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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : [G][Story]Killers III ½



Jibril
23.06.2004, 20:17
Archiv von Jibril

Killers I - Im Licht der schlafenden Stadt (http://forum.worldofplayers.de/forum/showthread.php?t=29315)
Killers II - Tanz in den Tod (http://forum.worldofplayers.de/forum/showthread.php?t=29324)
Killers III - 2 x 2 = 8 (http://forum.worldofplayers.de/forum/showthread.php?t=31540)

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Le monde triste (http://forum.worldofplayers.de/forum/showthread.php?t=29579)
Die Kronenburg (http://forum.worldofplayers.de/forum/showthread.php?t=29322) (läuft, Ein Band mit Einschränkungen)
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Tagebuch der Dunkelheit (http://forum.worldofplayers.de/forum/showthread.php?t=30814)

Geplant: "Killers IV" (August 2004, Serie)
Geplant: "Ein ganz normaler Arbeitstag" (Sommer 2004, Ein Band)
Geplant: Eine Liebesgeschichte [Name noch nicht sicher](Herbst-Winter 2004, o.A.)
Geplant: Ein paar Kurzgeschichten (Spontan)

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Jibril
23.06.2004, 20:21
Killers III ½ - Die zweite Geburt

Sonntag, 12. November 2009 - 19.19 Uhr - Beverwijk

Der Tod sieht ihm über die Schulter. Er verkörpert für viele Menschen einen abgrundtief bösen Menschen. Viele Menschen fürchten sich vor ihm. Einige jedoch haben keine Angst. Keine Angst vor irgendetwas. Sie würden es wagen ihn zu töten. Und er selbst? Er sieht sich nicht als Werkzeug des Todes. Und auch nicht als eine seiner Verkörperungen. Er sieht sich als ganz normalen Menschen. Er ist ein Mörder. Auftragskiller. Er tötet Menschen für Geld. Er ist aber nicht der Habgier verfallen. Falschen Stolz besitzt er nicht. Dennoch ist er einer Todsünde erlegen. Die, die man am allerwenigsten erwartete...

Man konnte sagen, gewohnt lässig, oder einfach nur entspannt, lehnte der Mann an einer weißen Wand und sah aus dem direkt daneben liegenden Fenster. Sein Blick lag draußen, doch man hatte das Gefühl, dass er gleichzeitig auch den gesamten Raum überwachte. Zwischen den Zähnen befand sich wieder ein Zahnstocher, allerdings nicht mehr derselbe, der war fertig gekaut, zu wässrig geworden. Es war eine Entspannung auf diesem Zahnstocher zu kauen, beruhigte einem sehr, gleichzeitig stahl es jedoch die Feuchtigkeit aus dem Mund. Man wurde schnell sehr trocken zwischen den Zähnen, wenn man nicht dazwischen etwas trank.

Seine schwarzen Kurzhaare waren auch in den zwei Tagen nicht viel länger geworden, sie schimmerten nach Gel oder Haarschaum, aber das Glänzen war ein natürlicher Effekt. Die Haare musste er von seinem italienischen Vater vererbt bekommen haben, die bleiche Haut wohl mehr von seiner deutschen Mutter. Zumindest war es nicht üblich, dass Italiener so blasse Haut hatten und Deutsche so glänzendes, schwarzes Haar. Allerdings war heutzutage ja eine Menge möglich. Nur seine beiden blonden Strähnen hingen wirr im Gesicht und wirkten dort vollkommen deplaziert, gleichzeitig prägten sie sein Aussehen jedoch massiv.

Das alles beobachtete Noir von ihrem Sessel aus. Vor ihr stand ein Glas Saft, doch sie hatte weniger das Bewusstsein sich zu entspannen. Sie konnte nur beobachten und nichts weiter tun. Auf dem Tisch ganz in ihrer Reichweite lagen zwei Pistolen. Die Waffen von Sphere. Aber sie war sich sicher, sein stiller Partner hatte auch noch eine. Mindestens. Und ob Sphere jetzt wirklich vollkommen waffenlos war, das wagte sie zu bezweifeln. Sie hätte einfach vorpreschen können und versuchen den stillen Mann zu töten, dann in das Zimmer wo Wolf lag und... aber das hätte keinen Sinn. Sphere würde sie nicht überwältigen können. Und Wolf war das letzte Mal, als sie nach ihr gesehen hatte, immer noch bewusstlos, der Steinschlag musste härter gewesen sein, als anfangs angenommen. Eine verdammte Situation für sie.

Sphere und sein Partner kannten die beiden und sie kannten sie jetzt. Doch woher hatte Sphere gewusst, wer sie war? Wo hatte sie einen Fehler gemacht? Sie konnte das alles nicht verstehen. Aber noch mehr beschäftigte sie, wie es jetzt weitergehen sollte. Wie schon gesagt, Sphere und der Eine kannten die Gesichter der beiden Frauen. Selbst, wenn sie sie gehen lassen würden, sie hatten sie ihr ganzes Leben in der Hand. Sie brauchten nur einmal bei der Polizei anrufen und schon waren sie aufgeflogen. Ein Leben lang auf der Flucht. Doch andererseits hatten sie dieselbe Möglichkeit. Eigentlich mussten die beiden Männer sterben, denn ansonsten würde ihr zukünftiges Leben niemals lebenswert werden, immer in ständiger Angst und Sorge vor dem Tag X. Aber wie sollte sie das tun? Wie sollte sie es schaffen sie zu töten und warum sollte sie das tun? Sie waren doch schon verhaftet und standen kurz davor. Einmal auf einer Polizeiwache und es wäre aus gewesen, niemand hätte ihnen mehr helfen können. Und Sphere und sein Partner. Sie waren doch schon weg, sie war sich sicher, dass sie hätten fliehen können. Aber sie hatten sie gerettet. Gerettet vor dem Ende, vor der Polizei und dem Richter. Hatten bei dem Feuergefecht ihr Leben aufs Spiel gesetzt. Wieso verdammt? Noir hatte darauf keine Antwort. Absolut nicht. Wie konnte man so ein Spiegelbild sein?

Erschöpft und am Ende ihrer Kräfte lehnte sie sich zurück und nahm einen Schluck von dem Orangensaftgetränk und schloss die Augen. Sie brauchte nur nach vorne preschen und schießen, aber sie konnte es nicht, sie konnte es einfach nicht...sie konnte es nicht...

Jibril
23.06.2004, 20:27
Sonntag, 12. November 2009 - 19.28 Uhr - Beverwijk

Vorsichtig trat der Mann vom Fenster weg. Er nahm den Zahnstocher aus dem Mund und weil er noch zu gebrauchen war, steckte er ihn in eine Tasche. Danach griff er zu seinem Hemd und zog eine Schachtel mit Zigaretten heraus. Seine Schritte wirkten federleicht und ohne Last, obwohl er ganz normal ging. Keinen schleichenden, hinterhältigen Gang eines Mörders und Auftragkillers. Er hatte die Frau mit dem Pseudonym Noir beobachtet. Natürlich war das nicht ihr richtiger Name, aber Sphere hieß schließlich auch nicht so. Der Mann wirkte immer so unscheinbar, besonders an Spheres Seite fiel der krasse Unterschied zwischen den beiden Männern auf. Aber so war er nun mal. Ruhig und schweigsam. Reden tat er nicht oft, dafür beobachtete er seine Umgebung. Er spürte, wie die Frau verzweifelt darüber nachdachte, wie sie und ihre Freundin wieder aus diesem Schlamassel herauskommen konnten, es war nicht schwer ihre Körpersprache zu deuten. Eine Antwort mochte er nicht für sie suchen, ihr keinen Trost spenden und ihr nicht beistehen oder sie trösten, das einzige was er wollte waren Informationen. Das letzte ausführliche Gespräch hatte er mit fünfzehn gehabt, mit seiner damaligen Freundin, es war das Gespräch ihrer Trennung. Es war ein seltsames Ereignis in seinem Leben gewesen. Danach hatte er einen Tag in seinem Zimmer gesessen und ein Foto von ihr betrachtet. Mitten in der Nacht des nächsten Tages war er mit seinem gesamten Geld und einigen Sachen in einem Schulrucksack abgehauen und seitdem nie wieder zurückgekommen. Das war jetzt 7 Jahre her. Was mit seinen Eltern war und ist weiß er nicht. Es war nicht so, dass er aus einem zerrütteten Elternhaus kam. Seine Mutter und sein Vater waren immer gut zu ihm gewesen. Er war einfach eines Tages nicht mehr da. Den Schmerz seiner Eltern ignorierte er völlig. Kein Brief, kein Anruf, nichts. Es war selbst ein Schock für ihn. Aber es war sein Leben, nur seines. Und das war ab dem Zeitpunkt kaputt.

