Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : [Story]Die völlig bekloppte Reise in die Moderne
Eispfötchen
30.11.2017, 18:59
So ... willkommen bei einer total bekloppten Geschichte. Sicher, dass du das lesen willst?
Wie kam ich drauf? Alles fing mit einem Traum an, in dem Lester, Diego, Gorn, Milten und der Held zurück im Schläfer Tempel waren, um sein altes Zeug inklusive Uriziel zu holen und dann ... waren sie auf einmal auf einem Mittelaltermarkt teleportiert. Tja ... Äh... keine Ahnung wie ich im Traum zu diesem Gedankensprung kam. Ich vermute es hing damit zusammen, dass ich am Vortag Gothic gespielt habe und im Fernsehen "Die Besucher" und "Die Zeitritter" lief (Wer das nicht kennt: Es geht um einen Ritter und seinen Knappen, die mittels magischem Trank ausversehen in die Moderne geraten und es kommt zu allerhand lustigen und blödsinnigen Szenen). Und ähnlich wie dort im Film passierten auch den Jungs aus Gothic allerhand ... Merkwürdigkeiten. Es lässt sich sagen, es war total bekloppt aber lustig. Eigentlich hätte ich nicht gedacht, das mal aufzuschreiben ... und doch ist es jetzt da. Ich hab mich bemüht es auch für alle anderen außer mich verständlich aufzuschreiben, was nicht einfach ist, weil gerade wenn ich träume, dann ist das alles vollkommen logisch, Außenstehend betrachtet, aber totaler Blödsinn und es erfordert doch etwas Kraft damit daraus dann etwas halbwegs nachvollziehbares wird.
Ein paar zu erwähnende Dinge: Die Vorgeschichte hierzu ist "Eine Sommergeschichte".
https://forum.worldofplayers.de/forum/threads/1503584-Story-Eine-Sommergeschichte
Es ist nicht unbedingt erforderlich sie zu lesen, aber es wäre schon hilfreich.
Der Held hat eine magische Hosentasche, die es ihm erlaubt, allerhand Zeug mit sich herumzuschleppen (also ganz so wie im Spiel).
Folgende Stationen hat der Held in diesem Szenario früher durchlaufen: "Buddler, Schatten, Gardist, Söldner, Wassermagier, dann später wieder Söldner, Mitglied im Kreis des Wassers, Mitglied in der Diebesgilde, Pirat, vorgeblicher Bandit, Drachenjäger ... (ich hoffe, ich habe nichts vergessen).
Er entschied sich die Klaue Beliars zu behalten, um sie im Kampf gegen die Drachen zu verwenden.
Später verließ er mit Xardas Myrtana, nachdem Zuben und König Rhobar der II. getötet wurden.
Es gibt wieder Runen, weil ich im Traum offenbar verdrängt hatte, dass es sie nicht mehr gab
Ich denke das wars so weit ... viel Spaß.
Eispfötchen
30.11.2017, 19:14
Sie rematerialisierten sich und um sie herum erschien das übliche gleißend hellblaue Licht. Total orientierungslos blinzelten sie ins Tageslicht. An ihre Ohren drang tosender Applaus. Verwirrt sahen sie sich um. Sie standen auf einer stabil aussehenden Holzbühne. Vor Ihnen einige sehr merkwürdig gekleidete Leute und rechts neben ihnen sahen sie einen hochgeschossenen Mann, der sie mindestens ebenso verwirrt ansah wie sie ihn.
Der Held fing sich als erster.
„Da lang!“ sagte er entschlossen und marschierte geradewegs von der Bühne. Die anderen folgten ihm, froh jemanden zu haben, der zu wissen glaubte was jetzt zu tun sei. Sie gingen zwischen die Reihen der ihnen zujubelnden Menge und passierten ein Schild auf dem zu lesen war:
„Der große Beschwörungszauberer Zabini. Lässt sie garantiert sprachlos zurück.“
Der Held ging noch einige Meter und blieb dann auf einem Fleckchen Erde stehen, von dem aus er einen guten Überblick über die Umgebung hatte. Das erste was auffiel, war die unglaubliche Menge an Menschen. Es waren sicher mehr, als sich damals im gesamten Mienental befunden hatten.
Offenbar befanden sie sich auf einer großen Wiese mit vereinzelten kahlen Bäumen, auf der allerhand Verkäufer und Gaukler ihre Stände aufgebaut hatten. Die sahen immerhin halbwegs normal aus. Vielleicht war hier ja Markttag, wo immer „hier“ auch war. An der Ecke verkaufte ein Mann herrlich duftende Maronen. Gegenüber stattete ein Händler seine Kunden mit feinsten Schreibutensilien aus. Prächtige Vogelfedern lockten eine große Traube von Kunden an. Ganz weit hinten konnten sie eine Art Kulisse sehen, wo offenbar ein Bühnenstück vorgeführt wurde.
„Irgendwas muss schief gelaufen sein…“ überlegte Diego.
„He, sieh mich nicht so an!“ sagte Milten empört über Lesters Blick. „Es ist schwer genug eine ganze Gruppe zu teleportieren, wenn man dann auch noch direkt neben dem Dimensionsloch vom Schläfer steht wird das auch nicht besser.“
„Das muss es sein! Das Dimensionstor vom Schläfer! Vermutlich hat es uns irgendwie eingesaugt und dann hierhergebracht, als wir teleportierten“, überlegte der Held und fuhr sich mit der rechten Hand nachdenklich über seinen Bart.
„Heißt das … heißt das, der Schläfer ist hier auch irgendwo?“ fragte Lester und versuchte seine aufkeimende Angst möglichst nicht zu zeigen.
„Hm… möglich“, murmelte der Held nichtsahnend von der Wirkung, die diese Worte auf seine Freunde hatten.
„Also ich finde wir sollten erst einmal herausfinden wo wir hier überhaupt sind“, schlug Diego praktisch orientiert vor.
„Gute Idee. Da vorne scheint ein Ausgang zu sein“, sagte Gorn und zeigte nach links, mitten durch das Gedränge der Menschen.
Er ging voran und somit hatten die anderen überhaupt keine Schwierigkeiten nachzukommen. Gorn mit seiner muskelbepackten Erscheinung und noch dazu in martialische Rüstung gehüllt, flößte jedem in ihrer Nähe Respekt ein. Viele Leute sahen sich zu ihnen um, die ihnen begeisternd zuriefen.
„He, echt tolle Kostüme.“ „Sieht wirklich aus wie im Mittelalter.“
„Voll krass“, kam es von einigen Jungen, an denen sie vorbeigingen und die ihnen staunend hinterhersahen.
„Weißt du was das ist, Mittelalter?“ fragte Lester Milten, der vor ihm ging.
Milten zuckte mit den Achseln.
„Keine Ahnung.“
Es gab noch einmal ganz viel Gedränge, dann kamen sie endlich durch. Offenbar war hier der Eingang und wie die Menschen vorhin schon sagten, da stand auch tatsächlich ein Schild mit der Aufschrift „Mittelaltermarkt“. Was immer das auch war, eben ein Markt.
Kaum waren sie raus, erschlug sie der nächste Anblick fast. Eine erneute Welle von völliger Desorientierung erfasste sie. Vor Ihnen ragten, nach ihrem ermessen, unglaublich hohe Häuser empor, die mindestens vier Stockwerke hatten und aus denen hin und wieder seltsames Licht drang. Sie standen vor einer Straße, die schwarz und fest schien und aus irgendeiner Art von Stein bestehen musste. Darauf fuhren schnelle Karren, ohne dass irgendjemand oder etwas sie ziehen würde. Einige dieser Karren standen auch direkt vor Ihnen am Straßenrand. Sie schienen leblos. Der Held zog die Klaue Beliars und stupste einen damit an. Prompt sonderte das Schwert eine Blitzladung ab und ein schrecklicher Lärm erklang in ihren Ohren.
„He ihr, was macht ihr da mit meinem Auto?“ fragte ein dicklicher kleiner Mann in komischen Klamotten, der eilig herbeigerannt kam.
„Was? Ich kann dich nicht hören bei all dem Lärm“, schrie der Held durch den Krach hindurch.
„Das ist ein ganz normaler Autoalarm, der angeht, wenn jemand mit seinem Cosplay Schwert dagegenhaut.“
„He, ich war ganz vorsichtig“, wehrte sich der Held, auch wenn er keine Ahnung hatte was dieses Cosplay war.
Der Mann schien nun doch nicht allzu sauer. Irgendwie schien er ihren Anblick erheiternd zu finden. Vielleicht dachte er auch, es handle sich hier um irgendeinen Ulk.
„Also was ist das hier? Ein Auto sagst du?“ fragte der Held weiter.
Der Mann entschloss sich mitzuspielen. Er setzte eine verschwörerische Miene auf.
„Das sind Zauberkarossen, die mit schneller Geschwindigkeit herumfahren und die einen dahin bringen, wo immer man hin will.“
„Du meinst, so in der Art wie Teleportation?“ fragte der Held interessiert weiter.
Der Mann lachte schallend.
„Teleportation? Oh Mann Junge, wir sind doch nicht bei Käpt’n Kirk.“
Damit ließ er sie stehen und ging zum Mittelaltermarkt zurück, wo er sich gerade Karten kaufen wollte.
„He Leute, ein tolles Programm habt ihr hier“, hörten sie ihn noch zur Kassiererin sagen.
„Gut, ich denke damit ist unser neues Ziel klar“, sagte Gorn.
„Ja“, kam es entschlossen vom Helden. „Wir müssen diesen Käpt’n Kirk finden. Vielleicht weiß er wie er uns zurück in unsere Welt teleportieren kann.“
„Und wo sollen wir anfangen zu suchen?“ fragte Lester.
„Wenn er ein Käpt’n ist, dann ist er bestimmt am Hafen zu finden“, sagte Diego sofort.
„Na gut, dann auf zum Hafen“, sagte Gorn voller Tatendrang.
„Wenn einer weiß wo hier der Hafen ist“, gab Milten zu bedenken.
Für den Helden war das überhaupt kein Problem. Er quatschte einfach den nächstbesten vorbeilaufenden Typen an.
„He du, kannst du mir sagen wo ich hier den Hafen finde?“
Der Mann sah ihn amüsiert an.
„Den Hafen? Junge, wir sind hier in Berlin, da gibt es doch keinen Hafen.“
Er lachte und ging davon.
„Hm… kein Hafen.“
„Vielleicht ist der in einer anderen Stadt?“ überlegte Lester.
„Immerhin wissen wir jetzt, dass diese Stadt Berlin heißt. Hat von euch schon mal jemand davon gehört?“ fragte der Held.
Die anderen schüttelten die Köpfe. Aus dem Bauch heraus entschied der Held in welche Richtung sie gehen sollten und marschierten los.
Eispfötchen
30.11.2017, 19:32
Diese Stadt war einfach unglaublich, selbst nach einer halben Stunde sah es noch nicht so aus, als würden sie sie verlassen und bisher hatten sie schon mehr Menschen gesehen, als in ganz Myrtana lebten. Sie hatten zwar keine Ahnung von Verkehrsregeln, aber es erschien ihnen ratsam die schwarzen Steinstraßen nur dann zu überqueren, wenn gerade keins dieser Autos fuhr. Manche von diesen Dingern waren schier riesig. Einige davon waren Blickdicht und verursachten selbst im Stehen großen Lärm und in anderen wiederum konnten sie durch Gucklöcher Menschen sehen, die sich in diesen Gefährten befanden. Dicht gedrängt wie Sardinen im Netz standen sie zusammengepfercht und sie konnten beobachten wie diese großen Fahrzeuge hin und wieder anhielten und die Leute ausspien.
„Scheint wirklich eine Art von Transportmittel zu sein. Ich frage mich, ob jeder sie benutzen darf oder ob es irgendwelche Einschränkungen gibt“ sagte Milten nachdenklich und war stehen geblieben um einen Plan zu studieren.
Er zeigte die Haltepunkte und die Uhrzeiten an, doch der Feuermagier wurde nicht daraus schlau, da ihm all diese Orte nichts sagten.
„Hier ist eine Karte“ sagte der Held, glücklich eine gefunden zu haben.
„Sieht aber komisch aus“, meinte Lester und beugte sich neben ihm zur Karte hin.
Bunte Linien waren darauf eingezeichnet und Zahlenbuchstabenkombinationen, aber nichts was ihnen weiterhelfen würde, keine eingezeichnete Umgebung.
„Das hilft uns nicht weiter. Vielleicht ist sie irgendwie verschlüsselt und wir müssen erst diese Kodierungssprache lernen.“
Diego sah ihn stirnrunzelnd an.
„So war es auch in Jharkendar“, erklärte der Held und führte sie weiter, bis sie zu einem riesigen Gebäude kamen wo Horden von Menschen ein und aus gingen.
„Wenn hier so viele Leute sind, muss hier was zu holen sein“, überlegte Diego.
Sie näherten sich den Türen, die ganz von allein aufgingen. Kurz blieben sie verdutzt stehen, wurden dann aber gleich von den Menschen hinter ihnen weitergeschoben, die sie ungeduldig und verwundert ansahen. Innen war das Gebäude größer, als irgendein Haus, das sie in Myrtana gesehen hatten. Sie gingen zu einem Geländer und konnten sehen, dass unter Ihnen noch ein Stockwerk lag und über ihnen gleich zwei und überall wuselten Menschen. Erschlagen blieben sie stehen und beobachteten ihre Umgebung. Rechts von Ihnen stand eine Bank auf der eine Frau mit blauen Hosen und rotem Oberteil saß und auf einem rechteckigen Ding herumdrückte. Ihr Kind, vielleicht um die sieben Jahre alt, das neben ihr auf der Bank lag und sich langweilte sprang auf, als sie die fünf Männer sah und kam zu ihnen gerannt.
„Boahr, seid ihr Ritter?“
Der Held lachte. Es war das erste Mal, dass ihn jemand für einen Ritter hielt. Es war der beste Scherz, den er seit langem gehört hatte. Er ein Ritter, sicher … aber der Junge war ja auch noch so klein, woher sollte er also wissen, dass Ritter nicht wie ein Haufen Landstreicher aussahen?
„Wir sind Abenteurer, Kleiner.“
Der Junge kam staunend noch näher.
„Das ist aber ein cooles Schwert, darf ich das mal anfassen?“
„Äh … das ist vielleicht keine gute Idee“, sagte der Held, weil er befürchtete Beliars Klaue könne sich entladen und den Jungen in den Tod schicken.
„Hier, du darfst mal meine Kriegsaxt anfassen“, sagte Gorn und holte die Waffe von seinem Rücken.
Er drehte sie so herum, dass die Klingen nach unten zeigten, ließ sie fallen und hielt sie erst am Stiel fest, als der schwere Axtdoppelkopf den Fliesenboden erreichte und zertrümmerte.
„Voll krass“ rief der Junge aufgeregt und berührte ehrfürchtig die glatte Seite einer Klinge.
„Timmi, komm sofort hierher!“ rief die Mutter, die sich nun doch wieder für ihr Kind interessierte.
Sie kam herbei und sah die Männer furchtsam an, aber Timmi kam schon von sich aus zu ihr gesprungen und berichtete aufgeregt was er erfahren hatte: „Mama, das sind Abenteurer.“
Die Frau sah immer noch verwirrt aus.
„Wir kommen vom Mittelaltermarkt“, sagte der Held und hoffte, dass ihr das weiterhelfen würde.
In der Tat glätteten sich die Furchen auf ihrer Stirn und sie nickte verstehend.
„Gute Frau, kannst du uns vielleicht sagen wo wir andere Klamotten herkriegen?“ fragte der Held.
„Sie sind hier in einem Einkaufszentrum, hier gibt es überall Klamottenläden. Da vorne ist schon einer.“
Sie zeigte in eine Richtung, nahm ihr Kind eilig bei der Hand und führte es weg.
„Komm Timmi, wir müssen gehen.“
„Mama, gehen wir auch mal zum Mittelaltermarkt? Mittelaltermarkt! Mittelaltermarkt!“ rief der kleine ganz aus dem Häuschen.
„Wer ist denn „Sie“?“ fragte der Held und wandte sich zu den anderen um.
„Das ist eine Anredeform“, erklärte Milten.
Der Held zuckte mit den Schultern und ging in die gewiesene Richtung. Tatsächlich konnten sie schon von weitem sehen, dass die Frau Recht hatte.
Glas war in Myrtana noch nicht sehr üblich und eher was für reiche Adlige, deswegen waren sie erstaunt, dass das Geschäft große Scheiben hatte, die von oben bis unten reichten.
„Macht aber Sinn, so können die Kunden von draußen die Ware sehen und werden angelockt“, sagte Diego und überlegte wie sich daraus Kapital schlagen ließ.
Sie gingen hinein und wurden gleich von einer jungen Frau begrüßt: „Hallo was kann ich für Sie …. tun?“
Sie war kurz verwirrt, überraschend schnell fasste sie sich aber wieder. Vielleicht liefen in Berlin so viele komische Vögel rum, dass sich die Leute gar nicht mehr so groß darüber wunderten.
„Wir kommen vom Mittelaltermarkt“ erklärte Lester trotzdem und die Verkäuferin lächelte verstehend.
„Ah ja und jetzt braucht ihr andere Sachen.“
„Genau“
Sie sahen sich im Geschäft um. Eine Fülle von Klamotten schlug ihnen entgegen.
„Wow, hier gibt es aber viel Auswahl“, staunte Lester.
Die junge Verkäuferin lächelte verlegen, denn eigentlich war es ein recht kleines Geschäft.
„Wenn Sie meinen. Kann ich Ihnen helfen?“
Die Männer guckten skeptisch. Sich helfen lassen? Bei sowas banalem wie Klamotten kaufen? Und dann auch noch von einer Frau? In Myrtana war das eher unüblich.
„Welche Größe haben Sie denn?“ fragte die Verkäuferin, die zu dem Schluss kam, dass das nicht leicht werden würde.
„Was meinst du mit Größe?“ fragte der Held.
Die Frau sah ihn verwundert an, wechselte dann aber auch zum Du.
„Welche Größe die Sachen haben sollen.“
Gorn zuckte jetzt mit den Schultern.
„Entweder es passt, oder es passt nicht.“
„Aha…“ kam es gedehnt von der Frau.
Sie nahm mit den Augen maß und sah sich nach etwas passendem um.
„Hier versuch mal das.“
Sie hielt Gorn ein marineblaues XL T-Shirt hin und suchte dann nach etwas für den Helden. Sie reichte ihm ein legeres schwarzes Poloshirt mit roter Bestickung.
„Was bedeutet das?“ fragte der Held auch gleich.
„Das ist der Name des Herstellers“ erklärte die Verkäuferin, sah dann mit großen Augen zu Gorn, der jetzt seine Rüstung abgenommen hatte und mit freiem Oberkörper da stand und sich das T-Shirt überzog.
„Ähh… wir haben auch Umkleidekabinen“, sagte sie mit roten Wangen.
Auf die fragenden Blicke der Männer hin, zeigte sie zu einer Wand wo kleine Verschläge zu sehen waren.
„Das ist so üblich“ sagte sie, um ihre verwunderte Kundschaft zu überzeugen.
Diego und Lester sahen sich selbstständig um, während die Verkäuferin nach passenden Hosen für Gorn und den Helden suchte, die sich auf den Weg in die Umkleidekabinen machten.
Milten wusste nicht so recht was er sich aussuchen sollte. Er war doch ein Feuermagier, da konnte er doch nicht in irgendeiner Kleidung so ganz ohne Bezug zu Innos herumlaufen.
„Hast du auch irgendwas mit Feuer?“ fragte er die Verkäuferin.
Die beschloss, sich über gar nichts mehr zu wundern und nachdem sie die beiden Jeans bei seinen Freunden abgeliefert hatte, suchte sie nach etwas für den Magier.
„Was machen wir mit unseren Rüstungen?“ fragte Gorn den Helden leise durch die dünne Kabinenwand.
„Die kann ich nehmen. Wer weiß wann wir sie wieder brauchen.“
„Dachte auch nicht daran sie einfach wegzuschmeißen. Sie sind nur etwas unhandlich.“
„Ich denke ein paar Rüstungen und Waffen mehr werden kein Problem sein.“
„Die Waffen auch?“ fragte Gorn bestürzt.
„Na hast du hier Leute mit Waffen rumlaufen sehen? Wir müssen uns unauffällig verhalten. Deswegen müssen die Waffen weg.“
Gorn grummelte. Es passte ihm nicht seine Axt hergeben zu müssen.
„He, du schlägst vermutlich auch mit bloßen Händen jedem der dir dumm kommt den Schädel ein, mach dir also keine Gedanken“, sagte der Held und lachte leise.
„Hier, wäre das was für dich?“ fragte die Verkäuferin und hielt dem Feuermagier eine schwarze Jeans, ein rotes T-Shirt und eine orangerote Jacke mit einem Feueremblem auf dem Rücken hin.
„Ja, ist in Ordnung“, sagte Milten.
Als die Frau sich abwandte verdrehte sie die Augen. Da gab sie sich solche Mühe und dann war es nur in Ordnung?
„He, was steht hier drauf?“ fragte Lester und hielt ein grünes T-Shirt hoch auf dem das Blatt einer Pflanze abgebildet war.
„Da steht: Ich mag Kraut“ erklärte die Verkäuferin.
Lesters Augen leuchteten auf.
„Toll, das nehme ich.“
Dazu suchte er sich eine hellbraune Stoffhose mit vielen Taschen aus, die recht robust aussah. Diego hatte sich bereits fertig eingekleidet. Er trug eine elegante schwarze Stoffhose und dazu ein hochwertiges schwarzes Poloshirt.
„Siehst aus, als wärst du in einen Haufen Gold gefallen“ witzelte Gorn, der gerade die Kabine verließ.
„Und du siehst aus, als würdest du gleich dein Hemd sprengen“, gab Diego zurück, was durchaus der Wahrheit entsprach.
Gorns Muskeln beanspruchten das T-Shirt schon sehr, aber es passte ja, also war es für Gorn in Ordnung. Als alles erledigt war, wollten sie den Preis erfahren.
„437,87 €“ erklärte die Verkäuferin, die der Meinung war, dass dieses Geld ihre Mühen auf Wert war.
Die Freunde sahen sich an. Der Held schaltete am schnellsten. Er konnte sich denken, dass es sich um die hiesige Währung handelte und versuchte zu verhandeln. Eilig kramte er in seiner Hosentasche und ein wahrer Goldregen ergoss sich über die Ladentheke.
„Das ist pures Gold, kommen wir ins Geschäft?“
Die Verkäuferin stand einem Moment einfach nur mit aufgerissenem Mund da und fragte dann: „Ist das echt?“
„Natürlich ist das echt“, sagte der Held entrüstet.
Dass er es damals aus Raven’s Miene geholt hatte und deswegen kein echtes königliches Siegel aufwies musste die Frau ja nicht wissen. Außerdem war er hier im Ausland, da war das vermutlich sowieso egal.
Die Verkäuferin nahm eine der Münzen hoch und nahm sie ganz genau in Augenschein. Dabei verglich sie ihren Goldring mit der Münze. Sie sah sich von plötzliche Reichtum überhäuft und sagte eilig, bevor ihre Kundschaft es sich anders überlegte: „Ja, ist in Ordnung. Habt ihr auch alles?“
Sie fragte sich, wo sie ihre alten Klamotten gelassen hatten.
„Ich denke schon“, sagte der Held.
Sie verabschiedeten sich und verließen den Laden. Draußen sagte Diego: „Weißt du … ich denke du hast zu viel bezahlt.“
„Wieso?“ fragte der Held. „Weißt du denn was ein Euro ist?“
„Nein, aber ihrem Gesichtsausdruck nach ist Gold viel mehr wert als ein Euro. Besser wir versuchen weitere Geschäfte zu vermeiden, bis wir wissen was Gold hier wert ist.“
„Wir sollten uns aufteilen und versuchen etwas über diesen Käpt‘n Kirk herauszufinden“ schlug Gorn vor, dem Gold im Moment recht egal war.
Hauptsache es ging voran. Sie verließen das Gebäude und sahen sich um. Der Held entdeckte weit entfernt einen großen Turm, der über die anderen Häuser aufragte.
„Dort treffen wir uns morgen beim ersten Sonnenlicht wieder.“
Eispfötchen
30.11.2017, 20:14
Diego, Gorn und Milten versuchten herauszufinden wo sich in dieser Stadt ein Kapitän befinden könnte. Tatsächlich fanden sie nach langem herumfragen heraus, dass es hier einen Fluss gab, die Spree und darauf kleine Schiffe fuhren. Die mussten ja von Kapitänen gesteuert werden und da gab es doch bestimmt auch einen Kirk. Sie fragten sich zu den Anlegestellen durch, doch als sie dort ankamen und nach einem Käpt’n Kirk fragten, meinten dessen vermeintliche Kollegen, jemand hätte sie gründlich verschaukelt. Es gäbe hier keinen Käpt’n Kirk. Die drei dachten nun nicht, dass es diesen Mann grundsätzlich nicht geben würde, sondern, dass er nur nicht hier war, was nicht gerade verwunderlich war, denn Kapitäne pflegten weit herumzukommen mit ihren Schiffen. Es wurde eine sehr lange Nacht, in der sie zahlreichen merkwürdigen Gestalten begegneten. Lester und der Held waren zweifellos selbst seltsame Gestalten. Sie waren an einem Ort angelangt, der „Alexanderplatz“ hieß. Hier gab es überall Menschen, aber keiner schien große Lust auf ein Gespräch zu haben. Verwundert musste der Held feststellen, dass seine übliche Anrede „He, du“ nicht den gewünschten Erfolg brachte. Die Leute hatten entweder einfach keine Lust zu reden, oder sie waren in Eile oder sie dachten, die Beiden wären verrückt. Es war jetzt bereits spät in der Nacht, oder auch früh am Morgen, je nachdem wie man das gerne sehen wollte und sie hatten immer noch keinen Erfolg gehabt. Der letzte den sie nach Käpt’n Kirk gefragt hatten, lachte sie einfach nur aus.
„Ich glaube irgendetwas stimmt mit diesem Kirk nicht“ sagte Lester und zog einen Stengel Sumpfkraut aus der Tasche und fing an zu rauchen.
Der Held setzte sich auf eine steinerne langgestreckte Bank und sah zu einem eisernen Gebilde, das offenbar die Uhrzeit anzeigen sollte, aber die Zeiger bewegten sich überhaupt nicht.
„He ihr“ kam es von hinten mit starkem Akzent.
Sie drehten sich um.
Ein junger Typ, vielleicht Anfang zwanzig von schmaler Statur und mit schwarzen gegelten Haaren stand da und legte den Kopf schräg.
„Was rauchst ‘n da?“
Lester sah kurz zum Helden. Ihm ging kurz durch den Kopf, dass er gar nicht wusste, ob Sumpfkraut hier als illegal galt, oder nicht. Der ehemalige Novize sah den jungen Kerl kritisch an und entschied dann, dass er nicht so aussah, als wäre er ein strenger Verfechter des hiesigen Regelwerks.
„Sumpfkraut“
„Noch nie von gehört. Darf ich auch mal ziehen?“
Lester gab ihm gleich einen ganzen Stengel. Ein Feuerzeug klickte und frische Glut glomm auf. Der Fremde nahm einen tiefen Zug.
„Wow, das ist echt guter Stoff. Ist der rein?“
Lesters Stirn furchte sich.
„Was meinst du?“
„Hast du das Zeug mit irgendetwas gestreckt?“
„Nein, natürlich nicht, schmeckt doch sonst nicht so gut“, sagte Lester, empört wie man so etwas auch nur in Erwägung ziehen konnte.
„Das, das ist echt gut“, sagte der Typ und nickte immer wieder mit dem Kopf. „Guter Stoff.“
Er nahm noch einen tiefen Zug, dann sagte er: „Ich bin Elyas.“
„Mein Name ist Lester“ stellte sich der ehemalige Novize vor.
„Und du?“ fragte Elyas und meinte den Helden.
„Ich hab keinen Namen“
„Wa? Wie kann man denn keinen Namen haben? Wie quatschen dich denn andere an?“
„Na, wie alle anderen auch, mit „He, du“.“
Elyas lachte leise.
„Ein Komiker was?“
Er drehte sich um und winkte einem Kerl, der etwas weiter weg auf einer anderen Bank saß. Der Typ sah recht abgerissen aus. Von der Hautfarbe ähnelte er Gorn, aber sonst hatten sie nichts gemeinsam. Er war hochgeschossen, aber sah nicht sehr kräftig aus. Seine Haare waren halblang und er hatte einen sehr müden Ausdruck in den Augen. Elyas redete schnell auf ihn ein, aber weder Lester noch der Held konnten verstehen was sie sagten. Es musste eine andere Sprache sein. Ein Wort gab das Andere und der Neuankömmling schien nicht so ganz überzeugt von dem was sein Freund ihm sagte.
„Das ist Tabo“ erklärte Elyas. „Er ist noch nicht lange in Berlin und kann kein Deutsch, aber sonst ist er gut zu gebrauchen. Hört mal, Interesse an einem Geschäft?“
Er senkte seine Stimme zu einem Flüstern herab.
„Kommt ganz drauf an was für eine Art Geschäft“ gab der Held zurück.
„Könnte ein echt großes Ding werden. Von diesem Sumpfkraut hab ich noch nie was gehört hier in Berlin und in der Szene kenn ich mich gut aus.“
„Was für eine Szene?“ fragte der Held verwundert.
„Stoff“ antwortete Elyas, als die anderen weiter fragend guckten, zischte er: „Drogen, was sonst?“
„Sumpfkraut ist doch keine Droge … man raucht es doch bloß“ wehrte Lester ab.
Elyas zeigte mit dem Finger auf ihn.
„Das ist die richtige Einstellung. Hört mal, ihr seid genau zum richtigen Zeitpunkt gekommen. Die Leute wollen gutes bio Zeug, das ist jetzt echt In. Mit so’nem Kunstscheiß kann man keine neuen Leute mehr anfixen. Wir teilen den Gewinn und werden reich.“
Lester und der Held verstanden nicht alles, aber genug um herauszuhören, dass Elyas Sumpfkraut verkaufen wollte. Lester und der Held sahen sich an. Der ehemalige Novize sah nicht glücklich darüber aus seinen Reichtum an Sumpfkraut herzugeben, aber der Held sah darin eine willkommene Einnahmequelle, gerade wo sie überhaupt keine Ahnung hatten wo sie sonst hiesige Währung herbekommen sollten.
„Nun mal langsam Junge“, sagte der Held aber trotzdem, weil er nicht in windige Geschäfte hereinfallen wollte. „Du weißt doch gar nichts über Sumpfkraut, wieso sollten wir dir da vertrauen?“
Elyas sah sich um und bedeutete den anderen ihm zu folgen. Er steuerte erst auf ein großes Gebäude zu, in dem lange Verkehrsmittel einfuhren und dann scharf nach links weg.
„Ich seh das so: Ihr habt das Know How und ich die Location.“
Lester und der Held verstanden nicht was er meinte.
„Eh, ich kenn mich hier aus, versteht ihr? Wieviel habt ihr von dem Zeug?“
„Wir haben mehr als genug, glaub mir“ sagte der Held.
„Naja, so viel haben wir nun auch wieder nicht“ versuchte Lester seinen Schatz zu bewahren.
„Lester, wenn wir eine Möglichkeit finden das Sumpfkraut anzubauen wird es ja nicht weniger“ versuchte der Held seinen Freund zu überzeugen.
Lester schien mit sich zu ringen. All sein mühsam zusammengerafftes Sumpfkraut … aber er wusste, dass sie etwas brauchten um Gold zu verdienen oder Euro, wie es hier hieß.
„Und ich hab genau den richtigen Standort für euch“, erklärte Elyas begeistert.
Er führte sie immer weiter in die Eingeweide der Stadt, immer weiter von den Hauptstraßen weg. Sah es schon auf dem Alexanderplatz recht schmuddelig aus, so wurde es in den Nebenstraßen nicht besser. Überall waren die Häuserfassaden beschmiert und die Straße sah alt und verbraucht aus. Elyas führte sie zu einem besonders heruntergekommenen Haus und erklärte: „Unser neuer Projektort“
Er schloss die Tür auf, sah sich noch einmal um und gab Zeichen ihm zu folgen.
Lester und der Held hatten keine Angst einem völlig Fremden in ein unbekanntes Haus zu folgen. Sollten sich Probleme ergeben, ließen sich die bestimmt mit einer harten Faust und im Zweifelsfall mit etwas Magie lösen. Tabo schloss die Tür hinter ihnen und eine nackte Glühbirne an der Decke spendete Licht. „Das ganze Haus gehört quasi mir“ sagte Elyas.
Der Held hörte heraus, dass es eben eigentlich nicht so war. Er gebot sich wachsam zu sein. Vermutlich hatte dieser Typ Probleme und er wollte lieber erst wissen was das für Probleme waren, bevor er selbst mit hineingezogen wurde. Sie gingen in den ersten Stock und ihr neuer Geschäftspartner schloss eine Tür zu einem weiten Raum auf. Es roch muffig und Schimmel bedeckte die Wände.
„Ideale Bedingungen um Pflanzen zu züchten. Im Keller ist noch mehr Platz. Ich denke, ihr wisst besser was dieses Sumpfkraut braucht und was nicht. Tobt euch aus.“
Elyas zeigte ihnen auch noch den Rest des Hauses. In der zweiten Etage hatten sich offenbar Elyas und Tabo eingerichtet. Darunter war neben den üblichen Dingen wie Betten und Tischen auch ein Haufen Zeug, das Lester und der Held nicht identifizieren konnten. Das zweite und dritte Stockwerk stand größtenteils leer, nur noch ganz oben standen ein altes Bett und ein hässliches grünes Sofa. Als Elyas ihnen ein Bad samt Toilette und Badewanne zeigte, wirkten Lester und der Held so verwundert, dass nicht schwer zu erraten war, dass sie so etwas nicht kannten.
„Klo und Badewanne“
Als das offenbar keine Erleuchtung brachte sagte Elyas: „Pissen und waschen“
„Was denn waschen?“ fragte der Held verwundert.
Elyas sah aus, als hätten die beiden ihm gerade gesagt, sie kämen vom Mars.
„Na was wohl, euch, so mit Wasser. Naja, nehmts mir nicht krumm, aber ihr riecht auch, als hättet ihr schon länger keine Dusche mehr gesehen.“
Der Held wusste zwar nicht, was eine Dusche war, aber Wasser, das kannte er natürlich.
„Wir sind doch vor ein paar Tagen mal durch einen Fluss geschwommen, oder?“
Lester dachte scharf nach.
„Als wir auf dem Weg nach Gotha waren, oder? Das ist aber schon länger als ein paar Tage her …“
„Was ist denn mit euch los? Habt ihr die letzten hundert Jahre unter ‘nem Stein verbracht?“ fragte Elyas verwundert.
Der Held hob eine Augenbraue.
„Ich hab mal zwei Wochen unter Steinen gelegen, wenn du das meinst …“
Elyas guckte perplex. Er wollte seinen neuen Geschäftspartner ja nicht beleidigen.
„Was ist denn passiert?“
„Höhle eingestürzt“ sagte der Held knapp.
„He Mann, konnte ich ja nicht wissen, war nur ein dummer Spruch, ja?“
Der Held fand es lustig wie nervös Elyas war. Obwohl er ja derjenige war, der sie in das Projekt geholt hatte, schien er sich schon jetzt selbst klein zu halten.
„Wirklich ein riesen Haus, wie bist du da nur ran gekommen?“ fragte der Held verwundert, als sie wieder die Treppe heruntergingen.
So viel Platz war ungewöhnlich wenn man myrtanische Verhältnisse gewohnt war. Elyas wirkte verlegen.
„Tja weißt du ….“
Sie hörten wie jemand unten an die Tür hämmerte.
„Ich weiß, dass du da drin bist“ hörten sie eine ärgerliche Stimme.
„Fuck!“ fluchte Elyas.
Er schien zu überlegen sich einfach zu verziehen, doch dann entschied er sich doch dagegen. Vielleicht ahnte er, dass es alles nur noch schlimmer machen würde. Er öffnete die Tür und sagte: „Cem, gut dich zu sehen.“
„Komm mir nicht mit dem Scheiß. Was ist mit meinem Geld?“ fragte ein kräftiger Mann mit starkem Kinn und schwarzen kurzen Haaren und einem harten Ausdruck in den Augen, der klar sagte was passieren würde, wenn er sein Geld nicht bekäme.
„Ich …. Äh…. Es hat sich gerade eine Möglichkeit für mich aufgetan. Ich bring es dir gleich morgen, ja?“
„Du wolltest es mir schon vor zwei Tagen geben, meine Geduld ist am Ende. Außerdem schuldest du mir noch einen Gefallen.“
Elyas entschied erstmal nach dem Gefallen zu fragen.
„Worum geht es denn?“
„Ich brauch einen neuen Türsteher für meinen Club. Der alte ist mir von ein paar Säufern zusammengeschlagen wurden.“
„Ich … äh…“
Elyas hatte da wohl an etwas weniger gefährliches gedacht, gerade für eine halbe Portion wie ihn.
Cem sah den jungen Mann an, als würde er ihm gleich eine verpassen und da der Held nicht wollte, dass ihr Projekt vorschnell beendet war, sprang er seinem neuen Geschäftspartner zur Seite.
„He, vielleicht kann ich helfen.“
„Du?“
Der ältere Mann sah den Helden prüfend an.
„Hm… na von mir aus. Komm heute Abend vorbei, ich zeig dir dann alles.“
Cem gab dem Helden eine Karte, auf der die Adresse seines Clubs stand, dann wandte er sich wieder Elyas zu: „Ich hoffe, du schleppst die Kohle bald an.“
Er wandte sich um und ging zu seinem Auto, schloss auf, startete den Motor und fuhr rasant davon.
„Puh“, kam es von Elyas.
„Was hast du für Probleme mit diesem Kerl?“ fragte der Held.
Elyas sah so aus, als würde er lieber nicht antworten.
„Ich schulde ihm Geld, eine Menge Geld, außerdem ist das eigentlich sein Haus. Er ließ es mich benutzen, damit ich selbst was ranzüchten könnte, aber ich habs verbockt, jetzt kann ich ihm nichts zurückzahlen.“
„Hm… das heißt, wenn wir mit dir Geschäfte machen, dann machen wir sie eigentlich mit ihm, nur das wir weniger vom Kuchen abbekommen“ sagte der Held.
Elyas sah nicht glücklich aus.
„He, das mag vielleicht so aussehen, aber … ich hab hier alles was ihr braucht, um dieses Sumpfkraut zu züchten und ich kenn verdammt viele Leute in der Stadt.“
„Kennst du einen Käpt’n Kirk?“ fragte Lester hoffnungsvoll.
„Hm… nein, aber ich kann mich ja mal umhören“, antwortete Elyas, der vermutete, dass es ein Spitzname für jemanden Bestimmtes war.
Der Held überlegte schnell. Sie brauchten jemanden, der sich hier auskannte und wenn es schlecht lief, sprach nichts dagegen einfach abzuhauen, oder das Problem mit Gewalt aus dem Weg zu räumen. Er warf noch einen Blick zu Lester, der nur mit den Schultern zuckte, was wohl hieß, dass es bei ihm lag.
„Gut, wir sind im Geschäft“, sagte der Held und Elyas sah etwas überrascht aus.
Sie gaben sich die Hände und der junge Mann versprach bis zum Nachmittag alles was sie vielleicht noch gebrauchen könnten, ran geschafft zu haben. Elyas gab ihnen einen Ersatzschlüssel, damit sie ins Haus konnten, wenn es nötig sein sollte. Sie verabschiedeten sich und Lester und der Held gingen zurück zum Alexanderplatz. Der Morgen graute, vielleicht warteten die anderen schon auf sie.
Tatsächlich standen ihre Freunde am Fuß des langen, dünnen Turms und sahen sich müde nach ihnen um. Schnell stellte sich heraus, dass Milten, Gorn und Diego keinen Erfolg gehabt hatten. Niemand schien ihnen so wirklich etwas über diesen Käpt’n Kirk sagen zu wollen. Offenbar hielten viele ihre Fragen für einen Ulk und nahmen sie überhaupt nicht ernst.
„Vielleicht hat uns der Typ vom Mittelaltermarkt wirklich verschaukelt“ überlegte Gorn.
„Möglich …“ kam es von Lester.
„Und was habt ihr so getrieben?“ wollte Diego wissen.
Lester und der Held erzählten ihnen von ihrer neuen Geschäftsidee.
Diego, Gorn und vor allem Milten schauten verwundert aus der Wäsche.
„Handel?“
„Mit Sumpfkraut?“
„Ja, warum denn nicht?“ fragte der Held.
Diego und Gorn sahen sich an.
„Naja … ich könnte mir vorstellen, dass es Ärger bringt.“
„Vor allem, wenn es, so wie bei uns, Illegal ist“ setzte Milten hinzu. „Muss es denn ausgerechnet was illegales sein?“
„Hast du andere Vorschläge? Schließlich müssen wir ja irgendwie zu diesen Euros kommen“, verteidigte der Held seine Entscheidung. „Ich hab auch gleich einen Auftrag für heute Abend. Es geht darum eine Tür vor einem Club zu bewachen.“
„Was ist denn ein Club?“ fragte Diego.
„Ich vermute so etwas wie eine Taverne“ antwortete der Held. „Das wär doch was für dich, oder Gorn?“
„Ach ich weiß nicht … wir wollten doch eigentlich diesen Kirk finden …“ sagte Gorn, der so gar keine Lust hatte die Wache zu spielen.
„Hör mal, wir müssen uns erstmal hier zurecht finden und da muss man manchmal auch miese Jobs annehmen.“
„Du sprichst da wohl aus Erfahrung?“ fragte Lester amüsiert.
„Ja“, sagte der Held todernst.
„Und warum machst du das nicht?“ fragte Gorn genervt.
„Lester und ich werden das erste Sumpfkraut verkaufen, oder willst du das machen?“
„Bloß nicht, dann bin ich lieber Türsteher.“
„Schön, Milten und ich erkunden währenddessen weiter die Umgebung“ sagte Diego schnell, bevor der Held auch noch eine unangenehme Aufgabe für sie fand.
„Ehrlich gesagt schlaf ich gleich im Stehen ein. Können wir uns irgendwo ausruhen?“ fragte Milten.
„In diesem Haus, das Elyas uns gezeigt hat“, sagte Lester und er und der Held führten ihre Freunde dort hin.
Elyas und Tabo waren überrascht gleich drei Leute mehr in ihrem Projekt zu haben, aber sie wagten es nicht dagegen aufzubegehren und vermutlich dachten sie, dass diese neuen Typen noch irgendeinen Nutzen haben könnten.
„Ich geh mal eben zum Waschsalon“, erklärte Elyas und packte einen großen blauen Sack und warf ihn sich über die Schulter.
„Wohin?“ fragte der Held.
„Klamotten waschen, das kennst du wohl auch nicht, was? Ach, komm einfach mit!“ sagte Elyas und der Held, der sowieso keine Lust hatte sich schlafen zu legen, wo es doch gerade so viel zu entdecken gab, folgte ihm.
Auch Elyas hatte ein Auto. Der Held wollte nicht wie der letzte Idiot dastehen und machte seinem neuen Geschäftspartner alles nach. Tür öffnen, einsteigen, hinsetzen, anschnallen, doch dann gab es offenbar nichts weiter zu tun, denn offenkundig war Elyas der Lenker dieses Karrens und es gab offenbar nur einen, was ja auch Sinn ergab. Der Held beobachtete jeden weiteren Vorgang ganz genau, wurde aber einfach nicht schlau aus dem was sein neuer Kamerad da trieb. Elyas scherte sich nicht weiter um seine Begleitung und parkte vor einem abgeranzten Waschsalon. Elyas ging voran und als sie drin waren, schaute sich der Held interessiert um. Überall standen weiße komische Dinger.
„Also, das sind Waschmaschinen, ja?“ erklärte Elyas und tat als ob er zu einem Kleinkind spräche.
Er wusste nicht, ob er damit über die Stränge schlug, aber er fand es einfach lustig, wie ahnungslos sein Begleiter war. Er zeigte ihm wie man bezahlte und trat dann an eine der Maschinen heran.
„Hier macht man die Tür auf, schmeißt sein Zeug rein, dann öffnet man hier die Klappe, kippt weißes Pulver rein, zu und dann mit diesem Knopf auf 30 ° stellen, dann kann nichts passieren und auf „Start“ drücken. Fertig. In ner Stunde komm ich dann wieder und hols ab. Wir treffen uns später.“
Nachdem Elyas seine Dreckwäsche in eine der Maschinen gekippt und diese gestartet hatte verabschiedete er sich und marschierte zur Tür hinaus. Der Held setzte sich auf eine Bank vor der Maschine und sah gespannt durch das Glas ins Innere, wo jetzt Wasser einlief und anfing zu schäumen. Dann drehte sich alles und die Klamotten wirbelten umher. Der Held dachte nach. Das könnte er doch auch mit den Klamotten machen, die er dabei hatte. Schadete doch nichts … er tat es Elyas ganz genau nach. Er hatte so viel dabei, dass er zwei Maschinen benötigen würde und ohne sich große Umstände zu machen feuerte er die Rüstungen von sich und seinen Freunden in die Maschinen, kippte Waschpulver in die kleine Klappe, knallte den Deckel zu und stellte wie Elyas sagte auf 30 °. Dann drückte er auf „Start“ und hörte zufrieden wie diese Geräte, die offenbar für die Menschen arbeiten mussten, ihre Tätigkeit aufnahm.
‚Sehr gut, dann kann ich mich ja jetzt auf die Socken machen und mir weiter die Stadt angucken und vielleicht schon etwas Sumpfkraut verticken‘ dachte der Held und verließ das Gebäude.
Rasch stellte er fest, dass es gar nicht so einfach war das Sumpfkraut an den Mann zu bringen. Im neuen Lager war es damals doch recht leicht gewesen. Fast jeder den er ansprach war nicht abgeneigt etwas Kraut zu erstehen, doch hier sahen ihn die Menschen nur verstört an, wenn er sie ansprach mit: „He, du. Willst du etwas Sumpfkraut?“
Doch er wäre nicht er, wenn er sich nicht schnell anpassen könnte. Er fing an die Leute ganz genau zu beobachten. So zog der Held durch die Straßen und irgendwann zu einem Ort, an dem ein Schild „Bahnhof Zoo“ verkündete. Er lernte, dass ein Bahnhof ein Verkehrsknotenpunkt war, wo große Dinger, die Züge hießen einfuhren und von wo aus die Menschen überall durch die Stadt kamen. Hier wimmelte es von Menschen und er lernte schnell, dass er gerade bei denen Aussicht auf Erfolg hatte, die herumgammelten und den Tag vertrödelten. Die Leute, die es eilig hatten, sprach er sehr schnell gar nicht mehr an und hielt sich lieber an die vagabundierenden Typen, die vor Dreck starrten und meistens ganz übel rochen. Die konnte er anquatschen, ohne, dass sie ihn merkwürdig ansahen und viele waren auch offen für ein Gespräch. Dann erzählte er ihnen vom Sumpfkraut und das es ein pflanzliches Rauchkraut war. Er verteilte Gratisproben, damit seine potenzielle Kundschaft auf den Geschmack kam und tatsächlich trug dieses Vorgehen Früchte. Die Taugenichtse kommentierten die Erfahrungen ihres Rauschs mit: „Boahr, krass Alter“, „Super Zeug“, „He, toller Stoff, was kostet denn sowas?“
Der Held beschloss erstmal klein anzufangen und pro Stengel einen Euro zu verlangen. Er wollte erstmal rausfinden was ein Euro überhaupt Wert war. Nachdem er etwa dreißig Euro verdient hatte, ging er zu den Geschäften, die in der Nähe des Bahnhofs leicht zu finden waren und sah sich an, was man so für diese dreißig Euro bekam. Schnell stellte er fest, dass sich die Preise stark unterschieden und selbst bei gleichartigen Produkten schwankten, was es für ihn schwer machte einen Vergleichswert zum Gold herzustellen. Er nahm sich vor es auszutesten, ging zu einem Gebäckhändler und kaufte dort für zwei Euro ein Brot. Dann ging er zu einem anderen Bäcker, legte eine Goldmünze auf den Tisch und fragte den alten Verkäufer wie viel Brot er dafür bekommen könne. Der stutzte und hielt es im ersten Moment für einen Ulk.
„Du bist nicht von hier, oder?“ fragte der Mann.
Der Held schüttelte den Kopf.
„Mann, schnell, pack das wieder ein, bevor es jemand sieht! Dafür könntest du den halben Laden leer kaufen, wenn das wirklich echtes Gold ist.“
Der Held sah ihn verwundert an und lernte so, dass Gold viel mehr wert war als diese Euros.
„Behalt das Gold“ sagte der Held, weil er zufrieden war, diese wichtige Information erhalten zu haben.
Außerdem hatte er noch jede Menge Gold in seiner Tasche, das von Diego nicht mal mitgezählt.
Der alte Verkäufer sah ihn mit großen Augen an und packte ihm eilig von allem etwas ein, reichte ihm dann sechs vollgepackte Tüten und sagte: „Hier, mein Junge und pass auf deinen Rücken auf, hier muss wirklich jeder sehen wo er bleibt.“
„Ach das bin ich gewohnt“ sagte der Held lächelnd, nahm aber die Backwaren dankend an.
Er verließ den Laden und packte draußen das Essen in seine Hosentasche. Ihm fiel ein, dass er ja noch Wäsche abzuholen hatte und kehrte zum Waschsalon zurück. Dort liefen seine zwei beladenen Waschmaschinen Amok. Eigentlich war es vollkommen unmöglich, dass die Maschinen zu sehr ruckeln konnten, da sie fest verankert waren, aber beim Helden, da war fast nichts unmöglich. Die schweren, harten Rüstungen setzten den Maschinen ordentlich zu und im Schleudergang entstand ein derart lautes Rumpeln, das die Leute fluchtartig das Gebäude verließen. Nur ein kleiner, vielleicht neunjähriger Junge wurde von den Geräuschen angelockt, lachte und freute sich und kletterte vergnügt auf eine der wild gewordenen Maschinen.
„Hui, Rodeo!“ krähte er und hielt sich aufgeregt an der rumpelnden Maschine fest.
„Tobi, komm sofort runter!“ befahl seine Mutter, die angelaufen kam und als er nicht hörte, zerrte sie ihn von der Waschmaschine weg.
Der Held näherte sich vorsichtig den Geräten und wusste nicht, was er jetzt tun sollte. Doch seine Frage wurde bald beantwortet. Eine der Maschinen hörte auf zu zockeln und gab ein klägliches Piepsen von sich. Der Held näherte sich vorsichtig und drückte auf den Knopf über dem ein Lämpchen leuchtete. Das Piepen erstarb und er öffnete die Klappe. Die Trommel innen war völlig zerbeult und an manchen Stellen sogar zerfetzt. Dem Helden ging auf, dass das vermutlich nicht so sein sollte und er klaubte eilig die Klamotten aus der Maschine heraus. Sie stanken nicht mehr und waren unerklärlicherweise trocken, obwohl sie doch mit Wasser gewaschen waren. Wenig später piepte auch die zweite Maschine und er leerte auch diese.
Es war nicht einfach für ihn zurück zum Versteck zu finden. Die Stadt war einfach gewaltig groß und die Karten, die hin und wieder aushangen halfen ihm nicht wirklich weiter. Doch indem der die Leute nach dem Alexanderplatz fragte bekam er immerhin eine grobe Richtung mit. Er nahm sich vor bald mal herauszufinden wie das mit den öffentlichen Verkehrsmitten funktionierte. Er sah ständig wie andere Menschen sie benutzten, so schwer konnte es also nicht sein. Endlich fand er zurück zum Turm, der wie er herausfand „Fernsehturm“ hieß. Der Held hielt das zunächst für einen Eigennamen. Von dort aus wusste er aber den Weg zu ihrer neuen Bleibe. Er weckte seine Freunde mit den Worten: „Essen fassen“
Während sie das Gebäck verspeisten berichtete der Held seinen Freunden was er herausgefunden hatte. Wenig später kam auch Elyas zurück. Er hatte Utensilien dabei, die sie an Alchemiegegenstände erinnerten und vermutlich für das Herstellen der Sumpfkrautstengel genutzt werden sollten. Außerdem sagte er, er habe allerhand Kästen und Erde, um neue Pflanzen zu ziehen. Lester fand es selbstverständlich, dass das seine Aufgabe war und er folgte Elyas hinunter in den Keller wo sie ihr Projekt starteten. Milten wollte weiter die Stadt erkunden und Diego wollte mit dem Helden und Gorn diesen Club ansehen, von dem die Rede war. Als Elyas wieder den Keller heraufkam, stiegen sie alle in sein Auto und fuhren los. Dem Helden kam es schon gar nicht mehr so komisch vor, aber Gorn und Diego waren froh, als sie dieses Gefährt endlich wieder verlassen konnten. Ihnen war schlecht.
Es war mittlerweile Nacht geworden. Ein Schild über dem Club verkündete in leuchtenden Buchstaben vollmundig das „Paradise“. Vor der Tür hatte sich eine lange Schlange von Menschen versammelt, die alle hineinwollten. Ein schmächtiger Typ versuchte für Ordnung zu sorgen was ihm überdeutlich misslang. Elyas kannte ihn aber wohl und er wurde mit seinen Begleiter hineingelassen. Innen wummerte laute sehr ungewohnte Musik. Menschen tranken an einem Tresen und Leute zappelten auf einer großen Fläche herum. In einem Bereich weiter hinten gab es Wasserpfeifen, an denen Menschen gierig den Dampf einsaugten und dann genüsslich wieder ausstießen. Durch eine Tür kamen sie in ein Hinterzimmer, wo sich Cem mit einem anderen Typen beriet.
„Da seid ihr ja endlich“, sagte Cem ungeduldig und er sah die Neuankömmlinge gespannt an.
„Ich hab hier deinen neuen Türsteher mitgebracht“ sagte der Held und zeigte auf Gorn.
„Du? Du bist ja noch besser. Komm mit! Ich zeig dir was du zu tun hast, es ist ganz leicht.“
Sie gingen wieder hinaus wo Cem den lausigen Ersatztürsteher vertrieb und erklärte: „Es ist ganz einfach, du siehst dir die Leute an und schickst die weg, die aussehen, als würden sie ärger machen.“
Cem zählte auf: „Betrunkene, zugedröhnte Junkies, Schläger und so. Außerdem kommt es immer gut, wenn du den Leuten klar machst, dass sie sich zu benehmen haben. Hier …“
Der Besitzer des Clubs händigte Gorn einen Ohrstöpsel und ein kleines Gerät aus.
„Das hängst du dir ins Ohr und wenn ich dich anfunke und dir mitteile, dass es drinnen Stunk gibt, dann kommst du rein und schmeißt die Störer raus. Klar soweit?“
Gorn nickte. Er rechnete nicht mit Schwierigkeiten. Die Leute in der Schlange sahen ihn eingeschüchtert an. Offenbar wünschten sie sich den vorherigen Türsteher zurück. Cem kehrte ins „Paradise“ zurück und kam mit Elyas und dem Helden ins Gespräch. Diego hatte sich bereits verdrückt und bei einem Kartenspiel beteiligt, wo es um hohe Summen ging. Die anderen hatten ihn erst nicht mitspielen lassen wollen, aber als sie die Goldmünze sahen, die er als Einsatz auf den Tisch warf, bekamen sie große Augen und rückten eilig zusammen um ihm noch einen Platz zu verschaffen.
