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Al Shedim #35
Offenheit und Herzlichkeit, Misstrauen und Abschottung – kein anderer Ort als Al Shedim vermag gleichzeitig derartige Kontraste zu vermitteln.
Erblickt man die vielen, dunklen, in den himmelragenden Säulen und Trümmer gedenkt es dem ein oder anderen Fremden gar nicht in den Sinn zu kommen, dass genau dort, weit im Süden Varants, jemand, gepeinigt von Innos’ allgegenwärtigem Zorn, zwischen Ruinen und Sand zu leben wagt.
Und dennoch herrscht dort kaum vorstellbare Geschäftigkeit in einem Meer von Zelten und Ruinen, der Zuflucht unzähliger, von Hass und Abneigung, vom Volk der Assassinen und Beliar selbst ausgestoßenen und zum Feinde erklärten, Nomaden und Wassermagier.
Neben dem massiven, zentralen, Adanos’ geweihten Tempelkomplex, einer atemberaubenden Arena, unzähligen Ständen von Handwerkern und Händlern und dem erfrischenden, immerwährenden Kanal bietet auch die ein wenig abseits gelegene, schattige und fruchtbare Oase jedem erschöpften Wanderer Erholung, Unterhaltung und Kommunikation inmitten einer faszinierenden Kultur traditionellen Nomadentums.
Lasst euch auf einem der weichen Teppiche, im Kühle spendenden Schatten der Taverne nieder, genießt die euch angebotene Wasserpfeife, das ein oder andere erfrischende Getränk und die Gespräche mit den braungebrannten, erfahrenen Geschichtenerzählern der Sandwüste Varants.
by Hârkon
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"In der Tat, ich wurde vor nicht allzu langer Zeit von dem Obersten Wassermagier selbst aufgenommen. Wie ihr gerade schon sehen konntet, beherrsche ich bereits ein wenig Magie. Meine eigentliche Profession ist allerdings das Schmieden." Sie überquerten den Kanal und verließen langsam die Gefilde der Stadt. Der Himmel war verhangen, sodass man die von Mond und Sternen nur ein diffuses Leuchten erahnen konnte. Er schlug den Weg nördlichen entlang der Oase ein. "Was verschlägt dich nach Al Shedim?"
Kilijans Grinsen verschmolz mit der Nacht und wäre für den leicht schräg hinter ihm folgenden Besucher auch sonst nicht zu sehen gewesen; er konnte die Präzision seiner Umgangsformen manchmal selber nicht steuern; er war der Handwerksmeister und Mitglied im Bund der Magier, sein Gegenüber dagegen ein Niemand, ein Obdachloser, dem er Asyl gewährte. Es war für ihn also völlig natürlich, jenen zu duzen und selber das Sie zu erwarten. Wie viel aus den wenigen Jahren in der Obhut seiner Eltern sich doch eingeschliffen hatte...
"Es scheint ja nicht gerade, als seien die Götter dir besonders hold gewesen..." fügte er an, als der Junge einige Momente nicht antwortete.
Zu ihrer Rechten lagen die Bäume der Oase, an denen sie gemäßigten Schrittes entlang gingen. In der Dunkelheit wirkten sie wie bedrohliche Riesen, die langsam umher schlichen und von Zeit zu Zeit ein Knacken in die Nacht sandten, um Mensch und Tier gleichermaßen zu erschrecken.
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Neuling
Noch niemandem hatte er sich anvertraut. Die anderen auf dem Hof hatten imme rgedacht er sein ein weiterer der Unglücklichen der den Orks in die Arme gelaufen ist.
Doch dem war nicht so. Und schlieslich war er zurückgekommen um seine Vergangenheit aufzuarbeiten und neu zu beginnen.
Dafür war es wohl ein guter Schritt das was er schon lange in sich trug endlich zu erzählen.
"Ihr müsst wissen, dass ich ursprünglich von hier komme. Wir waren nicht reich aber auch nicht arm. Eigentlich ein schönes Leben, doch meien Mutter starb bei der geburt meines bruders." Er machte ein kurze Pause, nur um ein "Der jedoch auch verstarb" hinzuzufügen.
"Mein Vater hatt das nie verkraftet und erlag wohl letzten Endes dem Alkohol.
Ich bin jedoch abgehaun. Egal wo hin ich wollt enur weg von hier. Doch naja lange Rede kurzer Sinn: Ich bin wieder zurückgekehrt udn hoffe das Adanos mir eine zweute Chance gewährt."
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"Man kann es einem Kind wohl kaum verübeln, wenn es vor einem solchen Schicksal flüchtet..." antwortete Kilijan nachdenklich, "Ich kann mir nicht vorstellen, dass dein Leben zu einfach gewesen ist. Der Bedarf an Landstreichern dürfte ausreichend gedeckt sein dieser Tage."
Sie erreichten das Ende der Oase. Dort, wo der Fels nach links hin einige Meter zurücksprang, lag die Höhle und daneben stand das Haus, um dessen Einrichtung Kilijan sich immer noch nicht gekündigt hatte. Mit einem Handzeichen bedeutete er seinem Gast, ihm in die Schmiede zu folgen. Wie von unsichtbarer Hand angezündet entflammte der Docht der großen Petroleumlampe an der Decke. Die starke Laterne spendete genug Licht, um sich endlich ausreichend in Augenschein nehmen zu können. Tatsächlich war sein Gast wesentlich jünger als er selbst und nicht gerade im besten Zustand. Die braunen Haare hingen traurig und verfilzt an ihm herab und schlossen sich so dem Bild der Kleidung, oder dem, was man dafür halten konnte, an.
"Erzähl mir von deinen Reisen." Mit einer lockeren Handbewegung deutete er an, dass sein Gast sich auf den Sitz der Schleifbank setzen solle, war es doch das einzige einigermaßen vernünftige Möbel. Er selbst setzte sich auf den Amboss. "Hast Du ein vernünftiges Handwerk erlernt? Ein unvernünftiges würde es vermutlich auch schon tun..."
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Neuling
In der Schmiede fand Dalor es aus irgendeinem Grund heimisch. Es hatte nichts mehr von dem rest der für ihn so sterilen welt, die sie seit er weggelaufen war für ihn war, mehr gemein.
Mit einem seufzen ließ es sirh auf den angebotenen Sitzplatz.
