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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : [Story] Die Wurzeln der Angst



Harbinger
26.03.2005, 09:47
Kapitel 1 - Flucht aus Port Hasgard

»Ja, was wollt Ihr?«
Der alte Kapitän blickte die große, schlanke Gestalt misstrauisch an. Der Fremde war in einen dunklen Umhang gehüllt und hatte die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Von seinem Gürtel hing ein schmales Langschwert, das durch die Falten seines Umhangs zu sehen war. Neben ihm lag ein großes Bündel, in dem der Mann wahrscheinlich sein Hab und Gut aufbewahrte. Es schien dem Kapitän so, als würde ein wenig Rauch aus dem Bündel aufsteigen. Doch Brizzen war kein Mann, der sich in die Angelegenheiten von anderen einmischte.
»Man hat mir Euch empfohlen, Kapitän Brizzen« antwortete der verhüllte Mann leise »Man sagte mir, Ihr würdet einen armen Mann ohne viel Aufsehen überall hinbringen können.«
»Kommt darauf an« knurrte Brizzen »Wo wollt Ihr hin und wie viel ist euch der Spaß wert?«
Wortlos warf der Mann einen kleinen Beutel auf den Tisch.
»Wohin es geht ist egal, Kapitän« sagte der große Mann »Das Geld ist für Euch, wenn Ihr mich auf dem nächsten Schiff, das Ebereth verlässt, mitnehmt.«
Der Kapitän griff nach dem Beutel und warf einen Blick hinein. Was er sah war ein richtiges Vermögen. Er schluckte.
»So viel hätte Euch die Sache garnicht gekostet, mein Freund« sagte Brizzen, der nunmehr grinste.
»Behaltet den Rest. Ich will nur so schnell wie möglich ausser Landes. Ich kann hier nichtmehr leben, unter der Herrschaft von Shadegrown.«
»Aye, ich habe auch nicht vor hier zu verweilen. Seitdem die Kaiserin vor einer Woche den Thron übernommen hat, kommt die halbe Bevölkerung angerannt, um dieses gottverdammte Land zu verlassen.« Kapitän Brizzen warf einen Blick aus dem Fenster. Die Sonne stand hoch am Himmel. »Wir laufen nach Einbruch der Dunkelheit aus. Seht zu, dass Ihr da seid.«
»Nach Einbruch der Dunkelheit, Kapitän? Habt Ihr etwas vor den Behörden zu verstecken?«
»Ich nicht, mein Freund. Aber ich glaube, Ihr habt etwas zu verbergen.«
Die verhüllte Gestalt nickte. Sie erhob sich und verließ mit ihrem Bündel unter dem Arm die Schenke. Draußen, auf der Straße, zog der Mann die Kapuze ab. In einer Menschenmenge wie in den staubigen Straßen von Port Hasgard, zweihundert Meilen westlich von Belphagris, brauchte der Mann sich nicht zu verhüllen, ganz im Gegensatz zu den Hafenkneipen wo all die Kopfgeldjäger und Meuchelmörder Informationen über ihn suchten.
Der Dunkelelf Fear glättete die Falten seines Umhangs und überlegte, was er bis Sonnenuntergang noch zu tun hatte. Sein Habe hatte er in dem kleinen Beutel, abgesehen von dem Langschwert, dessen Griff er immer mit einer Hand umfasst hielt. Vor einer Woche hatte er mit diesem Schwert das Schicksal des Reiches und damit der kompletten freien Welt besiegelt. Er war vor Monaten in den Krieg gezogen und hatte triumphiert. Sein Sieg hatte jedoch nicht lange angehalten. Er und sein Freund, der Fürst Malfice von Alkaya, hatten gedacht, dass sie den bösartigen Drachen Shadegrown geschlagen hatten. Keiner von ihnen Beiden hatte geahnt, dass der Drache sich in Malfices Körper einnisten könnte. Dort hatte der Drache gewartet. Malfice war nicht zureichend für den Drachen gewesen, da er im Kampf einen Arm verloren hatte. Deswegen hatte der Geist des Monsters eine ganze Woche in dem Fürsten von Alkaya ausgeharrt, bis dieser nach seiner Heimkehr seine Frau Nepenthe in die Arme schließen konnte. Shadegrown hatte während ihrem Kuss den Körper von Nepenthe übernommen und Malfice von Alkaya war in den Armen seiner Frau gestorben. Fear schwor sich an König Viles IV für den Tod seines Freundes zu rächen und half Nepenthe den Monarchen zu töten. Doch im Augenblick des Triumphs hatte der Drache in Nepenthe die Herrschaft über Ebereth, Gilgan und jedes freie Land übernommen, das die Truppen des Reiches erobern konnten. Zornig hatte der Dunkelelf Nepenthe die Treue verweigert. Die Kaiserin hatte Fear gehen lassen, aber Fear hatte beschlossen, die Herrschaft von Shadegrown zu beenden und war in der Nacht zurück zum Schloss geschlichen. Er war bis zu Nepenthe vorgedrungen, aber er hatte sie nicht töten können.
Fear kämpfte mit den Erinnerungen, an die Nacht, als er im Schloss von Belphagris mit dem Drachen gekämpft hatte. Er konnte noch immer nicht glauben, dass er eine Niederlage gegenüber seinen Gefühlen hatte einstecken müssen. Er war immer der Ansicht gewesen, seine Gefühle wären vor so langer Zeit gestorben, zusammen mit dem, der er einst war. Der Drache hatte jedoch auch keinen Sieg aus der Konfrontation davongetragen. Fear wusste nicht, ob die Entscheidung ihm doch noch jeden Kopfgeldjäger, der verfügbar war, auf den Hals zu hetzen von Nepenthe oder von Shadegrown gekommen war. Die Tatsache, dass die Männer angewiesen worden waren, ihn lebend nach Belphagris zu bringen weiß auf Nepenthe hin. Aber es war ihm auch egal. Er würde bald aus ihrer Reichweite sein.
Um ihn herum wuchs die Menschenmasse. Matrosen eilten zu ihren Schiffen, Händler boten ihre Waren an und überall waren normale Bürger, die das Treiben am Hafen genossen. Viele darunter waren Dunkelelfen, weshalb Fear keine Angst hatte, aufzufallen. Er ging die staubige Straße entlang, warf einige desinteressierte Blicke auf das Treiben in seiner Umgebung und versuchte dabei so wenig wie möglich aufzufallen. Er schaute auf eine kleine Gruppe Männer zu seiner Linken. Als er sich gerade wieder abwenden wollte, zog einer der Männer ein Messer und sprang auf Fear zu. Der Dunkelelf reagierte sofort und schlug dem Angreifer seine Faust gegen die Schläfe. Der Mann ging zu Boden und wurde von Fear aufgefangen. Keiner der Umstehenden bemerkte etwas. Fear zog den bewußtlosen in eine dunkle Gasse und lies ihn dort liegen.
Grimmig zog der Dunkelelf seine Kapuze wieder über den Kopf. Je früher er das Land verlassen würde, desto besser wäre es für alle Beteiligten. Er ließ den bewußtlosen Kopfgeldjäger zurück und eilte durch die Menschenmenge in Richtung der Herberge, in der er an dem Morgen abgestiegen war. Schnell öffnete er die Tür seines Zimmers, raffte zusammen, was er zurückgelassen hatte und begab sich in das hintere Schlafzimmer.
Fears Verhalten mochte etwas übervorsichtig sein, aber er hatte gesehen, dass der Kofpgeldjäger, der ihn angegriffen hatte, nicht alleine gewesen war. Fear öffnete das Fenster des Raumes und sprang leichtfüßig auf die Straße, die hinter dem Haus verlief. Mit schnellen Schritten entfernte er sich von der Herberge.
Als er drei Straßen weiter wieder in der Menschenmenge untergetaucht war, sah er die graue Rauchwolke, die von der Herberge aufstieg, höchstwahrscheinlich aus seinem Zimmer.
Der Befehl der Kaiserin, den Dunkelelfen lebendig nach Belphagris zu bringen war wohl noch nicht bis zu jedem Kopfgeldjäger vorgedrungen. Fear wandte sich um und verschmolz mit der sich bewegenden Menschenmenge. Er würde schon bald an einem besseren Ort sein.