Jibril
23.06.2004, 20:29
Sonntag, 12. November 2009 - 19.30 Uhr - Beverwijk

"Zigarette?"
Es musste das erste Mal gewesen sein, dass die Frau seine Stimme gehört hatte. Und dann nur mit so einem einzigen Wort, noch ein wenig in Trance. Es war ja nicht so, dass er nicht mehr sprechen konnte, es war nur so, dass er nicht mehr sprechen wollte. Er hatte eine Abneigung gegen seine eigenen Gedanken aufgebaut. Er hasste sie. Nicht SICH. Das durfte man nicht verwechseln, er hasste die Gedanken. Er hatte kurz nach der Trennung so einen perversen Gedanken gehabt. Er hatte vor seine Freundin zu töten. Mit der Anzahl an Messerstichen für jede Stunde, die sie auseinander waren. Als er zu ihrem Haus ging waren das mittlerweile 84 Stunden gewesen. Als er dann noch sah, wie sie mit einem anderen Jungen nach Hause kam, war er bereit noch grausamere Sachen zu tun. Aber damals hatte er gezögert. Er hatte sogar Angst gehabt. Das Messer, das ihren Körper erst 84 Mal durchbohren und dann ihren Kopf abtrennen sollte, das hatte er sich wenige Stunden danach in den Bauch gerammt. Mitten in einer einsamen Straße. Niemand konnte ihm damals helfen und durch die unglückliche Lage hätte es Tage gedauert, bis er verblutet wäre, aber Sphere hatte ihm damals geholfen. Zufall, was sonst. Er kannte den Mann nicht, nie gesehen, doch er hatte ihm geholfen und ihm so das Leben geschenkt. Eine Mutter schenkte auch ein Leben und so war es mit Sphere. Es war ein gewagter Vergleich, aber Sphere war so was wie eine Mutter für ihn. Allerdings nur für diesen Tag. Seitdem hatte er nie mehr dieses Respektgefühl. Er hatte sein eigenes Leben, er lebte nicht für Sphere. Ja...er würde ihn sogar töten, wenn es sein musste. Doch er hoffte, dass es nie so weit kommen würde. Er war... etwas Besonderes für ihn. Dem Mann mit den blonden Strähnen im Gesicht. Er hatte Angst, Angst vor diesen perversen Gedanken. Er hatte zur Anfangszeit seiner "Karriere" als Killer noch weitere Ideen solcher Art, doch umgesetzt wurden sie nie. Jetzt, seit zwei Jahren, war er frei von diesen Gedanken. Er sprach nicht mehr viel und seine Gedanken waren "sauber" geworden, aber seine Angst vor ihnen war geblieben. Die Grenze zum Wahnsinn hatte er nie durchschritten, aber er wackelte auf einem dünnen Pfad und das seid mehr als sieben Jahren schon...

Jibril
23.06.2004, 20:32
Sonntag, 12. November 2009 - 19.30 Uhr - Beverwijk

"Ich rauche nicht."
Sie war schon nicht mal mehr so bestimmend wie sonst. Ihrer Stimme fehlte mittlerweile der Druck. Ihre Hilflosigkeit wurde hemmungslos unterstrichen. Der Mann klappte die Schachtel wieder zu und steckte sie in sein Hemd. Bei einem flüchtigen Blick erkannte sie, dass nur eine Zigarette fehlte. Zufall? Der Mann war geheimnisvoll, vielleicht noch geheimnisvoller als Sphere. Einen Namen hatte sie noch immer nicht gehört. Die Stimme war noch verschwommen. Anstatt ein trotziges "Dann halt nicht", ein gleichgültiges "Hm", ein fragendes "Nicht" oder ein trauriges "Schade" zu hören, drehte sich der Mann einfach wieder um und ging kurz darauf an seinem bisherigen Platz am Fenster. Keinen Ton, kein Wort. Nicht mal eine Gesichtsregung.

Noir war jetzt wieder etwas mehr da. Sie sah den Mann an, wie er da wieder teilnahmslos am Fenster lehnte und aus dem Fenster sah. Gleichzeitig spürte sie Augen an seinem Schulterblatt, die sie still und leise beobachteten. Was war das bloß für ein Gefühl? Noir war eine gute Menschenkennerin, doch an ihm biss sie sich die Zähne aus. Absolut. Der Mann schien da noch hunderte Jahre stehen zu können und sie fühlte sich mittlerweile so hilflos, dass sie wohl auch noch hunderte Jahre hier sitzen würde.
Sie kannte diesen Zug nicht, er passte nicht zu ihr. Noir versuchte aus jeder Situation das Beste zu machen, nie aufgeben und so... Aber jetzt, jetzt war sie nicht mal mutig genug sich die Pistole zu schnappen und es zu riskieren. Was sollte es, vielleicht würde sie dabei sterben, aber wäre eine mögliche Alternative so wahnsinnig besser?
Wie konnte sie den Mann bloß überrumpeln? Sollte sie es vielleicht wirklich tun und sich ihre Ehre nehmen... und dem Kerl ihren Körper anbieten? Vielleicht war sie ja sein Typ... Noir hatte sich nach vorne gelehnt, jetzt sackte sie zurück in die Lehne? Was sollte das bloß gerade, sie würde lieber sterben, als so etwas zu tun. Ihre Gedanken verschwammen, alles wurde wieder löchrig...

Jibril
23.06.2004, 20:38
Sonntag, 12. November 2009 - 20.00 Uhr - Beverwijk

Eine halbe Stunde schwiegen sie sich weiterhin an. Wären sie in irgendeiner Weise liiert und sei es nur als Freunde wegen, wäre das schon sehr seltsam gewesen, aber sie waren nicht liiert. Sie waren Killer. Und in gewisser Weise hatte das jetzt auch eine gewisse Spannung. Die beiden Waffen lagen in der Mitte, jeder hatte ungefähr die Hälfte der Strecke. Aber so würde es nicht laufen...so etwas passierte nur in schlechten Filmen, wo der Böse und der Gute gleichzeitig zogen. Außerdem: Wer sollte hier welchen Part einnehmen? Nein, das war nicht die Realität, die sah gewaltig anders aus.

Während es vor einer halben Stunde noch dämmerte, war es jetzt stockdunkel geworden. Und zwar wirklich dunkel. Dieses Haus hatte zwar einsame, funktionierende Lichtlampen, doch diese wurden nicht angemacht. Der Fremde stand unbeweglich an der Wand und sah hinaus aus dem Fenster, sie saß weiterhin da, wo sie schon die ganze Zeit saß. Niemand ging zum Lichtschalter. Noir konnte den Mann jetzt nur noch schemenhaft sehen, durch die Lichter von draußen, doch auch die wurden immer seltener.

Plötzlich gab es einen gewaltigen Rums, der sicher kilometerweit zu hören war. Ein gewaltiger Donnerknall hallte durch das Gebiet. Nur Sekunden später kamen leisere Ausläufer, dann kam schlagartig der Regen. Es schüttete aus Eimern, man konnte die aufschlagenden Tropfen sehr gut hören. Irgendwo musste ein Fenster offen sein, oder die Scheiben waren sehr dünn. Noir genoss den beruhigenden Ton sehr, das Prasseln beruhigte sie. Obwohl es draußen junge Hunde regnete, wie es so schön im Volksmund hieß, fühlte sie sich für einige Minuten pudelwohl. Doch dieses Gefühl endete schon bald, als sie wieder daran dachte, dass der Regen auch in Verbindung zu gewisser Freiheit stand und diese hatte sie wohl verloren.
Sie hielt es nicht mehr länger aus, plötzlich stand sie schlagartig auf und ging auf das Fenster zu. Sie streifte den Tisch mit den Pistolen, doch sie ließ sich die Gelegenheit entgehen und griff nach keiner Pistole. Es ging ihr nicht mehr darum einen Ausbruch zu probieren, sie wollte kein Blut hier vergießen.
Ein paar Schritte vor dem Fenster blieb sie stehen, ein Lichtschein fiel herein, doch ansonsten war es stockduster in dem Raum, der Mann war nicht mehr zusehen, er schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Noir spürte eine Gänsehaut auf ihren Armen und die Nackenhaare mussten ihr zu Berge stehen, dann aber schlug der Blitz ein, ganz in der Nähe, das Unwetter entlud sich und wurde zu einem richtigen Gewitter, doch als der Blitz einschlug und noch zweimal nachzuckte, da hatte sie den aufleuchtenden Körper des Mannes gesehen. Wie eine Silhouette, er hatte sich keinen Zentimeter bewegt, war nur in der Dunkelheit verschwunden.

Für einen kurzen Moment war sie wieder die alte Noir, die freche, zickige, ehrgeizige Frau. Sie legte allen Respekt vor dem Mann ab und fragte mit harscher, schneller Stimme:

"Was habt ihr mit uns vor, warum sind wir hier?"