"Da gibst es nichts wirklich tolles zu erzählen: Doch wenn es euch wirklich interessiert, werde ich gerne wiedergeben was mit wiederfuhr." meinte er zu dem Schmied und fügte ein leichtes Grinsen, das schon so lange nicht mehr über sein Gesicht gehuscht war hinzu.
"Als ich damals weggelaufen bin, führten mich meien Füße direkt in einen Ork-trupp einen ragesmarsch von hier entfernt. Wenn ich jetzt überlge war es wohl glück, als kleiner junge sieht es draußen in der Wüste wohl nicht so rosig aus. Diese brachten mich auf einen der Höfe in Trelis, auf dem ich als Knecht und Ventil der Wut eines aufsehers diente. Soll heißen ich kann Drecksarbeit erledigen und mich verstecken."
Seine Augen, die denen eines Hundes glichen hatt eimme rnoch diese Leere. Und mit diesen Augens ah er den Mann nun an.
Eine Zeit lang schweigten beide. " Und wenn ihr wissen wollt, was ich mir erhoffe so klingt es wahrscheinlich etwas wie der Traum eines Kindes, mehr ist es im grunde auch auch nicht, doch wäre er das größte, könnte ich den Magiern dienen. Denn die sind nie ungerecht oder schlagen bei ungehorsam zu. Hoffe ich" er wusste das es dem Mann wohl ein lächeln abverlangen musste, wie er daherredete, doch auf dem Hof konnte e rnie wirkliuch mit jemandem reden. Und solange es dem Schmied nicht auf die Nerven ging,s o hoffte er das er in ihm einen Gesprächsparnter gefunden hatte.
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"Die Nomaden sind gute, aufrechte Menschen und sie empfangen jeden mit offenen Armen. Faul kann man hier allerdings nicht sein, das Leben ist hart und die Regeln der Gemeinschaft streng. Das gilt besonders für die Wassermagier. Sie tragen schon lange das Leid vieler auf ihren Schultern und sind nicht unbedingt leichtfertig."
Kilijan stand auf und entündete in der kleinen Esse ein Feuerchen, auf dem er seinen ramponierten, gusseisernen Wasserkessel erwärmen würde. Tee konnte man immer trinken, jetzt im Winter noch viel besser als im Sommer.
"Ich würde es mir stark überlegen, den Weg der Magie einzuschlagen. Das Studium verzeiht wenig. Du wirst vermutlich erst einmal lesen und schreiben lernen müssen."
Er konnte in seinem Rücken den Blick des Jungen durch die Schmiede wandern fühlen. Es gab hier viele interessante Dinge, nicht zuletzt lagen einige fertige Schwerter neben der Schleifbank, die Kilijan sich aufhob, um Waffen verschiedener Gewichte zur Probe eines Kunden zur Hand zu haben.
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Neuling
Lesen und schreiben: Wie gerne Dalor dies ebeiden fertigkeiten beherrschen würde. Seine Mutter hatte ihm früher immer Geschichten von Helden, die das Gute verteidigt hatten erzählt.
Auch auf dem Hof hatte er sich ein Buch geschnappt, doch da er nur einzelne Buchstaben kannte hatte das auch zu nicht geführt und das einzige was er davon noch in erinnerung hatte waren die wenigen Bilder.
Doch aus diesen ließ sich leider noch nicht einmal herausfinden welche Thematik oder welche Geshcihte der band behandelte.
"Sag. Ihr hönnt doch lesen und schreiben? Ihr habt nicht zufällig ein Buch da um mir ein bisschen etwa szu zeigen, Herr?"
Im grunde war diese bitte Unverschämt, schlieslich hatte er mit der Obdach für die Nacht shcon mehr als ihm die meisten geben würden, doch konnte der junge Mann sich die Frage nicht verkneifen.
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Kilijan hantierte geschäftig an seinem Teeküchenprovisorium herum. "Ein Buch? Ähhhhhhhh..." Das Multitasking war mal wieder ein wenig zu viel für Kilijan. Er hasste es, mehrere Sachen gleichzeitig machen zu müssen. Er beförderte mehr schlecht als recht den Pfefferminztee in zwei grobe Becher, die auch nicht unbedingt das Richtmaß für Sauberkeit waren, und reichte seinem Gast einen davon. Dann ging er hinüber zu seinem Stahlregal und griff in das oberste Fach, wo im Moment seine Kladde über das Schmieden lag. "Das naheste an einem Buch hier ist das hier. Es sind meine Aufzeichnungen über die Schmiedekunst. Und weder das fremde Thema, noch meine Handschrift sind unbedingt ideal, um das Lesen zu lernen..." Kilijan zögerte, dem Jungen die Aufzeichnungen auszuhändigen. "Hör zu, ich bin kein guter Lehrer und Zeit habe ich auch nicht gerade im Übermaß. Aber ich kenne Einige im Bund der Wassermagier, die Dir vermutlich helfen würden. Ich kann morgen einmal mit ihnen sprechen, wenn du willst."
Kilijan blätterte durch seine "Geheymnisse der Schmiedekunst" und lächelte über dem Gedanken, dass er sie vermutlich problemlos rezitieren könnte. Dann klappte er sie zu, nahm einen Schluck Tee und verstaute die Zettelsammlung wieder.
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Mühsam gingen sie im Ausschlussverfahren vor, einiges hatten sie schon geschafft, waren aber längst noch nicht am Ziel angekommen, wenn es so weiter gehen würde, könnte es noch eine ganze Weile brauchen, bis sie herausfinden würden was die Nebenwirkung hervorruft. Es waren eben Kleinigkeiten auf die sie achten mussten, musste alles gegeneinander abwägen, das zog sich leider in die Länge.
Es war aber auch sehr interessant, Saphiria hatte schon viel über Pflanzen und ihre Heilwirkung gewusst, das war aber gar nicht zu vergleichen und inzwischen war sie von der Materie schon fast wie gefesselt. Viel Zeit verbrachte die Seherin mit der Arbeit, vielleicht zu viel aber sie wollte dem Ziel einfach näher kommen, auch wenn es nur kleine Schritte waren.
Wieder hatte sie eine Nacht durchgearbeitet, na, fast zumindest, Saphiria hatte zwischendurch nur mal frische Lust geschnappt gehabt. Nun war es aber Morgen, die Sonne ging auf und es war Zeit für ein kräftiges Frühstück. Wenn sie das hinter sich hatte würde saphiria weitersehen.