Harbinger
26.03.2005, 09:48
Kapitel 2 - Die drei Schwerter

Das Schiff legte ab. Fear stand am Bug und blickte zum Sternenhimmel auf. Seine Augen fielen auf das Sternbild der Drow. In den Mythen der Dunkelelfen hieß es, dass jeder Dunkelelf und jeder Freund der Dunkelelfen nach seinem Tod einen Stern in diesem Bild erschuf. Fear fragte sich, ob die Seele seines Freundes Malfice wohl dort oben war. Er verwarf diese düsteren Gedanken und schaute auf die Lichter von Port Hasgard. Er fragte sich, ob er diese Stadt, oder gar dieses Land, je wieder sehen würde. Sollte er zurückkehren und die Kaiserin aufhalten? Er wusste es nicht. Er wusste nicht, ob er es könnte. Der Drache würde Nepenthes Körper überleben. Er selbst würde Shadegrown werden, wenn er die Kaiserin tötete. Und außerdem hatten ihn persönliche Gefühle schon einmal davon abgehalten.
Kapitän Brizzen trat zu dem Dunkelelfen. In seiner Hand hielt er einen Krug südländisches Bier. Fear drehte sich zu dem Mann um.
»Freut Euch, Dunkelelf« brummte der Kapitän »Wir haben das Land soeben verlassen. Hier seid ihr der Laune der Kaiserin nichtmehr unterworfen. Wir werden die nächsten fünf Wochen auf See sein.«
»Wohin geht die Reise, Kapitän?« fragte Fear beiläufig.
»Wir segeln so lange nach Westen, bis wir das nächste freie Land erreichen« antwortete Brizzen »Wenn ich mich recht entsinne, dürfte das Ulandia sein. Dort leben einige Orkstämme. Und Zwerge gibt’s da auch.«
»Leben dort auch Elfen?« fragte Fear, jedoch wenig interessiert.
»Wenige« antwortete der Kapitän und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Bierkrug »Eigentlich ist das ganze Land nur ein Ort für heimatlose Abenteurer.« Er klopfte dem Drow auf die Schulter. »Genau das richtige für Euch, mein Freund, oder?«
Fear sah den Kapitän mit einem seltsamen Blick an. Er wog ab, ob er ein gut gehütetes Geheimnis aufdecken sollte, um diesem Kapitän den wahren Ausmaß seines Schmerzes zu offenbaren und ihm zu zeigen, was „genau das richtige“ für ihn wäre. Er entschied sich dafür.
Langsam drehte Fear sich zu dem Kapitän um und öffnete seinen Umhang. Hervor kam das geflickte Hemd, mit den abgerissenen Ärmeln, das Fear immer im Kampf trug. Doch der Blick des Kapitäns fiel sofort auf die Gürtelschnalle, die an dem breiten, schweren Metallgürtel des Drow befestigt war. Auf weißem Untergrund war ein stilisiertes Auge dargestellt, aus dessen Augenwinkeln blutige Tränen liefen.
»Das ist ein schöner Gürtel, mein Freund« sagte der Kapitän, der sofort begriff, worauf der Dunkelelf es anlegte »Aber ich weiß nicht, was ihr mir damit sagen wollt. Ich habe dieses Symbol noch nie in meinem ganzen Leben gesehen.«
»Das wundert mich nicht, Kapitän« antwortete Fear »Ihr seid vielleicht fünfzig Jahre alt. Der Untergang dieses Symbols liegt lange zurück, noch bevor Ihr geboren wurdet. Seid nur gewiss, dass es Seelenschmerz bedeutet. Ich bin kein gewöhnlicher Gauner, der Abenteuer und Reichtum sucht.«
»Was sucht Ihr dann, Drow?« fragte Brizzen misstrauisch »Was sucht ein Drow in einem Land, das so fern von seiner Heimat ist? Was sucht ihr hier, außerhalb von Kalend?«
»Erlösung« murmelte Fear.
Der Dunkelelf drehte sich zu dem Kapitän um und schaute ihm in die Augen. Er überlegte einen Augenblick, ging dann an Brizzen vorbei zum Unterdeck. Er durchschritt die engen Korridore in den Eingeweiden des Schiffs, vorbei an den Unterkünften der Mannschaft, aus der fröhlicher, obschon relativ unschöner, Gesang drang. Fear verspürte keine Lust sich jetzt sinnlos zu betrinken, wie es anscheinend jeder andere auf diesem Schiff tat. Er hatte diese Zeit hinter sich. Er musste einen klaren Kopf behalten, er musste sich auf seine Zukunft vorbereiten, seine Zukunft in Ulandia.
Fear erreichte seine Kajüte. Sie war eng, bestückt mit einem Bett und einem kleinen Tisch. Auf dem Tisch lag Fears Beutel. Die restlichen Sachen, die er aus der Herberge mitgenommen hatte, hatte er noch während das Schiff auslief ins Meer geworfen. Er brauchte sie nicht mehr. Er öffnete sein einziges Gepäckstück. In das Tuch eingewickelt waren drei Langschwerter. Das erste Schwert war die Waffe, mit der Fear gegen Shadegrown gekämpft hatte. Es war ein gewöhnliches Schwert, das keinen besonderen Wert hatte, abgesehen von der Erinnerung an Malfice, General Lancore, Dreclan und die anderen, die gefallen waren. Das zweite Schwert war eine gewöhnliche Waffe, abgesehen davon, dass die Klinge komplett in Flammen stand. Es war eines der beiden Schwerter des gefallenen Engels Malayel, das Malfice gegen den Engel und den Shadegrown eingesetzt hatte. Das dritte Schwert war offenkundig neugeschmiedet worden. Die Klinge war über eine Naht mit dem Heft verbunden. Sie war sauber von dem alten Schwertgriff abgebrochen und in meisterlicher Arbeit auf den neuen gesetzt worden.
Fear sah sich das dritte Schwert genau an. Er besaß es seit Jahren und viele Legenden rankten sich darum. Die Klinge spiegelte jede Kleinigkeit wieder und war, obwohl Fear sich der Waffe seit einiger Zeit nicht zugewendet hatte, blank poliert. Er hatte nie herausgefunden, welcher Art die magische Kraft der Klinge war, aber sie hatte ihm gute Dienste geleistet.
Der Drow seufzte und legte das Schwert zurück zu den anderen. Jede dieser drei Klingen war mit Schmerz behaftet, der Fear seit Jahren verfolgte. Er wickelte die Waffen wieder ein und legte den Beutel auf den Tisch.
Ein leises Geräusch drang an Fears Ohr. Er machte sofort die Quelle aus.
Blitzschnell drehte der Drow sich um und griff mit einem Arm unter sein Bett. Er stieß auf etwas, das sich wie ein menschlicher Arm anfühlte. Ein ängstliches Quieken drang zu dem Dunkelelfen, als er an dem Arm zog. Er verstärkte seinen Griff und spannte seine Muskeln.
Unter Fears Bett hatte sich eine junge Zentaurin von ungefähr zehn Jahren versteckt. Sie war wesentlich kleiner als der Dunkelelf und in schäbige Kleidung gewandt. Ihr gesamter Körper war dem eines Menschen ähnlich, abgesehen davon, dass sie spitze Ohren, vier Beine und einen Schweif hatte.
»Wer bist du?« zischte Fear ihr zu.
»Bitte, tut mir nichts« flehte die Zentaurin ihn flüsternd an »Ich bin nur ein mittelloses Waisenkind. Ich habe mich nur an Bord versteckt, um aus Ebereth fliehen zu können.«
»Wer bist du?« fragte Fear erneut, diesmal jedoch etwas freundlicher.
»Mein Name ist Demira. Ich komme aus Kalbar, im südlichen Ebereth. Meine Eltern wurden von Banditen aus Gilgan getötet als ich drei war. Seit dem habe ich mich in Port Hasgard durchgeschlagen. Aber jetzt, wo die Kaiserin die absolute Macht an sich gerissen hat, will ich nur noch weg aus Ebereth. Und deswegen habe ich mich auf diesem Schiff versteckt. Bitte, verratet mich nicht.«
Fear dachte einen Augenblick nach, bevor er der Zentaurin die Hand entgegenstreckte. »Mein Name... ist Fear« stellte er sich vor.
»Fear?« fragte Demira ungläubig, während sie die Hand des Drow ergriff »Der Fear, der sich gegen die Kaiserin aufgelehnt hat?«
»Wohl eher der Fear, dessen Leichtgläubigkeit die Kaiserin erst auf den Thron gebracht hat« erwiderte Fear mit einem schwachen Lächeln »Ich hatte einfach zu viel Vertrauen in Nepenthes Worte. Sie schlug vor, dass wir nach Belphagris gehen und Viles für seine Verbrechen töten würden. Sie hatte mir versprochen, dass sie sich anschließend zurückziehen würde, in die Berge oder sonstwohin, um die Macht des Drachen zu bekämpfen. Ich hatte ihr wirklich geglaubt.«
»Aber warum wolltet Ihr den König töten, Fear?« fragte Demira neugierig »Was hätte Euch sein Tod genützt?«
»Das weiß ich nicht« gestand der Drow, während er sich auf sein Bett setzte »Es war unüberlegt... Das erste was mir einfiel, nachdem Malfice gestorben war. Ich musste ihn doch Rächen und in gewisser Hinsicht war Viles für seinen Tod verantwortlich. Für seinen, für den von vielen seiner Freunde, für den seines Vaters... Viles war sogar für den Tod seines eigenen Vaters verantwortlich. Ich wollte diese Bestie leiden sehen.«
Demira ließ das Thema fallen, indem sie auf den Beutel blickte.
»Was ist in dem Beutel, Meister Fear?« fragte sie.
»Meine Schwerter« antwortete Fear »Die drei Schwerter, die sich in mein Herz bohren und mir keine Ruhe lassen, nicht bis ich nicht endgültig von diesem Planeten verschwunden bin. Jedes von ihnen erzählt eine Geschichte über meine Seelenpein, Demira.«
»Vielleicht hilft es Euch, wenn Ihr Euren Schmerz mit mir teilt« antwortete die junge Zentaurin ernst »Erzählt mir davon, dann werdet Ihr Euch vielleicht besser fühlen.«
»Möglicherweise hast du recht« antwortete der Drow seufzend »Und selbst wenn es nicht funktionieren sollte, so haben wir doch wenigstens eine Beschäftigung, für diese Reise, Demira.«
Er öffnete den Beutel und überlegte kurz. Nach einem Augenblick fuhr seine Hand zu dem neugeschmiedeten Schwert mit der magischen Klinge. Er hob es hoch und zeigte es Demira.
»Vielleicht sollte ich dir die Geschichte erzählen, die mit diesem Schwert zusammenhängt« sagte er zu ihr »Denn in dieser Geschichte liegt der Anfang des ganzen Schmerzes. Und der Anfang der Furcht.«

Harbinger
26.03.2005, 12:36
Kapitel 3 - Das Haus Sir‘Braeon

Es war vor 55 Jahren im 5463. Jahr nach dem Tod der Erde und es war die längste Nacht des Jahres, als ein Kind im Haus der Dunkelelfenfamilie Sir’Braeon geboren wurde. Es war das erste Kind der Familie, da das Oberhaupt, Deleros Sir’Braeon, erst vor kurzem seinen hundertsten Geburtstag gefeiert hatte und erst seit einem Dutzend Jahre auf dem Thron des Hauses Sir’Braeon saß. Das Kind war ein Junge und würde deswegen der Erbe des Hauses Sir’Braeon sein. Sein Vater Deleros nahm das Kind direkt nach seiner Geburt auf den Arm und nannte ihn zum allerersten mal bei seinem Namen.
Vaynel Sir’Braeon.
Deleros brauchte dringend einen Erben für sein Haus, da die Gesellschaft der Dunkelelfen eine sehr unbeständige war. Es herrschte zwar schon seit Jahrhunderten kein Clankrieg mehr zwischen den Häusern der Drow, doch durch die Jahre der Feindschaft untereinander war es den Brüdern der Dunkelelfen, der hellen Elfen aus Minbor, gelungen, die gesamte Dunkelelfengesellschaft zu unterjochen. Die Drow waren nichts weiter als Sklaven für die Elfen. Die Lichtelfen, wie sie von den Drow genannt werden, besaßen die absolute Herrschaft über ihre südlichen Brüder. Es war aber auch das Jahr, in dem die Schattenregierung entstand.
Die Schattenregierung ist nicht wirklich eine Regierung. Sie ist mehr ein Zusammenschluss der größten drowischen Gesetzlosen und Schurken, die in ganz Kalend leben. Die Mitglieder der Schattenregierung üben ihre Macht aus, um die Lichtelfen unbemerkt zu überfallen und zu töten, wo sie nur können. Das ganze macht die Situation für die gewöhnlichen Drow noch schlimmer. Die Lichtelfen neigen zu Gewaltausbrüchen, wenn sie mit Drow zu tun haben. Die Schattenregierung ist daran Schuld, da ihretwegen kein Lichtelf einem Drow über den Weg trauen kann.
Die Schattenregierung trat auch an Deleros Sir’Braeon heran, doch Deleros war jung und von Idealen und von Ehre beseelt und er lehnte die Angebote der Schurken ab wann immer sie sie ihm machten. Er erzog seinen Sohn Vaynel und nährte ihn mit dem Hass, den er selbst der Schattenregierung entgegenbrachte.
Vaynel wuchs schnell. Als er fünfzehn war, überragte er seinen Vater bereits. Und Deleros war ein äußerst hochgewachsener, stattlicher Mann. Er lernte von Kindesbeinen an, mit einem Schwert umzugehen, wie es bei den Drow üblich war. Sein Vater war ein guter Lehrmeister und so hatte Vaynel bereits im Alter von achtzehn Jahren den Ruf, einer der beiden besten Schwertkämpfer in ganz Südkalend zu sein. Es gab einen einzigen Drow, der ihm ebenbürtig war. Sein Name war Layces Clif’Freth. Er war der Erstgeborene des Nachbarclans und er war in der selben Nacht wie Vaynel geboren worden. Die beiden verband eine enge Freundschaft. Sie verbrachten viel Zeit miteinander und die Zeichen standen gut dafür, dass die Rasse der Dunkelelfen wieder zu neuem Glanz erwachsen würde, wenn diese beiden jungen Drow erst über die Häuser Sir’Braeon und Clif’Freth herschen würden.
Als Vaynel dreiundzwanzig Jahre alt war, heiratete er eine junge Dunkelelfin aus dem Clan Valinyar. Sie hieß Jaliah und war zu diesem Zeitpunkt zwanzig. Wie zu erwarten stand Layces Clif’Freth hinter seinem Freund Vaynel, als dieser den Bund der Ehe einging.
Die Jahre zogen ins Land und Vaynel und sein Freund Layces wurden langsam aber sicher auf den Tag vorbereitet, an dem sie die Herrschaft über ihre Clans übernehmen würden. Doch während Layces sich voll und ganz den Lehren seiner Mentoren hingab, besann Vaynel sich mehr und mehr auf den häuslichen Aspekt seines Lebens. Doch so sehr er und seine Frau Jaliah es versuchten, ihnen war kein Kindersegen beschert.
Als Vaynel vierzig wurde, begann sein Vater Deleros sich mehr und mehr von den Geschäften des Clans zurückzuziehen. Er begründete sein Handeln damit, dass Vaynel lernen müsse, alleine mit den Problemen klarzukommen, die die Organisation des Hauses mit sich brachte. Und so gab Deleros das schwere silberne Medaillon, das die Herrschaft über den Clan Sir’Braeon symbolisierte, an seinen Sohn weiter. Diese Erklärungen seines Vaters erfüllten Vaynel mit Stolz und er freute sich darüber, dass sein Vater so viel Vertrauen in ihn hatte, dass er ihm bereits jetzt die alleinige Herrschaft über den Clan Sir’Braeon überließ. Anfangs beging Vaynel viele Fehler, doch mit der Zeit lernte er, dass das Führen eines Clans sich nicht viel davon unterschied, das Oberhaupt einer gewöhnlichen Familie zu sein, abgesehen davon, dass im Falle eines Clans abends viel mehr hungrige Männer und Frauen um den Tisch saßen. Vaynel wurde geschickter in diplomatischen und organisatorischen Angelegenheiten, doch er erreichte nie die Genialität, die Layces in dieser Hinsicht besaß.
Layces war durch und durch brillant. Er hatte viel Zeit damit verbracht, von seinen Mentoren die Kunst der Rhetorik und der Diplomatie zu erlernen. Seine Fähigkeiten, was das Schwert betraf hatten zwar mangels Übung ein wenig gelitten, doch er versprach einer der größten Clanführer in der Geschichte der Drow zu werden.
Acht Jahre lang lernte Vaynel was es bedeutete, einen Drowclan anzuführen. Im Jahre 5511 wurde Jaliah schließlich schwanger. Vaynel platzte beinahe vor Stolz darauf, dass er endlich Vater werden würde. Die Gratulationen von Layces und seinem Clan waren, gelinde gesagt, übertrieben. Aber da Layces noch immer keine Frau gefunden hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich für seinen Freund Vaynel zu freuen.
Doch es war auch in diesem Jahr, in dem die Leben der beiden jungen Drow sich für immer ändern sollten.