Elyas und Cem kamen überein das Sumpfkraut zukünftig auch hier im Laden unter der Hand zu verkaufen. Bald konnte es auch für die Wasserpfeifen verwendet werden, versprach der Held. Sie kamen ins Geschäft. Mehr gab es nicht zu bereden.
Der Held verzog sich und beschloss sich die Sache mit den öffentlichen Verkehrsmitteln mal genauer anzusehen. Den größten Teil der Nacht verbrachte er damit, einen Bahnhof nach dem anderen anzufahren und dort Sumpfkraut zu verkaufen. Er tat das recht offen. Das hatte den Vorteil, dass er viele potenzielle Kunden erreichte, aber den Nachteil, dass andere Dealer es schnell mitbekamen und ihren Markt in Gefahr sahen. Gerade war er auf einem Bahnhofsvorplatz und steckte einer Bettlerin etwas Sumpfkraut zu. Sie konnte ihn zwar nicht bezahlen, aber er versprach sich in Zukunft Informationen von ihr. Bettler hatten ihre Augen überall. Es konnte nicht schaden den einen oder anderen Informanten zu haben.
„He, hör auf hier dieses Dreckzeug zu verticken!“ schrie ihn auf einmal ein schlaksiger Typ an, der eine dicke glänzende Jacke trug, um sich vor der Kälte der Nacht zu schützen.
Der Held diskutierte nicht lange und schlug zu. Der Dealer war so überrumpelt, dass er strauchelte und nach hinten umfiel. Eilig stütze er sich mit einem Arm nach hinten ab, um nicht mit dem Kopf auf dem harten Pflaster aufzuschlagen.
„He!“ kam ein Brüllen von der anderen Seite des Platzes.
Dort standen drei weitere Kerle, die vielleicht auch dealten, oder den Kerl zumindest kannten. Der Held wusste, dass sah nach Ärger aus. Vermutlich könnte er sie auch so erledigen, aber er wollte kein Risiko eingehen, immerhin war er ohne Rüstung. Er entschied, zu zaubern und rief einen Wolf herbei. Die Männer die angerannt kamen blieben irritiert stehen, als sie das knurrende Tier erblickten und als sie dann doch eine unsichtbare Linie überschritten, die sie von seinem Herren trennte, griff der Wolf an. Unter lautem Knurren verbiss er sich in den rechten Arm eines der Männer. Stoff und Füllmaterial flogen durch die Luft und klares, helles Blut spritzte aus der aufgerissenen Jacke.
„Ruf das Vieh zurück!“ schrie einer der Kerle.
„Ich denk ja gar nicht dran“, sagte der Held, der es unverschämt fand, dass ihm diese Kerle auch noch befehlen wollten, was er zu tun hätte.
Er wartete angespannt ab, ob er noch in den Kampf eingreifen sollte oder nicht. Sein Wolf hatte gerade losgelassen, um einen neuen Angriff zu starten, aber die Kerle entschieden die Beine in die Hand zu nehmen und vor dem Tier zu fliehen. Der Wolf verfolgte sie einige Meter, blieb dann stehen, knurrte ihnen noch einmal hinterher und kam dann zum Helden zurück. Einige Leute waren auf das Geschehen aufmerksam geworden und so entschied sich der Held diesen Ort zu verlassen. Am Horizont kündete das erste helle Licht vom neuen Tag. Im Dauerlauf lief er die Straßen Berlins entlang und orientierte sich an einigen markanten Punkten, die er in der Nacht erkundet hatte. Er bog in die Straße ein, wo ihr Unterschlupf lag. Verwundert sah er, dass sich viele Kinder hier versammelt hatten. Sie gingen zur Schule. Ein Vater brachte seinen Sohn gerade zur Schule und verärgert musste er feststellen, dass er trödelte. Der Junge hatte nur Augen für etwas, das hinter dem Helden herlief: „Guck mal, der Waldi!“
Der Held hörte es nur am Rande, wusste aber nicht was der Kleine meinte. Er sah sich um und erblickte den Wolf, der immer noch hinter ihm herlief. Er blieb stehen und sah das Tier verwirrt an. Der Wolf blieb ebenfalls stehen und wartete auf Befehle. Warum verschwand der Wolf nicht? In Myrtana hielten seine Beschwörungen nie besonders lange. Der Wolf hätte längst verschwinden müssen. Aufgrund dessen hatte es sich der Held angewöhnt gar nicht mehr so sehr zu schauen, was seine Beschwörungen so trieben und war jetzt umso erstaunter den Wolf immer noch voller Energie vor sich zu sehen. Er beschloss Milten danach zu fragen.
‚Vielleicht hätte ich mich doch mehr mit dem magischen bla bla beschäftigten sollen…‘ dachte der Held und betrat das Versteck.
Der Wolf zögerte kurz als er bei den Treppenstufen anlangte, folgte dann aber gehorsam seinem Herren. Der Held fand den Feuermagier in eine Karte der Stadt vertieft, die er auf einem Tisch ausgebreitet hatte.
„Es ist unglaublich wie groß diese Stadt ist und wie viele Leute hier leben“, sagte Milten, als er den Helden sah, der sich jetzt zu ihm stellte und die Karte betrachtete. Der Wolf kam langsam näher. Der Feuermagier warf einen Blick auf das Tier und wartete auf eine Erklärung des Helden.
„Irgendwas stimmt nicht mit meiner Beschwörung. Sonst hielten sie sich nie so lange. Weißt du was da los ist?“
Milten hob eine Augenbraue.
„Ich? Du weißt doch, dass ich ein Feuermagier bin. Wir beschwören für gewöhnlich keine Kreaturen. Du warst doch mal ein Wassermagier, da ist es zumindest üblich hin und wieder einen Golem herbeizuholen und Xardas müsste doch über jede Menge Wissen über beschworene Wesen verfügen. Hast du ihn nie gefragt?“
„Nun …“
Der Held sah verlegen zu Boden.
„Wie ich mal sagte, mich hat immer besonders interessiert, wie ich einen Zauber ausführen kann, das ganze drum herum war mir bisher nicht so wichtig.“
Milten seufzte.
„Lass mich mal sehen.“
Er wollte sich dem Wolf nähern, doch der knurrte. Lester kam gerade zur Tür herein und tat überrascht einen Satz zurück.
„Whoar, was macht der Wolf hier?“
„Ich hab ihn beschworen, als so ein paar Typen ärger wollten, aber jetzt verschwindet er nicht mehr. Waldi, hör auf zu knurren!“ befahl der Held.
„Was? Wie heißt der?“ fragte Lester belustigt und näherte sich jetzt auch dem Wolf.
„So hat ihn ein Knirps draußen vor dem Haus genannt“, sagte der Held schulterzuckend.
Der Wolf gehorchte jedenfalls und ließ sich nicht dazu hinreißen nach Milten zu schnappen, der ihm jetzt ganz nah kam um ihn zu untersuchen. Lester kam dazu und streckte die Hand aus. Waldi schien das nicht zu gefallen und warf einen ängstlichen Blick zum Helden, der ihm jedoch bedeutete, nicht anzugreifen.
„So nah bin ich einem Wolf noch nie gewesen. Jedenfalls keinem Lebenden, ohne dass er mich angegriffen hätte“, sagte Lester erfreut und streichelte dem Wolf durch das Fell.
Der ließ es geschehen, sah ihn aber skeptisch an.
„Hm…“ kam es von Milten. „Ich vermute, dass es mit der magischen Struktur dieser Welt zusammenhängt. Hier gibt es kaum Magie und deswegen kann sie wohl nicht so schnell wieder verdrängt werden. Jedenfalls ist das meine Theorie.“
Der Feuermagier sah so aus, als würde er sich gerne weiter damit befassen.
„Wie läuft es mit dem Sumpfkraut?“ fragte der Held Lester.
Der zuckte mit den Schultern.
„Ach ganz gut, denke ich. Dieser Tabo und ich haben den Keller und ein Obergeschoss mit Kästen voller Erde zugestellt. Da könnten wir jetzt Sumpfkraut einpflanzen.“
„Oh, richtig.“
Der Held hatte ganz vergessen, dass er sämtliches Sumpfkraut bei sich trug und Lester gar nichts tun konnte, so lange er es nicht abgeliefert hatte. Er ließ sich von Lester zu den Kästen im Obergeschoss führen und holte das Sumpfkraut aus der Tasche. Die Pflanzen die noch intakt waren pflanzte er zusammen mit Lester ein, die mit abgeknickten Halmen legte er in einen Korb. Sein Freund würde sie zu Sumpfkrautstengel verarbeiten. Es dauerte Stunden und war aus Sicht des Helden langweilige Arbeit, aber er wusste, dass es getan werden musste, damit sie vorankamen.
„Wie willst du die Pflanzen wässern?“ fragte der Held.
„Es gibt hier so etwas, das nennt sich Regenrinnen. Fällt der Regen hinein, dann läuft es dort entlang und fließt eigentlich in den Boden, aber Tabo hat es so verändert, das es in diesem Geschoss und unten im Keller in Behältnisse läuft, aus denen wir dann das Wasser schöpfen können. Ich hab aber auch gesehen, wie Wasser aus der Wand kommt“, sagte Lester aufgeregt.
„Wie meinst du das?“ fragte der Held verwundert.
„Es heißt Wasserhahn, aber offenbar kostet es viel Geld und deswegen ist es besser das Regenwasser zu benutzen so lange welches da ist und hier regnet es angeblich oft.“
Sie waren gerade damit fertig die letzte Pflanze in die Erde zu stecken und beschlossen, jetzt im Keller weiterzumachen. Als sie vorne zur Tür gingen kamen sie am Korb mit den aussortierten Sumpfkrautpflanzen vorbei. Waldi hatte sich dort eingekringelt und war eingeschlafen.
Lester gluckste.
„Noah sieh nur wie er da so schläft, man könnte fast vergessen was ein Wolf für ein bissiges Biest ist.“
Der Held wollte ihn schon aus dem Korb heben, aber sein Freund hielt ihn zurück.
„Lass nur, ich hab eine Idee. Was hältst du davon dich auszuruhen? Du hast bisher noch kein Auge zugemacht und ich kann das im Keller auch allein, immerhin konnte ich die Nacht schlafen. Gib mir einfach ein paar der Sumpfkrautpflanzen.“
Der Held kramte die Pflanzen hervor und ließ eine nach der anderen in einen Sack aus glattem Material fallen. Als er voll war nickte Lester zufrieden.
„Das reicht.“
„Wo kann ich mich hinhauen?“ fragte der Held und merkte erst jetzt wie müde er war.
„Warte ich zeig’s dir.“
Zu seiner Überraschung griff Lester den Korb mit dem Wolf an den beiden Henkeln und trug ihn weiter die Treppe hinauf. Der Held folgte ihm in den Raum mit dem hässlichen grünen Sofa, wo auch das Bett stand. Dort daneben stellte Lester den Korb mit dem Wolf. Er sah ihn noch einen Moment an und wuschelte ihm dann noch mal durchs Fell. Der Wolf gab ein wohliges Brummen von sich, wachte aber nicht auf.
„Na, dann bis später“ sagte der Herr der Sumpfkrautpflanzen und verließ den Raum.
Der Held ließ sich ohne große Umstände aufs Bett fallen und schlief ein.
Eispfötchen
30.11.2017, 22:59
Als er aufwachte, war es schon wieder dunkel. Der Wolf war bereits wach und beobachtete ihn, als er aufstand. Der Held fand das etwas unheimlich. Er lief die Treppe hinunter wo er Lester fand und fragte, ob er zu lange geschlafen hatte, aber sein Freund erklärte ihm, dass die Tage hier zu dieser Jahreszeit recht kurz waren, das hatte ihm Elyas mitgeteilt.
„Milten ist nicht da. Er sagte, er wolle eine Bibliothek suchen. Er hat aber drei Teleporterrunen angefertigt. Für dich, mich und sich selbst.“
Lester gab ihm eine der Runen. Der Held musterte sie verblüfft. Sie sah recht zweckmäßig aus. Ein skizziertes Haus half den Zielort von anderen Teleporterrunen zu unterscheiden.
„Diego und Gorn sind nur kurz vorbeigekommen, um ein Nickerchen einzulegen und sich dann Diegos neuen Besitz anzusehen. Offenbar hat er ein Geschäft beim Kartenspiel gewonnen.“
Der Held sah Lester ungläubig an, als er ihm davon berichtete. Der zuckte nur mit den Schultern.
„Du weiß doch wie Diego ist. Immer da, wo was zu holen ist. Keine Ahnung wie er das immer macht. Angeblich handelt es sich um ein Geschäft, das Schlüssel anfertigt, oder so … keine Ahnung, frag ihn doch mal, wenn du ihn siehst. Und was hast du heute vor?“
„Ich denke, ich zieh wieder los um Sumpfkraut zu verkaufen. Kommst du mit?“
Lester schüttelte den Kopf.
„Ich muss erstmal für Nachschub sorgen. Da liegen Haufenweise Pflanzen im Keller, die alle darauf warten zu Stengeln verarbeitet zu werden. Ich war schon den ganzen Tag beschäftigt. Dieser Tabo war mir eine große Hilfe. Ich versteh zwar kein Wort von dem was er sagt, aber er weiß trotzdem was zu tun ist. Hier, nimm erstmal die!“
Er reichte dem Helden einen Karton, wo in lauter kleinen, glatten, durchsichtigen Tüten Sumpfkrautstengel lagen. Das war recht praktisch, weil man den Kunden so die Stengel nicht einzeln reichen musste und genau portionieren konnte.
Waldi winselte auf einmal. Der Held sah ihn skeptisch an.
„Was hat er denn?“
Lester legte den Kopf schräg.
„Vielleicht hat er Hunger?“
„Er ist ein beschworener Wolf“ dementierte der Held.
„Naja, trotzdem ist er aus Fleisch und Blut oder? Warum sollte er dann nicht essen müssen?“
„Hm…“
Sowas war dem Helden noch nicht passiert. Er kramte in seiner Hosentasche und holte ein Stück gebratenes Fleisch hervor. Waldi horchte auf und folgte dem Fleischstück mit den Augen.
„Hier, fang!“
Der Held warf das Fleischstück in die Höhe und Waldi hechtete hoch und schnappte es mit dem Maul. Der Held sah zu Lester der zufrieden grinste.
„Siehst du.“
„Hm…ich denke ich muss noch mehr über Beschwörungen lernen. Ich weiß kaum wie man ihnen Befehle gibt. Xardas schafft es sogar seinem Skelett zu befehlen seinen Turm zu kehren.“
„Echt?“
Lester lachte.
„Das stelle ich mir lustig vor. Aber, versuch doch einfach Waldi etwas zu befehlen. Wir werden ja dann sehen, ob er gehorcht.“
„Waldi, bleib hier und bewache diesen Ort, bis ich wieder zurück bin! Lester ist in Ordnung, ok?“
Waldi sah ihn kurz an, schleckte sich mit der Zunge über die Schnauze und machte sich dann weiter über sein fressen her.
„Keine Ahnung ob’s was gebracht hat“, sagte der Held.
„Naja, wenn er dir nicht folgt, dann vermutlich schon“, überlegte Lester.
Der Held entfernte sich, aber der Wolf blieb wo er war. Es schien zu funktionieren.
Der Held beschloss zuerst beim „Paradise“ vorbeizuschauen und einen Großteil des Sumpfkrauts dort abzuliefern. Er war ganz stolz auf sich, weil er den Weg mit öffentlichen Verkehrsmitteln dorthin fand. Vor dem Club sah er wie Gorn die Leute in der Schlange kritisch betrachtete und nach Unruhestiftern suchte.
„Na, alles klar?“ fragte der Held im Vorbeigehen.
„Ja, geh nur rein“, kam es zur Antwort von Gorn.
Als hätte er nie was anderes gemacht schlängelte sich der Held im Inneren durch die Menschenmassen zum Hinterzimmer, wo er Cem traf und ihm den Sack mit den Sumpfkrautstengeln überreichte.
„Hier, die erste Lieferung. Sieh es als Anzahlung für Elyas Schulden, ok?“
Cem sah ihn skeptisch an.
„Warum setzt du dich für ihn ein?“
„Ich sehe es als Vertrauensbasis“, erklärte der Held.
„Dein Kumpel da draußen macht seine Sache gut. Allerding vielleicht zu gut. Gestern hat er zwei Streithähne rausschmeißen wollen und weil sie sich weigerten, hat er ihnen links und rechts eine verpasst, dass sie nicht mehr wussten wo oben und unten war und sie dann vor die Tür geschmissen.“
„Und?“ fragte der Held ungerührt.
Cem sah ihn mit einem merkwürdigen Ausdruck an.
„Wenn die Anzeige erstatten, dann holen sie vielleicht die Polizei auf den Plan.“
Der Held verstand ihn nicht.
„Du meinst Ordnungshüter, so eine Art Miliz?“ fragte der Held.
„Mann, wo kommst du denn her? Hier heißt das Polizei.“
Cem schüttelte den Kopf.
„Geh am besten raus und sag deinem Kumpel, dass er nicht ganz so hardcore sein soll.“
Der Held konnte sich denken was Cem meinte, drehte um und lief zurück nach draußen.
Dort machte Gorn gerade einen Kerl zur Schnecke, der sternhagelvoll in den Club wollte.
„Verschwinde und nüchtere dich erstmal aus!“
Der Kerl lallte etwas Unverständliches.
„Muss ich erst ungemütlich werden?“ fragte Gorn hart.
Es sprach für Gorns Einschüchterungsvermögen, dass es selbst dem sturzbesoffenen Kerl klar wurde, dass er sich hier besser nicht weiter unbeliebt machen sollte. Er wankte von dannen und erbrach sich an der nächsten Hauswand. Gorn winkte die nächsten Gäste hinein, ein paar junge Damen, die Gorn bewundernde Blicke zuwarfen. Danach folgten mehrere Herren, die den Damen vielleicht einfach nur gefolgt waren und dann kam ein offenbar frisch verliebtes Pärchen.
Der Held stellte sich neben Gorn und sah ihm einen Moment zu. Er fand eigentlich nicht, dass Gorn zu hart vorging. Doch er hatte einen Auftrag bekommen.
„Cem sagt, es würden Milizen kommen, wenn du Leute verprügelst“, sagte er leise zu seinem Freund.
Gorn gab ein Glucksen von sich.
„Ach, sagt er das ja? Ist das jetzt hier ein Türsteher Job, oder nicht?“
„Hm…“ kam es vom Helden. „Vielleicht ist es besser mögliche Störenfriede schon gleich vorab einzuschüchtern, damit sie dann drinnen nicht alles auseinandernehmen.“
„Was denkst du, was ich hier mache?“
„Naja, ich meinte, noch mehr.“
Der Held baute sich neben Gorn auf und trat dann zu einem Kerl, der so aussah, als suche er Streit.
„He, du. Wenn du Streit suchst, sollte dir bewusst sein, dass jeder der hier Ärger macht volles Pfund aufs Maul kriegt.“
Der Held schlug mit seiner rechten Faust in seine offene linke Hand. Der Typ sah ihn erschrocken an und drehte sich dann eilig weg, um hier zu verschwinden. Der Held sah Gorn triumphierend an.
„Siehst du, es funktioniert.“
Gorn wusste ja nicht, ob das der Sinn der Sache war. Er erklärte dem Helden, dass er hier ganz gut allein zurechtkam und er sich wieder um den Verkauf des Sumpfkrauts kümmern solle. Der weitere Abend verlief ohne Zwischenfälle, bis …
„He, dürfen wir mal durch, ist dienstlich“, hörten sie von weitem eine Stimme zu ihnen herüberwehen.
Zwei Herren in blauer Uniform drängelten sich zu ihm durch. Der eine war mittelgroß und recht dick, der andere jünger und eigentlich ganz gut in Form, aber recht klein.
„Guten Tag, wir sind von der Polizei und haben eine Anzeige wegen Körperverletzung erhalten. Sie sind hier der Türsteher?“ fragte der Dicke.
Er hatte eine tönende Baritonstimme, vermutlich konnte er mühelos über einen ganzen Platz hinwegrufen und sich so Gehör verschaffen.
„Der bin ich“, erklärte Gorn und ahnte, dass das auf Ärger hinauslaufen würde. „Ich mach hier meine Arbeit und wenn hier Streithähne meinen alles auseinandernehmen zu müssen, dann werfe ich sie achtkantig raus.“
Der Kleinere sah Gorn skeptisch an, der Dicke versuchte es erstmal auf die nette Tour.
„Das können wir ja verstehen, trotzdem sollten Sie davon absehen Hand an andere Personen zu legen.“
„Sag mir nicht, was ich zu tun und zu lassen habe!“ sagte Gorn aufbrausend.
„He, werd nicht frech!“ sagte der kleinere Polizist, was ihm einen finsteren Blick von Gorn einbrachte, der klar sagte, dass er dabei war des Krieges Hund zu entfesseln.
„Vielleicht können wir alles in einem klärenden Gespräch auswerten. Bitte folgen Sie uns doch einfach zu unserem Wagen, wo wir ein Protokoll aufnehmen werden“, versuchte der ältere Polizist weiterem Ärger aus dem Weg zu gehen.
„Nen Scheiß werd ich tun!“ kam es harsch von Gorn.
Tatsächlich schaukelte sich die Situation immer weiter hoch, bis der kleinere Polizist Gorn festnehmen wollte, was der natürlich nicht einfach so geschehen ließ und ihm einen üblen Schwinger versetzte, auf den der Polizist nicht gefasst war. Mit großer Wucht krachte er mit dem Genick voran gegen die Hauswand und regte sich nicht mehr. Sein Kollege wurde bleich.
„Was hast du nur getan?“ fauchte er Gorn an und funkte schnell Verstärkung und einen Krankenwagen herbei.
Gorn war selbst etwas überrascht vom Ausgang des Kampfes. In Myrtana hätten sich die Menschen nicht so einfach überrumpeln lassen. Sie wären auf so einen Angriff gefasst gewesen.
Es endete damit, dass weitere Polizeiwagen anrückten und Gorn festgenommen wurde. Ein Krankenwagen brachte den verletzten, aber zum Glück noch lebenden Polizisten ins nächste Krankenhaus wo er versorgt wurde. Als der Held erfuhr was geschehen war, stürmte er aus dem Club, und fand sich zwischen einigen Müllcontainern wieder. Er kramte nach der neuen Teleporterrune und war im nächsten Augenblick im Flur ihres Verstecks.
„Gorn wurde von der Miliz festgenommen“ rief er sofort.
Lester, der gerade aus dem Keller kam, sah ihn verblüfft an.
„Miliz, was für eine Miliz?“ fragte Elyas.
„Die … Polizei“, fiel dem Helden das Wort wieder ein. „Offenbar regten sie sich auf, nur weil er ein paar Ohrfeigen verteilt hat.“
Er rannte zu den anderen hoch, um zu bereden wie sie jetzt vorgehen sollten. Diego und Milten waren auch da, was hieß, dass sie zu fünft waren.
„Kaum, seid ihr da, macht ihr Ärger. Zieht mich da bloß nicht mit rein“, kam es von Elyas.
Er packte seine schwarze glänzende Jacke und lief die Treppe hinunter. Unten knallte die Haustür.
Sie waren zu viert.
„Wo ist denn dieser Tabo?“ fragte der Held und sah sich nach ihm um.
Lester sah betreten zu Boden.
„Naja, weißt du … Waldi hat ihn offenbar als Gefahr gesehen und ihn angesprungen. Ich konnte ihn zwar davon abhalten ihm die Kehle rauszureißen, aber Tabo war dann so geschockt, dass er das Weite gesucht hat. Keine Ahnung, ob er noch mal wiederkommt.“
„Wer kanns ihm verübeln“, sagte Milten.
Der Held schüttelte irritiert den Kopf, damit konnte er sich jetzt aber nicht befassen.
„Wie holen wir Gorn da raus? Die haben ihn bestimmt schon eingebuchtet.“
„Vielleicht können wir die Wachen bestechen“, schlug Diego vor.
„Hm… wäre einen Versuch wert“, überlegte der Held.
„Oder es verschlimmert die Lage nur noch“, warf Milten ein.
„Oder wir schmuggeln einen Dietrich rein, damit sich Gorn selbst befreien kann“, schlug der Held vor.
Diego schüttelte den Kopf.
„Gorn kann keine Schlösser knacken.“
„Und wenn wir das machen?“ fragte der Held.
„Hm…“
Diego zupfte sich nachdenklich am Bart.
„Wir sollten uns ein Bild vor Ort machen.“
Draußen vor der Haustür fanden sie Elyas, der Sumpfkraut rauchte. Offenbar war auch er auf den Geschmack gekommen. Sie fragten ihn, wo sich Gorn jetzt befinden könnte und er erklärte ihnen den Weg zu dem Polizeirevier, das dem „Paradise“ am nächsten lag.
„Also, wie gehen wir vor?“ fragte Milten, als sie vor dem Gebäude standen.
„Ich geh mal rein und überprüfe die Lage“, erklärte der Held. „Wenn was schief läuft, werdet ihr so nicht mit reingezogen.“
Milten sah ihn beinahe flehentlich an.
„Bitte nimm nicht gleich alles auseinander. So würdest du nur alles verschlimmern. Es gibt bestimmt auch eine bessere Lösung.“
Der Held seufzte.
„Ich hoffe es.“
Er ließ Diego, Lester und Milten stehen und betrat das Gebäude. Er sprach den erstbesten Polizisten an und fragte, ob er mit jemanden über den Türsteher Gorn sprechen könne.
„Haben Sie eine Aussage zu machen?“ fragte der Polizist.
„Ja, sicher“, sagte der Held, weil er hoffte, dass ihn das weiterbrachte.
„Sie haben Glück, die Kollegen befassen sich gerade mit ihm.“
Der Polizist führte ihn einen Gang entlang und zu einem sterilen Raum wo zwei Kollegen mit Gorn sprachen.
„He, wir sind hier drin beschäftigt“, sagte der Polizist, der in diesem Fall das Sagen hatte.
Der Held sah, dass auf seinem Namensschild „Nagel“ stand. Bei dem anderen Mann, ein großer bulliger Typ war „Klein“ zu lesen.
„Er sagt, er hat in diesem Fall eine Aussage zu machen“, sagte der erste Polizist und schob den Helden zu seinen Kollegen in den Raum.
Herr Nagel war offenbar nicht froh über die Unterbrechung.
„Name?“ fragte er harsch.
„Wer? Ich?“ fragte der Held verwundert.
„Ja, na wer denn sonst?“ kam es genervt vom dem ranghöheren Polizisten.
„Ich hab keinen Namen“, sagte der Held aufrichtig.
„Sie wollen mich wohl verscheißern, was? Der da sagt, er hätte keinen Nachnamen und sie wollen mir sagen sie haben überhaupt keinen?“
Der Held überlegte kurz und sagte dann, als wäre es das normalste überhaupt: „Ja“
„Ach ja, und sie wollen mir bestimmt sagen, Herr …. Herr Gorn hätte vollkommen korrekt gehandelt, als er die beiden Gäste des „Paradise“ verprügelte?“ sagte Herr Nagel.
Der Held zuckte mit den Schultern.
„Na, er ist doch der Türsteher. Hör mal, ich lasse auch reichlich Gold springen, wenn du ihn laufen lässt, ok?“
Herr Klein’s Augen wurden ganz groß und Herr Nagel lief tiefrot an.
„Bin ich hier im Irrenhaus, oder was? Scheren Sie sich raus, bevor ich sie wegen Bestechungsversuchen auch noch einbuchte!“
‚Das lief ja nicht besonders‘ dachte sich der Held, als er das Gebäude verließ und den anderen von seinem fruchtlosen Versuch berichtete.
„Immer landet Gorn im Knast“, ließ der Held seinen Frust aus.
„Was heißt denn hier immer?“ fragte Diego verwundert.
„Naja, damals als Garond die Burg besetzte, da hatten sie ihn auch eingebuchtet und später auf dem Festland die Orks und so gesehen, die Barriere war ja auch ein Gefängnis.“
„Naja, so gesehen, hast du uns alle schon aus dem Knast geholt“, sagte Lester und lachte.
Der Held achtete gar nicht auf ihn und überlegte was er jetzt tun könnte, um Gorn zu helfen.
„Ich hab aber eine Idee, wie wir mehr herausfinden können. Ich hab da einen Zauber, der heißt Seelenwanderung, damit kann ich ungesehen herumschnüffeln. Vielleicht krieg ich so etwas raus“, schlug der Held vor.
Milten sog zischend die Luft ein.
„Das ist Beliars Magie, muss das sein?“
„He, wenn die Feuermagier auch so einen Zauber haben, nehm ich auch den. Nein? Na dann muss es eben Seelenwanderung herhalten. Ich muss dazu möglichst ungestört sein, weil ich mich in dem Zustand nicht bewegen kann. Wäre also ganz nett, wenn ihr mich vor unliebsamen Feinden abschirmen könntet.“
„Was denn für Feinde?“ fragte Milten verwundert.
Der Held wusste auch nicht so recht, aber er war es gewohnt, dass immer irgendwo Feinde waren. Er dirigierte seine Freunde zu einem abgelegenen Platz, an der Seite des nächsten Gebäudes und wandte den Zauber an. Er bekam einen leeren Blick und regte sich nicht mehr. Vorübergehende Passanten dachten vermutlich er wäre total bekifft, doch der Geist des Helden machte sich auf den Weg zurück zum Polizeirevier. Gezielt schwebte er durch die Gänge und zurück zu Gorn und den Herren Nagel und Klein. Es war sehr mühsam den Beiden zuzuhören. Sie stellten Gorn allerhand Fragen, auf die er unmöglich eine Antwort haben konnte. Sie wollten Ausweißpapiere sehen, einen Personalausweis, Reisepass, Führerschein, irgendwas. Sie dachte er würde absichtlich nicht kooperieren. Sie wollten wissen, wo er gemeldet war. Auch damit konnte Gorn nichts anfangen. Der Held entschied, dass er hier nicht weiterkam und suchte im übrigen Gebäude nach weiteren Informationen. Die Gespräche der anderen Polizisten waren für ihn oft schlicht unverständlich. Es dauerte lange, bis er etwas Nützliches herausfand. Er hörte, dass der Polizist, den Gorn verletzt hatte, noch am Leben war und auch den Namen des Krankenhauses, in dem er sich jetzt befand. Mit dieser Information kehrte er zu Diego, Lester und Milten zurück.
„Und was fangen wir jetzt damit an?“ wollte Lester wissen.
„Hast du gesehen, ob es einen Fluchtweg für Gorn gibt?“ fragte Diego.
„Nein, alles voller Wachleuten, da kommt er nicht so einfach weg. Vielleicht wenn ich Schlafzauber wirke … aber dafür sind es auch einfach zu viele, “ überlegte der Held.
„Vielleicht könntest du irgendwie für Ablenkung sorgen?“ fragte Lester.
„Ich könnte einen Dämon beschwören, dann würde bestimmt Panik ausbrechen“, überlegte der Held.
„Das kann ich mir vorstellen“ kam es von Diego, der verstimmt an seine letzte Dämonenbegegnung zurückdachte.
„Vielleicht sperren sie Gorn dann aber erst recht ein, weil sie den Dämon bekämpfen müssen“, kam es von Lester.
„Wir könnten vielleicht einen Handel mit der Miliz durchführen“, überlegte Diego.
„Was meinst du, sollen wir den Typen entführen und ihn dann gegen Gorn eintauschen?“ fragte der Held geschäftsmäßig.
„Leute“, kam es von Milten. „Jetzt macht doch mal langsam. Eure Lösungsvorschläge machen es doch nur noch schlimmer.“
Doch seine Freunde hörten ihm nicht zu. Sie waren so sehr in ihre Pläne vertieft, dass sie gar nicht daran dachten, es vielleicht auch mit einer Lösung zu versuchen, in der keine weiteren Strafdelikte notwendig waren. Milten seufzte. Diesmal lag es wohl an ihm, wenn er nicht wollte, dass seine Freunde die Lage noch verschärften. Er ließ sie stehen und Pläne schmieden, einer gefährlicher als der andere und fragte einige Passanten nach dem Krankenhaus, in dem sich der Polizist befand. Den Namen des Krankenhauses wusste er ja nun vom Helden. Es dauerte lange bis er sich dorthin durchgefragt hatte. Als er vor dem Gebäude stand war er doch überrascht zu sehen wie groß es war. Damit hatte er nicht gerechnet. Wie sollte er den Polizisten da drin nur finden? Es half nur sich durchzufragen, dazu musste er seine ganze Überredungskunst aufbringen, denn einige Mitglieder des Personals dachten offenbar, er wolle ihm wohlmöglich etwas antun. Doch Milten wirkte auf sie so harmlos und er beteuerte ein ums andere Mal, dass er den Verletzten nur besuchen wolle, um ihm für seinen vorbildlichen Dienst zu danken, dass sie ihm den Weg dann doch sagten. Endlich hatte er den Polizisten gefunden. Er lag in einem steril anmutenden Raum, einem zwei Bett Zimmer, doch außer ihm war kein anderer Patient da. Dafür der dicke Kollege des Verletzten. Er saß am Bett und versuchte ihm aufmunternd zuzureden. Das war nicht einfach, denn der Patient war jetzt Halsabwärts gelähmt. Bekümmert starrte er einfach nur an die Decke, viel mehr konnte er nicht mehr tun. Sein Kollege war kurz irritiert von Miltens Anwesenheit. Er hatte nicht mit Besuch gerechnet.
„Wer bist du? Was willst du hier?“ fragte der ältere Polizist verärgert.
Er konnte jetzt keine Störenfriede gebrauchen.
„Ich bin hier, um zu helfen“, sagte Milten und hielt sich nicht mit weiteren Erklärungen auf.
Stattdessen trat er ans Krankenbett, zog die Heilrune hervor, die er sich bereitgelegt hatte und wirkte den Zauber. Helles gleißendes Licht glomm auf und die beiden anderen Männer machten erschrockene Geräusche. Doch es geschah nichts Schlimmes und erstaunt sahen sie dabei zu wie das Licht wieder verschwand.
„Und, wie geht es dir jetzt?“ fragte Milten ruhig und hoffte inständig, dass der Mann wieder vollständig geheilt war.
„Ich …“
Der Patient blickte ihn perplex an und zuckte dann unvermittelt zusammen.
„Ich hab mit dem Fuß gezuckt!“
Es hörte sich an, als wäre es eine Heldentat, aber wenn man bedachte, dass er Mann bis eben noch gelähmt war, gab es wohl kaum etwas Ungewöhnlicheres.
„Was? Beweg mal die Finger!“ forderte sein Kollege ihn auf.
Die Finger bewegten sich ganz natürlich und probeweise streckte der Mann im Krankenbett alle seine Glieder und konnte es noch gar nicht fassen, was hier geschah. Er fing an zu lachen und Tränen der Freude kullerten über seine Wangen.
„Wie? Wie hast du das gemacht?“
Milten legte den Kopf schräg.
„Ein Heilzauber. Ich bin ein Feuermagier“, erklärte Milten.
Die beiden Männer sahen erst ihn, dann sich gegenseitig völlig perplex an, unschlüssig, ob das gerade ein Traum war, oder sie gerade völlig durchdrehten.
„Hör mal, jetzt wo es dir wieder gut geht, könntest du dem Typen, der dich aus Versehen verletzt hat aus seiner misslichen Lage befreien?“
„Der Türsteher?“ fragte der ehemals verletzte Polizist verwundert.
Milten nickte.
„Warum sollte ich? Er hat mich zum Krüppel gemacht“, rief der Mann aufgebracht.
„Aber jetzt bist du kein Krüppel mehr“, erinnerte ihn der Feuermagier ruhig.
„Aber warum interessiert es dich was aus ihm wird?“
„Wir sind Freunde. Du würdest dich für deinen Freund doch auch einsetzen, oder?“
Der Mann im Bett sah seinen Kollegen an. Der seufzte.
„Na schön, ich red mal mit dem Chef. Vielleicht können wir da irgendwas Strafmilderndes durchführen. Nur keine Ahnung wie man das Begründen soll. Wunderheilung, oder was?“
Milten lächelte verschmitzt.
„Ganz genau.“
„Kannst du das wiederholen?“ fragte der ältere Polizist.
„Ja, nicht unendlich oft, aber ein paar Mal schon“, sagte Milten, der nicht genau wusste worauf der Mann hinaus wollte.
„Warte hier, ich bin bald zurück.“
Der ältere Mann sprang auf und lief aus dem Raum.
Es dauerte lange, bis er zurück war. In der Zwischenzeit machte sich der andere Polizist wieder mit seinem Körper vertraut. Mit einem Ausdruck der größten Glückseligkeit, sah er dabei zu, wie seine Finger selbst die kleinsten Bewegungen perfekt ausführten. Er freute sich über jedes Zehenwackeln und Zucken. Schließlich richtete er sich auf. Es ging einfacher als gedacht. Immerhin hatten seine Muskeln noch nicht begonnen zu degenerieren. Er stand auf und lief im Raum herum, fast so, als wäre nichts geschehen, mit der Ausnahme, dass er übers ganze Gesicht strahlte. Milten war glücklich, weil er diesem Mann helfen konnte. Diese Freude in seinen Augen zu sehen war einfach unbezahlbar. Doch trotzdem hoffte er natürlich, dass Gorn frei kam. Während sie auf die Rückkehr des anderen Polizisten warteten, fingen sie an zu reden. Milten erfuhrt, dass der Mann Simon hieß und sein Kumpel Henrick. Simon bestürmte ihn mit Fragen. Er wollte wissen was es hieß Feuermagier zu sein und warum er diese Fähigkeiten hatte. Normalerweise hätte Simon Milten wohl nie geglaubt, aber angesichts seiner Heilung konnte er gar nicht anders, als seinen Worten zu vertrauen. Interessiert fragte er immer weiter nach und so erzählte Milten ihm von Innos und der Magie. Er wusste nicht, ob es richtig war, das alles zu erzählen, denn immerhin wusste dieser Mann vermutlich nichts von seiner Welt, doch es tat gut zu reden. Hier in diesem Universum kam ihm Innos so weit weg vor. Es war tröstlich über ihn zu sprechen.
Endlich war Henrick wieder da und er brachte Herrn Klein und Herrn Nagel mit. Die blickten erstaunt zu ihrem vormals schwerbehinderten Kollegen, der jetzt munter im Raum herumlief. Perplex starrten sie den Feuermagier an, der sich genötigt fühlte, abermals eine Erklärung abzugeben.
„Du hast ihn geheilt? Mit Magie?“ fragte Herr Nagel und ihm war klar anzusehen, dass er dachte: ‚Das wars, jetzt komm ich endgültig in die Klapse.‘
„Ja genau“ bestätigte Milten noch einmal.
Herr Nagel dachte angestrengt nach und sah Simon dabei zu, wie er im Zimmer aufgeregt auf und ab lief und dann anfing einen Apfel hochzuwerfen und wieder aufzufangen. Selbst er konnte nicht abstreiten, dass sein Untergebener wieder völlig gesund war.
„Beweise mir, dass du diese Heilungen durchführen kannst!“ forderte Herr Nagel.
Milten hob eine Augenbraue.
„Ist das nicht Beweis genug?“ fragte er und zeigte auf Simon.
„Wiederhol es!“ forderte der Polizist.
Milten seufzte. Herr Nagel ließ eine Schwester herbeirufen, die wiederum einen Arzt herbeirief und dem völlig verblüfften Mann den herumspringenden Gelähmten präsentierte. Der dachte zuerst auch, er hatte sie nicht mehr alle und als ihm der Polizist dann auch noch sagte, da sei dieser Magier, der Leute heilte und er bräuchte noch ein paar Verletzte, um sich einen Beweis erbringen zu lassen, brauchte er einen Moment, um sich zu sammeln. Dann wollte er diesen Beweis aber auch sehen, denn solch eine Heilung konnte rational nicht erklärt werden. Da musste doch ein Trick dahinterstecken. Er schlug vor in die Notaufnahme zu gehen wo am besten beurteilt werden konnte, ob eine schreckliche Wunde urplötzlich verschwand oder nicht. Die ganze Geschichte hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen und so kamen immer mehr Menschen, die diesen Wunderheiler sehen wollte. Milten sah sich verdutzt um. Sicher, auch in Myrtana freuten sich die Menschen, wenn ein Magier sie von ihrem Leid erlöste und waren natürlich dankbar, aber hier schlug ihm totale Verblüffung entgegen. Milten kam zu dem Schluss, dass es hier vermutlich überhaupt keine magischen Heilungen gab. Vielleicht nicht mal Heiltränke. Was für eine schreckliche Vorstellung. Was machten die Leute nur, wenn eine Horde Orks ankam? Eine skeptische Arzthelferin führte ihn zu einer Frau, die offenbar einen schweren Unfall erlitten hatte. Sie wand sich vor Schmerzen, eine große, offene Wunde am Kopf blutete sehr stark und sie hatte Prellungen am ganzen Körper erlitten. Milten entschied, dass ein mittlerer Heilzauber ausreichen sollte, um die Wunden zu schließen. Er wirkte den Zauber, Licht umhüllte die Frau und ihre Wunden begannen zu verheilen. Die Frau hörte auf zu schreien und sah, noch überraschter als alle anderen auf ihren genesenden Körper. Als das Licht verlosch, waren auch keine Wunden mehr zu sehen. Leises Murmeln schwoll schließlich zu einem Raunen an und wurde immer lauter. Die Leute wollten mehr sehen und so heilte Milten noch den Schienbeinbruch eines kleinen Jungen und die verbrannte Haut eines alten Mannes. Die Leute waren ganz aus dem Häuschen. Milten war das fast unheimlich. Herr Nagel trat zu ihm und sagte ganz offen: „Gut, ich glaube dir Junge, ich hab da was mit den Ärzten hier besprochen. Wenn du damit einverstanden bist, hier einen Monat Sozialdienst zu verrichten, dann wird dein Kumpel Gorn sofort auf freien Fuß gesetzt und die Angelegenheit wird fallen gelassen.“
Milten wusste nicht genau, was er sich unter diesem Monat Sozialdienst vorstellen sollte, aber er sagte sich, dass er jetzt, wo er die Möglichkeit hatte Gorn zu befreien, seinen Freund unmöglich hängen lassen konnte. Also sagte er zu.
Eispfötchen
11.12.2017, 18:59
Inzwischen hatte der Held herausgefunden, dass es sehr wohl einen Hafen in Berlin gab. Den Westhafen. Was für ihn die Frage aufwarf, warum der Mann vor dem Mittelaltermarkt die Unwahrheit gesprochen hatte. Doch war ihm Ähnliches bereits mehrfach passiert. Öfters hatte er die Bewohner der Stadt nach dem Weg gefragt und war dann nicht dort angekommen wo er hin wollte. Schickten sie ihn bewusst in die Wüste, oder wussten sie es nur nicht besser? Immerhin, es war eine riesige Stadt, mit denen von Myrtana gar nicht zu vergleichen. Dort wusste jeder Bewohner von Khorinis ganz selbstverständlich, dass die Stadt einen Hafen hatte. War ja auch nicht zu übersehen, schon gar nicht, weil man die Stadt in gut einer Stunde vollständig besichtigen konnte, wenn man die Befugnis hatte auch alles anschauen zu dürfen. Es gab ja immer noch diese Sache mit dem oberen Viertel …
So langsam dämmerte dem Helden, dass es bei so einer großen Stadt wie Berlin fast unmöglich war von allem zu wissen wo es war und ob es überhaupt existierte. So folgte auf seine Fragen nach dem Weg zum „Paradise“ oft nur Kopfschütteln. Der Club war also entweder nicht sehr bekannt, oder es gab hier so viele, dass es schier unmöglich war alle zu kennen, geschweige denn zu wissen wo sie alle waren. Für den Helden war das ein völlig neues Phänomen. Doch er wäre nicht er, wenn er sich nicht schnell anzupassen wüsste. Er gewöhnte es sich an, immer mehrere Personen nach dem Weg zu fragen. Führten die Aussagen dann in vollkommen verschiedene Richtungen, dann stimmte da irgendwas nicht. Es war auch sehr wichtig die angesprochenen Personen genau zu beobachten. Reagierten sie prompt und souverän konnte er meist davon ausgehen, dass sie auch wirklich wussten wo es lang ging. Aussagen wie: „Ja, da so, in diese Richtung…“ oder „Einfach da lang“ verhießen hier meist nichts Gutes. Waren in Myrtana solche Aussagen eher Ausdruck des Angesprochenen der Lustlosigkeit zum Reden, so verhieß es hier totale Desorientierung des Befragten, der seine Ahnungslosigkeit ganz einfach vertuschen wollte. Dann hieß es … weiter fragen, bis die Mehrheit eine eindeutige Richtung vorgab. Das war sehr lästig und er war froh, als er eine Karte der Stadt erstand. Auf den ersten Blick war sie unübersichtlich, aber als er seinen Blick für Einzelheiten schärfte und sie mit den Punkten verglich, die er bereits kannte, wurde sie zu einer großen Hilfe und seinem ständigen Begleiter. Und mit ihr fand er dann auch zum Westhafen, um dann dort nach jemandem zu suchen, der seine drängendste Frage beantworten könnte: Wo war Käpt’n Kirk?
Die angesprochenen Personen reagierten aber nicht aufgeschlossen. Manche blafften ihn einfach nur an, er solle verschwinden und sie in Ruhe lassen, andere reagierten gar nicht auf seine Fragen, blieben nicht mal stehen. Endlich hielt ein älterer Herr, mit weißem Haar und dickem Bauch an und hörte ihm zu.
„Kennst du einen Käpt’n Kirk?“
„Du willst mich wohl verschaukeln? Deine Späße kannst du mit jemand anderem machen“, wurde der Mann schnell grantig.
„Aber ich dachte, das hier ist der Hafen?“ fragte der Held.
„Eben“ sagte der Mann und ließ den Helden ratlos zurück.
Ihm ging auf, dass wohl wirklich etwas nicht mit diesem Käpt’n Kirk stimmen konnte. Vielleicht war es wie mit dem Hafen, nur andersrum. Den Hafen gab es, aber manche Menschen wussten das nicht. Vielleicht gab es dann keinen Käpt’n Kirk und der Typ hatte sich das nur ausgedacht, um so zu tun als ob er wüsste wovon er sprach. In diesem Moment war der Held tatsächlich verwirrt und er mochte dieses Gefühl nicht. Er sah wie eine schlanke junge Frau mit roten Haaren aus einem großen Gebäude trat und einige Schritte zu einem Vehikel ging, von dem sie jetzt eine Schlinge löste, mit der es an einem Eisengestell befestigt war. Der Held hatte gelernt, dass diese Dinger Fahrräder hießen und die Bürger sie nutzten um schneller voran zu kommen. Einen Versuch wollte er noch wagen. Etwas zaghafter als sonst und immer noch befangen trat er an die junge Frau heran und fragte: „He, du. Kannst du mir sagen wo ich einen Käpt’n Kirk finde?“
„Was?“
Die Frau drehte sich mit einem verschmitzten Lachen zu ihm um und sah ihn an.
„Ist das ein Scherz?“
„Nein.“
Er wirkte wohl immer noch unsicher, denn die Frau legte den Kopf schräg und musterte ihn eingehend.
„Weißt du denn nicht wer Käpt’n Kirk ist?“ fragte die Frau, immer noch lächelnd, aber eine Spur Spott lag in ihrem Tonfall.
Der Held mochte das nicht. Warum mussten die Leute, dann immer noch darauf herumreiten, wenn er etwas nicht wusste? Reichte es nicht aus, einfach die Antwort zu sagen?
„Nein, keine Ahnung. Ein Kapitän eben, vermute ich.“
Die Frau lachte.
„Ach und deswegen kommst du zum Hafen?“
„Genau“
„Wo kommst du her?“
„Vom Alexanderplatz“ sagte der Held, weil er dachte, die Frau wollte wissen von wo er heute Morgen gestartet war.
„Aha“ sagte die Frau und ihr schien dieses Gespräch Spaß zu machen. „Pass auf! Da gibt es einen Saturn, den siehst du, wenn du bei der Weltzeituhr bist. Geh da rein und frag nach einem Film mit Käpt’n Kirk. Da wirst du auf jeden Fall fündig.“
Sie zwinkerte ihm zu und wollte sich auf ihr Fahrrad schwingen.
„Ein Saturn?“ fragte der Held verwundert nach.
„So heißt der Laden“, sagte die Frau, die sich jetzt wirklich fragte was sie da für einen Typen vor sich hatte, der nicht einmal einen der größten Elektronikmärkte kannte.
Sie setzte sich auf ihr Fahrrad und fuhr von dannen. Der Held war sich kurz unsicher, ob sie ihn in die Irre geführt hatte. Was sollte ein Kapitän in einem Laden? Führte er den vielleicht? Und was war ein Film? Jedoch war es die ausführlichste Antwort, die er bisher erhalten hatte und er wollte es versuchen, auch, weil sich dieser Laden offenbar in der Nähe ihres Unterschlupfes befand und er sowieso daran vorbeikommen würde.
Auf dem Alexanderplatz kannte er sich mittlerweile gut aus, weswegen er die Weltzeituhr schnell fand. Er hatte herausgefunden, dass dieses Metallgestell so hieß, auf das Lester und er in ihrer ersten Nacht hier gestarrt hatten. Er stellte sich genau darunter und drehte sich einmal um sich selbst um nach diesem Laden Ausschau zu halten. Mittlerweile war es dunkel geworden und in heller orangener Schrift blinkte ihm entgegen: Saturn, links daneben ein Bild von einem Halbmond mit einem Kreis drum herum. Jedenfalls sah es für ihn danach aus. Sofort lief er los, froh endlich auf eine Spur gestoßen zu sein. Innen fragte er bei einer dicken Frau, die auf einem Stuhl saß, wo ein sonderbares, vermutlich magisches Band, Waren zu ihr zog, nach einem Film mit Käpt’n Kirk. Sie sah überhaupt nicht verwundert aus und wurde auch nicht sauer. Das wertete er als gutes Zeichen. Doch sie sagte nur: „Sieh mal in der Filmabteilung nach.“
Noch mehr Rätsel. Wohin? Egal, er ging erstmal weiter in den Laden hinein und wurde von der schieren Größe fast erschlagen. Wer konnte nur all dieses Zeug gebrauchen? Das meiste sagte ihm nichts. Weder was es war, noch wofür es gut war. Er spähte über die Regalreihen und sah die Schrift „Filme“ auf einer Wand. Da musste er hin! Er sprach einen jungen Mann an, der die gleiche Kleidung wie die Frau am Eingang trug.
„He du, weißt du wo ich Käpt’n Kirk finde?“
„Der Neue oder der Alte?“ fragte der Mann zurück.
Der Held war irritiert.
„Was meinst du?“
Der junge Mann verengte kurz die Augen und wusste nicht, ob er weiter nachbohren sollte. Er entschied sich dagegen und sagte stattdessen nur: „Komm mit!“
Er führte ihn zu einem bestimmten Regal, griff dort ein rechteckiges Ding und hielt es ihm hin.
„Hier, das ist der neueste Film mit dem neuen Käpt’n Kirk. Wolltest du den?“
„Ähm…“
Der Held starrte verwirrt auf das Bild auf dem rechteckigen Ding. Tatsächlich hatte er keine Ahnung, ob ihn das jetzt weiterbrachte oder nicht. Was war denn das was er ihm da hin hielt? Vielleicht so eine Art Teleporterrune, die ihn zu diesem Käpt’n Kirk brachte? Er entschied, dass er damit erstmal ins Versteck zurückkehren wollte. Vielleicht wusste Elyas ja mehr. Er nahm den Film, bedankte sich und ging damit zu der Frau am Eingang zurück, die für dieses Ding fast 13 Euro haben wollte. Er war froh so viele Euros dabei zu haben und gab sie ihr im Austausch für dieses Ominöse Ding.
Eispfötchen
12.01.2018, 17:10
Milten wurde von einer jungen Krankenschwester durch das Krankenhaus geführt, um ihm alle wichtigen Bereiche zu zeigen, damit er wusste wo er hingehen sollte, wenn sie ihn riefen. Auf ihrem Weg wurde er allerorts skeptisch beäugt. Es war nicht zu leugnen, dass es den geheilten Personen wieder gut ging, aber schulmedizinisch ließ sich das einfach nicht erklären. Sie waren sich nicht sicher, was er für ein Mensch war. War er ein Scharlatan? Führte er etwas im Schilde? Sollten sie ihm wirklich ihre Patienten anvertrauen, obwohl er Dinge praktizierte, die nicht erklärbar waren und überhaupt, wie sollte man das die Krankenkassen abrechnen lassen?
„Und hier haben wir die Kardiologie“ erklärte Saskia, die Krankenschwester.
Sie war nur 1,60 m groß, hatte schulterlange seidig blond-gefärbte Haare und machte auf Milten einen zierlichen, ja geradezu zerbrechlichen Eindruck. Ihre freundliche, aber piepsige Stimme tat ihr Übriges. Sie zeigte jetzt in einen weiteren Bereich, der sich optisch auf den ersten Blick nicht weiter von den anderen Stationen des Krankenhauses unterschied. Milten hatte längst die Orientierung verloren und war ganz auf Saskia angewiesen. Er war es einfach nicht gewohnt in so riesigen Gebäuden in immer gleich aussehenden Gängen und Räumen unterwegs zu sein. Es würde einige Zeit dauern, bis er sich zu recht fand. Plötzlich rannte eine Schwester in ein Zimmer, steckte aber schnell wieder ihren Kopf heraus und brüllte laut: „AMI! AMI!“
Eine zweite Schwester kam gerannt und stürzte mit in das Zimmer hinein.
„Was ist los?“ fragte der Feuermagier verwirrt.
„Ein Fall von Akutem Myokardinfarkt“, erklärte Saskia, offenbar völlig überzeugt, er wüsste was das heißt.
Milten war sich nicht sicher, ob er es überhaupt wagen sollte zu fragen, doch er tat es trotzdem.
„Und was heißt das?“
Saskia sah ihn schief an.
„Er droht zu sterben. Sein Herz wird nicht mehr richtig durchblutet.“
„Hm… schadet ja nichts es mit einem Heilzauber zu versuchen, oder?“
Saskia sah ihn gleichzeitig gespannt, aber auch skeptisch an.
„Ähm… du kannst es ja versuchen“, sagte sie, unschlüssig, was sie dazu sagen sollte.
Milten öffnete die Tür des Raumes, in dem die beiden Schwestern soeben verschwunden waren. Ein dicker Mann lag verkrampft in seinem eigenen Erbrochenem in einem Bett. Die Schwestern riefen sich, für ihn unverständliche, Dinge zu, blickten auf Monitore und gaben ihm Medikamente über einen Schlauch. Sie beachteten die beiden Neuankömmlinge gar nicht, dafür war jetzt keine Zeit. Milten wählte einen mittleren Heilzauber aus und wirkte ihn auf den sterbenden Mann. Blaues Licht umhüllte ihn und dann dauerte es auch gar nicht lang, bis sich die Situation von jetzt auf gleich normalisierte. Auf den Bildschirmen wurden jetzt regelmäßige Werte angezeigt. Der Mann atmete noch etwas schwer und schien noch gar nicht so richtig begriffen zu haben, dass er außer Lebensgefahr war. Erstaunt blickte er fahrig mit seinen Schweinsäuglein im Raum umher. Die Schwestern sahen sich verwundert an und schauten dann zur Tür, wo ein Arzt ins Zimmer gestürzt kam, ganz offensichtlich, um zu helfen. Abrupt kam er zum Stehen, als er sah, dass alles in Ordnung war.