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Aniron trat vor eine Palme am Rand der Oase. Die Szenerie war durch mehrere Lichtkugeln erhellt, dass Esteban und die Adeptin sehen konnten, was vor ihnen war. Die drückende Hitze der Sonne war so unerträglich geworden in den letzten Tagen, dass Aniron, um ihren Kreislauf zu schonen ob der Tatsache, dass es ihr gut ging, die Übungen bis ganz in den Abend verschoben hatte.
Am vorigen Abend hatten die beiden sich nicht getroffen, der Tag war Pause gewesen, vielleicht für Esteban, vor allem aber für Aniron, die gemerkt hatte, dass das Krafttraining ein wenig zu viel gewesen war und sie ihre Muskel nüberanstrengt hatte.
Obwohl sie sich angenehme Übungen herausgesucht hatte: Am Meer entlanglaufen, bei dieser Gelegenheit hatte sie ihrem Schüler die Dehnungsübungen gezeigt, und natürlich auch etwas durch den tiefen Sand der Dünen sind die beiden gerennt. Einfach wunderbar für die Waden, hatte sie an dem Tag gedacht, am nächsten den Gedanken verflucht. Die Liegestütze und andere Übungen um die Arm- und auch die Rückenmuskulatur zu stärken, durfte er zum größten Teil allein ausführen, nachdem Aniron doch festgestellt hatte, in welch schlechter Verfassung die ihrige war.
"Nicht vergessen, diese Übungen sind wichtig. Schnelligkeit ist gut, aber man braucht auch Muskeln und Ausdauer, um es mit einem Gegner aufnehmen zu können. Es steht in Eurem Ermessen, wie viel Kraft Ihr hinter Eure Schläge stecken wollt und wie sehr Ihr Euch damit wohl fühlt."
Nun aber war es eben die Palme, die ihre Aufmerksamkeit forderte.
"Zwei Sachen habe ich heute für Euch: Als erstes widmen wir uns dem Baum hier."
Sie legte die Hand auf den Stamm.
"Als Stabkämpfer sollte man so präzise wie möglich mit dem Stab umgehen, genaue Treffer können das Überleben sichern. Oder eben genaue Bluffs. Ich möchte, dass Ihr Euch vor den Baum stellt. Dies ist eine Übung, die Ihr auch alleine immer wieder überall trainieren könnt. Versucht, der Palme mit dem Stab einen Schlag zu verpassen, stoppt jedoch kurz vorm Stamm und verhindert somit, dass Ihr ihn berührt. In etwas so, wie ich es Euch zeige."
Eine von Anirons Lieblingsübungen, die sie wohl in Zukunft mit mäßigem Krafttraining austauschen müsste: Sie stellte sich vor den Baum, schwang den Stab in einer schnellen Drehung und schlug mit voller Wucht auf dem Baum ein- zumindest hätte sie dies, wenn sie ihren Stab nicht zwei Finger breit vor ihm gestoppt hätte.
"Das erfordert äußerste Konzentration und sehr viel Übung. Fangt mit zwei Handbreiten an und versucht Euch den Baum anzunähern." Aniron trat zur Seite und machte Esteban Platz.
"Eine Sache wäre da noch: Wie Ihr wisst, bin ich eine Dienerin Adanos und seiner Schöpfung. Nun seh ich es also nicht gern, wenn jemand den Baum schlägt. Trefft Ihr ihn dreimal, werde ich Euch einen Schlag mit dem Stab versetzen. Nehmt das als Bestrafung hin oder verteidigt Euch. Ihr habt die Wahl."
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 nomina nuda tenemus
Erstaunt hatte Esteban die Worte Anirons vernommen. Manche Lehrer hielten nichts davon, wenn ihre Anweisungen hinterfragt oder gar diskutiert wurden. Sicherheitshalber ordnete er Aniron in diese Kategorie ein. Er sah es als Prüfung an. Weniger in den Fähigkeiten des Stabkampfes, sondern viel mehr darin, ob er imstande war, sich selbst zurückzunehmen und auf die Stimmen anderer zu hören. Mochten sie auch ungewöhnliches verkünden. Schläge des Lehrmeisters für seinen Schüler schienen nicht mit dem ausgleichenden Wesen der Wassermagier - so wie es Esteban kannte - übereinzustimmen. Er hatte vielmehr vermutet, daß diese Lehrmethoden die Druiden benutzten würden. Schließlich waren sie die Hüter der Natur, die meinten, auf Bäume aufpassen zu müssen, da sie ihrer Meinung nach zu verletzlich für diese Welt waren. Die Anhänger Adanos' hingegen sollten sich für das Gleichgewicht der Kräfte interessieren. Und das würde an anderer Stelle verschoben und wohl kaum an einer Palme, deren harte Rinde mit Leichtigkeit ein paar Schläge abfedern würde. Nichts war so einfach, wie man es gerne hätte.
Nun war ihm ein weiteres mal vor Augen geführt worden, warum er sich bisher, seit er damals in der Barriere die Magie in sich entdeckt hatte, auch auf die magischen Talente beschränkt hatte: Ihr Wissen wurde nicht mit körperlichem Schmerz erkauft. Nicht mit Angst vor Strafe. War es das, was Magier von anderen Menschen unterschied? Die Gewissheit, daß es etwas Größeres und Höheres gab, als über die Gedanken und den Geist anderer zu herrschen? Nein, vielleicht auch nicht. Hatten denn nicht viele von ihnen genau dies zum Ziel ihres Handelns erkoren und benutzten ihre erworbene Macht dazu, dieses Ziel zu erreichen? Alles war kompliziert: Weil alles miteinander verwoben war, gab es keine einfachen Antworten. Klar wie selten offenbarten sich ihm die Zusammenhänge und er akzeptierte die Verweigerung einer klaren Antwort auf diese Frage.
Wie sollte er wirklich lernen, diese Aufgabe zu meistern, wenn ihre Nichterfüllung Strafe nach sich zog? Ein Rätsel, das andere lösen sollten.