Jibril
23.06.2004, 20:42
Sonntag, 12. November 2009 - 20.05 Uhr - Beverwijk

Es herrschte Ruhe in dem Raum. Der Regen fiel beständig, jetzt regelmäßig, ab und zu grollte es noch weit weg, Blitze schlugen unregelmäßig ein. Die Selbstsicherheit von Noir verflog wie ein Vogel, auf einmal zuckte sie zurück, spürte ein leichtes Zittern. Dieser Mann, er war unheimlich, wieso antwortete er nicht. Er stand da, wo sie ihn nicht sehen konnte, keine Gesichtsregung, nichts, absolut gar nichts. Ob er sie sehen konnte und studierte? Ob er ihr immer einen Schritt voraus war?

Der Mann hatte vorhin mit Wohlwollen auf die Absage reagiert. Es war selten, dass er sprach, aber dass er jemand eine Zigarette anbot, das kam so gut wie nie vor. Und jetzt, jetzt wollte die Frau auf einmal doch reden, auch wenn ihre Frage nicht freundlich in seinen Ohren landete. Hören konnte er nämlich ausgezeichnet, er hatte Jahre nur gehört. Er brauchte nicht lange zu überlegen, manchmal verschloss er sich vor Menschen, aber selbst vor Menschen, die er kannte war er still und meistens stumm. Aber diese Frau, Noir, sie gefiel ihm. Ihre ganze Art, sie war eine selbstständige Frau und selbst jetzt gelang es ihr gelegentlich aus ihrer Angst herauszukommen. Er wollte ihr antworten, oh ja, das wollte er, ein Gespräch, nur ein Gespräch...

"Eure Freundin ist ohnmächtig."

Jetzt hatte auch Noir die Stimme gehört, diese junge Männerstimme. Sie klang nicht rau oder schroff, sondern hell und rein. Wie von einem Kind, mit einem Hauch eines Erwachsenen. Noir?sie hegte keinen Abscheu gegen diese Stimme, auch wenn sie von einem Geist kam, sie konnte nur die Richtung orten, aus der sie kam.

"Und...was werdet ihr jetzt mit uns tun? Wollt ihr uns töten?"

Der Mann sog jedes Wort in sich auf, als ob er diese Stimme verschlingen wollte, so lange war es her, dass er eine weibliche Stimme genießen konnte, mehr als ein halbes Jahrzehnt. Er hatte Frauen getötet und flüchtig beim Sprechen gehört, aber nie war er jemandem so Nahe wie jetzt, seit so langer Zeit...

"Nein."

Dieser Mann fröstelte und sie spürte den eisigen Hauch. Er schien nie ein Wort, ja eine Silbe, gar einen Buchstaben zu viel zu benutzen. Aber alleine das er antwortete, gab ihm einen Hauch von Menschlichkeit. Langsam wurde sie selbstsicherer, begann ein winziges Krümmelchen aus dem Kuchen "Angst" abzulegen, abzuknabbern.

"Ihr seid doch Killer. Ihr könnt es euch nicht leisten, dass wir eure Gesichter kennen."
"Ja..."
"Und doch wollt ihr uns nicht töten?"
"Nein..."
"Wieso nicht?"

Sie redeten, wie ganz normale Menschen, als ob sie sich kannten, doch nach der letzten Frage kehrte Ruhe ein und wieder war da dieser Hauch.
Plötzlich kam die Aggressivität des Unwetters zurück, wieder donnerte es, wieder ein Blitzschlag und wieder die wabernde Silhouette. Unheimlich...

"Sphere hat euch gerettet."
"Sphere hat uns gerettet?"
"Ja."
"Das Haus... ihr seid zurückgekehrt und habt die Polizisten erschossen. Ihr habt euer Leben riskiert und eine ausweglose Fluchtsituation für euch erschaffen. Wieso, euer Auftrag war erledigt..."
"Wir waren im Treppenhaus..."
"Und dann?"
"Sphere ist umgekehrt."
"Wieso? WIESO? WIESO hat er uns nicht der Polizei überlassen, wieso seid ihr nicht geflohen?"
"Ihr wolltet festgenommen werden?"
"Was?... N-N-Nein. Nein..."
"Verstehe."
"..."
"..."
"Es ist nicht so, stimmt's? Ihr wollt uns töten, das sollte nur eine Beruhigung sein."
"Er wird euch nicht töten."
"Sphere?"
"Ja."
"Dann wirst du?oh?es tun..."

Jibril
23.06.2004, 20:49
Sonntag, 12. November 2009 - 20.10 Uhr - Beverwijk

Der Mann kam aus der Dunkelheit hervor, sie hörte seine Schritte, seinen Hauch. Er kam näher, näher auf sie zu. Auf einmal sah sie einen Arm im Licht des Fensters, kurz darauf der restliche Körper. Man konnte den Mann jetzt gut erkennen, aber keine Details an ihm ausmachen. Aber sie konnte ihn sehen.

"Ihr habt die Angst verloren, Noir. Ihr habt die Angst verloren."
"Was habe ich?"
"Ihr habt mich geduzt! Warum habt ihr das getan?"
"Ich habe es gemerkt. Ich weiß es nicht."
"Würdet ihr mir erlauben euch auch zu duzen?"
"Was?"
"Würdet ihr mir erlauben euch auch zu duzen?"
"Ich...wenn ihr...du willst."
"Hehehe...siehst du. Jetzt fällt es mir schon viel leichter auf dich zu schießen."
"Was zum..."
"Pssssst."
"Ich werde dich nicht töten."
"Aber warum hast du...?"
"Das gesagt? Ich weiß nicht. Ich bin ein Killer, töte Menschen mit Familie. Du bist ein Killer, tötest Menschen mit Familie. Wir sind beide Sünder. Wieso glaubst du, solltest du mir Vertrauen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir... es versuchen müssen."
"Was müssen?"
"Du wirst mich umbringen."

Noir stockte der Atem, als ob ihr jemand die Luft abdrückte. Hatte er es gewusst? Woher konnte er wissen, dass sie mit dem Gedanken mehr als einmal gespielt hatte? Das Zittern kam zurück, aber der Mann blieb. Jetzt war eine natürliche Grenze überschritten. Sie glaubte nicht mehr an Wunder, sie dachte mehr als jemals zuvor an den eigenen Tod, sonst hätte sie nie diese Frage gestellt.

"Wie... heißt du, mein Henker?"
"Noir, ich..."
"Ja, was ist mit dir?"
"Ich heiße..."
"...Ja, wie... heißt... du?"
"Du verstehst nicht, Noir!"
"Was verstehe ich nicht?"
"Mein Name IST Noir!..."

Ihr Gesicht zersprang in tausend Stücke, draußen kam eine neue Unwetterfront, jetzt donnerte es am laufenden Band, nur noch Donner, Blitze zuckten über den Himmel und der Regen stemmte sich noch einmal auf und peitschte gegen das Fenster.

NOIR

"Sphere nannte mich so. Er hat nie etwas anderes zu mir gesagt. Seit Jahren ist es der Name, mit dem er mich ruft. Noir, die schwarze Blüte, die auf dem Höhepunkt ihrer Blütezeit einging um sich in eine Knospe zurückzuentwickeln. Eine Blüte die nicht starb und nicht lebte. Eine schwarze Knospe, die Tod und Verderben säet. Verstehst du, Noir, du bist es, auf die Sphere gewartet hat."
"W-was, was will...Sphere v-von mir?"
"Er will, dass du das Damoklesschwert über der schwarzen Blüte bist. Er hat es nicht geplant, erst im Haus muss ihm die Idee gekommen sein. Er hat nichts gesagt, aber ich bin mir sicher. Er will eine Entscheidung. Deswegen die Pistolen in deiner Reichweite. Komm Noir, lass uns gehen und Spheres Wunsch erledigen, seine Wünsche werden nicht ignoriert."

Der Mann wies sie an zu gehen und das tat sie, sie gingen am Tisch vorbei, wo sich der männliche Teil des schwarzen Namens die beiden Pistolen nahm und weiter ging. Sie gingen zur Tür, ohne Jacken oder andere schützende Kleidung gingen sie hinaus in den Regen, sofort wurden sie nass, bald klebte die Kleidung an ihrer Haut. Noir führte die Frau zu dem Hügel, der hinter dem Haus lag und verharrte still. Sie war wie in Trance mitgegangen, hatte diesen Schock nicht überwunden. Der Schatten des jungen Mannes, dieses schweigsame Phantom, er hieß Noir. Sie wusste, dass es die Wahrheit war. Wahrheit war subjektiv, aber er log nicht, als er sagte, dass in Sphere schon ewig so nannte. Dazu war er gar nicht in der Lage. Und er? Noir war zufrieden, es war das längste Gespräch seit sieben Jahren, ein Fortschritt, den kein Mensch nachvollziehen konnte. Er hatte endlich die Person gefunden, nach der er all die Jahre gesucht hatte. Unbewusst. Es ging nicht um diese Frau im Speziellen, sondern nur um die Aura im Besonderen. Er war froh, dass es nun endlich einen Ansatz zum Ende geben würde, er würde endlich verstehen was er war...