„Warum haben Sie mich denn wegen nichts angepiept?“ fragte er wütend.
„Wegen nichts? Der Mann wäre gerade fast Ex gegangen“, rutschte es einer der Krankenschwestern heraus, obwohl solche Dinge besser nicht im Beisein des Patienten besprochen werden sollten.
Die andere Krankenschwester warf ihr einen tadelnden Blick zu, doch sie war selbst so verwirrt, dass sie gar nicht anders konnte, als dem Arzt hier und jetzt die Situation zu erklären.
„Es gab gerade einen Myokardinfarkt, aber plötzlich war blaues Licht und alles war wieder normal.“
„Das war mein Heilzauber“, erklärte Milten ruhig, als wäre es das normalste der Welt.
Die anderen im Raum nahmen ihn erst jetzt so richtig war und sahen ihn an, als wäre er ein Marsmensch.
„Ja, sicher und ich bin der Weihnachtsmann“, platzte es aus dem Arzt heraus, der müde und überarbeitet wirkte und im Moment keinen Sinn für Späße hatte.
„Oh, nett Sie kennen zu lernen“, sagte der Feuermagier und schüttelte ihm die Hand, was den Arzt dazu brachte nun wirklich zu glauben, er gehöre in psychologische Behandlung.
„Ähm… Milten, komm, gehen wir weiter. Ich muss dir doch noch das übrige Krankenhaus zeigen", sagte Saskia peinlich berührt und zog ihn am Arm nach draußen.
Wieder im Gang war sie kurz still und fragte dann mit leiser Stimme, ohne ihn anzusehen: „Wie hast du das gemacht?“
„Magie“, sagte Milten bloß und zuckte mit den Schultern. „Ich hab doch gesagt, dass ich ein Magier bin.“
„Ja, aber … ich dachte nicht, dass es so … ich hätte nicht erwartet … das war einfach … wow.“
Der Krankenschwester fehlten die Worte. Milten musterte sie aufmerksam. Tatsächlich schienen die Leute hier sehr überrascht von Magie zu sein. Offenbar gab es das hier wirklich nicht. Kaum zu glauben. Die armen Menschen.
„Gibt es denn hier keine Magier, die so etwas können?“ fragte er sicherheitshalber.
„Nein, bestimmt nicht“, sagte Saskia und kaute gedankenverloren an einer Haarsträhne, doch dann merkte sie es und strich sich das Haar wieder glatt.
„Was ist mit Heiltränken?“
Sie sah ihn nur verwundert an.
„Die werden aus Kräutern gewonnen und haben einen ähnlichen Effekt.“
„Nein, jedenfalls nicht in dem Maß. Es gibt Salben, die Schmerzen lindern können, oder gegen Ausschlag helfen, bei Verbrennungen und vielen anderen Problemen nützlich sind, aber nicht, dass jemand von jetzt auf gleich von einem tödlichen Leiden geheilt wird.“
Der Feuermagier war verunsichert. Er konnte sich eine Welt ohne Heiltränke und Magie gar nicht so richtig vorstellen.
„Aber was machen die Leute, wenn sie verletzt sind?“ fragte er, fast schon verzweifelt.
„Sie kommen hierher“, sagte Saskia, mindestens ebenso irritiert wie er und bog nach links ab.
Er folgte ihr und dachte nach. Deshalb war das Krankenhaus also so groß. Das ergab Sinn. Aber trotzdem …
„Aber was macht ihr dann mit den Leuten, wenn ihr keine Heilkräuter habt und auch nicht mit Magie helfen könnt?“
„Naja, zuerst einmal müssen wir herausfinden was der Patient hat. Dafür sind die Ärzte zuständig. Manchmal muss der Patient dann operiert werden, das machen Chirurgen in einem Operationssaal.“
Milten konnte sich das nicht so richtig vorstellen. Natürlich gab es auch in Myrtana Leute, die ohne Magie auskommen mussten und sich keine Tränke leisten konnten. Hatte man dann auch noch von Kräutern keine Ahnung, sah es ganz schlecht aus. Einen Bruch konnte man mit zwei Ästen schienen. Wunden konnten zur Not zusammengenäht werden. Es gab einige Hausmittel, die hilfreich waren. Fiel man aber einem Orkangriff oder den Bissen von wilden Tieren zum Opfer, reichte das in der Regel nicht, um eine Überlebenschance zu haben.
Saskia führte ihn zu einem der besagten Räume, den OP Sälen. Sie erklärte, dass man dort niemals ohne Desinfizierung hineindürfe. Auf seine Frage was das sei, erklärte sie ihm geduldig, dass man sich gründlich waschen müsse. Sie legte ihm nahe das Betreten zu unterlassen, es sei denn ein Chirurg oder Arzt gestatte es ihm ausdrücklich. Stattdessen führte sie ihn in einen anderen Raum, von dem aus man den Chirurgen und Helfern innen aber zusehen konnte. Erschrocken sah Milten, dass der Brustkorb des Mannes, der dort auf dem Tisch lag, aufgeschnitten war. Es war das erste Mal, dass er ein schlagendes Herz sah und ihm wurde komisch. Nicht direkt körperlich übel, es war psychologisch bestimmt. Es kam ihm falsch vor, was er da sah. In seinem Weltbild hatten die inneren Organe am besten innen zu bleiben und sollten besser nie das Tageslicht sehen, andernfalls hatte einem vermutlich gerade jemand mit dem Schwert aufgeschlitzt. Es war aber auch die ganze Situation. In einem Kampf wäre es etwas anderes. Dort ist es ja beabsichtigt, dass man den Gegner tötet. Hier wurde der Patient aber verletzt, um ihm zu helfen. Das empfand er als einen großen Widerspruch. Es kam ihm ganz und gar unnatürlich vor und er musste sich zusammenreißen nicht einfach sofort einen Heilzauber zu sprechen um dem Mann auf myrtanische Weise zu heilen. Er sagte sich, dass das hier eben eine andere Welt sei und er nicht so schnell urteilen sollte. Diese Menschen hier hatten es vermutlich schon lange so gemacht und wenn es hier keine Heilkräuter und Magie gab, blieb ihnen wohl gar nichts anderes übrig als eine andere Möglichkeit zu finden ihren Kranken und Verletzten zu helfen. Der Feuermagier fragte sich, wie es um die Menschen in Myrtana bei ähnlichen Gegebenheiten stehen würde. Vermutlich wäre ihr Volk längst ausgelöscht. Die Menschen hier hatten aber augenscheinlich etwas aus ihren Defiziten gemacht. Jedenfalls sah es für Milten so aus, als würden die Leute dort drin ganz genau wissen was sie da taten. Seine eigenen Kenntnisse über die Anatomie des Menschen waren im Vergleich vermutlich unbedeutend. Es hatte bisher gereicht zu wissen wo alle Organe lagen und wo wichtige Arterien waren um in der Not eine Blutung abbinden zu können. Er beschloss sein Wissen zu erweitern. Bei Gelegenheit würde er die Krankenschwester nach entsprechenden Büchern fragen. Es gab so vieles worüber er nachdenken konnte, dass er zuerst gar nicht merkte wie Saskia ihn woanders hinführen wollte. Sie zupfte ihn schließlich am Ärmel und er riss sich aus seinen Gedanken, um auch noch die anderen Stationen zu sehen.
Auf ihrem Weg begegneten sie natürlich vielen kranken Menschen und Milten sah nicht, warum er Ihnen nicht helfen sollte. Saskia versuchte ihm so gut es ging verständlich zu erklären was diese Personen für Beschwerden hatten und der Feuermagier versuchte daraufhin einen passenden Heilzauber auszuwählen. Er war erstaunt wie viele Zauber er sprechen konnte. Früher war er viel schneller ausgelaugt. Erst nachdem er etwa ein Dutzend Menschen behandelt hatte, fühlte er die allmähliche mentale Erschöpfung. Der Feuermagier führte seine gesteigerte geistige Ausdauer auf den Trank zurück, den sein Freund ihm im Schläfertempel gegeben hatte, die Tränen Innos. Er überlegte wie sich die Effizienz weiter steigern ließe. Wenn er genau wüsste was die Patienten hatten könnte er viel besser auswählen welchen Heilzauber er anwenden sollte, um sein Mana zu schonen und so noch mehr Leuten helfen zu können. Manchmal war das eigentliche Problem ganz klein. Ein Gallenstein, eine Entzündung, ein Gerinnsel. Dafür reichte auch ein leichter Heilzauber, denn bei der Heilmagie kam es darauf an wie stark der Schaden war, der zu beheben war. Nur wenn der Patient bereits stark geschwächt war, erforderte das einen stärkeren Heilzauber. In Myrtana waren vor allem große Wunden zu behandeln. Bisswunden, zahlreiche Knochenbrüche, lange und tiefe Schnittwunden oder Schäden hervorgerufen durch Zauber. Hier war es ganz anders. Oft war gar nicht offensichtlich was dem Patienten fehlte. Nur einmal sah Milten einen Mann, der sich in die Hand gefräst hatte. Die meisten anderen litten an Krankheiten, die für ihn unbekannt waren, was ihn wieder in seinem Entschluss bestärkte, mehr über die verschiedenen Krankheitsbilder zu lernen.
Die Führung endete in der Eingangshalle. Milten war geradezu erschlagen von den vielen Informationen und Eindrücken, die heute auf ihn eingeströmt waren. Er zog noch immer zahlreiche Blicke auf sich, doch diesmal waren auch einige ehrfürchtige darunter. Sie hatten offenbar von den Wunderheilungen gehört. An der Information stand eine schlanke Frau etwa um die dreißig, mit braunen eher kurzen Haaren und einem merkwürdigen Gestell mit Gläsern auf der Nase. Sie stellte sich als Astrid vor und war die leitende Krankenschwester.
„Du hast heute bereits so vielen Menschen geholfen. Ich habe von vielen verschiedenen Stationen Meldungen erhalten. Vielen Dank.“
Sie lächelte ihn an und reichte Milten ein kleines Gerät. Auch sie sah erschöpft und müde aus, aber in ihren Worten lag tiefempfundene Aufrichtigkeit.
„Dieses Gerät schickt dir eine Nachricht, wenn wir dich dringend brauchen. Komm dann bitte so schnell wie möglich hierher.“
Milten musste nicht lange überlegen welcher Weg am besten war, um so schnell wie möglich zum Krankenhaus zu kommen. Es war doch ganz klar, eine Teleportationsrune musste her. Zunächst einmal würde er eine Spruchrolle herstellen. Hier in der Eingangshalle wäre doch ein ganz passabler Ort um anzukommen. Er lag zentral und es gab viel Platz, so dass er dann von hier aus in die jeweilige Station gehen könnte, in der er gebraucht würde.
„Hätten Sie ein Blatt Pergament?“ fragte er Astrid.
Sie sah ihn zwar verwundert an, reichte ihm aber ein weißes Blatt.
Der Feuermagier sah es kurz an und entschied dann, dass das ausreichen sollte. Er zeichnete ein dickes Kreutz in die Mitte, dann einen Kreis drumherum und öffnete seinen Geist für die Magie. Er achtete gar nicht darauf, dass es für die anderen vielleicht merkwürdig aussah, wie er einfach nur dastand und scheinbar gar nichts tat. Als es vollbracht war, spürte er die magische Aura um das Pergament. Zufrieden steckte er es ein.
Er beschloss Saskia morgen nach den Büchern zu fragen und erkundigte sich, ob er für heute gehen könne. Saskia sah zu Astrid, die nickte und sie verabschiedeten sich dann mit einem Händedruck von ihm. Milten kramte die neue Rune von ihrem Versteck hervor und teleportierte sich einfach nach Hause. Als er von jetzt auf gleich verschwand blickten die Umstehenden Menschen mit offenen Mündern zu dem Platz, an dem er eben noch gestanden hatte.
Eispfötchen
13.01.2018, 11:05
Diego sah sich in seinem neuen Laden zufrieden um. So schnell konnte man es mit Nichts zu etwas bringen. Er hatte erwartet, es wäre ein total heruntergekommenes Loch, aber tatsächlich war es doch recht ordentlich. Er stand hinter einer Arbeitsfläche, die gleichzeitig als Tresen diente. Hinter ihm befanden sich eine Lochwand mit Schlüsselrohlingen und darunter eine Maschine, mit der Schlüsselkopien hergestellt werden konnten. Diego konnte gar nicht fassen, dass das hier wirklich legal war. Voller staunen hatte er Elyas zugehört, als der ihm erzählte, es handle sich hierbei um einen Schlüsseldienst. Wenn Leute ihre Schlüssel verloren, so konnten sie hierherkommen oder eine Nachricht senden und er würde ihre Tür öffnen und massig Geld dafür einsacken. Oder Leute verlangten, er solle einen Ersatzschlüssel anfertigen. Zuerst war Diego sehr skeptisch. Konnte es wirklich sein, dass Leute zu ihm kamen und ihn quasi dazu überreden wollten, er solle, auf ihren Auftrag hin, bei ihnen einbrechen? So beknackt es sich auch anhörte, es war tatsächlich so. Mit der Ausnahme, dass er gar nichts aus den Wohnungen stehlen brauchte, laut Elyas brachte allein das Öffnen der Tür reichlich Geld ein. Elyas erzählte ihm, dass es einen großen Unterschied machte, um welche Uhrzeit und an welchem Tag die Leute in ihre verschlossene Wohnung wollten. Nachts und an den Wochenenden könnte er ruhig doppelt oder dreimal so viel vom üblichen Preis verlangen. Diego hatte das Prinzip schnell verstanden: Die Not der Leute ausnutzen und ordentlich Kohle einstreichen, kein Problem. Das Handwerkszeug beherrschte er, anfangs übte er mit verschiedenen Schlössern, die in seinem Laden zum Verkauf angeboten wurden. Es gab einfache Vorhängeschlösser, Schlösser um so genannte Fahrräder abzuschließen und natürlich Türschlösser. Diego war angenehm überrascht, dass sich die Funktionsweise der Schlösser nicht sehr von dem unterschied wie es in Myrtana üblich war, es war nur manchmal etwas komplexer. In der Regel gab es einen oder mehrere Stifte, die hinuntergedrückt werden mussten und dann wurde der Kern des Schlosszylinders gedreht und das Schloss sprang auf. In einem Fachbuch las er, welche verschiedenen Schlosstypen in diesem Land besonders häufig anzutreffen waren und wie man mit ihnen umging. Einfacher waren Türen mit Rundkopfmechanismus zu öffnen, wie sie bei Terrassentüren üblicherweise benutzt wurden. Es reichte, sie mit leichter Gewalt aufzustemmen. Dabei musste nicht mal ein sichtbarer Schaden entstehen und es dauerte weniger als eine Minute. Die Türen zu öffnen, die mit einer Pilzkopfzapfenverriegelung bestückt waren, erforderte mehr Geschick. Das war gut zu wissen. Nachdem er sich über die hiesigen Schlösser und das neue Handwerkzeug informiert hatte, war Diego bereit seinen ersten Auftrag anzunehmen. Elyas ging ihm zur Hand. Er verstand zwar nichts vom Schlösserknacken, aber er wusste wie das Geschäftliche funktionierte.
„Du brauchst eine Internetseite, damit die Leute deine Telefonnummer finden.“
Diego verstand nicht, was er meinte. Das war ihm offenbar anzusehen.
„Stimmt was nicht?“
„Ist es nicht so, dass die Leute einfach durch die Tür kommen und mir sagen was sie wollen?“
Elyas verdrehte die Augen.
„Wir sind hier doch nicht mehr in der Steinzeit. Heute rufen die Leute an. Ich könnte da vielleicht was organisieren … ich nehme nicht an, dass du ein Handy hast?“ fragte er, weil er Diego nach seinen bisherigen Äußerungen nicht so einschätzte.
„Keine Ahnung was das sein soll“, kam es von ihm und Elyas seufzte.
„Dacht ich‘s mir. Naja, so wirst du wohl niemals …“
Die Tür ging auf und eine alte Frau trat ein. Elyas sah sie an wie einen Geist.
Die alte Dame watschelte auf sie zu und krächzte: „Entschuldigung aber ich hab vergessen wo ich meinen Schlüssel hingetan habe und jetzt komm ich nicht mehr in meine Wohnung. Bin ich hier richtig?“
Diego sah Elyas an und sagte: „Siehst du, so hab ich mir das vorgestellt.“
An die Frau gewandt sagte er: „Aber natürlich, das hier ist ein Schlüsseldienst. Zeigen Sie mir doch einfach, wo wir hin müssen.“
Die alte Frau drehte sich um und verließ im Schneckentempo den Laden. Derart ausgebremst dauerte es eine halbe Stunde, bis sie bei ihrer Wohnung ankamen, die eigentlich nur zwei Querstraßen weiter lag. Diego war es ein Rätsel wie es die Frau tagtäglich schaffte bei ihren schwachen Laufkünsten noch in den dritten Stock zu kommen. Die alte Frau zeigte mit zitternden Fingern auf das Schloss.
„Hier wohne ich.“
Diego überlegte, dass das ja im Prinzip jeder sagen könnte und im Falle des Falles ließe sich daraus sicher was drehen, falls einem mal die Miliz beim Schlösserknacken über den Weg laufen sollte.
„Nein, nein, ich öffne hier nur die Tür, für einen Kunden, der sich ausgesperrt hat…“
Diegos Augen leuchteten bei dem Gedanken daran. Das hier war der richtige Job für ihn. Was sollte er mit dem Verkauf von Sumpfkraut, wenn ihm das hier viel mehr lag? Er riss sich aus seinen Gedanken, untersuchte das Schloss und erkannte wie er vorgehen musste. Er griff sein Werkzeug, es sah aus wie ein langer Metallstift mit gebogenem feinem, abgeknicktem Ende und stocherte fachmännisch im Schloss herum. Kaum zwei Minuten später hatte er aufgesperrt.
„Oh, wunderbar, vielen Dank“, sagte die alte Frau, die überrascht war, wie schnell die Sache ging.
„Macht 100 Euro“ sagte Elyas sofort.
„So viel?“ fragte die Frau bestürzt.
„Ein neues Schloss hätte sicher 500 Euro gekostet und all der Ärger mit dem Vermieter. Das könnte sich monatelang hinziehen“, redete er auf die Frau ein.
Er reichte ihr aus einer Klemmappe einen Vordruck, wo er den Preis eintrug, völlig unleserlich unterschrieb und dann eine Unterschrift von der Frau verlangte. Sie sah etwas verwirrt drein, blickte zur Tür, als fürchtete sie, sie würden sie wieder schließen, wenn sie es nicht täte und unterschrieb.
„Ich weiß aber nicht, ob ich so viel Geld im Haus habe.“
Sie öffnete die Tür und suchte in ihrer Wohnung vermutlich nach ihrem Geldbeutel. Es gab einiges an Geraschel und Gerumpel. Schließlich kam sie zurück und hielt einen orangenen Schein in den Händen.
„Ich hab nur 50 Euro da, was machen wir denn da jetzt?“ fragte sie hilflos.
Elyas holte schon Luft, um zu einer neuen Schandtat anzusetzen, doch Diego sagte, bevor es dazu kam: „Dann reicht das für dieses Mal aus, nennen wir es einen Begrüßungsrabatt, weil sie Neukundin sind, ja?“
Die alte Frau strahlte.
„Aber das geht doch nicht…“ rief Elyas dazwischen.
Diego hob die Hand zum Zeichen, dass er schweigen solle.
„Kundenfreundlichkeit wird bei mir großgeschrieben.“
An die alte Dame gewandt sagte er: „Wenn Sie mich bei ihren Bekannten weiterempfehlen, dann sind wir quitt, denke ich.“
„Das werde ich ganz sicher. Sie sind zu freundlich, die Not einer alten Frau nicht auszunutzen. Vielen, vielen Dank.“
Diego lächelte sympathisch. Natürlich würde er gewisse Notlagen ausnutzen, aber die kamen noch früh genug.
Auf dem Weg zurück zum Geschäft machte sein junger Begleiter seinem Ärger Luft.
„Du hättest das Doppelte herausholen können.“
„Du hast doch gesehen, dass die Frau senil ist. Glaub mir, die kommt wieder und bevor sie zu jemand anderem geht, kann sie die nächsten Male lieber bei mir ihr Geld lassen und ich werde sie garantiert daran erinnern, dass ich jetzt so großherzig war.“
Elyas dachte nach, dann leuchtete sein Gesicht auf.
„Ah, du meinst, daraus könntest du langfristig Vorteile ziehen und wenn sie beim nächsten Kaffeekränzchen all ihren anderen senilen Freundinnen davon erzählt und die dann auch alle zu dir schickt, dann räumst du richtig ab.“
„So in etwa.“
„Naja … trotzdem. Wer nicht noch Fred Feuerstein persönlich kennt, kommt bestimmt nicht mehr persönlich vorbei. Das geht heute wirklich fast alles über Telefon und Internet. Mal sehen was sich da machen lässt.“
„Was soll das eigentlich mit diesen Unterschriften?“
„Das ist, damit es offiziell und ordnungsgemäß wirkt. Außerdem lässt sich damit hinterher allerhand Schindluder treiben.“
Diego hob eine Augenbraue. Elyas schien sich mit alternativen Verdienstmöglichkeiten bestens auszukennen.
„Zukünftig brauchen wir aber eine Bankverbindung, die wir angeben können, denn wer nicht ganz blöde ist, könnte unseren Schwindel durchschauen.“
„Wieso denn Schwindel?“ fragte Diego.
„Ist dein Geschäft etwa offiziell eingetragen? Kannst du nachweisen, dass du eine abgeschlossene Berufsausbildung in dem Gewerbe hast? Ganz zu schweigen von Personalausweis und weiß der Kuckuck was noch für Schriebs, den man eigentlich ausfüllen muss?“
„Äh … nein.“
„Siehst du … Wir müssen so tun, als ob alles ganz offiziell wäre, auch wenn es das nicht ist. Damit keiner auf die Idee kommt da tiefer nachzubohren. Zugegeben, ewig geht das nicht.“
„Ich hoffe ja, dass wir nicht ewig hier festhängen“, sagte Diego leicht genervt.
„Vielleicht sollten wir es heute dabei belassen und mal sehen wie das Sumpfkrautgeschäft läuft. Vielleicht könntest du unter der Hand im Laden auch welches verkaufen. Nur für eingeweihte, versteht sich.“
Diego war nicht begeistert. Geld war Geld, aber er bevorzugte es, wenn das Risiko erwischt zu werden so gering wie möglich war.
Eispfötchen
13.01.2018, 18:47
Im Versteck angekommen sahen Diego und Elyas wie der Held auf Milten einredete und mit der rechten Hand an ein rechteckiges Ding in seiner linken tippte. Elyas erkannte natürlich schnell, dass es eine DVD-Box war und wunderte sich sehr, was für Gespräche sie entfachte.
„Dieses Ding ist auf jeden Fall nicht magisch“, erklärte Milten.
Offenbar hatte er die DVD dahingehend untersucht. Lester nahm dem Helden die Hülle aus der Hand und öffnete sie.
„He, das kann man drehen“, sagte er und drehte die Scheibe in der Mitte wild herum.
„Und macht das was?“ fragte Gorn und sah ihm über die Schulter.
„Ne, sieht nicht so aus.“
Er fummelte weiter dran herum und hatte sie schließlich aus der Fassung gelöst.
„Boar, ist das echt so bunt, oder sieht das nur für mich so aus?“ fragte er erstaunt, als er die Scheibe umdrehte und bunte Strahlen über die Oberfläche tanzten.
„Warum sollte es denn nur für dich so aussehen?“ fragte Milten stirnrunzelnd.
„Naja …“ sagte Lester und sah sich nach hinten zu dem Feuermagier um. „Bei all den Dämpfen, die ich zurzeit bei der Herstellung der Sumpfkrautstengel einatme könnte alles möglich sein …“
„Was macht ihr denn da?“ fragte Elyas, der immer mehr den Eindruck hatte, diese Typen wären total übergeschnappt.
„Wir versuchen herauszufinden was das ist.“
Elyas seufzte. Ja, ganz klar, die waren komplett irre, oder hatten ihr Gedächtnis verloren. Anders war das nicht zu erklären.
„Das ist eine ganz normale DVD. Ein Film halt“, fügte er hinzu, als sich ihre Mienen nicht weiter aufhellten.
„Und … und was macht man damit?“ wollte Lester wissen und drehte die DVD nach allen Seiten.
„Man legt sie in einen DVD Player und sieht sich den Film an.“
Immer noch verwirrte Gesichter.
Erneutes genervtes Seufzen von Elyas, der sich mit einem „Gib mal her!“ die DVD krallte und die Treppe hoch ging, wo er mit dem inzwischen beim Paradise beschäftigten Tabo ein Zimmer geteilt hatte und dieses jetzt für sich allein hatte. Die anderen folgten ihm skeptisch. Elyas steckte die DVD in seine Playstation 3 und startete den Film.
„Seht ihr, ein ganz normaler Film.“
Der Held ging auf den Fernseher zu und sah dann prüfend hinter den Bildschirm. Nein, da war nichts. Es musste also so eine Art bewegtes Bild sein.
„Und wozu ist das gut?“ wollte Gorn wissen.
„Einfach nur zur Unterhaltung und jetzt hockt euch hin und seht‘s euch an, ich kann mir das nicht weiter antun. Ich mach jetzt die Fliege und seh mal wies im Paradise läuft. Kann ich gleich eine weitere Lieferung hinbringen. Wo steht der Sack mit den fertigen Stengeln?“ fragte er genervt.
„Im Keller, gleich neben der Tür“, sagte Lester und legte sich längs aufs Sofa um es möglichst bequem zu haben.
„He, mach mal Platz! Ich will auch wissen was das ist“, knurrte Gorn und eilig positionierte sich Lester wieder aufrecht, weil er vielleicht ahnte, dass sich sein Kumpel sonst einfach auf seine Weise Platz verschaffte.
Alle fünf hockten da und sahen sich diesen Film an. Mal ganz davon abgesehen, dass es sehr merkwürdig war, verstanden sie bald, dass es sich um eine Art Geschichte handelte. Irgendwas mit einem fliegenden Schiff, das durch die Sternenwelt flog und auf fremden Welten landete. Der Kapitän dieses Schiffes war James Tiberius Kirk. Sein Schiff stürzte auf einer fremden Welt ab und er musste seine Crew aus den Klauen von fremdartigen Feinden befreien. Es war eine sehr rasante und für sie vor allem verwirrende Geschichte von der sie vieles nicht verstanden. Immerhin wurde ihnen klar, warum Käpt’n Kirk mit Teleportation in Verbindung gebracht wurde. Im Laufe des Films wurden mehrere Menschen „gebeamt“ wie es im Film hieß. Leute verschwanden von einem Ort und tauchten woanders wieder auf. Das konnte nichts anderes als Teleportation sein. Als der Film endete sahen sie sich stumm an.
„Und wie soll uns das jetzt helfen?“ fragte Gorn verdrießlich.
„Gar nicht“, kam es von Diego.
„Fürchte ich auch. Das ist nur eine Geschichte. Das hilft uns kein Stück wieder nach Hause zu kommen“, sagte Milten resigniert.
„All die Mühen beim Suchen und dann gibt es diesen Käpt’n Kirk gar nicht“, sagte Lester enttäuscht.
„Alles umsonst“, kam es von Diego.
„Verdammte Scheiße“, ließ Gorn seinen Frust raus.
„Nicht aufgeben Leute, wir werden schon eine Möglichkeit finden“, versuchte der Held die Moral aufrecht zu erhalten.
„Es wäre doch nur logisch, wenn sich das Portal dort befindet wo wir auch angekommen sind“, überlegte Milten.
„Du meinst auf diesem Mittelaltermarkt?“ fragte Lester.
„Richtig. Wir suchen da nach dem Portal und wenn wir es finden, können wir zurück.“
„Na gut, dann mal los!“ sagte der Held voller Tatendrang.
Ein Piepsen zerstörte den Moment. Es war dieses Gerät, welches Milten vom Krankenhaus bekommen hatte. Offenbar schickte es dem Feuermagier Nachrichten, wenn eine Lage besonders kritisch war.
Milten seufzte.
„Geht schon mal vor. Ich komm dann nach.“
Er zog die Rune mit einem roten Kreutz heraus, die das Krankenhaus symbolisierte und teleportierte sich flugs dorthin.
Die anderen machten sich auf den Weg. Immerhin wussten sie jetzt wie sie schnell durch die riesige Stadt kamen. Das Nahverkehrsnetz war zwar immer noch etwas fremdartig, aber besonders der Held fand langsam den Durchblick.
Der Mittelaltermarkt war belebt wie eh und je, nur kam ihnen das jetzt nicht mehr so schlimm vor, wie beim ersten Mal. Sie hatten sich an das Gedränge einigermaßen gewöhnt. Bald fanden sie den „Beschwörungszauberer Zabini“, der trübselig auf seiner Bühne saß und ein langes Gesicht zog.
„He du, was ist los?“ fragte der Held ohne sich mit Vorgeplänkel aufzuhalten.
„Ach, ihr seid’s“, sagte der hochgewachsene Mann nicht gerade mit viel Elan in der Stimme.
„Du weißt nicht zufällig wie wir hierhergekommen sind, oder?“ frage Diego ohne viel Hoffnung in der Stimme.
„Nein, keine Ahnung, aber das frage ich mich auch schon seit Tagen“, sagte der Mann zerknirscht.
„Da auf deinem Schild steht, du wärst ein Beschwörer“, meldete sich Lester keck zu Wort.
„Das ist natürlich Blödsinn“, sagte Zabini und ließ all seinen Frust raus.
„Du bist also ein Scharlatan…“ stellte Diego trocken fest.
Der Mann sah ihn schief an.
„Natürlich bin ich kein Zauberer. Wer kann das schon von sich sagen.“
„Milten kann zaubern“, sagte Gorn.
„Und ich auch“, gab der Held seinen Senf dazu.
„Ich ein bisschen…“ murmelte Lester.
„Ja, klar, was auch immer“, sagte der Scharlatan und vergrub sein Gesicht in den Händen.
„Also was ist jetzt mit dir? Was ist dein Problem?“ fragte der Problemlöser Nummer 1.
„Seitdem ihr aufgetaucht seid, erwarten die Leute großes von mir, aber das kann ich natürlich nicht bieten. Dann ziehen sie enttäuscht schnell wieder ab und mittlerweile will gar keiner mehr meine Tricks sehen. Unser Bühnenstück geht auch überhaupt nicht mehr und heute ist auch noch das große Finale. Da erwarten die Leute richtige Special Effekts und nicht wie jemand eine Frau zersägt.“
Die anderen sahen ihn schief an. Waren sie an einen Psychopathen geraten? Aber naja gut … vielleicht hatte es diese Frau ja verdient und es war eine Art öffentlicher Hinrichtung. In Myrtana kamen da auch immer viele Menschen zum Zusehen.
„Vielleicht können wir dir helfen“, bot der Held hilfsbereit an.
„Hm…“ dachte der Mann angestrengt nach. „Zeigt mal ein paar Tricks“, forderte er die Männer vor sich auf.
Lester sah sich um und erblickte einen mit Schokolade überzogenen Apfel an einem Verkaufsstand. Mithilfe von Telekinese erhob sich der Apfel wie durch Geisterhand und schwebte klammheimlich durch die Menge auf ihn zu.
„Praktisch, oder?“ sagte Lester und zwinkerte dem Mann zu.
Der Held beschwor kurzerhand Waldi hierher, der eben vermutlich noch in seinem Korb gelegen hatte und deswegen noch etwas desorientiert war. Jetzt blickte er hechelnd zu seinem Herrn auf und wartete auf Befehle.
„Beeindruckend“, der Mann war völlig aus dem Häuschen.
„Also wir können nicht zaubern, aber ich bin ein guter Bogenschütze und Gorn ist sehr gut im Umgang mit der Axt“, erklärte Diego, wenn er auch nicht wusste, ob dem Mann das weiterhalf.
„Das ist perfekt.“ Zabini strahlte. „Kommt mit!“
Er ging durch die Menge voran. Die anderen und Waldi folgten ihm. Einmal knurrte der Wolf, als ihm jemand auf eine Pfote getreten war und der angeknurrte Mann erschreckte sich und machte eilig Platz. Lester ging zuletzt und ließ sich seinen herbeigeschwebten Apfel schmecken.
Der Scharlatan führte sie zu der großen Bühne, die ganz am Rand des Geländes lag. Offenbar handelte es sich um ein provisorisches Theater. Hinten war die Kulisse eines großen Turms aufgebaut, den man mithilfe von Leitern im Hintergrund auch hinaufsteigen konnte. In die Kulisse eingelassen war ein Raum mit Schätzen und Fallen. Vorne gab es mehrere Bühnenelemente, die mit Treppen verbunden waren. Rechts war eine Attrappe eines angesehenes Bürgerhaus zu sehen. Ganz unten auf ebener Erde war die Kulisse einer Taverne aufgebaut. Ein Tisch mit Gedeck sollte das wohl verdeutlichen. Links war eine Art Kapelle, in der sich ein glänzender mit Goldfarbe besprühter Gummispeer befand. Dafür, dass es ein Wandertheater war, war es sehr schön gestaltet.
„He Leute, ich glaube wir könnten das Ruder noch mal rumreißen“, rief der sogenannte Zauberer in die Kulisse hinein.
Eine als Wirtin verkleidete Frau, ein verhinderter Ritter und ein verkappter Geistlicher kamen hervor und sahen ihn überrascht an.
„Was meinst du?“
„Diese Herren werden uns helfen den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Ich hab keine Ahnung wie, aber die haben richtige Special Effekts.“
Die anderen sahen zweifelnd zu ihnen, doch nach einigen weiteren Kostproben waren sie schnell überzeugt.
„Es wäre der Wahnsinn, wenn ihr mitspielen könntet“, sagte Zabini hoffnungsvoll.
„Das ist so eine Art Theater richtig?“ fragte Lester.
„Genau“,
„Oh, das hab ich noch nie gemacht, keine Ahnung ob ich das kann“, kam es verunsichert von Lester.
„Und wenn es schon heute sein soll, wird es schwierig“, meinte Diego.
„Wir improvisieren“, erklärte der Scharlatan.
Er setzte alles daran, dass sie jetzt keinen Rückzieher machten.
„Und wann soll es losgehen?“ fragte der Held aufgeregt.
Er fand das alles wahnsinnig interessant. Es hörte sich nach jeder Menge Spaß an.
„In einer Stunde“, druckste der fehlgeschlagene Zauberer herum.
„Ohje, dann … worum geht es denn überhaupt?“ wollte Lester wissen.
„Unser Glück ist, dass es eher eine lose Handlung hat. Ihr müsst also kaum Text wissen und wir können sehr viel improvisieren“, sagte der Mann schnell.
„Naja, man sollte den Text schon wissen“, wagte der Kirchenmann sich einzumischen.
Der Scharlatan sah ihn mit zusammengekniffenen Augen drohend an.
„Wir machen das jetzt einfach so, das wird schon werden. Also, es geht um einen schwarzen Magier, der ein heiliges Artefakt aus dem Kloster klaut und dann müssen die Helden des Dorfes gegen den Zauberer kämpfen und das wertvolle Stück zurückbringen. Das war’s eigentlich schon.“
„Hm… kommt mir bekannt vor“, murmelte der Held in seinen Bart hinein.
Die anderen sahen ihn verwundert an, beschlossen aber ihn später irgendwann mal danach zu fragen.
„Wer spielt denn was?“ fragte Lester, um zu wissen auf was er sich hier eingelassen hatte.
„Normalerweise bin ich der schwarze Magier“, erklärte der Scharlatan. „Aber ich denke angesichts eurer Tricks sollte es einer von euch beiden sein.“
Er zeigte auf Lester und den Helden.
„Oahr darf ich?“ fragte der Held Lester begeistert.
„Nur zu…“ sagte Lester schnell, auch wenn er nicht wusste, ob es eine tolle Idee war, wenn sein Freund den schwarzen Magier gab, aber immerhin musste er es dann nicht tun.
„Herbert und Norman sind eigentlich die Helden …“
Der ehemalige schwarze Magier zeigte auf den angeblichen Ritter und den Kirchenmann.
„Normalerweise gibt es dann noch Tim, aber der ist heute Krank, was uns ohnehin in Bedrängnis brachte.“
Die dicke Frau hinter ihm wartete ungeduldig, dass sie ihn erwähnte. Schnell setzte er ein Lächeln auf und beeilte sich zu sagen. „Und natürlich unsere wundervolle Martha als Wirtin im wütenden Eber.“
„Ich würde sagen ihr drei seid unsere neuen Helden. Und unsere ehemaligen Helden leisten euch Unterstützung. Mönch Norman lässt sich beklauen, Ritter Herbert wird zuerst vergeblich versuchen das Artefakt zurückzuerobern und Martha überbringt die Kunde vom gestohlenen Artefakt, so dass ihr euch dann auf den Weg macht, um es zurückzuholen. Ich werde Statist sein.“
So ganz überzeugt sahen Lester, Diego und Gorn nicht aus. Nur der Held war gar nicht mehr zu bremsen.
„Toll, ich kann es gar nicht erwarten.“
„So könnt ihr aber nicht rumlaufen“, sagte Zabini und begutachtete ihre neumodische Straßenkleidung. „Kommt mal mit hinter die Bühne.“
Er führte sie durch eine dünne Holztür hinter die Kulisse, wo sie in einen Container traten.
„Hier“, der Scharlatan hatte in einem Schrank herumgekramt und zog eine schwarze Robe heraus.
Dafür, dass es nur ein Kostüm war, sah es ganz gut aus. Die Robe war mit zahlreichen düsteren Ornamenten bestickt. Allerdings wirkte sie dadurch auch etwas überladen, aber das musste vermutlich so sein im Theaterwesen. Glücklicherweise war Zabini sehr groß, weswegen die Robe von der Länge her passte, wenn man davon absah, dass der Saum auf dem Boden herumschleifte. Ein paar Zentimeter war er dann eben doch größer als der Held. Weil der aber wesentlich kräftiger war, war es ein Glück, dass die Ärmel weit geschnitten waren.
„Sehr gut.“
Zabini wirkte zufrieden, als er sah, dass dem Helden die Robe passte.
„Und für euch suche ich noch was raus“, sagte er fröhlich und verließ den Container.
„Ich will gar nicht wissen wie das aussieht“, sagte Gorn grimmig.
„He, wenn ihr wollte, könnte ihr eure alten Klamotten haben“, schlug der Held ihnen vor, der nicht wollte, dass sie schlechte Laune bekamen.
„Klar, her damit!“ rief Gorn, der es gar nicht erwarten konnte wieder seine alte Söldnerrüstung anzuziehen.
Und schwuppdiwupp hatte der Held ihre Klamotten und Waffen aus seiner magischen Hosentasche hervorgeholt. Schnell zogen sie sich um. Lester war froh seine schwere Novizenrüstung wieder zu tragen und auch Diego blickte nicht mehr ganz so düster mit seiner Schattenkluft aus der Wäsche.
Als Zabini zurückkehrte, war er sehr erstaunt sie voll ausgerüstet zu sehen.
„Wow, sieht richtig toll aus. Sehr authentisch, wo habt ihr denn die jetzt her?“
„Ach, die hatten wir dabei“, kam es nur vom Helden.
Zabini wirkte irritiert, schüttelte dann aber den Kopf. Jetzt war nicht der Zeitpunkt um sich darüber zu wundern.
„Gut wir sprechen noch über ein paar Sachen und dann geht es auch schon bald los. Die Zeit drängt.“
Er klippste jedem ein kleines Mikrofon an und begann ihnen Instruktionen zu geben.
Eispfötchen
13.01.2018, 22:26
Und dann war es so weit. Es war Abend geworden und vor dem Freiluft-Theater hatte sich bereits eine gewaltige Menge an Leuten versammelt. Es war so wie Zabini gesagt hatte. Dies war die Abschlussveranstaltung. Morgen würde der Mittelaltermarkt abgebaut werden.
Die unverhofften Schauspieler standen hinter der Bühne und warteten nervös.
„Seid einfach ihr selbst und es wird keine Probleme geben“, sprach der Held ihnen Mut zu.
„Du tust aber nur so, als ob du ein schwarzer Magier bist, ja?“ fragte Lester verunsichert.
„Aber natürlich“, sagte sein Freund und grinste, was Lester dann doch irgendwie Angst einjagte.
Zabini, der die Kleidung eines normalen Bürgerlichen aus dem Mittelalter trug, trat auf die Bühne. Ein heller Lichtschein von einer Lampe strahlte auf ihn und er wartete, bis sich das Publikum beruhigt hatte. Es wirkte gespannt, aber diejenigen, die das Stück offenbar schon kannten und nur noch einmal ansahen, weil sie mit der Familie oder Freunden hier waren, wirkten nicht begeistert.
„Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kinder, herzlich willkommen bei unserer Geschichte: „Der magische Speer von Achnaweck. Viel Vergnügen.“
Abrupt trat er einen Schritt nach hinten und verließ so den Lichtkreis. Das Licht erlosch. Einen Moment passierte gar nichts, jedenfalls sah es so für die Zuschauer aus, in Wahrheit herrschte reges Treiben hinter den Kulissen, dann trat Norman, der Mönch aus einer Papptür von hinten in das Kloster hinein.
„Oh, der heilige Speer von Achnaweck, heiligstes der heiligen Artefakte unseres Landes. König Johannes der Redegewandte stach damit dem mächtigen Eisdrachen mitten ins Herz.“
Der Mönch sank auf die Knie und betete zu dem heiligen Artefakt.
Einige aus dem Publikum wirkten jetzt noch nicht besonders angetan, aber vor allem die Kinder sahen aufgeregt zu. Dass es Kinder gab, daran hatten die vier neuen Schauspieler natürlich nicht gedacht. Wer dachte schon an sowas außergewöhnliches wie Kinder? Diego hatte den Helden gefragt, ob das irgendwas ändern würde. Der Held hatte gemeint: „Ach die kommen schon damit klar.“
Zabini, der immer noch als einfacher Bürger verkleidet war, trat an die Klostertür heran und klopfte.
„Mönch Norman, bist du da?“
Der Mönch öffnete die Tür.
„Begehrst du Einlass?“
„Eigentlich wollte ich wissen, ob du mit mir zusammen zur Taverne zum wütenden Eber gehst um ein paar Bier zu trinken.“
Einige aus dem Publikum lachten vereinzelt.
„Da kann ich nicht nein sagen.“
Der Mönch zog die Tür hinter sich zu und verschloss sie.
Noch mehr Gelächter, was ein gutes Zeichen war. Wenn man eins nicht gebrauchen konnte, dann ein Publikum das einschlief.
Zabini und Normann gingen in die Taverne wo sie von Martha mit einigen kühlen Bier bedient wurden. Das war jetzt allerdings nur noch am Rande wichtig, denn Raucheffekte stiegen aus dem Kloster auf. Der Held wusste, dass das jetzt sein Auftritt als Schwarzmagier war. Im Rauch konnte er ungesehen, die hintere Tür des Klosters öffnen und hineinschlüpfen. Ein lautes Getöse drang aus der Soundanlage um dem Publikum den Effekt einer Teleportation nahezubringen. Als sich der Rauch lichtete, erhob der Held verschwörerisch die Arme und sagte mit dunkler Stimme: „Ich bin der gefährliche Schwarzmagier.“
Er ließ das einen Moment wirken, sah sich dann gespielt um und sagte dann wieder mit normaler Stimme: „Hm… gar keiner da. Mal wieder ein Auftritt umsonst.“
Die Menge kicherte. Das Eis im Publikum fing an zu brechen.
„Hier sollte doch eigentlich eine Wache sein, oder?“ fragte der Held ins Publikum.
Einige Leute nickten und ein paar Kinder riefen: „Jaaahh“
„Na, wenn keiner sonst da ist, kann ich diesen Speer ja einfach mitnehmen.“
Und unter den staunenden Blicken der Menschen nahm er den Speer in die rechte Hand und ließ ihn einfach in seine Hosentasche gleiten wo er einfach so verschwand. „Ach, na jetzt ist er weg.“
Wieder Gelächter.
„Sonst noch was zu holen?“
Wieder blickte er sich um, zuckte dann mit den Achseln und sagte: „Hm… nein, dann kann ich ja wieder verschwinden.“
Erneut drang Rauch aus und er entkam durch die Hintertür.
Der Fokus wechselte jetzt wieder auf Zabini und Norman, die sich nun verabschiedeten und den Bereich der Taverne verließen. Norman watschelte zu seinem Kloster zurück, schloss die Tür auf und mit gespieltem Entsetzen rief er aus: „Grundgütiger, der heilige Speer Achnaweck ist verschwunden. Wer kann das nur gewesen sein?“
Er hielt sich den Kopf und tapste vor zum Publikum.
„Kinder, wisst ihr, wer den Speer gestohlen hat?“
Einige riefen laut: „Der schwarze Zauberer, der schwarze Zauberer war da.“
Ein vielleicht achtjähriger Junge rief: „Quatsch, es ist ein schwarzer Magier, das weiß man doch.“
„So ist das also?“ sagte der Mönch gespielt erschrocken. „Was soll ich nur tun, was soll ich nur tun? Oh, ich weiß. Ich gehe zum Ritter Herbert, der wird den Stab zurückholen.“
Er marschierte die Bühne zu einem Element hoch, das über der Taverne lag und das wohl ein edles Haus im oberen Viertel der Stadt darstellen sollte. Währenddessen sah man Diego, Lester und Gorn, die sich vom Publikum aus gesehen von rechts der Taverne zum wilden Eber näherten. Diego trug ein Schattenläuferhorn und Gorn hatte sich ein Schattenläuferfell über die Schulter geworfen, damit es danach aussah, als würden sie gerade von einer großen Jagd zurückkehren. Diese „Requisiten“ hatte ihnen der Held gegeben und es schien beim Publikum gut anzukommen. Jetzt setzten sie sich an den Tisch, nur Lester lehnte an einer Wand und zündete sich einen Sumpfkrautstengel an.
Währenddessen hatte Norman den Weg zu Herbert zurückgelegt und völlig außer Atem keuchte er: „Ritter Herbert, es ist etwas schreckliches geschehen.“
Er holte angestrengt Luft.
„Der heilige Speer Achnaweck wurde aus dem Kloster gestohlen. Der schwarze Magier war es.“
Aus dem Publikum kam ein lautes: „Sag ich doch.“
Ritter Herbert tat erschüttert.
„Sofort werde ich aufbrechen, um den heiligen Speer zurückzuerobern. Kennst du den Weg?“
Der Mönch erklärte es ihm leise flüsternd und dann rief der Ritter: „Gut, dann werde ich sofort aufbrechen.“
Er nahm ein stumpfes Requisitenschwert zur Hand und ging los. Als er vor dem Turm ankam, der ja eigentlich nur ein paar Meter entfernt stand, hob er die Stimme und rief laut und heroisch: „Ich weiß, dass du da drin bist schwarzer Magier. Komm heraus aus deinem Turm und gib sofort den heiligen Speer zurück!“
Der schwarze Magier öffnete die Tür oben im Turm, wo er auf eine Art Balkon hinaustrat.
„Wer stört mich hier, ohne zuvor seine drei Rätsel gelöst zu haben?“ rief er verärgert.
Herbert war kurz irritiert, dann rief er: „Ich Ritter Herbert, strahlender Streiter des Reiches.“
„Soso und du willst diesen Speer?“
Der neue Schwarzmagier zog den Speer aus seiner Hosentasche und zeigte ihn dem Publikum.
„Du kommst einfach so hierher und störst mich. Warum sollte ich ihn dir geben? Mal ehrlich, so läuft das nicht. Zuvor musst du erstmal viele schwere und sehr gefährliche Aufgaben meistern und dann bekommst du vielleicht die Chance gegen mich zu kämpfen.“
Der Ritter war ratlos. So stand das nicht im Skript.
„Öhm… dafür habe ich jetzt keine Zeit. Lass uns das doch einfach überspringen.“
„Gute Idee, verkürzen wir das Ganze, das hätte mir auch immer sehr viel erspart.“
Das Publikum lachte.
„Also gut, du hast es so gewollt, dann werde ich jetzt den schrecklichen Todesfluch über dich aussprechen.“
Der Held, der nun ein Schwarzmagier war, zog eine Rune aus der Hosentasche. Das Publikum wartete gespannt, aber nicht so gespannt wie Diego, Lester und Gorn, welche die Luft angehalten hatten und sich fragten, ob ihr Freund ernst machen würde.
Aber es war nur ein Schlafzauber, den er über den Schauspieler warf. Trotzdem war es sehr effektvoll, wie der Ritter einfach so zusammenbrach.
„So, genug gearbeitet für heute.“
Der Magier streckte sich und ging dann durch die Tür des Turms, eine verborgene Leiter hinunter und in den Raum mit einem Podest und den Fallenatrappen drumherum. Die Fallen deaktivierte er kurzerhand mit einem Hebel und ließ den Speer in ein Loch gleiten, dass sich im Podest befand. Prüfend bog er den Speer einige Zentimeter, der dann mit einem federnden Geräusch zurückschnellte.
Einige Zuschauer kicherten.
„Hm… vielleicht sollte ich öfter mal etwas mitgehen lassen, dann sähe es hier nicht so kahl aus.“
In der Zwischenzeit war der Mönch in die Taverne gegangen und fragte die Wirtin, ob sie den Ritter gesehen hätte. Sie verneinte und gemeinsam gingen sie ihn suchen. Schnell fanden sie ihn am Fuß des Turms.
„Da seid ihr ja, Herr Ritter“, sagte Martha dramatisch und lief zu ihm.
Sie beugte sich über ihn und flüsterte: „Herbert, schläfst du?“
Obwohl sie leise sprach konnte man hören was sie sagte und als dann auch noch ein Schnarcher Herberts Mund verließ, lachte das Publikum erneut.
Norman und Martha schleiften ihn von der Bühne. Währenddessen wechselte der Fokus zu Diego, Gorn und Lester in der Taverne.
„Die Jagd war sehr erfolgreich“, stellte Diego fest und musterte das Schattenläuferfell.
„Ja, Grund genug so richtig zu feiern“, meinte Gorn und seine tiefe Stimme dröhnte durch die Lautsprecher.
Er und Diego hoben eine Bierflasche und stießen an.
„He, werft mir auch eins rüber“, kam es von Lester.
„Na dann hol es dir doch.“
Gorn zwinkerte ihm zu.
Kurzerhand wirkte Lester Telekinese und eine Bierflasche, die bisher auf dem Tisch gestanden hatte, kam auf ihn zu geschwebt. Das Publikum applaudierte. Die Wirtin Martha kam schwer atmend herein.
„Was ist denn hier los? Ihr trinkt Bier ohne zu bezahlen?“
„Es ist einfach so herbeigeschwebt“, verteidigte sich Lester und tat unschuldig.
Wieder Lachen aus dem Publikum.
Die Wirtin seufzte.
„Ihr sitzt hier herum und dabei hat der schwarze Magier den heiligen Speer von Achnaweck gestohlen und Ritter Herbert …“ Sie rang kurz nach Worten: „Schachmatt gesetzt.“
Die Abenteurer sahen sich an. Für gewöhnlich folgte in diesem Fall die Phase des Verhandelns der Bezahlung, denn wer würde sich solch einer Gefahr schon freiwillig aussetzen? Aber sie ahnten, dass das nicht sehr heldenhaft rüberkommen würde und so sagte Diego: „Wenn du uns bei unserer Rückkehr einige Bier ausgibst, dann ziehen wir sofort los.“
Schallendes Gelächter aus dem Publikum.
Die Wirtin war einverstanden und so gingen die drei Freunde los und wagten sich in den Schatten des Turms. Genau passend zu dem Moment, öffnete ihr Freund oben auf dem Turm die Tür und trat hinaus.
„Ah, noch mehr Abenteurer, die das Artefakt zurückerobern wollen, aber ich werde es euch ganz bestimmt nicht leicht machen. Ich bin ein mächtiger schwarzer Magier, im Dienst des Totengottes Beliars. Tod und Verderben erwarten euch.“
Eindrucksvoll zog er Beliars Klaue und deutete damit zum dunkler werdenden Himmel. Die Klinge knisterte unheilvoll und einige Blitze zuckten über sie hinweg.
Diego, Gorn und Lester standen erstarrt da. Sie fragten sich ob ihr Freund wirklich nur so tat, oder ob er wirklich vor hatte gegen sie mit der Klinge Beliars zu kämpfen.
Lester gab Gorn einen Schubs.
„Du gehst vor.“
Er hatte die Situation aufgelockert und die Anspannung fiel bei den meisten ab. Für den Rest sorgte ein Winseln. Es drang hinten aus dem Turm und plötzlich stieß der beschworene Wolf die Tür auf. Er hatte sich wohl einsam gefühlt und selbst die Leiter überwunden, um zu seinem Herrn zu gelangen.
„Waldi! Was machst du denn hier? Ich bin gerade dabei einige Abenteurer zur Schnecke zu machen und dann platzt du hier rein.“
Waldi druckste herum.
Kichern aus dem Publikum.
Schlagartig veränderte sich die Situation wieder zum dramatischen, als der schwarze Magier eine Rune aus den tiefen seiner Robe zog und ein Skelett direkt vor die Füße der Abenteurer beschwor.
Das Publikum hielt erstaunt, erschrocken und verwundert den Atem an und wäre fast erstickt. Ohne viel Federlesens zückte das Skelett seinen rostigen Zweihänder und ging auf die Freunde los. Den beschworenen Wesen war für gewöhnlich egal wer da stand, so lange sein Herr „Angriff“ befahl, taten sie was verlangt wurde.
Gorn holte seine schwere Doppelaxt vom Rücken und schlug zwei Mal zu. Das Skelett zerfiel in seine Bestandteile.
„Ha! Mehr hast du nicht zu bieten?“ rief Gorn herausfordernd.
Diego und Lester warfen ihm einen Blick zu, der klar sagte: „Bist du wahnsinnig?“
Der schwarze Magier kramte in seiner Robe und zog eine weitere Rune hervor.
„Hier kriegst du die Armee der Finsternis!“
Drei Skelette erschienen am Fuß des Turms und jetzt zückten auch Diego und Lester ihre Waffen. Lester schwang seine Keule Streitschlichter und Diego parierte einen Hieb des rostigen Zweihänders des Skeletts vor ihm mit seinem Schwert. Gorn schlug sich mit dem dritten Skelett herum.
Die Zuschauer schauten mit weit aufgerissen Augen und offenen sprachlosen Mündern dem Schauspiel zu. Nur einige wenige konnten ihre Augen zum Schwarzmagier abwenden, der gefolgt von dem beschworenen Wolf zur Kammer mit dem Speer ging, aus seiner Hosentasche ein Säbelzahntigerfell hervorzauberte und es unter den Schalter legte.
„So, Bleib!“ befahl der Magier und gehorsam legte sich Waldi auf das Fell unter den Schalter.
Diego zerhackte gerade das letzte Skelett und rief: „So erledigt, jetzt gib uns den Speer!“
Der schwarze Magier sah zu ihm.
