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Khorinis #6
Beinahe wären die Beeren aus der kleinen Rockkuhle gefallen und hätten von der hastigen Flucht aus der wohligen Zeit gezeugt, die noch in den Gedanken nachhallen wollte, als die Hände schon zitternd beim Anblick des Feuersturms drohten den Halt am Rock zu verlieren.
Nur mit Mühe hielt die Zauberin die kostbaren Früchte an ihrem Bauch geborgen, während die Augen vom beißenden Rauch tränend fassungslos am das Schauspiel aus Flammen und schwarzem Qualm hingen.
„Harz?“, fragte die Zauberin zweifelnd, die nur mit großer Anstrengung einen klaren Gedanken fassen konnte, „Ich denke nicht…“
Vorsichtig beugte sie sich hinab und ließ die Beeren langsam auf den Boden kullern. Einer jeden schaute sie betrübt nach, als hinge an jeder einzelnen einer der kostbaren Augenblicke, die von Frieden und Ruhe zeugten, ungebrochene Momente die vollkommen sorgenfrei waren.
Dann erhob sich die Wassermagierin mit grauen Augen, warf einen beunruhigten Blick auf den ihren Novizen und trat mit einem Schritt über die Beeren hinweg. Jeder weitere Schritt brachte sie näher an die Hölle aus Flammen und Rauch, gerade so weit, dass die Stränge der Magie, die sie wie tanzende Schlange umgaben, noch weit genug in das Land hinein reichten, um Wasser aus der Luft ziehen zu können.
Die Hände der Rothaarigen hoben sich, während der Mund tief die Luft einsog. Ein letztes Mal wandte sie den Blick zu ihrem Liebsten. „Vielleicht gehst du noch ein paar Schritte zurück!“, rief Melaine mit unüberhörbarer Sorge in der Stimme.
Mit der wenigen Zufriedenheit, die sie sich in jenem Moment erlauben durfte, nickte sie ihm zu, als er ihrer Forderung nachkam.
Die Magie wallte zu sehr um das Feuer, wallte zu sehr an diesem Ort, als dass ein Mensch mit einem Ast und Zunder oder die Sonne mit bestialischer Wut jenen Brand erzeugt haben konnte. Doch die Rothaarige konnte in diesem Augenblick nicht einmal erahnen, was hier geschehen sein könnte, nicht einmal im Entferntesten.
Die Stränge schlugen in die Luft und winzige Ströme aus Wasser bildeten sich, die aus allen Richtungen auf die Magierin zuflossen und umhüllten, eine Kugel aus Wasser um die Grünäugige bildeten, deren Hände sich ruhig nach vorne Streckten.
Mit donnerndem Tosen berstete die Kugel auseinander und entließ die Wassermassen auf die immer höher schlagenden Flammen.
Ein lautes Zischen erklang, hallte über den Tempelvorplatz und hallte über die Berge Jharkendars, als das heilige Wasser Adanos‘ aus die ketzerischen Flammen unbekannter Herkunft stießen, die sich in dem Augenblick, als das Wasser sie berührte, grün färbten.
Weißer Nebel stieg in die Luft, umhüllte den Hort der Schande und quoll wabernd auf die rothaarige Maga zu, die instinktiv die Arme vor das Gesicht riss und ein Wand aus Stein aus dem Boden hervorhob.
Zu beiden Seiten schoss der heiße Dampf an der jungen Frau vorbei, dass er ihr die Schweißperlen auf die Stirn trieb.
Sie wagte nicht, sich umzudrehen, aus Angst zu sehen, dass Saleph ihren Worten nicht gefolgt war, und beschwor drei weitere Wände, die ihren Körper umhüllten, bevor der Dampf es tat. Krachend schossen sie aus dem Boden und vollendeten das Viereck.
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Ihren Namen wollte er rufen, reflexartig, auch wenn es nichts brachte, den heißen Dampf des Wassers nicht aufzuhalten vermochte. Aber die Worte steckten fest in der Kehle, die zu sehr mit dem Ringen nach Luft beschäftigt waren, als alles ganz schnell ging. Obwohl er auf Melaine gehört und einige Schritte zurück gesetzt hatte, schlug die weiße Peitsche auch nach seinem Körper. Ein kräftiger Sprung nach hinten, ohne zu sehen wo es hin ging, jedoch von der Furcht vor dem faulen Zauber getrieben, stürzte Saleph rücklinks auf den Boden und landete unsanft auf dem Rücken, während die heiße Sud über ihn hinwegfegte. Selbst hinter den geschlossenen Lidern fühlte es sich an, als dränge die Hitze zwischen den Wimpern hindurch, um die eisblauen Gletscher zum Schmelzen zu bringen. Heiß troff die Flüssigkeit von der Stirn, als sich der Kopf zur Seite wand und nicht wusste, ob es der eigene Schweiß oder das beschworene Wasser seiner Zauberin war und sich mit dem aufstobenden Dreck des Bodens verband. Ebenso heiß und feucht legte sich der weiße Nebel auf die Kleidung, sog sie voll und presste die Hitze in den Körper des Mannes, der schmerzverzogen die Zähne zusammenbiss, obschon es mehr der Schock denn der Schmerz war.
So schnell der Spuk gekommen war, so schnell war er auch vorüber. Ein heiseres Keuchen, ein Husten befreite die Lunge von der wasserschwangeren Luft, die sie eingeatmet hattet und ein kurzer Würgereiz ließ Saleph schwarz vor den offenen Augen werden. Zu kurz, um wirklich wegzutreten, und mit erschrockenem Gesicht richtete sich der Oberkröper auf, als wäre er soeben in dem gemütlichen Bett nach einem Albtraum aufgewacht, der ihn einmal mehr im eigenen Schweiß gebadet hatte. „Melaine!!“, krächzte seine Stimme und mit den warmen, nassen Klamotten erhob sich der Novize, dass ihm die Brühe am Körper hinunterlief und in die Schuhe oder auf den Boden fand. Als würde er barfuß durch Matsch gehen, der sich in den Zwischenräumen der Zehen festsog und bei jedem Schritt ein schmatzendes Geräusch verursachte, erklang es aus den ledernen Schuhen, doch das war ihm egal. Erst zaghaft auf den Beinen, um ihre und die eigene Belastbarkeit zu testen, schließlich mit hastigen Schritt und besorgtem Gesicht, näherte sich Saleph der Hülle aus Lehm und Gestein, das die Zauberin behütet hatte – so hoffte er.
„Melaine...“ Das leise Geflüster prallte an die Steinwand und erzeugte an ihr einen kleinen Riss. Ein lauter werdendes Knacken war zu vernehmen, als der Riss wuchs und donnernd brach die Wand, wie die Mauern eines Hauses beim Erdbeben, dessen gewaltiger Kraft sie nichts entgegenzusetzen hatten. Wie der weiße Nebel, nur ungleich langsamer, legte sich der Staub des schützenden Kokons und rang dem Novizen ein neuerliches Husten ab, während seine Kleidung einen dunklen Ton annahm, wenn sie nicht ohnehin schon beschmutzt war.
Erst traurig, halb abwesend und schließlich erleichtert kehrten sich graue Augen zurück ins Grün, als die Rothaarige ihrem schmutzigen Liebsten in die Arme fiel und ihn fest an sich drückte. Ein riesiger Stein fiel dem vom Herzen, als er die Wassermagierin unverletzt vorfand und streichelte ihr zärtlich über den Rücken, da das leise Schluchzen an seiner Seite es verlangte. „Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist...“ Einen Augenblick verharrte er so mit Melaine und erstickte ihre Tränen mit einem liebevollen Kuss, der die tränenunterlaufenen und die verschmutzten Augen sich schließen ließen, um sich nur dem anderen hinzugeben. Behutsam nahm er sie bei der Hand und führte sie zur Hütte, warf einen Blick zurück zu dem gelöschten Trümmerhaufen, der noch immer dampfte und mit drohenden Gebärden den Rückzug der Menschen forderte, die sich in dieses Reich vorgewagt hatten.
„Was meinst du war das?“, fragte Saleph vor seiner Zauberin kniend, die sich aufs Bett gesetzt hatte um den Schrecken zu verarbeiten, obwohl er sich sicher war, dass sie das schon längst hatte. Vorsichtig wischte er ihr mit dem Daumen eine Träne aus dem Gesicht, die sich in etwas Staub verfangen hatte und machte es dabei nur schlimmer, dass sich ihr ein dunkle Streifen unterm Auge langzog. „Oh entschuldige... ich bin ja selber ganz dreckig...“ Sprach der Gärtner und blickte an sich herab, ehe sich der Blick sorgenvoll aus dem Fenster wandte. Ja, was war das. Vermutlich war es die falsche Frage, die sich besser nach dem wem gerichtet hätte und noch immer lagen die roten Beeren draußen im Staub.
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Das Pyramidental, es war ein Ort voller Ehrfurcht gewesen, auch wenn alles auf den ersten Augenblick zerfallen und überhaupt nicht mehr so aussieht, als wenn für irgendjemanden von Belangen. Doch einst, so hatte es Tim früher auf Khorinis gelehrt bekommen, lebte hier eine hoch entwickelte Kultur und die Tempelanlagen sind das letzte Zeugnis einer großen Dynastie gewesen. Daher war der Orksöldner schon stolz darauf, dass sein Lehrmeister mit ihm diesen Ort aufgesucht hat um wahrscheinlich hier seine Prüfung abzuhalten. Der Weg hierhin war noch nie einfach gewesen, auch schon zu sicheren Zeiten musste man ein gutes Stück durch den Wald und die Wildnis von Khorinis. Hier hatten schon damals wie heute gefährliche Kreaturen gelebt. "Je weiter du dich von der Stadt entfernst desto wilder und natürlicher wirst du die Insel vorfinden." Dies galt damals als ein gewisser Leitspruch für diejenigen, die nicht als Zielort einen der Bauernhöfen anstrebten als sie die sicheren Mauern der Stadt verließen.
Und so war es kaum verwunderlich das auch Gor Na Jan und sein Schüler das ein oder andere Tier aus den Weg räumen mussten, doch zum Glück war dies für die beiden sehr kampferprobten Männer kein größeres Problem gewesen. Der Elite hatte schon ganz andere Erfahrungen machen müssen auf den Weg nach Jharkendar, als sein Trupp aus Söldnern und Orks von Trollen angegriffen wurde und fast völlig vernichtet worden war.
Immer wieder stellte sich Tim in die Ausgangspostion und übte verschiedene Schwerthiebe und Schlagabfolgen. Dabei legte er diesmal weniger Konzentration auf die Härte der Schläger sondern auf die Beinarbeit. Sein linkes Bein fungierte dabei als Standbein. Beinarbeit war nicht weniger Relevant als z.B. das richtige Greifen des Schwertes oder das Schlagen. Das Gesamtpaket machte den Ausschlag und nur wenn man eins wurde mit seinem Zweihänder konnte man siegreich sein. Das lehrte ihn Gor. Gespannt was als nächstes passieren sollte gesellte er sich zu diesem ans Lagerfeuer.
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Der Templerführer und General einer Ein-Mann-Armee war am heutigen morgen bereits früh aufgestanden und hatte Tim aus dem symbolischen Bett und von der materiellen Reisigmatratze geworfen. Seitdem hatte die Haut des Orkelites eine zunehmende Farbwandlung von rosig hin zu bläulich und schließlich zu einem fast schrumpeligen Lila gemacht. Nicht von sich aus, sondern im anbetracht der Tatsache, dass sie seit mehreren Stunden unter dem Wasserfall am See saßen und mit geschlossenen Augen meditierten. Gor Na Jan, der diese Technik vermutlich hundertfach besser beherrschte als den Schwertkampf, machte es wenig Probleme seinen Geist allmählich von seiner bewussten Wahrnehmung zu lösen und so die Kälte wie ein Flüstern in den hinteren Teil seines Bewusstseins zu verdrängen. Andersson gelang dies eher weniger. Seine enorme Widerstandskraft verhalf ihm zwar gegen die Kälte anzukämpfen doch nicht diese zu verdrängen. Und darauf pokerte der Zweihandmeister. Selbstverständlich gehörte es zu Tims Ausbildung seinen Geist und sein Bewusstsein zu schulen. Doch nicht jetzt. Später.
Der Zweihandmeister erhob sich bevor Andersson die Augen öffnen konnte, packte ihn am Handgelenk und half ihm auf die Beine. Seinem Gesichtsausdruck zur Folge wenige Sekunden vor dem Erfrierungstod. Und wenn Tim in diesem Augenblick noch etwas anderes empfand als den reaktionären Hass und die Verachtung, die diese augenscheinlich sadistische Übung bei ihm ausgelöst hatte, so würde er unweigerlich merken, dass er in keinem Augenblick seines Lebens jemals so wachsam gewesen war. Noch bevor sein Schüler überhaupt vollständig aus dem Schwall des tosenden Wassers getreten war, hielt er seinen leichten Zweihänder, die Trainingswaffe der Templer, in Hände und wurde von dem Gor Na in Richtung der aufgestellten Stämme gestoßen.