Jibril
23.06.2004, 20:53
Sonntag, 12. November 2009 - 20.11 Uhr - Beverwijk

"Ah, Noir ist gegangen. Er hat endlich gefunden, was er suchte. Noir, mein Junge, du bist nun sieben Jahre mit mir zusammen gereist. Du hast einige Menschen getötet und von mir das Handwerk eines Killers gelernt, du hast dich gegen das Gesetz, gegen Gott und gegen die Moral gestellt, nur um das zu finden, was du suchst. Ich habe nie verstanden, wer du wirklich bist und was dir widerfahren ist, aber ich wünsche dir, dass du in ihr deine Antworten findest. Und auch wenn du dabei sterben solltest, du wirst unvergessen in mir bleiben. Auch wenn du nie viel geredet hast und auch niemals gezögert hättest mich zu töten, ich habe dich doch immer wie einen eigenen Sohn behandelt. Und nun wünsche ich dir viel Glück, ob wir uns wieder sehen hängt jetzt nicht mehr von mir ab. Und auch wenn du es nicht hören willst, du alter Penner da oben. Sei mit ihm, sei mit Noir."

Die Gedanken von Sphere gingen kurzzeitig zu seinem Schützling, dann aber ließ er sie abrupt abbrechen, als ein Blitzschlag erneut in der Nähe einschlug und durch das kleine Fenster reinschimmerte. Sphere saß auf einem Stuhl in einem anderen Zimmer des kleinen Hauses, ein Bett war da und in diesem Bett lag Wolf. Sie war seit dem Steinschlag vor dem Haus nicht mehr erwacht, doch ihr Puls war regelmäßig und ihr Atem auch, sie konnte also nicht tot sein. Sphere hatte seit ihrer Ankunft in dieser Unterkunft nichts anderes getan als an dem Bett der jungen Frau zu sitzen. Anfangs hatte sich Noir dagegen gesträubt, doch mit einigen harschen Worten hatte er sie weggeschickt. Sie musste gedacht haben, dass er schießen würde, aber andererseits wollte sie ihre hilflose Partnerin nicht bei ihm, bei einem kalten Killer lassen. Das hätte er genauso getan.

Aber Sphere war kein kalter Killer, durchaus nicht. Zwar war ihm seine unterkühlte Art und Weise nur Recht, aber dennoch hatte er ein großes Herz. Zwar hatte er dieses seit sieben Jahren, seit er Noir gefunden hatte, nicht mehr gezeigt, aber auch der dickste Eispanzer kann brechen. Es war seltsam. Sieben Jahre lang lebte er unter diesem, bis er an jenem Tage, vorgestern, erwacht war. Es war keine vollkommene Schmelze, nur ein klitzekleiner Knacks, aber dieser hatte ausgereicht um die Frauen zu retten, ihnen bei der Flucht zu helfen und sie nicht zu erschießen. Unvorstellbar. Sphere hatte die letzten sieben Jahre jeden eiskalt getötet, der die Identität der Killer kannte. Aber einerseits hatte er Noirs Verlangen nach der gleichnamigen Frau gespürt, aber andererseits auch selbst so eine Art von Gefühl entwickelt. Ein Gefühl, dass er niemals glaubte zu besitzen. Als er die junge Frau gemustert hatte, in ihre Augen starrte wie ein gieriger Wolf, da hatte er gesehen, was wahrer Schmerz durch Frost bedeutete. Dieses Mädchen, es war so kaltherzig, dass sie ohne mit der Wimper zu zucken abgedrückt hätte, nichts an ihm hatte sie beeindruckt. Und dazu kam noch ihr Aussehen, das er noch nie an anderen Frauen gesehen hatte. Diese tödliche Kombination hatte in ihm Interesse geweckt. Noch wusste er nicht, was es war, aber er hatte für sich entschieden dem Mädchen eine Chance zu geben. Er wollte ihr eine Chance zum Leben geben. Er war bereit sie trotz ihres Wissens am Leben zulassen und er ging sogar noch weiter, er wollte sie näher kennen lernen.
Das war nicht mehr der Sphere, den die Szene kannte oder glaubte zu kennen. Es war immer noch ein eiskalter Mensch, aber man konnte Konturen von Menschlichkeit entdecken, Konturen eines Toten und unter der bröckelnden Eisschicht kam das Gesicht einer blassen Leiche zum Vorschein, eine Leiche, deren Zerfall nur bis zum Hals ging und dann durch ein warmes Herz gestoppt wurde.

Sphere...

Jibril
23.06.2004, 20:57
Sonntag, 12. November 2009 - 20.15 Uhr - Beverwijk

Noir stand dem Mann mit demselben Namen gegenüber, sie waren jetzt ganz nah beieinander, er sah nach Süden und sie nach Norden, ihre Köpfe nur Zentimeter voneinander getrennt. Es war eine seltsame Situation, selten war ihr ein Mann so nahe gewesen und dann auch noch in dieser Situation. Sie hatte vor wenigen Minuten noch mit ihm geredet und jetzt standen sie hier. So etwas taten keine normalen Menschen. Sie gingen nicht einfach hinaus, bei strömenden Regen und Blitz und Donner, mit Waffen in der Hand. Die Kälte war jetzt auch körperlich zu spüren, doch auch der Mann war kälter als noch bei seinem Gespräch. Wieso nur war sie hier, was machte sie hier, warum war das Schicksal so seltsam unberechenbar.

Doch in Noirs Augen vollzog sich ein Wandel. Der junge Mann drückte ihr eine Pistole mit dem Lauf zu sich in die ausgestreckte Handfläche. Intuitiv hatte sie das gemacht. Jetzt umklammerten ihre Finger den Griff der Waffe und sie lag wunderbar in der Hand. Ihre Augen schlossen sich und sie spürte die Kraft, die ihr diese Waffe zurückgab. Ein Blitz schlug nur Zentimeter neben ihnen ein, jetzt war auch die Natur außer Kontrolle, als ob der junge Mann und die etwas ältere Frau es provoziert hätten. Als sie die Augen wieder aufschlug war der Schleier der Trance verschwunden, stattdessen waren die Augen klar, aber sehr unbeweglich. Sie hatten nicht vor noch einmal zu zittern. Jegliche Angst war verschwunden, die alte Noir war zurück, die selbstständige Frau war zurück, das, was sie immer ausgezeichnet hatte. Noir...

"Fünf Schritte gehen wir in unsere Blickrichtung."

Und so geschah es auch, sowohl der männliche, als auch der weibliche Teil des ominösen Namens gingen fünf normale Schritte nach Süden, bzw. Norden. Dann drehten sie sich fast instinktiv gleichzeitig um, so dass sie sich anschauen konnten.

Für den Mann war es eine Erfüllung, er hatte sieben Jahre darauf gewartet, auf diesen einen Tag, auf diese eine Frau mit der Aura. Er war bereit alles zu geben, auch seinen Tod hatte er hierfür eingeplant. Es war alles bereit, Sphere wusste Bescheid, er ahnte zumindest etwas. Und für Noir... sie hatte es akzeptiert. Sie sah es nicht als Wettstreit um Leben und Tod an, sie rechnete auch nicht mit einem Spiel um ihr Leben, nein, sie hatte von der uralten Bestimmung gehört. Es war eine lange Geschichte, für die man weit zurückblättern musste.
Aber damals, als sie in die Szene der Auftragskiller einstieg, da wählte sie den Namen "Noir" nicht aus einer Laune heraus, oder weil es gut klang, sondern weil Noir der Name einer alten Generation von Auftragskillern war. Einer Generation, die sie angehörte. Es war ihr sozusagen in die Wiege gelegt. Und deswegen war der Schock auch so groß über den Ausspruch des Mannes, er sei Noir.

"Hast du deine Waffe?"
"Ja!"
"Wir zählen bis drei, dann schießen wir."
"Ein Schuss..."
"...bringt die Wahrheit."
"...bringt die Wahrheit."

Die Frau erhob ihre Pistole und zielte auf das Herz des Mannes, der dort, nicht weit entfernt von ihr stand. Der Arm war schwer, der Regen ließ die Kleidung Zentner wiegen, die Pistole war dennoch fest im Handgelenk und würde sein Herz durchlöchern.

Der Mann erhob seine Pistole und zielte auf das Herz der Frau, die dort, nicht weit entfernt von ihm stand. Der Arm war schwer, der Regen ließ die Kleidung Zentner wiegen, die Pistole war dennoch fest im Handgelenk und würde ihr Herz durchlöchern.

"Eins..."

Die Frau legte an, hatte den Finger am Abzug, doch auf einmal überkam ihr ein Schauer, ein Bild, ein Bild aus ihrer Jugend. Sie stand vor einem großen Bild in einem großen Saal. Ein riesiger Kamin brannte und ein kleines Mädchen starrte auf ein Bild. Da war ein Mann mit schwarzem Anzug und Monokel, eine Frau im weiten Kleid mit langen Haaren und ein kleines Mädchen mit blonden Haaren. Doch dann war da noch jemand... gewesen. Ein riesiger, weißer Fleck war neben dem Mädchen, sehr gut übermalt, perfekte Kunst, aber was war an diesem weißen Fleck einmal gewesen?