„Tse, denkst du wirklich das wäre es schon gewesen? Ein paar Skelette und zack kriegt ihr den Speer? So einfach bekommt man doch keine heiligen Artefakte. Da muss schon noch mehr kommen.“
„Wehe, wenn da noch mehr kommt“, zischte Diego, doch es ging im Geräusch des beschworenen Golems unter.
Der wandelnde Steinhaufen wischte den verdutzten Gorn einfach mal zur Seite. Hart schlug er auf dem Boden auf. Diego konnte ausweichen, aber sein Schwert prallte einfach am harten Fels des Ungetüms ab. Lester zog aufgeregt selbst eine Rune hervor und wirkte Telekinese. Der Golem stieg in die Luft und schwebte. Einen Moment wirkte er unschlüssig, dann versuchte er vorwärts zu laufen, was urkomisch aussah.
„Gute Idee Lester, so kann er uns nichts mehr anhaben“, sagte Gorn, der sich wieder aufgerappelt hatte und nun auf den hilflosen Golem einschlug.
Während seine Freunde dort unten noch fleißig am Werk waren, blieb der schwarze Magier nicht untätig und kletterte die Leiter zum Turm erneut hinauf. Dort sah er einen Moment zu und packte dann eine weitere Rune aus. Das Publikum hatte den Gipfel, der überhaupt erlebbaren Spannung erreicht und fragte sich welches Scheusal als nächstes erscheinen würde. Es schien was sehr mächtiges zu sein, denn die Beschwörung dauerte länger als bei den vorherigen Geschöpfen. Der Boden vibrierte immer stärker, rotes Licht leuchtete auf und schließlich entstieg ein Feuerdämon dem Boden. Die Menge wurde kreideweiß. Einige Kinder riefen nach ihren Eltern, um sich zu versichern, dass diese noch da wären, um sie vor diesem Monster, das offenbar unter dem Bett hervorgekrochen war, zu beschützen.
„Is nich wahr“, kam es schwer atmend von Gorn, der gerade erst den Golem verhackstückte.
Diego wich einem Schwinger des Dämons geschickt aus und versuchte ihn aus sicherer Distanz mit Pfeilen zu beschießen. Er musste ihn beschäftigt halten, denn Gorn und Lester mussten erst noch den Golem beseitigen. Der Dämon spie Feuer und Diego wurde leicht angesengt, weil er nicht damit gerechnet hatte und nicht rechtzeitig wegkam. Endlich zerfiel der Golem und Gorn stürzte seinem Freund zu Hilfe. Er schwang seine Axt wie wild und drosch auf den Dämon ein. Der grollte wütend und wischte ihn mit einem Prankenschlag einfach weg. Lester suchte hastig nach einer weiteren Rune. Er dankte den Göttern, dass er sie im Schläfertempel vom Helden erhalten hatte. Pyrokinese. Lester konzentrierte sich sehr stark und wirkte den Zauber. Der Dämon hielt zuerst inne und wand sich dann. Er brüllte und wütete, aber er kam nicht frei. Seine Zellen erhitzten sich unter dem Zauber immer mehr und irgendwann waren der Druck und die Hitze so groß, dass er explodierte. Diego und Gorn schauten verdattert, aus der mit Dämonenstückchen und Blut bedeckten Wäsche. Lester wischte sich über die schweißnasse Stirn.
„Voll Krass“ riefen einige Kinder aus dem Publikum.
„Na, sowas“, sagte der schwarze Magier, der belustigt das Schauspiel von oben betrachtet hatte.
Es war doch mal so richtig interessant zu sehen, wie seine Freunde sich abmühten. Sonst war er immer derjenige, der gegen Golems, Skelette oder Dämonen antreten musste.
„Alles muss man alleine machen. Na wartet, jetzt werde ich mich in eine gefährliche, monströse Kreatur der Dunkelheit verwandeln“, sagte er finster und fischte blindlings eine Rune aus seiner Hosentasche.
Alle hielten den Atem an, auch seine Freunde, die nicht glauben konnten, dass nicht endlich mal Schluss war. Der schwarze Magier wurde in helles Licht getaucht, es gab ein lautes Geräusch und Wusch! war er verschwunden. Oder doch nicht?
Ein leises zirpendes Geräusch erklang. Völlig perplex sahen alle hoch zum Turm. Dort krabbelte eine Fleischwanze zum Rand und gab Fleischwanzengeräusche von sich. Erneut helles Licht und der schwarze Magier stand wieder an Ort und Stelle.
„Äh… das war die falsche Rune…“
Vereinzeltes Lachen aus dem Zuschauerraum, der Rest war noch zu aufgewühlt. Wieder zog der Held eine Rune hervor, sah diese diesmal genau an und sprach wieder einen Zauber. Wieder gleißendes Licht und ein lauter Knall und ein furchteinflößender Schattenläufer stand oben auf dem Turm, der jetzt leicht schwankte. Er brüllte und fauchte und hieb drohend mit der rechten Tatze. Gorn und Diego sahen sich an und dann brüllte der Schatten: „Lester, schnell! Renn zum Speer und hol ihn dir, bevor ihm noch andere Sachen einfallen!“
Ohne weitere Nachfragen wetzte Lester los, während der Schattenläufer oben vom Turm sprang und direkt hinter Diego und Gorn aufkam. Die beiden wirbelten herum. Zuerst wussten sie nicht genau, ob sie angreifen sollten, denn immerhin war er ja ihr Freund, aber angesichts der letzten halben Stunde waren sie der Meinung, dass er etwas Dresche durchaus verdient hatte. Gorn stürmte vor und schlug mit seiner Axt. Ihr Freund wich aus und rammte ihn mit seinem großen Horn weg. Diego schoss ihm in schneller Folge ein paar Pfeile in den Leib. Das Tier knurrte, wich aber nicht zurück.
Währenddessen hatte Lester den Raum mit dem Requisitenspeer erreicht. Waldi machte ein Geräusch das sowohl knurren als auch jaulen war. Offenbar wusste er nicht, wie er sich verhalten sollte. Er kannte Lester inzwischen gut und wusste, dass er zu seinem Herrn gehörte. Sollte er ihn jetzt angreifen oder nicht?
„Sitz!“ befahl Lester und Waldi entschied sich ihn nicht anzugreifen.
Kurzerhand wirkte Lester Telekinese, um das Tier nicht doch noch umzustimmen und rannte mit dem Speer die Treppe herunter.
In der Zwischenzeit, hatte Diego den Schattenläufer mit einem Schnitt in den Vorderlauf zu Fall gebracht und Gorn hatte ihm eilig noch eine gewischt. Der Held sah Lester mit dem Speer anflitzen und entschied, dass das jetzt genug Dramatik war und blieb wie tot liegen. Blut sickerte über den Boden.
Lester, Diego und Gorn atmeten schwer.
„Geschafft“, keuchte Diego und wischte sich Schweiß von der Stirn.
„Was meinst du Diego, sollen wir ihm das Horn abschlagen, um eine Jagdtrophäe zu bekommen?“ fragte Gorn schelmisch.
Diego grinste.
„Gute Idee.“
Der Schattenläufer knurrte drohend und sie lachten.
Erst als Zabini, Martha und Norman auf sie zukamen und zum Sieg beglückwünschten, fiel den Abenteurern wieder so richtig ein, dass es ja ein Theaterstück war. Die echten Schauspieler waren von den ungewöhnlichen Special Effects total beeindruckt.
„Und so wurde der heilige Speer Achnaweck zurückerobert und der schwarze Magier besiegt“, erklärte Zabini, der es selbst noch gar nicht fassen konnte.
Das Licht ging aus und erst jetzt wurde so richtig deutlich wie dunkel es mittlerweile geworden war.
Der schwarze Magier verwandelte sich in einen Menschen zurück und als das Licht noch mal anging, wirkte er auf sich und seine mitgenommenen Freunde einige Heilzauber. Die Menge hatte nun begriffen, dass das Stück zu Ende war und brach in tosenden Applaus aus. Pfiffe und Fußgetrampel zeigten unverkennbar, dass sie das Stück von den Socken gehauen hatte. Es dauerte noch lange, bis sich die Menge beruhigte und abzog. Zabini kam ihnen freudestrahlend entgegen.
„Das war unglaublich, wie habt ihr das nur gemacht?“
„Magie“, erklärte der Held nur und zwinkerte ihm zu.
Zabini schlug ihm gönnerhaft auf die Schulter und zeigte einen dicken Batzen Geld vor.
„Seht mal, das alles haben uns die Leute gespendet, weil sie von der Show begeistert waren. Hier nehmt!“
Er teilte den Batzen und gab ihnen die eine Hälfte.
„Weißt du zufällig, ob es hier irgendwo eine gute Taverne gibt?“
„Eine Taverne? Haha, naja da hinten an der Ecke, da gibt’s eine Kneipe, da könnt ihr hingehen“, sagte Zabini heiter und ging von dannen.
„Na das war doch lustig“, sagte der Held grinsend.
„Pass bloß auf, du!“ grummelte Gorn.
„Was?“ fragte der Held arglos. „Die paar Skelette …“
„Und der Golem und der Dämon…“ kam es zähneknirschend von Diego.
„Weißt du für einen Moment hab ich echt gedacht, du willst uns wirklich zur Schnecke machen“, sagte Lester nachdenklich.
„Ach Quatsch, das war doch nur Spaß“, sagte der Held und lachte.
Die anderen sahen ihn todernst an, um ihm zu zeigen, wie viel Spaß sie gehabt hatten.
„Ach kommt … es tut mir ja Leid, aber es war schön auch mal zu sehen wie andere sich abmühen müssen, um ein Abenteuer zu bestehen. Sonst erwartet ihr das ja immer von mir, dass ich das einfach so schaffe.“
Die anderen fühlten sich auf einmal schuldig und sagten einen Moment gar nichts mehr.
„Naja, nur gut, dass Milten das nicht mitbekommen hat. Ich glaube er wäre hierrüber nicht gerade begeistert“, sagte Diego.
„Ja, wenn er dich als schwarzer Magier gesehen hätte …“ sagte Lester und ließ den Satz unvollendet.
„Aber ich will dich auch nie mehr als schwarzen Magier sehen“, stellte Gorn klar.
Die Freunde machten sich eiligst auf den Weg, um hier heute noch wegzukommen, wurden unterwegs aber überall mit Jubel begrüßt, sobald sie erkannt wurden. Sie hatten noch überhaupt keine Zeit gehabt sich umzuziehen und so fielen sie noch mehr auf. So fiel es Milten aber auch nicht schwer sie zu finden.
„Leute sagt mal, was sollte denn das?“ fragte er sie mit einer Mischung aus Verwunderung und Ärger.
„Ihr könnt doch hier nicht einfach so alles auseinandernehmen.“
„Haben wir doch gar nicht“, wehrte sich Lester.
„Wir haben höchstens ordentlich auf den Putz gehauen“, sagte der Held und grinste.
„Und was hast du da überhaupt an?“ wollte der Feuermagier wissen.
„Öh…“
„Er war der schwarze Magier“, sagte Gorn, dem es überhaupt nicht leidtat den Helden ein bisschen in die Bredouille zu bringen, nachdem was er ihnen angetan hatte.
„Ja, das hab ich gesehen“, kam es verärgert von Milten.
„Es war ein Theaterstück und irgendwer musste der Böse sein“, erklärte der Held.
„Ja, das stimmt. Die Auswahl war zwischen mir und ihm“, versuchte Lester seinem Freund beizustehen.
Er hatte nicht so viel abgekriegt und war überhaupt eher eine Frohnatur, so dass er ihm nicht lange böse sein konnte.
„Ich kann mir denken, dass du den besseren schwarzen Magier abgegeben hast“, sagte der Feuermagier streng.
„Stimmt. Lester hätte uns bestimmt nicht mit Skeletten und einem Dämon gequält“, sagte Gorn ungerührt.
„WAS?“ kam es erschüttert von Milten.
„Und den Golem“, fügte Lester hinzu.
Milten sah erst ihn, dann den Helden fassungslos an.
„He, es war alles nur show, so heißt das beim Theater. Also nicht ernst gemeint.“
„Haaha, was du nicht sagst“, kam es humorlos von Gorn.
„Seit wann hast du denn zugesehen?“ fragte Lester den Feuermagier.
„Ab der Fleischwanzenverwandlung.“
„Noah, da hast du ja das spannendste verpasst“, kam es vom Helden.
„Sei froh!“ antwortete Milten streng. „Ich hätte echt nicht gedacht, dass du sowas machen würdest.“
„Es war doch nur aus Spaß.“
„Sowas ähnliches hast du auch gesagt, als du das Bataillon Orks niedergemetzelt hast.“
„Aber das waren doch unsere Feinde.“
„Und jetzt hetzt du beschworene Wesen, die man Beliar zuschreiben kann, auf deine Freunde.“
„Und den Golem“, mischte sich Lester ein.
„Ja, naja du hast ja Recht, aber Zabini wollte Special Effects“, wehrte sich der Held.
„Was soll das denn sein?“ fragte Milten genervt.
„Naja, anscheinend sowas wie Magie.“
Milten, Diego und Gorn grollten noch den ganzen Weg zur Kneipe.
„Ihr seid wohl vom Mittelaltermarkt?“ fragte der Wirt lachend, als sie an den Tresen kamen und drückte ihnen eine Getränkekarte hin.
„Ja, hatten einen Mordsspaß“, verkündete der Held, wurde dann mit Blick auf seine Freunde aber doch etwas kleinlaut.
Sie suchten sich einen Platz, doch lange blieben sie nicht sitzen, denn zuerst wollten sie ihre Klamotten tauschen, um nicht ständig diese Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Milten, der normale Straßenkleidung trug, hielt ihnen den Tisch in der Ecke frei, wo es noch am ehesten ungestört war. Er überlegte dort, wie er den Helden am besten zur Einsicht bringen konnte.
Waldi gesellte sich zu ihm und legte sich unter den Tisch. Der Wolf war im Gedränge ungesehen hereingekommen. Die anderen brachten gleich fünf große Biergläser mit, von denen der Schaum tropfte. Sie saßen eine Zeit lang stumm da und tranken.
„He, hört mal, es tut mir Leid. Ich wollte euch nicht schaden, es war nur ein kleiner Spaß“, entschuldigte sich der Held.
Lester, Diego und Gorn sahen sich an und stimmten stumm ab.
„Na schön, wir wollen mal nicht so sein, alter Junge.“
Gorn klopfte ihm auf die Schulter.
„Rückwirkend betrachtet hat es ja irgendwie doch ein bisschen Spaß gemacht und immerhin konnten wir uns endlich mal wieder so richtig austoben.“
„Nehmt ihr ihn mit seinem Blödsinn jetzt auch noch in Schutz?“ fragte Milten schlecht gelaunt.
„Naja, ändern können wir es jetzt eh nicht mehr“, sagte Gorn schlicht.
„Darum geht es ja auch gar nicht.“
Milten suchte nach den richtigen Worten.
„Ich will euch nicht nerven, oder den Spaß verderben oder so etwas, aber ich halte es wirklich für keine gute Idee wenn er mit der schwarzen Magie Beliars so herumspielt. Gerade im Hinblick darauf, dass er vermutlich mal König wird.“
Der Held stöhnte.
„Jetzt fang nicht wieder damit an. Ich will kein König sein. Mal ehrlich, den ganzen Tag auf dem Thron hocken und nichts machen ist doch langweilig. Keine Abenteuer…“
„Keine Dämonen…“ fügte Gorn hinzu und zwinkerte.
Jetzt wo er sein Bier hatte, war er gleich wieder besser gelaunt.
„Es geht als König nicht nur darum auf dem Thron zu sitzen“, fing Milten an. „Sondern darum das Land zu regieren und das heißt wichtige Entscheidungen treffen. Im Moment kommt es mir aber nicht so vor, als wenn du dich besonders verantwortungsvoll verhältst.“
„Na davon rede ich doch die ganze Zeit“, bohrte der Held in dieser Kerbe weiter nach. „Ich mache gerne was mir gefällt, heute bin ich hier und morgen da, immer da wo was los ist, aber ich würde nicht sagen, dass ich besonders … na, dings…“
„Verantwortungsbewusst“ half ihm Milten.
„Ja, genau, DAS! Eher wirst du König als ich. Du bist Verantwortungsbewusst und vernünftig.“
„Ach Blödsinn, ich bin ein Feuermagier“, wehrte Milten genervt ab.
„Und wer sagt, dass man dann kein König sein kann?“ hakte der Held weiter nach.
Er fand es angenehm den Spieß mal umzudrehen und Milten damit zu nerven.
„Das ist nicht das Gleiche“, setzte sich Diego für den Feuermagier ein. „Du hast den Schläfer besiegt, die sechs großen Drachen getötet und die Herrschaft der Orks beendet.“
Als ob er das nicht wüsste. Der Held lehnte sich mit verschränkten Armen in seinen Stuhl gelehnt zurück.
„Ja, und das war ganz bestimmt nicht einfach. Wie ihr heute gesehen habt ist es ganz schön hart sich manchen Abenteuern zu stellen.“
Lester, Diego und Gorn wechselten einen kurzen Blick und nickten stumm.
„Aber trotzdem stürzt du dich gern in die Abenteuer. Manchmal zu gern, finde ich“, sagte Milten jetzt mit ruhiger Stimme.
„Weil ich jetzt besser damit umgehen kann. Jetzt ist die Gefahr nicht mehr so groß einfach zu verrecken, aber manchmal war es früher ganz schön knapp und manchmal …“
Der Held wusste nicht, ob er das nachfolgende wirklich sagen sollte, denn er wollte keinesfalls als Schwächling dastehen, doch er entschied sich doch dafür.
„…manchmal hatte ich auch Angst zu sterben.“
Die anderen sahen nicht überrascht aus.
„Aber trotzdem hast du dich den Gefahren gestellt, nie aufgegeben und weitergemacht. Das ist auch der Grund warum du und eben nicht ich ein guter König wärst.“
Der Held seufzte. Er rechnete es seinen Freunden hoch an, dass sie sich mal aussprechen konnten, doch er wollte sich einfach nicht in dieses unbequeme Amt hineinzwängen lassen.
„Lust auf noch ein Bier?“ brach Lester das plötzliche Schweigen.
Die anderen stimmten sofort zu und Lester ging los, um noch welches zu holen. Nach dieser Runde folgten noch einige weitere und so kamen sie bald auf lustigere Gespräche. Lester erzählte die kuriose Geschichte wie es einmal dazu kam, dass unversehens ein Sumpfhai ins Lager der Bruderschaft eindrang. Es endete damit, dass Viran den Strafauftrag erhielt, fortan auf der anderen Seite des Moors Sumpfkraut zu ernten. Und irgendwann fing Gorn von einer alten Geschichte an, als sie sich einen Treffpunkt suchten und Lester den Schlüssel zum Eingang verlor, weil ein Ork ihn überrascht und durchgeschüttelt hatte. Es war wohl ein aufregendes Abenteuer, bis sie all ihr Zeug, das verschlossen in einem Bereich im Orkgebiet bunkerte, zurück hatten. Der Held hörte gespannt zu und fand es schön von ihren Abenteuern zu hören.
Sie hatten schon ganz schön einen im Tee als Lester fragte: „Erzähl mal, vorhin da sagtest du irgendwas von wegen, es käme dir bekannt vor, dass jemand was aus einem Kloster klaut. Was meintest du damit?“
Die anderen sahen gespannt zum Helden, besonders Milten, der ja noch gar nichts davon gehört hatte.
Der Held lief rot an und versuchte sich irgendwie rauszureden. Er hätte nicht gedacht, dass sich so eine Randbemerkung jemand merkt, aber da hatte er wohl nicht mit Lester gerechnet.
„Na erinnert ihr euch nicht mehr daran, wie das Auge Innos aus dem Kloster der Feuermagier auf Khorinis gestohlen wurde?“ sagte er eilig, um das Thema schnell zu beenden.
Hastig nahm er noch einen großen Schluck Bier, was vermutlich nicht die beste Entscheidung war, denn der Teil, der nicht wollte, dass er weiterredete war eben auch schon angetrunken und es wurde logischerweise schlimmer, wenn er mehr trank. Nur konnte er nicht mehr logisch denken.
„Stimmt“, kam es von Diego.
Milten schien das immer noch unangenehm zu sein. Immerhin stand er Wache vor dem Kloster und hätte eigentlich merken müssen, dass mit Pedro irgendwas nicht stimmte.
„Das jemand was aus einem Kloster klaut ist ziemlich unmöglich. Pedro … gelang das auch nur, weil er ein Novize war und so nicht weiter auffiel.“
Das war‘s, das Urteilsvermögen des Helden war zu betrunken, um dafür zu sorgen den Mund zu halten.
„Ja, na klar. Sicher? Also das Kloster von Khorinis ist ganz bestimmt vieles, aber bestimmt nicht sicher.“
Er lachte leise und nahm noch einen Schluck.
Milten war plötzlich fast wieder klar.
„Was meinst du?“ fragte er vollkommen ruhig und das sollte eigentlich jeden stutzig machen.
Lester ahnte schon was da kommen würde und rückte etwas weiter vom Helden weg, damit er nicht unversehens in Miltens aufkeimende Wut geriet.
„Weißt du, genau an dem Tag, als Pedro das Auge Innos stahl, da wurde auch der heilige Hammer geklaut.“
Milten wurde aschfahl. Die anderen sahen ihn merkwürdig an.
„Was? Woher weißt du das? Niemand außer den Feuermagiern weiß davon.“
Der Held kicherte wieder, woran eindeutig der Alkohol schuld war.
„Naja weißt du, es ist eigentlich eine total lustige Geschichte. Lee gab mir damals den Auftrag den Richter ausfindig zu machen, der dafür gesorgt hatte, dass er in das Mienental geworfen wurde. Er wollte sich an ihm rächen, aber um das zu erreichen, musste er erst einmal wissen wie er ihn am Schlafittchen packen konnte. Ich sollte mich als sein Söldner anwerben lassen.“
Gorn horchte auf. Davon hatte auch er noch nichts gehört.
„Natürlich musste ich mich erst als loyal erweisen, damit er mir vertraute und dazu gehörte unter anderem die Beschaffung des heiligen Hammers.“
Milten wurde noch blasser. Es war als stürzte für ihn ein Weltbild zusammen.
Diego beunruhigte das „unter anderem“. Lester hätte sich am liebsten in Luft aufgelöst, weil er unbeabsichtigt dieses Gespräch losgetreten hatte.
„Also stell dir vor: Ich wollte beides mit einer Klappe schlagen. Ich musste ja sowieso ins Kloster, um das Auge Innos zu holen, da könnte ich die Sache mit dem Hammer auch gleich erledigen. Ich komme also dort an und frage dich, ob alles in Ordnung sei.“
Milten fiel ihm ins Wort.
„Ah ja, du meinst damals, als ich dich so sehr gelobt und bewundert habe, weil du so viel für uns tust und wie heroisch du dich verhältst.“
„Ja, genau“, sagte der Held und der Alkohol sorgte dafür, dass er diese donnerschlaglaute Alarmglocke überhörte. „Pedro konnte also das Auge Innos noch nicht geklaut haben, denn sonst hättest du mir über so etwas ungewöhnliches ganz sicher berichtet. Er war also noch drin. Ich wusste davon natürlich nichts, ging hinein und entschied mich erstmal dafür den Hammer zu holen, weil ich so ein Alibi hätte, wenn die ganze Geschichte zur Sprache käme. Ich wäre ja nur im Kloster gewesen, um das Auge Innos zu holen. Ich gehe also in den Keller wo Garwig steht und den Hammer bewacht. Stell dir vor, der muss zwar an sich nie schlafen, weil Innos das so verfügt hat, aber wenn man einen Schlafzauber auf ihn wirkt, dann pennt er trotzdem ein.“
Miltens Hände ballten sich zu Fäusten. Seine Knöchel traten weiß hervor.
„Ohne Probleme konnte ich den Hammer einfach so mitnehmen und keiner hat es mitgekrigt. Dann gehe ich zu Pyrokar, der mir erklärt, gerade eben sei das Auge Innos gestohlen wurden. Pedro muss also genau in dem Moment rausgerannt sein, als ich in den Keller ging. Was für ein Zufall, oder? Ich also hinterher, an dir vorbei, ohne dass du was geahnt hättest, zur Brücke und bin dann ins Wasser gesprungen um Pedro zu verfolgen. An einem Tag wurden zwei heilige Artefakte aus dem ach so sicheren Kloster geklaut und das genau vor deiner Nase. Das war bestimmt lustig, als alle herausfanden, dass der Hammer auch noch weg ist.“
„Ja, das war total lustig“, grollte Milten sarkastisch.
„Ich geh dann mal noch ein Bier holen“, brachte sich Lester schnell in Sicherheit, denn wenn er sich entscheiden müsste, ob Milten oder ein Dämon gefährlicher war, dann fiel seine Wahl ganz sicher in diesem Moment auf Milten.
„Milten ganz ruhig, ich bin sicher das können wir in Ruhe besprechen“, versuchte Diego die Lage zu entschärfen.
„Kannst du dir überhaupt vorstellen was los war, als wir auch noch merkten, dass der Hammer fehlte?“ schrie Milten den Helden wütend an.
Er war laut, aber nicht so laut, dass es in dieser überfüllten und lärmenden Kneipe auffiel. Hier schrie jeder, der betrunken war, mal herum.
„Das ist ein heiliges Artefakt, das kann man nicht einfach mal so klauen.“
„Du siehst doch, dass man das kann“, setzte der Held noch einen drauf.
„Halt doch mal die Klappe!“ knurrte ihn nun Gorn an. „Du machst es nur noch schlimmer, kapierst du das nicht?“
Offenbar verstand der Held es nicht. Vielleicht wollte er es auch gar nicht verstehen. Vielleicht war sein Hang zur Klausucht auch nur ein weiterer Ausdruck der Rebellion. Der Rebellion gegen das Schicksal und wen auch immer, die ihn immer wieder dazu bringen wollten der strahlende Held zu sein, allen zu helfen, die Drachen zu erschlagen, Khorinis und Myrtana zu retten und überhaupt immer so heroisch sein zu müssen. Heilige Artefakte zu klauen, die man ganz sicher nicht klauen sollte, schon gar nicht als strahlender Held waren vermutlich das beste Mittel um zu zeigen, dass man ganz sicher KEIN strahlender Held war und noch weniger zum König taugte. So gesehen hatte diese Strategie, wenn man das so nennen wollte, funktioniert. Milten sah wütend und erschüttert aus. Kannte er seinen Freund denn wirklich? Er hatte immer geglaubt, er würde ein gutes Vorbild sein, mit all seinem Mut und seinem Durchsetzungswillen. Findig wusste er immer wie ein Problem zu lösen war, auch wenn es schwierig werden sollte. Wenn er da war, dann wurde alles gut. So musste es doch sein, oder? Und jetzt stellte Milten fest, dass es gar nicht so war. Sein Freund war einfach nur ein egoistischer Kleptomane.
„Wie konntest du das nur tun?“ grollte Milten wütend und plötzlich loderten Flammen in seiner rechten Hand.
„He Milten, mach mal langsam“, sagte Diego. „Komm! Wir gehen an die frische Luft.“
Milten schien gar nicht daran zu denken, aber irgendwie schaffte es Diego ihn vom Tisch und nach draußen zu bugsieren. Lester, der gerade mit fünf weiteren Bier ankam, sah was geschah und wirkte kurz unschlüssig. Dann stellte er die Biergläser auf dem Tisch ab und entschied, dass Milten ihn jetzt dringender brauchte als der Held und verließ ebenfalls die Kneipe.
Gorn seufzte.
„Was hast du da nur angerichtet?“
Der Held sagte nichts. Ganz langsam fiel der Groschen, dass er einen seiner besten Freunde so richtig verärgert hatte. Er hielt sich mit einer Hand an der Stirn und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Es gelang ihm einfach nicht. Er war schon zu betrunken.
„Komm, lass uns auch gehen“, sagte Gorn, dem die Lust am Feiern vergangen war.
„Und das Bier? Das können wir doch nicht einfach hier rumstehen lassen“, sagte der Held mit schwerer Zunge.
Gorn seufzte erneut und zog sich ein Bier heran. Er stürzte es in einem Zug hinunter.
„Boahr, nach all dem Bier hast du immer noch so einen Zug drauf, Wahnsinn!“ kam es vom benebelten Helden.
Er zog seinerseits ein Bier heran und tat es ihm gleich. So vernichteten sie auch die nächste Ladung. Gorn entschied aber, dass es jetzt endgültig genug sei. Der Held sah ihn an und holte sich dann das letzte Bier. Diesmal brauchte er zwei Anläufe um das große Glas auszutrinken.
„Jut, jetzt können wir los“, lallte er, stand auf, torkelte ein paar Schritte und fiel dann bewusstlos der Länge nach hin.
Eispfötchen
13.01.2018, 22:43
Der nächste Tag brach mit einem riesigen Kater an, besser gesagt mit einem Säbelzahntiger. Stöhnend richtete sich der Held auf. Es fiel ihm viel schwerer als sonst. Desorientiert sah er sich um. Er befand sich in ihrem Versteck. Offenbar hatte er in seinem Bett geschlafen. Waldi lag daneben in seinem Korb. Der Held sah sich nach Gorn um. Der schnarchte auf dem hässlichen grünen Sofa. Die Kopfschmerzen behinderten den Helden beim Denken und waren auch schonst reichlich unangenehm. Ein Heiltrank schuf Abhilfe. Erleichtert spürte er, wie sich die Wirkung entfaltete. Waldi winselte. Gedankenlos kraulte er ihn hinter den Ohren.
Gorn grunzte und wachte dann auf. Grollend setzte er sich auf und hielt sich den Kopf.
„Hier!“ sagte der Held mit rauer Stimme und reichte ihm einen Heiltrank.
Gorn nahm ihn an und trank ihn in einem Zug leer. Der Held ließ sich, irgendwie immer noch erschöpft, neben ihm aufs Sofa plumpsen.
Eine Zeit lang sagten sie gar nichts. Draußen hörten sie das geschäftige Treiben der Welt. Der Verkehr brauste, laute Musik drang von fern her und eine Bahn ratterte vorbei.
„Keine Ahnung mehr was gestern Abend passiert ist“, kam es vom Helden.
Gorn sah ihn einen Moment an und sagte dann: „Du warst sternhagelvoll. Ich hab dich hierhergebracht.“
Der Held dachte angestrengt nach.
„Weißt du wo die anderen sind?“
„Kannst du dich denn überhaupt nicht mehr erinnern?“ fragte Gorn ungläubig. „Ich vermute, dass sie in Diegos Laden die Nacht verbracht haben.“
„Hm…“
„Du hast Milten ganz schön verärgert mit dieser Geschichte, wie du diesen heiligen Hammer aus dem Kloster der Feuermagier geklaut hast.“
Der Held stöhnte.
„Hab ich das wirklich erzählt?“
Er hielt sich den Kopf.
„Ja und das war total beknackt. Was hast du dir denn dabei gedacht?“
„Das klauen, oder das erzählen?“ fragte der Held niedergeschlagen.
Gorn wägte ab.
„Beides … Irgendwie … aber hauptsächlich das erzählen. Sowas kannst du doch nicht rumposaunen, während ein Feuermagier anwesend ist, auch nicht, wenn‘s ein Freund ist. Mal ehrlich, selbst mir kommt es komisch vor so ein Artefakt zu stehlen. Hört sich wichtig an. Was ist das überhaupt für ein Hammer?“
Der Held ließ sich noch etwas tiefer in die Lehne sinken.
„Angeblich hat Rhobar der II. ihn in irgendeiner Schlacht gegen einen Golem verwendet. Anscheinend konnte dieser Golem von niemandem verletzt werden, aber mit diesem Hammer hat er es geschafft.“
Er war einen Moment still, dann fügte er spöttisch hinzu: „Ich wette die haben ihn einfach nur mit Schwertern angegriffen, bis Rhobar dann gemerkt hat, dass es mit einem stumpfen Gegenstand besser funktioniert und husch, auf einmal ist’s der heilige Hammer. Das wäre so, als wenn ich einen Steinbrecher als heilige Wunderwaffe anpreisen würde, oder deine Axt. Immerhin hast du gestern ja auch einen Golem bezwungen. Ist also nichts weiter dabei.“
Gorn wusste, dass der Held gerade in einer Trotzphase war und es deshalb nichts brachte mit ihm zu diskutieren, aber er versuchte es trotzdem.
„Für dich vielleicht nicht, aber es laufen ja nicht alle Menschen im Land herum und zertrümmern Golems. Vielleicht ist da auch noch eine verborgene magische Eigenschaft oder so, die wir nur nicht kennen. Wenn dieser Hammer für die Feuermagier wichtig ist, dann gilt das eben auch für Milten.“
Der Held drehte seinen Kopf und sah Gorn schelmisch an.
„Meinst du er redet wieder mit mir, wenn ich ihm meinen Steinbrecher als heiligen Ersatz anbiete?“
Gorn war nicht zu Scherzen aufgelegt.
„Wenn du das machst, dann hast du es dir endgültig mit ihm verdorben.“
„Du hast heute aber überhaupt keinen Humor“, grummelte der Held.
Sie saßen noch eine ganze Weile so da und schwiegen sich an. Dieses Mal war es aber ein eher unangenehmes Schweigen. Der Held dachte angestrengt nach wie er die Sache wieder hinbiegen könnte.
Irgendwann klappte die Tür und die anderen drei standen im Raum.
„He“, sagte Diego zur Begrüßung.
„He“, kam es tonlos vom Sofa zurück.
Alle warteten darauf wer den ersten Schritt machen würde. Der Held stand auf und ging zu Milten.
„Hör mal, es tut mir Leid. Ich war total betrunken und hab nicht mehr darüber nachgedacht was ich da erzähle.“
Milten schien immer noch sauer, aber er wirkte beherrschter als gestern Abend.
„Und mir tut es leid, dass ich die Beherrschung verloren habe, das hätte nicht passieren dürfen.“
Dieser Umstand machte ihm offenbar ganz schön zu schaffen. Der Held versuchte Verständnis aufzubringen.
„Naja, ist ja kein Wunder, dass du so reagiert hast.“
„Aber die Geschichte ist wahr, oder?“ fragte der Feuermagier nach, ein kleiner Hoffnungsschimmer steckte in seinen Worten.
Vielleicht hatte er sich das ja doch nur ausgedacht.
„Ich hab nicht gelogen, das ist so passiert“, sagte der Held verlegen.
Milten atmete einmal tief durch.
„Weißt du wo der Hammer jetzt ist?“
Der Held dachte nach.
„Also nachdem ich den Hammer an den Richter übergeben habe, ließ Lee seine Falle zuschnappen und der alte Sack wurde eingebuchtet. Vermutlich wurde auch sein Haus durchsucht und ich könnte mir gut vorstellen, dass die Paladine den Hammer gefunden und dem Kloster zurückgegeben haben“, versuchte er ihn zu beruhigen.
„Hoffen wir es.“
Mehr schien Milten nicht sagen zu wollen. Wieder drückte das Schweigen auf die Situation. Diego, Lester und Gorn schienen die Lage genau zu beobachten für den Fall, dass sie doch noch eskalierte.
„Gestern wolltest du wissen warum ich das gemacht habe. Es war einfach, … weil es nötig war.“
„Naja, nur weil Lee das so wollte, heißt das doch nicht, dass es nötig war. Immerhin handelt es sich um ein heiliges Artefakt“, grummelte Milten.
Der Held wollte nicht, dass sich die Situation wieder hochschaukelte und er versuchte seinem Freund die Lage zu erklären.
„Sieh mal: Lee ist mein Freund und zu dem Zeitpunkt war er auch mein Vorgesetzter. Ich wollte ihm ganz einfach helfen. Wenn du, oder die anderen meine Hilfe gebraucht haben, dann hab ich euch doch auch geholfen, oder?“
Milten seufzte. Natürlich hatte der Held da Recht. Immerhin hatte er Gorn aus dem Gefängnis befreit und Diego sicher aus dem Mienental geführt, was viel wert war, weil alle Wege damals voller Orks waren. Er konnte seinen Freund verstehen, aber ihn bedrückte noch etwas.
„Weißt du, mich nervt auch, dass ich das alles einfach nicht kommen sah. Was bin ich denn für ein Torwächter, wenn ich das alles nicht mitbekommen habe?“ sagte Milten verbittert.
„Hm… wenn‘s dich beruhigt, selbst wenn es jemand anders gewesen wäre, oder wenn du mich aus irgendwelchen Gründen verdächtigt hättest, wäre ich trotzdem ins Kloster reingekommen. Rechts neben dem Eingang kann man die Felsen runterklettern und dann wieder rauf und von da aus auf einen Absatz und dann weiter über die Mauer aufs Dach. Von dort aus ist es dann einfach in den Hof zu springen.“
Milten sah ihn erstaunt an.
„Ach und du meinst das beruhigt mich jetzt, ja?“ sagte Milten, aber ein ganz leichtes Lächeln verriet, dass er nicht mehr ganz so wütend auf seinen Freund war.
„Hör mal, du hättest doch niemals ahnen können, was ich vorhabe. Ich denke nicht, dass du ein schlechter Wächter bist. Und um dir das zu zeigen …“
Er zog etwas aus seiner Hosentasche.
„… möchte ich dir das geben, damit du es sicher aufbewahrst, bis es vielleicht doch mal wieder gebraucht wird.“
„Das Auge Innos“, sagte Milten atemlos.
Der Held hielt es ihm hin.
„Das kann ich doch nicht nehmen. Es ist dir bestimmt.“
„Wer sagt das? Außerdem ist es nutzlos. Ich konnte es nicht wieder aufladen. Es braucht ein ausgewachsenes Drachenherz, um es wieder in Gang zu bekommen. Ich sehe nicht warum du es nicht nehmen solltest, immerhin bist du ein Feuermagier und damit doch genau der Richtige, um das Auge Innos zu beschützen.“
Milten sah seinem Freund in die Augen, um sich zu versichern, dass es auch wirklich in Ordnung war, wenn er das Auge bekam und nahm es dann an.
„Ich verspreche, dass ich es sicher verwahren werde, bis zu dem Zeitpunkt, an dem du es wieder brauchst.“
„Gut“, der Held klopfte ihm auf die Schulter.
Er war froh, dass Milten nicht mehr auf ihn sauer war. Ganz merklich fiel die Spannung aus dem Raum. Die anderen drei atmeten auf.
„Eigentlich wollten wir gestern ja wegen diesem Dimensionstor zum Markt“, fing Lester das nächste Thema an. „Aber wir sind nicht großartig vorangekommen.“
„Ich hab zwar gemerkt, dass Magie in der Luft liegt, aber vermutlich lag das auch einfach nur an euren …“, er sah Lester und den Helden an und lächelte schief. „Special Effects.“
Eispfötchen
19.01.2018, 14:16
Es klopfte laut unten an der Tür. Es waren Cem und Elyas. Cem sah sehr geschäftig aus und nachdem sie ihn hereingelassen hatten kam er gleich zur Sache.
„Mit diesem Sumpfkraut läuft es richtig gut. Wenn wir es im Darknet verkaufen machen wir noch ein Vielfaches an Umsatz. Es gibt da so einen Typen, so ein Nerd, der wird sich darum kümmern.“
Es schien ihm offenbar vollkommen egal, dass seine Zuhörer ihn gar nicht so recht verstanden. Ihm genügte es Befehle zu erteilen und wenn diese nicht ausgeführt wurden, dann würde er sich schon etwas zur Bestrafung einfallen lassen. Dieses Verhalten war er gewohnt. Er ging hoch zu den Sumpfkrautpflanzen und besah sich den Raum.
„Ein … Geschäftspartner stellt mir eine Lagerhalle an den Bahngleisen ein Stück von hier zur Verfügung. Sie steht im Moment leer und ich bin mir sicher, dass sich dort noch viel mehr Sumpfkraut anpflanzen lässt.“
Er drehte sich um und zeigte auf Lester und den Helden.
„Ihr beide kommt mit und seht euch an, ob die Räume was taugen und dann gehst du“, er zeigte jetzt auf den Helden. „Zu Marius, dem Nerd und gibst ihm diesen Umschlag.“
Danach wandte sich Cem um und beachtete sie nicht weiter. Er ging im Raum auf und ab und inspizierte alles ganz genau.
„Stimmt was nicht?“ fragte der Held.
Cem blickte auf, schien dann abzuwägen, ob er etwas sagen sollte, oder es doch besser geheim blieb. Der Clubbesitzer neigte offenbar zum Plaudern, was in dieser Branche sehr ungesund sein konnte.
„Es wird nachgedacht dieses Haus zu verkaufen, nein, das ist nicht richtig, jemandem gegen Geld zu überlassen. In einem Jahr sind zehn Jahre um, dann kann dieses Ghost House einen neuen Besitzer finden, per Share Deal.“
Die Freunde sahen sich verwundert an.
„Was heißt das? Ich dachte das Haus gehört dir“, fragte der Held.
Cem schien nur darauf gewartet zu haben, dass er fragte, so dass er mit seinem Finanzwissen protzen konnte.
„Das gehört doch nicht mir. Es ist … sozusagen Firmeneigentum. Nächstes Jahr werden wir dann Anteile des Hauses verkaufen, so muss keine Grunderwerbsteuer bezahlt werden.“
„Und was ist ein … Ghost House?“
Cem wedelte ungeduldig mit der Hand.
„Na ein Geisterhaus.“
Damit schien die Unterhaltung aus seiner Sicht beendet zu sein und er wandte sich wieder ab.
„Geister?“
Der Held sah die anderen an, um zu sehen, was sie davon hielten. Die sahen unschlüssig drein.
Lester fragte leise: „Meinst du wirklich, dass es hier Geister gibt?“
„Finden wir es heraus", sagte der Held voller Tatendrang.
„Was meinst du?“ fragte Milten skeptisch.
„Ich hab noch diese Anrufungsformel, die mir Myxir gegeben hat. Damit konnte ich auch Quahodron zu einem Plausch überreden. Ich sehe nicht, warum das hier nicht funktionieren sollte, wenn das hier ein Geisterhaus ist.“
„Am besten fangen wir gleich oben an“, sagte Gorn und zeigte auf das Zimmer, in dem sie schliefen.
Ihm schien es gar nicht zu gefallen, dass nachts wohlmöglich irgendwelche Geister um ihn herumschwebten. Sie gingen die Treppe hoch und der Held kramte in seiner Hosentasche nach der Steintafel. Dann sprach er die Worte in der uralten Sprache. Es wirkte sehr beeindruckend auf die anderen, aber nichts passierte.
„Vielleicht hat der Geist dich nur nicht richtig verstanden?“ mutmaßte Lester.
Der Held räusperte sich und sprach die Zeilen dann noch einmal, diesmal so deutlich wie möglich. Doch wieder nichts. Der Raum blieb leer. Kein Geist zeigte sich.
„Muss es vielleicht Nacht sein?“ fragte Gorn.
„In Jharkendar spielte das keine Rolle“, erklärte der Held.
Milten dachte nach.
„Wenn es einen Geist gibt, dann versteht er dich vermutlich nicht. In Jharkendar sprechen sie die alte Sprache, hier aber nicht. Versuch mal die Anrufung zu übersetzen, vielleicht tut sich dann etwas.“
Der Held tat wie ihm geheißen. Er übersetzte die Worte auf der Steintafel und trug sie feierlich vor, aber immer noch nichts.
Diego seufzte, angesichts der Bemühungen seiner Freunde.
„Ich denke, das mit dem Geisterhaus war nur eine Metapher.“
Die anderen sahen ihn verwundert an.
„Mit Geisterhaus wird hier wohl einfach nur ein leer stehendes Haus bezeichnet.“
„Komische Leute“, kam es von Lester.
„Ich sag doch auch nicht, Drachenhöhle, wenn‘s gar keine ist“, entrüstete sich der Held. „Stell dir doch mal vor, da kommen dann viele wagemutige Abenteurer voller Erwartungen in dieser Höhle an und dann gibt es dort gar keinen Drachen. Wie enttäuscht müssen die denn sein?“
„Ja, die Armen“, sagte Milten schmunzelnd und mit nicht allzuviel Mitleid in der Stimme.
„Was macht ihr denn hier oben?“ fragte Elyas, der gerade die Treppe hinaufkam. „Cem möchte aufbrechen. Ihr beiden kommt am besten mit.“
Der Held und Lester wussten, dass sie gemeint waren.
„Ach und … wenn du bei Marius bist, kannst du ihm gleich sagen, dass er eine Internetseite für Diego einrichten soll. Dann können die Nutzer ihn auch über Telefon und Internet erreichen.“
"Wenn du es sagst", kam es nur vom Helden.
Sie brachen auf und nahmen einen großen Sack mit Sumpfkraut mit. Das Lagerhaus lag in einer trostlosen Gegend. Sie parkten am verwahrlosten Straßenrand. Das Gebäude sah seit langem verlassen aus. Cem zog einen Schlüssel aus der Tasche und sperrte das rostige Schloss auf, dann traten sie ein. Wie zu erwarten, sahen sie einen großen, leeren, dunklen Raum. Es roch nach abgestandener Luft und Staub. Trübes, dämmriges Licht schien durch die dreckigen Fenster.
„Und was sagt ihr?“ fragte Cem, als würde er ihnen gerade ein Traumhaus zeigen.
Lester und der Held gingen herum und sahen sich aufmerksam um. Es gab nicht viel zu sehen, nur einige Kartons, Kisten und anderer Schrapel. Lester kam schließlich zurück und sagte: „Es ist sehr trocken. Wenns nasser wäre, können wir es versuchen.“
„Ich denke, das lässt sich einrichten“, sagte Cem, mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Wo ist eigentlich dein Kumpel?“
Ein lautes Poltern verriet seinen Standort. Der Held hatte etwas interessantes, unter einem Haufen Kisten gesehen und als er danach griff, purzelte alles durcheinander. Cem sah ihn verärgert an, sagte dann aber: „Na schön, ihr werdet das schon machen. Ich kann mich ja dann wieder den anderen Geschäften widmen.“
Damit verließ er das Lagerhaus und fuhr mit seinem Wagen davon.
„Ich hab schon alles vorbereitet“, erklärte Elyas stolz und zeigte auf Balkonblumenkästen, die er für die Sumpfkrautpflanzen vorgesehen hatte.
Lester wirkte nicht so recht zufrieden.
„Ich weiß nicht, ob sie hier wachsen. Sumpfkraut ist zwar recht anspruchslos, aber in diesem Loch wird es schwierig.“
„Ich besorge Wassersprenger, dann ist es feucht genug“, erklärte Elyas, der sich seine Begeisterung nicht nehmen lassen wollte.
Lester wirkte fast noch unzufriedener. Der Held, der das Gespräch mitbekommen hatte, kam angetrabt und gab ihm einen Stoß mit dem Ellenbogen in die Seite: „Du willst doch nur nicht, dass all deine Sumpfkrautvorräte vor die Hunde gehen.“
Er zwinkerte ihm zu. Lester sah ihn ertappt an und versuchte sofort zu dementieren.
„Nein, ich …“
„Da wächst auch wieder neues. Es bleibt garantiert noch mehr übrig als du rauchen kannst.“
Lester war immer noch nicht zufrieden, wusste aber, dass er sich damit abfinden musste.
„He, wegen Marius. Hier ist seine Adresse.“
Elyas reichte ihm einen Schnipsel mit einer Anschrift.
„Kannst du es mir auf der Karte einzeichnen?“ fragte der Held und zückte sie aus der Hosentasche.
Elyas sah sie überrascht an, nahm sie dann aber entgegen, entfaltete sie und kreuzte die Stelle mit einem X an. Daraufhin ließ der Held Lester und Elyas mit dem Sumpfkraut allein und joggte los. Auch wenn er sich mittlerweile mit den öffentlichen Verkehrsmitteln auskannte, mochte er es zu laufen. Er hatte sich überlegt, dass es trotzdem sinnvoll wäre, einige andere Teleporterrunen der Stadt zu haben, etwa wenn doch mal die Miliz hinter ihm her sein sollte. Er nahm sich fest vor, Milten zu fragen, ob er einige Runen herstellen könnte. Ihm selbst fehlte das nötige Wissen. Vielleicht könnte Milten es ihm ja beibringen?
Er gelangte zum X auf der Karte, sah noch einmal genau hin, blickte sich um und faltete die Karte dann zufrieden zusammen. Hier war er richtig. Immerhin hatte Elyas ihm Marius zweiten Namen genannt. Zuerst hatte er es komisch gefunden, dass die Leute hier zwei Namen hatten, aber in anbetracht der Anzahl an Menschen war es vermutlich notwendig. Dieser zweite Name stand auf einem der Schilder an der Tür. Der Held klopfte. Doch es öffnete niemand. Er klopfte noch energischer. Immer noch nichts. Der Held ließ sich nicht entmutigen. Irgendwie musste man doch da reinkommen. Er könnte die Tür vielleicht mit einem Dietrich öffnen. Er sah sich um. Es gab einige Menschen, die diese Straße hoch und runter liefen. Es könnte zu sehr auffallen. Bevor er diese Möglichkeit ernsthaft erwog, untersuchte er die Schilder an der Wand genauer. Da war ein Knopf neben dem Namen. Der Held drückte drauf. Von drinnen kam ein leises, aber nerviges Geräusch. Das musste ja irgendwas bringen. Der Held hielt den Knopf gedrückt. Nach etwa zwei Minuten ging die Haustür auf und ein gehetzter, kleiner, junger Kerl mit schmierigen halblangen Haaren und einem Metallgestell mit Gläsern im Gesicht, stand vor ihm.
„Ich bin doch nicht taub. Zweimal kurz, hätte auch gereicht.“
Er musterte ihn und sein Blick zeigte, dass er plötzlich von der Erscheinung seines Gegenübers eingeschüchtert war.
„Elyas schickt dich, oder?“
„Ja, ich soll dir das hier geben.“
Der Held zog den Umschlag aus der Tasche, den Cem ihm gegeben hatte.
„Doch nicht hier“, zischte Marius nervös. „Komm mit rein.“
Er verschwand wieder im Haus, wo er eine lange Treppe hochging. Der Held folgte ihm und donnerte die Tür hinter sich zu. Marius zuckte am ganzen Körper zusammen. Er schien sich eine fuchsige Bemerkung zu verkneifen. Mit seinem Gast wollte er ganz offensichtlich keinen Streit. Marius Wohnungstür stand halb offen. Es sah ganz nach einer übereilten Flucht aus. Innen war es aber sehr ordentlich. Der Held sah sich staunend um. Er hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt, wie viel Platz die Leute in dieser Stadt hatten. Was sofort ins Auge fiel waren zahlreiche elektronische Geräte. Er hatte mittlerweile gelernt, dass sie für Arbeiten und zur Unterhaltung gut waren, aber so viele auf einmal hatte er bisher noch nicht gesehen. Marius besaß einen großen Fernseher, fünf Konsolen, zwei Laptops und vier Computer. Einer davon lief gerade auf einem großen Bildschirm und da war etwas zu sehen.
„Ist das ein Film?“ fragte der Held, weil er davon nun immerhin wusste.
„Nein, ein Spiel“, erklärte Marius, der nicht wusste, ob ihm das angesichts seines merkwürdigen Gastes jetzt peinlich sein sollte, oder nicht.
„Ein Spiel? Und was macht man da?“ fragte der Held interessiert.
„Man spielt einen Helden, der durch Himmelsrand zieht und gegen Drachen kämpft.“
„Oh“, sagte der Held anerkennend.
Er verstand es so, dass dieser Marius offenbar so eine Art Technikmagier war und mittels eines Portals in eine fremde Welt sehen konnte und dort mittels seiner Technomagie Besitz von einer Person ergriff und diese dann lenkte. Dieser Kerl mochte klein und schmächtig wirken, aber offenbar hatte er einiges auf dem Kasten.
„Was hast du für Runen?“ fragte der Held nach.
„Ich hab hier Feuerrune, Blitzrune und Eisrune“, erklärte Marius, erstaunt, dass sein Gast sich dafür interessierte.
„Und wie kommst du gegen die Drachen klar? Hast du schon welche getötet?“
„Ja, drei Stück. Ich fand gerade die ersten beiden, die mir begegnet sind sehr schwer. Hast du denn auch Drachen getötet?“
„Ja, sechs große und vier kleinere.“
Marius machte große Augen.
„Oh, dann bist du ja schon sehr fortgeschritten.“
Der Held zuckte mit den Schultern. Wenn man das so sagen konnte.
„Zeig mir doch mal, was du so machst.“
Marius freute sich für sein Interesse und setzte sich an den Rechner. Sofort ging es auf dem Monitor weiter. Marius steuerte einen großen Ritter, mit Schild und einem mit Ornamenten verzierten Schwert durch eine dunkle Gruft. Auf einmal kam etwas aus der Dunkelheit gesprungen und griff ihn an. Der Held erkannte es als Zombie. Marius kloppte den Untoten einfach weg. Auf seinem Weg begegneten ihm noch mehrere dieser Unholde, aber sie waren offenbar kein Problem für ihn. Es ging weiter durch dunkle Gänge, bis er in einen großen unterirdischen Raum gelangte, wo ihn ein untoter Krieger zum Kampf forderte. Marius setzte einige Feuerbälle ein und ging dann in den Nahkampf. Wenn es ihm zu bunt wurde, entfernte er sich wieder und heilte sich mit Magie. Der Held fand, dass das ein ganz vernünftiges Vorgehen war und war deswegen nicht weiter verwundert, als sein Gastgeber den Kampf gewann. Er räumte seinen Feind noch nach nützlichen Gegenständen aus, so wie sich das gehörte und besah sich dann die Wand, wo fremdartige Schriften leuchteten. Es gab ein blendendes Licht und Marius erklärte, dass er jetzt den Zauber „Elementare Raserie“ gelernt hatte. Der Held sah gespannt zu. Offenbar erhielt man so in diesem „Himmelsrand“ neue Zauber. Marius verließ die Katakomben wieder und draußen sah es gleich viel netter aus. Überall saftiges grünes Gras, Bäume, die sich im leichten Wind sanft wiegten und ein braunes Tier, das mit "Pferd" beschriftet war und das geduldig auf Marius wartete. Er wollte sich gerade in den Sattel schwingen, als es ein lautes Brüllen gab und von oben ein grüner Drachen auf ihn hinunterrauschte. Marius erschreckte sich und auch der Held war etwas überrascht, aber er sagte gleich: „Los, schnell, greif ihn an, bevor er dich überrumpelt!“
Marius tat wie ihm gesagt wurde und drosch auf den Drachen ein, der ihn aber mit Feuer eindeckte und er musste sich außerhalb der Gefahrenzone in Sicherheit bringen, um sich zu heilen. Überrascht sah der Held, wie sein Pferd aber offenbar gar nicht daran dachte. Mit überwältigendem Heldenmut stellte sich das Tier dem übermächtigen Gegner, bäumte sich auf und schlug mit seinen Hufen aus. Der Drache zuckte überrascht zusammen und wandte sich jetzt zu seinem neuen Gegner um. Er schnappte nach dem Pferd, aber es brach nicht zusammen, sondern kämpfte tapfer weiter.
„Das nenne ich mal Kampfgeist. Dein Tier ist ja ein echter Teufelskerl“, sagte der Held beeindruck.
„Kann man wohl sagen“, kommentierte Marius, der eilig nach einem Trank zur Stärkung suchte.
