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Rhodgar
18.02.2008, 23:42
Im Zuge der Aufarbeitung der Nachkriegszeit in unserem 13.2er Geschichts GK habe ich einen zusammenfassenden Text über die wichtigsten Aspekte der Studentenbewegung der 60er verfasst, der morgen als Referat vorgetragen wird. Vielleicht hilft es jemanden, oder es ist nur interessant zu lesen. Mal sehen.
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Die Studentenbewegung der 60er Jahre


Der Begriff „68er-Bewegung“ führt in die Irre. Tatsächlich ist meiner Meinung nach bereits der Ausschluss des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes als Anfangspunkt der deutschen Studentenbewegung der 60er Jahre zu sehen, die sich nicht, wie der Name 68er vermuten lässt, nur auf das Jahr 1968 bezieht. Bis 1961 war der bereits 1947 gegründete SDS ein Teil der SPD, wurde allerdings abgestoßen, „aufgrund von zu linken Positionen“ (spiegel.de) und zu großer Differenzen in den politischen Weltanschauungen.
Man muss festhalten, dass der Begriff „Studentenbewegung“ ebenso irreleiten kann, denn etwas wie eine einheitliche organisierte, vielleicht sogar parteiähnliche Struktur gab es in diesen Jahren nicht. Was den Begriff prägte und so viele junge Menschen einte, waren sich ähnelnde Weltbilder und politische Meinungen. Man wetterte gemeinsam gegen die bestehenden Normen und Konventionen, wobei speziell die als veraltet angesehene Sexualmoral oft Ziel von Kritik war. Man war jung, frei und wollte sich ausleben. Ein beliebtes Feindbild bot auch der aufkommende Kapitalismus und die an ihn angepasste Gesellschaft. Aus dem allgemeinen Bestreben, die deutsche Wirtschaft nach dem 2. Weltkrieg wieder anzukurbeln, war schnell Inkonsequenz geworden und der Elterngeneration wurde vorgeworfen, NS-Verbrechen aus kapitalistischen und materialistischen Beweggründen unter den Teppich zu kehren und somit zu relativieren.
1961 lässt sich insgesamt als sehr ereignisreiches Jahr bezeichnen. Seit den 1950er Jahren bestand in Westdeutschland die Große Koalition, das heißt sie wurde aus den zwei stärksten Parteien des Parlaments gebildet. Das waren stets SPD und CDU gewesen, im Jahr 1961 jedoch mussten sie sich erstmals auf eine Koalition mit der FPD als Opposition einlassen. Erstmalige Kritik an dieser Konstellation wurde 1962 im Rahmen der Spiegel-Affäre laut.
Dieser Zustand plätscherte dann sozusagen vier Jahre vor sich hin, bis sich mit der Wahl einer neuen Großen Koalition die Ereignisse häuften.
Die seit dem 1.12.1966 regierende GK unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger (CDU), Außenminister und Vizekanzler Willy Brandt, trat mit den Westalliierten in Verhandlungen über die Rückgewinnung der Souveränität Deutschlands ein. Forderung dafür seitens der Alliierten war die Verabschiedung einer Notstandsgesetzgebung, die es im Fall von inneren Spannungen oder Katastrophen legitim machte, in die Grundrechte der Bürger einzugreifen.
Nachdem die Geschichte die verheerenden Auswirkungen von solchen Notstandsverordnungen wie dem Artikel 48 der Weimarer Verfassung aufgezeigt hatte, äußerte sich allgemeiner Unmut gegen diese Forderungen. Sie garantierten jedoch den Abzug der alliierten Truppen, die Sicherheit der stationierten Soldaten und damit die endgültige Souveränität Westdeutschlands.
Am 10.12.1966 war es dann der ‚hochrangige’ SDS-Aktivist Rudi Dutschke, der öffentlich zur Bildung einer Außerparlamentarischen Opposition aufrief. Dieser Begriff wird heute häufig als Synonym für die Studentenbewegung verwendet. Dutschke, der erst Ende 1964, Anfang 1965 in den SDS eintrat, gilt heute als die bekannteste Person der Studentenbewegung. Am 28.2.1965 wurde er in den politischen Beirat des SDS gewählt, eine Blitzkarriere also.