»Ich werde diese Übung absolvieren«, erwiderte er nur knapp und stellte sich in eingeübter Pose vor den Stamm der Palme, um mit seinem Stab die Luft zu zerteilen, ohne die Bewegung bis zum Ende auszuführen. Der Sinn der Übung erschloß sich ihm durchaus, diente sie doch dazu, die Kontrolle über die Waffe zu erhöhen und jederzeit seine Kräfte richtig dosieren zu können. Mit voller Wucht auf einen Gegner zu schlagen, ohne den Endpunkt des Schlages zu beachten, war sicher eine übliche Taktik beim Kampf mit einer schweren Waffe, doch der Stab war keine dieser Art. Er sollte nicht mit roher Gewalt zerstört werden, sondern war das Werkzeug seines Benutzers, ein verlängerter Arm, mit dem er seine Kräfte, die er lernen mußte, klug einzusetzen, so übertrug, daß sein Gegner ihn nicht erfolgreich angreifen konnte.
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Während Esteban die Schläge gegen die Palme übte, sprach Aniron weiter:
"Ich weiß nicht, wo Ihr her kommt und wann Ihr das letzte Mal einen richtigen Regenschauer erlebt habt. Ich hoffe aber, dass Ihr es Euch vorstellen könnt, wenn ein Platzregen im Sommer nieder geht, die Regentropfen so groß und schwer wie kleine Steine sind, die auf die Dächer trommeln. Die Pflanzen beugen sich unter ihnen und es entsteht ein Rhythmus der Natur. Im Sommer, wenn es warm ist, kann dieser Guss erfrischend sein, doch die meisten Menschen stört er und sie suchen eilig einen Unterstand, um sich davor zu schützen.
Mein Lehrmeister jedoch brachte mir etwas bei, was mir beim Stabkampf einen entscheidenden Vorteil bei der Konzentration gebracht hat.
Wenn wir lernen, den Regen in einer Situation als gegeben zu sehen, ihn akzeptieren und als Teil der Welt ansehen, können wir ebenso lernen, den Regen als nicht mehr als störend zu empfinden, was unseren Geist frei für das Wirkliche, das Wichtige macht."
Aniron stützte sich auf ihren Stab.
"Denn, sind wir erst einmal eine Weile durch den Platzregen gerannt, brennt jeder Tropfen auf der nassen Haut und schwächt uns in unserm Gedanken, unserem Vorhaben und nicht zuletzt unseren Körper. Wir versuchen einen trockenen Ort zu finden, doch die Ermüdung macht sich breit und wir straucheln.
Nun kannn es sein, dass Ihr über den Regen erhaben seid, doch gibt es sicherlich beim Stabkampf wie auch bei jeder anderen Kampfart einen schwachen Punkt, den jeder Kämpfer zunächst besitzt. Diesen gilt es aufzulösen. Erst dann gelingt es Euch, in die wahren Gründe einzutauchen, wenn das Oberflächliche ausgeschalten wird."
Er hatte den Baum getroffen. Soweit Aniron es mitbekommen hatte, war es das erste Mal, trotzdem griff sie blitzschnell nach ihrem Stab und schlug das unter Stabende gegen das Schienbein ihres Schülers.
"Vergebt, wenn ich mein Versprechen gebrochen habe, doch erwartet nicht, dass Eure Gegner ehrlich mit Euch sind, weder die Menschen, noch die Kreaturen in der Wildniss.
Doch was ich Euch eigentlich mitteilen wollte, nun, findet den Platzregen des menschlichen Körpers und lernt ihn im Geist auszuschalten. Überlegt Euch, was für einen Stabkämpfer der Platzregen sein kann, die Hürde zur perfekten Konzentration beim Kampf."
Aniron neigte ihr Haupt.
"Das war alles für heute."
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 nomina nuda tenemus
Wie sollte er reagieren, wenn Aniron ihn tatsächlich angriff? Mit ihrem blauen Kleid, dem offenen, langen roten Haar und dem schmalen Gesicht wirkte sie weder aggressiv noch gefährlich, sondern eher verletzlich wie eine Frau, die in der Wüste nach etwas suchte, was sie woanders noch nicht gefunden hatte. Doch täuschte ihn ihr Äußeres nicht über ihren entschlossenen Blick, der ihm zeigte, daß sie vieles gesehen hatte, vieles, daß der Krieg in Myrtana und Varant hervorgebracht hatte. Ihre wissenden Augen hatten all das aufgenommen und ihr Handeln war bestimmt davon. Die Götter prüfen uns... ein Leben lang. Denn nichts ist wertlos, nichts ist so billig, als daß es verschenkt werden würde.
Mit dem Stab war er ihr zweifellos unterlegen. Seine Magie mochte zwar vorhanden sein und tief in ihm auf ihre Anwendung warten, doch stand er erst am Anfang dessen, sie wieder gebrauchen zu lernen, nachdem er so lange nicht mehr auf den Pfaden des Magiers gewandelt war. Die alte Magie beherrschte er noch lange nicht. Es war ein langwieriger Prozeß, ihre Geheimnisse und ihre Funktionsweisen zu entschlüsseln. Außerdem hätte er es sich, auch wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, auf Magie zurückzugreifen, versagt, hier, in al-Shedim, dem Zentrum der Wassermagier schwarze Magie zu wirken. Es wäre so ähnlich wie Selbstmord gewesen.
Esteban wußte, daß er seiner Lehrmeisterin ausgeliefert war, wollte er weiterhin daran festhalten, wenigstens die Grundlagen des Stabkampfes zu beherrschen. Er hatte ihr zu folgen oder sie zu verlassen.
Das Kompendium sagte: Lerne zuerst, dich zu beherrschen, bevor du anderes beherrschst. Es war so viel mehr als nur eine reine Sammlung von Wissen über die Beschwörungsmagie.
Bei Beliar, sollte sie sich doch beim nächsten mal eine Mauer suchen, zum Dagegenschlagen. Oder fühlten sich die Wassermagier nun etwa auch schon bemüßigt, alte Ruinen zu schützen?
Oder war das nur eine weitere Prüfung, die seinen eigenen Gleichmut herausfordern sollte, indem sie ihn vor eine unmögliche Wahl stellte, nur um herauszufinden, wie er reagierte und ihre Schlüsse aus ebendieser Reaktion zu ziehen? Bei den Anhängern Adanos' war er nie sicher sein, zu fremd war das ambivalente Verhalten seiner Getreuen für ihn.
Esteban übte weiter, während ihm all das durch den Kopf schoß. Konzentriere dich! Doch es war zu spät. Schmerzhaft durchzuckte ihn das Auftreffen seines eigenen Stabes an seinem Bein. Er hatte nicht acht gegeben, sondern hatte, als er seinen Gedanken nach hing, den Stamm der Palme berührt. Die Strafe folgte sofort.