"Zwei..."

Der Mann atmete tief ein und aus, sein Blick war kalt und seine Waffe ruhig. Er wusste nicht, wie er Antworten bekommen sollte, doch er rechnete damit, dass ihm erst der Tod dieser Frau weiterbrachte. Doch kurz nach dem zweiten Anzählen schüttelte sich sein linkes Bein, der Frost huschte durch die Brust und verteilte sich in den ausgestreckten, linken Arm. Er begann zu zittern, so sehr, dass seine Kontrahentin es klappern hören musste, seine Hand ließ sich nicht stoppen, er zitterte am ganzen Körper und verriss den Lauf, gleichzeitig sah er ein Bild vor seinen Augen...
Ein älterer Herr in einem schwarzen Anzug war da, es war dunkel, wahrscheinlich des Nachts. Er hörte die Stimmen von ihnen und dann sah er da das Bild seines Vaters. Es wurde Geld überreicht, er hörte jemanden weinen, eine Frauenstimme? Sicher, irgendetwas, er keuchte, plötzlich sah er das alte Auto seiner Eltern und seine Mutter am Steuer, er sah seinen Vater mit ihm zum Auto gehen, alles wirkte verschwommen und tapsig, die weinende Frauenstimme wurde leiser, nur eine flüsternde Stimme riss ihn heraus, NOIR...

"Drei!..."

Zwei Schüsse lösten sich, der männliche Teil der Noir hatte aufgehört zu zittern, sein Arm war wieder wie immer, flexibel und doch gnadenlos genau, der Schuss traf sein Ziel.
Der weibliche Teil der Noir hatte ebenfalls den Abzug getroffen, auch die Kugel aus ihrer Waffe traf das Ziel ohne Gnade.

Doch es waren nicht die Herzen, auf die die Pistolenläufe gezielt hatten...

Jibril
23.06.2004, 21:02
Sonntag, 12. November 2009 - 20.20 Uhr - Beverwijk

Die Kugel des Mannes war an ihr vorbeigehuscht, der Lärm hatte in ihrem Trommelfell beinahe Brachialschaden angerichtet, eine ganze Haarsträhne riss es ab, sie flog durch die Luft und landete erst nach ihr. Die Kugel hatte Zentimeter ihren Kopf verfehlt.
Doch bei ihm war es nicht anders. Die Kugel traf die äußerste Stelle seines Zahnstochers, hatte dann wirklich ganz knapp an der linken Wange eine reißende Fleischwunde hinterlassen und war dann Zentimeter am Ohr abgetaucht.

Kurz nach dem Schuss hatte der Regen das Blut verteilt, ihre Körper sackten nach vorne und fielen in den Schlamm. Ohne Stütze knallten sie in den Erdmatsch, als ob sie tödliche Treffer einstecken mussten, doch keiner hatte den anderen töten wollen.

Noir lag nur am Boden, sie starrte in den Schlamm und spürte ein Gefühl der Zufriedenheit, er hatte nicht gelogen, er hatte sie nicht töten wollen.
Und was machte der junge Mann? Er lispelte leise ein Wort, ein Wort, dass er seit nun mehr fünfzehn Jahren in seinem Wortschatz suchte. Der Zweiundzwanzigjährige. "Schwester..."

Nach fünf Minuten Schock nahm er sich den Mut und robbte im Schlamm und unter tosendem Regen zu dem regungslosen Körper gegenüber. Einen Meter davor blieb er stehen, jetzt hatten ihre Körper nichts mehr von dem Stolz oder der Differenz, die ansonsten auf ihnen lag. Vollkommen aufgelöst und fast nicht mehr als Mensch erkennbar. Der Schlamm war wirklich gnadenlos, doch selbst er konnte sie nicht aufhalten, er störte nicht mal.

"Bist, bist du meine Schwester? Noir...?"

Er reichte ihr eine Hand, doch er erreichte sie nicht, stattdessen wurde der Regen immer schlimmer und kettete ihn an den Boden, wo wenigstens die oberen Teile vom Schlamm gereinigt wurden.

Die Frau blinzelte ein wenig, sie hätte ihn vor fünfzehn Minuten für verrückt erklärt, jetzt lächelte sie nur milde in den Schlamm und streckte auch ihre Hand aus, ohne zu sehen, was mit dem Mann war. Die beiden Hände trafen sich im Schlamm und unterschiedlichste Finger berührten einander und umschlossen sich. Ein letzter Blitz zuckte noch einmal, dann, urplötzlich wurde der Regen weniger, kurze Zeit später versiegte er ganz. Aber das Gefühl blieb und trotzdem war es voller Trauer und seelischem Schmerz verbunden.

"Pssst. Du brauchst nicht mehr zu sprechen, es wird alles wieder gut werden."
"Ich wusste es... ich wusste es..."
"Was wusstest du?"
"Ich wusste, dass es da etwas gab. Ein kleines Mädchen, das an jenem Tage im Bettchen lag und schlief. Ein Mädchen mit einem braunen Teddybären und einer Kette aus Plastiksteinen."
"Die Kette...die hab ich heute noch. Die hast du mir mal geschenkt."
"Das ist es also, das ist ein Wunder."

Jibril
23.06.2004, 21:06
Sonntag, 12. November 2009 - 20.27 Uhr - Beverwijk

Sphere stand am Fenster und beobachtete das Gewitter, wie es immer schwächer wurde. Doch auf einmal hörte er ein hustendes Geräusch. Sollte es etwa bedeuten... rasch drehte er sich um und ja, tatsächlich, das Mädchen war wieder aufgewacht, es hustete etwas, doch es lebte. Endlich war diese Ohnmacht vorbei, er hatte gewusst, dass es unmöglich sein konnte, dass sie im Koma lag. Der Steinaufschlag musste heftig gewesen sein, doch das Mädchen, dass er nicht kannte, es musste einen ganz schönen Dickschädel haben. Sphere... er zögerte. Er wollte ihr zuerst helfen, doch dann zog er seine Hand zurück. Nein... er wollte sie nicht berühren, es durfte nicht sein.
Er drehte sich rasch um und noch während die junge Frau die Augen aufmachte, machte er sich auf zur Tür zu kommen, doch dann hörte er sie, ihre Stimme...

"Wo...wo bin ich? Noir? Bist du das?"

Er schloss die Tür wieder, leise fiel sie ins Schloss zurück und er drehte sich um. Die schwarzen, mittellangen Haare fielen eben und schön herunter und auch hier hatte er noch das schwarze, transparente Tuch vorm Gesicht, das mit den schönen Stickereien, das mehr vermuten ließ, als Antworten zu geben. Mit kalten Augen blickte er auf das Mädchen, sie war Schuld an all dem. Dieses Mädchen, sie war Schuld an seinem inneren Chaos.

Wolf sah die Figur erst verschwommen, doch dann rieb sie sich die Augen und erkannte den Mann. "Sphere!"

Sie begann zu zittern und zog sich die Bettdecke vor das Gesicht, so dass nur noch die Augen rausschauen konnten, doch das half nicht gegen diese Augen. Sphere. Wolf erkannte sie wieder. Die lang gezogenen Augen, die tief liegenden, korallenblauen Pupillen und die schwarzen, dünnen Augenbrauen. Das waren die Augen des Mannes. Und dieser Hauch des Todes der ihn umgab. Sie spürte es wieder.

Erst jetzt realisierte sie, dass sie in einem Bett lag, von einer Waffe war nirgends eine Spur. Was hatte er vor, hatte er sie?...
Nein, sie spürte nichts, es war alles in Ordnung. Für einen Moment dachte sie, dass sie vergewaltigt worden wäre, aber dann erinnerte sie sich wieder an den Stein, danach war alles weg, bis jetzt. Aber wo war sie hier und wo war Noir? Was war geschehen. War das hier ein Traum?
Ihre Augen waren voller Schreck, sie hatte keine Angst, keine Furcht, nie gehabt. Aber dieser Mann, er wirkte wie ein lebender Toter. Wie ein auferstandener Gott, der seit Urzeiten tot sein musste. Sie konnte nicht sprechen, nicht denken, kaum atmen, nur sehen, nur auf diesen Mann sehen...Sphere...