Dann stürzte er sich wieder auf den Drachen. Links und rechts bekam der Drache ordentlich ein paar Schläge gewischt, aber ihm schien das nicht wirklich etwas auszumachen. Er zog sich nicht zurück, oder floh in den Himmel, er griff einfach immer weiter an, vor allem das Pferd, das ihm offenbar ein besonderer Dorn im Auge war. Schließlich brach das arme Tier dann doch noch tot zusammen und es stand nichts mehr zwischen Marius und dem grünen Drachen. Mit einem beherzten Biss wurde Marius Ritter stark verletzt. Der junge Mann drohte in Panik auszubrechen. Er versuchte mehrere verschiedene Zauber hintereinander, aber nichts brachte den entscheidenden Vorteil. Der Held merkte, dass die Lage ernst war und fragte aufgeregt: „Was ist mit einem Feuerregen? Hast du denn keinen Feuerregen?“
„Was? Nein, hab ich nicht, nur einen Feuerball.“
„Fast nutzlos, gegen einen Drachen. Nicht lockerlassen jetzt, da musst du jetzt durch.“
Der Kampf ging noch einige Minuten, dann, irgendwie unvermittelt, brach der Drache vor Marius Ritter zusammen und war tot.
„Vergiss bloß nicht den Drachen auszunehmen“ erinnerte der ehemalige Drachenjäger seinen Kollegen.
„Nein, natürlich nicht, aus den Schuppen und Knochen lassen sich prima Rüstungen machen.“
„Hm…“ kam es vom Helden.
Warum hatte er nicht daran gedacht? So eine Rüstung aus Drachenknochen wäre bestimmt toll. Ob die Drachen im Mienental schon allzu verwest waren, um daraus noch etwas zu machen?
„Machst du sowas oft?“ fragte der Held interessiert.
„Manchmal. Meistens spiele ich mit anderen zusammen. Im Mehrspielermodus bin ich zurzeit ein Heiler. Es fand sich sonst niemand in unserer Gruppe, der das machen wollte.“
„Was meinst du?“ fragte der Held verwundert.
„Naja, es ist doch so: Die besten Chancen hat man, wenn die verschiedenen Klassen in einer Gruppe auch gut genutzt werden. Ein Heiler, der alles niedermähen muss, nutzt seine Fähigkeiten nicht so gut aus. Da muss man sich schon spezialisieren und gut im Team zusammenarbeiten, damit man gegen die harten Gegner ankommt. Bei uns im Team gibt es einen Krieger, einen Bogenschützen, einen Magier und mich als Heiler.“
„Hm…“ kam es vom Helden, der nachdachte.
Das ergab tatsächlich Sinn.
„Und wie ist das bei dir?“
„Ach, eigentlich bin ich oft alleine unterwegs, aber wenn ich zusammen mit anderen losziehe … also Milten ist der Magier, Gorn der Krieger, Diego ist ein guter Bogenschütze und hat viele Diebestalente und Lester …“
Er überlegte schnell was er über seinen Freund sagen könnte. So richtig ließ er sich nicht in eine von den genannten Gruppen einsortieren. „… er kennt sich sehr gut mit Kräutern und Tränken aus.“
„Du meinst, ein Alchemist? Hört sich sehr interessant an. Und was ist mit dir?“
Der Held überlegte angestrengt in welche von diesen Kategorien er sich einsortieren sollte.
„Irgendwie bin ich von allem etwas … nur mit dem Bogen oder der Armbrust klappt es nicht so richtig.“
Marius machte große Augen.
„Von allem etwas, sozusagen ein Rundumheld. Da hast du dir aber etwas vorgenommen. Es ist doch total schwer in allem gut zu sein.“
„Ich tu mein Bestes.“
Marius zwang sich dieses für ihn angenehme Gespräch in eine andere Richtung zu führen.
„Naja, aber eigentlich bist du ja nicht deswegen hierhergekommen, oder?“
„Cem hat mir gesagt, ich soll dir diesen Umschlag geben und es wäre toll, wenn du für Diego eine Internetseite einrichten könntest. Er hat einen Schlüsseldienstladen und sucht nach Kundschaft.“
„Ah, dein Bogenschützenkumpel“, sagte Marius gut gelaunt.
Der Held nickte. Der junge Kerl ihm gegenüber zuckte mit den Achseln.
„Sollte kein großes Problem sein, aber es macht trotzdem viel Arbeit. Weißt du … ich kann dich gut leiden, deswegen … ich erwarte nicht wirklich eine richtige Bezahlung, aber irgendwas im Austausch dafür wäre echt nett.“
Der Held sah sich noch weiter in Marius Zimmer um. Er bemerkte ein merkwürdiges Schwert an der Wand. Hinter dem Schwert war ein weißer Wolf auf blauem Grund abgebildet. Als er es näher betrachtete sah er, dass es völlig stumpf war. Damit könnte man nicht mal ein Molerat erstechen, bestenfalls zu Tode prügeln.
„Sieht aus, als könntest du ein gutes Schwert gebrauchen. Das hier ist ja nicht mal scharf.“
Marius grinste.
„Die Gesundheitsvorschriften …“
Der Held glaubte, er höre nicht richtig.
„Ich besorg dir ein scharfes Schwert. Wenn du diese Internetseite fertig hast, bekommst du ein ordentliches Schwert von mir.“
Marius Augen wurden groß. Er fragte sich was das für ein Schwert sein sollte. Aus welchem Film, oder Spiel, oder tatsächlich wirklich ein echtes? Er sah jetzt hochmotiviert aus.
„Ich mach mich sofort an die Arbeit. Ich ruf dich dann an.“
„Ähm… ich hab keins von diesen Telefondingern“, erklärte der Held.
Marius sah ihn ungläubig an.
„Und hat Diego eins?“
„Nein, nicht das ich wüsste.“
Marius schüttelte verwundert mit dem Kopf und kramte dann in einer Schublade herum. Er zog zwei uralte Nokia Handys und Aufladekabel hervor.
„Hier, nimm die. Die hab ich schon ewig nicht mehr benutzt. Du musst aber neue Aufladekarten holen“
„Was meinst du?“ fragte der Held verwirrt.
Marius, wusste nicht so ganz wie er diesen Mangel an Wissen deuten sollte. Er entschied keinen Streit anzufangen, denn den würde er in jedem Fall verlieren und erklärte: „Du gehst bei einem Aldi-Supermarkt an die Kasse und fragst nach zwei Telefonaufladekarten.“
„Warte, das schreib ich mir auf“, sagte der Held und zückte sein Tagebuch, um den neuen Auftrag zu notieren.
„Gut, ich schreib dir und Diego dann eine Nachricht, wenn die Seite online ist.“
Marius und der Held reichten sich die Hände und besiegelten so ihr Abkommen. Der Held drehte sich daraufhin um und verließ das Haus.
Eispfötchen
27.01.2018, 18:52
Währenddessen hatte Milten im Krankenhaus alle Hände voll zu tun. Er war gerade eben in die Notaufnahme gerufen wurden. Eine Familie hatte einen Autounfall und wurde gerade von einem Krankenwagen eingeliefert. Aus Sicht des Feuermagiers herrschte ein unüberschaubares Chaos. Krankenhauspersonal von dem er nicht genau sagen konnte, wer welche Funktion hatte, wuselte durcheinander und rief sich Dinge zu, die er nicht verstand. Die Eltern und das kleine Mädchen waren auf Tragen geschnallt und offenbar sollten sie eilig weggeschafft werden. Jedenfalls sah das wohl ein Notarzt so, der Astrid wütend anherrschte, weil im Moment offenbar kein OP-Saal verfügbar war. Er zeigte wild gestikulierend und mit lautem Ton, auf das kleine, vielleicht vierjährige Mädchen, das eine Sauerstoffmaske trug und ganz blass im Gesicht war. Ein Blutfleck begann den Verband, der ihren Bauch umgab, zu durchnässen. Astrid winkte den Feuermagier eilig herbei.
„Schnell, kannst du etwas unternehmen? Sie stirbt uns weg.“
„Bin ich hier in einem Irrenhaus?“ fragte der Notarzt verärgert.
Milten beachtete ihn gar nicht weiter und ging zu dem bewusstlosen Mädchen, was ihm nur dadurch möglich war, weil Astrid die umstehenden anwies ihm Platz zu machen. Die Reaktionen des Personals waren unterschiedlich. Von völliger Verärgerung, weil er sie bei der Arbeit ihrer Meinung nach störte, über Verwunderung und Interesse bei denjenigen, die schon von seinen Wunderheilungen gehört hatten. Milten wählte eine mittlere Heilrune und legte los. Die Wirkung setzte unmittelbar ein. Das Mädchen öffnete die Augen und kurze Zeit später versuchte es sich verwirrt umzusehen, was schwierig war, weil sie festgegurtet war.
„Mama? Papa?“ kam es gedämpft unter der Sauerstoffmaske hervor, die sie immer noch trug.
Sie war verwirrt und versuchte ihre Eltern zu finden.
„Es ist alles gut, Kleine. Deine Eltern sind hier und in guten Händen“, sagte Astrid und strich dem Mädchen beruhigend über den Arm.
Sie wies ihre Kolleginnen an, sie auf ein Zimmer zu bringen. Der Notarzt stand mit offenem Mund da und fragte sich was zum Teufel da gerade passiert war.
„Und was ist mit denen? Haben sie innere Verletzungen?“ fragte Milten und deutete auf die Eltern.
Astrid sah zum Notarzt, der aber offenbar so verwundert war, dass er nicht in der Lage war zu sprechen. Ein anderer Mann, der offenbar zum Notarztteam gehörte, sagte: „Die Frau hat innere Blutungen, der Mann eine schwere Gehirnerschütterung und beide haben ein Schleudertrauma.“
Für den Feuermagier hörten sich beide Fälle wieder nach einer mittleren Heilrune an. Das war meistens der Fall. Wenn nicht gerade einer mit aufgeschlitztem Körper oder abgetrennten Gliedmaßen daherkam war ein schwerer Heilzauber nicht unbedingt nötig. Er hatte es einmal gehabt, dass sein Patient nicht vollständig geheilt war, aber immerhin abzusehen war, dass er in zwei oder drei Tagen wieder von selbst vollständig wiederhergestellt wäre. Milten trat jetzt an die beiden Eltern heran und heilte auch sie. Genau wie ihre Tochter wachten sie auf und sahen sich verwirrt um. Es gab ein Piepsen und Milten sah auf das kleine Gerät, das an seinem Gürtel befestigt war. In der Inneren Medizin gab es einen Notfall. Er rannte los und hoffte nicht zu spät zu kommen. Den verdutzten Notarzt, Astrid und all die anderen ließ er einfach stehen. Als er endlich ankam, sah es nicht gut aus für seinen Patienten, der sichtlich an Atemnot litt. Es sah aus, als hätte er sich die halbe Lunge ausgehustet, vor ihm auf dem Laken und auf dem Boden war Blut und Schleim.
„Lungenembolie“ sagte ihm eine Schwester, die bereits im Zimmer war.
Sie wusste wer er war. Astrid hatte alle Schwestern im Haus über den Magier unterrichtet.
Milten ärgerte sich, dass er noch keine Zeit hatte in medizinische Bücher zu schauen, weswegen er keine Ahnung hatte was eine Lungenembolie war. Egal, es sah schlimm aus, das war hier vermutlich wirklich ein Fall für einen schweren Heilzauber. Eilig setzte er Magie ein und war erst beruhigt, als der Mann vor ihm wieder gleichmäßig atmete und es keine Anzeichen für Probleme gab. Sein Patient sah ihn ganz erstaunt an. Die Schwester sah auch überrascht aus, obwohl sie schon davon gehört hatte. Sie verließ eilig den Raum, vielleicht um jemanden von ihren Kolleginnen von dieser Wunderheilung zu erzählen.
„Wie haben Sie das gemacht?“ fragte der Patient und wischte sich mit einem Ärmel Blut vom Mund.
Milten lächelte leicht.
„Ein Heilzauber. Ich bin ein Feuermagier.“
Der Mann sah nur noch verwirrter aus.
„Aber … wie geht das?“
Der Patient war überrascht wie leicht ihm das Atmen jetzt fiel, wo er eben noch um jeden Atemzug schmerzhaft gerungen hatte.
Milten war sich unschlüssig. Es wäre nicht einfach diesem Typen kurz und bündig zu erklären was es mit der Magie auf sich hatte. Er entschied sich die Heilrune hochzuhalten, so dass er sie sehen konnte.
„Das ist eine Rune. Es gibt verschiedene und jede davon enthält einen andere Art von Magie.“
„Aber woher kommt diese Magie?“ wollte der Patient wissen, um einordnen zu können, was da gerade mit ihm passiert war.
„Im Grunde kommt die Magie von den Göttern. Ich bin ein Feuermagier. Ich bete zu Innos, dem Gott der Ordnung, der Gerechtigkeit und des Feuers.“
„Und …“ Der Mann war sich nicht ganz sicher, ob er den Verstand verloren hatte, weil er so etwas sagte: „Kann jeder der zu diesem Gott betet zaubern?“
Milten legte den Kopf schräg.
„Nein, nicht jeder. Es braucht eine gewisse Veranlagung dafür, nennen wir es Talent.“
„Hm…“
Sein geheilter nicht mehr Patient nickte nachdenklich mit dem Kopf und sagte erstmal gar nichts mehr. Milten musterte ihn aufmerksam. War es richtig, diesen Leuten von der Magie und Innos zu erzählen? Immerhin konnten sie damit nicht viel anfangen, aber war doch gerade das eine seiner Aufgaben als Feuermagier, oder nicht? Anderen Menschen von Innos zu erzählen und ihnen in seinem Namen zu helfen.
„Ich weiß immer noch nicht genau wie Sie das gemacht haben.“
Der Mann holte tief Luft, immer noch verwundert, weil es so einfach ging.
„Aber ich glaube ich wäre gestorben, ohne diese Hilfe. Kann ich mich irgendwie erkenntlich zeigen?“
Milten sah ihn unsicher an. In Myrtana war es üblich dem Magier eine Spende dazulassen, wenn man um Heilung fragte, aber soweit er das verstanden hatte, war die Arbeit hier Teil der Wiedergutmachung für Gorns Missetat an der Miliz und er bekam eine wöchentliche Zahlung vom Krankenhaus.
„Nein, dafür bin ich ja da“, sagte Milten ruhig.
Der Mann vor ihm sah ihn unruhig an. Es war offensichtlich, dass er sich unglücklich fühlte ihm nichts zurückgeben zu können.
„Ich … bin eigentlich nicht besonders religiös. Meine Eltern haben mich zwar katholisch erzogen, aber als ich erwachsen wurde, hab ich mich nicht weiter damit befasst. Doch … ich würde gerne zu deinem Gott …“
„Innos“ half ihm Milten.
„Ich würde gerne zu Innos Beten, um meinen Dank auszusprechen. Können Sie mir zeigen was ich machen soll?“
Milten wirkte immer noch unschlüssig. Wenn er das tat, mischte er sich in die Religiosität dieser Leute hier ein. Doch konnte es etwas schaden? Und immerhin … es gehörte ja zu seinen Aufgaben, also entschied sich der junge Feuermagier dem Mann vor ihm zu erklären, was er sagen konnte, um zu Innos zu beten.
„Hört sich eigentlich nicht viel anders an, als das was meine Eltern mir beigebracht haben. Klar, es sind andere Worte und so, aber im Grunde ist es so ähnlich.“
Das ließ Milten nachdenklich werden. Über die Religion der Leute hier hatte er bisher nicht nachgedacht. Er hatte zwar mitbekommen, dass die Menschen hier mit ihren drei Göttern offenbar nichts anfangen konnten, aber er wusste nicht woran sie glaubten und wie ihre Götter hießen. Auf dem Gang begegnete er Astrid.
„Da bist du ja“, begrüßte sie ihn. „Das hast du gut hinbekommen. Der Gesichtsausdruck des Notarztes war unbezahlbar.“
Sie lachte.
„Der hat mich schon länger auf dem Kieker und wollte mir jetzt so richtig den Kopf waschen, obwohl ich gar nichts dafür konnte, dass der OP voll ausgebucht ist. Gewisse Dinge lassen sich eben nicht vorausplanen.“
Milten versuchte abzuschätzen, ob er mit seinem Verhalten interne Probleme verursacht oder verstärkt hatte, von denen er nichts wusste.
„Ich hoffe doch, ich habe keinen Zwietracht gesät.“
Astrid sah ihn amüsiert an.
„Was? Nein! Es ist alles gut.“
Sie berührte wie beiläufig seinen Arm, wohl um ihm zu zeigen, dass alles in Ordnung war.
„Es ist schon später Mittag, was hältst du von einer Pause? Hast du schon etwas gegessen? Wir können zusammen in die Kantine gehen.“
Tatsächlich merkte der Feuermagier, jetzt wo sie vom Essen sprach, wie hungrig er war.
„Eine gute Idee. Ich hoffe, in den nächsten Minuten braucht niemand dringend meine Hilfe.“
„So geht es uns allen Milten, aber irgendwann muss man auch mal eine Pause machen.“
Sie führte ihn in die Kantine, ein heller Raum, mit vielen kleinen Tischchen, um die rundherum Stühle angeordnet waren. Astrid zeigte ihm die Essensausgabe, wo sie sich etwas aussuchten. Milten hatte sich für Kotelett und Bratkartoffeln mit Erbsen entschieden, während Astrid auf ihrem Tablett einen panierten Fisch mit Reis und Erbsen und dazu einen Pudding stehen hatte. Die Krankenschwester bezahlte ihren Teil und Milten suchte in einer Hosentasche nach dem ungewohnten Papiergeld. Ihm wurden einhundertfünfzig von diesen Euros pro Woche zugesichert. Sie hatten ihn nach einem Bankkonto gefragt und waren sehr erstaunt, als er ihnen keins nennen konnte. Er konnte gar nicht wissen was das für die Verwaltung für Probleme bedeutete. Für ihn war es selbstverständlich, dass ihm das Geld in Bar ausgehändigt wurde. Er tat sich noch etwas schwer damit zu bezahlen, aber immerhin war unmissverständlich was einer dieser Scheine wert war. Dann sah er sich nach Astrid um, die schon einen kleinen Tisch gesichert hatte und setzte sich zu ihr.
„Und wie kommst du zurecht mit der Arbeit? Es ist bestimmt noch alles sehr neu für dich und … vielleicht etwas ungewohnt?“
Astrid wirkte etwas nervös und er sah ihr an, dass das für sie ungewöhnlich war. Sie machte auf ihn jedenfalls bisher den Eindruck, dass sie mit vielen verschiedenen Situationen bestens zurechtkam, aber vielleicht war ein Magier aus einer anderen Welt, der jetzt in ihrem Krankenhaus arbeitete doch zu viel. Er schluckte seinen Bissen hinunter und sagte dann bedächtig: „Ja, es ist noch sehr ungewohnt. Es sind viele verschiedene Dinge. So große Gebäude wie das Krankenhaus bin ich gar nicht gewohnt. Manchmal verlaufe ich mich noch und gerade wenn ich es eilig habe, ist das sehr ärgerlich, aber ich merke, dass es besser wird. Wichtiger ist aber, dass ich mehr über Medizin lerne. Wenn mir zugerufen wird was die Patienten haben, weiß ich oft nichts damit anzufangen.“
„Wirklich nicht?“ fragte Astrid verwundert, offenbar hatte sie ihm eine gewisse Vorbildung unterstellt.
„Nein.“
Milten konnte nicht umhin sich dafür zu schämen, obwohl es dafür ja eigentlich keinen Grund gab. Woher sollte er auch davon wissen?
„Weißt du, wo ich darüber lesen kann?“
„Oben im Bereitschaftsraum stehen einige Bücher, die dir weiterhelfen werden. Dort kannst du dich auch ausruhen, wenn gerade niemand nach dir schreit.“
Sie lächelte verschmitzt. Eine Zeit lang sagten sie gar nichts und aßen nur. Milten grübelte immer noch über den Mann von vorhin nach. Es ließ ihm keine Ruhe. Die Krankenschwester merkte, dass ihn etwas beschäftigte.
„Stimmt was nicht?“
Milten sah sie an und fragte sich, ob er sie mit seinen Problemen belasten sollte, aber sie wirkte offen für ein Gespräch.
„Vorhin, da hab ich einen Mann geheilt, der eine …“ Er versuchte sich an das Wort zu erinnern „Lungenembolie hatte. Er wirkte überglücklich, sagte, ich hätte sein Leben gerettet und so …“
Helles Lachen unterbrach ihn. Sie sah ihn entschuldigend an und versuchte aufzuhören.
„Tut mir Leid“, sagte sie schließlich und kicherte noch etwas. „Aber bei dir hört sich das so nebenbei an… ach naja, da hab ich dem mal eben das Leben gerettet. Weißt du denn nicht, was du hier für einen unschätzbaren Dienst für uns tust?“
Milten dachte kurz darüber nach und sagte dann: „Naja, ich denke schon, aber es ist doch immerhin meine Aufgabe.“
Er wunderte sich über sich selbst. War er zu bescheiden? In der Tat kamen ihm viele seiner Kollegen etwas selbstgefällig vor, wie sie sich immer für so etwas Besonderes hielten. Manche hatte er in der Tat schon dabei beobachtet, wie sie es genossen, andere spüren zu lassen, dass sie als Innos Diener eine besondere Behandlung genossen. Doch er mochte dieses Verhalten nicht und dachte gar nicht daran es ihnen gleich zu tun.
„Entschuldige, ich hab dich unterbrochen“, sagte jetzt Astrid und riss ihn aus seinen Gedanken.
Der Feuermagier versuchte den Faden wieder aufzunehmen.
„Also, da war dieser Mann und er wollte unbedingt wissen wie ich das gemacht habe.“
Astrid konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Kann ich mir vorstellen.“
„Also erzählte ich ihm von den Göttern und er wollte dann auch zu Innos Beten, um sich für seine Heilung zu bedanken. Naja, daran ist ja nichts Falsches, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich mich damit hier bei euch einmische. Ich weiß gar nichts über eure Religionen oder wie ihr so damit umgeht.“
„Hm…“
Astrid sah verwirrt aus und versuchte ihre Gedanken zu ordnen.
„Du sagst also, es ist diesem Gott zu verdanken, dass der Patient geheilt wurde? Was genau meinst du damit?“
Milten sah sich genötigt es ihr, wie schon vorhin dem Mann, zu erklären: „Die Magie kommt ursprünglich von den drei Göttern. Mein Gott heißt Innos und ich als Feuermagier bete zu ihm.“
„Das heißt, du bist so eine Art Mönch?“
Astrid wirkte ehrlich erstaunt.
„Wenn man das so sagen kann … überrascht dich das?“ fragte Milten, verwundert, weil sie sich wunderte.
„Ich … ähh… ja, damit hätte ich jetzt nicht gerechnet.“
Sie versuchte eilig nochmal zusammenzufassen: „Hab ich das jetzt richtig verstanden? Da wo du herkommst glaubt ihr an drei verschiedene Götter, die speziell an ihre Gläubigen Magie übertragen?“
„Ich verstehe was du sagen willst“, sagte Milten, dem klar wurde, dass ihr das was er sagte, merkwürdig vorkommen musste. „Es ist unterschiedlich, die meisten Menschen beten, wenn sie es denn tun, zu einem oder zweien der Götter. Das sie zu allen dreien beten kommt eher selten vor.“
„Aber sie glauben, dass diese Götter wirklich existieren?“
Milten sah sie irritiert an.
„Wie meinst du das?“
Astrids Wangen färbten sich rosa. Sie wusste nicht, ob sie ihn damit vielleicht beleidigte.
„Also … hier ist es so, dass es sehr viele unterschiedliche Religionen gibt und … viele … einige glauben nicht, dass es die Göttern der anderen gibt, oder überhaupt Götter.“
Milten hob eine Augenbraue.
„Du meinst, manche glauben, dass es gar keine Götter gibt?“
Astrid nickte.
„Eine Welt ohne Götter … kann ich mir gar nicht vorstellen“, kam es fassungslos von Milten.
Darauf wäre er nie von selbst gekommen. Der Glaube an die drei Götter war in seiner Welt so tief verankert, dass sich so ein Gedanke für ihn nie gestellt hatte.
„Ist das … in deiner Welt nicht so?“ fragte Astrid vorsichtig.
„Nein, jedenfalls hab ich noch nie davon gehört … aber ich kann es mir auch gar nicht vorstellen. Spätestens wenn sich der nächste Untote aus dem Grab erhebt und ungebeten herumläuft, sind, denke ich, alle Zweifel beseitigt.“
Seine Gesprächspartnerin machte große Augen.
„Sowas gibt’s?“
„Das und noch viel mehr. Ehrlich gesagt bin ich ganz erstaunt darüber, dass es hier überhaupt keine Magie gibt.“
Sie sah ihn unschlüssig an.
„Aber eigentlich wollte ich ja etwas über eure Religion wissen. Der Mann vorhin meinte, er wäre katholisch erzogen wurden. Was heißt das?“
Sie leckte sich nachdenklich die Lippen und fragte sich wohl, wie sie ihm das am besten erklären konnte.
„Hier in diesem Land gibt es verschiedene Religionen, das Christentum ist eine davon und davon gibt es wieder verschiedene … Konfessionen, also zum Beispiel Katholiken und Protestanten. Sie glauben an den gleichen Gott, aber haben unterschiedliche Auffassungen.“
„Hm… das kenne ich“, sagte Milten. „Die Wasser- und Feuermagier haben auch unterschiedliche Ansichten, aber im Allgemeinen kommen wir miteinander zurecht.“
„Wassermagier? Gibt es auch Erd-, und Luftmagier?“ fragte Astrid interessiert.
„Was? Nein“, sagte Milten überrascht.
Sie zuckte zusammen und es tat ihm Leid, dass es so abweisend geklungen hatte, auch wenn es unbeabsichtigt war.
„Es gibt noch Dämonenbeschwörer.“
„Und die sorgen dann dafür, dass da auf einmal Skelette herumspazieren?“ fragte Astrid verunsichert.
„Zum Beispiel. Um wieder darauf zurückzukommen: Das heißt diese beiden Konfessionen beten den gleichen Gott an, aber haben unterschiedliche Ansichten? Und vermutlich verhalten sich die Mitglieder ein wenig anders?“
Milten überlegte, ob es in Myrtana ein Äquivalent gab. Vielleicht konnte man die Bruderschaft des Schläfers als eine Abspaltung vom Glauben an Beliar sehen, auch wenn die Mitglieder damals nicht wussten, dass es so war.
„Ja, genau. Es gibt aber auch Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel gibt es bei beiden die Vorstellung von Himmel und Hölle.“
Milten sah sie verwundert an, was sie dazu veranlasste weiterzureden.
„Wer stirbt kommt entweder in den Himmel, oder in die Hölle. Wer hauptsächlich gute Taten in seinem Leben vollbracht hat, kommt in den Himmel, überwiegen die bösen Taten kommt er in die Hölle.“
„Und was genau ist das für ein Gott?“
„Was meinst du?“ fragte die Krankenschwester und ihr war anzusehen, dass Religion nicht gerade ihr Lieblingsthema war.
„Nun … wie heißt er, wofür steht er? Was macht er?“
„Weißt du … vielleicht solltest du dich darüber mit jemandem unterhalten, der sich damit besser auskennt. Mein Vater ist evangelischer Pfarrer. Ich bin sicher, dass er dir viele deiner Fragen beantworten kann. Vielleicht kann ich dich mal zu ihm einladen.“
Milten legte den Kopf schräg und dachte darüber nach. Es wäre gut mehr über die Religionen hier in Erfahrung zu bringen.
„Abgemacht.“
Er spießte das letzte Stück Fleisch auf und aß es auf.
„Wie bist du eigentlich hierhergekommen?“ wollte Astrid wissen.
„Das war eigentlich gar nicht geplant. Es war ein Unfall.“
Milten errötete. Es war ihm immer noch unangenehm, dass er sie in diese Lage gebracht hatte.
„Ich wollte meine Freunde und mich aus einem eingestürzten unterirdischen Tempel teleportieren und dann sind wir hier gelandet und jetzt wissen wir nicht, wie wir wieder zurückkommen sollen.“
„Weißt du … wenn ich nicht gesehen hätte, dass du zaubern kannst, würde ich dir das vermutlich nicht glauben.“
„Du verstehst nicht zufällig etwas von teleportation, oder kennst jemanden, der darüber Bescheid weiß?“
„Nein, kann ich nicht von mir behaupten.“
„Und … weißt du vielleicht, ob es hier irgendwo ein Portal gibt?“
„Ein was?“
„Ein Portal. Im Tempel war da ein Portal, wir vermuten, dass, das etwas mit allem zu tun hat.“
„Nein, sowas hab ich hier nicht gesehen und ich glaube auch nicht, dass es jemanden gibt, der dir da weiterhelfen kann. Hier gibt es keine Magie oder Teleportation.“
„Du meinst, wir sind hier für immer gestrandet?“ fragte Milten und auch wenn er es nicht wollte, spiegelte der Ton seiner Stimme, all die Hoffnungslosigkeit wieder, die sich in diesem Moment in ihm ausbreitete.
Astrid sah ihn mitleidig an.
„Ich weiß es nicht. Vielleicht … vielleicht findet ihr noch eine Möglichkeit.“
Sie saßen einen Moment stumm da, jeder in seine eigenen Gedanken versunken, dann sagte die Krankenschwester plötzlich: „Ich muss los, meine Pause ist gleich vorbei.“
Auch Milten entschied, sich wieder an die Arbeit zu machen. Es gab sicher noch genug Menschen, die seine Hilfe benötigten.
Eispfötchen
27.01.2018, 19:32
Am Abend waren sie alle wieder zusammen im Versteck. Ein lautes Knurren ließ alle zu Gorn sehen.
„He, ich kann nichts dafür, ich hab einen Hunger wie ein Wolf und nachher muss ich wieder zu diesem blöden Job. Ist schon eine umstellung Tagsüber zu schlafen und nachts da rumzustehen. Naja…“
Er warf einen Blick aus dem Fenster wo ein weiterer trüber Tag gerade zu Ende ging.
„… nicht, dass es hier einen wirklichen Unterschied machen würde. Manchmal hab ich das Gefühl die Leute hier wären nicht richtig lebendig. Liegt bestimmt auch an diesem Wetter.“
„Ich weiß was du meinst. Heute konnte ich bestimmt ein Dutzend Leute über den Tisch ziehen, ohne dass die was gemerkt hätten“, gab Diego kund.
„Das muss noch nichts heißen“, sagte der Held und zwinkerte Diego zu.
Wieder ein lautes Knurren von Gorns Bauch.
„Also was machen wir jetzt? Es ist nichts mehr zu essen da und ich hab noch nicht herausgefunden wo es hier einen Markt gibt. Ehrlich gesagt blicke ich in dieser Stadt nicht durch.“
Elyas, der sich in einen uralten, zerfransten Sessel gelümmelt hatte, blickte zu ihm hoch und verdrehte die Augen.
„Bist du vom Dorf, oder was?“
Gorn sah ihn finster an, was dem jungen Kerl klar machte, dass er den Schnabel nicht zu weit aufreißen sollte.
„Ich glaub im Vergleich zu hier ist bei uns alles ein Dorf“, scherzte der Held, war damit aber gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt.
„Es gibt hier in der Nähe ein „All you can eat“, wenn ihr da nicht satt werdet, dann weiß ich auch nicht“, erklärte Elyas.
„Und was ist das? Ein „All you can eat“?“ fragte Lester nach.
„Mensch Leute, lernt mal englisch, ohne kommt man heute nicht mehr weit. Also man geht hin, bezahlt und kann sich dann den Bauch vollschlagen.“
„Hört sich gut an, worauf warten wir noch?“ fragte Gorn.
Er war kaum noch zu bremsen. Die anderen sahen nicht, warum sie nicht gehen sollten. Sie hatten auch Hunger. Elyas wollte aber hier bleiben und „chillen“ wie er sagte. Der Held ließ sich das Etablissement von ihm auf der Karte einzeichnen und führte seine Truppe dann an. Es war nicht sehr weit, jedenfalls empfand es der Held so. Gorn meinte, jetzt wäre es aber wirklich allerhöchste Zeit, er fühle sich schon fast so hungrig, wie damals als er bei den Paladinen im Kerker saß.
„Na, dann sind wir ja hier genau richtig“, sagte der Held.
Es lief tatsächlich so wie Elyas gesagt hatte. Sie bezahlten und konnten sich dann etwas zu essen aussuchen und sich so viel auf die Teller häufen, wie sie wollten. Obwohl es hier eigentlich nichts ungewöhnliches sein sollte, sorgte Gorns zwei Kilo Portion doch für Aufsehen.
„He, wie wäre es mit einer Revanche?“ fragte ihn der Held. „Beim Trinken hast du mich geschlagen.“
„Und beim Mistviecherkloppen im Sumpf auch“, fügte Gorn grinsend hinzu.
Der Held grinste zurück, sagte aber nichts dazu.
„Also was ist?“
„Klar, lad dir ordentlich was drauf. Wer seinen Teller nicht schafft, hat verloren“, sagte Gorn und lud sich zwei ordentliche Stücken Fleisch auf den Teller.
Ihre Freunde sahen sich skeptisch diese riesigen Essensberge an, als sie alle zusammen am Tisch saßen. Lesters Portion wog immerhin nur einen Kilo und Diego und Miltens Teller sahen sogar fast noch normal aus. Während sie aßen erzählten sie sich, was heute so alles passiert war.
„Die neue Lagerhalle ist doch nicht so schlecht wie ich dachte. Elyas hat noch einige Leute rangeholt, die ich in den nächsten Tagen anlernen werde. Wenn das läuft, könnten wir weit mehr Sumpfkraut verkaufen, als damals in der Bruderschaft.“
„Wirklich? Beindruckend“, kam es zwischen zwei Bissen vom Helden.
Dann musste er sich wieder ranhalten. Gorn hatte schon viel mehr verschlungen als er.
„Ich bin jetzt ein Koch“, erzählte Lester weiter.
Die anderen sahen ihn verwundert an. Selbst Gorn hörte kurz auf zu essen.
„Du? Ein Koch? Also ich kenn ja noch deine Wurzelsuppe … ich weiß ja nicht“, kam es von Diego.
„Jedenfalls nennen mich Elyas Leute so. Ich sag mir … von mir aus.“
„Ist vermutlich ein Deckname, damit andere Leute auf der Straße nicht wissen, wer damit gemeint ist“, vermutete Diego und rieb sich über den Bart.
Lester zuckte mit den Schultern.
„Jedenfalls hab ich auch keine Lust immer nur mit der Sumpfkrautherstellung beschäftigt zu sein...“
Milten sah ihn überrascht an.
„Lester, bist du es wirklich?“
„Ich will es auch verkaufen!“
„Ah… alles klar.“
„Die Stadt besser kennen lernen… und das geht während des Verkaufs ganz gut, oder?“
Der Held nickte, sagte aber lieber nichts, weil er viel zu beschäftigt mit dem Verzehr einer Frühlingsrolle war.
„Dann finde ich bestimmt auch einen Markt, wo ich für uns was zu essen herkriege“, sagte Lester mit halbvollem Mund.
Ein Klingeln ertönte. Das Geräusch kam vom Helden, den jetzt alle verwundert ansahen. Könnte er sich selbst verwundert ansehen, er würde es tun.
„Was ist das für ein Geräusch?“ fragte Diego.
Der Held erinnerte sich an die Dinger, die ihm Marius gegeben hatte und kramte eilig in seiner Hosentasche. Unter all dem Krempel war es schwer das Gerät zu finden. Er wusste nicht wie lange er Zeit hatte, bis dieses Gebimmel verstummte und versuchte sich zu beeilen. Endlich hatte er es gefunden, doch dann stand schon die nächste Herausforderung an. Was sollte er jetzt tun? Er besah sich das Ding. Es gab viele Knöpfe auf denen Zahlen und Buchstaben abgebildet waren, außerdem ein grüner und ein roter Knopf mit einem Symbol. Der grüne war ihm symphytischer, weswegen er den drückte.
„Hallo?“ kam es fragend von dem Gerät.
Der Held spitzte die Ohren und fragte verwundert zurück: „Hallo?“
„Ist da der Bekannte von Elyas?“
„Ja, ich war vorhin bei dir“, erklärte der Held sehr laut und deutlich und hielt das Mobiltelefon näher an seinen Mund, weil er nicht wusste, wie gut Marius ihn auf der anderen Seite verstand.
Er erklärte es sich so, dass die Sprache teleportiert wurde.
„Ich hab die Internetseite fertig und hab die Nummer von dem roten Telefon angegeben. Ich hab die Seite auch schön im Netz angepriesen, so dass man sie gut finden kann. Sieht toll aus. Ich bin richtig stolz auf mich. Kommst du dann morgen vorbei?“
„Ja, sicher. Bis morgen dann.“
„Bis morgen.“
Es ertönte ein Klicken. Der Held sah das Ding noch einen Moment an und weil sich nichts weiter tat, vermutete er, dass das Gespräch vorbei und das Sprachteleportationsportal einseitig geschlossen war. Für ihn war es nur logisch, dass wenn grün bedeutete ein Gespräch anzunehmen, rot bedeutete, es zu beenden. Deswegen drückte der den roten Knopf und schloss somit auch sein Gesprächsportal.
„Woher wusstest du, wie das geht?“ fragte Lester.
„Ich hab mal gesehen wie Elyas in eins von den Dingern gesprochen hat. Außerdem ist es nicht schwer. Man drückt nur hier den grünen Knopf, wenn es klingelt und rot, wenn das Gespräch vorbei ist“, sagte der Held und zeigte seinen Freunden was er gemacht hatte.
Die wirkten schwer beeindruckt, weil er sich so schnell zurechtfand.
„Da fällt mir ein …“ sagte der Held und durchkramte seine magische Hosentasche. „Marius hat mir eins von diesen Dingern für dich mitgegeben, Diego. Er hat gesagt, er hat eine Internetseite gemacht, was auch immer das ist. So wie ich das verstanden habe bedeutet das, das andere Leute über diese kleinen Dinger mit dir sprechen können, um zu sagen, dass sie deine Dienste brauchen.“
Er zog das kleine rote Nokia hervor und reichte es Diego. Der sah nicht glücklich darüber aus, zukünftig mit so einem Ding in der Tasche herumzulaufen.
„Ich hab doch keine Ahnung was ich damit anfangen soll“, sträubte er sich.
„Das hab ich dir doch gerade gezeigt. Wenn es klingelt, drückst du den grünen Knopf und sprichst mit den Leuten und rot, wenn das Gespräch vorbei ist“, wiederholte der Held. „Willst du jetzt, dass dein Geschäft läuft, oder nicht?“
Diego seufzte und griff sich das Handy.
„Na, schön“, sagte er schlecht gelaunt.
Der Held sah zu Gorn, der seinen Teller fast leer geputzt hatte und beeilte sich weiter zu essen.
Eine Zeit lang sagten sie nichts, dann hob Milten an: „Heute hat mir eine der Krankenschwestern im Krankenhaus was über eine Religion hier erzählt. Hier glauben sie, dass gute Leute in den Himmel und böse in die Hölle kommen.“
„Merkwürdige Vorstellung“, kommentierte der Held.
„Wieso? Was meinst du?“ fragte Milten, weil sein Freund so schnell eine Meinung dazu hatte.
„Warum gerade in den Himmel? Wer will verhindern, dass da dann plötzlich Bestien auftauchen, immerhin können Drachen fliegen.“
Milten sah nachdenklich aus.
„Vielleicht verhindert das dieser Gott, den diese Christen anbeten.“
„Hm… und wie heißt der?“ fragte der Held nach.
„Das hab ich noch nicht herausgefunden.“
„Was gilt denn als böse? Würde ich in die Hölle kommen?“ fragte der Held weiter nach.
Milten sah ihn nachdenklich an. Tja, würde er? Er war sich sehr unsicher. Klar, er hatte all diese Heldentaten vollbracht, aber immerhin hatte er auch den heiligen Hammer aus dem Kloster gestohlen und wer weiß, was er noch auf dem Kerbholz hatte.
„Ich weiß es nicht. Ich frag mal diesen Pfarrer, von dem die Krankenschwester erzählt hat.“
Er dachte einen Moment nach, dann sagte er nachdenklich: „Auf mich macht es den Eindruck, dass diese Hölle das Äquivalent zu Beliars Reich ist.“
„Das was?“ fragte Gorn mit vollem Mund.
Er verschlang gerade den letzten Rest.
„Das es vergleichbar ist.“
„Dann sollten wir diese Hölle finden!“ sagte der Held voller Tatendrang. „Dort ist dann vermutlich das Portal zurück in unsere Welt, immerhin hat uns das Beliarportal hergebracht."
„Hm… vielleicht gibt es diese Hölle nicht im … festen Zustand“, überlegte Milten.
„Was meinst du?“ fragte der Held.
Für ihn war völlig klar, dass alles wovon man sich so erzählte auch wirklich da war, sonst ergab das doch keinen Sinn. Warum sollte man über Dinge reden, die es gar nicht wirklich gab?
„Soweit ich das verstanden habe, muss man erst sterben, um entweder in den Himmel, oder in die Hölle zu kommen.“
Der Held sah tatsächlich so aus, als überlegte er wie er das bewerkstelligen könnte und trotzdem letztendlich lebendig damit davonkam.
„He, gibst du auf?“ fragte ihn Gorn von der Seite, der jetzt vor einem leeren Teller saß.
„Nein. Ich bin auch gleich fertig und dann steht es unentschieden, “ sagte der Held unnachgiebig.
„Ha! Das denkst du. Ich hol mir jetzt noch mal Nachschlag“, sagte Gorn, nahm seinen Teller und stand auf.
Seine Freunde sahen ihm ungläubig hinterher. Der Held, der nicht zurückstehen wollte, beeilte sich aufzuessen und folgte ihm dann.
„Weiß einer wo sie das hinessen?“ fragte Diego, der gerade erst mit seiner, vergleichsweise, bescheidenen Portion fertig wurde.
Milten und Lester zuckten mit den Schultern.
Als Gorn und der Held zurückkamen, sahen sie, dass ihre Portionen diesmal kleiner als vorher, aber immer noch gewaltig waren. Als sie sich setzten, fragte der Held: „Was ist mit Waldi. Bleibt er auch im Haus und bewacht es?“
„Ich hab nicht gesehen, dass er Schwierigkeiten macht“, sagte Lester. „Und an Elyas hat er sich auch gewohnt. Von Tabo hab ich aber nichts mehr gesehen.“
„Der arbeitet jetzt im Club von Cem“, erzählte Gorn mit vollem Mund.
„Wegen dem sollten wir vorsichtig sein. Vielleicht hintergeht er uns. Wir müssen immer auf alles achten, sonst haben wir vielleicht bald ein Messer im Rücken“, sprach Diego aus Erfahrung.
„Willst du eigentlich etwas von deinem Zeug aus Varant zurück?“ fragte der Held, der Diegos Kram langsam loswerden wollte.
„Nein, im Moment nicht. Ich könnte es gegen dieses Papiergeld eintauschen, aber was sollte ich damit in Myrtana?“
„Du könntest mit dem Papiergeld etwas kaufen, dass du dann mit nach Myrtana nimmst“, schlug Lester vor.
Diego sah nachdenklich aus.
„Ich wüsste nicht was. All diese komischen Dinge, die diese Leute hier benutzen brauch ich nicht.“
Er sagte nichts weiter dazu und es wurde still in der Runde.
Gorn hatte seine nächste Ladung vernichtet und schielte belustigt zum Helden hinüber, der sich sichtlich schwer tat seinen Teller leer zu kriegen.
„Gibt es bei dir was Neues, Gorn?“ fragte Milten.
Gorns Blick fuhr herum.
„Bei mir? Nein, eigentlich nicht. Es ist recht langweilig vor dieser Tür zu stehen. Manche Leute sehen aus, als würden sie sich gleich in die Hosen machen, wenn sie mich sehen. Irgendwie lustig. Im Allgemeinen finde ich, dass die meisten Menschen hier total verweichlicht sind. So wie ich das verstanden habe ist das wohl, weil es kaum noch harte Arbeit gibt. Ich hab gehört, dass viele Bürger jetzt an Tischen sitzen und so kleine Geräte bedienen, Computer heißen die und das machen sie den ganzen Tag. Kein Wunder wenn sie abschlaffen, aber manche Trainieren zum Vergnügen. Da ist so ein Typ vom Paradise, Mustafa, der redet ein bisschen komisch, aber der hat mir erzählt, dass er regelmäßig in ein … er nennt es Fitnessstudio ... geht. Ich bin mal mit ihm mitgegangen. Ein merkwürdiger Ort. Dort stemmen die Leute Gewichte, oder rennen wie bekloppt auf so einem komischen Boden, der sich mitbewegt oder benutzen andere merkwürdige Geräte. Mustafa hat mir gezeigt, was man da tun kann. Im ersten Moment fand ich es komisch, aber ich muss zugeben, dass es mir gut getan hat mich endlich mal wieder richtig zu bewegen. Ich muss in Form bleiben, nicht dass mich die Orks einfach überrennen, wenn wir zurückkommen.“
Diego und Milten warfen sich einen Blick zu, der verriet, dass sie sich beklommen fragten, ob sie überhaupt noch mal zurückkämen.
„Hört sich lustig an“, sagte Lester. „Vielleicht komm ich dich mal besuchen. Wo ist das?“
Gorn beschrieb ihm den Weg. Der Held ließ sich in die Lehne zurückfallen und sank in sich zusammen, dann merkte er, dass in dieser Position der Magen noch mehr drückte und richtete sich eilig wieder auf. Gorn lachte.
„Was ist? Schaffst es wohl nicht mehr?“
Der Held funkelte seinen Freund widerspenstig an. Musste er noch drauf herumhacken? Einen Moment überlegte er, ob er sich gegen seine Niederlage noch einmal aufbäumen sollte, doch der Brechreiz hielt ihn zurück.
„Nein. Ich krieg nichts mehr runter“ presste er schließlich zwischen den Zähnen hervor.
Gorn lachte leise vor sich hin.
„Ha! Wieder gewonnen! Komm, gib mir noch deine Reste, man soll nichts verschwenden!“, setzte er noch eins obendrauf und krallte sich den halbvollen Teller des Helden.
Der Held sah ihm miesepetrig dabei zu wie er auch noch seine Portion verputzte.
„Na, satt?“ fragte Diego, als sich Gorn schließlich streckte.
„Ja, das war mal wieder gut, sich so richtig den Wanst vollzuschlagen. Jetzt kann ich auch zur Arbeit gehen.“
„Wenn ich du wäre, würde ich wohl hin rollen“, scherzte Lester. „Ich werde mich jetzt schön entspannen.“
„Schlafen, das ist eine gute Idee“, sagte Milten und gähnte.
„Schlafen? Langweilig. Ich geh lieber noch durch die Stadt und seh mich um.“
„Ich geh in meinen Laden. Vielleicht kann ich ja noch ein paar Leute abkochen und wenn nicht, dann hau ich mich hin“, erklärte Diego, der jetzt immer in seinem Geschäft schlief.
Sie trennten sich. Der Held lief die Straßen entlang, bis er den ersten Club entdeckte und zur Tür hereinspazierte. Drinnen quatsche er verschiedene Leute an und bot ihnen auch Sumpfkraut an. Manche sahen ihn verstört an, aber andere griffen sehr gerne zu und er machte guten Umsatz. Dabei entspannen sich auch allerhand Gespräche.
„He, du“, sprach er einen jungen Kerl an. „Was läuft denn so?“
„Was? Die Eisbären haben gewonnen. Das muss gefeiert werden! Juhuu!“
Der Mann grölte wie wild. Ein paar seiner Kumpels kamen und sie hopsten wild im Takt der lauten Musik herum, die durch den Raum dröhnte. Die Gruppe schien nicht weiter an einem Gespräch interessiert. Er sah sich um und stupste eine junge brünette Frau neben ihm an. „He du, willst du etwas Sumpfkraut?“
„Hä, was? Was soll das sein?“
„Rauchkraut“, erklärte der Held.
„Tabak, oder Drogen? Ist das künstlich?“
Der Held hatte diese Frage schon öfter gehört und wusste was er antworten sollte.
„Nein, das ist rein pflanzlich.“
„Oh, dann teste ich das mal. Was willst du dafür?“
„Zwei Euro“, sagte der Held ihr den neuen Preis.
„In Ordnung, sieh mal dahinten, da springen einige Bekannte von mir rum. Versuch doch da mal dein Glück.“
Sie wies durch die Menge und zeigte auf eine Gruppe ebenfalls junger Leute, die wie wild herumzappelten. Der Held steuerte auf sie zu und sprach sie mit seinem üblichen Spruch an: "He, ihr seht aus, als wenn ihr etwas Sumpfkraut haben wolltet.“
Die Gruppe sah ihn verwundert an und hörte einen Moment auf, so wild herumzuhopsen.
„He Mann, was quatscht du uns so von der Seite an?“ fragte ein junger Kerl, der so betrunken war, dass er nicht mehr richtig geradeaussehen konnte.
„Bist du verrückt? Der Typ sieht aus, als wenn er dich ohne weiteres zusammenschlagen könnte, wenn er wollte“, zischte ihm einer seiner Freunde ins Ohr, was bei der Lautstärke im Raum, fast nicht zu hören war, auch wenn sie kaum einen halben Meter von ihm wegstanden.
„Er meint es nicht so, hat ne schwer Zeit hinter sich. Seine Freundin hat ihn verlassen.“
„Aha und du?“ fragte der Held weiter, dem das Schicksal dieses Typen eigentlich vollkommen egal war.
„Ich wurde nicht verlassen. Ich hab gar keine Freundin und nein, auch keinen Freund. Ich finde nur schwer jemanden, der mit meinem Geschlecht zurechtkommt. Ich bin weder Frau, noch Mann, sondern was dazwischen.“
„Ver-stehe“ kam es vom Helden.
„Wirklich? Da wärst du eine der wenigen Personen, die das tut. Immer regen sich alle darüber auf, wenn ich damit anfange.“
„Eigentlich wollte ich nur wissen, ob du etwas Sumpfkraut willst“, sagte der Held.
„Oh … ist das pflanzlich und rein?“
„Natürlich, vollkommen biologisch“ sagte der Held, der dieses in dieser Branche sehr überzeugende Wort von Elyas gelernt hatte.
„Ja, in Ordnung, gib mir mal eins zum testen.“
Stengel und Geld wechselten den Besitzer und dann drehte der Held weiter seine Runde. Eine andere Gruppe von Männern und ein paar Frauen etwa in seinem Alter standen in der Nähe und besonders ein großer, aber schlaksiger Mann sah ihn sehr interessiert an. Als er dann tatsächlich auf ihn zusteuerte wurde der Kerl zunehmend nervöser.
„He, willst du auch etwas Sumpfkraut?“ fragte der Held ihn.
„Äh… was ist das?“ fragte sein potentieller Kunde.
„Kraut zum Rauchen, rein biologisch“ wiederholte der Held.
Er war etwas verwundert. Dafür, dass er ihn die letzte Zeit so angestarrt hatte, wirkte er jetzt merkwürdig nervös.
„Tut mir Leid … ich mag keine Drogen“ sagte der schlaksige Kerl leise.
Einer seiner Freunde stupste ihn mit dem Ellenbogen an und warf ihm einen auffordernden Blick zu.
„Naja… ich … ich nehm mal einen zum testen“ sagte der Mann, obwohl in seinem Blick geschrieben stand, dass er den Stengel wohl nie rauchen wird.
„Ok. Hast du zwei Euro?“ fragte der Held, dem es im Prinzip egal war, ob die Leute das Kraut nun rauchten oder nicht, Hauptsache er bekam es verkauft.
Der Kerl kramte mit zittrigen Händen in seiner Hosentasche und hielt ihm ein Geldstück hin, woraufhin der Held ihm im Austausch dafür einen Stengel in die Hand drückte.
„Wollt ihr auch was?“ fragte er seine Kumpel.
Die schüttelten aber nur auf seltsame Weise belustigt die Köpfe. Der Held wollte sich schon umdrehen und gehen, dann kam es mit fast nicht zu hörender, zittriger Stimme von hinten.
„He, äh… gibst du mir deine Handynummer? Weil … ähm… wenn ich neues … ähm… Kraut kaufen will.“
Der Held sah ihn verwundert an. Auf ihn hatte der Typ nicht den Eindruck gemacht, als würde er später noch weiteres Kraut haben wollen. Allerdings … man wusste ja nie. Der Held zückte sein Handy, wusste dann aber nicht was er damit machen sollte. Deswegen drückte er seinem potenziellen Stammkunden das Gerät einfach in die Hand.
„Hier, such es dir raus!“
Der Typ sah ihn zuerst verwundert an, drückte dann aber ein paar Knöpfe.
„OK. Ich hab mir von deinem Handy eine Nachricht geschickt. Jetzt hab ich deine Nummer.“
Er sah wieder zu ihm hoch und gab ihm das Handy zurück.
„Bis später dann“, sagte der Typ wieder merkwürdig zittrig.
Der Held fand, dass das seltsam war, kümmerte sich aber nicht weiter darum. Er wurde nicht ganz so viel Sumpfkraut los wie erhofft. Er entdeckte zwei Herren mittleren Alters an der Bar und fing an sie zu bequatschen. Sie sahen beide total niedergeschlagen aus und so hoffte er, sie würden dem entspannenden Rauchkraut nicht wiederstehen können. Doch sie ließen sich nicht überzeugen.
„Nein, von Drogen halte ich nichts“, erklärte, der eine, der aussah, als hätte er ein Fass verschluckt.
„Ich hab mal welches als Bub genommen, aber hab aus meinen Fehlern gelernt. Wenn ich jetzt zugreife, gerade in meiner derzeitigen Situation, dann komm ich bestimmt nicht mehr davon los“, erklärte der andere Mann, dessen Gesicht dem eines Frettchens ähnelte, besonders das falsche Haar trug stark dazu bei.
„In was für einer Situation bist du denn?“ wollte der Held wissen, weil er vielleicht doch noch was loswurde.
„Ach, es ist meine Arbeit. Die geht mir an die Nieren.“
Das Frettchen ließ seinen Kopf niedergeschlagen auf die Arme sinken.
„Wo arbeitest du denn?“ bohrte der Held weiter.
„Also, wenn du mich fragst in der Hölle. Eine scheiß langweilige Drecksarbeit ist das…“
Der Held wurde hellhörig. Davon hatte Milten doch vorhin gesprochen. Darüber wollte er mehr erfahren.
„Ach, und wo ist das?“
„Neue Jakobsstraße 6“, sagte der Mann, so als hätte er die Adresse schon Millionen Mal auf Briefumschläge gesetzt. „Seit dreiundreißig Jahren arbeite ich jetzt da und es ist immer das gleiche. Die gleiche langweilige Arbeit, der gleiche langweilige Arbeitstag, Stress auf dem Weg hin zur Arbeit, Stress auf dem Weg zurück und dann am Abend hocke ich stundenlang vor dem Fernseher, weil ich so geschafft und genervt von meiner Arbeit bin, dass ich mich zu nichts anderem mehr aufraffen kann.“
„Ja, hätte ich ihn nicht überredet mal was zu unternehmen, dann säße er vermutlich wieder allein daheim.“
„Hier rumhocken und so trübselig drein zu schauen nennt ihr was unternehmen?“ fragte der Held voller Unverständnis.