Harbinger
26.03.2005, 19:25
Kapitel 4 - Noble Taten

Eines Morgens kam Deleros über den Hof des Hauses Sir’Braeon zu seinem Sohn geschlendert. Vaynel stand am Tor der Stallungen und sah den Bediensteten dabei zu, wie sie die Pferde des Clans Sir’Braeon versorgten. Er drehte sich um, als sein Vater hinter ihm stand.
»Guten Morgen, mein Sohn« begrüßte Deleros ihn.
»Guten Morgen, Vater« antwortete Vaynel lächelnd »Was treibt dich schon so früh zu mir?«
»Ich habe schon den ganzen Morgen über etwas nachgedacht, mein Sohn« sagte Deleros leicht betrübt »Etwas, das Larhion Clif’Freth mir vor einiger Zeit vorschlug. Er meinte, dass du und Layces zwar mittlerweile theoretisch die Herren der Clans seid, aber das wir noch immer unsere Autorität einsetzen können, um etwas für alle Drow in Kalend in Gang zu setzen.«
»Wovon sprichst du, Vater?« fragte Vaynel neugierig.
»Larhion und ich werden heute nach Minbor aufbrechen. Dort werden wir vor das Konzil der Lichtelfen treten und die Gleichberechtigung fordern, die den Sir’Braeon- und den Clif’Freth-Drows gebührt. Wir werden fordern, dass wir nicht länger einen minderwertigen Status in der Elfengesellschaft einnehmen.«
»Bist du sicher, dass das Elfenkonzil euch zuhören wird, Vater? Welchen Grund sollten sie haben, uns mit ihnen gleichzusetzen? Diese arroganten Lichtelfen beuten uns ohne Schuldgefühle aus. Warum sollten sie darauf verzichten wollen?«
»Das Elfenkonzil mag vieles sein, doch eines ist es nicht: ehrlos. Die beiden Clans haben Jahrhunderte lang aufrecht für die Lichtelfen gearbeitet. Jetzt ist es an der Zeit, dass sie uns den Platz in der Gesellschaft gewähren, der uns zusteht.«
»Wenn du dir deiner Sache so sicher bist, dann vertraue ich dir, Vater« sagte Vaynel inbrünstig »Wenn uns dieser Platz in der Gesellschaft von altersher zusteht, dann wird das Konzil der Lichtelfen ihn uns nicht vorenthalten.«
»So ist es, mein Sohn.«
Deleros ging an Vaynel vorbei in den Stall, direkt auf sein persönliches Pferd zu. Ein Stallbursche führte das Tier zu seinem Herren. Mühelos kletterte Vaynels Vater in den Sattel und ließ das Pferd aus dem Stall stolzieren.
»In einer Woche bin ich zurück« sagte Deleros zu seinem Sohn »Und ich werde als Befreier der Dunkelelfen zurückkehren. Auf bald, mein Sohn.«
»Auf bald, Vater« antwortete Vaynel.
Deleros schüttelte die Zügel, woraufhin sein Pferd sich in Bewegung setzte. Vaynel blieb neben dem Tor zum Stall stehen und blickte seinem Vater nach, wie er das Haus Sir’Braeon verließ und über die Ebene Südkalends davon galoppierte.
»Wohin geht dein Vater?« hörte er eine weibliche Stimme hinter sich.
»Er geht nach Minbor« antwortete Vaynel, der noch immer auf das Tor starrte, durch das sein Vater geritten war »Er behauptet, er wolle die Dunkelelfen vom Joch der Unterdrückung durch die Lichtelfen befreien.«
Vaynel drehte sich um und sah seine Frau Jaliah an.
»Ich bin fast sicher, dass er mir etwas verschwiegen hat« fuhr er fort.
»Wie kommst du darauf, Geliebter?« fragte Jaliah in mit großen Augen.
»Es ist so ein Gefühl« antwortete Vaynel nachdenklich »Warum will er so plötzlich zum Konzil der Elfen? Warum hat er mir nichts davon erzählt? All seine Worte, die er eben an mich gerichtet hat, sie klangen so... so unnatürlich. Dieser auftritt eben, die melodramatische Pose, in der er den Hof verließ... Das ist Stoff aus dem die schlechten Dramen der nördlichen Reiche gemacht sind. Das ist nichts, was im Hause Sir’Braeon passiert.«
»Das mag sein, Vaynel« gab Jaliah zu »Aber kann es nicht auch einfach sein, dass dein Vater davon überzeugt ist, dass er etwas großes tut? Kann es nicht sein, dass es ihm einen Heidenspaß macht, sich ein mal in seinem Leben als großer Mann aufzuspielen, der die Welt rettet?«
»Möglich« antwortete Vaynel, doch er klang nicht sehr überzeugt »Es passt einfach nicht zusammen, Jaliah.«
»Du erinnerst dich doch daran, wie wunderlich und wie schweigsam er in den letzten Monaten war. Vielleicht hat er ja schon seit langer Zeit über dieser Idee gebrütet. Du hast mir erzählt, dass er von ehrbaren Idealen durchströmt wurde, als du noch ein Kind warst. Vielleicht versucht er mit seiner Tat zurück zu dem Heldentum seiner Jugend zu finden.«
»Das war er wahrlich. Er war der einzige Drow den ich kannte, der so sehr von Ehre und Pflicht erfüllt war. Du hast wahrscheinlich recht, Jaliah. Er will sich vielleicht wieder jung fühlen, jetzt wo ich ihm die Last des Clans abgenommen habe.«
»Siehst du, Vaynel« Jaliah lächelte liebevoll »Es ist nur jugendlicher Übermut. Und wenn wir Glück haben, erreicht dein Vater damit sogar etwas.«
Vaynel lächelte ebenfalls. Innerlich war er allerdings alles andere als ruhig. Er war nicht sicher, ob Jaliah recht hatte.
Acht Tage später sollten seine Zweifel bestätigt werden.
Deleros Sir’Braeon und Larhion Clif’Freth galoppierten über die staubige Ebene auf das Heim des Clans Sir’Braeon zu. Hinter ihnen saß auf einem weiteren Pferd Larhions Sohn Layces. Die drei Männer ritten durch das Haupttor auf die Stallungen zu. Vaynel erwartete sie dort.
»Schnell, mein Sohn« rief Deleros ihm zu, als er von seinem Pferd sprang »Ruf‘ die Generäle zusammen.«
»Was ist los?« fragte Vaynel »Warum halten wir einen Rat ab?«
»Wir sind im Krieg, Vaynel« antwortete Layces »Die Lichtelfen haben uns den Krieg erklärt.«

Harbinger
27.03.2005, 10:51
Kapitel 5 - Der legendäre Drow

»Was genau ist in Minbor passiert?« fragte Vaynel seinen Vater.
Vaynel Sir’Braeon, sein Vater, Layces Clif’Freth und Larhion Clif’Freth standen rund um einen großen Tisch, auf dem eine Karte von Südkalend ausgebreitet war. An einer der Wände standen die drei Generäle des Hauses Sir’Braeon, Renen, Barkas und Palac. Sie hatten sich alle in dem kleinen Raum versammelt, in dem alle militärischen Aktionen des Hauses Sir’Braeon geplant wurden.
»Wir traten vor das Konzil der Lichtelfen« berichtete Larhion »Wir erklärten ihnen die Situation, in der die Dunkelelfen der Clans Sir’Braeon und Clif’Freth leben. Wir berichteten ihnen davon, wie hart wir für das Wohl der Lichtelfen arbeiten und, dass wir nie etwas gegen die Herrschaft der Elfen unternommen haben. Wir erbaten einen höheren Status in der Gesellschaft von Kalend.«
»Und daraufhin erklärten sie, dass sie unsere Anmaßungen auf’s härteste bestrafen würden« fuhr Deleros fort »Sie erklärten uns, dass von diesem Tag an in vier Wochen sich einhunderttausend Lichtelfensoldaten auf der Ebene von Südkalend versammeln und den Angriff auf die Häuser Sir’Braeon und Clif’Freth eröffnen würden. Das war vor drei Tagen. Wir haben noch fünfundzwanzig Tage zeit, bis die Truppen angreifen.«
»Was sollen wir tun?« fragte Vaynel »Wir können es nicht mit einhunderttausend Soldaten aufnehmen. General Barkas, wie viele Soldaten hat das Haus Sir’Braeon?«
»Wir haben eintausend Männer« antwortete der General »Alle gut ausgerüstet und zu Elitekämpfern trainiert.«
»Unser Haus kann weitere eintausendfünfhundert Männer aufbringen« sagte Layces »Sie sind nicht ganz so gut bewaffnet, aber dafür besser trainiert. Damit kämmen wir auf zweeinhalbtausend Krieger.«
»Wir bräuchten mindestens das zwanzigfache, um auch nur den Anflug einer Chance zu haben« gab General Renen zu bedenken »Und niemand wäre so verrückt mit einem sicheren Sieg zu rechnen, wenn er nicht die Größe der gegnerischen Armee um die Hälfte übertreffen würde.«
»Wie viele Söldner können wir mit dem Geld aus der Schatzkammer des Hauses Sir’Braeon anwerben?« fragte Vaynel seinen Vater.
»Mit den momentanen Finanzen können wir vielleicht fünftausend Söldner bezahlen« antwortete Deleros.
»Das Haus Clif’Freth kann wahrscheinlich noch einmal so viele anwerben« fügte Larhion hinzu »Dann kämen wir auf eine absolute Menge von zwölftausendfünfhundert Krieger. Wir können die Truppen ins Haus Sir’Braeon bringen und mit ihnen Befestigungen errichten. Wenn wir genug Vorräte heranschaffen, können wir das Fort wahrscheinlich eine ganze Weile halten. Aber was können wir damit bezwecken?«
»Magnus Kal’Trisken« murmelte Deleros.
»Was?« fragte Vaynel verwirrt.
»Die Legende von Magnus Kal’Trisken« wiederholte Deleros »Erinnerst du dich an die Geschichte, die ich dir als Kind oft erzählte?«
»Wie könnte ich sie vergessen, Vater« antwortete Vaynel »Wahrscheinlich könnte ich sie auswendig zitieren.«
»Tu‘ es« forderte Deleros seinen Sohn auf »Erzähle Layces und seinem Vater die Geschichte des größten Dunkelelfen, der je lebte.«
»Wenn du unbedingt willst, Vater« Vaynel überlegte einen Augenblick, bevor er begann »‘Es war im Jahre 4792, als die grausamen Lichtelfen die Länder der Drow mit ihren Armeen überrannten. Die Armee der Dunklen war bereits unter den Klingen ihrer hellhäutigen Brüder gefallen und nichts konnte die Elfen aus Minbor auf ihrem Vormarsch durch Kalend aufhalten. Die Bauern flohen vor den Soldaten, die ihre Heime plünderten und die Felder in Brand steckten. Das Schicksal der Drow-Rasse schien besiegelt, bis ein einzelner Dunkelelf begann, Getreue um sich zu scharen. Sein Name war Magnus Kal’Trisken, ein einfacher Mann aus dem Volk, der vor langer Zeit einem Magier zur Hilfe geeilt war und ihm das Leben rettete. Der Magier bedankte sich bei seinem Retter mit einem magischen Schwert, einem Langschwert, dessen magiedurchströmte Klinge auf einem mit Saphiren verzierten Knauf saß. Mit dem Saphirlangschwert in der Hand und einer Truppe aus bewaffneten Dunkelelfen im Rücken, trat Magnus Kal’Trisken den grausamen Lichtelfen entgegen. Sie trafen auf der Ebene von Palayne, mitten in Südkalend aufeinander. Obwohl zehnfach überlegen mussten die bösartigen Lichtelfen eine schwere Schlacht schlagen, gegen die heldenhaften Drow, die mit ihrem ganzen Herzen kämpften. Doch obwohl der Mut der Drow eine Bedrohung für die bloße Menge der Elfen darstellte, fielen die Krieger nach und nach, bis nur noch Magnus Kal’Trisken übrig war, in mitten seiner Feinde. Als er sah, dass all seine Freunde von den grausamen Lichtelfen niedergemetzelt worden waren, überkam ihn eine ungeheure Ruhe. Der Ring der Feinde um ihn zog sich zurück, so dass er als einziger Drow innerhalb der Armee, die noch immer mehrere Tausend Lichtelfen umfasste, auf freiem Feld stand. Langsam hob Magnus Kal’Trisken die magische Klinge und er starrte ruhig in die Gesichter seiner Feinde. Mit einem gewaltigen Kriegsschrei stürmte er auf die Armee der Lichtelfen zu. Die Magie seines Schwertes verband sich mit seiner Entschlossenheit, den Tode seiner Getreuen zu rächen. Er kämpfte wie ein Löwe und viele Stunden dauerte seine Schlacht. Zu hunderten fielen die grausamen Lichtelfen in den Staub und ihr Blut tränkte den Boden. Kein Schwert fand seinen Weg in Magnus Kal’Triskens Körper, kein Speer verletzte seine ebenholzfarbene Haut. Als die Sonne am Horizont unterging, lebte kein einziger Lichtelf mehr auf der Ebene von Palayne. Magnus Kal’Trisken war siegreich. Unmittelbar nach der Schlacht wanderte der heldenhafte Drow über die Ebenen Kalends nach Minbor. Mit dem Saphirlangschwert in der Hand bahnte er sich seinen Weg in den Palast des Elfenkonzils. Er betrat den Sitzungssaal und schloss die Tür hinter sich. Niemand erfuhr jemals, was der legendäre Drow mit den Herren der Lichtelfen besprach, doch als er Minbor wieder verließ, entschieden die Mitglieder des Elfenkonzils, dass so lange das Volk der Drow unter dem Schutz von Magnus Kal’Trisken stand nie wieder das Volk der Lichtelfen nach der Oberherrschaft über die Elfenrasse streben soll.‘«
»Sehr richtig, mein Sohn« antwortete Deleros »Sehr richtig. Das ist eine interessante Geschichte, nicht wahr, Larhion?«
»Durchaus, Deleron« antwortete Larhion »Aber was nützt sie uns?«
»Ganz einfach, sie ist der Schlüssel zu unserem Sieg über die Armee der grausamen Lichtelfen.«
»Du willst das Schwert holen?«
»Ganz recht, mein Freund. Ich will, dass das Schwert von Magnus Kal’Trisken ein weiteres mal gegen die Unterdrückung der Lichtelfen geführt wird.«
»Was geschah mit Magnus Kal’Trisken?« fragte Layces.
»Er starb vor vierhundert Jahren« antwortete Deleros »Die Lichtelfen hatten sich zwar geschworen, die Drow zu Magnus‘ Lebzeiten in Frieden zu lassen, doch eines Tages entschieden sie, dass der Held der Dunkelelfen bereits lange genug lebte. Sie bezahlten einen Verräter, damit er Magnus Kal’Trisken vergiftete. Der Mann tat es, doch kurz darauf plagte ihn sein Gewissen. Er gestand dem Helden, was er getan hatte, doch es war zu spät. Das Gift befand sich bereits in Magnus Kal’Triskens Körper. Der Sage nach schwang er sich in dem Augenblick, in dem der Renegat ihm seinen Verrat gestand, in den Sattel und galoppierte nach Minbor, wo er erneut vor das Elfenkonzil trat. Erneut schloss er die Tür des Beratungsraums. Doch er öffnete sie nicht mehr. Nach ein paar Tagen drangen einige Wächter in den Raum ein. Sie fanden Magnus Kal’Trisken, dessen Saphirlangschwert in seinem Herz steckte. Doch bevor er sich in sein Schwert gestürzt hatte, hatte der heldenhafte Drow das komplette Konzil der Lichtelfen niedergemetzelt. Der Held wurde von seinen Getreuen aus der Stadt der Lichtelfen gestohlen und an einem unbekannten Ort begraben. Doch die grausamen Lichtelfen nahmen Magnus Kal’Triskens Ableben zum Anlass, ein neues Elfenkonzil zu wählen und das Volk der Drow zu unterjochen.« Deleros seufzte. »Und an diesem Punkt sind wir jetzt angelangt. Wir brauchen einen neuen Magnus Kal’Trisken, jemanden, der die Drow aus ihrer Unterdrückung befreit.«
»Aber wen sollen wir schicken, um das Schwert zu suchen?« fragte Vaynel seinen Vater.
»Nun« antwortete Deleros »Meiner Ansicht nach, sollten du und Layces diese Suche gemeinsam bestreiten, mein Sohn. Ihr müsst dieses Schwert in den nächsten fünfundzwanzig Tagen finden. Wir zählen auf euch.«

