Dann plötzlich wanderte der Bogen langsam in die Höhe, der Pfeil wurde auf die Sehne aufgelegt und diese spannte sich unter dem gleichmäßigen Zug des routinierten Armes, schließlich erstarb jede Bewegung, bis die Hand die Bogensehne freigab und diese den Pfeil auf seine Reise zum Ziel schickte.
Adson stand unverändert, bis der Pfeil in der Scheibe einschlug, dann senkte er den Arm, griff nach dem nächsten Pfeil und ging drei große Schritte zurück. Dort würde sich das ganze Spiel wiederholen und irgendwann würde er wieder drei Schritte machen und dann nochmal drei. Bis er schließlich an seine Grenzen und die seines Bogens stoßen würde. Wurde Zeit, dass er sich mal einen neuen besorgte.
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