Der Templer preschte an ihm vorbei und schwang sich in einer Bewegung an die Kante eines der Pfeilers und hob sich mit aller Kraft auf die erstaunlich trockene Oberseite. Mit gezogener Druidenklinge wartete er auf Tim um diesen mit dem Auftakt zur letzten Phase dieses Trainingskapitels zu empfangen. Nun erschien es umso deutlicher, warum beide Krieger sich am Morgen in ihre volle Rüstung geworfen hatten.
Die Pfeiler waren in einem wohlbedachten Abstand zu einander aufgestellt und verkörperten die perfekten Schrittpositionen in einem Zweikampf. Jeder Schritt musste sitzen und deshalb war es umso wichtiger, das Andersson bei vollem Bewusstsein in diese Begegnung ging und der Gor Na hoffte, dass er dies verstand und sich nicht von sinnlosen Gefühlen abhalten ließ.
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Pass zum Minental
„Ihr müsst euch ruhig verhalten, sobald wir uns ins Minental hinein bewegen“, hatte Lucio ihr vor ihrem Aufbruch am heutigen Tag erklärt. „Auch wenn das Minental sicherlich nicht mehr so gefährlich ist wie einst“, zumindest schien er dies immer zu behaupten, hatte sie in diesem Moment gedacht, „so sollte man immer noch Acht geben.“
Und so waren sie am heutigen Morgen aufgebrochen gen Minental. Während der Stunden, die sie hier am Pass verbracht hatten, hatte Lucio ihr immer wieder von abenteuerlichen Geschichten erzählt, die er erlebt haben wollte. Er sei bereits zu Zeiten des Minentals auf Khorinis gewesen, habe davor im Krieg gedient und so manch einem Ork das Fürchten gelehrt. Oder er habe Drachen gesehen, ja, leibhaftige Drachen. Humbug, so dachte sie, und doch erzählte er die Geschichten sehr detailreich und zudem mitreißend.
Seine Art, schlussfolgerte sie später des Nachts. Er hat etwas an sich, das einen mitfühlen lässt, das einen mit fiebern lässt. Und eine Art, die Vertrauen aufbaut, egal wie sehr man die Geschichten und die Art Lucios auch als lächerlich ansehen mochte.
Sie hob ihren Blick vom Boden zu Lucio an, der ein paar Meter vor ihr ging. Sie könnte meinen, dass er angespannter ging als sonst – doch gleichzeitig erschien seine Gangweise auch lässig. Ja, fast gelangweilt. So als wäre Gefahr ein Fremdwort.
„Dort vorne“, meinte er plötzlich und blieb stehen, „ist die Sammelstelle.“ Als Florence näher trat, konnte sie in einen kleinen Talkessel hinabschauen, in welchem sich mehrere zerstörte Gegenstände und Kisten befanden. Bretter, Seile, Balken. Alles lag durcheinander und kreuz und quer über den Talkessel verteilt herum.
„Ich habe das Minental bereits betreten, diese Stelle ist mir aber nie so... unordentlich aufgefallen.“
„Dann müsst ihr einen anderen Weg gegangen sein, werte Florence. Seit dem Fall der Barriere sieht es bereits so aus. Vielleicht schon davor.“ Er wandte seinen Blick wieder dem Weg zu. „Aber nun kommt, wir haben noch eine gute Strecke vor Sonnenuntergang hinter uns zu legen.“
„Wieder eines eurer Lager?“, fragte sie und schloss zu ihm auf.
„Eines der Jägerlager. Wir haben überall welche, die meisten sind unauffällig und oft auch nicht bewohnt. Manchmal Monate oder Jahre nicht. Und doch versuchen wir, sie in regelmäßigen Abständen in Stand zu halten, sodass wir jederzeit auf sie zurückgreifen können.“
„Keine schlechte Idee.“
„Nein, nicht wahr?“, meinte er mit einem grinsen, dann ging der Weg bereits bergab.
Bald wären sie im Minental selbst. Nur war dies auch der Ort, an dem ihre Kameraden gegangen waren? Ihre Brüder und Schwestern?
In Kürze wüsste sie es, so viel war sicher. Und Lucio würde eine entscheidende Rolle spielen.
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Behäbig schüttelte die Rothaarige den Kopf, blieb stumm und blickte mit leeren Augen durch die sorgenvollen, blauen Pupillen hindurch. Noch immer wollten die Bilder der höher schlagenden Flammen nicht weichen, noch immer die Hitze ihren Körper nicht frei lassen, dass Herz seinem Griff sich nicht entreißen lassen.
Schwer atmend saß die junge Frau auf dem Bett, glaubte über das, was geschehen war, hinweg zu sein und wusste doch nicht, sich aus den Klauen des Vergangenen zu befreien. Wie mit Nägel besetzte Finger krallten sich die Spuren der Magie in ihre Brust, in ihre Arme und umschlossen ihren Hals, suchten nach dem Tod, der auch in dem Körper der Rothaarigen ein Recht zur Existenz besitzen musste.
Ein tiefer Seufzer verließ den Mund der Rothaarigen und setzte den Kopf erneut dem sanften Schütteln aus. „Ich weiß es nicht… bei Adanos… es wollte mich erdrücken…“, flüsterte sie leise vor sich hin und bemerkte die schwarzen Streifen unter ihren Augen nicht, bemerkte nicht, wie die Hand des ehemaligen Wasserträgers sanft nach ihrer Schulter langte und den Fall ihres Köpers dämpfte. Ruhiger wurde der Atem, als die Augen sich ungewollt schlossen, ruhiger der Herzschlag, als der Geist in den Schlaf und in eine hoffentlich sorgenfreie Welt entfloh.
Stumm blickten die grünen Augen auf die gelbe, vom Weizen beseelte Landschaft, während die Gedanken trübe und leise plätschernd dem Fluss in der Ferne gleich dahintrieben. Lautlos fragte sich das kleine Mädchen, was das Schöne an dem bekannten und das Reizvolle an dem Unbekannten war. Was reizt dich noch, hier zu bleiben, wenn jeden Tag etwas dir Neues darauf wartet, entdeckt zu werden?
Die Rothaarige senkte den Blick und schaute dem kleinen Mädchen in die Augen. Ein schwaches Lächeln legte sich auf ihre Lippen, als ihre Knie sich ruhig beugten und ihren Kopf auf die Höhe desjenigen des Mädchens senkten.
„Das leise Flüstern des Flusses, das von Ewigkeit spricht?“, fragte Melaine und sah enttäuscht dem Kopfschütteln der Kleinen entgegen. „Kennst du die Antwort?“
Nein. Aber wäre es nicht an der Zeit, sie zu finden?, fragte das Mädchen und zerfaserte zu gelben Nebel, der im Hintergrund unterging.
„Du lügst, wenn du sagst, unwissend zu sein.“, rief ihr die Maga hinterher und wandte sich um, dem Blick des Grauhaarigen begegnend. „Was tust du hier?“
„Erinnerst du dich nicht? Ich warte auf dich…“, antwortete er und blinzelte, während die hinter dem Rücken verschränkten, vom schwarzen Stoff verhüllten Arme ein einziges Mal zuckten.
„Wie lange schon?“, fragte Melaine leise und legte den Kopf schief, ließ den Mund einen kleinen Spalt offen stehen, während die halb gesenkten Lider von der tiefen Müdigkeit kündeten, die sie befallen hatte.
„Ein paar Tage.“, antwortete der Mann ruhig, „Doch die Zeit rinnt davon. Hier mögen es nur ein paar Augenblicke sein, die woanders zu Tagen werden, gar zu Jahren, wenn man sich nur einen winzigen Augenblick verliert.“
„Wo bin ich denn?“, fragte die Wassermagiern ruhig und spürte doch ihr Herz schneller schlagen, glaubte, die Antwort zu erahnen und formte die Worte stumm mit ihm, der sie laut aussprach: „Auf der Flucht!“
Ein Schrei in der Ferne, der den Kopf der Zauberin herumriss. Das Blau des einst kleinen und nun zu einem breiten Strom angeschwollenen Flusses hatte sich rot gefärbt und kündete mit tiefem Blubbern von dem Untergang, dem er als Symbol vorstehen wollte.
„Wie… wie komme ich.. zurück?“, stotterte Melaine hilflos und suchte flehend nach dem Blick des Grauhaarigen, nach dem ruhigen, bedächtigen Gold seiner Augen.
„Ich würde dir sagen, was geschehen ist, wenn es nicht so viel zu zerstören vermag. Doch dieses darf ich dir geben, weil es nur ein Schritt ist. Kaum sichtbar, ein fehlerhafter Pinselstrich im Gesamtwerk. Nimm meine Hand!“, sprach der alte Mann leise und streckte seine geöffnet der jungen Frau entgegen.
Unsicher hob sich die Ihre, stand zitternd in der Luft und wusste nicht recht, ob es richtig sein konnte, wenn alles falsch zu sein schien. „Vertraust du mir?“, fragte er leise.
„Nein!“, war die bittere Antwort, als ihre Hand die seine berührte und ein helles, weißes Licht die beiden Gestalten verschlang.
Mit pochendem Herzen erwachte die Rothaarige, schreckte mit einem stummen Schrei auf den Lippen aus dem Schlaf und aus dem Liegen hoch. Unsicher tastete die Hände einzeln nach der anderen, streiften über die Arme und klammerten sich an den Schultern, um sich selbst zu halten. Die Gedanken beteten um Gelassenheit, doch das donnernde Herz trieb den vom Schweiß nassen Körper aus dem Bett und nackt, nur von der Dämmerung umhüllt durch den Raum.
Noch im Gehen griffen die gefallenen Hände nach der weißen Bluse und dem dunkelblauen Rock, bevor die baren Füße die Zauberin über die Schwelle trugen, hinaus in das diffuse Licht der Dämmerung, das mit sanftem Lächeln die Dienerin Adanos‘ begrüßen wollte und traurig ihren lethargischen Blick entgegen nahm.
In Bluse und Rock gekleidet sank Melaine auf dem Pentagramm in die Knie, faltete die Hände, schloss die Augen und senkte demütig den Kopf. „Oh Adanos, vergib mir, vergib der Frevlerin, die ich bin, die das Zeichen deines Bruders vernichtete…“, flüsterte die Grünäugige leise und spürte doch den Druck der Magie nicht weichen, der mühsam nur eine einzelne Träne aus ihren Augen drückte, „Vergib mir…“, flehte ihr Mund stumm, ehe das Herz stolperte und die Oberkörper der Frau nach vorne warf. Hilflos verließen die Hände die Gebetshaltung und fingen den Fall ab, während das schmerzverzerrte Keuchen der Magierin durch die sich anbahnende Nacht hallte und schließlich im Schluchzen der darniederliegenden Frau unterging. Ich habe gesündigt…, war der einzige Gedanke, der alleine auf dem leeren Parkett ihres Seins tanzte…
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Klappernd fand das nächste Stöckchen den Weg in die Arme des Gärtners. Im Dunkeln war es schwer, vernünftiges Brennmaterial zu finden und somit entglitt ihm lautlos der ein oder andere Fluch, um sich damit dafür zu schellten, nicht eher losgegangen zu sein. Nach dem Essen aber und mit den wärmenden Sonnenstrahlen im Gesicht war es nicht leicht gewesen sich aufzuraffen und den Preis für die Wonne des Tages zahlte er nun mit der erschwerten Arbeit bei Nacht. Nichtsdestotrotz musste das Holz gesammelt werden, das sich vereinzelt aus den Ruinen ziehen ließ oder einfach herumlag, wie eben jenes Stöckchen, das er gerade aufgehoben hatte.
„Blöd...“, murmelte Saleph, als er im seichten Schein des Mondes, der kaum mehr Licht spendete als die Flamme einer sterbenden Kerze, ein weiteres Teil aufhob, das einem Stück Holz glich und dabei nur ein verrosteter Schmiederohling war. Klappernd flog das Metall, das durch die Hilflosigkeit ohne die Menschen nie zu einer schimmernden Klinge würde und nun schutzlos der Natur ausgesetzt war zurück in den Haufen Schutt, wobei der Novize die Augen ob des Knalls zusammen kniff. Ein undefinierbares Geräusch, ein leises Kichern oder Dergleichen, mischte sich in den Ton des fallenden Rohlings und klang noch nach, da dieser bereits den Boden erreicht hatte. Schlagartig öffneten und weiteten sich die blauen Augen, dass es ihnen einen kalten Schauer über den Rücken jagte.