Harbinger
27.03.2005, 11:40
Kapitel 6 - Der Aufbruch

»Ich kann das nicht, Vater« sagte Vaynel erneut, während er unruhig im Raum auf und ab schritt »Ich kann jetzt nicht losziehen...«
»Mein Sohn« antwortete Deleros »Wenn du nicht gehst, wer dann? Du bist einer der besten Krieger in Südkalend. Außer dir und Layces kann niemand dieses Schwert finden.«
»Aber Vater, versteh‘ doch. Es wird nicht mehr lange dauern, bis mein Kind zur Welt kommt. Ich muss hier bleiben, um Jaliah zu beschützen, wenn es zum Kampf kommt.«
Kurz blitzte ein schmerzhafter Blick in Deleros Augen auf, doch der Ausdruck verschwand so schnell wie er gekommen war. »Es ist auch mein Enkel, Vaynel« gab Deleros zu Bedenken »Ich werde mit dem Schwert in der Hand neben deiner Frau stehen, wenn der Zeitpunkt gekommen ist.«
Vaynel blieb stehen und warf einen Blick auf seinen Vater. Deleros saß gebeugt auf einem Stuhl. In diesem Augenblick wirkte er sehr alt und von Sorgen zu Boden gedrückt.
»Was ist los, Vater?« wechselte Vaynel das Thema »Du wirkst so hoffnungslos. Wann hast du deinen Kampfgeist verloren?«
»Mein Kampfgeist?« Deleros lachte bitter. »Mein Kampfgeist ist ungebrochen, mein Sohn. Wir brauchen dich, Vaynel. Wir brauchen dieses Schwert, denn wenn die Armee der Lichtelfen vor unseren Toren steht sind wir ohne die magische Klinge verloren. Daran kann all mein Kampfgeist nichts ändern.«
Vaynel stapfte weiter auf und ab. Er verschränkte die Hände auf dem Rücken.
»Wo sollen wir anfangen zu suchen?« gab er sich geschlagen »Wenn wir aufbrechen um das Schwert zu suchen, brauchen wir einen Anhaltspunkt. Sonst können wir noch Jahrhunderte nach dem Fall der Häuser Sir’Braeon und Clif’Freth durch Kalend irren.«
Deleros erhob sich von seinem Stuhl, ging zu einem der Regale, die an den Wänden der Kammer standen und nahm ein dickes Buch heraus. Mit dem Wälzer in der Hand ging er zurück zum Tisch und setzte sich. Er legte das Buch hin und blätterte kurz darin.
»Hier« sagte er schließlich »Schau dir das an, Vaynel.«
Vaynel trat zu seinem Vater und warf einen Blick auf das Buch.
»Es ist auf das Jahr 5003 datiert« antwortete er »Wer hat das geschrieben?«
»Maral Sir’Braeon. Er war der Bruder meines Großvaters. Es ist ein Bericht von einer seiner Reisen durch Kalend. Hier steht es: ‘Auf dem Weg von Ularia westwärts rastete ich am Rande eines kleinen Wäldchens im Schatten eines imposanten Berges, der sich aus den Ebenen von Kalend erhob. In der Nacht wurde ich durch den klagenden Schrei eines Hügelschlitzers geweckt. Das Tier befand sich nahe meines Lagers, denn in der Nacht war mein Wachfeuer herunter gebrannt. Schnell wurde mir klar, dass ich mein Lager unmöglich verteidigen konnte. Also ergriff ich mein treues Breitschwert und drückte mich mit dem Rücken so nahe als möglich an die Wand des Berges. Als das furchterregende Tier durch das Unterholz brach, empfing ich es mit gehobener Klinge. Die Hügelschlitzer, diese riesigen Raubtiere der südlichen Ebenen, mögen imposante Erscheinungen sein, mit ihren langen, gebogenen Krallen, die sie statt Armen besitzen. Doch mit Mut sind sie nicht gesegnet. Ein einziger Streich meines Schwertes vertrieb das Ungetüm. Als ich, um meine Nerven zu beruhigen, mich an den glatten Fels des Berges lehnte, bemerkte ich, dass sich in meinem Rücken eine unnatürliche Steinplatte befand. Ich drehte mich um und sah einen riesigen Steinblock, auf dem das Drow’sche Symbol Lamiria eingraviert war, das Zeichen des Geschlechtes Kal’Trisken. Doch der Block schien unbeweglich und ich hatte andere sorgen, als mich auf ein Abenteuer dieser Art einzulassen, also brach ich am nächsten Morgen mein Lager ab und verließ den Ort. Ich habe ihn jedoch auf einer Karte eingetragen, falls mich jemals die Lust packen sollte, ein Geheimnis der Familie des größten Dunkelelfen aller Zeiten zu ergründen.‘«
»Kehrte er je dorthin zurück?« fragte Vaynel leise.
»Nein« antwortete Deleros seufzend »Er starb im Jahre 5006 unerwartet. Und ich weiß nicht, wo sich die Karte befindet, von der er schrieb. Vielleicht ist dieser Ort auch nicht das Grab von Magnus Kal’Trisken, doch auf jeden Fall hat er etwas mit ihm zu tun. Du und Layces sollten diesen Berg suchen.«
»Was ist Lamiria?«
»Ich weiß es nicht, mein Sohn. Ich kenne niemanden, der dieses Symbol noch kennt. Aber vielleicht kommt ihr mit der Beschreibung des Berges auch weit genug.«
Vaynel seufzte. »Gut. Wir brechen noch heute auf. Ich will mich nur noch von Jaliah verabschieden, dann gehe ich zum Stall und wir reiten los.«
»Lass dir ruhig Zeit, wenn du dich von Jaliah verabschiedest« sagte Deleros leise »Es ist schwer, bei der Geburt des eigenen Kindes nicht dabei zu sein.«
»Das werde ich, Vater.« Vaynel ergriff die Hand seines Vaters. »Ich werde schon bald zurück sein.«
Vaynel drehte sich um und verließ den Raum. Jaliah stand vor der Tür und wartete auf ihn.
»Du gehst also fort?« fragte sie leise.
»Ich muss« antwortete er ebenso leise »Wir brauchen dieses Schwert, um die Lichtelfen zu schlagen. Ich will nicht gehen, aber...«
Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. »Sag‘ nichts, Vaynel. Du tust das Richtige.«
»Ich tue es für dich.« Er legte eine Hand auf ihren gewölbten Bauch. »Und ich tue es für unser Kind.«
Vaynel schloss Jaliah in die Arme und küsste sie zärtlich.
»Ich werde schon bald zurück sein« flüsterte er »Wir werden gewinnen. Und wir werden überleben.«
»Hoffentlich, mein Geliebter.«
Vaynel küsste sie ein weiteres mal, bevor er sie los ließ und ohne sich ein weiteres mal umzudrehen den Flur entlang auf den Hof des Hauses Sir’Braeon. Layces lehnte an der Hauswand neben der Tür.
»Bereit?« fragte er Vaynel.
»Bereit« antwortete Vaynel.
Gemeinsam schritten sie über den Hof auf die Stallungen zu. Sie gingen durch das Tor. Kurz hinter dem Eingang blieb Vaynel stehen, ergriff einen Waffengürtel, in dessen Scheide ein schlankes Langschwert steckte und schnallte den Gürtel um. Gerüstet ging er zu seinem großen, schwarzen Pferd und schwang sich in den Sattel. Layces tat es ihm gleich.
»Wohin gehen wir, Vaynel?« fragte Layces.
»Ularia« antwortete Vaynel gedankenverloren »Und dann westwärts.«
Layces warf einen merkwürdigen Seitenblick auf seinen Freund, sagte jedoch nichts.
»Wir suchen einen Berg, in dem vielleicht Magnus Kal’Triskens Grab liegt. Wir gehen rein, holen das Schwert und kehren so schnell wie möglich zurück. Los, lass‘ uns reiten.«
Die beiden Drow drückten ihre Fersen in die Flanken ihrer Pferde und ließen die Tiere aus dem Stall traben. Als sie auf dem Hof waren, legten sie eine schnellere Gangart ein.
Jaliah und Deleros standen am Tor des Hauses Sir’Braeon. Sie blickten Vaynel und Layces nach, wie sie über die Ebene von Südkalend davon galoppierten. Jaliah seufzte. Sie fragte sich, ob sie ihren Ehemann je wieder sehen würde.