Jeder Mensch hatte eine Schwäche. Das gehörte zum unabdingbaren Wesen der Menschen. Seine war der Stolz. Er würde ihn nie besiegen und eines Tages würde es sein Stolz sein, der sich gegen ihn wenden würde. Er würde nichts dagegen unternehmen können und sehenden Auges seinen Untergang finden. Anders als viele Menschen wußte er um seine Schwäche. Und würde doch keinen Nutzen daraus ziehen. Doch hier ließ er sich nichts anmerken, verzog nicht einmal den Mund wegen des Schmerzes, so plötzlich kam die Lektion.
Er beendete die Übung und hörte seiner Lehrmeisterin zu. Was kümmerte ihn Regen? Ebenso hätte sie ihn fragen können, ob ihn ein Staubfussel auf seinem Gewand störte.
Als er noch Waldläufer war in der Barriere, hatte er kein Heim besessen, hatte im Freien übernachtet. Wind und Wetter waren nicht seine Feinde, sie waren Gefährten. Das Rauschen des Windes, das Trommeln des Regens, sie erzählten ihm von Dingen außerhalb des Gefängnisses. Sie gaben ihm die Gewissheit, lebendig zu sein. Donner und Blitz versicherten ihm die Anwesenheit der Götter auf der Erde. Kälte und Hitze gemahnten ihn im Verbund mit dem steten Wechsel der Jahreszeiten an die Vergänglichkeit allen Seins. Das war das Gesetz des Lebens, sein Ursprung, seine Bestimmung, sein Fluch.
»Regen schreckt mich nicht. Ebenso wie Hitze oder Trockenheit. Einzig Kälte ist zu fürchten, wenn man keinen Schutz gegen sie hat. Der Mensch ist den Elementen ausgeliefert, doch stark genug, sie zu überstehen. Und sie erinnern jeden daran, daß wir nur ein Teil des Ganzen sind. Sie hinzunehmen, ist klüger als gegen sie zu kämpfen und zu verlieren.«
Er neigte das Haupt und beide verabschiedeten sich für heute voneinander.
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„Schade. Du bist ja so ne süße Maus. Hmmmm...“, kam es mit einem Stöhnen über die Lippen des Dicken, der sich mit der Hand über den teilweise zahnlosen Mund fuhr.
„... Deine Schenkel lassen auf mehr schließen...“, schwärmte er, sich wieder mit der Hand über den Mund streichend.
„Der Graue sollte Dich mal über das Knie legen“, sprach Hasso mittlerweile sabbernd, beim Gedanken daran, daß er dadurch mehr sehen würde, als die Schenkel der Stabkämpferin.
Er konnte sie aus dem Abstand heraus nicht genau sehen, doch seine Fantasie reichte weit genug, sich da Schweißperlen auf ihrer Haut auszumahlen, auch wenn die mangelnde Aktivität der Frau wohl kaum so etwas hervor rufen konnte. Aber warum auch nicht? Schließlich schwitzte er auch, ohne sich zu bewegen.
Für einen Augenblick kam ihm auch der Gedanke, sich selber einen Stab zu schnappen und mit ihr ins Gefecht zu gehen, nur um sich im Anschluß daran mit ihr im Dreck zu suhlen... Nein, besser in der Oase, wo das Wasser seinen schweren Körper tragen und ihm gewisse Neigungen einfacher fallen würden.
Hasso schwitzte noch mehr. Wie lange war es her, daß er die Freude hatte, seine Lust mit einem Weib zu teilen? Sehr lange.
„Rrrrr...“, Hassos Sinne wurden mit einem mal einem Signal gleich, denn die Verabschiedung der beiden Menschen bedeutete gleichzeitig Freifahrt für das eigene Vorhaben,... doch... Welches?
Die Beine des Dicken zuckten bereits, bereit sich in Bewegung zu setzen, würde sie es auch tun. Bereit den Mann dort hin zu tranzportieren, wo die Frau hin ging und bereit sogar schneller zu laufen, wenn die Holde von ihrem Vorteil eines agilen Körpers gebrauch machen würde.
„Zuckerschneckchen!“, rief er, „... man, Du bist aber auch wirklich lecker“, murmelte er angestrengt in seinen kaum vorhandenen Bart. Und dann schnaufte es nur noch aus seinem Munde, da ihn das Laufen doch sehr anstrengte. Wenn es jetzt Beben hab, ganz sicher nicht von irgendwelchen Naturkräften.
„Wartet! Ein Mann meines Alters und meiner Körpermasse kommt nicht so leicht vom Fleck“, keuchte er.
„Ich brauche Euch!“.
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Stolz konnte man es wohl nennen, was Dragan nun empfand. Er hatte es tatsächlich geschafft eine Art Indikator herzustellen, die hellen, roten Farben bedeuteten, dass der Stoff ungiftig wäre, hingegen zeigten die dunklen, tragenden Farben ein Gift an, das ging sogar bis zu einem tiefen schwarz, wenn er alles richtig gemacht hatte. So ließ er den Trank immer bis zu bestimmten Punkten verdampfen, schlug die einzelnen Zutaten nach und grenzte schließlich alle bis auf drei Stoffe aus. Drei giftige, vier ungefährliche, doch das war noch längst nicht alles, erst die Kombination, die Hitzeinwirkung die die Stoffe löste, das alles spielte ein und machte ein Kraut erst so gefährlich. Viele der Pflanzen ähnelten sich in ihrer Wirkung, und deckten doch hier und da einen anderen Bereich an, den die andere nicht mehr schaffen konnte. Genau genommen wusste der Feuermagier nun gar nicht, wie er weiter verfahren sollte. Ihm blieb als einzige Möglichkeit den Trank immer ohne einen der Stoffe zuzubereiten. Vorher jedoch sah er unter den Eigenschaften der Stoffe nach, die in den Pflanzen enthalten waren, es wäre ja möglich, dass durch das Fehlen eines ungiftigen Stoffes die Wirkung eines Giftes stärker auftreten würde. Mal sehen, was dabei rauskam...