Was mussten das für erbärmliche, mitleiderregende Leben sein, wenn man sowas als Unternehmung bezeichnete? Seine Gesprächspartner konnten, oder wollten ihm wohl auch nicht wiedersprechen, denn der Fassmann hob nur kurz ratlos die Hand.
„Ich musste auch mal raus. Ich hab einen Acker, bei Gatow, in der Nähe vom Grunewald, aber mir machen die Wildschweine da zu schaffen. Das sind richtige Tyrannen. Immer wieder fressen die meine Maisplanzen kaputt und die Jäger machen auch nichts. Die Wildschweine verstecken sich dann einfach in den Maisfeldern, wo sie genug Fressen haben und bestens geschützt sind und bewegen sich da keinen Fleck weg, bis die Jäger wieder fort sind.“
„Und warum gehen die Jäger nicht zu ihnen rein?“ fragte der Held verwundert.
Das Faß zuckte mit den Schultern.
„Weiß nicht, vermutlich irgendeine Regelung, dass man die Wildschweine so und so jagen muss. Als ich einen mal danach fragte, hat er es mir zwar erklärt, aber ich konnte nicht wirklich verstehen, warum das jetzt nicht geht. Aber es wird von Jahr zu Jahr schlimmer mit den Viechern. Immerhin ist es für dieses Jahr für mich vorbei, aber wenn es nächstes Jahr wieder so schlimm wird, kann ich einpacken.“
Der Held musste nicht lange nachdenken. Mit Wildschweinen, die Felder verwüsteten kannte er sich bestens aus. Dem Mann konnte geholfen werden.
„He, ich kümmere mich um dein Problem. Bald bist du die Mistviecher los. Kann ich dich irgendwie erreichen?“
Sein Gegenüber sah ihn verwundert an, gab ihm aber seine Telefonnummer. Der Held ließ sich zeigen, wie man die Nummer in dieses Ding, namens Handy, einspeicherte und fragte seinen neuen Auftraggeber nach Details aus. Dann wünschte er den beiden noch einen Abend, der hoffentlich nicht ganz so langweilig war wie sonst und verschwand aus der Bar. Er machte sich sofort auf den Weg. Es war überhaupt nicht schwer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu diesem Wald zu kommen. Es gab sogar eine Station, die so hieß. Dort stieg er aus und stiefelte geradewegs in den dunklen Wald hinein. Wenn es wirklich so vor Wildschweinen wimmelte wie der Kerl sagte, dann würde es bestimmt nicht schwer werden welche zu finden. Es roch modrig und kalt in diesem Wald. Es erinnerte ihn an die Wälder im Mienental, doch dieser hier war viel weitläufiger. Er fragte sich, ob es hier auch Schattenläufer gab, doch verwarf den Gedanken schnell wieder. Wäre es so, würde sich dieser Bauer wegen ein paar Wildschweinen vermutlich nicht so aufregen und selbst wenn … er hätte nichts gegen einen kleinen Kampf. Er fand, dass es ruhig mal wieder etwas Aktion sein durfte. Die Wildschweine zu finden stellte sich als viel schwieriger heraus, als er gedacht hatte. Weit und breit war keins zu sehen oder zu hören. In Myrtana war die Sache meist recht einfach. Die wilden Tiere waren dort bis zu seiner Ankunft so zahlreich gewesen, dass sie sich gegenseitig den Lebensraum wegnahmen und nie so große Territorien hatten, wie sie eigentlich bräuchten. Das führte zu tief sitzenden Aggressionen und Wildheit. Ein wildes Tier in Myrtana würde deswegen immer angreifen, wenn man den Sicherheitsabstand zu ihm unterschritt. Hier hatte er das Gefühl, dass die Tiere die Begegnung mit Menschen sogar scheuten. Einmal glaubte er das Rascheln eines weit entfernten Wildschweins gehört zu haben, doch dann war es wieder verschwunden. Es musste schon am frühen Morgen sein, als er der festen Überzeugung war, fast den ganzen Wald abgesucht zu haben, ohne auch nur ein Schwein gefunden zu haben. Er stand jetzt am Waldrand. Vor ihm gluckerte ein breiter Fluss vor sich hin. Ganz schwach konnte er auf der anderen Seite Felder ausmachen. Das musste der Acker sein, von dem der Bauer ihm erzählt hatte. Vielleicht war es sogar seiner. Ohne lange nachzudenken watete er in das kalte Wasser und schwamm durch den Fluss. Er schwamm nicht gegen die Strömung an, sondern ließ sich von ihr seitlich wegtreiben, das sparte viel Kraft und er kam trotzdem drüben an. Ihm war es im Prinzip egal, ob es nun hier oder zwanzig Meter weiter links war. Er entstieg den eisigen Fluten und lief einfach weiter, als wäre nichts gewesen. Er kam jetzt auf ein Feld, auf dem nur kleine Pflänzchen wuchsen. Der Held wusste nicht, was das war, aber ihm war das auch vollkommen egal. Dort am Rand hatte er schwarze Schatten gesehen. Das mussten die Wildschweine sein. Er machte eine Rotte von einem Dutzend Tieren aus. Damit sie nicht wieder entwischten schlich er sich langsam heran. Die Tiere sahen ihn früh und suchten das weite. Der Held seufzte genervt. Was waren das denn für wilde Tiere, die einfach abhauten? Doch er zwang sich, es positiv zu sehen. Zumindest endlich wieder eine kleine Herausforderung. Er verbrachte die nächsten Stunden damit, sich ganz langsam und Stückchen für Stückchen immer näher an die Wildschweine heranzuschleichen, dann endlich war er nah genug für einen Angriff. Es ging dann alles ganz schnell, er stürmte vor, wirkte einen Feuerball und streckte damit eines der Tiere nieder. Grauenvoll hallte das laute Quieken des gepeinigten Tieres weit über die Felder. Er ging davon aus, dass die Restlichen ihn jetzt rachsüchtig angreifen würden, doch völlig unvermutet suchten sie das Weite.
„Verdammt“ fluchte der Held. „Naja … immerhin hab ich dieses hier.“
Er begann damit das Tier auszunehmen und ihm das Fell abzuziehen, was seine Zeit dauerte. Er dachte sich nichts weiter dabei, als einige Zeit später auf der etwas entfernten Straße ein Auto anhielt und sich jemand näherte.
„He, Sie! Was machen Sie da?“ drang eine laute und strenge Stimme zu ihm herüber.
„Ich? Ich bin auf Wildschweinjagd“, antwortete der Held arglos.
„Soso“, kam es von dem Mann, der sich weiter näherte.
Der Held kümmerte sich nicht weiter um ihn, sondern trennte gerade ein saftiges Stück vom Bauchspeck ab.
„Darf ich dann bitte mal ihren Jagdschein sehen?“ fragte der Mann in gespielt unverfänglichem Tonfall.
Der Held runzelte die Stirn, was sein neuer Bekannter in der Dunkelheit unmöglich sehen konnte.
„Meinen Jagdschein?“
„Ja, Ihren Jagdschein. Sie haben doch einen Jagdschein, oder nicht?“
Jetzt sah er sich diesen Typen genauer an. Der ältliche Mann trug eine widerstandsfähige Jacke und ebensolche Hosen, sowie einen Hut, dessen Farbe er in der dunklen Nacht nicht erkennen konnte. Der Mann hatte sich etwas über die Schulter gehängt, von dem er nicht wusste was es war.
„Ich wusste nicht, dass man hier einen Schein braucht“ sagte der Held.
„Aber sie sind doch Jäger, oder?“ fragte der Mann weiter in lauerndem Tonfall.
„Ja, natürlich, einer der besten, kaum etwas, das ich nicht zur Strecke bringen kann.“
„Soso, also ein wahrer Meisterjäger“, kam es höhnisch von dem Mann. „Aber Jagen, ohne Jagdschein bedeutet Wilderei und das ist strafbar. Das bedeutet für Sie mindestens einige Monate im Gefängnis, vielleicht sogar Jahre.“
Der Held sah ihn verständnislos an.
„Ein Bauer hat mir gesagt, es gäbe hier eine Wildschweinplage. Ich habe nur angeboten ihm zu helfen.“
„Achja, und da dachten Sie: Gehe ich doch einfach mal los und erlege ein paar der Tiere, dann ist das Problem gelöst.“
Das Gesicht des Helden hellte sich auf.
„Ich sehe, du verstehst mich.“
Der Mann wirkte jetzt ehrlich verärgert. Er wollte sich wohl nicht einfach so duzen lassen.
„Jetzt hör mal Bürschchen, was du hier machst geht auf keine Kuhhaut, ich hole jetzt die Polizei und wir warten hier bis sie eintrifft! Ich bin für das Wild hier verantwortlich und du hast dich weder bei mir gemeldet, noch einen Jagdschein vorgezeigt, noch sonst irgendwas.“
„Na, wenn man erst sowas veranstalten muss, um Tiere zu jagen, dann ist mir völlig klar warum ihr hier eine Wildschweinplage habt.“
„Ach, auch noch frech werden, ja? Jetzt kannst du was erleben …“
Der Held ließ ihn gar nicht ausreden. Der Mann mochte schon ende sechzig sein, aber das verschonte ihn nicht. Es war nur ein Schlag, aber der reichte, um ihm die Lichter auszuknipsen.
„Sowas … der hat doch nicht mehr alle Nadeln an der Tanne“, sagte der Held verwundert über das Verhalten des Mannes.
In Myrtana freuten sich die Leute, wenn man ihnen die wilden Tiere vom Hals schaffte und hier wurde er mit Kerker bedroht. Der Held belegte den Mann mit einem Vergessenszauber, packte das Wildschweinfell und das Fleisch zusammen und ging dann davon. Für heute hatte er genug von der Jagd.
Eispfötchen
30.01.2018, 18:54
Jetzt machte sich der Held auf den Weg zu Marius. Bald würde die Sonne aufgehen, aber noch gab es keinen hellen Schimmer am Wolkenverhangenen Horizont. Der Held würde gerne mal wieder die Sterne sehen, aber selbst wenn es mal kaum Wolken gab, waren keine zu sehen, nur ein seltsames Glühen über der Stadt. Als er dieses Mal vor der Haustür stand, klingelte er nur zwei Mal kurz. Wenig später öffnete Marius die Tür. Er sah erstaunt aus.
„Wow, um diese Uhrzeit kommst du her? Hätte ich nicht gedacht.“
„Wieso? Bist du um diese Zeit nicht ansprechbar?“ fragte der Held und grinste schief.
„Nein, ganz im Gegenteil, ich mach häufiger die Nächte durch, aber die meisten Menschen sind ja eher so … tagaktiv. Komm doch rein.“
Der Held sorgte dafür, dass Marius Nachbarn früh genug aufstanden, um zur Arbeit zu gehen, indem er die Tür wieder mit Schwung ins Schloss fallen ließ. In Marius Zimmer sah es nicht anders aus, als gestern. Diesmal waren nur gleich mehrere Bildschirme aktiv, auf denen er aber keine bewegten Bilder sehen konnte, sondern nur Text mit einigen kleinen Grafiken. Marius ließ sich in seinen Stuhl vor dem Schreibtisch fallen.
„So, ich hab meinen Teil erfüllt. Diegos Internetseite habe ich gut hinbekommen. Hier willst du es sehen?“
Er wartete gar nicht auf eine Antwort, sondern klickte mit einem schwarzen Klopsding, das an einer Schnur hing herum und tippte was mit den Tasten auf ein leuchtendes Brett, dann erschien auf dem Bildschirm anderer Text, der verlauten ließ: „Diegos Schlüsselnotdienst. Schnell, einfach und zuverlässig zurück in ihr Heim. Zu jeder Stunde und an jedem Tag. Rufen sie einfach an!“
Darunter stand noch einiges mehr, war aber kleiner geschrieben, als die Überschrift, so dass der Held es von seiner Position aus nicht mehr sehen konnte.
„Toll, oder?“
Marius strahlte übers ganze Gesicht. Es war ganz offensichtlich, dass er jetzt Lob erwartete.
„Ja, gut gemacht“, erklärte der Held, der einfach mal davon ausging, dass es gut war.
Immerhin war diese Aufgabe erledigt. Er notierte es sich in sein Tagebuch.
„Das Sumpfrkraut hab ich im Darknet auch zum Verkauf angeboten. Ich hab schon vierhundertsechsundvierzig Lieferanfragen. Das sind bestimmt achtzig Kilo, die eure Kundschaft will. Ich vermute, die wollen das dann weiterverkaufen. Ist das in Ordnung?“
Marius wirkte nervös. Er fürchtete sein Gast könnte aggressiv werden, wenn er hörte, dass jemand seine Ware selbst weiterverticken wollte. Doch dem Helden schien das egal.
„Von mir aus. Für mich ist das nichts Neues. Hauptsache es bringt Geld.“
Marius war richtig anzusehen wie die Anspannung etwas von ihm abfiel.
„Also wie soll das weiterlaufen, soll ich das Onlinegeschäft weiter betreiben?“
Der Held dachte schnell nach und fasste für sich das zusammen was er bisher darüber gelernt hatte wie die Dinge hier liefen.
„Ja, du kümmerst dich um die Onlinegeschäfte, das heißt du passt auf, dass immer genügend Sumpfkraut angeboten wird. Dann schickst du die Bestellungen an Elyas weiter. Der wird sich dann darum kümmern, dass die Kunden die Ware auch bekommen.“
Marius wirkte unschlüssig.
„Naja weißt du … ich könnte ja helfen. Vieles davon muss weit verschickt werden. Wenn ich was von diesem Sumpfkraut da hätte, dann könnte ich auch was versenden, dann würde es schneller gehen.“
„Hm…“
Der Held strich sich nachdenklich über seinen Bart.
„Na gut. Sagen wir du behältst zehn Prozent von den Einnahmen für dich, aber wenn du mich verarscht gibt es volles Pfund aufs Maul.“
Der Held schlug seine rechte geballte Faust in seine leere linke Hand. Marius wurde blass.
„Ich …. Ich verarsch dich nicht, Ehrenwort. Würde ich mir nie erlauben.“
„Gut.“
Der Held langte in seine Tasche und kramte einiges von dem Sumpfkraut hervor. Es waren etwa zweihundert Päckchen mit jeweils zehn Stengeln. Marius riss Augen und Mund auf, als er sah wie das alles so herbeigezaubert kam. Doch er hielt es offenbar nicht für klug jetzt Fragen zu stellen.
„Die anderen Anfragen schickst du zu Elyas, oder du holst dir noch Nachschub bei ihm. Du weißt doch wo er wohnt, oder?“
„Äh… ja.“
Schweigen breitete sich im Zimmer aus. Marius sah so aus, als würde er noch etwas sagen wollen, sich aber nicht trauen. Der Held gähnte, aber er hatte überhaupt keine Lust zu schlafen. Nicht, wenn es noch so viel zu tun gab.
„Ich mach mir einen Kaffee, möchtest du auch einen?“ fragte Marius und ging in seine kleine Küche.
„Einen Kaffee? Was ist das denn?“ fragte der Held.
Marius warf ihm einen vor Verwirrung ganz verzerrten Blick zu.
„Das macht dich wieder munter. Das Pulver kommt hier rein und Wasser dort drüben, dann einfach anschalten und irgendwann läuft es durch.“
Erklärte Marius, weil er sich dachte, wenn dieser Typ nicht einmal wusste was Kaffee war, dann hatte er vermutlich auch keine Ahnung wie eine Kaffeemaschine funktionierte. Dem Helden fiel wieder etwas ein: „Stimmt, du bekommst ja noch ein Schwert.“
Marius wurde hellhörig. Das war es, was er sich nicht zu fragen getraut, worauf er aber schon die ganze Zeit gelauert hatte. Er staunte noch mehr, als der Held aus seiner Hosentasche ein gut anderthalbmeterlanges Schwert hervorzog.
„Wie machst du das nur?“
Der Held ging gar nicht darauf ein, sondern erklärte: „Das ist eine Hüterklinge. Sie hat mal einem apokalyptischen Templer gehört.“
Er dachte sich, dass diese schmale Klinge genau richtig für den nicht sehr kräftigen Marius wäre. Er hielt das Schwert dem schmächtigen Kerl hin, der es staunend in die Hände nahm.
„Wow, ist das wirklich echt?“ entfuhr es ihm.
„Aber natürlich ist es echt. Du kannst es auch mal ausprobieren, aber wehe du schlägst damit nach mir, dann erlebst du die nächsten Minuten nicht mehr.“
Marius warf ihm einen eingeschüchterten Blick zu und ging dann zurück in die Küche wo er ein Kotelett aus dem Kühlschrank holte und die Klinge darauf herniederfahren ließ. Das Fleisch und der Knochen wurden mitten durch gehackt.
„Wow, das ist wirklich scharf. Das ist ein echtes Schwert, eine echte Waffe. Der Wahnsinn. Voll Krass.“
Von der Kaffeemaschine kamen merkwürdig gurgelnde Geräusche.
„Oh, es ist fertig.“
Marius stellte die Hüterklinge behutsam ab und griff nach der Kaffeekanne, auch wenn er im Moment so aufgeputscht war, dass er gar keinen Kaffee benötigen würde. Er schenkte dem Helden eine große Tasse ein und ungeachtet der Hitze kippte der das Getränk in einem Zug hinunter. Marius sah ihn wieder, oder vielmehr immer noch mit großen Augen an und pustete seine Portion lieber gründlich ab, bevor er daran nippte.
„War das nicht zu heiß?“ fragte er verwundert.
„Ach was, Drachenfeuer ist heißer“, kam es lapidar vom Helden. „Wir haben hier doch jetzt alles geklärt, oder?“
„Öhm… ja, eigentlich schon“, kam es kleinlaut von Marius. „Halt, warte. Ich wollte noch etwas fragen.“
Der Held sah ihm mit einem Blick an, der ihm sagte, dass er reden sollte.
„Meine Schwester sucht nach einem neuen Job. Kann sie bei dir anfangen? Sie ist gut im organisieren. Da lässt sich doch bestimmt etwas machen, oder?“
Der Held sah ihn verwundert an. Bisher hatte ihn noch niemand nach einem Job gefragt. Sonst war er es immer, der Aufträge annahm.
„Sie kann ja mal vorbeikommen und dann sehen wir weiter.“
„Oh, ok“, sagte Marius unschlüssig.
Sie verabschiedeten sich und der Held steuerte jetzt ihr Versteck an. Auf dem Weg dorthin merkte er, wie dieser Trank, den Marius ihm gegeben hatte seine Wirkung entfaltete. Er war nicht mehr so müde. Das wäre eine Revolution. Nie mehr schlafen! Mehr Zeit für Aufträge! Das musste er weiter beobachten. Auf der Straße entdeckte er eine Absperrung. Einige Männer, die Helme von greller Farbe und ebensolche Westen trugen buddelten dort in der aufgerissenen Straße. Na gut, vielleicht konnte das nicht so gesagt werden. Vielmehr grub einer und die anderen beiden sahen ihm dabei zu.
„He, was macht ihr da?“
Die beiden Arbeiter, die nicht arbeiteten, sahen ihn scheel an.
„Warum fragst du?“
„Es sieht so aus, als gäbe es ein Problem.“
Die beiden Arbeiter sahen sich an.
„Ja, aber das ist nicht dein Problem.“
„Vielleicht kann ich euch ja helfen“, bot der Held an.
Die beiden Typen sahen sich grinsend an.
„Das will ich sehen. Wir warten hier nämlich darauf, dass die Sprengmittelsucher hier ankommen. Uns wurde gemeldet, dass hier irgendwo ein alter Weltkriegskracher liegen soll. So lange dürfen wir nicht weitergraben.“
„Und was macht er?“ fragte der Held und zeigte auf den arbeitenden Kollegen.
„He, es muss doch so aussehen, als würden wir irgendwas machen. Immerhin werden wir bezahlt.“
Der Held schüttelte verwundert den Kopf. Diese Männer waren in der Tat in einer prekären Situation. Natürlich mussten sie für ihren Chef arbeiten, aber durften vom Amt wegen nicht. Dem konnte er bestimmt Abhilfe schaffen.
„Dieser Weltkriegskracher, was ist das genau? Eine Waffe?“
„Ja, ein riesen Brocken.“
„Sprengmittel“, fügte der andere hinzu.
Der Held wusste immer noch nicht genau was es war, aber offenbar eine versteckte, sehr gefährliche Waffe.
„Ist das Ding noch zu irgendwas zu gebrauchen?“
„Nein, das modert jetzt schon ein halbes Jahrhundert vor sich hin. Das kann nur noch abtransportiert, oder wenn es ganz dumm kommt, gesprengt werden. Müssen sich die Fachmänner ansehen. Ich will nicht, dass ich dem Teil zu nahe komme. Aber leichter gesagt … wir müssten ja erstmal wissen wo das verdammte Ding liegt und bevor die nicht kommen, geht gar nichts, aber bis da mal was passiert… Wir tun jetzt schon eine halbe Woche so, als würden wir was machen. Langsam geht mir das auch auf den Keks“, sprudelte es aus dem einen sehr unzufriedenen Arbeiter heraus.
Sein Kollege sah dagegen nicht so aus, als würde ihn die Freizeit stören. Ganz entspannt sah er dem Verkehr auf der nächsten Kreuzung zu.
„Ich denke, ich kann euch helfen“, sagte der Held, nachdem er kurz überlegt hatte.
Er wechselte sein Kriegeramulett, mit dem des suchenden Irrlichts aus und schon erschien die leuchtende, flirrende Kugel vor ihm.
„Such nach Waffen!“ befahl er ihm.
Das Irrlicht gab ein bestätigendes Irrlichtgeräusch von sich und sirrte von dannen, suchte mal hier und mal dort. Die Arbeiter sprangen erschrocken zurück und schauten verdattert dem vorbeischwebenden Irrlicht hinterher.
„Was zum Henker ist das?“ fand der arbeitende Arbeiter zuerst die Sprache wieder.
„Ein Irrlicht. Es ist darauf trainiert Dinge zu finden.“
Darauf wussten die drei nichts mehr zu sagen und schauten stumm und staunend dabei zu wie das Irrlicht auf einmal ganz aus dem Häuschen geriet. Es war zum Fußweg geschwebt und war dann ganz aufgeregt gegen den Boden getitscht, dann an einer Straßenlaterne abgeprallt und leuchtete jetzt einer Hauswand entgegen. Der Held dachte schon, dort wäre die Waffe, aber nein, das Irrlicht kehrte zum Boden des Fußwegs zurück. Es schien aber viel zu aufgeregt, um ans Ziel zu kommen. Immer wieder prallte es vom Boden ab.
„Dort irgendwo muss es sein“, stellte der Held fest.
Die anderen Arbeiter sahen sich beklommen an. Dieser Bereich war gar nicht gesichert. Fußgänger konnten jederzeit darüber hinweglaufen. Ob das ihrem Chef gefiel? Immerhin hätten sie die Baustelle wohl viel großflächiger absperren sollen. Das Irrlicht hatte sich mittlerweile so weit beruhigt, als das es sich jetzt gemächlich seinem Ziel näherte und dann ganz langsam im Boden verschwand. Zuerst war nichts zu sehen, dann leuchtete der Boden auf und es erklang ein helles Geräusch.
„Ja, dort ist es. Jetzt müssen diese Typen nicht lange suchen. Markiert die Stelle einfach.“
Die Arbeiter sahen sich beklommen an. Der arbeitende Arbeiter nahm seinen Mut zusammen und sagte, wohl auch um sich selbst zu beruhigen: „Ach was, das Ding lag da jetzt schon ewig und Milliarden von Menschen sind darüber gelaufen, dann wird jetzt auch nichts passieren."
Er griff sich eine noenfarbende Sprühflasche und ging betont locker zu der Stelle, wo das Irrlicht leuchtete. Dort sprühte er ein X auf.
„Na los, jetzt macht auch mal was!“ fuhr er seine Kollegen an.
Die begannen nach dieser Aufforderung Absperrband auszurollen. Der Held nahm das Amulett des suchenden Irrlichts wieder ab, woraufhin das Irrlicht verschwand und nur ein leichtes Glimmen am Boden übrig blieb.
„He, danke, Immerhin wissen wir jetzt wo das Ding ist. Wir werden dich bei den Sprengmittelsuchern erwähnen. Wie heißt du?“
„Ich hab keinen Namen.“
Die Arbeiter sahen sich an.
„Oh, naja gut, dann melden wir, dass uns ein namenloser Typ mit einem leuchtenden Licht geholfen hat das Teil zu finden“, sagte der Kerl sarkastisch, der gerne seine Freizeit genoss.
Sein Kollege versetzte ihm einen Hieb gegen den Helm.
„Ja, klar, die rufen schon bei „leuchtenden Licht“ die Klapse an.“
„He, willst du Bier?“ fragte ihn der arbeitende Arbeiter.
„Klar“, sagte der Held, froh jetzt doch noch etwas für seine Aktion zu bekommen.
Er bekam eine sechserpackung Bierdosen geschenkt, die er flugs in seiner Tasche verschwinden ließ, was die Arbeiter dazu veranlasste froh darüber zu sein, dass das Bier jetzt weg war. Der Held ging los, um seine Beute mit seinen Freunden zu teilen.
Im Versteck traf er auf Elyas, dem er mitteilte was er mit Marius besprochen hatte, Gorn, der sich gleich ein Bier krallte und Lester, der erklärte, er würde jetzt gerne endlich mal losziehen um Sumpfkraut zu verkaufen. Der Held bot an, sie könnten zusammen gehen. Er erklärte, er hätte einen möglichen Eingang in die Hölle gefunden und wolle der Sache auf den Grund gehen. Auf seiner Karte stellte er fest, dass das Ziel nur einen Snappersprung entfernt war. Sie gingen los und sprachen ab, erstmal auf dem Alexanderplatz vorbeizuschauen. Der Held kannte mittlerweile schon die Ecken, wo er etwas Sumpfkraut los wurde und er hatte das Gefühl, dass sich manche seiner Kunden extra dort aufhielten, um ihn vielleicht zu treffen. So war es auch heute. Das traf sich gut, denn so konnte er gleich Lester vorstellen. Zuerst musterten manche Kunden Lester skeptisch, aber er schaffte es mit seiner Art schnell die Kunden für sich zu gewinnen. Anderen schien es vollkommen egal wer ihnen Kraut verkaufte, Hauptsache, sie bekamen welches. Vom Alexanderplatz hielten sie sich südlich und kamen an einem Edeka Markt vorbei.
„He, warte mal“, hielt Lester seinen Freund auf. „Das sieht aus, als könnte man da was zu Essen bekommen. Stört es dich, wenn ich nicht mit in die Hölle komme und stattdessen was zu beißen hole? Du weißt ja, Gorn mault sonst wieder rum, wenn nichts da ist.“
Der Held grinste.
„Soso, Gorn mault rum“ wiederholte der Held amüsiert.
„Ja, er tut zwar immer so, als wäre es nicht so, aber er jammert genauso rum wie andere auch“, erklärte Lester, der diese offene Rechnung offensichtlich noch unbedingt loswerden musste.
„Nur zu, geh ruhig. Wir treffen uns dann im Markt. Es wird vermutlich eine Weile dauern, wenn Gorn auch wirklich satt werden soll“, sagte der Held zwinkernd, der wieder einmal Lesters Talent bewunderte, sich geschickt aus kommenden unangenehmen Situationen herauzuhalten.
Dann würde er eben allein in die Hölle gehen. Er lief weiter, über eine Brücke hinweg und gelangte bald an sein Ziel: Die Neue Jakobsstraße 6, das Finanzamt Mitte, das Höllentor. Das Gebäude sah so unauffällig und langweilig aus, dass sich der Held sicher war am Ziel zu sein. Schließlich durfte der Eingang in die Unterwelt nicht auffallen. Ohne jede Angst, öffnete der Held die Tür und trat ein. Schnurstracks lief er am Empfangsbereich vorbei und sah sich erstmal im weiteren Teil des Gebäudes um und beobachtete die Leute, die hier arbeiten mussten. Sie wirkten derart gelangweilt, dass sie fast schon tot wirkten. Das musste es sein! Die Arbeit hier stahl den Leuten bestimmt Stückchen für Stückchen ihre Seele und ihre Lebenskraft, bis sie irgendwann nur noch willenlose Hüllen waren, so wie Zombies. Er hatte sich manchmal schon über die Antriebslosigkeit der Menschen in dieser Stadt gewundert, hier hatte er die Brutstätte dieser üblen Pestilenz gefunden! Eine Welle des Mitleids überkam ihn. Er konnte sich gar nicht vorstellen wie schrecklich es sein musste, Tag ein Tag aus Akten zu sortieren und an diesen komischen Computern herumzutippen und sonst gar nichts Entscheidendes zu machen. Keine Monster, keine Abenteuer. Schrecklich. Er würde hier ganz sicher zu Grunde gehen. Er riss sich vom Beobachten dieser armen Leute los und suchte nach einem Weg ins Untergeschoss. Für ihn war völlig klar, dass, wenn hier das Tor zur Hölle war, dies unten sein musste. Er fand eine Tür, die ins Treppenhaus führte. Das fand er fast schon zu einfach und war erleichtert, als er die schwere Metalltür am Ende des Weges verschlossen vorfand. Er zückte einen Dietrich und machte sich ans Werk. Kurze Zeit später öffnete er die Tür. Es war stockfinster hier unten und merkwürdige, ferne, grollende Geräusche kündeten von einem grässlichen Monster. Schnell wirkte er einen Lichtzauber und zückte Uriziel. Er befand sich in einem völlig belanglosen Raum mit nackten Wänden. Es roch muffig und das gab ihm Hoffnung. In alten Tempeln roch es immer muffig. Er ging weiter um das Biest zu finden, das hier so einen Krach veranstaltete. Eine weitere Tür versperrte seinen Weg. Darauf war auf einem roten Warnschild ein Feuer-Symbol abgebildet. Ganz klar, Feuermagier sollten hier nicht rein, denn das würde den Dämonen bestimmt nicht gefallen. Auch dieses Türschloss knackte er ohne Probleme und er drang weiter in die Dunkelheit vor. Das Grollen wurde lauter. Er umklammerte Uriziel fester und fragte sich, warum er keine Rüstung trug. Daran hatte er gar nicht mehr gedacht. Jetzt war es zu spät. Das Geräusch kam direkt von etwas vor ihm. Das helle Licht seines Zaubers warf gespenstische Schatten auf seine Umgebung und als er sich noch weiter näherte sah er endlich was vor ihm lag. Ein riesiges Metallgerät, das diesen Krach veranstaltete.
„He, was machen sie da im Heizraum?“ kam eine mürrische Baritonstimme von hinten.
Es war ein kleiner, dicker Mann, der Arbeiterklamotten trug und ihn jetzt miesepetrig ansah. Der Held überlegte kurz, ob es sich hierbei um einen verfluchten Tempelwächter handelte, entschied sich dann aber dagegen ihn mit Uriziel zu zerhacken. Es war wohl nur ein weiterer Arbeiter dieses Gebäudes. Er steckte Uriziel erstmal weg und näherte sich diesem Typen.
„He du, weißt du wo hier das Höllentor ist?“
„Was? Bist du aus der Klapse ausgebrochen?“ fragte der Hausmeister verärgert.
Dem Helden schwante, dass er wohl etwas missverstanden hatte. Vielleicht gab es hier doch kein Höllentor?
„Dann gibt es hier gar keine Hölle?“
„Hölle? Quatsch! Wenn du nicht sofort abhaust, hole ich die Polizei!“
Der Held musterte den Typen. Meinte er es ernst? Besser niemand wusste, dass er hier gewesen war. Was auch immer das für ein Ort war. Er wurde handgreiflich und als der Hausmeister zu Boden ging, belegte er ihn mit einem Vergessenszauber, ganz so wie den Jäger, der ihm in der Nacht mit der Polizei gedroht hatte. Er hatte nicht viel Zeit, doch die nutzte er um mit dem Irrlicht den Raum nach außergewöhnlichen Dingen ab zu suchen. Das Irrlicht schwebte einfach nur vor ihm in der Luft. Hier gab es nichts Interessantes zu finden. Der Held seufzte. Er hatte sich wohl wirklich geirrt. Kein Höllenportal. Die Enttäuschung fraß sich durch seinen Körper. Er rief das Irrlicht zurück und setzte den Kurs zurück zu diesem Markt, wo Lester Essen kaufte.
Sein Freund hatte sich währenddessen ganz ausführlich diesen überdachten Markt angesehen. Zuerst war er mit dem Überangebot der Waren schier überfordert. Wo kam das alles her? Wer konnte das alles brauchen?
Er hatte beobachtet, dass die Menschen Wagen aus Metall herumschoben und die Sachen, die sie kaufen wollten, dort hineinlegten. Lester ging zu den Wagen, die draußen vor der Tür standen, aber als er dran zog, stellte er fest, dass sie angekettet waren. Wohl um Diebstahl vorzubeugen. Er beobachtete wie andere Leute Geldstücke in einen Schlitz im Griff des Wagens steckten und probierte es dann selbst. Es dauerte etwas bis er das passende Geldstück gefunden hatte, aber dann funktionierte es problemlos. Lester war stolz auf sich. Dieses Rätsel hatte er gelöst. Da fiel es doch kaum mehr ins Gewicht, dass er damals bei dem Tempelrätsel ausversehen diese beiden Dämonen auf den Plan gerufen hatte. Zufrieden mit sich und der Welt schob Lester den Einkaufswagen durch die Gänge und sackte alles ein was er kannte: Käse, Fleisch, Äpfel, Brot, Milch, Honig und Fisch. All diese Dinge waren verpackt, aber das hatte er schon von den Sachen gesehen, die ihnen Elyas gegeben hatte. Lester wagte sich sogar an ein paar ungewohnte Produkte. Er hatte bei Elyas schon Dosen stehen sehen. Da war also etwas zu Essen drin. Lester packte gleich von einem Dutzend verschiedener Arten mehrere Exemplare ein. Er entschied, dass das ausreichen sollte und schob den Wagen dorthin, wo auch alle anderen Leute hingingen. Verwundert beobachtete er wie sich Leute in Schlangen vor länglichen Tresen mit merkwürdigen schwarzen Belegen anstellten, wo weit vorne Frauen auf Stühlen saßen. Das mussten die Verkäuferinnen sein. Lester lud sein Zeug auf eins der schwarzen Bänder, so wie er es von den anderen Kunden gesehen hatte. Die Händlerin hatte offenbar magische Kräfte, denn das Band bewegte sich wie auf Befehl auf sie zu und alle Waren kamen praktisch von selbst zu ihr.
Die Kassiererin sah Lester komisch an, als er an der Reihe war, scannte dann aber die Waren ein und sagte den Preis: „63,90 €“
Lester kramte umständlich Geld hervor.
„Tolle Sache dieses Papiergeld, da muss man sich überhaupt nicht mehr abbuckeln.“
Die Kassiererin guckte ihn verwirrt an und sah dann skeptisch auf das Geld.
„Das sind aber nur 50 €.“
Lester ließ sich gar nicht aus der Ruhe bringen.
„Ach kein Problem, ich hab was zum tauschen. Hier, ein Erzbrocken.“
Und unter den ungläubigen Blicken der hinter ihm anstehenden Leute, legte er ihn der Kassiererin vor die Nase.
Die Kassiererin sagte verwirrt: „Was soll ich denn mit diesem blauen Klumpen?“
Lester war empört.
„Das ist magisches Erz, richtig wertvoll.“
Die Kassiererin verzog missbilligend ihr Gesicht.
„Ne, das nehm ich nicht!“
Ihr Kunde sah dies nicht als Rückschlag.
„Macht nichts, ich hab noch mehr.“
Die Kassiererin sah ihn mit dem Ausdruck „Wehe wenn da noch mehr ist“ an.
„Sumpfkrautstengel! Allerbeste Ware.“
Die Kassiererin riss die Augen auf.
„Sind das Drogen?“
Sie nahm das Telefon zur Hand und rief bei der Polizei an.
„Hallo, ja, hier ist so ein komischer Typ, der will mir Drogen im Austausch für Lebensmittel verticken.“
„Und magisches Erz“, rief Lester laut dazwischen.
„Sagen Sie, wer sind Sie überhaupt?“ fragte die Kassiererin barsch.
„Ich? Ich bin Lester, ehemaliges Mitglied der Bruderschaft des Schläfers.“
Die Kassiererin riss erschrocken die Augen auf.
„Ist das so eine Art Sekte?“
Lester strahlte, endlich verstand sie ihn.
„Ja, genau.“
Die Kassiererin packte das Telefon fester und sprach aufgeregt in die Muschel hinein: „Kommen Sie schnell! Er sagt, er gehört zu einer Sekte, die etwas mit einem Schläfer zu tun hat.“
Während ihres Gesprächs hatte sich hinter Lester eine lange Schlange angesammelt, die Lester wütende und missbilligende Blicke zuwarf. Jetzt sahen sie sich aber beklommen an und manche entschieden doch lieber zu einer anderen Kasse zu gehen. Mitten in das Chaos platzte der Held hinein.
„He Lester, da bist du ja. Whoa, was ist das alles hier?“
Der Held sah sich staunend um. Sein Irrlicht geriet komplett aus dem Häuschen. All die vielen Sachen, all das ganze Zeug, das es seinem Herrn markieren musste. Sofort schoss es wie ein wildgewordener, leuchtender Flummi los, prallte am Boden, Decke und den Wänden und Regalen ab und kam hin und wieder zurück um dem Helden auffordernd zuzuflimmern. Dann schoss es wieder wie angesengt los, nur um kurze Zeit später wieder zurückzukehren und eindringlich zu leuchten. Warum kam sein Herr denn nicht endlich mit, um all das Zeug was es gefunden hatte einzusacken?
Die anderen Kunden hatten ihre Blicke auf das Irrlicht geheftet und folgten wie hypnotisiert seinen Bewegungen.
„Gibt es ein Problem?“ fragte der Held, der die Lage sofort analysiert hatte und sein Irrlicht nicht weiter bedachte.
„Ja, dieser … Herr hat nicht genug Geld um zu bezahlen“, sagte die Kassiererin empört, nachdem sie den ersten Schrecken, das ein wildgewordener, leuchtender Flummi im Supermarkt umherschneppste, überwunden hatte.
„Was fehlt denn?“ wollte der Held wissen.
„13,90€ und ich hab die Polizei gerufen. Er wollte mir Drogen verkaufen!“
Der Held seufzte. Die Vermutung der Kassiererin einen Verbündeten gefunden zu haben, zerschlug sich, als der Held genervt sagte: „Müsst ihr hier denn wegen jedem bisschen gleich die Polizei holen? Die müssen ja total überarbeitete sein. Hier, nimm diese zwanzig Euro und lass es gut sein!“
Er klatschte der Dame eine zwanzig Euro Note vor die Nase und winkte Lester zu, damit sie hier endlich wegkamen.
„Was hast du denn gemacht?“ fragte der Held Lester genervt beim Verlassen des Gebäudes.
„Nichts, ich wollte nur was tauschen.“
Das Irrlicht kreiste wild geworden um die Obstauslage und konnte einfach nicht fassen wie sein Herr sein aufdringliches Verhalten einfach so übersehen konnte. Für einen kurzen Moment schien es zu bocken und sah fast so aus, als wolle es im Laden bleiben, bis sein Herr zurückkam und sich endlich alles unter den Nagel riss, doch dann sauste es doch hinterher.
Eispfötchen
03.02.2018, 18:21
Draußen forderte Lester den Helden auf, all die Waren einzustecken.
„Immer muss ich den Packesel spielen. Langsam nervt mich das“, gab der Held kund.
Lester sah ihn verständnisvoll an, sagte jedoch: „Wir haben sonst keine andere Möglichkeit all das Zeug mitzunehmen.“
„Hm…“
Der Held beobachtete die Leute um sie herum.
„Sieh mal, die Bürger hier packen ihre Einkäufe in diese Autos und fahren damit nach Hause.“
„Wir haben doch aber kein Auto“, erinnerte ihn Lester.
„Elyas hat aber eins“, hielt der Held störrisch dagegen.
„Weißt du denn wie man es bedient?“ fragte Lester skeptisch.
„Naja …“ kam es langsam vom Helden. „…ich hab gesehen wie Elyas und Cem das machen. So schwer kann das ja nicht sein. Weißt du was? Ich lass mir von Elyas zeigen wie das geht, dann sind wir nicht immer auf ihn angewiesen.“
Lester wusste nicht, ob das eine gute Idee war, doch er dachte sich, dass er seinen Freund sowieso nicht davon abhalten konnte.
„Na schön. Ich verkauf weiter Sumpfkraut, hast du noch was da?“
Der Held reichte ihm mehrere große Sumpfkrautpakete, in denen viele kleine Tütchen enthalten waren. Der Held legte alles in einen Stoffbeutel, den er ebenfalls in seiner Tasche gelagert hatte. So trennten sich ihre Wege. Lester wagte sich weit aus Berlin Mitte heraus. Er konnte besser einschätzen als der Held wo er Kundschaft finden konnte. Vor Schulen der Mittelstufe, Universitäten, Fach- und Hochschulen fand er viele erkundungsfreudige junge Interessenten. Er hatte ein Talent dafür seine Kundschaft ganz locker auf seine Ware aufmerksam zu machen. Dabei war er weit davon entfernt aufdringlich zu sein. Das brauchte er auch gar nicht. Mit seiner entkrampften Art kam er leicht ins Gespräch und die Kunden fühlten sich auch entspannter. Gerade bei den jungen Schülern kam das gut an. Es waren natürlich auch viele dabei, die von dem Kraut nichts wissen wollten, aber das nahm Lester nicht den Mut es immer weiter zu versuchen. Auch vor Bordellen fand er Kundschaft. Die Prostituierten waren für alles dankbar was sie ihren fürchterlichen Alltag leichter ertragen ließ. Nachdem sie probe geraucht hatten, kauften manche gleich mehrere Tüten. Während Lester viele neue Stammkunden fand, hatte sich der Held mit Elyas auf dem aufgegeben Hof des Lagerhauses getroffen, wo ihm der junge Mann die Grundlagen des Autofahrens beibrachte. Bald wusste der Held was es mit den Pedalen für die Füße auf sich hatte und wie man die Gänge durchschaltete. Mit dem Fahren tat er sich aber noch etwas schwer. Er gab viel zu beherzt Gas und der Wagen stoppte erst an der nächsten Mauer, denn obwohl Elyas den Helden anschrie, er solle bremsen, brauchte der noch einen Moment, um die Bremse auch zu finden. Der Schaden bestand in einer demolierten Front. Der Wagen konnte aber noch weiterfahren, was der Held bewies, indem er den Rückwärtsgang einlegte und vermutlich auch dort irgendwann gegen eine Mauer geknallt wäre, hätte Elyas nicht die Handbremse hochgerissen. Mit lautem Kreischen, Knirschen und Krachen kam der Wagen zum Stehen.
„Du musst langsamer machen! Du musst doch erst einmal lernen wie alles funktioniert!“, rief ihm der genervte Elyas zu.
Tatsächlich wurde es nach einigen Stunden Training besser, bis der Held auf den Punkt genau vor der Mauer zum Stehen kam, richtig Parken und Wenden konnte.
„Naja, also die Grundlagen hast du jetzt zumindest… He, willst du mal sehen wie erfahrene Fahrer das machen?“ fragte Elyas, als es dunkel wurde.
„Gerne“, stimmte der Held zu.
Er wollte unbedingt mehr darüber lernen. Zuerst fuhr Elyas das Auto zu einem Kumpel in die Werkstatt, wo es repariert werden sollte. Dort war er offenbar gern gesehen, denn er wurde mit lautem Johlen begrüßt. Sie trafen auf Elyas Freund Michael, der sie in seinem alten, aufgemotzten, grünen Volkswagen mitnahm und zu einer Tankstelle an den nördlichen Stadtrand fuhr. Dort warteten sie einige Zeit, welche die jungen Männer mit allerlei Gesprächen über Geschäftlichkeiten und Autos überbrückten. Dem Helden begann es gerade langweilig zu werden, da trudelten immer mehr hochgetunte Autos mit ihren Fahrern ein. Zuerst dachte er, jetzt werde endlich etwas Spannendes geschehen, doch die Männer und Frauen standen nur herum, palaverten und gaben mit ihren Autos an.
„Passiert hier auch mal was?“ fragte der Held, der es nicht mochte untätig herumzustehen.
„Immer langsam“, kam es von Michael.
„Langsam …“ knurrte der Held dieses ungeliebte Wort.
Hätte er langsam gemacht wären die Drachen bestimmt über die Welt hergefallen und die Orks hätten alle Menschen von Myrtana ausgerottet. Er ergriff die Initiative und fing selbst Gespräche an, wie das so seine Art war und hin und wieder verkaufte er an Interessenten Sumpfkraut. Als Elyas das sah, kam er zu ihm und fragte: „Meinst du wirklich, dass das eine gute Idee ist? Immerhin sollen die noch fahren.“
„He, ich sag ja nicht, dass die das jetzt rauchen sollen“, sagte der Held unaufgeregt.
Elyas zeigte mit dem Daumen über die Schulter, wo einige junge Kerle in dicke, grüne Rauchschwaden gehüllt waren.
„Wenn hier doch noch was passiert, muss ich auch kein Sumpfkraut verkaufen.“
Elyas winkte eilig Michael zu, der etwas unschlüssig bei seinem Auto stand und fragte ihn, als er zu ihm kam: „Machst du heute noch ein Rennen?“
Michael sah über die versammelte Menschenmenge.
„Weiß nicht. Ich bräuchte jemanden der mitmacht.“
Der Held verdrehte die Augen. Wie konnte man sich nur so schwer tun? Geradeheraus sprach er die erstbeste Person an, die in der Nähe war. Es war eine junge, schlanke, schwarzhaarige Frau mit Pferdeschwanz, die sich gerade eine schwarze Limo genehmigte.
„He du, hast du Lust auf ein Rennen mit Michael?“
Sie sah positiv überrascht aus.
„Endlich mal was los. Ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben. Die Typen, die ich angesprochen habe, wollen nur rumstehen und quatschen. Wie so ein paar Waschweiber. Was hat er denn für ein Auto? Meins ist der schwarze Honda Civic da drüben.“
Sie wies auf ein Auto wie es zur Jahrtausendwende gebaut wurde. Endlich schaltete sich auch Michael ein und zeigte ihr sein Auto. Nach einem kurzen Blick darauf, erklärte die Frau: „Gut, dann mal los. Ich bin übrigens Tina.“
Sie reichte Michael die Hand.
„Können wir mitfahren?“ fragte Elyas und zeigte auf den Helden und sich.
Michael sah nicht begeistert aus.
„Wenn ich euch beide mitnehme, dann ist mein Auto viel schwerer als ihres. Dann bin ich im Nachteil.“
Tina musterte die Männer.
„Wenn es euch wichtig ist: Wir können uns ja aufteilen. Wenn du mit ihm fährst…“ Sie zeigte erst auf Elyas und dann auf Michael „und du mit mir“, Jetzt zeigte sie auf den Helden und sich „…dann sollte das Gewicht etwa gleichmäßig verteilt sein. Aber wenn was passiert, dann heißt es Pech gehabt.“
Michael hob eine Augenbraue. So eine sorglose Ansichtsweise wollte er offenbar auch mal haben.
„Gut, kann es dann losgehen?“ fragte der Held, der spürte, dass jetzt endlich mal was passierte.
Tina und Micheal sprachen sich ab und dann wies die Frau ihren Gast an, ihm zu ihrem Honda zu folgen, während Elyas bei Michaels VW einstieg.
„Wir werden hauptsächlich geradeaus fahren, deswegen sollten die G-Kräfte nicht allzu schlimm sein. Es schadet aber nichts sich trotzdem festzuhalten“, riet Tina.
Zuerst wusste der Held nicht was sie meinte. Bei Elyas oder Cem hatte er sich nie festhalten müssen. Hier wurde ihm schnell klar, dass es anders lief. Der Start verlief noch relativ ruhig. Tina fuhr langsam von der Tankstelle weg und fuhr scheinbar ziellos durch die Stadt.
„Erstmal den Motor aufwärmen“, erklärte Tina.
Nach einigen Minuten trat sie völlig unvermittelt aufs Gaspedal, das Auto sprang nach vorne und sie heizten die wenig befahrenen Straßen von Berlin entlang. Die anderen Verkehrsteilnehmer hupten ihnen zu, doch Tina schien das überhaupt nicht zu stören. Stoppschilder und rote Ampeln hin oder her, sie zog ihr Ding durch. Schließlich trafen sie bei der nächsten Autobahnauffahrt auf Michael, der wohl auch gerade eben erst eingetroffen war. Sie lenkten ihre Autos auf die mehrspurige Fahrbahn und als sie gleich auf waren, hupten sie sich zu und das Rennen ging los. Die Straße war wenig befahren. Trotzdem war Michael leicht im Vorteil, weil er links fuhr und deswegen nicht so vielen vor ihm fahrenden Verkehrsteilnehmern ausweichen musste. Er lag leicht in Führung. Tina behalf sich indem sie entweder knapp hinter ihm einscherte, oder rechts überholte. Der Held sah staunend aus dem Fenster. Das hier war in der Tat aufregend. Die Umgebung schien an ihnen vorbeizufliegen. Er sah zu Tina, die hochkonzentriert auf die Straße blickte, um die nächste Chance für ein Ausweichmanöver zu finden. Sie schwenkte hart nach rechts, als völlig unvermittelt ein roter Fiat auf die mittlere Spur wechselte. Michael konnte sich deswegen einen Vorsprung aufbauen. Tina schaltete runter, gab tüchtig Gas und holte langsam wieder auf, dann schaltete sie wieder hoch und war jetzt mit Michael gleich auf. Vor ihnen wurde der Verkehr dichter. Zwei Autos und ein Lastkraftwagen fuhren nebeneinanderher. Mit engen, gefährlichen Manövern fädelte Tina ihren Honda dazwischen durch. Die jetzt hinter ihnen fahrenden Leute gaben empört Lichthupe. Michael hatte diese riskanten Manöver nicht gewagt und er musste jetzt warten bis sich wieder eine Lücke im Wall auftat. Tina juchzte.
„Gewonnen!“
Sie fuhr noch ein Stück und verließ dann die Autobahn. Dort kamen sie an eine andere Tankstelle, die blau leuchtete und wo auch allerhand hochgetunte Autos und Leute standen.
„Das hat Spaß gemacht“ sagte der Held und grinste.
Tina sah ihn mit leuchtenden Augen an.
„Ja, mir auch. Schön, dass es dir gefallen hat. Deine erste Fahrt?“
„Naja, jedenfalls war so eine noch nicht dabei.“
Tina lachte.
„Dafür hast du dich gut gehalten. Du hattest wohl gar keine Angst was? Ich hatte schon ein paar Leute mit, aber die fangen dann irgendwann an, sich so krampfhaft festzuhalten und rumzuwimmern. Ich weiß auch nicht …“
Sie reichte ihm die Hand.
„Jederzeit wieder, wenn du willst.“
Der Held schüttelte ihre Hand und stieg dann aus. Jetzt fuhren auch Michael und Elyas vor, die nicht so glücklich aussehen.
„Was sollte das denn? Du hättest fast einen Unfall verursacht“, empörte sich Elyas.
Tina verdrehte die Augen.
„Heul nicht rum! Wenn du das nicht abkannst, hast du hier nichts verloren.“
Pikiert wandte sich Elyas ab, während Michael der Gewinnerin einen Batzen Geld in die Hand drückte. Dann hingen sie alle in der Tankstelle ab, wo sie sich einen Kaffee genehmigten. Elyas schimpfte noch lange über Tina, bis es auch Michael nervte.
„He, ist doch jetzt mal gut. Ich fand’s auch scheiße und ich hab viel Geld verloren, aber siehst du, dass ich rumjammere?“
„Hmpf“, kam es von Elyas, der jetzt nichts weiter dazu sagen wollte.
Der Held wunderte sich über die Beiden. Was machten sie nur für einen Aufstand? Es war doch gar nichts weiter passiert. Heute machte Michael kein Rennen mehr und sie fuhren zu seiner Werkstatt zurück, wo Elyas ausgebessertes Auto zur Abholung bereit stand. Der Held verabschiedete sich und lief wieder durch die Stadt, um weiter Sumpfkraut zu verkaufen.
Milten hatte eine stressige Nacht hinter sich. Ständig wurde er im Krankenhaus angepiept. Mehrmals musste er Manatränke schlucken, um überhaupt noch genügend magische Kraft zur Verfügung zu haben. Wenn er doch mal für einige Zeit eine Pause hatte, verbrachte er die im Bereitschaftsraum, wo er vor mehreren Medizinbüchern hockte. Eins in dem verschiedene Krankheiten und ihre Symptome beleuchtet wurden, aber oft verstand er fast gar nichts, weil es so viele Fachwörter gab, was ihn veranlasste sich zwei weitere Bücher neben das erste zu legen, die diese Fachwörter erklärten und sich beim Lesen ständig unterbrechen zu müssen, um nachzuschlagen. Ein Anatomiebuch lag etwas abseits, das er aber zu Rate zog, wenn er wissen wollte wo im Körper sich etwas befand, von dem er las. Er stellte fest wie kompliziert Medizin war und wie umfangreich das Wissen der Ärzte sein musste. Milten war frustriert. Wie sollte er das nur alles lernen? Und musste er das überhaupt? Er sagte sich, dass es nötig war, um besser einschätzen zu können welche Zauber er anwenden sollte. Er hatte es auch schon erlebt, das seine Zauber keine Wirkung auf seinen Patienten hatten und er sich mit einem Trank behelfen musste, der eigentlich für infektiöse Verletzungen durch Warane und Untoten verwendet wurde. Was wäre, wenn er wieder vor so einem Problem stand und es nicht lösen konnte? Aufmerksam arbeitete er sich durch einen Abschnitt über Pneumonie. Er las, dass eine Lungenentzündung auch durch Bakterien, Viren, giftige Stoffe oder Pilze entstehen konnte. Über Viren und Bakterien hatte er sich belesen und Gift war klar, aber meinten sie mit Pilzen sowas wie den Morgentau, oder das Buddlerfleisch? Er überlegte, dass es sich wohl um eine andere Art von Pilz handeln musste. Viel kleiner, oder vielleicht lag es auch an den Sporen, die diese Pilze abgaben. Er zwirbelte geistesabwesend die Haare an seiner Stirn um seinen linken Zeigefinger, wie eigentlich immer, wenn er dasaß und hochkonzentriert las. Ja, das musste es sein. Eine andere Art von Pilz. Er griff sich eines seiner Nachschlagewerke und blätterte darin, um etwas über Pilze zu finden. Plötzlich piepste sein kleines Gerät los, das er jetzt immer bei sich trug und Milten fuhr erschrocken zusammen. An dieses, „ständig verfügbar sein“, hatte er sich noch nicht gewöhnen können. Er sah auf den Pieper und erfuhr, dass er sich in der Notaufnahme melden sollte. Wieder einmal. In dieser Nacht war er ständig dort gewesen. Wie er bald feststellte, handelte es sich in diesem Fall um das Opfer einer Schlägerei. Das Gesicht des Patienten sah grauenvoll zermatscht aus. Milten hatte so etwas nicht zum ersten Mal gesehen. Auch das war kein Fall für einen schweren Heilzauber. Die Arbeit war in wenigen Minuten erledigt und sein Patient sah aus, als wäre nie etwas gewesen.
„He!“ hörte er eine piepsige, helle Stimme hinter sich.