Harbinger
28.03.2005, 10:10
Kapitel 7 - Das Heldengrab

»Es sieht aus wie ein Berg« bemerkte Layces »Und wir befinden und westlich von Ularia. Was tun wir, Vaynel?«
»Wir reiten zur Ostseite und sehen nach, ob sich dort ein Wald befindet« antwortete Vaynel.
»Warum die Ostseite?« fragte Layces seinen Freund »In dieser Hinsicht stand doch nichts in dem Buch, oder?«
»Maral schrieb, dass er sein Lager im Schatten des Berges aufschlug« antwortete Vaynel »Es war schon kurz vor dem Abend, also war die Sonne im Westen und der Berg warf einen Schatten nach Osten.«
»Klingt logisch, mein Freund.«
Sie trieben ihre Pferde wieder zum Galopp an und umrundeten den Berg, dessen Seiten nahezu senkrecht aus dem Boden ringsum ragten. Der Sonnenuntergang tauchte den Gipfel in blutrote Farbe, als sie den Pfad entlang ritten. Sie erreichten den östlichen Hang des Berges und blickten über einen dichten Wald, der direkt im Schatten lag.
»Sieht richtig aus« bemerkte Vaynel »Reiten wir die Seite entlang. Dann finden wir diese Steinplatte vielleicht.«
Sie ritten durch den Grasstreifen, der sich zwischen dem Berghang und dem Wald entlangzog. Durch die zunehmende Dunkelheit tasteten sie sich am Berghang entlang, bis Vaynel eine glatte Steinplatte bemerkte.
»Halt an« weiß er Layces an »Ich hab‘ die Platte gefunden. Wir schlagen hier unser Lager auf und gehen Morgen hinein, wenn wir eine Möglichkeit finden, die Höhle zu öffnen.«
Layces nickte. »Ich halte Wache. Dafür machst du Morgen die Arbeit, wenn es um die Höhle geht.«
»Von mir aus« brummte Vaynel »Dann zünde ich jetzt ein Feuer an und leg‘ mich dann schlafen.«
Vaynel träumte schlecht. Jaliah’s Gesicht erschien vor seinem inneren Auge. Und er sah die Klinge eines Lichtelfen, die wieder und wieder ihre Kehle durchschnitt. Im Schlaf schwor er sich, dass er das verhindern würde, dass er die Armee der Lichtelfen mit dem Schwert des legendären Drow zerschmettern würde. Doch die Träume ließen sich nicht vertreiben.
Eine Hand rüttelte an Vaynels Schulter. Er war sofort hellwach und sprang mit dem Langschwert in der Hand auf.
»Hügelschlitzer« flüsterte Layces »Vier. Sie scheinen in dieser Gegend oft vorzukommen.«
Vaynel ging in Kampfposition. Sie warteten atemlos mit dem Rücken zum Feuer gewandt und hielten die Schwerter in den Händen. Ein Rascheln in den Büschen zeugte von einem Angriff der Hügelschlitzer. Ein paar Sekunden später sprang eines der riesigen Tiere auf die beiden Drow zu.
Der Hügelschlitzer war einen Fuß größer als Vaynel. Er stand auf zwei muskulösen Beinen und hatte sichelförmige Klauen anstelle von Armen. Sein Gesicht erinnerte entfernt an das eines Bären, mit einer langen Schnauze und scharfen Zähnen. Der ganze Körper der Gestalt war mit einem zottigen, braunen Fell überzogen.
Vaynel warf sich mit dem Schwert in der Hand nach vorne und rammte die Klinge durch die Verteidigung der Bestie tief in ihren Brustkorb. Das Tier war tot, noch bevor es auf dem Boden zusammengebrochen war. Vaynel riss an seinem Schwert, da er drei weitere Hügelschlitzer sah, die durch das Unterholz brachen. Layces fing die Tiere ab, während Vaynel sein Schwert befreite. Mit einem einzigen Schritt eilte er an die Seite seines Freundes, parierte einen Hieb einer Sichelklaue und schlug zurück. Das Schwert durchtrennte den Arm des Hügelschlitzers und schnitt die Klaue ab. Vaynel rammte seine Schulter gegen den Torso seines Gegners, so dass die Bestie zurücktaumelte. Schnell griff der Drow nach der abgeschnittenen Klaue, die auf der Erde lag. Der Arm des Hügelschlitzers war unhandlicher als ein Schwert, aber dennoch messerscharf. Mit beiden Waffen stürmte Vaynel vor und traf die Brust des Tiers. Es schrie schmerzerfüllt auf und der Drow setzte nach. Die Sichelklaue drang tief in den Körper des Schlitzers ein und durchbohrte seine inneren Organe. Sterbend brach das Tier zusammen.
Schnell wirbelte Vaynel herum. Er sah Layces, der über der Leiche eines weiteren Tieres stand. Einer der Hügelschlitzer war noch übrig, doch als er die gefallenen Körper seiner Freunde zu Füßen der Drow sah, ergriff er mit einem markerschütternden Schrei die Flucht.
»Alles in Ordnung?« fragte Vaynel seinen Freund.
»Kein Problem« antwortete Layces schulterzuckend »Es war ja auch nicht gerade ein fairer Kampf. Die armen Biester hatten keine Chance.«
»Wenn es dich nicht stört, lege ich mich wieder schlafen« bemerkte Vaynel, während er sein blutiges Schwert am Gras am Boden abwischte.
Der Drow legte sich zurück unter seine Decken und schlief traumlos bis zum Morgen durch. In dieser Hinsicht musste er den Hügelschlitzern danken. Sie hatten seine Albträume vertrieben.
»Guten Morgen, Vaynel« sagte Layces, als Vaynel aus seinem Nachtlager kroch »Es wird Zeit, in die Höhle zu gehen.«
»Schon gut« brummte Vaynel »Ich sollte es hinter mich bringen. Wir haben schließlich nur noch achtzehn Tage Zeit.«
Der Drow ging auf den glatten Stein zu und sah ihn an. Am vorigen Abend war ihm das entgangen, was er als Lamiria kennengelernt hatte. Das Symbol war ein stilisiertes Auge, aus dessen Rändern blutige Tränen liefen. Vaynel streckte die Hand aus und fuhr damit über das Symbol. Der Stein fühlte sich an dieser Stelle rauh an. Vorsichtig drückte Vaynel auf die Pupille des Steinauges. Sie schob sich in die Steinplatte und diese glitt zur Seite. Dahinter erstreckte sich ein dunkler Gang, aus dem Vaynel abgestandene Luft entgegen schlug.
»Layces?« sagte er, ohne den Blick von dem Gang zu nehmen »Gib‘ mir eine Fackel.«
Layces kramte eine Fackel aus dem Gepäck und entzündete sie an dem Wachfeuer der Nacht. Er reichte sie Vaynel.
»Bewach‘ den Eingang« weiß Vaynel seinen Freund an, während er den ersten Schritt in den dunklen Gang machte.
Der Korridor führte strikt geradeaus und war voll von Spinnweben. Vaynel bahnte sich seinen Weg hindurch. Er konnte kaum weiter als zwanzig Fuß den Gang entlang sehen, da der Staub das Licht der Fackel schluckte. Vorsichtig ging er weiter, immer auf der Hut, falls sich ein Teil der Decke lösen sollte oder ein unvorsichtiger Schritt eine Falle auslösen könnte. Langsam griff er nach seinem Schwertknauf und zog die Klinge aus der Scheide. Er wusste nicht, ob er die Waffe bräuchte, doch das Gefühl des Stahls in der Hand machte ihn sicherer. Etwas weiter den Gang entlang befand sich eine größere Halle. Vaynel ging hinein und leuchtete die Ecken des Raums mit der Fackel aus. Auf den ersten Blick erschien ihm nichts auffälliges oder ungewöhnliches. Doch kurz bevor er einen weiteren Schritt in den Raum machte, nahm er ein Funkeln aus dem Augenwinkel wahr. Sein Blick schweifte nach rechts und er sah einen kleinen Edelstein, der nahezu komplett mit Staub verdeckt war, weswegen er das Licht nur teilweise reflektierte. Vorsichtig kniete Vaynel sich hin und schlug mit dem unteren Ende der Fackel auf eine Bodenplatte. Aus dem Edelstein in der Wand schoss ein greller Blitz, der direkt an Vaynels Gesicht vorbei zischte und in die gegenüberliegende Wand einschlug. Vaynel schluckte heftig. Er überlegte einen Augenblick, bevor er die Fackel auf den Boden legte, sein Schwert einsteckte und ein paar Schritte in den Gang zurück ging. Er drehte sich um und atmete ein paar mal tief ein und aus. Als er bereit war, rannte er los.
Direkt vor der tödlichen Bodenplatte sprang Vaynel ab und rollte sich mit dem ganzen Körper auf dem Boden ab. Hinter Vaynel schlugen weitere Blitze in der Wand ein. Als Vaynel zum Stehen gekommen war, blieb er noch einen Augenblick auf dem Boden liegen. Sicherheitshalber zählte er bis zehn, bevor er den Kopf hob und aufstand. Der Drow klopfte sich den Staub von den Kleidern und griff nach der Fackel, die drei Fuß von ihm entfernt auf dem Boden lag. Einige Sekunden blieb er am Ausgang stehen und atmete noch einige male ein und aus, bevor er weiter dem Gang folgte.
Er war hundert Meter weiter gekommen, als er ein leises klicken hörte. Blitzschnell warf Vaynel sich zu Boden. Ein Pfeil pfiff über ihn hinweg. Er hob den Kopf und betrachtete die Bodenplatten vor sich. Wie er es erwartet hatte, waren die Bodenplatten vor ihm Auslöser für weitere Fallen. Es war unmöglich zu umgehen. Vaynel fluchte leise. Er stand vorsichtig auf und zog sein Schwert. Sein nächster Schritt wurde erneut von einem Klicken kommentiert. Im Bruchteil einer Sekunde schwang Vaynel sein Schwert und traf damit einen Pfeil, der auf sein Herz zugeflogen war. Das Geschoss wurde fort geschleudert. Das gleiche passierte bei seinem nächsten Schritt. Und bei dem Schritt danach. Vaynel arbeitete sich durch die Fallen, indem er Pfeil um Pfeil auslöste und fortschlug. Nach Ewigkeiten, wie es ihm schien, gelangte Vaynel in eine riesige Halle, die von blauem Licht erfüllt war. Vaynel trat vorsichtig über die Türschwelle, doch anscheinend hatte er alle Fallen erfolgreich umgangen. Der Drow hielt seine brennende Fackel hoch und schaute sich um. Da sah er es.
In der Mitte des Raumes stand ein großer steinerner Sarkophag, dessen Wände und Deckel mit verschiedenen Ornamenten verziert waren. Auf dem Deckel befand sich eine riesige Abbildung des Lamiria, des Familiensymbols von Magnus Kal’Trisken. Doch mehr noch als dieser Hinweis überzeugte etwas anderes Vaynel davon, dass dies das richtige Grab des legendären Dunkelelfen war.
Auf dem Sarkophag lag das magische Saphirlangschwert von Magnus Kal’Trisken.
Voller innerer Erregung warf Vaynel seine Fackel zur Seite und steckte das Langschwert in die Scheide. Er ging schnell zu dem Sarkophag und stellte sich direkt davor, ohne das Schwert zu berühren. Fast ehrfürchtig streckte er eine Hand danach aus. Als er es berührte, spürte er, wie die Macht des Schwertes in seinen Körper drang. Und er begriff, welcher Art die magische Natur des Schwertes war. Die Magie des Schwertes verband seinen Geist mit der Klinge und von der Klinge aus mit allem rings um ihn. Als er das Schwert in der Hand hielt, drangen die verschiedensten Eindrücke aus allen Richtungen auf ihn ein. Obwohl er den Blick fest auf den edelsteinbesetzten Griff der Waffe geheftet hatte, war ihm, als könnte er jeden Winkel des Raumes einsehen. Er spürte, wie sein Körper sich bewegte, doch ohne, dass er es veranlasst hätte. Das Schwert in seiner Hand benutzte IHN, nicht umgekehrt. In diesem Augenblick erkannte Vaynel, dass alles an der Legende von Magnus Kal’Trisken zumindest wahr sein konnte. Mit diesem Schwert war es ohne weiteres möglich, eine ganze Armee niederzumetzeln. Vaynel hielt die Waffe in der Hand, mit der er den Krieg gegen die grausamen Lichtelfen gewinnen könnte.
Als Vaynel diesen Gedanken in seinem Kopf bemerkte, erschrak er zutiefst. Solche Gedanken entstammten den Lehren der Schattenregierung. Seit seiner Kindheit waren diese Gedanken unvereinbar mit Vaynels Denkweise gewesen. Er überlegte, was geschehen war, dass seine Anschauungen sich so drastisch geändert hatten. Als er den Ursprung seiner Gedanken ausgemacht hatte, erschrak er noch mehr.
Er hatte die Worte seines Vaters benutzt. Die Worte, mit denen er von Magnus Kal’Triskens Tod erzählt hatte.
In diesem Augenblick wurde Vaynel sich wieder gewahr, wo er sich befand. Das Schwert in seiner Hand übermittelte ihm weiterhin Eindrücke aus seiner Umgebung, doch einer war besonders stark. Er kam aus dem Inneren des Sarkophags. Wie unter Zwang schob Vaynel den Deckel zur Seite, um einen Blick auf die Überreste des größten Dunkelelfen aller Zeiten zu werfen.
Der Sarkophag war weitgehend leer, abgesehen von einer dünnen Schicht Erde auf dem Boden, die wahrscheinlich die Reste von dem waren, was einst Magnus Kal’Trisken gewesen war. Inmitten dieser Erde lag ein breiter, vergoldeter Metallgürtel mit dem Symbol des Lamiria auf der Gürtelschnalle. Vaynel griff danach und legte ihn um. Er betrachtete die Seiten des Gürtels, erkannte jedoch nicht, was einer Scheide ähnlich war. Ein weiteres mal übernahm das Schwert die Führung über Vaynels Arm. Ohne, dass er etwas dagegen tun könnte, drückte seine Hand den Griff des Saphirschwertes leicht gegen den Metallgürtel. Das Schwert befestigte sich selbst an dem Gürtel.
Vaynel blickte ein weiteres mal auf die Waffe an seiner Seite. Er hatte gefunden, wonach er gesucht hatte. Jetzt musste er nur noch zum Hause Sir’Braeon zurückkehren und die Lichtelfen schlagen.