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In den letzten Tagen war es öfter vorgekommen, dass die Erde gebebt hatte. Die Menschen in Al Shedim waren unruhig, versuchten, die Lage zu verstehen oder aber zu verdrängen. Während man sich vor ein paar Wochn noch von der schieren Masse der Bevölkerung in Sicherheit hatte wiegen können, so war durch den Auszug vieler Bewohner in die Wüste und umliegenden Städte diese Sicherheit Vergangenheit – und Aufruhr und Angst vorprogrammiert.
Und gerade dies versuchten sie zu verhindern.
Es war ein ruhiger Tag, bislang hatte noch kein Beben die Ruinenstadt heimgesucht, geschweige denn die Menschen in Aufruhr versetzt. Und doch war der Priester Adanos‘ nervös. Was wäre, wenn sein Kollege Recht behielt? Was wäre, wenn dies Adanos‘ Werk wäre? Eine Säuberung? Oder nur eine letzte Warnung?
„Wieder einmal nachdenklich?“, riss es den Priester, der soeben die Treppenstufen hinab ging, aus seinen verworrenen und ohne Effekt bleibenden Gedanken. Tinquilius schaute auf und erblickte Riordian vor sich. Der ältere Priester, Oberste Wassermagier und gute Freund des Heilers lächelte. „Was hält dich dieses Mal fest? Wieder dieser Baum?“
„Nein“, kam es sofort - eine Antwort, die er auch gegeben hätte, wenn dem nicht so gewesen wäre. Schließlich wusste er um Riordians Meinung darüber. Ja, Tinquilius Versuche, den Baum zu finden, hätten ihn beinahe sein Amt und seine Befugnisse beraubt – etwas, was er nicht als ds Wichtigste im Leben betrachtete, jedoch im Laufe der letzten Jahre zur Gewohnheit geworden war und er sicherlich schwer missen würde. „Mich beschäftigt die Lage Al Shedims. Die Menschen werden unruhig, Riordian. Sie wollen Antworten, Antworten, die wir ihnen aber nicht geben können.“
„Und die auch scheinbar niemand sonst zu haben scheint“, meinte der Oberste Magier. „Komm, lass uns ein paar Schritte gehen.“
Tinquilius nickte nur und folgte kurz darauf dem Obersten Magier und Ratsvorsitzenden, auch wenn dieser seine Macht nie ausnutzte, sondern auf einen Konsens zwischen den Magiern des Kreis des Wassers setzte. Ein Wesenszug, der den Feuermagiern, ihren ehemaligen Brüdern aus der Heiligen Allianz und seitdem Verbündeten im Geiste, fehlte, wie der Priester für einen Moment feststellte.
„Was meinst du“, begann Riordian ohne Vorwarnung, „ was wir machen sollten?“
„Wir müssen mit den Menschen reden. Wir müssen ihnen zeigen, dass wir etwas tun, um diese Beben aufzuklären und vielleicht auch zu stoppen. Ansonsten wird Angst über sie kommen und wir verlieren auch noch diejenigen, die sich noch in Al Shedim aufhalten.“
„Ich weiß nicht, ob du die Lage nicht etwas überinterpretierst. Vielleicht sind es die Beben eines entfernten Experiments. Mit was für Worten sollen wir vor sie treten, deiner Meinung nach?“
Der Priester schwieg einen Moment. Riordian hatte Recht: Ohne Antworten, ohne auch nur den Hauch einer Ahnung zu haben, wäre es schlichtweg sinnlos. „Wir haben keine Antworten, ja. Aber wir können ihnen zeigen, dass wir etwas tun. Ansonsten werden diejenigen, die bereits jetzt zweifeln, ihren Glauben verlieren – oder viel schlimmer noch: falsche Vorstellungen annehmen.“
„Wie…“, begann Riordian, wurde jedoch jäh von einem erneuten Erdstoß unterbrochen. Sie hatten soeben den tempel verlassen und konnten so relativ sicher sein, nicht von herunterstürzenden Brocken erfasst zu werden. Dennoch liefen sie ein Stückchen weiter, um sich dann umzudrehen, als ein lautes Knirschen und dann ein Aufschrei zu vernehmen war. Tinquilius suchte nach der Ursache – und folgte nur Sekunden später Riordians Finger, der direkt zum Tempeleingang verwies. Dort, wo sonst ein großer Eingang war, lagen jetzt größere Gesteinsbrocken und inmitten dieser ein schreiender Ruinenwächter.
Sofort eilte Tinquilius zum Tempeleingang und kniete neben den Verletzten. Auch andere eilten herbei und hievten bereits die ersten Gesteinsbrocken beiseite. Als Tinquilius aufschaute, erblickte er Riordian neben sich. „Wir müssen schauen, ob noch mehr Gebäude in Mitleidenschaft gezogen wurden.“
Riordian nickte. „Ich habe mir bereits zwei Novizen aufgegriffen, die sich auf die Suche durch die Ruinen machen. Kümmer du dich um diese Angelegenheit hier, ich werde das Weitere organisieren.“
Vom Heiler kam nur ein kurzes Nicken, bevor Riordian sich durch die Gesteinsbrocken hindurch in den Tempel begab. Wir müssen handeln. Nur wie?
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Die Geschehnisse in Al Shedim schienen sich zuzuspitzen. Aniron hatte am Vormittag ihre Freundin Berta verabschiedet. Mit ihrer Familie hatte die gutmütige Frau die Stadt verlassen und war mit einer Karawane in die Wüste hinaus gezogen, zunächst ohne Ziel. Zu unsicher war es nun auch ihnen in Al Shedim geworden. Die Angriffe, die Schwarzmagier und Abtrünnigen, die Beben. Zumindest vor Angreifern schienen sie nun Ruhe zu haben, doch der Schein konnte trügerisch sein und es schien, als hätten sie sich, wie auch immer, die Erde zum Feind gemacht.
Die Adeptin war äußerst beunruhigt und es fiel ihr schwer, sich von einer innerlich aufkeimenden Panik nicht ergreifen zu lassen. Das letzte Beben war derart heftig gewesen, dass der Tempel - das standhafte Wahrzeichen der Wassermagier - Schaden genommen hatte.