„Ist da jemand?!“ Das Rufen, obgleich laut und deutlich, war zaghaft und von der zittrigen Lunge, die den Atem so schnell kommen und gehen ließ wie das Herz seine Schläge tat, nur unsicher wiedergegeben worden. Viel mehr als eine etwaige Antwort ängstigte den Gärtner die Stille. Die Stille, die war, trotz des besseren Wissens oder des eingebildeten besseren Wissens, das hier jemand kicherte, erzeugte ein Gefühl, das die Beine für sich einnehmen und sie nur noch rennen lassen wollte. „Melaine? Komm schon, das ist echt nicht lustig!“, sprach der Mann, der seine Liebste erst vor wenigen Tagen beim Meditieren erschreckt hatte. Und doch war es anders, auch wenn er die Rache der Wassermagierin verdient hätte, wusste er, dass sie noch in ihrem gemeinsamen Bett liegen und ruhen würde. Der letzte Impuls kam, als die Augen eine Bewegung in der Dunkelheit wahrnehmen wollten und sich dabei vielleicht täuschen ließen, jedoch war es genug, damit Saleph das Holz fallen ließ und dem Drang der Beine nachgab.
Weiter, unnachgiebig und kalt schien sich die kalte Hand nach dem Rennenden zu strecken, der weiter lief, ohne sich umzudrehen und dabei beinahe das ein oder andere Mal beinahe über Stufen, Steine und die eigenen Füße gestolpert wäre. Heiser hechelnd setzte Saleph die Flucht fort zwischen den zerfallenen Häusern hindurch, doch egal wie schnell er war, wollte das Gefühl nicht weichen und dabei eher näher kommen. „Melaine!“ Schon war die Hütte, ihre Hütte, in Sicht, die rettende Zuflucht, wo die mächtige Zauberin für Schutz sorgen würde, als sich der verfolgende Schatten zurückzog und der Gärtner mit dem Rennen aufhörte. Verwirrt drehte er sich herum und sah doch nichts in der Dunkelheit der Nacht, die ihm einen derart bösen Streich gespielt hatte. Ein Streich?
„Melaine?“, hauchte die zittriger Stimme zwischen dem Keuchen in die Schwärze. Irgendwie war sie da und war es doch nicht, während sich etwas anderes zurückzog, das der Novize nicht verstand. Die letzten Nächte waren wieder unruhig gewesen und die Müdigkeit befeuerte die Fantasie, aber so weit wollte er doch nicht gehen. Hastig trugen ihn die Schritte zu ihrer Behausung, nachdem die Verwirrung abgeschüttelt, als Nichtigkeit abgetan und nicht weiter beachtet wurde und beinahe wäre er eingetreten, hätte er nicht unweit auf dem Tempelplatz das Häufchen Elend erspäht. Schnell und von Sorge getrieben näherte er sich der Rothaarigen, auf deren Rücken sich die raue Hand legte. Sie fühlte sich leer an, kalt und provozierte ein heftiges Rütteln des schwer schnaufenden Mannes, der kaum noch etwas sagen konnte, bis sich die kupferfarbenen Fäden hoben und ihn die Zauberin aus grünen, tränenschwangeren Augen anblinzelte. „Oh Gott... ich hatte solche Sorge um dich!“, flüsterte Saleph heiser, während er ihr über die Wange strich. „Komm, steh auf. Wir müssen ins Haus zurück... was ist mit dir passiert, dass du hier liegst? Ist alles in Ordnung?“
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Minental
Vorsichtig trat sie die restliche Glut aus und kniete neben der Feuerstelle nieder. Mit ihren Händen nahm sie etwas Erde und warf diese auf die Glut, sodass auch kein Funke mehr entstehen könnte. Ein paar kleine Rauchschwaden stiegen noch gen Himmel, dann erstickten auch sie und übrig blieb die Asche und Erde.
„Alles bereit?“, fragte Lucio.
„Feuer aus, Tasche gepackt. Es scheint mir, wir sind aufbruchsbereit.“
Der Jäger grinste. „Das Lager sieht wieder so aus wie zuvor. Euch kann man wahrlich mitnehmen, Florence.“ Lucio verbeugte sich vor ihr, auf seinem Gesicht ein schelmisches Grinsen. „Aber nun weiter mit uns. Wir wollen doch bald eure Kameraden finden, nicht wahr?“
„Oh ja, darüber wär ich sehr erfreut!“
Und so verließen sie das kleine Jägerlager am Anfang des Minentals. Ihr Weg führte sie nun bergab, hinunter in das eigentliche Tal. Auch wenn sie das Minental als trostlose Landschaft in Erinnerung hatte, so konnte sie dennoch an manchen Ecken Büsche und Sträucher erkennen, hier und dort wuchsen Grasbüschel. Dennoch kein so schöner Ort wie der restliche Teil der Insel.
Und du verbindest genug schlechte Erfahrungen mit dem Minental, nicht wahr? Monat für Monat hast du dich hier gequält, erinnerte sie sich, warst nicht mehr als ein Tier. Und doch suchst du gerade diesen Teil der Insel auf. Selbsthass?
„So, Florence. Nun schaut ihr auf einen großen Teil des Minentals hinab“, meinte Lucio und blieb an einem klapprig aussehenden Holzbalken-Geländer-Verschnitt stehen. Sein Finger deutete über dieses Gebilde hinaus, über den Hang hinweg. Florence brauchte nur einen Schritt näher zu kommen, um den doch atemberaubenden Blick zu bekommen. Sie standen am Hang eines großen Berges und unter ihnen, nicht so weit entfernt, schlängelte sich ein breiter Fluss. Dahinter stand die alte Burg. Doch ihr Blick wanderte weiter, hinüber zum anderen Gebirge, dann zu den großen Wäldern, die mehr tot als lebendig aussahen.
„Kein schöner Anblick“, meinte Lucio.
„Ich weiß nicht“, meinte Florence. „Irgendwie...“
„Ja, es hat etwas, nicht wahr?“ Er schaute zu ihr hinüber. „Wir können hier noch einen Moment verweilen, dann sollten wir aber aufbrechen.“
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Ein Blick auf kalten, blauen Augen, die herabsahen und doch nicht sahen, was zu sehen ihnen bestimmt gewesen war. Und das Grün hob sich fragend, ängstlich mit dem Blick nicht konkurrieren zu können, zuckend, weil es wieder weichen wollte vor dem Eis, das sich tief in die Seele zu bohren schien. Als Blicke Adanos durch ihn hindurch, als sei die Kälte das Eis, was die Frevlerin erfüllen sollte, umhüllen sollte, dass sie schwieg und nie wieder das Urteil ihres Gottes in Frage stellte.
„Nein!“, kreischte die rothaarige Sünderin und versuchte sich aus dem festen Griff des nicht Erkannten loszureißen, vorsuchte sich dem finsteren Blick der hinter Tränen verschwommenen Gesichtszüge zu entziehen, hoffte, entkommen zu können, ehe das Eis ihr Herz erreichte.
Melaine begann zu zittern und sackte hilflos, der Kraftlosigkeit ihrer Beine nachgebend, zurück auf den Boden. Ein Schluchzen ließ ihren Körper erzittern, während die noch immer von dem fremden Griff umschlossenen Hand zuckend versuchte, ihm zu entkommen.
„Vergib mir doch… lass mich doch!“, jammerte die Grünäugige leise vor sich hin, während die Tränen weiter durch das von Staub und Dreck verdunkelte Gesicht tiefe Graben pflückte und die bleiche Haut dahinter im schwachen Schein des neu geborenen Mondes zum Funkeln brachten.
Die Nacht erstickte den Glanz für die Ferne und die Geräusche Jharkendars verstummten für das Schluchzen der jungen Frau, die machtlos und hilflos dem eigenen Untergang entgegen sah.
Immer tiefer Drang das Eis in ihren Köper, dass schon die Beine glaubten, sich nicht mehr bewegen zu können, dass die Hände erstarrten, obschon sie ungebunden, die eine in der Luft, die andere in den Händen ihres Novizen, schwankten und zitterten, nach Leben lechzten, dass die Schuld der Dienerin ihnen zu verwehren schien.
Ein letztes, leises Schluchzen, ehe die Stimme brach und sich gleichsam dem Dienste des Leides verweigerte. Taub trieb der Geist durch ein Meer aus Sand und Wind, auf der Suche nach Wasser und nicht wissend, welche Richtung den Ozean barg.
Kleine Körner raubten den trockenen Augen die Sicht, ließen sie wanken und sich senken, hoffend, dass die Stille sie noch nehmen würde, würden sie für immer schweigen wollen.
Eine Hand strich über den kalten Rücken, eine Hand, die der Sonne gleich Wärme spenden wollte, doch im Gegensatz zum beleidigten Auge Innos‘, jene noch in sich trug und mit ihr zu heilen versuchte, was den Riss zwischen dem Gott und seiner Dienerin forderte.
Melaine schlug die Augen auf und begegnete ein weiteres Mal einem Blick aus blauen Augen, dessen Eis geschmolzen und dessen Sorge ängstliche Funken in die Nacht schlug, die hofften, auf einer grünen Wiese zu landen um im reinigenden Sturm die Angst vor der Rache Adanos‘ zu verbrennen, die Zweifel an der Richtigkeit der eigenen Taten auszuräuchern und die Sünde dem Fallbeil zu überantworten, da jene sich an dem Herzen der Rothaarigen vergangen hatte.
Und doch blieb der Blick leer, sah schweigend den Funken und ihrem Vergehen entgegen, hörte das leise Schlagen einer vertrauten Melodie und blieb doch bewegungslos in der um sich herum erschaffenen Welt sitzen.
„Jetzt ist es Nacht…“, murmelte Melaine und versuchte vergebens den Kopf dem Blick des Mannes vor ihr entgegen zu heben, „…und sie ist zur Ewigkeit erdacht! Hörst du sein Schweigen? Ich bin seiner Stimme, seiner Worte nicht wert. Er hat mich verlassen wie seine Magie, denn ich habe seine Weisheit nicht erkannt… Vergib mir…“
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Salzige Seeluft, die vom Meer her wehte. Medin kannte diesen Geruch schon sein ganzes Leben lang, sodass er sich längst daran gewöhnt hatte. Doch aus dem Landesinneren zu kommen und wieder den Seewind, der nach neugieriger Ferne roch, in den Haaren zu haben und auf die unendliche Weite des Meeres hinauszublicken, war jedes Mal eine neue Freude, derer er nie überdrüssig wurde. Und so war es eigentlich ein ganz schöner Tag, als Lilo und Medin mit der strahlenden Sonne über ihren Köpfen am Hafen von Khorinis standen und der Südländer auch nicht an seine Seekrankheit dachte.
Aber in der Luft lag noch ein anderer Geruch. Schnapsrückstände, die schon einige Zeit in einer Mundhöhle ihre Wirkung getan hatten. Der Seemann und Besitzer dieser Mundhöhle war ein kräftiger Mann, dessen wild gewachsener Bart ebenso dunkel war wie sein zotteliges Haar, das ihm in fettigen Strähnen auf dem Haupt stand. Lediglich die obligatorische Zahnlücke fehlte ihm.
„Jo, nach Vengard geht’s“, bestätigte der Mann namens Harry die Nachfrage des Generals. „Hab da’n paar Geschäfte zu machen. So dies und das. Man muss ja flexibel sein in diesen Zeiten. Eigentlich immer, aber noch mehr in diesen Zeiten. Hat meine Mutter, die Götter haben sie selig, immer gesagt. Recht hatte das dumme Weib.“ Der Kerl lachte auf. „Was treibt euch zwei Hübschen denn dort hin?“
„Heimat“, erwiderte Medin mit einer leichtfertigen Benutzung dieses Wortes, wo er gerade hier auf khorinischem Boden stand. „Wir haben eine kleine Reise gemacht und wollen jetzt zurück nach Vengard.“
„Eine kleine Reise? Wer unternimmt denn heute noch Reisen? Hat doch keiner mehr das Geld dafür.“
„Es heißt ja nicht, dass sich die Reise nicht gelohnt hat. Und für diese Reise haben wir noch etwas Geld“, fügte der Paladin mit einem Griff an den Gürtel hinzu. Das Lächeln des Seemanns wurde breiter.
„Wisst ihr, ich mag Reisende irgendwie. Euch ganz besonders und weil ich euch so mag, kriegt ihr auch einen Sonderpreis. Siebzig Goldmünzen für euch beide. In den Mannschaftsquartieren ist noch Platz, aber dafür sind wir auch nicht lange unterwegs.“
Dass das ein Sonderpreis war, glaubte Medin dem Kerl natürlich aufs Wort, aber sein Gerede störte ihn nicht besonders. Siebzig Goldmünzen waren jedenfalls noch kein Wucher.
„Einverstanden. Die Hälfte hier und die andere Hälfte in Vengard.“
„Willkommen an Bord der ‚fliegenden Makrele’“, verkündete Harry fünfunddreißig Klimpergeräusche später und schlug ein.