Harbinger
28.03.2005, 10:11
Kapitel 8 - Hinterhalt

Noch bevor Vaynel die Höhle verlassen hatte, bemerkte er, dass etwas nicht in Ordnung war. Er griff nach dem Schwert an seiner Seite und schloss die Hand darum. Ein Eindruck bösartiger Feindseligkeit erreichte ihn. Irgendetwas lauerte auf ihn und es wollte ihn umbringen.
Vorsichtig schlich Vaynel den Gang entlang, während er sein zweites Schwert zog. Er sah bereits den Sonnenschein, der durch den Eingang in die Höhle fiel. Er kauerte sich an die Wand und überdachte die Situation. Er wusste nicht, wie viele auf ihn lauerten oder wo sie sich versteckten, aber er war zuversichtlich, dass er mit Magnus Kal’Triskens Schwert mit jeder Gefahr klarkommen würde.
Behende stieß Vaynel sich von der Wand ab und sprang durch den Höhleneingang. Ein Schwert sauste auf ihn nieder, doch seine Schwerthand zuckte wie von selbst nach hinten und fing den Schwertstreich ab. Schnell wirbelte Vaynel herum und blockte einen weiteren Schlag, bevor er den Angreifer mit der Schulter fortstoßen konnte.
»Was...?« entfuhr es ihm, als er den Mann ansah, der versucht hatte ihn zu töten.
Layces ging nicht darauf ein, sondern sprang mit erhobenem Schwert auf Vaynel zu. Vaynel riss beide Klingen in die Höhe und fing Layces‘ Schwert geschickt ab. Mit der linken Hand schob er das Schwert seines Gegners zur Seite, mit der anderen führte er einen Schlag gegen dessen Schulter. Die Klinge drang in Layces‘ Fleisch ein und fügte ihm eine tiefe Schnittwunde zu. Erneut stieß Vaynel seinen Gegner von sich.
»Wieso, Layces?« fragte er »Warum greifst du mich an? Wegen dem Schwert?«
Layces blieb einen Augenblick irritiert stehen, dann zeichnete sich ein bösartiges Grinsen auf seinen Lippen ab. Er hob die rechte Hand mit seinem Schwert darin und wirbelte die Klinge einige male umher. Während er vorwärts stürmte, griff er unauffällig nach einem Messer in seinem Gürtel und schleuderte es nach Vaynel. Das Schwert von Magnus Kal’Trisken zuckte nach oben, doch der Dolch entging der Klinge und grub sich in Vaynels rechte Brusthälfte. Keuchend fiel Vaynel auf die Knie.
Triumphierend rannte Layces auf seinen gefallenen Gegner zu, das Schwert in beiden Händen zum Schlag erhoben. Vaynel riss an dem Dolchgriff, der aus seiner Brust ragte und zog ihn aus der Wunde. Mit der selben Bewegung warf er die Waffe nach Layces. Der Dolch traf seinen Oberschenkel und blieb darin stecken. Layces stolperte mit einem schmerzerfüllten Aufschrei mitten im Schritt und fiel zu Boden.
Mit zusammengebissenen Zähnen kämpfte Vaynel sich auf die Beine. Blut schoss aus seiner Brustwunde, doch er kümmerte sich nicht darum. Er stützte sich auf ein Schwert und blickte Layces an.
»Warum, Layces?« fragte er erneut.
Layces lag auf der Seite im Dreck und umklammerte den Dolch, der in seinem Bein steckte. Er zog ihn vorsichtig heraus und rammte ihn in den Boden. Mit einem wilden Aufschrei stellte sich der Dunkelelf wieder auf die Beine. Er hob sein Schwert und kam bedrohlich auf Vaynel zu. Vaynel hob die eigene Waffe und machte sich kampfbereit.
Die Klingen trafen funkensprühend aufeinander. Vaynel griff mit dem Langschwert an und parierte mit der legendären Drowklinge. Layces führte einen mächtigen Hieb nach seinem Kopf doch Vaynel fing ihn automatisch ab. Er konterte mit einem schnellen Stoß, dem Layces nur durch eine geschickte Seitwärtsbewegung entgehen konnte. Sie kämpften sich weiter über den dünnen Grasstreifen, hieben nacheinander, blockten und wichen aus. Schließlich drangen sie durch das Unterholz. Durch die Bäume drang das Klirren der Schwerter und die Aufschreie der Kämpfer.
Durch den Lärm wurde eine Gruppe Hügelschlitzer angelockt. Fünf der Tiere versammelten sich verdutzt um die beiden kämpfenden Drow. Erst beobachteten sie nur, doch dann sprang eine der Bestien in den Weg der streitenden Dunkelelfen und ihre Artgenossen folgten ihr.
Vaynel sah sich plötzlich einer weiteren Bedrohung entgegen, als von zwei Seiten Hügelschlitzer auf ihn zu traten. Er parierte einen Schwertstreich von Layces und wirbelte herum. Eine Sichelförmige Klaue schlug nach seinem Gesicht, doch er sprang zur Seite und stach zu. Die Klinge drang in die Schulter des Tieres, das ihn angegriffen hatte. Helles Blut spritzte hervor und drückte sich heiß in seine Augen. Für einen Augenblick war er geblendet.
»Layces...« rief er, während er sich das Blut aus dem Gesicht wischte.
Er bekam keine Antwort. Doch als seine Augen wieder frei waren sah er, wie Layces zwischen drei weiteren Hügelschlitzern stand und sein Schwert wild umher wirbelte. Vaynel wandte sich wieder seinen beiden Gegnern zu. Der verletzte Hügelschlitzer hielt sich zurück, während der unversehrte zum Angriff überging. Vaynel hob die Schwerter und warf sich nach vorne. Er prallte gegen den schweren Körper des Tieres und stieß mit beiden Schwertern zu. Die Klingen drangen tief in den behaarten Unterleib des Biestes und trafen knirschend auf Knochen. Der Drow drehte seine Schwerter im Körper des Tieres und zog sie hinaus. Blutend brach der Hügelschlitzer zusammen. Er stieß einen schmerzerfüllten Schrei aus und grub die Sichelklauen tief in den Erdboden. Mit einem Stoß rammte Vaynel ein Schwert in den Nacken des Biestes und beendete damit sein Leben.
Mit den Schwertern in den Händen wirbelte Vaynel erneut herum. Zwei der Hügelschlitzer, die Layces bedrängt hatten, lagen tot auf dem Boden. Um den letzten Angreifer kümmerte Layces sich nicht. Mit erhobenem Schwert ging er wieder auf Vaynel los. Er hielt nicht im Schritt inne, als er ausholte und mit einem Schlag nach Vaynels Hals zielte. Vaynel hob schnell ein Schwert und blockte den Schlag. Behende holte er zum Gegenangriff aus und durchschnitt Layces Hüfte. Blut spritzte hervor und nässte den Boden, als Layces mit einem schmerzerfüllten Schrei zusammenbrach. Gerade wollte Vaynel nachsetzen, als der überlebende Hügelschlitzer vor ihm stand.
Die Sichelklaue schnitt über Vaynels Brust. Blut spritzte hervor und der Drow taumelte nach hinten. Er stieß gegen einen weiteren Hügelschlitzer, den dem er die Schulter durchbohrt hatte. Die Klauen schlossen sich um seine Schultern und drückten zu. Vaynel versuchte seine Schwerter zu heben, doch das Tier hinter ihm hielt seine Arme fest. Verzweifelt spannte der Drow seine Muskeln, als die andere Bestie auf ihn zu kam.
Plötzlich hielt der Hügelschlitzer vor ihm im Schritt an. Seine Augen blickten ungläubig und ein dünner Rinnsal Blut lief aus seinem Maul. Das Tier fiel nach vorne auf die Knie, vergrub seine Klauen in der Erde und stürzte tot auf sein Gesicht. Hinter dem Kadaver stand Layces mit seinem blutigen Schwert. Aus seiner Hüfte, seinem Oberschenkel und seiner Schulter strömte Blut doch er schien es nichtmal zu bemerken. Er kam auf Vaynel zu, der noch immer von dem Hügelschlitzer umklammert wurde. Layces stach zu. Die Klinge drang direkt an Vaynels Gesicht vorbei in den Hals des Tieres, das ihn festhielt. Der Körper wurde schlaff und stürzte nach hinten.
Sofort riss Vaynel seine Waffen hoch und parierte einen weiteren von Layces‘ Schwertstreichen. Er konterte mit einem Stoß nach Layces verletzter Schulter. Die Klinge drang diesmal tief in Layces Körper. Mit dem anderen Schwert schlug Vaynel an die selbe Stelle. Die Klinge drang durch Layces Fleisch und trennte seinen Schwertarm an der Schulter ab. Mit einem schmerzerfüllten Aufschrei stürzte der Drow zu Boden, während eine Blutfontäne aus seiner Wunde strömte. Vaynel zog blitzschnell seine Schwerter zurück und streckte den Arm mit Magnus Kal’Triskens Waffe aus.
Die Klinge glitt in Layces Brust und scharrte an den Knochen seines Brustkorbs. Ein Schwall Blut floss über seine Lippen. Er hustete rasselnd. Vaynel ließ den Griff seiner Waffe los und kniete sich neben seinen sterbenden Freund.
»Warum, Layces?« fragte er leise »Warum hast du mich angegriffen? Warum wolltest du mich töten?«
»Es musste sein...« flüsterte Layces mit schwacher Stimme »Ich musste es tun. Warum solltest du... das Schwert tragen? Ich musste dich töten. Aber... mein Ehrgefühl hat mir natürlich... einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich hätte dich im Schlaf töten sollen.«
»Aber warum, mein Freund?« Vaynel beugte sich tiefer über Layces. »Warum wolltest du mich töten? Wir sind hier her gekommen, um das Schwert zu finden. Wir wollten diesen Krieg gewinnen und dazu brauchten wir Magnus Kal’Triskens Macht.«
»Natürlich, das Schwert« flüsterte er lachend »Ich hätte das Schwert in... meine Hände genommen. Und mit dieser Waffe hätte ich... hätte ich die Dunkelelfen befreit. Ich hätte alle von diesen verfluchten Lichtelfen... zerschmettert, ihre Städte niedergerissen... jedes Zeichen ihrer Anwesenheit auf diesem Planeten... ausgemerzt. Aber daraus wird wohl... nichts mehr, jetzt wo du mich besiegt hast, Vaynel.«
»Sar’Rana hätte das niemals zugelassen. Unsere Götter mögen sich von uns zurückgezogen haben, aber Sar’Rana hätte niemals zugelassen, dass du die Kinder ihres Bruders vernichtest. Du hättest diesen irrsinnigen Plan niemals durchsetzen können, Layces.«
»Nicht alleine.« Er hustete und spuckte dabei Blut. »Aber... mit einer gewaltigen Streitmacht... in meinem Rücken... Ich hätte es gekonnt. Ich hätte... triumphiert über die grausamen... verachtenswerten Horden der... Lichtelfen. Wir hätten... gewonnen, Vaynel.«
»Aber wir können auch so gewinnen, Layces. Wenn ich mit dem Schwert zum Hause Sir’Braeon zurückkehre, dann werden wir die Armee der Lichtelfen zurückschlagen. Wir werden diesen Krieg gewinnen, auch wenn du deinen Platz an der Siegertafel verspielt hast, mein Freund.«
Layces begann schwach, aber bösartig zu lachen. »Genau... wie du, Vaynel« keuchte er »Eile zurück... mein Freund. Eile zu deiner... Familie. Sie sind schon längst tot. Du wirst... zu spät kommen, Vaynel. Die mordenden Horden... der grausamen Lichtelfen haben... haben sie bereits dahingerafft. Du wirst zurückkehren... in ein Geisterhaus, geziert von... von dem Blut derer, die du liebtest.«
Layces lachte weiter, während sich eine furchtbare Angst in Vaynels Herz schlich. Er hatte nie bezweifelt, dass sie siegen würden. Aber was war, wenn Layces recht hatte. Die Angst verhärtete Vaynels Herz gegenüber dem Verräter. Obwohl er sein ältester Freund war, verspürte er keinerlei Reue, als er das Schwert vollends durch seinen Körper stieß und die Klinge in seiner Brust drehte. Mit einem Seufzen wich das Leben aus Layces Körper. Vaynel umfasste den Griff des Saphirschwertes und zog die Waffe aus der Leiche seines einstigen Freundes. Er wischte das Blut von den Klingen beider Schwerter und steckte sie ein.
Mit dieser furchtbaren Angst im Herzen eilte Vaynel zurück zu ihrem Lagerplatz. Er nahm sich nicht viel Zeit, um seine Wunden zu versorgen. Er legte sich schnell einen Verband an, den er vorsorglich mitgebracht hatte, bevor er sich auf sein Pferd schwang und zurück auf die Straße galoppierte. Grimmig ritt er zurück zum Hause Sir’Braeon.