Bis zur Durchsetzung der Notstandsgesetze verging jedoch noch einige Zeit, in der allerhand passierte. Als es anlässlich des Besuchs eines persischen Scheichs, Reza Palevi, in der entsprechenden Gegendemonstration zu kleineren Unruhen kommt, wird der Student Benno Ohnesorg von einem Polizisten erschossen, was ihn zum Märtyrer der Bewegung werden lässt. Der Tod des unauffälligen jungen Mannes, der das erste Mal in seinem Leben an einer Straßendemo teilgenommen hatte, bedeutete das Ende des „eher spielerischen Ungehorsams“ (spiegel.de), und war für seine Genossen ein Skandal: In zahlreichen westdeutschen Städten kommt es zu Ausschreitungen und Krawall. Beliebtestes Ziel dieser Tage waren Einrichtungen und Zeitungslaster des verhassten Axel-Springer Verlags, dessen BILD-Zeitung in der Zeit zuvor durch Meldungen und Berichte auf bekanntem Niveau eine extrem anti-studentische Stimmung verbreitet und somit die Menschen polarisiert haben soll. In der Tat ist zu sagen, dass die Studentenbewegung größtenteils innerhalb ihrer eigenen Kreise Sympathisanten gewinnen konnte. Im Gegensatz zu bspw. Frankreich, wo sich viele Arbeiter und Gewerkschaften dem idealistischen Kampf anschlossen, wurden die langhaarigen, Schlaghosen tragenden Jugendlichen als „Gammler“ abgestempelt, oder in ein „Arbeitslager“ oder die „Gaskammer“ gewünscht.
In der folgenden Zeit kam es unter anderem zur Gründung der „Kommune I“ am 1.12.1967, einer Wohngemeinschaft in Berlin, die einem komplett neuen Konzept nachging: Weg von der heilen Welt der Kleinfamilie (die von den Bewohnern als niederste Keimzelle des Faschismus und als Symbol der Unterdrückung der Frau angesehen wurde), und hin zur politisch motivierten Gemeinschaft. Namenhafte Vertreter der APO wie Rudi Dutschke wollten nicht beitreten, da sie nicht bereit waren, die Beziehungen zu ihren Frauen und ihre häuslichen Verhältnisse aufzugeben. Die Idee des „Lebens nach dem Lustprinzip“ ging dennoch auf, und die Kommune wurde weltweit bekannt durch ihre Mischung aus reiner Provokation und politischer Opposition. Sogar die New York Times berichtete, dass diese Gruppe von zu der Zeit 9 Personen vorgehabt hatte, den amerikanischen Vizepräsidenten Hubert H. Humphrey während seines Besuches 1967 mit Pudding, Mehl und Joghurt zu bombardieren. Dieser Plan ist heute bekannt als das „Pudding-Attentat“. Aber auch militantere Forderungen fanden sich im Repertoire der Kommune, bspw. auf Flugblättern, die zur Brandstiftung an Kaufhäusern, Symbole für das kapitalistische System, aufriefen.
„Holt euch das knisternde Vietnam-Gefühl, das wir auch hier nicht missen wollen“ hieß es.
Die ausgelassene Lebensweise der Bewohner stieß allerdings auch bei der Linken auf Unmut, als ähnliche Flugblätter mit dem Kürzel des SDS unterzeichnet wurden. Der Kommune wurde vorgeworfen, mittlerweile nur noch für die Drogen und ihre hedonistische Lebensweise zu agieren, und die Politik vergessen zu haben. Das Aus für die Wohngemeinschaft war tatsächlich eben jenes: Abhängigkeit ersetzte politisches Interesse, Lethargie trat an die Stelle von Enthusiasmus und Ehrgeiz, etwas bewirken zu wollen. Die Energie der Kommune war irgendwann verbraucht, das Konzept abgestumpft und viele der Bewohner sahen schlicht keinen Sinn mehr in der einst so glorreichen Art des Protestes. So lösten sie sich stillschweigend 1969 auf.