Geändert von Medin (09.08.2009 um 21:55 Uhr)
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Im Minental
Vorsichtig pflückte sie einige Beeren entlang des Waldrandes, während sie leise ein Lied aus ihrer Kindheit pfiff. Der Text war ihr entfallen, die Melodie jedoch war ihr so klar als hätte ihre Mutter dies erst gestern gesungen.
„Ein schönes Lied“, kam es von Lucio. „Hab ich lange nicht mehr gehört.“
Florence schaute auf, verblieb jedoch in der Hocke. „Ich auch nicht. Doch irgendwie kam es mir grad in den Sinn...“
Lucio lächelte, schien jedoch den bedrückt wirkenden Gesichtsausdruck zu erkennen und beließ es dabei. Er machte sich weiter daran, den Scavanger auszunehmen, den er am Morgen erlegt hatte. Dass er ein guter Jäger war, konnte sie nicht bestreiten, dafür schien er sich nicht für Wurzeln oder Beeren zu interessieren. Florence jedoch konnte sie gut gebrauchen, sowohl für Salben als auch als Nahrung.
Sie nahm ihr kleines Messer hervor und schnitt vorsichtig drei Blätter von einer kleinen Pflanze ab und nahm eines und zerdrückte es zwischen ihren Fingern. Ein süßlicher Geruch stieg ihr in die Nase, gefolgt von einem Kribbeln, welches sich schnell ausbreitete. Talduft nannte sich diese Pflanze. Im Frühjahr trieb sie wunderschöne Blüten, die einen Geruch nach Beeren und süßem Honig verbreiteten. Doch zu dieser Zeit waren die Blätter wenig nützlich. Erst im Sommer oder frühen Herbst entfaltete sich die heilende Wirkung in diesen. Und man fand sie nur hier, im Minental.
„Seid ihr gleich fertig, junge Dame?“
„Junge Dame?“
„Ich dachte mir, ich rufe euch mal anders. Der Abwechslung halber.“
„Ach so,“, meinte sie mit einem Lächeln auf den Lippen und stand aus ihrer Hocke auf. „Nun, wenn es euch gefällt, nennt mich so wie ihr beliebt. Aber ja, ich bin soweit. Und ihr?“
„Beinahe.“ Der Jäger schnitt mit seinem Messer ein großes Stück Fleisch aus dem Rücken des Scavangers. „Wenn ihr so freundlich wärt, mir ein wenig zu helfen, können wir schnellstmöglich aufbrechen.“
„Nun gut, wenn ihr mich so lieb fragt.“
Die Templernovizin begab sich neben Lucio und hielt, während er noch einige verwertbaren Stücke herausschnitt, den Scavanger kadaver fest. Ein unangenehmer Geruch stieg ihr in die Nase, vermutlich Urin oder Kot. Vielleicht auch der Mageninhalt, wer wusste dies schon? Sie hielt ihren Kopf einfach zur anderen Seite gerichtet, sodass der Wind ihr nicht auch noch mehr Geruch in die Nase trieb.
Nach wenigen Minuten war es geschafft und Lucio brachte den Scavanger ein Stückchen in den Wald hinein, sodass er dort von den Tieren als Nahrung genutzt werden konnte. Währenddessen packte Florence die Fleischstücke ein.
„So, dann lasst uns noch eben die Hände waschen, dann brechen wir auf. Ich denke, wir brechen gen alte Mine auf.“
„Alte Mine?“
„Während der Zeit der Barriere befand sich in dieser Richtung“, er deutete auf den Wald, „eine Mine, die vom alten Lager genutzt wurde.“
„Und da treffen wir auf die Templer?“
„Liebe Florence, ich hoffe, dass wir dies tun. Seid aber nicht zu enttäuscht, wenn wir sie dort nicht antreffen. Das Minental ist groß. Aber lasst uns dort beginnen.“
„Nun gut“, meinte sie und schritt mit ihm gen Wasser. Was wäre, wenn sie sie nicht fände? Was dann?
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An gefressen und ein klein wenig sauer war Tim durchaus gewesen, als sie die Übung am Wasserfall beendet hatten. Wie es des öfteren schon vor kam bei Na Jans Übungen stellte sich der Söldner auch heute mal wieder die Frage nachdem Sinn des Ganzen. Sie saßen gemeinsam unter einem Wasserfall und ließen sich im wahrsten Sinne des Wortes voll laufen. Sommerliche Temperaturen und Sonnenschein waren zwar nicht gegeben, aber es war auch nicht all zu kalt gewesen, sodass man es einige Zeit aushalten konnte. Aber wie es aussah definierte Gor "einige Zeit" ein wenig anders als sein Schüler, sodass daraus mehrere Stunden wurden und Tim am Ende sich dem Tod näher fühlte als dem Leben. Eigentliche wäre es ihm jetzt nach einem schönen Lagerfeuer und etwas zu Essen, doch der ehemalige Templer war anscheinend mit dem falschen Fuß aufgestanden und drückte ihm statt einer saftigen Fleischkeule einen Zweihänder in die Hand und deutete an, dass es mit dem Training gleich weiter gehen würde. Tims Gesicht verzog sich in Verachtung und Aufgebrachtheit. Sauer wollte er nicht sein, denn sein Lehrmeister wusste was das Beste sein würde, aber dennoch wollte er gerade eigentlich nur alleine sein und sich nicht von irgendjemanden was sagen lassen. Doch das alles nützte nichts, denn ohne Training würde er keine Fortschritte machen.
Die Übung hatte Ähnlichkeiten mit Einer aus der Burg, nur das jetzt noch der Kampf hinzukam. Im Minental hatte er sich den Weg durch aufgestellte Mauerpfeiler bahnen müssen, um auf die anderen Seite zu gelangen. Nun musste er auf diesen auch noch kämpfen und das in seiner vollen Elite Söldner Rüstung.
Um erst ein Mal Sicherheit zu gewinnen und wieder klaren Kopfes zu werden beschloss der Dunkelblonde erstmal nur die Grundschritte zu gehen, um auch ein Gefühl für die Höhe zu bekommen, denn das Wasser unter ihnen reichte vielleicht gerade Mal zu den Knöchel der Füßen, währenddessen sie sich in einer Höhe von 2-3 Meter bewegten. Nachdem Tim also die ersten Schritte gewagt hatte konnte er zu mindestens feststellen, dass die Pfeiler stabil waren und nicht wackelten oder sich sonst wie bewegten. Dies war ein wichtiger Faktor, denn Angst spielt auch eine Rolle bzw. im Hinterkopf und im Unterbewusstsein ist man doch eher auf Absicherung bedacht, wenn man weiß, dass da irgendetwas nicht in Ordnung war. Aber so brauchte man sich keine Sorgen machen und die Übung konnte beginnen.
Man brauchte nicht lange zu rätseln, wer das erste Zeichen setzen wollte. Gor hob seine Klinge und setzte zum Schlag an. Gekonnte hüpfte der Söldner auf den Pfeiler rechts eben ihn und schlug mit seinem Zweihänder von unten dagegen um zu blocken. Das Geräusch des Aufprallens der zwei Schwerter konnte man im ganzen Tal wahrnehmen. Nun zog er seinen linken Fuß nach und sein Lehrmeister bewegte sich nun ebenfalls nach rechts, sodass sich beiden wieder gegenüberstanden. Seine Hände fühlten sich noch immer weich und schlapp an und auch die Konzentration war nicht ganz optimal, doch dies durfte keine Rolle spielen bei der Übung. Nur wenn die Körperspannung da war konnte man erfolgreich kämpfen, denn ohne Anspannung fehlte was und in den entscheidenden Momenten war man dann zu langsam, was verheerende Folgen haben könnte. So ging der Schüler nun als in die Offensive, machte einen Schritt nach vorne und schlug von oben rechts diagonal nach unten. Gor blockte und stach kurz danach zu. Schnell zog Tim seinen Bauch ein und wich nach hinten aus, wo er fast den Pfeiler verpasste. Glück im Unglück, doch dies gehörte dazu. Von nun an war es ein Wechselspiel gewesen, keiner der Beiden vermochte es die Oberhand zu gewinnen. Na Jan machte viel über die Erfahrung und so wusste er meistens ziemlich genau, wie er die Schläge seines Schülers abzuwehren hatte. Andersson dagegen stellte sich bei Angriffen oftmals clever an und nutzte das Terrain, denn anders wie auf einer ebenen Fläche konnte man mit meinem geschickten Schritt viel Raum gewinnen und je nachdem wie die Pfeiler angeordnet waren konnte sein Gegner so schnell nicht hinterher und musste einen kleinen "Umweg" gehen. Im Laufe des Kampfes wurde es ihm das selber bewusste und er deutete es als ein Zeichen dafür, dass sein Körper die Strapazen des Wasserfalles verkraftet hat und sein Kopf voll da war und ihm gute Dienste leistete. Die Früchte seines Trainings erntete Tim nun selbst. Oft hatte er einfach trocken Übungen gemacht und wiederholte bestimmte Schrittabfolgen immer wieder, auch wenn diese vielleicht nur aus 3,4,5 Schritten bestanden, dann brach er ab und versuchte es zu perfektionieren.
Nun war es wieder Gor die Angriff und die Schwerter prasselten frontal gegeneinander, sodass Beide den jeweils Anderen gut ins Gesicht schauen konnte.....
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Im Minental
„Dort vorne“, meinte Lucio und deutete durch einige Hecken hindurch. „Könnt ihr sie sehen?“
Florence rückte ein Stückchen näher an den Jäger heran und schaute zwischen den Büschen hindurch, während sie versuchte, nicht in der Hocke umzukippen. In der Ferne, vorbei an Büschen und Bäumen, konnte sie tatsächlich eine Palisade erkennen. Laut Lucio der Schutzwall, der vor einigen Jahren noch Paladine und Schürfer beschützt hatte. Mittlerweile aber, so der Jäger, traf man hier nur noch wenige Menschen an, meist waren es Einzelgänger, die auf der Suche nach dem magischen Erz waren.
„Aber was ist mit denen dort vorne?“, sie deutete auf einige Orks, die sich nicht allzu weit von der Palisade aufhielten und in ein Gespräch vertieft schienen.
„Die könnten zu einem Problem werden. Auch wenn sie sich gesittet in den Städten und auf dem Großteil Khorinis benehmen, so ist das Minental ein freies Land. Hier lebt jeder und alles, was nicht woanders geduldet wird oder leben möchte.“
„Und so können wir keine Freundlichkeiten von ihnen erwarten, richtig?“ Der Jäger schüttelte den Kopf. Wieso hab ich das nur erwartet? „Was machen wir dann?“
„Entweder wir suchen woanders weiter oder aber wir warten ab, was die Orks unternehmen. Vielleicht sind sie auch nur für kurze Zeit hier und wir können in ein paar Stunden problemlos zur Palisade. Viel Schutz wird sie uns aber nicht bringen.“
Florence schaute zwischen den Orks und Lucio hin und her. Was tun?
„Ihr seid euch sicher, dass ihr dort Templer gesehen habt?“
„Liebe Florence, ich bin mir sicher, dass ich dort ähnlich gekleidete Personen sah wie euch, zudem mit großen Schwertern.“
Dies könnte passen, dachte sie. Die Templer waren dafür berühmt gewesen, mit größeren Schwertern zu kämpfen. Sie galten als einer der besten Krieger auf Khorinis und sicherlich auch schon zu Zeiten der Barriere.
Und doch waren sie alle fort. Oder vielleicht auch nicht?
„Wir warten.“
„Gut, dann helft mir, dann lasst uns eine etwas sichere Position einnehmen.“ Sie machten ein paar Schritte nach hinten, achteten dabei darauf, nicht zu viele Geräusche zu machen. Als sie gerade eine Lichtung erreichten, ließ Lucio sie stoppen. „Ihr bleibt hier und haltet euch bedeckt. Ich werde die Umgebung absichern und nach den Orks Ausschau halten. Nicht, dass wir nachher noch eingekreist werden.“
Und damit verschwand Lucio, während Florence es sich mehr oder weniger bequem machte.
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„Aber Melaine, was redest du denn da...“, sprach der Gärtner und barg vorsichtig die Frau in seinen Armen, die sich noch vor wenigen Wimpernschlägen dagegen gewehrt hatte, als wäre er nicht er und sie nicht sie gewesen. Das eigene Grauen, die Flucht und das pumpende Herz waren vergessen, doch schlug es nun wild vor Sorge um die Liebste, die sich verwirrt zeigte wie selten zuvor. Zärtlich streichelte er durch das rote Haar und blickte in die grünen Augen, die endlich erkannt hatten, wer sie da hielt und sich nichtsdestotrotz nicht recht freuen wollten. „Was hast du nur?“ Die Frage erhielt keine Antwort, während er der Zauberin hoch half und mit dem Daumen die Träne von ihrer Wange wischte, auch wenn sich die Trauer weiterhin hartnäckig halten wollte wie Teer an einem weißen Tuch, das nicht mehr weiß sein konnte ob des Makels.