Harbinger
28.03.2005, 10:13
Kapitel 9 - Grauenhafte Heimkehr

Der Rauch, den Vaynel bereits von weitem sah, bestätigte, was er insgeheim befürchtet hatte. Er war vor zwölf Tagen von hier aufgebrochen und nach dem, was sein Vater gesagt hatte, würden die Lichtelfen erst in dreizehn Tagen ihren Angriff starten. Doch als Vaynel das Haupttor des Hauses Sir’Braeon erreichte hatte er die furchtbare Gewissheit, dass der Krieg bereits vorbei war.
Die Gebäude seines Heims waren auf die Grundmauern niedergebrannt und der Boden des Hofes war blutgetränkt. Überall lagen Leichen, alle mit grässlichen Schwertwunden in ihren Körpern. Fast sofort stolperte Vaynel über den verstümmelten Körper von General Palac. Die Leiche war verkohlt und hatte nur noch ein Bein. Der General war mit dem Schwert in der Hand gestorben doch mehr als alles andere versicherte Vaynel die Leiche des Heerführers die vernichtende Niederlage, die seine Familie erlitten hatte. Vaynel schwang sich von seinem Pferd und ging durch die Ruinen seiner Heimat. Mit kalter Furcht in seinem Herzen musterte er die Gesichter der Leichen. Da sah er, wonach er Ausschau gehalten hatte.
Jegliche Gefühle, die Vaynel gehabt hatte starben in diesem Augenblick. Nur die grauenhafte Furcht blieb in ihm zurück.
Sie lag auf der Erde vor den Ruinen des Wohnhauses der Familie Sir’Braeon. Ihre Hände und Füße waren an Pflöcke gebunden, die in den Boden geschlagen waren. Sie war unbekleidet und Vaynel konnte eindeutig die riesige Schnittwunde in ihrer Kehle sehen, aus der ihr Leben geströmt war. Geronnenes Blut an ihren Hand- und Fußgelenken zeugte von den Qualen, die sie vor ihrem Tod erlitten hatte.
Jaliah und ihr Kind waren tot. Vaynel hatte alles verloren, für das es sich sein für ihn zu leben gelohnt hatte. Seine Familie war ausgelöscht, seine Frau geschändet und ermordet worden. Er schwor sich, dass er nur noch für eine Sache lebte, für die Rache an denen, die ihn seiner Familie beraubt hatten. Grimmig hob Vaynel eine Schaufel auf, die an den Resten einer Hauswand lehnte.
Tränen strömten über Vaynels Gesicht, als er Jaliah von den Pfählen losband. Er hob ihren leblosen Körper auf die Arme und trug sie hinaus aus den Mauern des Hauses Sir’Braeon, hinauf auf einen kleinen Hügel, auf dem ein einzelner Baum über die kahlen Ebenen Südkalends aufragte. Weitere Tränen rollten über sein Gesicht und fielen zu Boden, als Vaynel seine geliebte Frau unter dem einzelnen Baum begrub. Er sprach ein kurzes Gebet zu Sar’Rana, ein Gebet in dem er die Göttin der Dunkelelfen bat, die Seele seiner Frau aufzunehmen und ihm die Kraft zu geben, sich an ihren Mördern zu rächen.
Als Vaynel von dem Hügel stieg versiegten seine Tränen für immer. Er ging zurück zu den Ruinen des Hauses in dem er geboren worden war. Er begab sich direkt zu den Überresten des Stalls, um dort nach einem frischen Pferd zu sehen. Er hatte keine großen Hoffnungen, doch tatsächlich standen noch ein paar unerschütterliche Tiere in ihren Boxen und warteten dort. Vaynel wählte einen großen schwarzen Rappen aus und schwang sich in den Sattel. Er führte sein Pferd zu den Resten des Haupttores und wollte gerade auf die offene Ebene hinaus galoppieren.
»Und was gedenkt Ihr jetzt zu tun, junger Herr?« hörte er eine schwache Stimme hinter sich »Nach Minbor reiten und jeden Lichtelfen niedermetzeln, der Euch vor die Klinge gerät?«
Vaynel glitt aus dem Sattel und drehte sich um.
General Barkas war übel zugerichtet. Aus einem Dutzend Wunden lief Blut und er konnte sich augenscheinlich kaum auf den Beinen halten.
»General Barkas« rief Vaynel erstaunt »Wie habt Ihr es geschafft zu überleben?«
»Ich musste einen heftigen Schlag einstecken« antwortete Barkas schwach »Sie hielten mich wohl für tot. Nun, sie hatten wohl recht. Ich werde schon bald tot sein.«
»Was ist hier passiert?« fragte Vaynel heftig.
»Sie griffen früher an, als wir dachten. Vorgestern haben sie die Schlacht eröffnet. Wir waren der Ansicht, dass wir einer Belagerung eine Weile standhalten könnten, aber dem war nicht so.« Er seufzte. »Es gab einen Verräter. Gestern hat jemand das Tor geöffnet und die Lichtelfen kamen in Scharen herein, um uns niederzumetzeln. Sie haben Eure Mutter, Eure Schwestern und Eure Frau stundenlang geschändet, bevor sie sie umbrachten.«
»Ich weiß. Ich habe Jahlia bereits begraben. Haben die Lichtelfen alle umgebracht?«
»Alle außer Euren Vater. Sie brachten ihn fort. Ihr solltet nicht nach Minbor reiten, Vaynel. Noch nicht.«
»Warum nicht, Barkas?«
»Die Soldaten des Clans Clif’Freth kamen nie hier an. Ihr solltet nachsehen, was aus dem Clan wurde, bevor Ihr übereilte Entscheidungen trefft. Und nun reitet los. Ich werde mir die Zeit schon irgendwie vertreiben, bis ich verblutet bin. Es kann nichtmehr lange dauern.«
Vaynel griff nach dem Schwert an seiner Seite, löste es vom Gürtel und hob zum Salut die Klinge an sein Gesicht. Dann schwang er sich auf sein Pferd und galoppierte hinaus auf die Ebene.
Er erreichte das Haus Clif’Freth am nächsten Morgen. Die Gebäude waren unversehrt und Drow-Wächter standen vor dem Tor. Vaynel näherte sich und wurde von ihnen direkt zu Larhion Clif’Freth in den Thronsaal des Hauses gebracht.
Der Thronsaal war riesig, mit ausgedehnten Galerien oberhalb des eigentlichen Saales. Larhion Clif’Freth saß auf einem großen Thron, der aus Stein gehauen war.
»Ihr seid zurückgekehrt, Vaynel?« Larhion wirkte leicht verblüfft. »Wo ist mein Sohn?«
»Layces ist tot« antwortete Vaynel »Ich musste ihn töten, als er mich angriff. Er wollte mich des Schwertes berauben und mich umbringen.«
»Er muss vom Wahnsinn befallen gewesen sein« murmelte Larhion mehr zu sich als zu Vaynel »Ihr habt das Schwert dabei?«
»Das habe ich. Aber sagt mir, was ist hier geschehen? Mein Haus ist vernichtet, meine Familie ermordet. Warum seid Ihr ihnen in der Schlacht nicht zur Hilfe geeilt?«
»Das wollten wir, doch auch wir wurden von den Streitkräften der Lichtelfen angegriffen. Es stand schlecht, doch die Lichtelfen gingen schließlich auf unsere Kapitulation ein und wir schlossen Frieden.« Er seufzte. »Meine Männer haben mir berichtet, was vor zwei Tagen in Eurem Heim geschah und es ist sehr bedauerlich. Bitte, bleibt für die nächsten Tage hier. Ich kann Euch außer meiner Gastfreundschaft leider nichts anbieten.«
Vaynel nickte. Er drehte sich um und wollte gerade den Saal verlassen, als er aus dem Augenwinkel eine Gestalt auf einer der Galerien wahrnahm. Er drehte sich in diese Richtung und blickte direkt in die Augen seines Vaters.
Sofort wurde ihm klar, dass etwas nicht stimmte und er griff nach seinen beiden Schwertern. Er spürte die Feindseligkeit um ihn herum und mit einem wilden Aufschrei sprang er auf Larhion Clif’Freth zu und schlug ihm mit einem gezielten Hieb den Kopf von den Schultern.

Harbinger
28.03.2005, 10:15
Kapitel 10 - Abrechnung

Sofort füllte sich der Thronsaal mit Wachen. Vaynel stieß die Kopflose Leiche von Larhion zur Seite und rannte auf die Gegner zu. Seine Gedanken waren ein heilloses Durcheinander, doch kein einziges Gefühl regte sich in ihm, als er sich seinen Feinden näherte. Sie hielten ihm ihre Waffen entgegen, doch er wirbelte einfach durch ihre Verteidigung und richtete verheerenden Schaden an. Bevor die Wachen überhaupt wussten, was vor sich ging, lagen die ersten zehn von ihnen tot am Boden. Vaynel schlug sich mit Hilfe seiner beiden Schwerter eine breite Gasse durch die Dunkelelfen. Funken sprühten und schmerzerfüllte Schreie gellten durch die Halle, doch Vaynel kümmerte sich nicht im geringsten darum. Er wusste, dass sein Vater hinter all dem steckte. Es gab keine andere Erklärung dafür. Sein Vater war der Verräter, also musste Vaynel ihn stellen.
Mit wuchtigen Schlägen tötete Vaynel Wächter um Wächter, Drow um Drow. Blut spritzte auf den rasenden Dunkelelfen und sickerte zu Boden. Abgetrennte Körperteile und Eingeweide fielen auf die Erde. Vaynel machte sich nichtmal die Mühe Schwerthiebe zu parieren. Jeder Wächter, der ihn angriff starb, bevor er seinen Schlag führen konnte.
Es dauerte eine geraume Zeit, doch schließlich lagen alle Drow des Clans Clif’Freth in dem Thronsaal tot zu Vaynels Füßen. Er steckte das gewöhnliche Langschwert ein und sah sich um. Sein Vater war nichtmehr auf der Galerie, noch sonst irgendwo zu sehen. Entschlossen schritt Vaynel zur Tür und trat dagegen, so dass das Holz splitterte und die beiden Türen aufschwangen. Im Gang vor der Tür waren keine Wachen zu sehen. Sie waren offensichtlich durch den Kampflärm in den Thronsaal gelockt worden und dort unter Vaynels Klinge gefallen. Er ging vorsichtig weiter, folgte dem Gang bis er zur Tür auf den Hof gelangte. Vorsichtig öffnete er sie.
Zwanzig Drow-Bogenschützen hatten ihre Pfeile auf Vaynels Herz gerichtet. Blitzschnell warf er die Tür wieder zu und sprang zurück. Ein zittern drang durch das gesamte Holz der Tür und das Geräusch glich Donner, als die Pfeile einschlugen. Mehrere Stahlspitzen bohrten sich durch die Tür. Vaynel trat erneut an die Tür heran. Er umfasste sein Schwert fest mit beiden Händen und machte sich bereit.
Mit gewaltiger Kraft warf Vaynel sich gegen die Tür und riss sie aus den Angeln. Die Tür wurde nach vorne gesprengt und erzitterte erneut, als Pfeile durch das Holz schlugen. Weitere Pfeile pfiffen dicht an Vaynel vorbei und prallten an den Steinwänden des Hauses Clif’Freth ab. Jetzt war der Augenblick gekommen, auf den Vaynel gewartet hatte.
Er sprang über die Überreste der Tür, die auf den Boden gestürzt war. Sofort hatte er die vorderste Reihe der Bogenschützen erreicht. Mit dem Schwert in beiden Händen schlug Vaynel zu. Seine Klinge durchtrennte einen Bogen und schnitt den Arm eines Drow ab. Schnell riss Vaynel seine Klinge hoch und schlitzte den Bogenschützen der Länge nach auf. Schnell führte er die Waffe wieder in Brusthöhe und begann wuchtige Schwertstreiche auszuteilen. Die Bogenschützen, die das Pech hatten in seiner Reichweite zu stehen, wurden in Stücke geschlagen. Sechs waren tot, bevor der Rest überhaupt wusste, was vor sich ging. Die anderen starben kurz darauf, als der Drow, der in ihren Reihen wütete, seinem Schwert freien Lauf ließ. Köpfe wurden abgetrennt, Herzen durchstoßen, Körper aufgeschlitzt. Keine Klinge traf Vaynel.
Über die Leichen der Bogenschützen stürmte eine Gruppe von weiteren zwanzig Schwertkämpfern. Vaynel griff nach seinem zweiten Schwert und zog es wieder aus der Scheide. Er griff an. Mit einem gewaltigen Krachen traf er auf die gegnerischen Drow, wobei er kaum in seinem Schritt einhielt. Erneut hatten die Drow des Hauses Clif’Freth Vaynels Kampfkunst nichts entgegenzusetzen. Er stürmte glatt durch die Schwertkämpfer hindurch und hinterließ eine Gasse aus abgetrennten Gliedmaßen und Blut. Er wirbelte herum und griff erneut an. Seine Klingen drangen tief in die Körper seiner Gegner ein und töteten, was ihnen begegnete. Schon nach kurzer Zeit waren auch diese Gruppe Wächter komplett vernichtet.
Vaynel wischte am Umhang eines toten Drow das Blut von seinen Klingen, bevor er das gewöhnliche Langschwert wieder in die Scheide steckte.
»Du hast also überlebt, mein Sohn« hörte Vaynel eine bekannte Stimme hinter sich.
»Das habe ich Vater« antwortete Vaynel, während er sich langsam umdrehte »Was ich von dir nicht sagen kann.«
Deleros stand im gesplitterten Türrahmen des Hauses Clif’Freth. Er war in ein Kettenhemd gewandt und ein schwerer Stachelkolben lag in seiner Hand. Vorsichtig ging er auf seinen blutüberströmten Sohn zu.
»Du willst mich töten, Vaynel?« fragte er sanft.
»Ich will Rache, Vater« antwortete der junge Drow ruhig.
»Also gehen wir’s an, mein Sohn?«
»Ich bin bereit, wenn du es bist.«
Sie hoben ihre Waffen. Vorsichtig umkreisten sie einander. Vaynel wusste, dass sein Vater ein guter Kämpfer war. Er wusste allerdings nicht, wie gut.
Der erste Angriff kam unerwartet. Deleros sprang vor und schlug mit dem Kolben nach seinem Sohn. Vaynel wich zur Seite und schlug seinerseits zu. Deleros riss seine Waffe herum und blockte Vaynels Schwertstreich mit dem eisenverstärkten Griff seines Stachelkolbens. Vaynel warf sich nach vorne und rempelte seinen Vater mit der Schulter an. Der ältere Drow stolperte nach hinten, behielt jedoch das Gleichgewicht. Sofort setzte Vaynel nach und stach nach Deleros‘ Gesicht. Vaynels Vater wich aus und schlug aus der Bewegung heraus zu. Die Kugel an der Spitze des Kolbens traf auf Vaynels linke Schulter und brach sie. Schmerzerfüllt stolperte der junge Dunkelelf zurück. Er fiel zu Boden, sprang jedoch sofort wieder auf und hob den unverletzten Arm mit dem Schwert darin. Er sprang in einem verzweifelten Versuch nach vorne und hob die magische Klinge hoch über den Kopf. Mit gewaltiger Kraft ließ er das Schwert niedersausen. Deleros antwortete mit einem kräftigen Schlag von unten nach Vaynels Klinge. Die Waffen trafen aufeinander. Das magische Schwert zerbrach dort, wo Deleros Waffe es traf. Ohne Widerstand fuhr Vaynels Hand mit dem abgebrochenen Griff darin tiefer. Vaynel nutzte diesen Augenblick und stach mit dem zerbrochenen Schwert zu. Die geborstene Klinge fuhr in Deleros Brust. Er erstarrte und der Stachelkolben fiel aus seiner Hand.
Vaynel fing seinen Vater auf und legte ihn auf den Boden. Er verspürte in diesem Augenblick weder Triumph noch Befriedigung. Er kniete sich neben seinen Vater.
»Mir scheint, dass du deine Rache bekommen hast, mein Sohn« keuchte Deleros schwach.
»Ja, Vater« antwortete Vaynel »Sag‘ mir warum, Vater. Warum musste meine Familie sterben?«
»Es war nicht mein Wille, Vaynel« antwortete der ältere Drow leise »Ich sah all das Leid der Drow um mich herum und ich fühlte mich dafür verantwortlich, etwas dagegen zu tun. Ich trat an die Schattenregierung heran und bat sie um ihre Hilfe, in meine Kampf gegen die grausamen Lichtelfen.«
»Du hast die Schattenregierung immer verachtet, Vater. Warum hast du deine Meinung geändert?«
»Ich brauchte sie, denn alleine hätte ich den Krieg nie gewinnen können. Sie forderten einen hohen Preis für ihre Hilfe. Ihr wart entbehrlich für sie.« Er seufzte bedauernd. »Sie boten mir ihre Hilfe an, wenn ich beweisen würde, wie ernst mir diese Sache war. Der Preis für ihre Hilfe war der Untergang meines Clans und meiner Familie. Larhion und ich ritten nach Minbor um die Lichtelfen dazu zu bewegen, unser Haus anzugreifen, Vaynel. Wir mussten den Clan Sir’Braeon vernichten, um die Dunkelelfen zu befreien. Ich wünschte nur, ich hätte deiner Mutter und deiner Frau das Leid ersparen können. Doch es gelang mir nicht, sie schnell zu töten, bevor die grausamen Lichtelfen über sie herfielen. Ich wurde sofort gefangen genommen, als ich das Tor für die Angreifer öffnete.«
»Warum hast du Layces und mich geschickt, um Magnus Kal’Triskens Schwert zu suchen?«
»Damit ich mit diesem Schwert in den Händen vor der glorreichen Armee der Drow her marschieren konnte. Ich habe dir gesagt, dass wir einen neuen Magnus Kal’Trisken bräuchten, bevor ihr aufgebrochen seid. Ich wollte diese Rolle übernehmen. Layces sollte dich im Schlaf töten, nachdem ihr das Schwert gefunden hattet, aber offensichtlich hat das nicht funktioniert. Nun, ich brauche mir wohl keine Gedanken mehr darüber zu machen. Alles ist gescheitert. Glaub‘ mir, Vaynel, ich hatte mir gewünscht, dass vieles anders kommt. Aber bei allem, was ich tat, folgte ich nur meinen Prinzipien. Leb wohl, mein Sohn.«
Trotz seines Verrats konnte Vaynel seinem Vater in diesem Augenblick keine Vorwürfe machen. Deleros hatte getan, was er für richtig gehalten hatte und selbst in diesem Augenblick, in dem er dem Tode so nahe war, trat er noch immer für seine Überzeugungen ein. Seufzend drehte Vaynel die abgebrochene Klinge in seines Vaters Brust. Der ältere Drow starb mit einem seligen Ausdruck auf dem Gesicht.
»Ruhe in Frieden, Vater« flüsterte Vaynel.
Er zog die abgebrochene Klinge aus Deleros Brust und legte sie in seine Hand. Dann zog er das silberne Amulett des Hauses Sir’Braeon hervor und legte es auf die Leiche seines Vaters. Er hob die magische Klinge auf, legte Feuer an das Haus und verließ diesen Ort.