Parallel war jedoch einiges geschehen. Am 9.11.1967 wurde die bis heute wohl bekannteste Parole dieser Zeit öffentlich. Der Student Detlev Albers entrollte bei der feierlichen Rektoratsübergabe der Hamburger Uni ein schwarzes Plakat mit der Aufschrift „Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren“ (er hatte es unter seinem Anzug mit Schlips und Kragen in den Saal geschmuggelt).

„Die beiden Revoluzzer waren gekleidet wie Konfirmanden, mit Schlips und Kragen; als Albers aus der Innentasche seines Jacketts heraus das schwarze Transparent entrollte, zitterten ihm die Knie. Mit dem Vers habe man thematisieren wollen, so Albers, dass sich die Hochschulen "bislang vor der Aufarbeitung ihrer Rolle im Dritten Reich gedrückt hatten". Der Ausruf eines erbosten Professors bestätigte umgehend die Anschuldigung der beiden Studenten: "Ihr gehört ins KZ!" (spiegel.de)

Während die Kommune I mit ihrem Konzept beschäftigt war und vereinzelte Studenten ihren eigenen Protest laut machten, ereignete sich am 11.4.1968 etwas sehr Folgenschweres: Rudi Dutschke wurde von einem antikommunistischen Hilfsarbeiter angeschossen. Er überlebte das Attentat, litt anschließend allerdings unter den Nachwirkungen, unter anderem einer dadurch hervorgerufenen Epilepsie. In dieser Zeit hatte der SDS an die 2500 Mitglieder, die ihrem Unmut über den Vorfall natürlich gebührend Ausdruck verliehen. Es kommt zu den Osterunruhen, an denen sich Zehntausende in den größeren deutschen Städten beteiligen, und noch Unzählige mehr in internationalen Großstädten wie Amsterdam, Brüssel, Rom, Zürich, London oder New York.
Kurz nach dem Attentat auf Dutschke schien es dann aber , als wäre der Kampf der Studentenbewegung gescheitert: Während für einen Sternmarsch auf Bonn am 11.5.1968 noch Tausende gegen die Pläne der Bundesregierung auf die Straße gingen, fand am 30.5.19 die Verabschiedung des Notstandsgesetzes statt. Die FDP, mit zu dem Zeitpunkt nur 49 Sitzen die einzige parlamentarische Opposition, hatte nichts bewirken können, und auch der Protest der außerparlamentarischen Opposition, zusammengefasst SDS, Kommune I, anderen studentischen Organisationen und Massen von nicht organisierten Studenten, konnte daran nichts ändern. Sie trugen ihren Ärger lediglich auf die Straße, was sich jedoch überraschenderweise nicht mehr in nennenswerten Krawallen äußerte.
Mit Abschluss der Notstandsgesetze schien der Studentenprotest abzuflauen. Während in Woodstock im August 1969 noch der Höhepunkt der Hippie-Bewegung gefeiert wurde, löste sich der SDS, und damit die Stütze der APO, auf, nachdem es immer mehr einzelne Splittergruppen gegeben hatte, wie z.B. Frauengruppierungen, die über ihre Benachteiligung und ihr Groupie-tum im SDS klagten. Sie zeigten damit die Diskrepanz zwischen den großspurig emanzipatorischen Forderungen der Generation und der praktischen Umsetzung auf. Hans-Jürgen Krahl, der nach dem Attentat auf Dutschke zum Denker und Lenker auserkoren worden war, starb im Februar 1970 bei einem Unfall, und quasi mit ihm der SDS, der es aufgrund seiner Größe nicht mehr schaffte, eine geeinigte Meinung zu repräsentieren, und sich nun in einzelne Teile aufspaltete. Das Ende des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes ist für mich gleichzusetzen mit dem Ende der Studentenbewegung. Rudi Dutschke starb im Jahr 1979 an den Folgen des auf ihn verübten Attentats. Die Bezeichnung „68er-Generation“ rührt daher, dass in diesem Jahr einfach so viel passierte.
Aus dem SDS kamen Mitglieder der später extremistischen RAF, aber auch der Partei Bündnis 90/Die Grünen, die es später zum ersten Mal schafften, noch einen Hauch des „Spirit of 68“ ins Parlament zu bringen.