Als er sich umwandte, erkannte er Saskia, die sich schnell näherte.
„Hast du gerade Zeit? Da sind ein paar junge Männer, die sind … naja … voll zu gedröhnt. Wir wissen nicht was wir mit denen machen sollen. Wir haben versucht sie zu behandeln, als hätten sie Cannabis genommen, aber es muss etwas anderes sein. Sie sprechen nicht so ganz auf die Behandlung an. Vielleicht ist es dieses Sumpfkraut was neuerdings im Umlauf ist.“
„Sumpfkraut?“ fragte Milten verwundert und gleichzeitig alarmiert.
Saskia deutete seinen Ausruf als Unwissenheit.
„Ja, hier, lies dir das mal durch.“
Sie hielt ihm ihr Smartphone hin, wo ein Nachrichtentext angezeigt wurde:
„Neue Droge im Umlauf: Eine neue Droge greift in Berlin um sich. Die als Sumpfkraut bezeichneten Krautstengel werden geraucht und haben in kleinen Mengen einen beruhigenden Effekt. Bei übermäßigem Konsum kommt es allerdings zu Verwirrung, Desorientierung, beeinträchtigter Urteilskraft und Halluzinationen wie das Beispiel eines Mannes zeigt, der selbst bei den niedrigen Temperaturen mitten in der Nacht mit nur einer Unterhose bekleidet über die 115 rannte und lauthals rief: „Sie sind hier überall, die Häuser, sie wandern und springen und tanzen.“
Das plötzliche Auftauchen des Mannes auf der Fahrbahn verursachte mehrere Auffahrunfälle mit Blechschäden und zwei Schwerverletzten. Die Straße musste gesperrt werden, um den halluzinierenden Mann in Gewahrsam zu nehmen. Weiterhin kam es in den frühen Morgenstunden zu einer Massenkarambolage auf der 158 nachdem mehrere Raser miteinander kollidiert waren. Auch sie hatten zu viel Sumpfkraut geraucht. Ein Lastwagen und vierzehn PKW von unbeteiligten Personen wurden in die Unfälle verwickelt. Zweiundzwanzig Menschen wurden dabei verletzt, vier davon schwer. Die Polizei ermittelt, um den Ursprung des Sumpfkrauts zu finden und die Dealer und Hintermänner zu verhaften.“
Wortlos gab der Feuermagier das Smartphone zurück.
„Kannst du dir die Typen mal ansehen? Vielleicht fällt dir ja was ein. Ich fürchte fast, die könnten sich irgendwelche Vergiftungen zugezogen haben, oder so.“
Milten tippte auf „oder so“ und folgte ihr schnellen Schrittes. Sie führte ihn zu einem Zimmer, in dem sich vier junge Männer, vermutlich Anfang zwanzig, aufhielten und ganz offensichtlich nicht wussten wo sie sich befanden. Mit leerem Blick starrten sie ins Nichts. Milten sprach sie an, aber sie brachten nur wirres und unzusammenhängendes Gebrabbel heraus. Saskia stand hilflos daneben und wusste nicht, was sie machen sollte.
„Ein Arzt hat sie sich schon angesehen, aber er wusste im ersten Moment auch nichts anderes mit ihnen anzufangen, als ihnen was zu verabreichen, dass hoffentlich dieses Gift aus ihnen herausschwemmt, aber ich finde nicht, dass es so aussieht, als ob es wirkt.“
„Wann war denn das?“ fragte Milten beunruhigt nach.
Saskia sah auf ihr Smartphone, um die Uhrzeit zu prüfen.
„Etwa um sechs, also anderthalbstunden her. Wenn es jetzt noch keine Wirkung entfaltet hat, dann glaube ich nicht, dass da noch was kommt. Es kann ja sein, dass sie sich wieder von allein erholen, aber vielleicht könnten sie auch schwere Schäden nehmen. Wir haben keine Ahnung was dieses Sumpfkraut eigentlich ist. Wir bräuchten einen Spezialisten.“
Milten sagte sich, dass sie Recht hatte und überhaupt, wenn Lester und der Held ihnen diese Suppe eingebrockt hatten, dann sollten sie die auch gefälligst auslöffeln.
Währenddessen zogen im Versteck leckere Gerüche durch die Räume. Der Held hatte sich an den alten, versifften Herd gestellt und briet das Wildschweinfleisch für das Frühstück. Waldi saß neben ihm und bettelte seinen Herrn an. Schließlich zog der ein noch rohes Stück Wildschweinfleisch aus der Tasche und warf es ihm hin. Der Wolf schnappte das Stück noch im Flug und verzog sich dann in eine Ecke um es zu verschlingen.
„Fleisch zum Frühstück?“ fragte Elyas, der gerade müde ins Zimmer geschlurft kam.
Wenig später kam auch Lester herein und zündete sich als erste Tat des Tages erstmal einen Sumpfkrautstengel an.
„Ja, warum denn nicht? Warum sollte ich denn kein Fleisch braten? Ist doch überhaupt nichts auszusetzen an einem schönen Stück Wildschweinfleisch.“
Elyas verzog eine Augenbraue, irgendwas war Merkwürdig mit seinem Geschäftspartner.
„Hier wollt ihr auch einen Kaffee?“ fragte der Held und schenkte ihnen aus der halbleeren Kaffeekanne etwas ein.
„Was ist denn das?“ wollte Lester wissen.
„Das macht dich wach. Herrlich wach, richtig klar im Kopf, so aufgeputscht wie nach dem Angriff eines rasend randalierenden Razor Rudels.“
Lester sah die ihm dargereichte Brühe skeptisch an, trank dann aber davon.
„Hm… ganz schön bitter. Ist das aus einer Knolle, oder so?“
„Aus Bohnen“, erklärte der Held und wo er die Anderen Trinken sah, entschied er sich auch noch mal eine große Tasse zu nehmen.
In einem Zug kippte er sich das schwarze dampfende Zeug hinter. Elyas nippte an seiner Portion und verschluckte sich dermaßen, dass ihm ein bisschen Kaffee aus der Nase kam. Mühsam schluckte er die Brühe hinunter und hustete dann.
„Himmel, das weckt ja Tote auf.“
„Ach echt? Interessant“, sagte der Held und sah sich den Kaffee genauer an.
Skelette konnte er ja auch schon so beschwören, aber vielleicht ließ sich damit noch anderer Schabernack treiben.
„Wie viel hast du denn da reingetan?“ fragte Elyas heiser.
„Eine Tüte, gestrichen.“
Elyas Augen traten aus seinen Höhlen und er öffnete hastig die Klappe der Kaffeemaschine, wo ein dicker, schwarzer Klumpen Kaffee im Filter hing, der auch nur deswegen nicht mehr bis oben hin voll war, weil es durch den Wasserdurchlauf zwei Zentimeter zusammengesackt war.
„Mann, willst du an nem Herzkasper sterben? Das ist nicht gut, wenn man da so viel rein macht.“
„Und warum geht das dann?“ wollte der Held wissen, der sich überhaupt nicht schlecht fühlte.
„Weil …“
Elyas fiel nichts zu sagen ein. In diesem Moment kam Milten durch die Tür und bevor der noch irgendwas zu sagen wusste, drückte der Held ihm auch schon aufgedreht eine Tasse in die Hand.
„Hier! Das musst du probieren! Das ist Kaffee, so eine Art magischer Trank, der einen völlig wach macht.“
Milten lehnte sich überrascht von der stürmischen Art des Helden zurück und sah ihn skeptisch an.
„Mit dem Zeug muss ich nie wieder schlafen. Nie wieder!“
Er lachte irre.
„Ich fühl mich so richtig wach. Das hätte ich mal haben sollen als ich in Jharkendar war, da hätte mich bestimmt kein Golem einfach so herumgeschubst. Da wäre das alles überhaupt kein Problem gewesen. Ich spüre so richtig wie da verborgene Energien in mir wach werden.“
Milten sah beunruhigt auf seinen Freund. Der Held war ja sowieso schon hyperaktiv, auf was für verborgene Energien musste er sich da gefasst machen?
„Also hör mal …“ fing Elyas sachte an. „Nur wegen dem Kaffee heißt das nicht, dass du nicht mehr schlafen solltest. Irgendwann ist die Wirkung vorbei und du fühlst dich ganz ausgelutscht.“
„Dann muss ich eben wieder Kaffee trinken. Noch mehr Kaffee!“ kam es total euphorisch vom Helden.
„Hör mal, ich muss mit euch beiden reden …“ fing Milten an und zeigte auf Lester und den Helden.
Er kam aber gar nicht weiter dazu etwas zu sagen, denn Gorn, der gerade von der Arbeit heimkam, trat durch die Tür. In den Augen des Helden blitzte es schalkhaft.
„KUMPELKLOPPE!“ brüllte er, rannte zu Gorn und griff ihn stürmisch an.
Sein Freund sah zuerst perplex aus, doch da er ein erfahrener Kämpfer war, ließ er sich nicht so einfach übertölpeln und wehrte seinen Angriff ab. Im Nu war die schönste Kabbelei entstanden und die Einrichtung musste unter dieser brachialen Behandlung derbe leiden. Milten seufzte genervt. Lester feuerte die Kämpfenden an und Elyas konnte nicht glauben was hier gerade passierte. Ein ungutes Gefühl ließ ihn zur Kaffeekanne greifen, die jetzt fast leer war.
„War die mal voll?“ fragte er, doch er bekam keine Antwort.
Eigentlich brauchte er auch keine. Das Geschehen sprach für sich.
„Jetzt hört doch endlich mal auf!“ rief Milten untypisch laut.
Er war müde und genervt von der anstrengenden Nacht und das Letzte was er jetzt gebrauchen konnte waren seine Freunde die durchdrehten.
Es rumste laut, dann wurde es still und Gorn und der Held, die sich beide noch am Wickel hatten sahen verwundert zu Milten. Sonst war er immer so ruhig. Da musste was passiert sein.
„Stimmt was nicht?“ fragte der Held arglos.
Milten atmete geschafft verbrauchte Luft aus und hielt sich kurz seinen schmerzenden Kopf. Dann zeigte er auf Lester und den Helden und sagte streng: „Wegen euch beiden musste ich die Nacht ständig Leute heilen. Es gab viele Unfälle und Verletzte, weil es eure Käufer mit dem Sumpfkraut übertrieben haben und jetzt hab ich da im Krankenhaus ein paar Typen, die sind so high, dass ich überhaupt nicht weiß, wie ich das wieder hinbiegen soll.“
„Hm…“ kam es von Lester. „Keine Ahnung wie das kommt. Ich hab den Leuten immer gesagt, dass sie nicht alles auf einmal rauchen sollen.“
Er warf einen fragenden Blick zum Helden, dessen Gesichtsausdruck klar verriet, dass er nichts dergleichen gesagt hatte.
„Äh… die sind doch alle erwachsen …“
Er sah wie Milten eine Augenbraue hob.
„…naja, fast alle…“
Sein Freund verschränkte die Arme vor der Brust.
„… äh … die Meisten. Man sollte doch denken, das die selbst wissen wann es Genug ist.“
„Ah ja“, kam es in gespielt freundlichem Tonfall von Milten. „Und das kommt ausgerechnet von dir. Sehen wir uns doch mal dieses Loch in der Wand an…“
Er zeigte auf einen Riss, der entstanden war, als Gorn den Helden gegen die Wand geworfen hatte.
„Das … das nennt sich Durchreiche, hab ich gehört. Das wertet das Haus sogar noch auf“, sagte der Held schlagfertig.
„He, geht doch mit Milten mit und helft ihm, ok?“ schlug Gorn vor, damit es nicht wieder Streit gab.
Lester war auch einverstanden und der Held wollte auch mitkommen, auch wenn er davon abgehalten werden musste sich noch eine Tasse Kaffee zu holen.
Als alle drei im Krankenhaus waren, führte Milten seine Freunde zu den bekifften jungen Männern. Lester erkannte sie wieder.
„Ja, diesen Studenten hab ich gestern etwas Sumpfkraut verkauft.“
Er griff in seine Tasche, holte einen Sumpfkrautstengel hervor und zündete ihn sich an. Dann nahm er einen tiefen Zug und blies den grünen Rauch ins Zimmer.
Milten warf ihm einen missbilligenden Blick zu.
„He, sieh mich nicht so an! Ich hab ihnen gesagte, dass sie nicht alles auf einmal rauchen sollen. Kann ich was dafür, wenn sie nicht hören?“
Lester sah sich die Studenten genauer an.
„Hm… sieht so aus, als hätten sie sich alles auf einmal reingezogen.“
Milten sah sich nervös um und beeilte sich die Tür zu schließen. Das Letzte was er jetzt gebrauchen konnte, war jemand vom Krankenhauspersonal, der hereinkam und sah wie ein gesuchter Drogendealer Sumpfkraut in ihrem Krankenhaus rauchte.
Der Held schnippste vor einem der Typen mit den Fingern herum.
„He … lass das“, kam es benebelt von dem Studenten und er schlug ungelenk nach dem Helden.
Dann brabbelte er irgendwas Unverständliches.
„Damals als Fortuno so drauf war, da hab ich ihm ein paar Stengel grünen Novizen gegeben. Das ist etwas stärker als normales Sumpfkraut. Dann konnte ich einigermaßen verständlich mit ihm reden.“
„Du kannst die doch nicht noch mehr zudröhnen!“ empörte sich Milten.
Der Held sah gekränkt zu ihm herüber.
„Warum denn nicht? Letztes Mal hat es auch funktioniert.“
Der Feuermagier seufzte genervt. Womit hatte er das verdient?
„Und was machen wir jetzt mit denen? Wie kriegen wir sie wieder fit?“ wollte der Feuermagier wissen.“
„Tja… also, wenn damals bei der Bruderschaft jemand zu viel Sumpfkraut geraucht hat, dann haben wir sie einfach ausnüchtern lassen, oder sie mussten eben so zur Arbeit.“
„SO?!“ kam es fassungslos von Milten, der auf die Studenten zeigte, die dasaßen wie Zombies.
„Naja …“
Lester sah beunruhigender Weise auch etwas hilflos aus.
„Manchmal kam es schon vor, dass es welche auch so übertrieben hatten. Dann haben ihnen die Gurus so einen Trank verabreicht, damit sie wieder wussten wo oben und unten ist und wieder arbeiten konnten.“
„Ich hab’s!“ kam es aufgeregt vom Helden. „Ich braue ihnen den Trank der Geistesveränderung. Als Furtuno neben der Spur war, hat ihn das auch wieder klar gemacht.“
Lester sah ihn zweifelnd an.
„Meinst du nicht, dass der Trank etwas gefährlich ist? Den haben damals immer nur die Gurus gebraut.“
„Ach was!“ wischte der Held seine Einwände beiseite. „Ich hab das schon hinbekommen. Auf dem Rezept steht, man sollte nur nicht die Dämpfe einatmen, um nicht zu erblinden.“
„Wehe, du experimentierst hier mit den Leuten herum!“ sagte Milten streng, der sich zunehmend unsicherer wurde, ob es eine gute Idee gewesen war die Beiden um Rat zu befragen.
„Dann eben nicht“, kam es gekränkt vom Helden und er verschränkte die Arme vor der Brust.
„Mach dir nicht zu viele Sorgen um sie. Die werden von ganz allein wieder klar. Die müssen sich nur mal so richtig ausschlafen und dann geht es ihnen gut, naja, bis auf die Kopfschmerzen die sie haben werden. Für alle Fälle könntest du einen Heiltrank bereithalten.“
„Ich hab alle verbraucht, die ich bei mir hatte“, erklärte Milten. „Hier gibt es so viel zu tun, dass selbst meine gesteigerten magischen Kräfte nicht ausreichen mich um alle zu kümmern. Ich hab ja schon einige Manatränke getrunken, aber selbst das hat nicht gereicht. Deswegen hab ich auch zu den Heiltränken gegriffen. Ich wünschte, ich hätte mehr davon.“
Der Held griff in seine Tasche und reichte ihm eine Flasche nach der anderen.
„Hier, nimm! Ich hab hier noch einen Vorrat. Du weißt schon … das Zeug aus dem Schläfertempel.“
„Danke. Trotzdem wäre es gut, wenn wir neue herstellen könnten.“
Milten sah seine Freunde fragend an.
„Habt ihr noch die Heilkräuter, die wir im Sumpf gesammelt haben?“
„Ja, natürlich. Wenn wir die einpflanzen, dann können wir die genauso züchten wie das Sumpfkraut… Das könnte eine weitere Geschäftsidee sein.“
Der Held blickte versonnen ins Unbestimmte.
„Was hast du vor?“ fragte Milten, dem übles schwante.
Er schrak zusammen, als die Tür hinter ihm plötzlich aufsprang und Astrid hereinkam. Lester hatte sein Sumpfkraut zum Glück bereits aufgeraucht, aber die Dunstschwaden hingen noch in der Luft. Astrid wunderte sich über diesen Geruch im Raum, doch vermutete sie wohl, dass er von den zugedröhnten Studenten kam.
„Oh, hallo. Was ist denn hier los?“
„Äh… das sind zwei meiner Freunde. Wir haben versucht eine Lösung für dieses Sumpfkrautproblem zu finden.“
Lester hob verwundert eine Augenbraue. Wie konnte denn Sumpfkraut zu einem Problem werden?
Astrid stellte sich vor und reichte den beiden Fremden die Hand.
„Und was ist das?“ fragte sie und zeigte auf die Tränke.
„Das sind Heil- und Manatränke. Sie sollen dabei helfen die Patienten hier zu heilen.“
Astrid sah skeptisch aus. Der Held fand zum Thema zurück.
„Sieh mal, was sollen denn die Leute machen, die nicht ins Krankenhaus gehen können. Die müssen doch auch geheilt werden“, erklärte der Held, nicht ohne Hintergedanken, denn immerhin sollten diese Leute für ihre Heilung was bezahlen.
„Aber warum sollten diese Leute nicht hierherkommen?“ wollte Milten wissen.
„Naja …“
Der Held suchte nach einem Grund.
„Das kostet doch Geld, oder?“
„Ich … ich weiß nicht“, Milten sah Astrid fragend an.
„Die Krankenversicherung der Leute, bezahlt die Behandlung.“
„Und was machen die Leute, ohne Krankenversicherung?“ wollte der Held wissen.
„Naja … die müssen das selbst bezahlen, aber davon gibt es nicht sehr viele. Das sind nur ein paar Prozent, die aus irgendwelchen Umständen keine haben.“
„Aber diese paar Prozent, die müssen ja auch irgendwo hin“, ließ der Held nicht locker und packte weitere Tränke aus, die er auf einen Tisch stellte. „Und die können doch dann zu mir kommen.“
Milten sah ihn zweifelnd an. Ihm fiel nicht ein, warum das eine schlechte Idee sein sollte. Den Menschen würde immerhin geholfen werden, aber er hatte trotzdem ein ungutes Gefühl dabei.
„Mach dir keine Sorgen, wir machen das schon“, sagte der Held augenzwinkernd und klopfte seinem Magierfreund auf die Schulter.
Dann verließen er und Lester den Raum, ein neues Ziel vor Augen. Astrid versuchte noch diese Situation zu durchschauen. Sie nahm einen Mana- und einen Heiltrank und sah sie sich an.
„Hast du was dagegen, wenn ich das mal im Labor untersuchen lasse?“
Milten sah sie unsicher an.
„Da sind nur unbedenkliche pflanzliche Inhaltsstoffe drin. Vertraust du mir nicht? Denkst du, ich will die Patienten vergiften?“
„Nein, dir vertraue ich, aber was ich von deinen Freunden halten soll, das weiß ich noch nicht.“
Eispfötchen
04.02.2018, 12:09
Wieder zurück im Versteck, fragte Lester den Helden: „Meinst du das ernst mit den Heiltränken?“
„Klar, das könnte ein riesen Geschäft sein. Wenn die Leute hier tatsächlich keine Möglichkeit haben sich einfach mit einem Heiltrank oder einem Zauber zu heilen, dann sind die bestimmt bereit riesige Summen für die Heilung einer tödlichen Verletzung zu bezahlen. Vielleicht sogar Tausend Euro!“
„Hm…“
Lester kratzte sich grübelnd am Kopf.
„Hm… ich weiß nicht, ob die Heilpflanzen im Lagerhaus wachsen werden.“
„Dann lass es uns doch rausfinden. Los! Auf geht’s, ich fahr uns hin.“
Der Held griff sich die Schlüssel für Elyas Wagen, die auf der Arbeitsfläche in der Küche lagen.
„Hast du denn gelernt wie man das macht?“ fragte Lester zweifelnd.
„Klar, gestern hat mir Elyas die Grundlagen beigebracht.“
„Meinst du denn das reicht?“
„Warum denn nicht? Als ich die Grundlagen im Schwertkampf beherrschte, bin ich ja auch losgezogen und habe Viecher erschlagen.“
Also stiegen sie in Elyas klappriges Auto und der Held zeigte was er gelernt hatte. Gleich beim Ausparken musste ihm ein anderer Verkehrsteilnehmer, der von hinten kam hupend ausweichen.
„Hat das irgendwas zu bedeuten?“ fragte Lester beunruhigt, was schon etwas heißen sollte.
„Ach, nein, das machen die ständig. Gestern als Tina gefahren ist, da war das auch andauernd.“
„Wer ist denn Tina?“
„Sie ist eine Meisterin im Autofahren. Ich hab mir da einiges abgeguckt“, erklärte der Held, was er bewies, als er ein Stoppschild überfuhr.
Ein Auto kam hinter ihm ins Schleudern, weil er ihm die Vorfahrt genommen hatte und versuchte auszuweichen. Jetzt näherten sie sich einer Ampel. Sie wechselte von Grün zu Gelb.
„Was heißt das?“ wollte Lester wissen.
Der Held zuckte mit den Schultern.
„Tina hat das ignoriert.“
„Jetzt brennt ein rotes Licht. Ich kann mich erinnern, dass Cem und Elyas dann ihren Karren angehalten haben.“
„Zu spät!“ sagte der Held und das Auto schoss über die Kreuzung.
Überall gab es lautes Hupen und kurz darauf ein wildes Durcheinander und lautes Krachen.
„Ich glaube, das sollte so nicht sein“, sagte Lester, der sich umwandte und auf das Chaos hinter ihnen sah.
Der Held war sich unschlüssig.
„Vielleicht hast du Recht. Ich hab ja erst die Grundlagen gelernt. Da sollte ich vielleicht etwas langsamer fahren.“
Milten wurde angepiept und sollte sich beim Notdienst melden. Der diensthabende Notarzt wollte seine Unterstützung, weil sich in der Stadt gerade zahlreiche Unfälle ereigneten. Es würde viel schneller gehen, wenn der Magier mit dabei wäre. Was Milten sah war ein einziges Chaos. Immer wieder hörten sie an den Unfallstellen, dass ein alter klappriger Wagen einfach über die Kreuzungen gefahren sei, obwohl er hätte anhalten müssen. Der Feuermagier bekam ein ungutes Gefühl. Elyas hatte doch einen alten klapprigen Wagen. Er versuchte sich selbst auszureden, dass der Held etwas damit zu tun hatte, denn immerhin gab es bestimmt viele alte, klapprige Wagen in dieser Stadt und versuchte sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Es waren meist leichte Verletzungen. Die Autos waren nicht sehr schnell unterwegs gewesen, als sie kollidierten. Ein PKW war jedoch von einem Lastwagen nach vorne auf einen zweiten geschoben worden. Das Blech war so zusammengedrückt, dass der verletzte Mann aus dem Wagen herausgeschnitten werden musste. Er hatte schwere innere Verletzungen und wäre sicher gestorben, hätte Milten ihn nicht auf der Stelle geheilt. Der Notarzt klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Auch er war am Anfang skeptisch gewesen, wollte den Feuermagier jetzt aber nicht mehr missen.
Lester und der Held waren im Lagerhaus angekommen und hatten probehalber einige Heilpflanzen eingebuddelt.
„Hm…“ kam es skeptisch von Lester. „Ich glaube nicht, dass das funktioniert. Heilpflanzen sind anspruchsvoller, als Sumpfkraut. Ich denke wir sollten uns einen richtigen Sumpf suchen, wo wir die Heilkräuter züchten können.“
„In Ordnung“, sagte der Held nur.
Wenn es nichts zu reden gab, dann sagte er auch nichts weiter. Schweigend verbrachten sie die nächsten Stunden damit, das neu gewachsene Sumpfkraut zu ernten. Als das geschafft war schlug Lester vor, doch mal Gorn in diesem Fitnessstudio zu besuchen, in das er tagsüber oft ging. Auch der Held wollte sich das mal ansehen. Dort angekommen fragte der Held einen Mitarbeiter nach Gorn.
„Da hinten im Kraftraum“, sagte dieser und wies ihnen die Richtung.
Sie fanden Gorn auf einer Liege, wo er einen Stab hochhob, an dem links und rechts Gewichte befestigt waren.
„He Gorn“, begrüßte ihn der Held. „Was machst du da?“
„Siehst du doch. Ich trainiere. Das hier nennt sich Gewichtheben“, erklärte Gorn, stemmte das Gewicht hoch und ließ es dann wieder runtersacken, dann stemmte er es wieder hoch und immer so weiter.
„Sieht anstrengend aus“, bemerkte Lester, der sich einen Sumpfkrautstengel anzünden wollte, es dann aber doch bleiben ließ, weil er mit bösen Blicken von ein paar Typen bedacht wurde, die aussahen, als könnten sie einem Snapper im Lauf den Kiefer rausreißen.
„Es würde dir nicht schaden, dich in Form zu halten“, antwortete Gorn.
Er hakte das Gewicht oben an zwei Haltestange fest und setzte sich auf, um Lester erwartungsvoll anzusehen.
„Ach nö, das ist mir zu anstrengend“, wehrte Lester ab.
„Zu anstrengend? Und was willst du machen, wenn es hart auf hart kommt? Sagst du dann auch: Ist mir zu anstrengend?“
„Das sehe ich dann, wenn es so weit ist“, sagte Lester leichthin.
„Dann ist es vielleicht schon zu spät. Man sollte auf alle Eventualitäten vorbereitet sein“, sagte Gorn in hartem Tonfall.
„Sagst du das auch so zu deinen Mitstreitern in Gotha?“ fragte Lester, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich lässig an ein anderes komisches Gerät, das gerade nicht benutzt wurde.
„Ja“, kam es hart von Gorn. „Genau das sag ich zu meinen Jungs. Wie sollten sie überleben, wenn sie nicht in Form sind? Und es wäre mir recht, wenn du nicht im Kampf niedergeknüppelt wirst, weil du zu wenig trainiert hast.“
„Das hört sich ja fast an, als würdest du dir Sorgen um mich machen“, sagte Lester und grinste amüsiert.
„He, das gehört dazu, wenn man eine Truppe anführt. Man muss auf seine Leute achten und ist für sie verantwortlich. Sagen wir, ich hab mich dran gewöhnt.“
„Weißt du, wenn es zu einer gefährlichen Situation kommt, dann lass ich mir schon was einfallen. Ging doch bisher auch immer gut. Ich muss nicht gegen alles kämpfen, was sich mir in den Weg stellt. Manchmal bieten sich da auch andere Wege.“
Gorn sah ihn skeptisch an, griff dann wieder zu der Langhantel und wollte weiter trainieren.
„He, darf ich das auch mal probieren?“ fragte der Held.
„Wenn du willst, aber dieses Gewicht wiegt bestimmt so viel wie du.“
„Ach und du glaubst ich schaff das nicht? Dann pass mal auf!“
Der Held nahm Gorn die Langhantel ab und nahm dann seinen Platz ein. Ohne Probleme stemmte er das Gewicht nach oben.
„Siehst du? Kein Problem.“
Gorn lachte.
„Na schön, wie wär’s mit einem kleinen Wettkampf? Zehn Mal hochstemmen und dann wechseln wir. Danach kommen zehn weitere Kilo dran und die müssen dann wieder zehn Mal hochgestemmt werden und immer so weiter. Mal sehen wer zuerst aufgibt.“
„Fein, dann mal los“, erklärte sich der Held bereit, der sich gerne der Herausforderung stellte.
Er stemmte das Gewicht ohne Schwierigkeiten zehn Mal hoch und überließ den Platz dann Gorn, der die Gewichte sogar noch schneller hochstemmte. Gorn packte jetzt zehn Kilo dazu. Auch die waren überhaupt kein Problem. Als sie bei hundertdreißig Kilo anlangten hatte sich eine größer werdende Gruppe von Schaulustigen um sie gebildet, die sie begeistert anfeuerten. Endlich mal was los. Es wurden Wetten abgeschlossen. Die meisten hofften auf Gorn, doch auch der Held hatte auf einige ganz schön Eindruck gemacht. Ein großer, blonder Kerl, dessen Muskeln irgendwie künstlich aussahen, stellte einen kleinen Kasten auf eine nicht benutzte Liege und Musik kam daraus hervor. Es lief: Rivalry von Airborne.* (https://www.youtube.com/watch?v=YogO904ze5o)
Gorn, Lester und der Held verstanden zwar den Text nicht, aber er hatte eine anfeuernde Wirkung. Die Zuschauer klatschten im Takt der Musik und stampften mit den Füßen, während Gorn und der Held sich immer weiter ins Zeug legten und gerade die zweihundert Kilo Marke überschritten. Der Held kam langsam richtig ins Schwitzen. Es begann extrem anstrengend zu werden. Er reichte die Langhantel an Gorn und musterte ihn beim Stemmen der Zweihundertzehnkilo. Es schien ihn nicht weiter anzustrengen. Tat er nur so? Jetzt war er wieder dran. Er atmete tief ein und pumpte seine Muskeln mithilfe von Adrenalin auf, damit sie der kommenden Anstrengung besser standhalten würden. Er brauchte dieses mal etwas länger, als vorher. Doch erst bei Zweihundertfünzig Kilo zeichnete sich ab, das er nicht sehr viel mehr schaffen würde. Seine Muskeln begannen zu zittern und er hatte Probleme die Stange zum zehnten Mal zu heben.
„Los, weiter!“, „Mach schon!“, „Du schaffst es!“ feuerten ihn diejenigen an, die auf ihn gesetzt hatten.
„Na, du wirst doch jetzt noch nicht aufgeben, oder?“ fragte Gorn grinsend.
„Das hättest du wohl gerne?“ brachte der Held gepresst hervor und hakte die Langhantel oben ins Gestell ein. „Du bist dran.“
Gorn brauchte jetzt auch länger, aber er schaffte die Zweihundertsechzig Kilo trotzdem, ohne schlapp zu machen. Bewundernde Blicke und Sprüche von den Umstehenden.
„Dein Zug“, sagte Gorn, als er sich wieder aufrichtete und er zwinkerte ihm zu.
Der Held holte tief Luft und spülte noch mehr Adrenalin in seinen Körper. Er musste es einfach schaffen. Er wollte nicht schon wieder gegen Gorn verlieren, doch hatte er überhaupt eine Chance? Er griff die Langhantel und die ersten Züge waren durch seinen aufgeputschten Körper auch noch schaffbar, aber dann begannen seine Muskeln unter der Last wieder zu zittern und als er die Stange zum achten Mal hochstemmen wollte, sackten seine Arme ungewollt nach unten. Doch er wollte nicht aufgeben. Er war jemand, der sich immer wieder aufbäumte, nicht nachgab und immer wieder aufstand und weiter machte. Er zwang sich auch noch die letzten zwei Züge zu stemmen. Die Menge jubelte, selbst diejenigen, die eigentlich gegen ihn gewettet hatten. Das war eine sehr beachtliche Leistung und keiner konnte seine Begeisterung mehr zurückhalten. Als er sich aufrichtete, klopften ihm einige der Männer anerkennend auf die Schultern. Jetzt hieß es Zweihundertsiebzig Kilo zu stemmen. Gorn bekam erste Schwierigkeiten. Er schwitzte und die Adern an seinen Armen traten stärker hervor als zuvor. Sein Gesicht verzerrte sich vor Anstrengung. Doch er schaffte es ohne auch nur einen zweiten Anlauf zu benötigen. Er hakte das Gewicht oben ein, richtete sich auf und atmete angestrengt aus. Der Held nahm seinen Platz ein und legte los. Jetzt zitterten seine Muskeln schon beim dritten Zug, doch er ließ sich davon nicht abhalten.
„Weiter! Immer weiter!“ feuerte ihn die Menge an, jetzt ganz gleich von welcher Seite.
Der Held war schweißgebadet und angestrengt holte er Luft. Beim sechsten Zug zitterten seine Arme so stark, dass das Gewicht ihm wieder fast aus den Händen fiel, doch er dachte nicht dran aufzugeben. Er hob es allen Widrigkeiten zum Trotz wieder hoch, ließ es dann aber etwas zu schnell nach unten fallen. Seine Muskeln protestierten schmerzhaft unter dieser Behandlung. Jetzt wurde es sehr schwer die Stange wieder nach oben zu stemmen. Er schaffte es halb, sackte dann aber wieder zurück.
„He, wenn du es nicht schaffst, ist es auch in Ordnung“, sagte Gorn, dessen Gesicht kopfüber erschien.
„Kommt gar nicht infrage!“ sagte der Held dickköpfig.
„Mach keinen Quatsch, Mann“, sagte Lester, der auf der anderen Seite erschien. „Dein Gesicht ist schon ganz rot.“
Der Held hörte nicht auf seine Freunde und stemmte das Gewicht unter Aufbietung all seiner verblieben Kräfte erneut hoch. Dann ließ er es langsamer als zuvor wieder herunter und dann, so sehr zitternd, dass ihm das Gewicht wieder fast aus den Händen fiel, hoch. Damit waren seine letzten Reserven aber aufgebraucht. Er konnte nicht mehr. Der Held schnaufte angestrengt. Sein nächster Versuch scheiterte schon im Ansatz. Schwer lag die Stange auf seinem Brustkorb und hinderte ihn am Atmen.
„He, es ist genug. Du hast bewiesen, dass du ein echter Kraftprotz bist. Es reicht“, sagte Gorn und nahm ihm die Langhantel vom Körper, um sie oben wieder festzuhaken.
Als der Held sich aufsetzte wurde er von den Umstehenden beglückwünscht, als hätte er gewonnen.
„Wahnsinns Leistung.“, „Du bist der Hammer!“, „Voll Krass“, „Sowas hab ich noch nie gesehen.“
„Aber ich hab doch verloren“, keuchte der Held.
Gorn, der auch gefeiert wurde, sagte nur: „Freu dich doch, weil du so bewundert wirst.“
Der Held verstand es aber einfach nicht. Es ärgerte ihn, dass er hatte aufgeben müssen.
„He, du bist doch viel leichter als Gorn. Sieh es doch mal so“, sagte der Typ mit dem Musikgerät, das er jetzt wieder ausschaltete.
Auch er klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Die Menge löste sich auf, um jetzt, hochmotiviert, weiter zu trainieren.
*https://www.youtube.com/watch?v=YogO904ze5o
Eispfötchen
04.02.2018, 14:55
Der Held beschloss im Umland von Berlin nach neuen Orten für den natürlichen Anbau von Sumpfkraut zu suchen. Er hatte gehört, dass es um eine der nächsten Städte, Potsdam, Moore gab. Er wollte sehen, ob diese Orte für das Sumpfkraut geeignet waren. Sie könnten es also einfach einpflanzen und warten, bis es sich selbst vermehrte. Hatten diese Pflanzen einen guten Standort, wucherten sie wie Unkraut. Kaum jemand wusste wie Sumpfkraut aussah. Die Gefahr war also sehr gering, dass ihnen jemand die Pflanzen stahl. Lester sollte natürlich mitkommen. Er konnte viel besser als er beurteilen, ob die Umgebung für die Pflanzen geeignet war. Der Held wollte diesen Trip, aber gleich auch dafür nutzen sich mit dem Wildschweinproblem des Bauern zu befassen. Wenn er schon als Mensch nicht jagen durfte, dann vielleicht als Tier. Waldi durfte bei so einem Ausflug natürlich nicht fehlen. Dem Wolf gefiel die Fahrt überhaupt nicht. Er war gereizt und knurrte hin und wieder. Erst als der Held „Ruhe!“ befahl, kam kein Mucks mehr von ihm. Er parkte den Wagen in einer Schlippe in einem kleinen Wäldchen und sie stiegen aus. Um sie herum ragten große, dürre, kahle Bäume auf. Es war kalt und klamm. Dichte graue Wolken verhingen den Himmel.
„Hier sieht’s ja trostloser aus, als damals im Mienental“, kommentierte Lester die Landschaft.
„Vor, oder nach dem Drachenangriff?“ fragte der Held vorwitzig und zwinkerte ihm zu.
„Gib mir das Sumpfkraut, ich hab extra einen Stoffbeutel dafür mitgenommen“, forderte ihn Lester auf und hielt den Sack auf, damit sein Kumpel die Pflanzen nur noch hineinwerfen musste.
Waldi kletterte aus dem Wagen und schnüffelte an einem Stein, dann hob er ein Bein und strullerte daneben.
„Hast du das Revier markiert? Fein gemacht“ lobte Lester belustigt.
Waldi tat so, als hörte er ihn nicht und kratzte sich stattdessen geschäftig mit der Hinterpfote am Hals.
„Komm, gehen wir ein Stück in den Wald hinein, bevor ich mich verwandle!“, sagte der Held leise und sie liefen los, etwas entlang, das man einen Weg nennen konnte, oder aber auch einen Schlammsumpf.
Nahtlos führte es geradewegs ins Moor. Lester hatte kein Problem damit kalte, nasse Füße zu bekommen. Es war unangenehm, aber wenn es für das Sumpfkraut war, dann ging es in Ordnung. Der Held blieb aber stehen und verwandelte sich in einen Eiswolf. Sein weißes Fell, das am Rücken in einem hellen Blauton schimmerte hob ihn gut sichtbar von seiner Umgebung ab. Waldi war da besser getarnt. Die Umgebung, die ihm eben noch so trist und leblos erschien, steckte jetzt voller Gerüche und Geräusche, die es zu erkunden galt. Der Held sprang los, direkt ins Moor hinein und sog mit seiner feinen Wolfsnase die Duftspur einiger Enten ein. Waldi lief zu ihm und beobachtete interessiert was sein Herr da tat und als dieser dann weiter ins Moor hineinlief, folgte er ihm loyal. Lester kümmerte sich nicht weiter um die Beiden und untersuchte diesen Ort auf bestimmte Merkmale hin. Es war feucht genug und die Erde war ausreichend mit Nährstoffen versorgt. Es könnte höchstens etwas zu kalt sein. Er wiegte seinen Kopf nachdenklich und um besser überlegen zu können, holte er einen Stengel Sumpfkraut hervor und zündete ihn an. Rauchend stapfte er durch den Matsch, wobei jeder Schritt ein schmatzendes Geräusch gab und blieb hin und wieder stehen, um einige der Pflanzen, die hier schon wuchsen zu begutachten. Vielleicht wäre es auch ein guter Ort für Heilpflanzen.
Der Held und Waldi waren derweil schon weit vorgedrungen und waren dabei den Sumpf schon wieder zu verlassen. Sie erreichten erste große, dichte Grasbüschel und stiegen sie hinauf auf eine Wiese, die mit einigen weißen Bändern eingezäunt war. Der Held sah sie nicht als Hindernis und wollte einfach hindurchschlüpfen, doch er berührte eines der Bänder und ein plötzlicher Elektroschock ließ ihn zusammenzucken und aufjaulen. Eilig sprang Waldi herbei, um nach seinem Herren zu sehen. Der Held beschloss zukünftig diese Bänder zu meiden. Er schätzte genau ab und sprang zwischen dem untersten und mittleren Band hindurch. Waldi zögerte nicht und sprang folgsam hinterher. Eine markante Duftnote hatte sie hierhergeführt. Wildschweine. Sie hatten den Rand der Wiese aufgewühlt, um nach fressen zu graben und sich dann im Schlamm gesuhlt. Dieses Elektroband hatte sie offenbar nicht geschreckt. Sie waren auf dem richtigen Weg und überquerten jetzt die Wiese, wo sie auf braune Pferde trafen, die aufhorchten und sie skeptisch musterten. Der Held beachtete sie nicht weiter. Waldi warf ihnen jedoch einen hungrigen Blick zu und blieb stehen. Der Eiswolf knurrte und der Wolf kam eilig wieder an seine Seite. Ihre feinen Nasen führten sie geradewegs zu den Schweinen. Sie hatten sich an einen für Menschen recht unzugänglichen Ort in einem Kessel versammelt und dösten entspannt, die Beine von sich weg gestreckt. Der Eiswolf fing an zu schleichen und Waldi tat es ihm gleich. Er sah schon das Futter, da unterstütze er seinen Herren gerne. Sie schlichen tief über dem Boden geduckt durch das Unterholz, doch der Held war nicht sehr erfahren im Anschleichen als Wolf und so knackte ein Ast unter ihm, den er unvorsichtigerweise zertreten hatte. Die erfahrene Leitbache fuhr auf und warnte mit einem tiefen quieckenden Laut die ganze Rotte, die unerwartet schnell auf den Hufen war und sich nach den Eindringlingen umsah.
‚Jetzt oder nie‘ dachte der Held und schoss los, Waldi an seiner Seite.
Er wollte eins der Tiere anfallen, aber ein größeres Wildschwein vereitelte seinen Angriff mit einem harten Stoß in die Flanke. Der Eiswolf wurde weggeschleudert und rappelte sich mühsam wieder auf. Waldi schnappte nach dem Wildschwein, aber es ergriff bereits die Flucht, den anderen Familienmitgliedern hinterher. Waldi konnte sich nicht entscheiden, ob er ihnen nachrennen oder bei seinem Herrn bleiben sollte und so entkam ihre Beute. Der Held stand jetzt wieder auf seinen vier Pfoten und schüttelte sich. Das war wohl nichts. Er überlegte, dass sein weißblaues Fell vermutlich leicht zu entdecken war. Möglicherweise hätte er als Warg mit einem dunklen Pelz und dem noch kräftigeren Körper mehr Erfolg. Im Moment wollte er aber seine Gestalt nicht wieder wechseln und beschloss zu Lester zurückzukehren. Der hatte bereits alle Pflanzen eingesetzt und spazierte jetzt, genüsslich sein Sumpfkraut rauchend, durchs Moor, entdeckte einen nahen Weg und schlug sich dahin durch. Er nahm noch einen letzten Zug und warf den Sumpfkrautstengel dann in den Schlamm. Als er wieder auf den Weg trat, begegnete er überraschend einem Mann und einer Frau, die jeweils einen Hund mit sich führten. Der Mann war vielleicht Anfang zwanzig, nicht sehr groß, mit einem dichten Bart, und einem Dutt auf dem Kopf. Neben ihm lief ein Mischlingshund, klein, braun und zottelig. Die Frau war größer und vielleicht fünf Jahre älter als er. Sie hatte schulterlange rote Haare, war von schlanker Gestalt und sie nahm jetzt eilig ihren hellen Labrador an die Leine.
„Wo kommen Sie denn her?“ fragte der Mann empört. „Wissen Sie nicht, dass es verboten ist die Wege zu verlassen? Die Tiere, die hier leben werden sonst gestört.“
„Äh…“ kam es ertappt von Lester.
Der Held, immer noch als Eiswolf und Waldi kamen links und rechts an ihm vorbeigesprungen und taten lieb und nett.
„Sind das ihre Hunde?“ fragte die Frau verwundert.
„Äh…ja“ kam es von Lester, glücklich, dass sie ihm eine Erklärung vor die Füße geworfen hatte. „Sie sind mir entwischt, weil sie da irgendwas im Moor entdeckt hatten und als sie nicht zurückkamen, da wollte ich nachsehen wo sie bleiben.“
Diese Erklärung leuchtete den beiden Hundebesitzern wohl sofort ein.
„Ach ja das kenne ich, nicht wahr, Anni?“ fragte die Frau ihre Hündin, die sie ansah.
Der Mann wusste offenbar nicht, ob er glücklich darüber sein sollte, dass sich die Situation geklärt hatte oder nicht. Es sah skeptisch zu Lester und hatte für einen Moment seinen Hund aus den Augen gelassen.
„Balou, komm sofort zurück!“
Doch der Mischling lief schwanzwedelnd auf Waldi und den Helden zu. Waldi knurrte, doch Balou ließ sich davon nicht beirren und lief weiter zum Helden und beschnupperte ihn. Einen Moment schaute er verwirrt, dann wedelte er wieder mit dem Schwanz. Der Held hatte keine Ahnung wie er sich verhalten sollte. Er hatte nicht sehr viel Erfahrung im Sozialverhalten von Hunden und beschloss es ihm einfach nachzumachen und ebenfalls zu schnuppern. Es roch nach Hund, was für eine Überraschung.
„Ich glaube da freunden sich gerade zwei an. Wie wär’s, kommen sie doch mit uns, dann können unsere Hunde gemeinsam herumtoben“, sagte die Frau freundlich.
Lester wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Im Grunde hatten sie es ja nicht eilig und der Held sah auch nicht danach aus, als wolle er sich schnell wieder in einen Menschen zurückverwandeln.
„Ok. Ich kenn mich hier aber überhaupt nicht aus, “ sagte er fast schon entschuldigend.
„Ach das macht doch nichts. Wir gehen hier häufig spazieren. Wir sind eine Hundegruppe“, sagte die Frau und kam auf Lester und die Wölfe zu.
Lester sah verwundert aus, weil er sich unter einer Hundegruppe nichts vorstellen konnte, doch die Frau hatte es offenbar anders interpretiert.
„Nein, wir sind kein Pärchen, wir gehen nur zusammen in die gleiche Hundegruppe, aber heute wollte keiner von den anderen mitkommen und deswegen sind wir nur zu zweit unterwegs. Aber für die Hunde ist es doch viel besser, wenn sie mit vielen anderen zusammen herumstrolchen können“, schnatterte die Frau.
Der Mann sah aus, als würde er sich schon wünschen mit der Frau zusammenzukommen und an seinem Gesichtsausdruck war zu sehen, dass er sich von ihren Worten gekränkt fühlte. Sie bemerkte es aber gar nicht. Sie fummelte an der Leine ihres Hundes.
„So, mal sehen, ob sie sich verstehen.“
Ihr Labrador Anni war wohl froh, die Leine wieder los zu sein, denn sie lief gleich los auf Waldi und den Helden zu. Waldi wollte schon wieder knurren, doch der Held warf ihm einen finsteren Blick zu und hob leicht die Lefzen. Dem ordnete sich Waldi unter und blieb brav im Angesicht der fremden Hündin, die jedoch seine Ablehnung spürte und sich stattdessen auf den Eiswolf konzentrierte. Sie schnupperte ihn ab, was der Held immer noch komisch fand und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, dann sah sie hechelnd zu ihrem Frauchen.
„Ja, fein“, lobte diese. „Sieht so aus, als würden sie sich verstehen. Die haben sich offenbar schon bekannt gemacht. Tun wir es ihnen doch nach. Ich bin Christina und das ist Frank.“
„Ich bin Lester“, stellte er sich vor und sie reichten sich die Hände.
„Und das sind Anni und Balou“, sagte die Frau überflüssigerweise, denn das wussten sie ja nun schon, doch ihm kam es so vor, als wollte sie wissen wie seine beiden Begleiter hießen.
Fieberhaft dachte er darüber nach wie er denn den Helden nennen sollte. Wenn er was Falsches sagte, setzte das nachher bestimmt Haue.
„Und wie heißen deine?“ fragte Christina, die ihre Marschrichtung vorgab, als Lester nichts weiter dazu sagte.
„Ähm … das ist Waldi und der da heißt … Wolfi.“
Er blickte in Hab acht Stellungen zum Helden, aber der lief bloß vor ihm her und wedelte zufrieden mit dem Schwanz.
„Waldi und Wolfi“, lachte Frank.
Christina warf ihm einen warnenden Blick zu, der klar sagte, er solle nicht fies sein und fragte eilig: „Wolfi sieht aber interessant aus. Was ist er denn für eine Rasse?“
„Er ist ein Eis … hund“
„Ein Eishund? Hab ich ja noch nie gehört“, kommentierte Frank.
„Ja, hört sich interessant an. Wo hast du ihn her?“ fragte Christina interessiert.
Lester fragte sich wie er das nun wieder hinbiegen sollte. Er war nicht so gut darin sich schnell irgendetwas Plausibles auszudenken.
„Tja, das ging irgendwie ganz schnell. Ein Kumpel ist dafür verantwortlich, dass ich mich jetzt um sie kümmere. Ehrlich gesagt kenn ich mich nicht so mit … Hunden aus.“
Fast hätte er Wölfe gesagt.
„Hm… vielleicht können wir dir ja ein paar Tipps geben, aber ich muss sagen, für den Anfang sieht es doch schon recht diszipliniert aus.“
Genau in diesem Moment knackte irgendwo im Moor ein Ast und der Held alias Wolfi sprang neugierig darauf zu. Anni und Balou sahen, wie er das tat und wollten auch hinterher und Waldi folgte ihm sowieso. Christina und Frank riefen sofort nach ihren Hunden, doch die kümmerten sich nicht darum. Lester fragte sich wie man so unentspannt sein konnte. Dann liefen die Hunde eben mal weg, na und, bestimmt kamen sie irgendwann wieder.
„Peinlich, da wollen wir dir Tipps geben und dann gehorchen unsere eigenen Hunde nicht.“
Christinas Wangen wurden rot. Eine drückende Stille machte sich breit und um sie zu durchbrechen fragte sie irgendwann: „Ist dir nicht kalt, Lester?“
Er lief nur mit seinem „Ich mag Kraut“ T-Shirt herum und trug nicht wie Christina und Frank eine Jacke. „Nein, es ist noch in Ordnung“, antwortete er und dachte an die eisigen Schneestürme in Nordmar und wie der Held sie vor einiger Zeit mitten durchgeführt hatte.
Der kam am Rand gerade wieder in Sicht. Ohne Beute tapste die Meute durch das stehende Wasser, dafür hatte Balou einen langen Stock im Maul und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, wie eigentlich alle. Wedel, wedel, wedel, wedel …
Der Held schien großen Spaß zu haben. Zusammen mit den anderen tobte er durch den Matsch und war froh über diese Narrenfreiheit, die er als Tier genoss. Er erspähte etwas das sich im nahen Wasser bewegte, fokussierte es und sprang dann los. Erschrocken stellte er viel zu spät fest, dass das Wasser dort viel tiefer war und er gänzlich eintauchte. Die Menschen, die ihm zusahen, prusteten los. Er paddelte eifrig mit den Pfoten und tauchte wieder auf, dann schwamm er zum Ufer, entstieg pitschnass dem Moor, stellte sich neben Lester und schüttelte sich genüsslich.
„He lass das!“ beschwerte sich Lester und verzog genervt das Gesicht.
Der Eiswolf sah ihn schelmisch an und schien ihn auszulachen. Sein Gefolge kam hinter ihm her, allerdings nicht so nass wie er.
„Da vorne ist eine Wiese, da können wir gut mit den Hunden spielen“, sagte Christina fröhlich.
„Spielen?“ fragte Lester verwundert.
Er war zwar für fast jeden Spaß zu haben, aber war spielen nicht etwas für Kinder?
„Spielst du denn nicht mit deinen Hunden?“ fragte Frank verwundert.
„Ich … ähm…“
Lester wusste nicht was er darauf antworten sollte.
„Das ist wichtig für die Entwicklung der Hunde, damit sie sich entfalten können und lernen mit ihrem Menschen zu kooperieren“, fuhr Frank fort, der offenbar sehr viel Wert auf den Spaß seines Hundes legte.
Sie gelangten zur Wiese wo er eine Scheibe auspackte, sie weit weg warf und rief: „Los Blaou, hol den Frisbee!“
Das kleine Wollknäul startete voll durch und fegte über die Wiese, immer dem fliegenden Ding hinterher, hechtete dann hoch und schnappte es noch im Flug.
„Wow, toll, gemacht, mein Kleiner, so, noch mal, los!“ sagte Frank, als der Hund ankam und warf den Frisbee dann wieder weg.
Lester verstand den Sinn dahinter nicht so ganz. Wenn er es wegwarf, warum sollte der Hund es dann wieder holen und warum warf er es dann wieder weg? Als er aber eine Weile zusah, meinte er zu verstehen, dass es einfach nur um den Spaß des Hundes ging, der gerne über die Wiese rannte und diesem Ding nachjagte. Auch Christina holte ein Spielzeug für den Hund hervor. Es war ein kleiner gelber Ball, den sie weit wegwarf und ihr Labrador fegte hinterher. Allerdings brachte sie den Ball nicht gleich wieder an. Die Hündin lief schwanzwedelnd und triumphierend damit umher und legte sich dann erstmal nieder, um auf ihrer Beute herumzukauen. Da half auch das wiederholte Rufen ihres Frauchens nichts.
„Ach nein, so ist das immer wieder. Sie will den Ball einfach nicht mehr hergeben, wenn sie ihn einmal gefangen hat.“
Lester fragte sich im Stillen warum sie das auch machen sollte, wenn der Ball ja hinterher eh wieder nur weggeworfen wurde. Er sah es eher als Ausdruck von Annis Intelligenz.
„So, jetzt du“, forderte Frank Lester auf.
„Was?“ fragte Lester verwundert.
„Hast du irgendwas zum Werfen dabei, das deine Hunde apportieren können? Wenn nicht, reicht auch ein Stock.“
„Was ist denn apportieren?“ fragte Lester nach.
Frank sah erstaunt aus.
„Na, das holen von Gegenständen.“
„Aha“, kam es verwundert von Lester und fast hätte er gesagt: Ich kenn nur teleportieren.
Er schluckte den Satz mühsam hinunter und kramte in seinen Taschen nach etwas, das sich werfen ließ. Er zog seine Windfaustrune hervor und rief: „Wolfi, komm doch mal her!“
Der Held hatte belustigt den Hunden beim Spielen zugesehen und trabte jetzt zu Lester.
„Los, hols!“ sagte Lester und warf die Rune.
Der Held sah ihn einfach nur an, ohne dem Geworfenen auch nur mit dem Blick zu folgen, wie es für Hunde üblich war. Es war klar, was sein Freund ihm sagen wollte: Du hast ja wohl einen Schuss, wenn du glaubst, dass ich das jetzt hole.
„Na los“, versuchte Lester ihn zu überzeugen.
Der Eiswolf grummelte.
„Machs einfach wie die anderen Hunde, ok?“
Er hoffte wirklich sein Freund würde mitspielen, andernfalls wusste er nicht, wie seine Begleiter auf einen derart komischen Hund reagieren würden. Der Held grollte noch mal kurz und ging dann ganz gemächlich los um die Rune zu holen. Frank und Christina sahen verwundert hinterher. Entweder stürmte ein Hund seinem Spielzeug hinterher oder nicht, aber sowas hatten sie auch noch nicht gesehen. Der sogenannte Wolfi kam ganz gemütlich an und spuckte Lester die Rune vor die Füße. Sie war voller Spucke und er vermutete, dass der Held das absichtlich gemacht hatte.
„Und jetzt lobt man den Hund“, erklärte Christina hilfsbereit und sah Lester aufmunternd an.
„Äh… ja, hast du super vollgesabbert, ganz toll.“
War das gerade ein zwinkern vom Helden?
„Du kannst ihn auch streicheln, damit er weiß, dass er seine Sache gut gemacht hat“, kam es von Christina, die etwas verwundert über die Distanz zwischen Lester und seinem Hund war.