Mit gekräuselter Stirn wandte Saleph den Blick über die Schulter, dort hin, wo es ihm gerade noch eiskalt über den Rücken gelaufen war. Aber nichts war zu sehen. Nur die paar zerfallenen Hütten in der Nähe des Tempelplatzes, Dunkelheit, sonst nichts. Keine Bewegung. So war es gut. Leise seufzend legte er den Arm um Melaines Schulter und führte sie zurück in die einzig intakte, ihre Behausung, wo sich die Maga auf dem Bett niederließ und das Gesicht in den Händen verbarg. Was hat sie bloß..., fragte sich der Novize in Gedanken und verriegelte die hölzerne Tür, dieses Mal besonders sorgfältig und warf einen letzten Blick aus dem Fenster in die Finsternis der Nacht, ehe er sich zu der Zauberin aufs Bett legte. Die auf dem um das Kissen verschränkten Arme dienten dem müden und verwirrten Kopf als Auflage, von wo aus er wie eine Katze mit großen Augen die Zauberin betrachtete, die sich lieber in dem Daunensäckchen versteckte und so beschloss Saleph, dass er sie heute nicht mehr darauf ansprechen, nicht mehr das Problem aufwühlen wollte, damit sie einen behüteten Schlaf hatte, dem sie sich beide bald nach jenem Gedanken ergaben.
Das gesenkte Haupt zeichnete sich unter der Kutte ab, während die Hände in den weiten Ärmeln ineinander verschränkt waren und nur das leise, gleichmäßige Atmen den dunklen Raum erfüllte. Einmal mehr stand er da, macht- und gestaltlos, zum Zuschauen verdammt, zum Zuhören gezwungen und hasste diesen Traum jetzt schon, obwohl er nicht einmal begonnen hatte. Brummend hob sich das vermummte Haupt des Robenträgers, dem die Kaputze noch immer das Gesicht in Schatten hüllte. „Ah warum störst du mich in meiner Meditation?!“, drang die dunkle, doch wohlbekannte Stimme verächtlich durch die Schwärze des Saals der Vergessenheit. „Oh... das warst du ja nicht einmal. Ausnahmsweise.“ Kurz drehte sich der Unbekannte, als suchte er nach etwas und hielt dann plötzlich inne. Kratzend scharrte die Hand über das verdeckte Kinn und schob sich anschließend wieder in den Ärmel zu der anderen Hand, die noch immer vor der Brust ruhte. Ein weiteres, wissendes Brummen durchbrach die Stille.
„Arkane Ströme, die einem jeden Anwender der Magie innewohnen, lassen sich von anderen Zauberern aufspüren, indem...“ Mit einem bösen Knurren unterbrach sich der Redner, ehe er nach kurzem Durchatmen fortsetzte. „Deine Fortschritte sind mickrig, wieso erkläre ich es überhaupt! Du würdest es in einer Äone Jahren nicht verstehen, daher gebe ich dir die Fähigkeit einfach mit, ohne dass du sie verstehen musst, denn für die Prüfung brauchst du sie.“ Verwirrung machte sich breit. Wie immer bei diesen Träumen, die den Novizen mit einem unruhigen Schlaf straften und zugleich belohnten, auch wenn sich der Lohn zuerst in brennendem Schmerz äußerte, als der Fremde erneut die Hand hob und damit in die Richtung des Körperlosen deutete. Von dem lauten Aufschrei, der ungehört durch die Gedanken hallte, wusste Saleph nicht, ob er auch in der echten Welt zu hören war, fern des Schlafs und der Träume, auch wenn er nicht sicher war, ob er wachte oder träumte oder langsam dem Irrsinn anheim fiel.
„Du hast dich zu weit vorgewagt. Aus meinem Sinn Hexenmeister!!“, donnerte plötzlich die Stimme, da sich der Kuttenträger nach links drehte und starr in die Schwärze blickte. Ein gemeines Gackern ließ sich vernehmen, das Saleph einen Schauer über den Rücken jagen wollte. „Dies ist kein gewöhnlicher Körper und in seinen Träumen verfügst du über keinerlei Macht. Hier regiere ich!“ Und einmal mehr kicherte es aus der Schwärze. „Déjà vu...“ – „Nein. Aber du sollst mich bald kennen lernen...“ Klappernd und laut landete die rostige Sense auf dem schwarzen Steinboden, deren Blatt noch weitersang, da sie schon lange gelandet war und ließ ihr schauriges Lied schwingen, bevor das Gackern in der Dunkelheit schwächer wurde und bald gänzlich verblasste. Wieder widmete sich der Mönch dem Zuschauer, der nicht wusste wie ihm geschah und eine gewaltige Übelkeit überfiel seinen Körper. „Geh jetzt. Eins noch: Sie hat Adanos’ Segen nicht verloren, es ist seine Schuld. Beeil dich, lerne. Die Prüfung kommt bald!“
Ein undefinierbares Geräusch drang gurgeln, röchelnd aus der Kehle des hochgeschreckten Novizen, der mit weit aufgerissenen Augen und heftig schlagendem Herzen den aus dem Fenster fliehenden Schatten verfolgte. „Melaine!“ Schweißperlen rollten über die Stirn, als die raue Hand an der Schulter der Rothaarigen rüttelte, um sie mit sorgenvollem Blick aus dem Schlaf zu entreißen.
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Im Minental
Allmählich dämmerte es im Minental. Das dichte Blätterdach schluckte noch mehr der letzten Sonnenstrahlen, sodass Florence bereits Schwierigkeiten bekam, alles klar zu erkennen. Vor allem weitere Entfernungen fielen bereits jetzt schwierig.
Und Lucio war noch immer nicht aufgetaucht. Ob ihm was passiert ist? Aber gehört hab ich auch nichts, dachte sie sogleich.
Langsam machte sie einige Schritte in der Hocke. Sie hatte sich die ganze Zeit über nicht getraut, sich hinzustellen. So musste sie alle paar Minuten ein paar Schritte machen, damit ihre Füße und Beine nicht einschliefen.
Wo bleibt er nur? Was kann ihn aufgehalten haben?
Gerade als ihr dies in den Sinn kam, hörte sie ein Knacken ganz in ihrer Nähe. Sie versuchte noch tiefer zu Boden zu sinken und schaute sich um. Ihr Herz pochte mit einem Mal heftig, sie spürte, wie ihre Knie zu zittern begannen.
Erneut knackte es, dieses Mal von einer anderen Stelle aus. Florence legte ihre Hand auf den Schwertknauf und machte einige Schritte in gebückter Haltung. Ein weiteres Knacken ließ sie wieder zusammen zucken. Nun zog sie langsam ihr Schwert auf der Scheide und hielt die Spitze gen Boden. Ihr Schild jedoch behielt sie auf dem Rücken. In der Enge und der Haltung würde es ihr eh nicht viel nützen.
Zweimal knackte es nach wenigen Sekunden. Auch wenn sie darauf gewartet hatte, musste sie einen erschrockenen Aufschrei unterdrücken und hielt sich mit der linken Hand vor den Mund. Ihr Herz pochte schneller, ihre Atmung tat es diesem gleich. Sie spürte bereits erste Schweißperlen, die sich auf ihrer Stirn bildeten.
War dies vielleicht Lucio? Nur wieso sagte er nichts?
„Wer ist dort?“, fragte sie leise, nachdem sie ihre Hand wieder von ihrem Mund genommen hatte. Als keine Reaktion erfolgte, erhob sie erneut ihre Stimme: „Gebt euch zu erkennen, Fremder!“
Als ein weiterer Ast unter einem Knacken zerbrach, wollte sie erneut zusammen zucken. Stattdessen jedoch stand sie aus ihrem Versteck auf, das Schwert empor haltend.
„Wer auch immer dort ist: Er gebe sich zu erkennen!“
Immer noch keine Antwort, jedoch auch kein weiterer zerbrochener Ast. Vorsichtig trat sie aus den Büschen heraus und machte einige Schritte in Richtung Lichtung. Dabei wanderte ihr Blick hin und her. Noch konnte sie nichts erkennen.
„Los, zeigt euch!“
Vorsichtig machte sie einen Schritt nach dem anderen ihr Blick noch immer von einer zur anderen Seite wandernd. Das Schwert in ihrer rechten Hand hielt sie mit der Spitze nach oben, bereit, jederzeit zuzuschlagen. Unter ihren Füßen knackte es ebenfalls, wenn auch leiser und dafür öfter.
„Zeigt euch!“
Die zuvor noch ruhige Stimme war nun kräftiger und durchdringender. Verärgerung stieg in ihr hoch. Erlaubte sich Lucio vielleicht einen Scherz? Meinte er, er wäre witzig?`
„Wenn ihr es seid, Lucio, seid gewarnt: ich mag keine Scherze!“
Doch noch immer gab es keine Reaktion. Florence schritt weiter. Sie hatte die Lichtung bereits halb überquert, als ein aufgeschrecktes Etwas aus dem Busch neben ihr heraussprang und auf sie zu lief. Vollkommen perplex vermochte sie nicht, ihr Schwert zu führen, sondern blieb regungslos stehen. Der Fasan – oder was auch immer dies für ein Vogel war – lief nur knapp neben ihr vorbei, hinein in den nächsten Busch auf der anderen Seite der Lichtung. Florence hingegen atmete heftig und schaute nach vorne.
Als sie sich endlich wieder regen konnte, sank sie auf den Boden. Was wäre, wenn dies ein Ork gewesen wäre? Du hättest nicht einmal gehandelt, sondern wärst zerhackt worden. Wie konntest du nur so bescheuert stehen bleiben?
Doch es war noch nicht vorbei. Nur kurze Zeit später, sie hatte sich gerade wieder hingestellt und war gerade dabei, das Schwert wieder in die dafür vorgesehene Halterung zu stecken, als sie erneut etwas vernahm. Dieses Mal jedoch nicht das Knacken oder Brechen von Ästen. Nein, es war ein Hecheln, das nur von einem Tier stammen konnte. Und es kam näher.
Dieses Mal fest entschlossen, nicht wieder regungslos einer möglichen Gefahr gegenüber zu stehen, begab sie sich in Kampfposition und senkte ihr Schwert gen Boden, so wie es Freeze sie damals gelehrt hatte. Geduldig wartete sie, atmete tief ein und aus um jede Angst im Keim zu ersticken. Allmählich verlangsamte sich auch ihr Herzschlag, wenn er auch noch schneller schlug als sonst.
Plötzlich sprang ein großer, schwarzer Hund aus dem Gebüsch, wo auch der Fasan heraus gekommen war, auf die Lichtung. Nein, kein Hund und auch kein Wolf: Ein Warg. Ein Orkhund, wie man diese Tiere auch nannte. Das schwarze, wolfsähnliche Tier fletschte die Zähne und machte hundeähnliche Geräusche, während es immer wieder sein Maul weit aufriss. Speichel tropfte von den messerscharfen und langen Zähnen. Die Augen des Wargs waren nur auf sie gerichtet – Blutdurst und Wut glaubte sie in ihnen zu erkennen.
„Komm doch“, rief sie dem Warg entgegen. Sie wollte ihn damit nicht einmal vertreiben, sondern sich Mut zu sprechen. „Komm oder lauf!“
Der Warg schien sich dieses nicht zweimal sagen zu lassen und sprang, nachdem er ein paar Schritte zur Seite gemacht hatte, blitzartig auf sie zu. Florence konnte den Klauen des Tieres nur knapp ausweichen und zog in dem Moment ihr Schwert hoch. Sie konnte spüren, wie sich die scharfe Klinge in das weiche Fleisch des Wargs schnitt. Blut spritzte aus der Wunde am Unterleib des Wargs und doch sackte er nicht in sich zusammen, als er an der anderen Seite ankam, sondern drehte sich zähnefletschend um. Blut tropfe von seinem Körper zu Boden. Sie hob die Klinge ein Stück an und das Blut floss langsam die Klinge hinunter, über den Knauf auf ihre Hand. Die Wärme des Blutes ließ sie schaudern, Ekel durchfuhr ihren Körper.
Der Wagr jedoch schien wenig beeindruckt, auch wenn sie sehen konnte, dass dessen linkes, hinteres Bein nicht komplett durchgestreckt war. Erneut zeigte das wolfsähnliche Tier seine Zähne und machte einige Schritte, dieses Mal in die andere Richtung. Florence, immer noch ein wenig angeekelt, folgte den Bewegungen des Wargs – dennoch war sie auf dessen Angriff nicht gefasst. Ohne dass sie viel machen konnte, sprintete der Warg los und sprang sie mit erhobenen Vorderpfoten an. Zwar wich sie der kompletten Wucht aus, doch die eine Pfote konnte sich in ihren Oberschenkel rammen und sie schrie schmerzerfüllt auf. Mit dem Schwert hieb sie auf den Warg ein, traf ihn jedoch nur mit der flachen Seite und konnte das Tier so lediglich von sich lösen und zur Seite stoßen. Dieses Mal wimmerte der Warg vor Schmerzen.
