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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : [Story]Mord an Talamon



Joni Odin von Hassenstein
03.11.2005, 01:20
Die Wände der Bibliothek des Klosters der Feuermagier wurden im warmen Schein des Kerzenlichtes gemütlich erhellt. Es war bereits früher Abend, und draußen musste es schon ziemlich finster sein. Grübelnd saß der alte Feuermagier Hyglas über ein altes Buch gebeugt, dessen Seiten schon leicht vergilbt waren und vom flackernden Kerzenschein matt erleuchtet wurden.
Schon seit einiger Zeit saß er über diesem Buch, und seit noch längerer Zeit dachte er über eine Frage nach, der nachzugehen allen Feuermagiern vom heiligen Rat, bestehend aus Pyrokar, Ulthar und Serpentes, zwei Tage zuvor aufgetragen worden war. Es handelte sich um die Frage, welchen Wesens die Götter Innos, Adanos und Beliar tatsächlich seien, wenn sie okkult im Innern des Menschen wirkten. Ein normaler Bürger, ja selbst ein Novize wäre schon an der Fragestellung gescheitert, hätte sie nicht einmal im Ansatz begriffen; doch für die Feuermagier, die Eingeweihten des hohen und heiligen Feuers, da war sich Hyglas sicher, war es keine unüberwindbare Hürde, diese Frage zu verstehen. Eine Antwort darauf zu finden, war schon wesentlich schwieriger. Einen Anfang hatte er immerhin schon gemacht! Durch Andeutungen in verschiedenen Büchern der alten Weisen ließ sich für ihn herausfinden, was er schon immer geahnt hatte: Die Wahrheit Innos' war in der Ewigkeit des menschlichen Geistes; der Ausgleich Adanos' lebte in den Seelen der Menschen; und die Macht Beliars bildete den physischen Leib. Hatte der Magier sich dies einmal verinnerlicht, so sah er die Welt und ihre Menschen mit gänzlich anderen Augen; als ob ein Schleier von seiner Wahrnemung gefallen sei.

Hyglas stützte seinen Kopf auf seiner rechten Hand ab. Der Blick seiner tiefen, rotbraunen Augen verlor sich in dem hölzernen Bücherregal, das die Sicht zur gegenüberliegenden Wand versperrte. Nun brauchte er eine kleine Pause.
Der alte Stuhl aus ungeschliffenem Kirschbaumholz knarzte bedenklich, als Hyglas aufstand. Langsam schritt er an dem Bücherregal vorbei auf die Türe zu, deren silbern glänzende, kürzlich von einem Novizen frisch geschliffene Klinke sich nur schwer herunterdrücken ließ. Mit einem leisen Quitschen ging die Tür auf, und von draußen schlug Hyglas eisige Kälte entgegen. In die Dunkelheit hinausgehend schloß er die Tür behutsam hinter sich und blickte sich auf dem Platz vor der Kathedrale, die ruhig und majestätisch in den sternklaren Abendhimmel ragte, um. Es war sehr ruhig an diesem Abend, kaum jemand war zu sehen, und nur der Magier Marduk ging auf dem Platz, tief in Gedanken versunken, auf und ab. Bis auf Marduks Schritte und das leise Murmeln eines betenden Novizen, der sich wohl in der Kathedrale niedergekniet hatte, dessen Aufenthaltsort sich jedoch nicht eindeutig bestimmen ließ, war nichts zu hören; doch wenn man anders lauschte, als man es normalerweise tat, so vernahm man die klirrende Schärfe der Kälte in ihrer absoluten Reinheit. Oh welch ehrfurchtgebietender Klang war es, der dem wahrhaft Hörenden die Botschaft des Wetters zukommen ließ! Und die Sterne funkelten klar am Himmel, und Hyglas wurde von einer tiefen, friedvollen Sehnsucht ergriffen, und für einen Augenblick nur wurde er Eins mit der Schönheit dieser Dunkelheit.
Plötzlich fröstelte Hyglas, was ihm nicht häufig widerfuhr; und über ihn hinein stürzte die Finsternis wie eine unbarmherzige dunkle Flut, die weder Halt noch Hoffnung kannte. Aus dem Wald hinter dem Kloster heulte ein Wolf die Klage seiner unerfüllten Gier dem kalten, harten Mond entgegen, und Hyglas spürte in seinem Angesicht jäh, für wenige Augenblicke, jeden einzelnen Knochen in seinem Leibe. Wie gespenstisch schaute der Mond ihn doch an! Oh Beliar, du Fürst der Finsternis!