Jibril
23.06.2004, 21:09
Sonntag, 12. November 2009 - 20.27 Uhr - Beverwijk

Sphere sah das Mädchen lange Zeit an. Er hatte so etwas noch nie gesehen. Und dann dieses innere Beben. Was löste es nur aus? Er wirkte äußerlich ruhig, doch sein Herz schlug schneller als sonst, sein Puls raste gar. Sie schwiegen, beide. Keiner sagte auch nur einen Ton, draußen hatte es aufgehört zu regnen. Dann aber geschah es, wie aus dem Nichts schlug noch ein Blitz ein, ohne Donner, ohne neuen Regen, ein einzelner Blitz, wenige Meter vor dem Fenster schlug er ein. Sein Körper wurde kurzzeitig erhellt und der Schatten des Mädchens warf stille Bahnen.
Nachdem Einschlag veränderte sich etwas. Irgendwie hatte Sphere diesen Einschlag gebraucht, ein Signal, ein Zeichen. Plötzlich brach eine weitere Hülle des dicken Panzers und die Schärfe seiner Augen verringerte sich. Sie wurden ein wenig milder, sie musste das einfach sehen. Er riskierte es, er hatte es so gewollt. Nur durch dieses Gefühl hatte er überhaupt die Frauen gerettet und sich diesen ganzen Müll aufgeladen, er konnte jetzt nicht einfach alles so sein lassen, die beiden töten und alles vergessen, er konnte nicht. Er war immer noch ein Mensch?und wenn es nur sein Herz war.
Vorsichtig kam er einen Schritt nach dem anderen näher und bei jedem Schritt wich das Mädchen ein bisschen zurück, bis sie irgendwann nicht mehr weiter weg konnte.
Er setzte sich auf die äußere Bettkante und drehte den Rücken zu ihr. Er wusste, dass sie unbewaffnet war, aber es wäre immer noch eine tödliche Gefahr einem Killer den Rücken zuzudrehen...

"Sie wollen mich töten nicht wahr? Wieso haben sie es nicht längst getan, sie hatten schon oft die Gelegenheit dazu, macht es ihnen Spaß mich zu quälen? Soll ich für mein Leben betteln? Sind sie so einer, so ein Sadistenschwein? Oder wollen sie...,dass ich sie verwöhne? Das ich mit ihnen schlafe und sie ihren Spaß haben? Ist es das? Warum haben sie nicht einfach abgedrückt? Wieso?"

Spheres Körper bebte leicht, der Rücken musste das Kichern wiedergeben, ein leises Kichern, unscheinbar. Sphere hatte noch nie gelacht, es war so lange her, er konnte sich nicht daran erinnern, aber keine Antwort...

"Nun reden sie schon, wieso schweigen sie immer? Das ist es doch oder? Damit machen sie ihre Opfer wahnsinnig."

Und dann war es soweit, wahrhaftig und wirklich. Sphere, der "Lebenskreis", er sprach zu Wolf, er sprach...

"Pssst. Ihr braucht keine Angst haben...
Ihr seid in Sicherheit, wir haben euch und eure Freundin aus Amsterdam gebracht. Niemand wird euch hier etwas tun, dass verspreche ich euch. Und ich habe noch nie ein Versprechen gebrochen. Eure Anschuldigungen amüsierten mich. Ich würde so etwas nie tun. Ich bin ein eiskalter Racheengel, ich töte und mache dabei keinen Unterschied, aber in dem Moment wo ich einen Menschen vergewaltigen würde, würde ich mir wünschen zu sterben. Ich bedauere es zutiefst, dass wir uns unter diesen Umständen kennen lernen mussten. Ihr seid eine tödliche Killerin und ich auch. Aber ich kenne nicht mal euer Pseudonym, geschweige denn euren richtigen Namen. Niemand scheint etwas über euch zu wissen. Vorgestern, im Hochhaus, ich hab es gespürt. Ihr hättet ohne Gnade abgedrückt, ihr hättet nicht gezögert. Ich schätze das sehr."

Jibril
23.06.2004, 21:11
Sonntag, 12. November 2009 - 20.30 Uhr - Beverwijk

Was war das für ein Gefühl gewesen, was hatte er da gesagt? Wolf sah in seinen Rücken, sein Gesicht konnte sie nicht mehr sehen. Endlich waren diese Augen von ihr abgewandt und seine Worte?sie hätte dies nicht erwartet. Vorsichtig ließ sie die Decke von ihrem Gesicht gleiten, bis sie nur noch auf ihrem Schoss lag und sich die Finger darin verkniffen. Sie saß jetzt ganz ruhig auf dem Bett, mit offenen Haaren und unberührtem Gesicht, starrte nur noch mild auf den Rücken, bzw. auf den Mann namens Sphere.
Seine Worte waren nicht das, was sie erwartet hatte. Eigentlich das krasse Gegenteil sogar. Aber ob sie auch der Wahrheit entsprachen, konnte sie wirklich einem Killer vertrauen? Wolf war nicht mehr angespannt, sie hatte mit ihrem Tod gerechnet und tat es noch immer. Sie wären gestorben, hätte sie die Polizei geschnappt und dasselbe drohte auch bei zwei Killern. Sie konnten es sich einfach nicht leisten sie laufen zu lassen. Ihre Stimme klang jetzt anders. Nach dem ersten Schock wieder fähig zu sprechen, war sie nicht mehr so intensiv und aggressiv wie noch zuvor, hatte aber auch die Angst und das Zittern verloren. Sie war absolut rein und neutral, ohne Empfindungen für sich selbst.

"Was ist geschehen, seid wir beim Auto waren, ich kann mich an nichts mehr erinnern?"

Wieder ein Schweigen, doch es war kein kaltes Schweigen mehr, mehr ein andächtiges, beruhigendes Schweigen. Wie erwartet kam dann auch eine Antwort zurück, langsam verstand sie das System.

"Das Haus wurde von uns gesprengt. Ihr habt einen Stein in den Nacken abbekommen und seid ohnmächtig geworden. Wir konnten dann in dem Fluchtwagen die Absperrung umfahren, haben das Auto in einer Seitengasse geparkt, die Sachen geschnappt und sind dann mit einem anderen Auto hierher gefahren. Hier wird uns niemand finden, eine einsame Hütte in einem kleinen Waldgebiet."

Wieder durchbrach nichts die einsame Stille, bis Sphere plötzlich aufstand und wieder zur Tür ging. Dieses Mal zögerte er jedoch nicht und durchschritt den Türbogen auch, ehe er sie wieder hinter sich schloss. Doch Wolf hörte keinen Riegel, oder das Umdrehen eines Schlüssels. Außerdem waren hier Fenster. Sie hätte einfach gehen können, oder war das eine Falle?
Vorsichtig ließ sie sich zurück auf das Kopfkissen fallen und starrte hoch zur Zimmerdecke. Das konnte einfach nicht wahr sein, etwas stimmte nicht. Sie verstand den Tod nicht mehr. Sie war jahrelang davon überzeugt, dass er sie irgendwann für das was sie tat bestrafen würde oder zumindest zuschlug, aber jetzt. Wieso sollte ihr dieses Glück vergönnt sein? Erst die Polizei zu überleben und dann auch noch diesem Alptraum? Was geschah hier in diesem Haus...
Wolf sah die Bilder vor ihrer Ohnmacht, wie die Polizisten im Sturmfeuer auf die Bretter fielen und vor ihren Augen starben, wo wie im Krieg die Kugeln umherzischten und Körper zerfetzten und doch blieb sie dabei am Leben. Sie hatten sie befreit und gerettet und dann kurz darauf noch einmal. Und dann sah sie wieder das Bild des Mannes, der da im Hochhaus andächtig an ihr vorbei schritt, wo ihre Finger zitterten und ein Herzschlag nicht weit weg war. Und dann sah sie wieder das Bild, wie die verschwommene Kreatur menschliche Konturen annahm, aber nicht Noir war, sondern Sphere.

Jibril
23.06.2004, 21:15
Sonntag, 12. November 2009 - 20.40 Uhr - Beverwijk

Wolf sah sich in ihrem Zimmer um, nach dem Gewitter war eine gute Luft hier, der pralle Mond spendete unglaublich schönes Licht, kein Strom, keine Kerzen brannten hier. Sie sah alles nur im schönen, lila Mondlicht. Und dann sah sie auch das Messer, welches auf dem Nachttisch vor ihr lag. Ein unscheinbares Messer, welches aussah wie eine abgelegte Uhr. Ungläubig nahm sie es und sah es sich an. Der Griff unscheinbar, die Klinge im Mondlicht schaurig schön. Ein Messer in unmittelbarer Nähe. Eine Waffe?
Ausdruckslos und tot war ihre Miene, als sie die Klinge ansah und vorsichtig mit dem Griff in der Hand balancierte.
Plötzlich kam Sphere zurück, die Tür öffnete sich beinahe lautlos, sie sah zu ihm und sah ein Tablett mit ein wenig Essen und einem dampfenden Teekessel, Sphere sah nur das Messer in ihrer Hand, wirkte aber nicht beeindruckt oder so, als ob er um sein Leben fürchtete, wenn dies überhaupt möglich war.

Vorsichtig und so unendlich langsam ging sie mit der Klinge auf ihre Pulsschlagader zu, ohne Gegenwehr presste sie die Klinge in die Haut, bis plötzlich wieder diese Stimme in ihrem Kopf auftauchte.

"Wartet noch kurz. Ich möchte euch einen Deal vorschlagen."
"Einen Deal?"
"Wenn es das ist, was ihr wollt, dann tötet mich zuerst."
"Sphere... töten?"
"Ja... genau das. Zur Belohnung werde ich euch euren Wunsch erfüllen."
"...j-j-ja..."