Als seine Krallen jedoch ihr Fleisch verließen, rissen sie die Haut und eben dieses noch weiter auf, wodurch die Templernovizin für einen Moment zu Boden sackte, die komplette Kraft war aus ihren Beinen gewichen. Das Tier schien eine Chance zu wittern und griff, obwohl es soeben noch gewimmert hatte, erneut an und stieß die gerade sich wieder aufrichtende Florence mit seinem Schädel um. Die großen Pfoten prallten neben ihrem Oberkörper auf den Boden und der Warg setzte sofort mit seinem Kiefer in Richtung ihres Gesichtes nach. Nur der schnell emporgehobene linke Arm hielten die scharfen Zähne von ihrer Kehle ab. Wild versuchte das Tier dennoch, diesen Kampf zu beenden, während die Templernovizin daran war, ihr Schwert wieder in die Hand zu nehmen. Durch die Wucht des Aufpralls hatte sie es fallen gelassen und suchte es jetzt blind. Doch der Warg griff nicht nur mit seinem Kopf an, sondern vergrub auf seine Hinterpfoten in ihren Beinen, was sie vor Schmerzen aufschrien ließ.
Gleich ist es soweit. Gleich wirst du zu deinem Gott gehen, sollte sich einer deiner annehmen, und dein Leben hier wird vorbei sein.
Doch mit einem Mal konnte sie den Schwertknauf fühlen und riss das Schwert nach oben. Zwar traf er den Warg nicht mit voller Wucht und gerade, doch hörte er das schmerzerfüllte Wimmern des Tieres und konnte dieses mit einem kräftigen Tritt von sich lösen. Dabei rissen die Krallen der Hinterpfoten Teile der Haut und des Fleisches von ihren Beinen.
Dieses Mal jedoch schien der Warg schwerer verletzt zu sein, denn er griff nicht direkt wieder an, sondern rappelte sich erst einmal wieder auf – sein Ende. Schnell stand sie auf und zog ihr Schwert gekonnt in die Seite des Wargs, der daraufhin gurgelnd und japsend zusammen brach. Für einen Moment wimmerte das Tier noch und schaute sie mit seinen hasserfüllten und zugleich verängstigten Augen an, dann stieß sie die Klinge mit einem lauten Schrei in den Nacken des Wargs, um dessen Leiden zu beenden.
Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht und doch sackte sie zugleich zu Boden. Ihr kompletter Körper schmerzte. Ihre Beine, in die sich die Klauen besonders stark eingegraben hatten. Ihr Brustkorb, den der Warg bei seinem Aufprall getroffen hatte. Ja, auch ihre Arme, die mit Schürfwunden übersät waren. Schweiß tropfte aus jeder Pore ihres Körpers, tränkte ihre Kleidung oder aber rann in die Wunden und ließ diese noch stärker brennen.
Ich hab’s geschafft. Ich hab es tatsächlich geschafft. Nur für welchen Preis? Ihr Blick wanderte ihren Körper hinunter. Noch bin ich nicht fit. Und der Kampf war sicherlich nicht leise. Sollten die Orks noch in der Nähe sein, so muss ich Acht geben.
Langsam rutschte sie hinüber zu einem Baum am Rande der Lichtung und lehnte sich an diesen an. Zunächst blieb sie einfach nur an diesem Baum und machte nichts. Einerseits die Schmerzen, andererseits die Erschöpfung. Es war lange her, dass sie einen solchen Kampf erlebt hatte, sehr lange. Nach einiger Zeit jedoch löste sie das Schild von ihrem Rücken – es hatte sie im Kampf erstaunlich wenig behindert – und legte ihre Tasche neben sich, um direkt ein paar Salben und verbände hervor zu kramen. Auch eine Phiole mit Alkohol nahm sie hervor und löste langsam den Stopfen. Vorsichtig riss sie ein Stückchen verband ab und tränkte dieses mit dem Alkohol, dann fuhr sie sich Zähne zusammen pressend über die Wunden an ihren Beinen und Armen. Es brannte höllisch und doch war es notwendig. Ansonsten könnte sie jederzeit an einer Wundinfektion erkranken und damit war wahrlich nicht zu Spaßen.
Anschließend schmierte sie etwas Salbe auf die Wunden und begann, die Verbände anzulegen. Der brennende Schmerz ließ allmählich nach und die Templernovizin konnte ein erleichtertes Seufzen sich nicht verkneifen.
Wo ist nur Lucio? Hat er vielleicht auch Warge getroffen? Und war er vielleicht nicht so glimpflich entkommen? Sie wusste, dass er ein guter Jäger war. Doch wie gut er sich verteidigen konnte, konnte sie nicht beurteilen. Wer aber so lange alleine lebt, sollte sich zu helfen wissen. Oder etwa nicht?
Als alle Verbände angelegt waren, zog sie sich am Baum hoch. Die Schmerzen waren erträglich, zumal sie einen Kräutertrunk zu sich genommen hatte. Dennoch konnte sie nur langsam gehen. Eines jedoch musste sie schaffen: Der Warg musste von der Lichtung verschwinden. Hier könnte jeder Ork oder Mensch den Kampf nachvollziehen und sie möglicherweise finden. Weitere Probleme könnte sie jedoch nicht gebrauchen. So ergriff sie alsbald die Hinterpfoten des Wargs und schleifte ihn langsam gen Büsche, in die sie das Tier kurze Zeit später legte. Dieses kleine Stückchen hatte jedoch ausgereicht, um sie weiter zu erschöpfen.
Langsam krabbelte sie mehr oder weniger zu ihrem Schild und ihrer Tasche und schob diese dann vor sich her, um ebenfalls sich in den Büschen zu verstecken. Vielleicht hatte sie Glück und Lucio käme bald wieder. Sie konnte es nur hoffen.
So erschöpft sank sie nach wenigen Metern einfach nur noch nieder. Sie drehte sich um und legte sich auf den Rücken. Durch das Blätterdach konnte sie allmählich erste Sterne erkennen. Sie nahm sich noch vor, wach zu bleiben, doch binnen weniger Minuten fielen ihr die Augen zu. Und dies, so hoffte sie noch kurz bevor sie entschlief, nicht zum letzten Mal.
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Im Minental
Traumlos war ihr Schlaf. Ihr Körper viel zu beschäftigt mit der Regeneration, als dass er sie in eine Traumwelt tragen könnte. Und doch war es eine Erleichterung, dies konnte sie später noch sagen. Doch wie lange dieser Schlaf gedauert hatte, war ihr im ersten Moment nicht im Entferntesten klar. Denn es waren nicht die Sonnenstrahlen, die sie aus ihrem Schlaf weckten, sondern eine Vorahnung, die über das Bewusstsein hinaus ging.
Nur kurz öffneten sich ihre Augen zunächst, die Sonne erwartend. Als sie jedoch die Dunkelheit um sich erkannte, schloss sie diese direkt wieder. Es war noch Nacht, so viel war gewiss. Erneut schlug sie die Augen auf, dieses Mal länger. Ein leises Plätschern war zu hören, entfernten Trommeln gar nicht unähnlich. Vereinzelt spürte sie auch Tropfen auf ihren Körper prallen, meist ihren Brustkorb. Doch auch der ein oder andere Tropfen fand ihr Gesicht.
Hastig wischte sie sich das Wasser vom Gesicht und setzte sich auf. Ein stechender Schmerz durchfuhr sie und ließ sie beinahe wieder zu Boden sinken. Als ihre Hände jedoch über die Verbände an den Beinen fuhren und die Nässe spürten, wurde ihr mit einem Mal die Gefahr klar, in der sie sich befand. Nicht nur, dass sie sich eine Erkältung holen konnte. Vielmehr könnte Schmutz durch das Wasser in die Wunden gelangen und so zu einer heftigen Infektion führen.
Ächzend rappelte sie sich somit auf. Mehrfach musste sie leise stöhnen, um nicht vor Schmerzen zu schreien. Doch so sehr es auch schmerzte und so gerne sie sich wieder hinlegen wollte, so musste sie zunächst ein trockenes Versteck finden. Als sie gerade ihre Tasche und ihr Schild aufheben wollte, hörte sie hinter sich Schritte und fuhr erschrocken herum.
„Keine Angst, werte Florence“, meinte eine vertraute, jung wirkende Stimme. „Ich bin es nur.“
Erleichtert seufzte sie und setzte ein Lächeln auf. „Endlich“, meinte sie nur und fast im selben Moment gaben ihre Beine der Erschöpfung nach. Lucio konnte sie gerade eben noch auffangen. Sie lächelte ihn an. „Ich habe auf euch gewartet.“
Der Jäger lächelte jedoch nicht. Sein wettergegerbtes Gesicht hingegen war mit Sorgenfalten durchzogen. „Was ist geschehen?“
Langsam kam die Kraft wieder in ihre Beine zurück und sie konnte sich mit Lucios Hilfe an den nächstbesten Baum anlehnen. Dann deutete sie auf ihre verbundenen Beine. „Ein Warg hat mich angefallen. Ich habe es dem Tier gezeigt“, sie deutete auf ihr Schwert, an welchem noch getrocknetes Blut klebte, „doch ihr seht ja, dass es nicht perfekt verlief.“
„Das kann ich sehen. Wir müssen euch schnell in Trockenheit bringen. Die Orks sind verschwunden und hinter der Palisade ist ein kleiner Unterstand, dort könnt ihr euch ausruhen.“ Schnell trat Lucio neben sie und legte einen ihrer Arme um seine Schulter. „Stützt euch auf mich.“
„Mein Schild...“, meinte sie leiser, die Kraft wieder schwindend. „... meine Tasche.“
„Ich werde sie holen. Jetzt aber müsst ihr ins Trockene.“
„Gut“, meinte sie, wobei sie ein Grinsen auf ihren Lippen hatte.
Wie eine halbe Ewigkeit erschien ihr der Weg zur Palisade. Je näher sie dem Holzwall kam, desto mehr schmerzten ihre Beine, sodass Lucio sie das letzte Stückchen fast alleine vorwärts bewegte. Als sie den Unterstand erreichten, ließ er sie langsam zu Boden gleiten.
„So, da wären wir“, meinte er mit ruhiger Stimme.
Florence konnte kaum noch ihre Augen offen halten, geschweige denn klar denken. „Schild... mein Schild...“
„Ich hole es euch gleich. Danach entzünde ich ein Feuer, ja?“
Doch Lucios Worte verhallten ohne eine Antwort von ihr – ja, sie hatte nicht einmal verstanden, was er gesagt hatte. Das einzige, was sie noch mitbekam, war das gezwungene Lächeln des Jägers, dann schlossen sich ihre Augen wieder vor Erschöpfung und sie sank erneut in einen tiefen Schlaf.
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Im Minental
Während sie zuvor noch traumlos geschlafen und sich regeneriert hatte, so waren nach dem Umzug hinter die Palisade die Träume gekommen. Träume von vergangenen Tagen. Träume vom Kampf mit dem Warg. Und Träume von solchen Ereignissen, die sie lieber für immer und ewig vergessen hatte. So war es auch nicht verwunderlich, dass sie die Nacht über immer wieder aufgewacht war. Doch Lucio war für sie da und hatte ihr jedes Mal gesagt, dass sie nur Fieberträume hätte.
Als sie nun aufwachte, war das erste, was sie sah, ein grauer Schleier, der sich über den gesamten Platz gelegt hatte. Zunächst glaubte sie, weiterhin zu träumen und rieb sich so die Augen. Doch der Schleier verschwand nicht. Sie versuchte sich, auf ihre Unterarme abzustützen, ließ es aber gleich wieder bleiben, als die den brennenden Schmerz spürte.
Schürfwunden. Die hatte sie komplett vergessen. Und sicherlich auch einige blaue Flecken durch die Wucht des Wargs, als er sie umgestoßen hatte.
„Ah, ihr seid wach“, kam es plötzlich von der Seite. „Gut. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht nach eurer unruhigen Nacht.“
Lucio trat an sie heran und als sie ihre Hand emporstreckte, half er ihr, sich hinzusetzen. Dabei spürte sie, dass die Schmerzen in ihren Armen nichts waren im Vergleich zu denen in den Beinen. Als sie über die Verbände schaute, sah sie, dass an zwei Stellen Blut durchgetreten war.
„Die solltet ihr vielleicht wechseln“, meinte Lucio, der ihrem Blick gefolgt war. „Wenn ihr Hung er habt: Ich habe erst heute Morgen einen Hasen erlegt.“
„Gleich gerne“, meinte Florence lächelnd. „Vorher aber die Verbände.“
Sie zog sich ihre Tasche heran und kramte einige Verbände hervor, dann wandte sie sich denen um ihren Beinen zu. Vorsichtig löste sie diese. Je mehr Schichten sie entfernte, desto mehr schmerzte es. Bis sie zur letzten Schicht gelangt war.