Hyglas riss sich von seinen Gedanken los und wandte sich gen Eingang zum Untergeschoss des Klosters, um zu Neoras zu gelangen. Von diesem wollte er sich ein Elixier aus verschiedenen Kräutern besorgen, das, vorsichtig dosiert, belebend auf den Leib wirken sollte, wenn man es einem anderen Getränke beigab. Neoras hatte ihm vor einiger Zeit von diesem Kräuterelixier erzählt, und nun, da Hyglas drohte, müde zu werden, und er noch eine lange Nacht vor sich zu haben schien, wollte er das Elixier einmal ausprobieren. Also durchschritt er den Türbogen und ging die Treppe hinunter. Jeder schritt hallte in dem feuchten Gemäuer wider, und Hyglas liefen kalte Schauer den Rücken hinab; seltsam, erfüllte ihn der Widerhall von Schritten in diesen heiligen Mauern doch sonst nur mit erhabener Zufriedenheit.
Als er unten angekommen war, hörte er ein unregelmäßiges Zischeln aus Richtung der heiligen Bibliothek kommen, das sich nach einem Moment des Lauschens als erregtes Flüstern entpuppte. Von einem unguten Gefühl befallen zog es ihn wie von selbst in Richtung des Flüsterns, doch seine Schritte setzte er nun gedämpfter. Er blickte um die Ecke, und sah im Schein einer an der Wand befestigten Fackel Neoras vor dem Eingang der heiligen Bibliothek zusammen mit Parlan heftig auf Talamon einflüstern. Nur einzelne Wortfetzen wehten zu ihm herüber.
"...losgelöst...nicht möglich!..."
Flüsterte Parlan erregt, und Neoras schien im zuzustimmen. Nun schüttelte Talamon die gefalteten Hände eindringlich vor der Brust, und Hyglas vernahm immer wieder ein einziges Wort, während alles andere nicht an sein Ohr drang. Dieses eine Wort wiederholte Talamon mehrmals, und unausweichlich, wie das Schicksal selbst, strebte dieses Wort an Hyglas' Ohr:
"...Geheimnis!..."
Aus dem Augenwinkel vermeinte Hyglas eine Regung im Schatten des Gewölbes erblickt zu haben. Plötzlich schepperte irgendetwas, und Hyglas erschrak. Blitzschnell blickten die drei anscheinend in einen Disput vertieften Magier Neoras, Parlan und Talamon auf, und Neoras schritt hastig auf Hyglas und die Stelle, von der das Scheppern kam, zu. Geradenoch rechtzeitig wich Hyglas hinter die Mauer zurück, um nicht von Neoras entdeckt zu werden. Eilig, jedoch auf die Vermeidung jedes unnötigen Geräusches bedacht, ging er die Treppe wieder hinauf und auf den Hof hinaus.

Irgendwas war an der ganzen Situation unheimlich; das war nicht bloß ein normales Streitgespräch gewesen. Hyglas wusste nicht was es war, aber irgendetwas beunruhigte ihn sehr. Doch vielleicht sollte er einfach umkehren und Neoras nach seinem Elixier fragen!
Gerade als er sich wieder umdrehen wollte, um zu Neoras zurückzukehren, sah er einen Novizen die Treppe hinaufhasten. Ohne sich umzuschauen rannte der Novize in der Dunkelheit über den Kathedralenplatz zum Ausgangstor. Er hatte einen länglichen Gegenstand in der Hand, und als der Novize das schwere Tor hastig öffnete, erkannte Hyglas den Gegenstand im fahlen Licht des Mondes: Es war ein Schwert!
Ohne das Tor hinter sich zu schließen verschwand der Novize eilig in der Dunkelheit.