Harbinger
28.03.2005, 10:16
Kapitel 11 - Erlösung

»Mach das du verschwindest, du Abschaum« brüllte der Schankwirt, als er den zerlumpten Dunkelelfen aus seiner Taverne in den Schlamm warf »Ich will dich nie wieder hier sehen!«
Der fette Schankwirt ging durch die Tür zurück und lies die große Gestalt liegen.
Vaynel stützte sich auf den Unterarm auf und erbrach sich auf die feuchte Erde. In den letzten sechs Jahren war ihm das früher oder später in jeder Taverne geschehen, die er besucht hatte. Er war durch ganz Kalend gezogen, von Schankhaus zu Schankhaus und hatte sich überall vollaufen lassen, nur um seinen Schmerz zu vergessen.
Langsam drehte Vaynel sich auf den Rücken und blickte in die Sterne. Er sah das Sternbild der Drow. Es schien besonders hell in dieser Nacht. Während er es anschaute, schien es ihm, als würde eine sanfte Stimme in sein Ohr flüstern.
»Gib nicht auf, Geliebter« flüsterte die Stimme ihm zu »Gib nicht auf. Du musst weiterleben. Lebe, Geliebter. Lebe.«
Eine Träne rann aus Vaynels Auge, über seine Wange und seine Lippen. Er schluchzte leise. Plötzlich wurde ihm klar, wie sehr er Jaliah enttäuscht haben musste. Er hatte ihren Tod an seinem eigenen Vater gerächt, doch wozu war er von den Ruinen des Hauses Clif’Freth fortgegangen? Wenn er an diesem Tag gemeinsam mit seinem Vater sein Leben gelassen hätte, dann hätte er beruhigt zu seinen Brüdern und Schwestern in das Sternbild der Drow eingehen können. Doch er hatte weitergelebt. Für nichts.
Mühsam stand Vaynel auf. Mittlerweile strömten die Tränen in Massen über sein Gesicht und auf den schlammigen Boden. Er öffnete seinen zerrissenen Mantel und sah nieder auf den Gürtel mit dem Zeichen Lamiria darauf. Er hatte nicht nur Jaliah enttäuscht. Er hatte alle enttäuscht. Jaliah, General Barkas, Magnus Kal’Trisken, sogar seinen Vater. Er blickte auf die gesplitterte Klinge des magischen Schwertes, das er vor sechs Jahren gesucht hatte.
Er schwor sich, dass er sein Leben nichtmehr verschwenden würde, wie er es in der letzten Zeit getan hatte.
Der dreckige und zerlumpte Drow ging zu seinem Pferd, das vor der Taverne angebunden war. Er löste die Zügel und schwang sich in den Sattel. Schon bald hatte er die Straße nach Minbor erreicht und er galoppierte sie entlang bis zur Hauptstadt der Elfen. Unterwegs hielt er an einer Schmiede in einem kleinen Dorf an. Dort übergab er dem Schmied, einem stämmigen Drow, die Klinge von Magnus Kal’Triskens magischem Schwert. Der Schmied hämmerte einen neuen Griff an die Waffe. Anschließend ritt Vaynel weiter nach Minbor.
Nach vier Tagen erreichte er die riesige Stadt. Er ritt durch die dreckigen Straßen, vorbei an Bettlern und Obdachlosen. Er kannte sein Ziel.
Das Elfenkonzil residierte in einem riesigen, kuppelförmigen Gebäude. Vaynel glitt aus dem Sattel. Er machte sich keine Mühe, sein Pferd anzubinden. Es war alt und klapprig und er würde es sowieso nichtmehr brauchen. Er schloss seinen zerlumpten Reisemantel über seiner Kleidung, damit niemand seine Waffen sah. Als er sich dessen sicher war betrat er das große Gebäude.
In der Eingangshalle traf er auf einen elfischen Beamten, der ihn aufhielt.
»Was wollt ihr in den heiligen Hallen der Lichtelfen, Drow?« fragte der Elf herablassend.
Vaynel sah sich schnell in dem Raum um. Als er sah, dass niemand sonst anwesend war, ballte er die Faust und schlug dem arroganten Elf ins Gesicht. Der Elf ging bewußtlos zu Boden. Schnell zog Vaynel sein gewöhnliches Langschwert und schritt auf die große Flügeltür am Ende der Halle zu. Er trat dagegen, so dass sie aufschwang. Mit dem Schwert in der Hand trat er hindurch.
Das Elfenkonzil versammelte sich in einem riesigen, runden Raum. Die fetten Elfen, die dem Konzil angehörten, saßen auf Tribünen, die rund um eine Plattform in der Mitte angeordnet waren. Die Gespräche unter den Elfen verstummten, als die Tür aufschwang. Seelenruhig ging Vaynel an den Lichtelfen vorbei zur Plattform in der Mitte. Alle Blicke waren auf ihn gerichtet. Ohne ein Wort zu sagen, öffnete Vaynel seinen Mantel und entblößte Lamiria und die Klinge von Magnus Kal’Triskens Schwert.
»Wisst Ihr, was das ist, meine Herren?« fragte er laut.
Niemand antwortete.
»Das ist das Symbol von Magnus Kal’Trisken« fuhr er fort »Dem größten Dunkelelfenkrieger, den es jemals gab. Einst kam er in diesen Raum. Und wisst Ihr, was er mit Euren Vorgängern tat?«
Vaynel spürte die Furcht, die sich in dem Raum ausbreitete. Insgeheim genoss er es, diesen fetten Elfen Angst einzujagen.
»Er kam in diesen Raum« fuhr er fort »Und er brachte alle Elfen darin um. Alle. Wozu denkt Ihr, bin ich hier?«
Manche der Elfen begannen zu schwitzen, andere waren leichenblass. Sie fühlten sich in dem Zentrum ihrer Macht so sicher, dass sich nichtmal Wachen in dem Versammlungsraum befanden.
»Ich will...« begann Vaynel wieder »Ich will, dass Ihr mich in Eure glorreiche Armee aufnehmt. Nehmt mich bei Euren Soldaten auf und schickt mich in die nächste Schlacht, die Ihr austragt. Schenkt mir die Erlösung, die ich suche.«
»Warum sollten wir so etwas tun?« rief einer der Lichtelfen empört.
»Nun, wenn Ihr nicht wollt...« Vaynel hob das Schwert. »Ich habe noch immer diese wunderschöne Klinge.«
»Wie ist Euer Name, Drow?« rief ein anderer Elf.
Vaynel überlegte kurz.
»Fear« antwortete er schließlich.

Harbinger
28.03.2005, 10:17
Kapitel 12 - Ulandia

»Viel Spaß in Ulandia, Drow« sagte Kapitän Brizzen zum Abschied »Auf dass Ihr Erlösung finden mögt.«
Wortlos ging Fear an Kapitän Brizzen vorbei, dicht gefolgt von Demira. Der Kapitän schaute zwar etwas verwundert, doch er sagte nichts. Der Drow und die junge Zentaurin gingen die Gangway herunter. Sie hatten in einer kleinen dreckigen Hafenstadt angelegt. Der Hafen stank nach Fisch und Abfällen und überall liefen dreckige Seeleute herum. Viele von ihnen waren Orks mit vielen verschiedenen Hautfarben.
»Was tun wir jetzt, Vaynel?« fragte Demira den großen Drow.
Fear blieb stehen und drehte sich zu der jungen Zentaurin um.
»Du willst bei mir bleiben, Demira?« Fear schaute sie niedergeschlagen an. »Demira, ich kann dich nicht mit mir nehmen. Ich bin hier in Ulandia um Erlösung zu finden. Weißt du, was Erlösung für mich bedeutet?«
Sie schüttelte Wortlos den Kopf.
»Einen ehrenhaften Tode zu finden, Demira« erklärte Fear »Ich kann dich nicht mit mir nehmen. Du bist zu jung, um mit mir zu kommen.«
»Aber Vaynel...«
»Kein Aber, Demira. Du bist fort von Ebereth. Du bist frei.« Er griff in einen kleinen Beutel an seinem Gürtel und holte ein paar Goldmünzen heraus, die er Demira reichte. »Hier, damit solltest du zurecht kommen.«
»Aber ich will mit dir kommen, Vaynel. Ich will dir folgen.«
Wortlos drehte Fear ihr den Rücken zu. Mit seinem Bündel, in dem er die drei Schwerter verstaut hatte, ging er die dreckige Straße entlang. Demira folgte ihm ein paar Schritte und rief seinen Namen, den Namen, den er vor langer Zeit abgelegt hatte. Doch er drehte sich nicht um. Er ging einfach weiter ohne auf die junge Zentaurin zu hören.
Demira ließ ihren Kopf hängen. Sie und Fear waren auf der Überfahrt zu so etwas wie Freunden geworden. Er war der einzige Freund, den sie je gehabt hatte. Und jetzt ging er und ließ sie alleine. Tränen strömte über ihre Wangen. Sie ging in eine kleine Seitengasse und winkelte die Vorder- und Hinterbeine an. Weinend ließ sie sich auf dem Boden nieder.
Plötzlich spürte sie einen stechenden Schmerz in ihrer Brust. Sie öffnete die Augen und sah einen schweren Dolch, der aus ihrem Körper ragte. Zwei schmutzige Matrosen knieten vor ihr. Einer griff nach dem Beutel an ihrer Seite, in den sie Fears Münzen gesteckt hatte. Der andere blickte aus der Gasse heraus, dass niemand sie beobachtete. Die beiden nahmen den Beutel an sich und rannten zurück auf die Straße. Demira hörte, wie sich die Schritte schnell entfernten, während das Blut über ihren Körper lief. Dann wurde alles schwarz und ihre Augen fielen zu.

ENDE