„Lucio, habt ihr vielleicht etwas Wasser? Vielleicht nicht gerade aus einer Pfütze?“
Der Jäger grinste und reichte ihr einen Wasserschlauch. Sie nahm einen kräftigen Schluck, bevor sie einen Teil des Wassers über den Verband schüttete. Es brannte leicht, dafür aber konnte sie nur Sekunden später auch die letzte Schicht entfernen – und das volle Ausmaß des gestrigen Kampfes erkennen: Ihre Beine waren geschunden. Tiefe Schnittwunden. Aufgerissene Haut. Blutergüsse. Herausgerissenes Fleisch. Im ersten Moment überkam sie ein Schwall Übelkeit, den sie aber zu unterdrücken wusste. Dann untersuchte sie ihre Beine näher. Die Wundränder sahen verhältnismäßig gut aus, auch die Wunden selber schienen sich nicht stark entzündet zu haben.
„Würdet ihr mir wohl auch die Salbe dort vorne reichen?“
Lucio tat wie ihm geheißen und wandte sich dann wieder dem kleinen Feuer zu, damit das Hasenfleisch, was er darüber briet, nicht verbrannte. Florence hingegen spülte die Wunden mit ein wenig Wasser aus und tupfte sie dann vorsichtig trocken. Anschließend schmierte sie einiges an Salbe auf diese und legte danach einen Verband an. Als sie alles wieder weggeräumt hatte, nahm sie noch ein kleines Fläschchen hervor, sowie einen Becher. Sie gab einige Tropfen in diesen und füllte ihn mit Wasser halb voll. Sich mitder einen Hand die Nase zu haltend trank sie den kompletten Inhalt leer – und könnte vor Ekel fast brechen.
„So“, meinte sie jedoch und zog sich an einem Balken des Unterstandes langsam hoch. „Jetzt wäre ich bereits für ein paar Stücke Hasenfleisch.“
„Vorsicht, eure Beine“, kam es von Lucio, der erschrocken aufgesprungen und zu ihr geeilt war.
„Keine Sorge. Ich habe genug genommen, dass ich sie nicht spüre. Außerdem wollten wir uns doch nachher eh auf die Suche nach den Templern machen.“
„Aber ich dachte...“, meinte Lucio, wurde jedoch jäh von Florence unterbrochen.
„Es geht mir gut. Wir haben außerdem schon zu viel Zeit vergeudet und ich werde nicht durch ein paar Schnitte noch mehr Zeit vergeuden.“
-
Im Minental
Nachdem sich die beiden noch einige Zeit am Feuer ausgeruht und den fetten Hasen verspeist hatten, hatte sich Lucio daran gemacht, ihre Spuren zu verwischen und das Feuer wieder zu löschen. Man konnte schließlich nie wissen, ob nicht jemand vorbei kam oder die Orks sich dazu entschieden, wieder zurück zu kommen.
Florence hingegen hatte sich in wenig die Beine vertreten, um sich an den kontinuierlichen Schmerz zu gewöhnen. Sie wollte schließlich keinen weiteren Tag vergeuden. Und doch merkte sie, dass sie nicht stundenlang laufen könnte. Dafür waren die Wunden zu tief.
„So, Florence“, meinte Lucio, „ich wäre soweit. Und ihr?“
Die junge Templernovizin drehte sich in seine Richtung und lächelte. „ich bin ebenfalls bereit.“
„Meint ihr denn...“
„Aber natürlich“, unterbrach sie ihn direkt. „Wenn ich nicht mehr kann, werde ich mich melden. Wo ist aber mein...“
„Euer Schild?“, fragte er und unterbrach sie dieses Mal. Sie nickte stumm und schaute sich um. „Das habe ich dort vorne abgelegt. Ihr habt auch noch während ihr schlieft ständig danach gefragt, ich hätte es gar nicht vergessen können.“
Florence spürte, wie ihr das Blut vor Verlegenheit ins Gesicht pulsierte und schaute etwas zur Seite. „Danke“, meinte sie und trat auf das Schild zu. Langsam ging sie in die Hocke, wobei sie versuchte, tief ein- und auszuatmen, damit Lucio nicht mitbekam, wie sehr die Schmerzen sie ergriffen. Dann schulterte sie ihre Tasche und wandte sich wieder zu Lucio um. Obwohl sie sicherlich noch das Gesicht vor Schmerzen verzog, sagte Lucio nichts, sondern nickte nur.
„Wir müssen ja nicht weit laufen. Ihr könnt das Schild dort ruhig stehen lassen.“ Noch einmal schob er ein wenig Dreck über die Feuerstelle, dann schaute er wieder zu ihr hinüber. „Kommt, ich zeige es euch.“
So schritten sie nur wenige Meter weiter, vorbei an weiteren Palisaden und alten, zerstörten Bauten wie Feuerstellen oder Unterständen. Das Lager schien lange nicht mehr benutzt worden zu sein, ob dies auch für die Mine galt?
„Und in dieser Mine findet man noch immer Erz?“
„Manchmal, jedoch ganz selten“, meinte Lucio. „Zumal man nur noch einen Teil dieser begehen kannte. Aber das soll uns nicht stören. Die Männer, die euch ähnlich sahen, habe ich hinter dieser Mine gesehen. Ob sie noch immer hier sind, kann ich euch nicht sagen, doch wir werden es gleich herausfinden.“
Nur Minuten später verließen sie den von Palisaden geschützten Bereich. Die Wolken am Himmel verhießen kein gutes Wetter, doch bislang war es trocken. Und so war auch ihre Sicht sehr weitläufig – nur zu sehen gab es nichts. Nur trostloses und ödes Land. Einige wenige Büsche, vereinzelte Bäume, wobei die meisten bereits verdorrt waren, erblickte sie ab und an.
„Dort, seht ihr die Feuerstelle?“
Florence musste zweimal hinsehen, um zu erkennen, was Lucio meinte. Dann jedoch konnte sie die noch rötlich glühende Flut erkennen, sowie kleine Rauchschwaden, die von dieser gen Himmel stiegen. Es konnte noch nicht lange he sein, dass jemand hier gewesen war. Nur wer? Vielleicht die Templer? Sie spürte ihr Herz Freudensprünge machen, beinahe sofort hellte sich ihre Stimmung auf.
„Hmm“, kam es nach einigen Minuten aus Lucios Mund, „die Stelle ist noch warm. Es kann noch nicht lange her sein, dass jemand hier war. Den Spuren nach aber waren es nur zwei Männer. Die Gruppe, die ich gesehen habe hingegen, bestand aus fünf oder sechs Männern.“
„Vielleicht haben sie sich getrennt? Oder dies war die Nachhut?“
„Sehr gut möglich“, kam es von Lucio und beinahe im selben Moment traf der erste Tropfen ihre Nase. „Ich frage mich nur, ob wir heute noch weiter nach ihnen suchen sollten. „Ich glau...“
„Wir suchen weiter“, meinte Florence entschlossen. „Ich werde nur eben mein Schild ...“
„Das werde ich erledigen. Ihr schont euch so lange!“
Während Lucio ihr Schild holte, lehnte sich die Templernovizin an einen nahegelegenen Baum und ließ den stärker werdenden Regen über sich ergehen. Dabei hielt sie den Kopf nicht etwa nach unten, um möglichst wenig Regen ins Gesicht zu bekommen, sondern schloss die Augen und richtete ihr Gesicht gen Himmel. Das Wasser tat gut, stimulierte ihre Haut. Und er beruhigte sie ungemein.
Ich werde sie finden! Ich habe so viel Schlechtes und Böses überlebt, wie kann ich es da nicht schaffen, meine Brüder und Schwestern zu finden? Irgendwo müssen sie ja sein, sie werden nicht einfach verschwunden sein. Nur haben sie auch ausgerechnet hier auf Khorinis wieder ihr Heim errichtet? Oder sind sie zu neuen Gefilden gesegelt?
„Ihr scheint den Regen ja richtig zu genießen, Florence“, riss Lucio sie aus ihren Gedanken.
Florence schaute zu Lucio hinüber, der durchnässt war. Sein Haar klebte an seinem Kopf, seine Augen waren nur gering geöffnet, sodass kein Regen hinein kam. „Ich kenne Leute, die genießen ihn noch mehr“, meinte sie mit einem Grinsen, „aber derzeit finde ich ihn auch sehr erfrischend.
„Hier, euer Schild.“
Florence bedankte sich mit einer Verbeugung und nahm den Schild an. Langsam schulterte sie den Schild und band ihn schlussendlich so fest, dass er sie möglichst wenig störte. Dann schaute sie zu Lucio auf. „Wohin nun?“
„Richtung Burg, wenn ich mich nicht täusche und wir nicht in die Irre geführt werden.“
„Gut, dann Richtung Burg!“, stimmte sie zu.
Vielleicht finden wir ja dort die Templer?
-
Im Minental
„Schnell“, rief der Jäger und sprang zwischen zwei Bäumen durch.
„Wartet, Lucio“, rief sie diesem hinterher. „Ich komme nicht so schnell hinterher!“
Doch Lucio war bereits zwischen den nächsten Bäumen verschwunden und schien einfach weiter zu laufen. Gerade erreichte sie die beiden Bäume, die der andere kurz zuvor passiert hatte und blieb keuchend an einem dieser stehen.
„Kommt, Florence“, sprach Lucio, der scheinbar doch nicht einfach weiter gelaufen war, sondern hier auf sie gewartet hatte. „Ich weiß, dass es euch schwer fällt, aber wenn wir uns nicht beeilen, brauchen wir gar nicht mehr weiterlaufen.“
„Sind sie so nah?“
Lucio wollte gerade ansetzen und etwas sagen, als sie hinter sich verdächtige Laute vernahmen – Worte in einer Sprache, derer beide nicht mächtig waren und dennoch wussten, was sie bedeuteten: Die Orks waren hinter ihnen und nicht mehr allzu weit entfernt.
„Los“, sprach Lucio erneut. „Keine Zeit mehr zum Ausruhen!“
So liefen sie wieder, Lucio voraus und sie einige Meter hinter ihm. Er nahm bereits Rücksicht auf sie, versuchte sich ihrem Tempo anzupassen, doch er hatte Recht: Wenn sie nicht schnell genug entkamen, wäre dies ihr Ende. Denn gegen ein oder zwei Orks konnten sie vielleicht bestehen, aber gegen eine ganze Gruppe waren sie chancenlos. Ihre Verfolger würden sie binnen weniger Minuten – ach was – binnen weniger Sekunden in die Mangel nehmen und anschließend töten.
Sie sprangen über Büsche, über umgefallene Baumstämme. Wichen Bäumen aus und Wurzeln, die sie jederzeit zu Fall bringen konnten. Blätter schlugen ihr ins Gesicht, Büsche rissen an ihren Verbänden, die mittlerweile nur noch locker an ihren Beinen saßen. Es brannte unter ihnen, sowohl vom Schweiß, der in die Wunden lief als auch durch die Bewegung.
„Grschnak!“
Das Orkwort kam ganz aus der Nähe, stellte sie erschrocken fest – und nur eine Sekunde später sah sie auch den Ursprung dessen: Ein Ork schien sie überholt zu haben und kam genau in ihre Richtung. Doch als ob e r sie nicht oder erst zu spät gesehen hätte, lief er gegen sie uns riss sie mit seiner wuchtigen Masse zu Boden. Der Ork schlug wild um sich, während sie versuchte, sich aus der Situation zu befreien und wieder aufzustehen.
Klatsch. Ein Schlag des Orks traf sie mitten im Gesicht und schmiss sie nach hinten. Florence fuhr sie über die schmerzende Wange, richtete sie dann auf und sah den Ork, der sich wild fluchend auf sie zu bewegte. Ob er hinter ihr her gewesen war oder nicht, war mittlerweile egal.
Sie griff nach ihrem Schwert. Doch es klemmte. In der Zeit hatte der Ork sie erreicht und drückte sie zu Boden. Er sprach weiter in seiner eigenen Sprache und Spucke tropfte aus seinem Mund.
„Bah“, schrie sie auf. „Runter, du widerliches Wesen!“
Mit einem Mal war der Ork still. Ob er verstanden hatte, was sie gesagt hatte? Nur Sekunden später wusste sie es: Wütend schlug er auf sie ein, hieb mit seinen Händen in ihren Bauch oder ihr Gesicht. Florence hob ihre Arme schützend vor ihr Gesicht, doch die Schläge des Orks waren zu kräftig, als dass sie viel ausmachen konnten.