Es war eine große Unruhe in der Stadt, weder Wassermagier noch Nomaden wussten, wie sie der Situation Herr werden sollten. Aniron stand grübelnd vor ihrem Schüler, bis sie nachdenklich den Blick vom Boden losriss und sagte:
"Durch die derzeitige Lage hier in Al Shedim weiß ich nicht, wie ich für Eure Sicherheit sorgen kann. Ihr solltet vielleicht so schnell wie möglich Eure Sachen packen und wieder in die Wüste gehen. Denn all der Stabkampf nützt nichts, wenn Ihr von herunterfallenden Gesteinsbrocken erschlagen werdet. Es ist nicht mehr viel, was ich Euch noch zeigen möchte, wenngleich es dennoch wichtig ist. Lasst uns daher schnell anfangen, ich hab auch schon alles vorbereitet."
Sie traten an eine alte Säule heran, die in mitten der Ruinenfelder in die Höhe ragte. Mit roten Gestein hatte die Wehmutter die Umrisse eines Menschen darauf nachgezeichnet. Sie hoffte, dass die steinerne Nachbildung nicht mitten in der Übung durch ein Beben zerstört wurde.
"Hier seht Ihr Euren nächsten Gegner, ich habe Euch die wunden Punkte des menschlichen Körpers aufgezeichnet. Hier seht Ihr den Kopf, mit einem gutplazierten und kräftigen Schlag kann jedes Haupt gespalten werden. Ihr könnt Eurem Gegern mit einem Hieb gegen die Kehle aber auch die Luft nehmen und ihn lebensgefährlich verletzten. Auch die Seiten des Oberkörpers, wenn Ihr etwas über die Hüfte schlagt, sind anfällig. Eine gebrochene Rippe ist nicht nur schmerzhaft, sondern kann auch zu ernsthaften inneren Verletzungen führen.
Schlagt ihr auf die Knie und zertrümmert die Kniescheiben, könnt Ihr Eure Gegner im wahrsten Sinne des Wortes in die Knie zwingen. Prägt Euch diese Stellen gut ein."
Aniron hatte mit dem Stab auf die jeweiligen Punkte gezeigt und nun trat sie zurück.
"Versucht Euch an diesem steinernen Gegner und trefft die verletzlichen Stellen. Versucht verschiedene Schläge auszuführen, vielleicht gelingen Euch auch verschiedene Attacken hintereinander."
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 nomina nuda tenemus
Aufmerksam hatte Esteban den Worten Anirons gelauscht. Dann sagte er: »Es gibt noch mehr verletzliche Stellen, wie überhaupt der Mensch wenig natürliche Verteidigung gegen Gewalt besitzt, einzig sein Geist läßt ihn eine solche Ersinnen wie die Rüstungen der Ritter in Myrtana. Stoße ich mit dem Ende des Stabes in voller Wucht gegen den Bauch, wird es den Gegner ebenso außer Gefecht setzen wie ein starker Schlag von unten geführt zwischen die Beine.«
Emotionslos hatte er diese zusätzlichen Möglichkeiten, einen menschlichen Gegner zu treffen, aufgezählt.
Nun stellte er sich in Position und führte einige Schläge aus: Von oben auf den Stumpf der Säule, der den Kopf darstellte, seitlich gegen die Rippen und zum Abschluß einen Stoß von schräg unten gegen die vermeintlichen Kniescheiben.
Staub wirbelte auf, als kleine Steinchen von der ruinösen Säule bröckelten.
Diese Übung gefiel ihm wahrlich besser als der gestrige Schattenkampf gegen die Palme.
»Man kann auch einen wohldosierten Schlag gegen die Schläfe des menschlichen Gegners anbringen. um ihn zu betäuben«, fuhr er fort, so als sei er nicht der Schüler, sondern der Lehrmeister. »Sicher benötigt es dazu nicht nur die nötige Übung, um die Verteidigung des Gegners zu umgehen und an seinen Kopf zu gelangen, sondern auch, die Kraft richtig zu bemessen, um ihn nicht die Schädelknochen zu zertrümmern, sondern lediglich das Bewußtsein zu nehmen. Ich denke, ich bin noch weit davon entfernt, einen derartigen Schlag präzise ausführen zu können«, schloß er bescheiden.
Erneut führte er die gleichen Schläge aus, wohl plaziert, was zeigte, daß sein Umgang mit dem Stab sicherer geworden war, seit er sich unter der Anleitung seiner Meisterin darin übte.
»Der Schlag gegen den Kehlkopf ist äußerst gefährlich. Auch hier muß man zuerst die Verteidigung überwinden, gerade der Kopfbereich wird mit aller Vehemenz geschützt, was in Anbetracht seiner Verletzlichkeit und Wichtigkeit auch verständlich ist. Doch hat man die Verteidigung durchbrochen und den Kehlkopf erreicht, kann es leicht passieren, daß dieser durch die Einwirkung des Schlages zertrümmert wird. Danach sind keine Unterhaltungen mehr mit dem Gegner möglich. Der Schlag sollte also meiner Meinung nach nur angewandt werden, wenn der Gegner keine Informationen besitzt, die nützlich sein könnten.«
Ein drittes Mal führte er verschiedene Schläge aus, um die von Aniron bezeichneten Körperregionen möglichst sicher und genau zu treffen, eine Aufgabe, die Esteban mit recht hoher Genauigkeit gelang. Offenbar lag es ihm mehr, einen genauen Punkt zu treffen, als besonders viel Kraft aufzubringen. Doch letztendlich war bei kluger Wahl des Ziels der Erfolg im Kampf der Gleiche.
Esteban war gespannt, ob ihm seine Lehrmeisterin auch etwas über den Kampf gegen wilde Bestien und Monster lehrte. Über deren Schwachstellen. Er nahm seinen Stab zurück, stellte ihn neben sich auf den Boden und verließ die Kampfposition.
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Aniron nickte.
"Das war sehr gut. Ich sehe, dass Ihr mit dem Stab schon sicher umgehen könnt. Allein schon dies ist ein Vorteil einem Angreifer gegenüber, wo doch viele denken, Stäbe seien nur zum Wandern und als Stütze gut. Nicht jeder wird es Euch ansehen, dass Ihr Euch damit verteidigen könnt. Ich selber habe mitbekommen, dass es Menschen gibt, die an der Kraft des Stabes zweifeln und in ihnen nichts als nutzlose Zahnstocher sehen. Aber seht selbst, mit Eurem Wissen und den Fertigkeiten, die Ihr selber auch immer wieder üben und dadurch verfeinern könnt, seid Ihr durchaus gefährlich. Wenn Ihr allerdings in die Wüste rausgeht, nun, ich weiß, dass Ihr Euch um die Kreaturen der Wüste sorgt, die nach Eurem Leben trachten. Ich selber habe noch nie gegen eines von Ihnen kämpfen müssen, überhaupt nicht gegen ein Tier, sondern nur der Mensch selber hat sich mir als ein gefährlicher Angreifer gezeigt."