Vorsichtig setzte der Mann das Tablett auf dem Boden ab und ging einmal um das Bett, bis er auf der anderen Seite war. Vor den Augen von Wolf löste er die Knöpfe des Hemdes und warf es in eine Ecke, bis er nur noch den Oberkörper frei hatte. Dann legte er sich vorsichtig auf das Bett und sah auch zur Decke, er war vollkommen entspannt und hatte keine Angst.

"Durchbohrt das Herz, das ist die Bedingung!"

Wolf sah ihn an, wie er dalag und federleicht atmete. Die ganze Zeit über hatte sie zugedrückt, aber es nicht vollendet. Jetzt erst zog sie die Klinge zurück, ein blutendes Rinnsal blieb übrig und färbte die weiße Bettwäsche ein.
Ihre Hand schwenkte herum und ihr Oberkörper beugte sich über den Körper des Mannes, vorsichtig setzte sie das Messer auf seiner linken Brusthälfte an, das Blut ihres angeschnittenen Arms tropfte jetzt auf seine Brust und färbte diese immer mehr rot. Sie zögerte erneut, schaffte es nicht die Tat zu vollbringen...

"Wenn ihr nicht der Tod seid, wer seid ihr dann?"
"Ich war auf der Suche."
"Und habt ihr gefunden, was ihr gesucht habt?"
"Ich denke schon."
"Und seid ihr glücklich mit eurem Fund?"
"Oh ja, sehr. Ich habe mir nichts Schöneres gewünscht."

Wolf umschloss das Messer fester und presste es auf Brustkorb, doch ihr Druck war zu gering, plötzlich begannen ihre Muskeln ganz schwammig zu werden, als ob sie sich auflösen wollten, ihre Fingerkuppen zitterten und mit ihnen auch das Messer, immer unruhiger kratzte es auf der Stelle einher.

"Warum? Warum geschieht das alles?"
"Hattet ihr denn jemals an etwas anderes gedacht. An ein normales Leben. Ihr müsst mich töten, ihr habt keine andere Wahl. Ich bin der einzige, der eure Existenz kennt. Ihr müsst es tun. Tötet mich, durchbohrt mein Herz!"
"N-N-NEEIN...nein...neeii-ein. Ich kann es nicht, ich kann euch nicht töten. Vergebt mir, ich kann es nicht."

Auf einmal versiegte der gesamte Druck und sie ließ den Griff des Messers los, mit einem dumpfen Geräusch landete es auf dem restlichen Teil der Brust und gleichzeitig lagen ihre Hände darauf. Maria ließ sich vollkommen fallen, ließ ihr Leben los, ihre ganze Existenz ließ sie vernichten. Ihr Kopf schlug in die Magengegend von Sphere und blieb dort regungslos liegen, es war vorbei...für immer.

Jibril
23.06.2004, 21:18
Sonntag, 12. November 2009 - 20.52 Uhr - Beverwijk

Heftig war der Aufprall ja schon gewesen, aber er hatte nicht mal gezuckt. Jetzt lag sie da, noch immer am Leben und doch irgendwie gestorben. Sie hatte es nicht geschafft ihn zu töten und er war darüber sehr glücklich, auch wenn ihm der Tod nichts ausgemacht hätte.
Seine Augen hatten die Kälte verloren und auch sonst hatte dieses Mädchen keine Angst mehr gehabt, am Ende hatte er das bekommen, was er sich immer gewünscht hatte. Er hätte sich selber auf die Schulter klopfen können, als er die Entscheidung traf die beiden zu retten, aber er begnügte sich mit einem kurzen Nicken. Dieses Mal wollte er dankbar sein und nicht wieder fortgehen, es war vorbei, auch für ihn.

In aller Seelenruhe fuhren seine Hände in den Nacken und lösten dort einen stilvollen Knoten und dann öffnete sich der Schleier wieder. Nach mehr als fünf Monaten das erste Mal, seit über zehn Jahren, dass er es in der Nähe von Menschen tat. Als er ihn das letzte Mal gelöst hatte, da stand er auf einer Klippe in der Nähe von Marokko, damals wollte er springen, stattdessen hatte er die Hoffnung noch einmal von vorne gelebt.

Wie ein tonnenschwerer Stein fiel der schwarze Schleier auf den Boden und nun endlich war sein Gesicht wieder frei von allen Schatten, das Versteckspiel hatte ein Ende. Zaghaft berührten seine Finger den Nacken des Mädchens und streichelten diesen sanft und ohne Druck. Sein Blick ging zum Fenster, wo der Mond hinein schien und so die einzige Lichtquelle für sie war. Es war vorbei. Alles war vorbei. Alles...

"Es ist vorbei. Der Leidensweg endet hier...
Früher hatte ich immer große Angst und Furcht in meinem Leben. Aber dann ging sie mit einem Mal weg, an dem Tag, als ich meine Schwester sterben sah. Das ist jetzt elf Jahre her. Mein ganzes Leben bestand nur aus dem Töten von Menschen. Moral und Skrupel hatte ich dabei nie. Ich wurde zu einem der besten Killer der Welt, da ich keine Fragen stellte und alle Jobs ausführte. Doch für mich blieb dafür nur der Zerfall. Es gibt keine Tage, an denen ich lachte, keine Tage an denen die Sonne schien. Es gab keine Freude und keinen Glauben mehr. Aber ich denke, das ist jetzt vorbei.
Und egal wie deine Entscheidung ausfällt. Ich werde alles dafür tun. Das ist das Mindeste, was ich für dich tun kann, unbekanntes Mädchen."

Und dann kehrte wieder Ruhe in den Raum. Sphere streichelte weiterhin ihren Nacken und manchmal fuhr er auch über eine ihrer Hände, doch er schwieg von nun an ohne einen weiteren Ton zu sagen. Und Maria, sie harrte aus, war wie gelähmt und wusste nicht mehr, wie es weiterging, sie blieb einfach nur liegen und sah in die schwarze Wand vor ihr...

Jibril
23.06.2004, 21:20
Sonntag, 12. November 2009 - 21.22 Uhr - Beverwijk

Ruhig und leise öffnete sich die Türe, die zu dem kleinen Haus führte. Herein traten zwei sehr seltsam aussehende Gestalten, aber sie ähnelten noch entfernt an Menschen. Es waren die Noirgeschwister, denen man ihren unfreiwilligen Ausflug in den nassen Schlamm schon ansehen konnte. Sie hielten sich an den Händen, fast so als ob sie nicht mehr loslassen wollten. In dem Haus war es totenstill, man konnte wirklich gar nichts mehr hören. Als ob sie alleine gewesen wären, so kam es ihnen jetzt vor. Aber Noir wusste, dass Sphere noch hier war, er würde niemals ohne seinen Umhang gehen, es war ein besonderes Stück, mit zahlreichen Taschen und nützlichen Utensilien.

Aber das war ihm jetzt egal und seiner Schwester sicherlich auch. Gemeinsam gingen sie in das kleine Bad des Hauses, das mehr eine Hütte war, um sich den Schlamm vom Körper zu waschen und wieder einigermaßen auszusehen. Jetzt wo sie wussten, wer sie waren, hatten sie kein Problem mehr damit.

Jibril
23.06.2004, 21:24
Montag, 13. November 2009 - 7.00 Uhr - Beverwijk

Der Wecker klingelte die Geschwister aus dem provisorischen Bett, der Couch. Schnell war das nervtötende Monster aus und ihre müden Knochen mit etwas Wasser und Kaffee wieder munter. Aber sie mussten jetzt gehen, es fiel nicht leicht einfach alles aufzugeben, was man jahrelang aufgebaut hatte, aber es war ja kein Abschied für immer. Noir, wie weibliche, hatte jahrelang mit ihrer Partnerin gearbeitet und auch wenn ihr Verhältnis nie sehr warm war, so waren sie doch nie eiskalt. Sie wusste, dass sie sich auf Wolf verlassen konnte und sie kannte ihre Vor- und Nachteile. Sie stand ihr bei und andersherum, all die Jahre waren sie ein Team gewesen. Und der männliche Part des ominösen Namens? Sphere hatte ihn vor dem Tod bewahrt und er schuldete ihm dafür noch immer was. Noch nie hatte er es zurückzahlen können, aber irgendwann wollte er es tun. Sphere war sein Lehrmeister gewesen und er der Schüler. Jetzt also trennten sich ihre Wege. Ob er das gewusst hatte? Bestimmt, er hatte da so etwas im Gefühl, er sah kommende Dinge herannahen und wenn es nur eine wage Vermutung ist.

Nachdem sie soweit waren, gab ihr Bruder ihr eine zweite Pistole, damit sie auch bewaffnet war. Es war ein gutes Gefühl wieder bewaffnet zu sein, auch wenn sie endlich weg von der Pistole kommen wollte. Sie wusste genau, dass es irgendwann ihr Untergang werden würde. Unterdessen klopfte ihr Bruder - wieder mit einem neuen Zahnstocher zwischen den Lippen - an die Tür, hinter der er die beiden anderen Gäste vermutete. Doch zunächst geschah nichts...