„Nein“, schrie sie vor Schmerzen. „Bitte aufhören!“ Die Schläge prallte weiter auf sie hernieder. „Bitte!“ Tränen rannen ihr Gesicht hinunter, vermischten sich mit dem Blut aus ihrem Mund und ihren Wunden. „Bitte!“ Ihre Stimme war zu einem leisen Flehen geworden, kaum noch hörbar. „Bitte!“ Ihre Wangen schwellte an, ebenso ihr rechtes Auge. „Oh Schläfer, bitte!“
Und mit einem Mal hörten die Schläge auf. An ihrer Statt hörte sie das schmerzerfüllte Schreien des Orks, der sich mit beiden Händen an den Rücken fasste. Mit ihrem noch gesunden Auge sah sie, wie der Ork erneut zuckte und hörte den dumpfen Aufprall eines Pfeiles. Dieser ragte an der Schulter des Grünfells heraus. Langsam wollte sich der Ork aufrichten, dann jedoch sprudelte es aus seinem Mund nur noch Blut und eine Schwertspitze ragte aus dem Brustkorb des Orks heraus. Als diese wieder aus dem Körper gezogen wurde, fiel der Ork zuckend zur Seite.
„Oh Innos“, meinte Lucio und beugte sich zu ihr hinunter. Er griff ihr unter die Arme und zog sie hoch. Florence jedoch konnte ihn kaum sehen, geschweige denn sich aufrecht halten. Ihre Beine zitterten, warmes Blut lief ihren Mundwinkel hinunter. Angewidert spuckte sie einen Teil des Blutes im Mund aus, doch der bekannte, metallische Geschmack wollte nicht verschwinden. Stattdessen füllte sich der Mund wieder mit eben dieser roten Flüssigkeit. „Wartet, ich nehm euch über die Schulter.“
Gerade als sie wieder zusammen sackte, bückte er sich und hievte sie über seine Schulter. Florence, die dies normalerweise nicht zulassen würde, war zu schwach um sich zu wehren oder auch nur zu widersprechen. Dann setzte sich Lucio in Bewegung.
Florence konnte noch hinter ihnen die wütenden Orks erkennen, die ihren toten Kameraden auffanden. Dann war sie auch dazu zu schwach und schloss ihr gesundes Auge.
-
Lange noch lag sie wach, starrte auf das reglose Gesicht ihres Novizen, dessen Blick zuerst zur Decke der kleinen Hütte gerichtet war, starrend, als wagte er nicht, die Aussätzige zu betrachten, und sich schließlich hinter den Lidern verbarg, das Versprechen brechend, immer da zu sein und wenn es nur durch einen Blick gewesen wäre.
Ihr Herz schlug wild gegen die Brust und suchte sie zu sprengen, dass es fliehen könnte, in die Nacht hinein, in die Welt hinein und doch bloß weg, weil es nicht ertragen konnte, was die Augen zu sehen glaubten. Zitternd lag der Körper der Zauberin da und die Hände bargen sich aufeinander gelegt unter ihrem Kopf, der das Haar wild über die Kissen verteilt hatte und die unbeugsamen Pupillen barg, die nicht anders konnten, als flehend in die Dunkelheit, flehend nach dem Schemen zu tasten, in dem sie ihren Novizen vermutete.
Sie rannte. Keuchend und aller Kraft beraubt setzte sie gegen die Schwäche ihres Körpers immer wieder einen Fuß vor den anderen, immer noch versuchend, schneller zu werden. Es konnte noch nicht alles sein, weil es die Flucht noch nicht erlaubte. Es war zu wenig, sich zu befreien. Sie spürte den drückenden Schemen, der gackernd nur eine Handbreite hinter ihr zu sein schien, fühlte die lähmende Angst nach ihren Füßen greifend, wo sie ihre Hände schon gefangen hatte, die steif nach vorne gerichtete einer Gabel gleich in das sich ihr entgegenwerfende Gestrüpp stachen.
Donnernd schlug das Herz, den Takt ihrer Schritte nachahmend, in der jungen Frau, der die Tränen heiß über die Wange rannen, die ihre brennenden Augen verfluchte, dass sie sich mit der salzigen Flüssigkeit gefüllt hatten und alles zu tun schienen, dass sie versagte. Sie hasste sich dafür, dass sie ihrem Gott den Dienst versagt hatte, hasste sich dafür, dass sie dennoch nicht bereit war, die Strafe entgegen zu nehmen und verachtete ihre Flucht, derer sie doch nicht entkommen konnte.
Und dann stolperte die einstige Magierin des Wassers über eine kleine Wurzel, die spielerisch einen Bogen über den Boden geschlagen hatte, obschon keiner nach einer Brücke verlangt hatte. Stolperte über die Falle der Natur, die nie eine hätte sein sollen, die bloß aus einer Laune heraus entstanden war und sich selbst als ästhetisch achtete.
Wie in Zeitlupe schien sich der Wald um sie herum dem Himmel entgegen zu heben. Undendlich langsam, zäh als hätte die Luft um sie herum die Gestalt von Honig angenommen, sah sie ein letztes Mal scharf die Steine der Erde ihr entgegen kommen, glaubte in der Form eines besonders großen ein hämisch lachendes Gesicht zu erkennen und begann zu lachen.
Die Rothaarige reckte die Arme dem unbekannten Schwarzen entgegen, in dem sie den Tod vermutete, begrüßte die Finsternis, die nach ihren Augen griff, und lachte mit dem Eitlen über den Sieg, den er errungen hatte, lobte, wie gut er es vollbracht hatte, bis der Augenblick zwischen den Welten verging, bis sie sich alle zu einer einzigen zusammen zogen und eine letzte, unabwendbare Erkenntnis offenbarten: Dies war das Ende.
„Nein!“, flüsterte eine tiefe Stimme in das rechte Ohr der Grünäugigen und eine raue, kräftige Hand legte sich so sanft sie konnte auf ihre Stirn. „Wie eine zerbrechliche Figur, der kein Leben inne wohnt, die jedes scharfe Wort, jeder unerwartete Stoß zu brechen vermag. Warum nur?“
Schweigen in der erdachten Nacht, in der die ruhende Zauberin bewegungslos blieb.
„Dieses Ort ist nicht mehr sicher, weil du mir seine Sicherheit anvertraut hast und ich, vergessend, wie dünn du deine Grenzen ziehst, nicht daran dachte, dass sie brechen könnten.
Ich weiß, du wirst schweigen, weil ich nichts anderes außer jenem verdient habe, weil ich alle Fehler, die ich einst begangen habe, an dir wiederholte, um zu sehen, wie ich sie korrigieren könnte. Und ich habe zu oft um dein Vertrauen gebeten und es doch wieder enttäuscht.“, ein tiefer Seufzer erfüllte die Nacht und forderte die Ohren, ihn zu hören. Doch unbewegt entschieden sie nicht, was ihnen entgegen kam.
Mit zärtlichen Bewegungen bettete die Hand die Gestalt der grünäugigen Magierin auf den Boden und strich ihr vorsichtig die roten Strähnen aus dem Gesicht. „Da liegst du auf dem Boden, gefallen im eigenen Reich. Einen Augenblick nur war ich fort, hatte gehofft… so vieles gehofft.
Solange ist es noch nicht her, da du mich am weißen Strand empfingst, obwohl bereits die ersten Zweifel in dir wuchsen. Und nun… nun hat der Himmel sein azurblau verloren, verbirgt sich hinter dem Grau, hinter dem auch du dich zu verstecken suchst.“
Leise drang das Gackern der Dunkelheit an die Ohren des Grauhaarigen, der kniend neben der Magierin seinen Kopf gesenkt den Ohren und den Gedanken die Umwelt versagen wollte. Das Lachen jedoch wich nicht von ihnen, drängte sich in seine Ohren und verfolgte ihn in seinen Gedanken.
Die goldenen Augen blickte traurig auf die geschlossenen Lider Melaines, als der Körper des Mannes sich behäbig, sein eigenes Alter zu ersten Mal spürend, erhob. „Du?“, drang es zweifelnd über seine Lippen, die von der Narbe, die sich über das linke Auge erstreckte, noch berührt wurden. „Nein… dazu hättest du keine Macht, egal, wie sehr du dich auch danach sehn würdest…“
Abrupt wandte sich der Grauhaarige um und blickte der Spitze einer rostigen Sense entgegen, die von der kleinen Hand eines kleinen Mannes gehalten wurde, der aus einem grauen Bart zu ihm herauf lächelte.
Der Namenlose fiel erneut, dieses Mal vor dem Fremden, auf die Knie und begegnete dem funkelnden Blick des Unbekannten mit der eisernen Gelassenheit eines zum Kriege erkorenen Mannes, der wusste, dass er bereits zu lange auf dieser Welt weilte und doch seinen Abschied noch nicht gekommen sah.
Einen Augenblick nur konnten die Augen des ungleichen Paares einander halten, ehe das Surren der herabfallenden Sense ihre Begegnung unterbrach. Grollend hob der Grauhaarige den Blick gleichsam mit der Hand, die geschwind nach dem Holzstab des Werkzeuges griff.
Im gleißenden Licht begegneten sich Holz und Hand und konnten einander doch nicht berühren, da wich der kleine Mann bereits kreischend vor dem Grauhaarigen zurück, gackerte in jedem Moment, wo er eigentlich nach Luft hätte schnappen müssen, um seinen Schrei fortzusetzen, und hob die Hand, sie mit der Sense kreuzend. „Weiche, Ausgeburt der dunklen Sphäre, der du dein Leben keinem Gott verschworen hast, der du nicht existieren darfst.“, Panik schlich sich in das Gekreische des Alten, in dem sich der Mann mit den goldenen Augen ein weiteres Mal langsam erhob.
„Dieser Ort ist dir verboten. Dieser Geist ist heilig und durch dich entweiht. Geh.“, erhob er seine ruhige Stimme, die doch einem Sturm gleich sich über das Gekreische schwang und donnernd über die Welt hinweg fuhr, von den Grenzen widerzuhallen schien und von allen Seiten zugleich auf die plötzlich mickrige Gestalt des Sensenträgers eindrang. Da zerfaserte seine Erscheinung im Tanz der Gegeneinader gerichteten Worte, verblasste aus der Welt der jungen Frau und kippte sie in nur einem Augenblick zurück in die Stille, in der sie geboren worden war.
Sanft legte sich die eine Hand des Grauhaarigen in den Nacken der Dienerin Adanos‘ und die andere auf ihren Bauch, stumm nach dem Rhythmus ihres Lebens tastend. „Melaine…“, hauchte er mit einer Sanftheit, die doch die Blume noch zu brechen vermochte, wenn sie nicht von der bedachten Umwelt ihres Geistes gedämpft worden wäre.
„Du hast dir Zeit gelassen.“, hallte es aus der Dunkelheit wieder, ohne, dass die Frau zwischen seinen Händen sich rührte.
„Du erinnerst mich…“, murmelte der Grauhaarige leise, „manchmal so sehr und dann ist mir wieder, als blicke ich in fremde Augen. Du bist ein nicht zu lösendes Rätsel und verdienst doch, dass man dies an dir achtet.“
„Und du..“, sprach die Grünäugige und legte sie Hand von Hinten auf die Schulter des Mannes. Der Körper Melaines zwischen seinen Händen war verschwunden und verwirrt drehte er sich der Frau entgegen. „Du bist dies ebenso, weil den Schlüssel, den ich brauche, du verbirgst. Ich werde wohl nie erfahren, warum du hier bist?“
Der Grauhaarige blickte in die grünen Augen der Magierin und blieb bewegungslos, bis auf das seichte Lächeln, das mit seinen Lippen spielte.
„Ich würde dich wegschicken, wenn ich mich nicht schon an dich gewöhnt hätte. Wenn ich nicht wüsste, dass du mich beschützt. Wenn ich nicht wüsste, dass du mir noch etwas schuldest. Ich werde meine Antworten bekommen.“
„Irgendwann…“, bestätigte er.
„Irgendwann!“, bekräftigte sie.
Das Rütteln glich einer Gewöhnung, die war, weil sie sein musste, weil derjenige, der sie erschaffen hatte, nicht bereit war, aufzugeben. Abrupt öffnete die Rothaarige die Augen und blickte gegen die steinerne Wand ihrer Hütte und ließ das Streichen seiner Hand weiter versuchen, was sie schon längst erreicht hatte.
Dann bewegte sich ihr Körper, weil er die Starre nicht mehr ertrug, ruckte und zwang auch den Kopf, sich Saleph zuzuwenden, aus dessen blauen Augen die Sorge kleinen Nadeln gleich in das sanfte Grün stach, ehe sie in der aufkeimenden Erleichterung stumpf wurden. „Saleph…“, hauchte Melaine leise und das zuvor gespürte Erwachen zerfiel wie eine Sandburg im Regen, „…dieser Ort… ist nicht mehr sicher…“, murmelte sie leise, bevor die Lider sich erneut schlossen, „Mir geht’s gut…“, fügte sie langsam hinzu und versuchte sich an einem Lächeln, wo der Schlaf ihren Geist schon erobert hatte und ihm in die verdiente Ruhe hüllte, bis die letzten Stunden der Nacht den ersten Strahlen der Sonne weichen mussten.
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