Nachdenklich neigte sie ihren Kopf.
"Wenn Ihr aber meine Meinung als Stabkämpferin wissen wollt, dann denke ich, muss man genau wissen, wann man sich einem Kampf mit einem Tier hingibt oder lieber die Flucht ergreift. Ich kann Euch nur allgemein sagen, dass sicher die Augen und auch die weichen Bäuche stets ein gutes Ziel darstellen. Doch anders als bei einem Menschen, sollte der Kampf schnell gehen, denn ein rasendes Tier ist ein sehr gefährlicher Gegner. Passt auf, dass die scharfen Krallen und Klingen den Stab nicht zu fassen bekommen, sonst könnt Ihr schnell Eurer Waffe beraubt sein.
Gerade bei Tieren braucht man ein großes Maß an Schnelligkeit und Kraft, seine Verteidigung sollte man nie aus den Augen lassen.
Ich glaube, das ist erst einmal alles, was ich Euch dazu sagen kann."
Sie nahm ihren Stab.
"Nun lasst uns aber einen kleinen Übungskampf ausfechten. Ihr wisst die verletzlichen Stellen am Körper, Ihr habt es mir selber gesagt. Nun versuchen wir in unserem Kampf uns auf diese Stellen zu konzentrieren. Der Übergang zwischen Angriff und Verteidung sollte außerdem nicht außer Acht gelassen werden, damit ein flüssiges Spiel des Kampfes stattfindet und das auf einem höheren Tempo.
Bevor wir allerdings anfangen, möchte ich Euch noch um etwas bitten. Da ich in froher Hoffnung bin, obwohl man es mir noch nicht ansieht, unterlasst bitte Schläge auf meinem Unterleib und Bauch. Ich weiß natürlich mich zu verteidigen, aber trotzdem muss nicht immer alles glatt gehen und Euer Stabgefühl ist schon gut. Bitte habt dafür Verstnändnis."
Aniron verneigte sich vor ihrem Schüler und erwartete seine Attacke.
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 nomina nuda tenemus
»Wie Ihr es wünscht.« Er verneigte sich. Und sagte: »Ich wünsche Euch eine gesunde Tochter oder einen gesunden Sohn. Es ist mutig von Euch, in dieser Zeit von Gewalt und Umbruch diesen Entschluß getroffen zu haben.«
Dann nahm er wiederum die Ausgangsposition für einen Kampf ein und beschloß, zu versuchen, Aniron so leicht wie möglich zu berühren, falls er ihre Verteidigung überwinden konnte. Ob dies zu schaffen war, wußte er nicht.
Der Kampf begann. Zuerst tasteten sich die Gegner gegenseitig ab. Hell klangen die Stäbe aufeinander, berührten sich mal an diesem Ende, mal an jenem. Fast war es wie ein Tanz, in dem der eine Bewegungen macht, die der andere sogleich nachzuvollziehen hatte. Hin und her wogten die Bewegungen. Auf und nieder hoben sich Arme, streckten sich die Körper. Lange Zeit war nicht außer dem ungleichmäßigen Klacken der Stäbe zu hören, wenn sie aufeinander trafen.
»Nehmt die Deckung höher«, mahnte Aniron ihren Schüler zuweilen, was dieser versuchte, zu beherzigen. Einen Treffer konnte er jedoch nicht landen. Doch dies hatte er vorausgesehen. zu geübt war die Wassermagierin mit dieser Waffe. Wie sonst hätte sie auch sonst Lehrmeisterin sein können?
Esteban konzentrierte sich auf seine Verteidigung. Vielleicht würde sie ja unvorsichtig werden, wenn sie lange Zeit vergeblich versuchte, ihn zu treffen? Und so ahnte er jeden ihrer Schläge, jeden Hieb und jedes Zucken ihres Stabes voraus und deutete alle Veränderungen in ihrem Stand, ihrer Schrittfolge, ihren weichen Körperbewegungen
Typischerweise folgte bei seiner Lehrmeisterin auf einen von unten geführten Schlag, der ihren Stab nach oben wirbelte meistens eine seitliche Attacke mit dem anderen Stabende, nachdem sie die Waffe blitzschnell um einen Halbkreis gewendet hatte und die Bewegung dabei vom Senkrechten ins Waagerechte überführt hatte. Doch gerade als sich Esteban sicher wahr, dieses Muster erkannt zu haben, variierte sie es, wohl wissend, daß die Verwendung immer gleicher Angriffsvarianten ihr eine Blöße gab.
»Ich sehe, dieser Kampfstil ist vor allem gegen einen im Stabkampf ebenso geübten Gegner geeignet«, bekundete er, leicht außer Atem. Weiterhin wogte der Kampf hin und her.
»Doch was ist mit Gegnern, die andere Waffen benutzen? Schwerter zum Beispiel oder schwere Äxte? Gegen Bestien könnte ich wahrscheinlich nur in den Arenen Varants antreten, doch will ich das lieber vermeiden. Sich gegen unberechenbare Kreaturen zu verteidigen, sollte den wahren Meistern vorbehalten bleiben«, stieß er zwischen zwei Schlägen aus. »Wobei man wohl auch geteilter Meinung über den Sinn von Gestellten Kämpfen mit wilden Tieren und Monstern sein kann. Man sollte diesen Kreaturen aus dem Wege gehen und sie nicht zum eigenen Vergnügen hinschlachten.«
Jedesmal, wenn Esteban dachte, daß er nun eine Lücke in ihrer Verteidigung ausgemacht hätte, wirbelte ihr Stab von wer weiß woher plötzlich herbei und blockte jeden seiner Schläge.
»Nun, ich fürchte, ich kann Eure Verteidigung nicht durchbrechen.«
Er beendete den Kampf abrupt und zog sich zurück. »Vielleicht kämpfe ich auch zu vorsichtig und auf die eigene Sicherheit bedacht, doch möchte ich Verletzungen vermeiden, solange es keinen Anlaß gibt, solche zuzufügen.«
Er verbeugte sich vor seiner Lehrmeisterin.
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