Jibril
23.06.2004, 21:26
Montag, 13. November 2009 - 7.07 Uhr - Beverwijk

Die ganze Nacht über hatten sie kein Auge getan, doch kein einziges Wort mehr miteinander gesprochen. Es war wirklich seltsam und das war noch der einfachste, wenn auch nichts sagende Ausdruck dafür. Sphere hatte allerdings irgendwann seine Hand von ihrem Körper genommen und auf das Bett gelegt, Maria hatte sich fast nicht bewegt und still und leise geatmet. Kurz nach ihrem Gespräch hatten sie noch Noir gehört, wie sie sich langsam auf machten ins Badezimmer zu gehen. Man hatte die ganze Zeit Wasser laufen gehört, aber nie eine Stimme der Beiden. Es war schon seltsam. Schweigen. Überall schweigen.

Und doch wurde in dieser Nacht mehr geredet, als das für manche je der Fall war. Zumindest seit etlichen Jahren. Und in dieser Nacht war noch mehr geschehen, all die Stricke, die sich gelöst und andere Ketten, die sich neu verschlossen hatten. Diese Gewitternacht war nicht wie jede Andere, durchaus nicht.

Doch nun am Morgen, da musste etwas in dem Zimmer geschehen, das war klar, sie konnten schließlich nicht ewig hier liegen bleiben. Außerdem hörten sie das Klopfen, anscheinend mussten sie bald raus, oder sie würden reinkommen. Auch deswegen bewegte sich Maria jetzt endlich wieder, aber auch, weil sie es diesmal sein wollte, die über ihren Schatten springt. Diese Nacht hatte ihr schon mehr gebracht als all die letzten Jahre je hätten bringen können und sie wollte auch sein Gesicht sehen, das Gesicht von Sphere.

Vorsichtig, fast schon wieder zitternd fuhren die erstarrten Hände über seine Brusthälfte, vorbei an dem Messer, das dort noch immer ruhte und fast einem Mahnmal gleichkam. Dann löste sich auch ihr Kopf von seinem Bauch und regte sich wieder in die Höhe. Das alles aufmerksam verfolgt von dem Augenpaar des Killers, die längst ihren Schrecken vor diesem Mädchen abgelegt hatten.

Und dann sah sie zu ihm, Sphere mit seinem wahren Gesicht. Es war an einigen Stellen von schwarzen Haarsträhnen verborgen, doch was sie sah passte nicht zu dem, was sie über Sphere dachte. Kaum Falten, nichts Dunkles, nichts Kantiges. Eher weiche, geschwungene Gesichtszüge, wie aus einem einzigen Guss. Das sollte das Gesicht eines kaltherzigen Killers sein? Sie wollte das nicht glauben, gleichzeitig wollte sie es anfassen und sie tat es. Maria streckte ihre Hand nach seinem Gesicht aus und berührte es. Vorsichtig legte sie ihm die Strähnen aus dem Gesicht, damit es in seiner vollen Blüte erstrahlen konnte.

"Ich danke dir für diese Nacht."
"Ich danke dir auch."
"Sie warten schon, ich muss gehen."
"Nein... warte bitte."

Maria war schon dabei aufzustehen, da packte Sphere sie an der Schulter und riss sie mit sanftem Druck zurück, wobei sie direkt in seinen Armen landet. Zwar war dies in keiner Weise beabsichtigt, doch konnte es nur gut passen. Er hatte etwas in dieser Nacht gefunden und er wollte es nicht schon nach dieser Nacht verlieren, nicht, wenn es keinen anderen Weg gab.

"Warum willst du gehen? Warum kannst du nicht einfach bleiben?"
"Ich kann... ist es denn wirklich dein Ernst?"
"Du hast mich nicht getötet, stattdessen hast du mich geheilt. Ich habe noch nie in meinem Leben um etwas gebeten, aber bei dir tue ich es. Ich bitte dich, verlass mich nicht."
"Ich... ich... ich werde bleiben. Bei dir, Sphere."
"Das... das ist schön. Wunderschön. Aber nenn mich bitte nicht mehr Sphere, der Lebenskreis ist ab heute nicht mehr."
"Es ist also wirklich dein Ernst."
"Auf jeden Fall."
"Lass uns jetzt zu den Anderen gehen, sie warten sicher schon."
"Ist gut."

Jibril
23.06.2004, 21:29
Montag, 13. November 2009 - 7.15 Uhr - Beverwijk

Endlich, sie hatten es schon fast aufgegeben und waren schon auf dem Weg zur Haustür, da öffnete sich doch tatsächlich noch die Tür zum Zimmer von Sphere. Zuerst kam Wolf, dann Sphere heraus. Eine bizarre Begegnung unter den Vieren. Alle sahen sich erst einmal verwundert an, musterten bekannte Gesichter und Formen. Und doch vermochte jeder der Vier die Geheimnisse der Anderen zu lesen. Ohne das Buch auch nur aufzuschlagen. Man brauchte nicht viel, um es zu verstehen. Noir, der männliche, er, der Ruhigste aus dem Quartett, er durchbrach als erster die Stille. Es gab keinen Grund mehr zu schweigen.

"Nun, Sphere. Es ist Zeit sich zu trennen. Du warst jahrelang mein Lehrmeister und hast mir alles gezeigt, außerdem verdanke ich dir mein Leben. Aber glaub ja nicht, dass das unser letztes Treffen ist. Aber du hattest Recht, sie war es. Noir ist meine Schwester. Wir werden jetzt unseren eigenen Weg gehen, aber irgendwann zahl ich meine Schuld zurück."

Noir ging zur Tür und wartete dort, während für eine Weile ein kurzes Schweigen eintrat, ehe Sphere aus der Masse trat und zu seinem ehemaligen Partner schritt und ihm auf die Schulter klopfte. Er hielt zwar nichts von Abschiedsorgien oder großen Sentimentalgemache, aber Sphere war sich nicht so sicher, ob sie sich wirklich noch einmal wieder sehen würden.

"Ja, geh ruhig. Du warst mir immer ein guter Partner, aber dennoch bin ich froh, dass du gehst. Es wird dir sicher gut tun, wenn du mal das Leben von einer Facette siehst, aber bleib dennoch aufmerksam. Man kann nicht alles auf einmal schaffen."

Dann gingen sie gemeinsam raus, noch eine letzte Zigarette zusammen qualmen, ein altes Ritual, welches für entspannte Stimmung stand. Bald waren Noir und Wolf alleine im Raum, Anna und Maria. Sie sahen sich zuerst lange Zeit in die Augen, aber irgendwann gaben sie sich dann die Hände, auch hier klang es nicht nach einem Wiedersehen, sondern einem Abschied für immer...

"Wolf. Es ist Zeit. Ich danke dir, dass ich all die Jahre auf dich zählen konnte. Wir waren uns nie sehr nah, aber wir konnten uns vertrauen und haben immer alles zusammen gemacht. Es fällt natürlich schwer jetzt alles aufzugeben, aber ich denke... es ist besser so. Ich habe viele Jahre nachzuholen."

"Du weißt, dass ich nicht gerne rede oder viel spreche, aber ich möchte dir auch danken. Ich habe durch dich viel lernen können. Du sagtest es ja schon, wir konnten uns vertrauen, was in so einem Job wohl mehr wert ist als ewige Freundschaft. Ich wünsche dir dein Glück."

"Ja, das wünsche ich dir auch. Aber eines musst du mir verraten. Was ist mit Sphere, warum hast du keine Angst mehr vor ihm?"
"Wir haben miteinander... geredet. Und ich habe da... etwas gefühlt."
"Und wirst du bei ihm bleiben?"
"Ja... genau wie du!"
"Hm... also dann. Wir müssen gehen."

Und so ging sie auch aus der Türe hinaus. Sie nahmen das Auto, Sphere hatte Noir den Schlüssel gegeben. Das war schon in Ordnung...

Er sah noch eine Zeit hinter dem fahrenden Auto hinterher, das dort die Baumallee entlang fuhr und immer kleiner würde. Er hatte gespürt, wie das Mädchen auch an seine Seite getreten war und ebenfalls schaute und ein kleines Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit, ehe es wieder in die Leere zerfiel. Und Maria, sie sah aus tiefen Augen hinter dem Auto hinterher. Da fuhr sie hin. Ihre Partnerin. Jetzt war sie weg, für immer oder für lange Zeit. Sphere schenkten ihre Augen keine Beachtung, doch ihr Herz war bereits übergeschlagen, aber ihr Gesicht sah noch immer so aus, wie all die Jahre schon. Tot, leer, geschunden, ausdruckslos, traurig... Trauer...

Das Ende der Geschichte ... oder der Anfang eines neuen Lebens?

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