Lester und der Held sahen verwundert zu ihr hin und dann sahen sie sich unsicher an.
Der Blick des Helden schien klar zu sagen: Mach jetzt bloß keinen Scheiß, Mann!
Lester klopfte Wolfi kameradschaftlich an die Schulter und sagte: „Guter Hund“
Christina verdrehte die Augen und kam zu ihnen.
„Sieh mal, so“
Sie näherte sich Wolfi langsam, für den Fall, dass er sie nicht akzeptieren würde, aber der war nur vollkommen verwundert was das jetzt sollte. Sie kniete sich hin, streckte die Hand aus und strich ihm dann über den Kopf. Überrascht zuckte er zurück, aber sie ließ sich davon gar nicht weiter beeindrucken und fing an ihn hinter den Ohren zu kraulen. Der Held war zwar verwundert, ließ sich das aber gern gefallen. Lester las in Christinas Blick, dass er es ihr nachtun sollte, aber weil es ihm merkwürdig vorkam seinen verwandelten Kumpel so zu behandeln, hockte er sich lieber zu Waldi, der im Gras liegend schlief und strich ihm durchs Fell. Der Wolf brummte zufrieden und schlief einfach weiter.
„Das ist ein toller Hund“ sagte Christina und sah den Eiswolf verzückt an, während sie ihn streichelte. „Balou ist auch ein toller Hund“ sagte Frank plötzlich, der immer noch mit dem kleinen Mischling Frisbee spielte.
Anni kam schließlich mit ihrem Ball an und ließ ihn vor ihrem Frauchen fallen, dann setzte sie sich auf ihre Schuhe und wollte ebenfalls gestreichelt werden.
„He, mal langsam, meine Gute“ sagte Christina lachend und kümmerte sich jetzt wieder um ihren Hund.
Der Held sprang auf und stürmte auf Waldi zu, um mit ihm ein wildes Spiel zu beginnen. Waldi war noch völlig überrumpelt und im ersten Moment überrascht, weil er nicht wusste, ob sein Herr wegen irgendetwas böse auf ihn war, oder nicht, doch schnell begriff er, dass es sich lediglich um ein Spiel handelte und tollte mit ihm herum. Sie knurrten sich an und balgten sich.
„Willst du nicht dazwischen gehen?“ fragte Frank verwundert und sah auf die kämpfenden Tiere.
„Die spielen doch bloß“ sagte Lester gechillt.
„Das nennst du spielen?“ fragte Frank abschätzig und sah dabei zu, wie Wolfi Waldi gerade am Nackenfell packte und hin und her schüttelte.
„Das sind wilde Kerle, die toben nun mal gern“ antwortete Lester leichthin.
Christina lachte leise.
„Naja, trotzdem können wir bestimmt was Besseres mit ihnen anfangen. Ich denke, dass vor allem Wolfi ein richtig schlauer Bursche ist, dem kann man bestimmt viel beibringen. Lass uns was testen. Ich trainiere gerade mit Anni Mantrailing.“
Lester sah sie mit einem Blick an, der klar verriet, dass er keine Ahnung hatte was das war.
„Es geht darum, dass der Hund einen Menschen oder ein Tier findet. Das ist nicht einfach für den Hund, weil Hunde nach Gerüchen suchen und dabei verstehen müssen, was sie suchen sollen und alle anderen Gerüche herausfiltern müssen“, erklärte sie und rief dann mit einer aufgeweckten sanften und freundlichen Stimme: „Anni, Anni, komm her!“
Ihre Hündin, welche die beiden Wölfe gespannt beobachtet hatte, hob die hängenden Ohren ein Stück und kam dann zu ihrem Frauchen.
„So, jetzt brauch ich noch jemanden, den sie suchen soll. Frank, wie wär’s mit Balou?“
Balou sah aber nicht so aus, als würde er in nächster Zeit vom Frisbee wegzubekommen sein.
„Vielleicht später.“
„Was ist mit Wolfi, oder Waldi? Geh mit einem von ihnen irgendwohin und Anni muss deinen Hund dann suchen.“
„Aber wozu soll ich mitgehen?“ fragte Lester verwundert, wandte sich dann zu den beiden Wölfen, pfiff einmal und rief: „Wolfi, komm rann hier!“
Der Held spitzte die Ohren und ließ von Waldi ab, der froh war, dass dieses wilde Spiel endlich vorbei war. Der Eiswolf kam herbeigetrabt und sah Lester interessiert an, um herauszufinden was sein Freund von ihm wollte. Ganz sachlich erklärte Lester ihm: „Hör mal, das ist ein Experiment. Du gehst jetzt dahinten in den Busch“ Lester zeigte in die Ferne „versteckst dich da und wartest darauf, dass Anni dich findet.“
Wolfi legte kurz hecheln den Kopf schräg, dann stakste er los, um sich an angegeben Ort zu verstecken. Christina sah ihm mit offenem Mund nach.
„Wie hast du das gemacht?“
„Was denn?“ fragte Lester ahnungslos.
Christina schüttelte schnell den Kopf und zwinkerte mehrmals mit den Augen, dann wandte sie sich wieder ihrem Hund zu.
„Anni such Wolfi!“
Sie hielt ihrem Hund ihre Hände hin, die vom Streicheln den Geruch des Eiswolfs trugen. Der Labrador schnupperte aufgeregt.
„Anni such Wolfi, such Wolfi!“ wiederholte die Frau immer wieder.
Endlich ging Anni los und schnupperte die Gegend ab. Allerdings ging sie nicht schnurstracks zum Versteck des Eiswolfes, was Lester wunderte, sie hatte ja gesehen wo er hin ging, sondern sie ging erst mal alle Pfade ab, wo er langgetobt war und dann endlich nach zehn Minuten in die richtige Richtung und fand den Helden, der sich langsam langweilte.
„Juhu, geschafft“, freute sich Christina, als hätte ihr Hund gerade eine große Heldentat vollbracht.
Sie lachte und sagte dann: „Weißt du was Lester, ich probiere mal was bei Wolfi aus, komm mit!“
Sie stupste ihn an und rannte dann über die Wiese zu Wolfis Versteck. Lester fragte sich was diese Eile auf einmal sollte, schließlich konnten sie doch auch langsam gehen. Er fand Christina bei den beiden Tieren. Anni beschnupperte den Eiswolf immer noch von oben bis unten, der sie skeptisch ansah und sich fragte was das sollte.
„Wolfi“ sagte Christina und sie versicherte sich, dass sie seine Aufmerksamkeit hatte.
„Such Waldi!“
Der Held sah Lester fragend an. Sein Freund zuckte aber auch nur mit den Schultern, weil er nicht wusste was das sollte. Der Eiswolf richtete sich auf und lief los über die Wiese zurück zu Waldi, der angstvoll mit einer neuen Kabbelei rechnete und zusammenfuhr, doch als er merkte, dass nichts weiter geschah, als dass sich sein Herr neben ihn setzte, entspannte er sich wieder.
‚Schon wieder diese Rennerei‘ dachte sich Lester und trabte Christina hinterher, die ganz aus dem Häuschen war.
„Wow, hast du das gesehen? Hast du das gesehen?“
Dann rief sie auch zu Frank: „He, Frank hast du das gesehen?“
„Was denn?“ wollte der wissen.
„Ich hab Wolfi gesagt, er soll Waldi suchen und er ist schnurstracks zu ihm gegangen. Ganz ohne Geruchsprobe oder so. Das heißt er muss das Wort mit seinem Freund assoziiert haben.“
Lester fragte sich langsam, ob die Frau noch alle Nadeln an der Tanne hatte. Wie sollte es denn sonst funktionieren?
Der Held wartete währenddessen auf den Grund warum er zu Waldi gehen sollte und als keiner kam lief er verständnislos zu Lester und sah ihn fragend an. Doch der kratzte sich bloß verwirrt am Kopf. Als der Held merkte, dass nichts weiter passieren würde, fing er an wieder mit den anderen Hunden herumzutoben. Balou hatte auch aufgehört mit dem Frisbee zu spielen und schloss sich dem Spiel an. Als kleinster Hund der Meute lief er aber Gefahr unter die Räder zu kommen. Frank war besorgt um seinen Hund und rief ihn zu sich, aber er hörte nicht auf ihn.
„He Leute, könnt ihr vielleicht mal eure Hunde zurückpfeifen? Mein Kleiner hält das bestimmt nicht lange aus. Vor allem deine Hunde haben viel zu viel Energie“, sagte Frank anklagend und zeigte auf Lester.
„Hm… man müsste diese Energie nur fokussieren“ überlegte Christina und griff nach einem Ast und lief damit auf die Hund zu.
„Wolfi, guck mal was ich hier habe.“
Sie wedelte mit dem Ast herum, aber die Tiere waren viel zu sehr in ihr Spiel vertieft, um sie zu beachten.
„Lester, hilf mir doch mal!“ rief sie enttäuscht.
Lester fand, dass ihm diese Hundegruppensache auf Dauer entschieden zu anstrengend wäre. Ständig musste man irgendwohin laufen oder irgendwas machen, da blieb ja überhaupt keine Zeit mehr um sich mal so richtig zu entspannen. Er kam zu ihr gelaufen und fragte: „Was ist denn?“
„Wolfi soll nach dem Ast schnappen“
„Und dann?“
„Zieht ihr um die Wette. Ich hoffe, dass er so seinen unterbewussten Frust abbaut und zukünftig konzentrierter zuhört. Ich denke, er ist ein echt gelehriges Tier, er muss nur erzogen werden.“
„Na, ob das gelingt, bezweifle ich“ sagte Lester stirnrunzelnd.
Er rief nach seinem Freund und hielt ihm den Stock hin. Der Eiswolf blieb stehen sah ihn aber an, als wollte er fragen: Was soll ich denn damit?
Die Hunde sprangen um ihn herum und wollten ihn dazu animieren weiter zu spielen.
„Pass auf, du beißt hier ins eine Ende und ich halt das andere Ende fest und dann ziehen wir um die Wette, mal sehen, wer stärker ist“ erklärte Lester seinem Kumpel.
Frank und Christina sahen verwundert zu. Die Augen des Helden leuchteten auf und er schnappte sich das eine Ende des Stocks. Fast wäre Lester sein Ende aus den Händen gerutscht. Der Eiswolf zog und zerrte, um die Oberhand zu gewinnen, aber Lester ließ nicht nach. Es war eine gute Gelegenheit, um den Helden ein bisschen zu triezen.
„Mehr hast du nicht drauf?“ fragte Lester lachend und zog stärker.
Die Pfoten des Wolfs rutschten auf dem schlammigen Boden nach vorn. Der Eiswolf knurrte und packte den Ast so fest wie ein Schraubstock. Mit seinen vier Beinen stand er stabiler als sein Freund und machte sich das jetzt zu nutze. Ganz langsam, schritt für schritt zog er seinen Kumpel in seine Richtung, dann machte er einen kräftigen Ruck, in der Hoffnung, dass Lester loslassen würde, doch der hielt das Holz fest umklammert. Sie trugen ihren Wettkampf so verbissen aus, dass sie gar nicht mehr merkten, dass die anderen auch noch da waren, bis Christina sagte: „Ein wirklich erstaunliches Tier, hast du mal überlegt mit ihm zu züchten?“
Lester wäre der Ast fast aus der Hand gefallen und der Held vergaß für einen Moment völlig zu knurren und zu ziehen und bekam das Holz kurz so tief in den Rachen, das er würgen musste.
„Was?“ fragte Lester ungläubig.
„Wolfi ist ein wirklich intelligentes Tier, wäre doch schade drum, wenn seine Linie mit ihm endet.“
Lester runzelte die Stirn. Wie kam man denn nur auf solche Sachen? Und was sollte er da nur wieder aus dem Ärmel schütteln?
„Äh, ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist. Ich kann ihn nicht mal an so eine Leine nehmen, er liebt seine Freiheit und ist eigenwillig.“
Der Eiswolf funkelte ihn mit den Augen an.
„Er ist auch sehr stur und hat oft nur Blödsinn im Kopf.“
Der Eiswolf knurrte noch lauter.
„Außerdem streunt er häufig herum und macht die meisten Zeit einfach nur was er will.“
Wolfi zog und zerrte noch kräftiger und war entschlossen diesen Wettkampf zu entscheiden.
„Manchmal kann er auch echt brutal sein“
Mit einem Ruck entriss der Held seinem Freund den Ast und der fiel der Länge nach hin. Der Held kam zu ihm, sprang auf seinen Rücken, damit er nicht wieder aufstehen konnte und weil das noch nicht demütigend genug war ließ er den Ast, den er im Maul trug in Lesters Genick fallen. Sein Freund ächzte und rief dann genervt: „Geh von mir runter!“
Der Held schien sich diebisch über seinen Schabernack zu freuen und sprang dann von ihm weg.
„Ich glaube, ich weiß was du meinst“ sagte Frank und half Lester hoch. „Wirklich ein sehr spezieller Hund.“
Christian, die auf ihre Uhr schaute, sagte: „Ich glaube, ich muss los. War ein schöner Spaß heute. He, Lester, du kannst gerne zu unserer Hundegruppe dazustoßen und nächstes Mal wieder mitmachen.“
Lester sah nicht begeistert aus.
„Ich weiß nicht. Es sind ja eigentlich nicht meine Hunde. Ich pass nur übergangsweise auf sie auf.“
„Überleg es dir. Hier ist meine Telefonnummer.“
Sie reichte ihm einen Zettel, auf dem sie eine Nummer notiert hatte. Frank sah skeptisch dabei zu.
„Ich muss dann auch los. Wir können ja zusammen zurückgehen“, schlug er vor.
Lester musste sich kurz orientieren.
„Meine Jungs und ich müssen da lang zurück“, er zeigte hinter sich in den Wald.
Sie verabschiedeten sich und gingen getrennte Wege. Als sie das Auto fast erreicht hatten, verwandelte sich der Held zurück.
„Na, hast du deinen Spaß gehabt?“ fragte Lester leicht säuerlich.
„Auf jeden Fall, du hättest dein Gesicht sehen sollen, als ich dir die Windfaust vor die Füße gespuckt habe, oder als ich dich im Wettziehen geschlagen habe.“
Der Held lachte. Lester konnte auch nicht lange ernst bleiben und lachte mit. Irgendwie war es ja doch ganz lustig gewesen.
„Vor allem wie sie sich gewundert haben was für ein intelligenter Hund du doch bist. Wie hat er Waldi nur finden können? Ja, wie denn nur?“
„Ja, das war klasse.“
Sie redeten noch eine Weile über ihren Schabernack und als sie alle drei wieder im Auto saßen fragte der Held: „Und was ist jetzt mit diesem Ort? Gut für das Sumpfkraut?“
„Allerdings. Ich hab alles Kraut das ich hatte eingepflanzt und die Heilpflanzen noch dazu. Ich sehe da kein Problem und was ist mit diesen Wildschweinen. Hast du sie alle erwischt?“
Der Held wurde leicht rot um die Nase.
„Nein. Nicht mal eins. Sieht so aus, als wären die Tiere hier sehr schreckhaft. Stell dir vor, die laufen einfach weg, anstatt anzugreifen. Was hältst du davon mal mit mir zusammen als Warg durch die Wälder zu streifen? Zu dritt hätten wir bestimmt mehr Erfolg.“
Lester schien nicht recht zu wissen.
„Weiß nicht.“
„Ach, komm. Das ist eine interessante Erfahrung“, versuchte ihn der Held zu überreden.
„Hm… vielleicht könnten wir ja alle zusammen losziehen“, überlegte Lester.
Der Held strahlte.
„Eine tolle Idee. Das wird ein Spaß! Jetzt müssen wir nur noch Diego und Gorn verwandelt bekommen. Gibt es sowas wie fernverwandlung?“
„Ich weiß nicht, müssen wir mal Milten fragen. Ich denke nicht, dass er mitkommt. Verwandlung in einen Warg … ich glaube nicht, dass ihm das gefällt.“
„Werden wir ja noch sehen“, sagte der Held optimistisch und startete den Motor.
Eispfötchen
10.02.2018, 21:35
Diego verbrachte seine Zeit entweder im Laden, oder er ging durch die Stadt und versuchte herauszufinden, wie sie wieder zurück in ihre Welt kommen konnten. Er hörte sich unauffällig um, soweit das bei diesem Thema überhaupt möglich war, bekam aber nicht viel heraus. Kein Portal, nichts von Beliar, oder Teleportation und so wie er das verstanden hatte, sprachen die Leute hier von einem Schläfer, wenn sich eine Person lange Zeit unauffällig verhielt und dann plötzlich ganz viele Leute angriff. Das brachte ihn aber alles nicht weiter. Er kam gerade zu seinem Laden zurück, schloss auf und hängte das Türschild auf „Geöffnet“ um. Auf der Rückseite stand: „Geschlossen“ außerdem war seine Telefonnummer zu lesen, um ihn doch noch zu erreichen. Es war noch früh am Morgen. Er hatte die Nacht durchgemacht und überlegte gerade doch wieder zu schließen, um schlafen zu gehen, da kam eine elegant gekleidete, aber gestresst wirkende Frau in den dreißigern herein, ein etwa sechsjähriges Kind hinter sich herziehend.
„Gott sei Dank, es ist geöffnet. Ich hab es sehr eilig“, kam es schnell von der Frau.
Das glaubte ihr Diego sofort.
„Ich hab mit meinem Sohn einen Termin beim Arzt, hab aber den Impfpass zu Hause vergessen und nachher muss ich auch noch zur Arbeit. Bin schon spät dran und in all dem Trubel, hab ich die Tür einfach hinter mir ins Schloss fallen lassen. Der Schlüssel liegt natürlich drinnen. Jetzt komm ich vermutlich zu spät zur Arbeit, und beim Arzt kann ich ohne Impfpass auch nicht aufkreuzen. Ist es möglich meine Tür in wenigen Minuten zu öffnen, oder ist das ein komplizierterer Vorgang?“ fragte die Frau geschäftsmäßig und strich sich mit der freien Hand eine Strähne ihres blonden Haares aus den Augen.
„Ich bin optimistisch, dass ich ihnen schnell helfen kann“, sagte Diego, packte ein paar Sachen ein und verließ mit seinen Kunden das Geschäft, wobei er wieder abschloss.
„Meint Auto steht gleich dort im Parkverbot, hoffentlich hab ich kein Knöllchen“, kam es von der Frau, die ihr Kind jetzt einfach hochhob und in ihren hochhackigen Schuhen zum riesigen Wagen lief.
Diego lief staunend hinterher. Die Frau bat ihn, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen, während sie ihr Kind noch auf dem Rücksitz festschnallte, dann selbst einstieg und die Maschine startete. Überraschend Rücksichtslos kämpfte sie sich durch den Verkehr und in nur wenigen Minuten hatten sie das große Haus, in dem sich ihre Wohnung befand, erreicht. Sie hieß ihr Kind im Auto zu warten, schloss dann ab und zeigte Diego wo sich die Tür befand. Der machte sich gleich ans Werk. Es war ein einfaches Schloss. Wie Diego erkannte war das volle Absicht, damit die Türschlüssel der Bewohner sowohl bei ihren Wohnungen als auch bei dieser äußeren Tür passen konnte. Seine Kundin hatte gerade erst ihre Handtasche aus dem Auto geholt, da hatte er das Schloss auch schon geknackt und hielt ihr jetzt charmant lächelnd die Tür auf.
„Nach Ihnen“
Die Frau war ganz offensichtlich positiv überrascht und lächelte dann erleichtert zurück. Sie ging mit schnellen Schritten die Treppen hinauf in den vierten Stock und zeigte Diego ihre Tür. Dieses Schloss zu knacken dauerte nur einige Sekunden länger als die Haustür zu öffnen.
„Schon erledigt, das macht dann einhundert Euro, immerhin ging das jetzt wirklich schnell“, sagte Diego und hielt seiner jetzt strahlenden Kundin ein Gerät hin, das ihm Elyas gegeben hatte.
Marius hatte ihm wohl ein Bankkonto eingerichtet. Diego hatte nicht so ganz verstanden was das war. Er hatte es so verstanden, dass dies ein Ort war, wo das Geld gelagert und bei Bedarf abgeholt werden konnte. Er fand das nicht sehr sicher, aber Elyas hatte ihm gesagt, dass es so gemacht werden musste, wenn er nicht allzu viel Aufsehen erregen wollte.
Seine Kundin schien sich am Preis nicht weiter zu stören, zückte sogleich eine Karte, steckte diese ins Gerät und gab einen Geheimcode ein. Das Gerät piepste und druckte einen Streifen Papier aus, den Diego abriss und seiner Kundin gab. Er hatte sich von Elyas sagen lassen, dass das eine Quittung war und deshalb ausgedruckt werden musste, damit der Kunde das Gefühl hatte, es handle sich um ein ehrliches Geschäft. Die Frau steckte das Papier schnell in ihre Tasche und lief dann in ihre Wohnung, wo er es rascheln und klirren hörte. Wenig später kam die Frau auch schon wieder zurück. Ein rotes Buch und den Schlüssel für ihre Tür in der Hand. Sie schloss die Tür hinter sich und drehte sich dann zu ihm um: „Sie haben meinen Tag gerettet, vielen Dank.“
Sie schüttelte ihm die Hand.
„Ich war gern für Sie da“, antworte Diego höflich.
„Jetzt muss ich aber los“, sagte die Frau und stöckelte schnell die Treppe hinunter.
Diego sah ihr amüsiert nach. Was war das für eine verrückte Welt in der er hier gelandet war? Er machte sich auf den Rückweg. Es war nicht sehr weit und langsam kannte er sich in der Gegend so weit aus, dass er sich nicht mehr verirrte und über die öffentlichen Verkehrsmittel gut Bescheid wusste. Als er seinen Laden erreichte, überkam ihn das merkwürdige Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Hatte jemand bei ihm eingebrochen? Er schloss auf und trat dann auf einen Angriff gefasst ein. Es war niemand zu sehen, doch Diego blieb angespannt. Er vermutete einen Eindringling, der sich hinter der Theke versteckte. Er sah sich nach etwas um, dass er als Waffe verwenden konnte, doch hier gab es nichts geeingnetes. Er vermisste seinen Bogen, obwohl ihm in dieser Situation wohl sein Schwert bessere Dienste leisten würde. Er schlich sich näher heran und meinte jemanden Atmen zu hören. Er blieb stehen und sagte ganz ruhig: „Ich weiß, dass du da bist. Komm raus!“
Ein junger Kerl sprang auf und hielt ihm einen Gegenstand aus Metall hin.
„Bleib da, oder ich schieß dich über den Haufen!“ rief der Mann mit starkem Akzent.
Er sah aus, als hätte er nicht mal zwanzig Jahre erlebt und machte auf Diego einen sehr unsicheren und psychisch instabilen Eindruck. Der ehemalige Schatten versuchte die Lage einzuschätzen. Es konnte von Vorteil sein, um ihn zu überwältigen, aber so war es auch wahrscheinlicher, dass dieses Bürschchen etwas sehr dummes tat und sie hinterher beide tot wären. Er wusste nicht genau was das für ein Ding war, dass er in der Hand hielt, aber aufgrund seiner Worte, vermutete er eine Waffe, die schwere Schäden anrichten konnte. Diego wollte erst mal wissen was sein ungeladener Gast vorhatte.
„Was willst du hier?“
Der Bursche sah ihn mit großen Augen an. Diegos scheinbare Angstlosigkeit ließ ihn unruhig werden.
„He, Alter, die ist geladen, ja? Denk bloß nicht, ich drück nicht ab, wenn’s sein muss.“
Er wedelte ein bisschen mit dem Ding herum und setzte dann hinzu: „Meinem Boss Miftah passt überhaupt nicht, dass deine Freunde hier dieses Scheißkraut verkaufen. Das ist unser Revier. Verpisst euch, oder wir machen euch fertig!“
Diego sackte innerlich ein bisschen zusammen. War ja klar, dass es wegen des Sumpfkrauts noch mal Ärger geben würde. Auf ihn machte dieser Typ keinen wirklich gefährlichen Eindruck. Diego hätte aber nicht so lange überlebt, wenn er sich sofort mit jedem anlegen würde. Er wollte erstmal die Lage überschauen und würde dann entscheiden wie er deswegen verfahren würde.
„Gut, ich richte es meinen Freunden aus. War das dann alles?“
„Dein Geld!“
Der Typ wedelte wieder mit seiner Waffe.
„Her damit, oder ich knall dich ab!“
Diego warf ihm eines der Geldbündel auf den Tresen, von den anderen musste dieser Typ ja nichts wissen.
„Mehr nicht?“
„He, was denkst du, das geht alles zur Bank“ kam es von Diego, der sich richtig angepasst vorkam.
Der Typ schielte ihn merkwürdig an, steckte dann das Geld ein und rief dann: „Geh da rüber und mach keinen Scheiß!“
Diego ging ans andere Ende seines Ladens, während der junge Ganove ihn weiterhin mit der Waffe anvisierte, an ihm vorbeiging, kurz vor der Tür die Waffe hinten in die Hose steckte und dann losrannte, als hätte ihn was gestochen. Diego schüttelte den Kopf. Wenn alle seiner neuen Feinde so waren, dann müsste er sich wohl keine allzu großen Sorgen machen. Doch er verließ gleich darauf wieder seinen Laden, um seinen Freunden von dieser neuen Entwicklung zu berichten.
Währenddessen teleportierte sich Milten gerade zum Versteck zurück.
„Milten! Siehst ja total gestresst aus“, begrüßte ihn Lester, der rauchte und entspannt auf einem Stuhl lehnte, der mit zwei Beinen in der Luft hing.
Seine Füße hatte Lester auf dem Tisch vor sich abgelegt.
„Ach was, wie kann ich denn auch gestresst sein, wenn ich in letzter Zeit nur ständig hinter euch beiden Dealern hinterherräumen muss!“ kam es verärgert von Milten.
„Was ist denn passiert?“
„Was passiert ist? Dein Sumpfkraut, das ist passiert.“
Der Feuermagier war jetzt tatsächlich mal laut geworden. Lester warf ihm einen beunruhigten Blick zu.
„He, jetzt atme erst mal ganz tief durch und erzähl mir ganz der Reihe nach was dich stört.“
Tatsächlich atmete sein Freund tief durch, was aber nicht dazu beitrug, dass er sich entspannte.
„Weil Teile der Bevölkerung total zugekifft sind, ereignen sich ständig Unfälle und ich muss dann quer durch die Stadt und alles wieder geradebiegen.“
„Naja, die Leute müssen sich erst noch an den Umgang mit dem Sumpfkraut gewöhnen. Ich sag immer, dass sie nicht alles auf einmal rauchen sollen, aber manche halten sich wohl nicht dran. Das wird schon, du wirst schon sehen.“
„Ach, werd‘ ich das, ja?“
„Hier, probier‘ doch selbst mal einen. Dann kannst du dich vielleicht auch mal entspannen. Du bist schon die ganzen letzten Tage so gestresst, das ist nicht gut für dich.“
Lester hielt ihm einen Sumpfkrautstengel hin. Milten wehrte ab.
„Ich bin ein Feuermagier, hast du vergessen?“
„Und?“ fragte Lester, weil er da wohl keinen Widerspruch sah.
„Dieses Zeug ist die Wurzel allen Übels.“
„Ach komm, jetzt übertreib doch nicht gleich. Du siehst es oft so verbissen. Weißt du, manchmal, da lösen sich die Probleme ganz von allein, wenn man einfach nichts macht.“
„Ja, weil andere die Probleme lösen“, kam es genervt von Milten.
Er sah sich um und fragte dann: „Wo steckt er eigentlich?“
Lester war vollkommen klar, wen Milten mit „er“ meinte.
„Schläft oben, endlich mal. Der Kaffee war alle und ich konnte ihn dazu überreden sich doch mal auszuruhen.“
„Ausruhen, das hört sich gut an“, sagte Milten geschafft.
In diesem Moment kam Diego zur Tür herein.
„Hallo, wo ist denn ...“
„Schläft“, kam es von Lester, noch bevor sein Freund den Satz beenden konnte.
„Oh…“
Milten merkte gleich, dass etwas nicht stimmte.
„Sag bloß es ist schon wieder was passiert? Haben sie Gorn wieder verhaftet?“
„Was? Nein …“
„Was ist denn los?“ kam es von hinten.
Der Held war nun wohl doch aufgewacht und wollte wissen was der Grund für dieses Palaver war. Diego ließ sich auch nicht lange bitten.
„Vorhin war ein Typ in meinem Laden und meinte, er würde für einen Kerl arbeiten, der uns alle fertig machen würde, wenn ihr nicht aufhört Sumpfkraut zu verkaufen.“
„Warum?“ fragte Lester empört, als wäre es völlig unbegreiflich, warum jemand so etwas verlangen würde.
„Das hier ist wohl sein Revier, wo er niemand anderen duldet.“
„Das wäre doch eine gute Gelegenheit mit dem Verkauf von Sumpfkraut aufzuhören“, schlug Milten vor.
Der Held und Lester sahen ihn verdutzt an.
„Aber es läuft doch gerade so gut“, kam es vom Helden.
Milten warf ihm einen strengen Blick zu.
„Die Stadt ist ganz in Aufruhr wegen eurem Sumpfkraut.“
„Aber das ist doch gut, so kommt es ins Gespräch“, hielt der Held dagegen.
„Ah ja …“ sagte Milten zynisch. „Was könnten das wohl für Gespräche sein? Vielleicht so was wie: Hast du schon gehört, mein Kumpel ist gestern gestorben, weil er zugekifft auf die Straße ging und sich von einem Zehntonner überfahren ließ. Lass uns das doch auch mal versuchen.“
„Naja, so was passiert eben mal, Opfer gibt es immer“, versuchte der Held das Problem kleinzureden.
„Ist das dein Ernst?“ fragte Milten laut.
„Jetzt hört doch mal mit diesen Streitereien auf! Lasst uns lieber überlegen was wir wegen diesen Typen unternehmen, die uns das Leben schwer machen wollen“, hieb Diego dazwischen.
Es wurde kurz still, dann fragte der Held: „Nun, was hattest du für einen Eindruck? Kam dir der Kerl gefährlich vor?“
„Nein“, sagte Diego sofort. „Aber das heißt ja nicht, dass die anderen auch so sind. Vielleicht haben sie nur diesen Burschen geschickt, weil er entbehrlich ist.“
Der Held zückte sein Handy und suchte Elyas Nummer raus.
„Was machst du da?“ wollte Diego wissen.
„Ich frag mal Elyas, ob er was darüber weiß.“
Bald darauf hatte er ihn am anderen Ende der Leitung und erklärte ihm kurz und knapp was passiert war.
„Elyas will wissen wie der Typ heißt, für den dieser andere Typ arbeitet.“
„Mifti, oder so, nein warte, lass mich überlegen“, kam es von Diego und er dachte angestrengt nach. „Miftah, ja so hieß er.“
Der Held gab das so durch und hörte wie Elyas hörbar die Luft einsog. Es fielen noch ein paar Worte, dann wurde das Gespräch beendet.
„Und?“ fragte Diego gespannt.
„Elyas meint, dieser Miftah sei eine große Nummer hier und hätte viele Leute. Er klang irgendwie panisch.“
„Hm…“
Diegos Stirn zerfurchte sich.
„Ich halte es für das Beste, wenn wir auf der Hut bleiben und erst einmal abwarten. Wir müssen versuchen mehr über diese Leute herauszufinden.“
„In Ordnung“, sagte der Held, der Diegos Urteil völlig vertraute.
Unten schepperte die Tür. Gorn war angekommen. Sie weihten ihn gleich in die neuen Vorkommnisse ein. Zum einen fand er es unangenehm nicht zu wissen woher der Feind möglicherweise kommen könnte, weswegen er sich bereit erklärte sich mal deswegen umzuhören, zum anderen war er der Meinung, dass sie mit dem Sumpfkraut schon sehr viel Geld verdient hätten und wissen wollte, ob das denn nicht ausreichte. Er wollte endlich wieder nach Hause. Gorn sorgte sich was in Myrtana geschah, während er hier bloß vor einer Tür herumstand. Leider hatte keiner eine neue Idee, um ihre Heimkehr zu arrangieren. Die Stimmung wurde drückend.
„He, ich … äh … könnte eure Hilfe gebrauchen“, sagte der Held, dem die Sache doch etwas peinlich war.
Seine Freunde horchten auf. Wenn er sie um Hilfe bat, dann musste es sich um eine besonders schwere Aufgabe handeln.
„Was gibt’s?“ wollte Gorn wissen.
„Da ist so ein Bauer, der hat Probleme mit Wildschweinen.“
Die anderen sahen ihn verwundert an.
„Wildschweine?“ fragte Gorn ungläubig.
„Ja, genau. Das Problem ist, das man hier offenbar nicht einfach so jagen darf. Letztens kam so ein Typ und hat mir mit der Miliz gedroht, als ich gerade ein Wildschwein zerlegt habe. Später hab ich es dann als Tier versucht. Als Eiswolf ist mein Pelz aber zu auffällig und ich werde zu schnell gesehen. In Myrtana wäre das an sich kein Problem, weil sich die Tier da ja auch normal verhalten und angreifen, aber hier, da stimmt etwas nicht mit den Viechern. Die laufen einfach weg, sobald sie mich sehen.“
„Hat sich vielleicht rumgesprochen, dass du in Myrtana alles abgemetzelt hast“, witzelte Gorn.
Der Held ging gar nicht weiter darauf ein.
„Jedenfalls, hab ich überlegt, dass es als Warg wohl besser klappt, aber wenn ich nicht allein auf die Jagd gehe, habe ich höhere Erfolgschancen.“
„Und was?“ fragte Gorn verwirrt. „Erwartest du jetzt von uns, dass wir uns ebenfalls in Warge verwandeln? Du weißt doch, dass Diego und ich kein Talent für Magie haben.“
„Naja, …“
Der Held sah Milten seltsam an, so als würde er sich schon denken können was da jetzt für eine Reaktion käme.
„Und du glaubst, ich könnte die beiden irgendwie fernverwandeln, richtig?“ fragte Milten und seufzte.
„Genau“, sagte der Held, froh, dass er es nicht selbst ansprechen musste.
Milten runzelte die Stirn.
„Ich weiß nicht, ob das überhaupt geht.“
„He, beim Heilzauber geht das auch. Das wird nur irgendwie etwas verändert.“
„Ja, aber das irgendwie ist es, was mir Kopfzerbrechen bereitet“, sagte Milten. „Außerdem finde ich es nicht gut, wenn du mit der Magie so herumspielst. Sich nur wegen ein paar Wildschweinen in Warge zu verwandeln kommt mir übertrieben vor.“
„Der Bauer sieht das aber nicht so. Du hättest hören sollen wie verzweifelt er war. Du willst den Leuten doch auch helfen, oder etwa nicht?“
Der Feuermagier wirkte nicht sehr begeistert, auch Diego und Gorn sahen nicht so aus, als wollten sie sich in Warge verwandeln. Lester hatte aber wohl kein Problem damit.
„He, ich hab euch auch geholfen, wenn ihr meine Hilfe gebraucht habt. Jetzt seid ihr mal dran“, setzte der Held hinzu.
Milten gab ein Grummeln von sich.
„Na schön, ich werde sehen, was ich machen kann, aber glaub ja nicht, dass ich mich selbst in so ein Biest verwandle. Ich sehe meinen Anteil mit dem Erstellen der Zauber als erfüllt an.“
„Du weißt ich helf‘ dir jederzeit gern“, sagte Gorn „aber, ich hab dir schon mal gesagt, dass ich mir gar nicht vorstellen will wie es wäre in einem anderen Körper zu stecken. Das ist einfach … unnatürlich.“
Der Held sah ihn enttäuscht an, was Gorn quälte.
„Du willst mich also im Stich lassen?“ setzte der Held noch eins obendrauf.
„Nein, … ach verdammt! Na gut, ich mach’s, aber nur, weil du es bist“, ließ sich Gorn doch noch überreden.
Der Held sah erwartungsvoll zu Diego.
„Also schön, wenn du das unbedingt von mir erwartest …“ sagte der wenig begeistert.
„Das wird bestimmt lustig“, sagte Lester und blies grünen Rauch aus.
Diego und Gorn tauschten einen miesepetrigen Blick.
Nachdem sich Milten etwas ausgeruht hatte, fing er mit der Arbeit an der Fernverwandlung an. Er nahm den Fernheilzauber als Grundlage und startete mehrere Versuche. Gorn und Diego, die gar nicht einsahen sich jetzt auch noch als Versuchskaninchen herzugeben, gingen lieber schlafen. In Lester fand der Feuermagier aber eine geeignete Testperson. Er war voller Zuversicht bei der Sache und konnte es gar nicht erwarten mal ein Warg zu sein.
„Das ist bestimmt eine völlig neue Erfahrung“, sagte er während er Milten bei der Arbeit zusah und Sumpfkraut rauchte.
„Schön, dass du es so positiv siehst“, sagte Milten nüchtern und räumte die beiden Spruchrollen beiseite, die offensichtlich überhaupt keinen Effekt gehabt hatten.
Ein neuer Versuch zeigte, dass Milten es geschafft hatte. Es gelang ihm Lester in einen Warg zu verwandeln. Lester schielte auf seine lange Schnauze und tapste dann noch etwas unsicher im Raum herum. Der Held kam zur Tür herein, sah den Warg und sagte lobend zu Milten: „Toll, du hast es geschafft. Jetzt steht einer nächtlichen Jagd nichts mehr im Wege.“
Der Feuermagier sah skeptisch dabei zu, wie sich auch der Held in einen Warg verwandelte und auf Lester zugesprungen kam. Der hatte sich aber schon so etwas gedacht, nachdem er oft genug gesehen hatte wie er mit Waldi umging und wich seinem Rempler aus. Dann startete er seinerseits einen Angriff und flüchtete dann zum lädierten alten Sessel. Der Held packte das Kissen, das dort lag, mit seinem Maul und hieb es seinem Kumpel auf den Pelz. Lester schnappte danach. Knurrend zogen und zerrten sie daran, bis das Füllmaterial herausquoll.
Milten seufzte.
„Hätte ich geahnt, dass ihr nur wieder dummes Zeug damit vorhabt, dann hätte ich es nicht gemacht.“
Lester und der Held hielten in ihrem Gerangel inne und sahen ihn an. Der Held spuckte das Kissen aus, verwandelte sich wieder in einen Menschen zurück und ging zu Milten.
„Aber es macht richtig Spaß mit euch lauter dummes Zeug zu veranstalten.“
Auf Miltens wenig begeisterten Gesichtsausdruck fügte er hinzu: „Ach komm schon. Sei kein Spielverderber. Gönn dir doch auch mal etwas Spaß.“
„Es ist nur so, dass ich es nicht unbedingt als Spaß bezeichnen würde, als Warg durch die Gegend zu springen.“
„Hm… dann werde ich mir für dich wohl noch etwas anderes einfallen lassen“, sagte der Held und grinste verschmitzt.
„Bloß nicht. Wie ich dich kenne ist es entweder sehr gefährlich oder irgendwie gesetzlich oder moralisch fragwürdig.“
Der Held ging gar nicht weiter darauf ein, sondern holte Gorn und Diego, damit sie aufbrechen konnten.
Der Held parkte Elyas Wagen am Rand des Grunewaldes und stieg aus. Gorn, der vorne gesessen hatte, sah zuerst nicht so aus, als würde er aussteigen wollen, tat es dann aber doch. Diego, der sich den Rücksitz mit Waldi und dem verwandelten Lester geteilt hatte, sah noch einmal skeptisch zu den Beiden, die ihn aber nur glücklich hechelnd ansahen und ihm dann aus dem Wagen folgten. Diego und Gorn warfen sich einen unsicheren Blick zu, dann fragte Gorn: „Muss das wirklich sein? Lester, wie ist es so als Warg?“
Lester sah ihn hechelnd an und klopfte dann mehrmals freudig mit seiner Rute auf den schlammigen Boden.
„Ach, Lester geht es gut. Lasst uns ein paar Wildschweine jagen!“ sagte der Held voller Tatendrang.
Er ließ sich von der nervösen Stimmung seiner beiden noch nicht verwandelten Freunde nicht stören und marschierte los.
„Na, sieh es mal so, immerhin gehen wir mal wieder auf die Jagd", versuchte Diego Gorn aufzuheitern und sie folgten dem Helden in den Wald.
Lester und Waldi setzten im wilden Lauf nach.
"So, ich denke das ist weit genug", sagte der Held und zog die Fernverwandlungsrune aus seiner Hosentasche, die ihm Milten gegeben hatte.
"Warte mal!" versuchte Gorn ihn abzuhalten und er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme eine leichte Spur von Nervosität aufwies. "Wie verwandeln wir uns wieder zurück?"
"Das ist ganz einfach und geht jederzeit. Du musst nur willentlich entscheiden, dass es vorbei sein soll und du wieder ein Mensch sein willst."
"Aber wir können ja nicht mit Magie umgehen. Wäre es da nicht möglich, ... ich meine, das wir in der Verwandlung feststecken?" fragte Gorn weiter.
Diego sah jetzt auch unsicher aus.
"Vielleicht sollten wir das nochmal überdenken."
"Ach Quatsch", wehrte der Held ab und wedelte mit der Hand, als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen. "Das wird nicht passieren."
Und ohne weitere Einwände gelten zu lassen verwandelte er erst Gorn, dann Diego und schließlich sich selbst mit der original Warg Rune. Nun standen vier Warge und ein Wolf im dunklen Grunewald. Der Held schüttelte sein Fell und schnupperte dann auf dem Boden herum, um eine mögliche Spur zu finden. Im Moment konnte er nichts entdecken. Er grollte einmal, um seine Freunden zu bedeuten ihm zu folgen. Lester und Waldi kamen gleich zu ihm gesprungen. Diego und Gorn folgten steif. Sie streiften eine Weile durch den Wald, bis sie schließlich auf die Fährte von Wildschweinen stießen. Der Held schnupperte wieder auf dem Boden herum, grollte und rannte dann ins Gebüsch. Sie fanden die Tiere zwischen dicht stehenden Bäumen. Es war eine sehr große Gruppe von mindestens dreißig Tieren. Der Held sah sich kurz nach seinem neuen Rudel um und begann sich dann langsam und möglichst leise an die Wildschweine anzuschleichen. Die Tiere waren sehr aktiv, sie liefen herum und wühlten im aufgeweichten Boden nach Fressbarem. Sie hatten die Gefahr noch nicht bemerkt. Es war wohl die richtige Entscheidung gewesen, sich diesmal als Warg zu verwandeln.
Doch zu früh gefreut. Es knackte unter ihm, die Wildschweine fuhren herum, grunzten und quieckten und suchten dann das Weite. Der Held und Waldi preschten hinterher, mussten die Jagd aber allzu schnell aufgeben. Als sie zu den anderen zurückkehrte, sah der Held wie Diego seinen zotteligen Kopf schüttelte, so als wollte er fragen, was das denn sollte. Er ging jetzt voran und es war unmissverständlich, dass er nun das Jagdkommando übernahm. Es dauerte zwar nicht lange, bis sie die Schwarzkittel wieder gefunden hatten, doch Diego sah nicht so aus, als wollte er zur Tat schreiten. Wachsam überblickte er von einer Anhöhe die Lage und beobachtete die Tiere ganz genau. Sie befanden sich in einer kleinen Senke und schauten sich jetzt immer wieder nach Gefahren um. Der Held hatte ihn eine Weile machen lassen, dann wurde ihm aber langweilig und er wollte etwas tun. Diego schnappte nach ihm und zeigte seine langen Zähne. Das war unmissverständlich. Der Held könnte jetzt eine Auseinandersetzung starten, doch er vertraute auf Diegos Jagderfahrung. Deswegen legte er sich auf den kalten Waldboden und wartete ab. Gorn schien immer noch unzufrieden damit wie sein Körper jetzt aussah. Ständig sah er unglücklich an sich herunter und kratzte mürrisch mit den Krallen im Boden herum. Lester fand das alles hier aber ganz aufregend und interessant. Er blickte sich ständig um und sog all die Eindrücke in sich auf. Endlich setzte sich Diego ganz langsam in Bewegung. Er führte das Rudel zu einer Stelle außerhalb der Senke. Da links und rechts Böschungen aufragten vermutete er, dass die Tiere hier durchkommen würden. Er wies seine Freunde an, hier zu warten und schlich dann wie ein nächtlicher Schatten davon. Dem Helden kam es ewig vor, bis sich hier etwas bewegte, doch dann ging es ganz schnell. Wildes Knurren aus der entgegengesetzten Richtung, dann lautes Quiecken und Schnaufen und das wilde Hämmern von Hufen auf dem Boden. Diego hatte die Rotte aufgeschreckt und trieb sie nun auf seine Freunde zu. Die blieben ruhig liegen, bis die Tiere in Sprungweite waren. Dann schlugen sie los. Mit lautem Knurren stürzten sie sich auf die Tiere. Sie schlugen ihre scharfen, todbringenden Zähne in das dreckige Borstenfell der Wildschweine und rissen ihre fetten Leiber auf. Für kräftige Wargkiefer war selbst der starke Wildschweinkörper kein Problem. Es reichten ein oder zwei gut gesetzte Bisse, um ein Wildschwein zur Strecke zu bringen. Es war ein wildes Getümmel, bei dem die Schweine nur versuchten dieser entsetzlichen Gefahr zu entkommen. Einige wenige hatten versucht gegen die Warge vorzugehen, doch sie fanden nur einen blutigen Tod in den Fängen der Räuber. Die schiere Anzahl der Schweine sorgte dafür, dass einige ihre Blockade durchbrachen und flohen. Der Held wollte sie aber nicht entkommen lassen. Er setzte mit großen, kräftigen Sprüngen seiner Beute hinterher und knurrte furchteinflößend. Ihm machte diese wilde Jagd Spaß. Völlig mitleidslos schnappte er nach dem Schenkel des gehetzten Wildschweins vor ihm und vergrub seine Zähne in dessen Fleisch. Selbst das erbärmliche Quicken seines Opfers hielt ihn nicht davon ab es zu Ende zu bringen. Mit einem kräftigen Biss riss er dem Tier die Kehle auf. Das Quicken verstummte schlagartig, als hätte jemand den Ton abgedreht. Waldi kam herbeigeeilt, leckte sich über die Schnauze und riss dann an den offenen Wunden, um an das noch warme Fleisch zu kommen. Einen Moment lang überkam den Helden das Gefühl, es ihm gleich zu tun. Doch er grollte noch einmal, leckte sich das Blut von den Lefzen und schüttelte sich dann. Er kehrte zu seinen Freunden zurück. Erstaunt stellte er fest, dass dort noch einige Schweine am Leben waren. Gorn und Diego hatten sie eingekreist und Lester näherte sich vorsichtig und gebückt, so als wollte er die Tiere nicht erschrecken. Diese Wildschweine waren noch recht klein, vermutlich noch nicht einmal ein Jahr alt. Es sah aus, als wollte er sie sich einfach mal aus der Nähe ansehen. Der Held wies seine Freunde mit lautem Knurren und Zähne fletschen zurecht. Das hier war kein Streichelzoo. Er stürmte los und machte kurzen Prozess. Das erbärmliche Quicken der Jungtiere war fürchterlich mit anzuhören. Lester sah ihn verwundert an, so als wollte er fragen, ob das wirklich sein musste.
Der Held kümmerte sich nicht weiter darum, sondern folgte der Spur der entkommenen Wildschweine. Erst als auch diese zur Strecke gebracht wurden, gab der Held seine aggressive Haltung auf und lief ausgelassen durch den Wald. Sie kamen an einen Hügel, den sie hinaufstiegen und auf dessen Kuppe sie einen grünen Metallzaun erreichten. Dahinter sahen sie ein großes verfallenes Gebäude. Der Held wollte sich das näher ansehen und schlüpfte durch ein Loch im Zaun. Diego gab ein Grollen von sich. Der Held sah kurz zurück und sah ihn schief an. Dann lief er weiter. Diego und Gorn sahen sich an und folgten ihrem Freund. Waldi und Lester waren schon an seiner Seite. Je weiter sie sich dem Gebäude näherten, umso deutlich wurden Stimmen. Offenbar waren ein paar Kids über den Zaun geklettert. Sie lehnten an bemalten Wänden und rauchten. Einer schüttelte eine Dose und sprühte Farbe an eine Wand. Der Held sah zu seinen Freunden. Der Schalk lag in seinen Augen. Bedrohlich knurrend sprang er aus seiner Deckung hervor und rannte auf die Jungs los. Die sahen aus, als würden sie sich gleich in die Hosen machen und rannten laut schreiend davon. Der Held sah ihnen amüsiert nach. Er gab etwas von sich, dass sich nach einem Husten anhörte, tatsächlich lachte er. Seine Freunde kamen zu ihm. Diego sah ihn vorwurfsvoll an. Der Held verdrehte die Augen, stupste ihn dann mit der Schnauze an und ging dann los, um diesen Ort weiter zu erkunden. Es sah aus wie eine Ruine. Welchen Zweck die mächtige Kuppel auf dem Dach hatte, konnte er nicht wissen. Für ihn sah es nach einem aufgegebenen, alten militärischen Außenposten aus. Innen war es verfallen, aber es gab weder Skelette, noch Zombies. Etwas enttäuscht verließ der Held diesen Ort wieder. Sie liefen zurück durch das Loch im Zaun und dann einen Abhang hinunter und einen erneuten Hügel hinauf. Oben wuchsen keine Bäume. Nur dürres, kraftloses Gras kämpfte sich seinen Weg durch den sandigen Boden. Es war eine weite, offene Fläche und sie konnten die hellen Lichter der riesigen Stadt vor ihnen sehen. Es sah so fremdartig, aber auch schön aus. Das Licht schien ihnen einladend zuzuleuchten. Hin und wieder gab es Lücken in der dichten Wolkendecke am Himmel und sie konnten endlich mal wieder die Sterne sehen. Doch erkannten sie keine der gewohnten Konstelationen. Wo war nur das KSO? Eine Zeit lang saßen sie einfach nur da und sahen sich die Szenerie an, dann zwickte Lester den Helden an der Schulter und rannte davon. Der Held setzte ihm nach und versuchte ihn zu erhaschen. Es war ein tolles Gefühl sich mal keine Gedanken darüber machen zu müssen, dass das ja eigentlich total bescheuert war, sondern sich einfach nur wild und frei zu fühlen und sich darüber zu freuen. Gorn und Diego waren zuerst einfach nur genervt und es brauchte einige Sticheleien, damit sie bei dem Spaß mitmachten. Sie hatten es vielleicht etwas übertrieben, denn auf der wilden Jagd den Abhang hinunter fiel Lester in ein Loch, das er im Dunkeln nicht hatte sehen können. Ein lautes Jaulen machte seine Freunde auf seine Not aufmerksam. Sie kamen zu der Grube und sahen ein wenig belustigt zu ihm hinunter. Lester versuchte wieder herauszuklettern, doch er rutschte an den Wänden immer wieder ab. Der Held forderte ihn auf hochzuspringen. Lester versuchte es, schaffte es aber nicht hoch genug. Beim zweiten Versuch schnappte der Held nach ihm und packte ihn am Nackenfell. Vielleicht etwas zu grob zog er ihn dann aus dem Loch. Dieser kleine Rückschlag trübte die inzwischen lockere Stimmung nicht. Der Held hatte sogar das Gefühl, dass Diego und Gorn es sogar etwas lustig gefunden hatten, wie Lester da in diesem Loch hockte. Ausgelassen tollten sie durch den Wald und hatten jede Menge Spaß. Die Stimmung kippte erst wieder, als sie einen Menschen bemerkten, der durch den Wald ging. Sie schlichen sich näher heran, um herauszufinden was das für ein Mensch war und ob er möglicherweise eine Bedrohung sein könnte. Der Held erkannte den Mann, als den Kerl, der ihn wegen Wilderei der Polizei übergeben wollte und ohne weiter darüber nachzudenken, sprang er aus dem Gebüsch und rannte knurrend und Zähne bleckend auf ihn zu, um ihm mal einen richtigen Schreck einzujagen. Der alte Mann erstarrte und griff dann zitternd nach seinem Gewehr. Diego, der erkannte, dass es sich wohl um etwas ähnliches handelte, wie das, was ihm dieser junge Kerl neulich in seinem Laden vor die Nase gehalten hatte, sprang jetzt seinem Freund zur Seite, um ihm beizustehen, wenn es wirklich zu einem Kampf kommen sollte. Auch der Rest des Rudels kam jetzt dazu. Die Augen des Mannes weiteten sich und er wurde noch blasser. Kalter Schweiß brach ihm aus und er sah aus, als würde er bereuen, heute überhaupt aus dem Bett aufgestanden zu sein. Diego schnappte nach dem Gewehr und zerrte es ihm mit einem kräftigen Ruck aus den Händen. Der Mann drehte sich um und rannte los, wie von Beliar selbst verfolgt. Der Held wollte ihm nachsetzen, um ihn noch ein bisschen zu ärgern, doch Diego hielt ihn mit einem wütenden Grollen zurück. Der Held wollte nicht streiten und ließ den Kerl ziehen. Jetzt schienen die anderen keine große Lust mehr auf weitere Abenteuer als Warg zu haben. Langsam aber sicher manövrierten sie den Helden zurück in die Richtung wo sie das Auto abgestellt hatten. Lediglich Waldi war aufgeweckt wie eh und jeh. Nur einmal konnten sie den Helden nicht zurückhalten einer Spur nachzugehen. Es war eine andere Wildschweinrotte. Kleiner als die erste, mit nur einem Dutzend Mitgliedern. Der Held gab nicht eher Ruhe bis sie alle getötet waren.
Eispfötchen
18.02.2018, 19:45
Als Milten am nächsten Tag im Krankenhaus zufällig eine Zeitung im Wartebereich liegen sah, zuckte er zuerst überrascht zusammen und stöhnte dann, weil er nicht glauben konnte was er da las. Als übergroße Bildüberschrift prangte es auf der Boulevardzeitung:
„Die tollwütigen Dämonenwölfe aus der Hölle: Können wir jetzt alle nicht mehr in den Grunewald?“ Darunter war das Foto von grausig aufgerissenen Wildschweinleibern zu sehen, die im Schlamm lagen. Einen Moment stand der Feuermagier einfach nur da und konnte es nicht fassen, dann nahm er die Zeitung zur Hand, um zu sehen, was seine Freunde jetzt wieder angestellt hatten.
„Heute Morgen wurden zahlreiche tote Wildschweine im Grunewald aufgefunden. Laut ersten Untersuchungen wurden sie Opfer von einem Wolfsrudel. Bisher wurden knapp vierzig tote Wildschweine gefunden. Einer der zuständigen Revierjäger teilte mit, dass er in der gestrigen Nacht von einem Rudel schwarzer Wölfe angegriffen wurde. Die Tiere seien größer und muskulöser gewesen, als er es von Wölfen kennt. In aggressiver Haltung hatten sich ihm die Tiere genähert. Eines habe ihm sogar sein Gewehr aus den Händen gerissen. Der Revierjäger unterstützte aktiv bei der Beschauung der getöteten Wildschweine. Die Bisswunden erhärten die Vermutung, dass es sich hierbei um Wolfsangriffe handelt. Die Wunden sind aber viel tiefer, schwerer und größer, als es typisch wäre. Offenbar reichten ein bis drei Bisse um ein Wildschwein zu töten. Die Kraft der Angreifer war so groß, dass selbst massive Knochen zerbissen wurden. Das ist wichtig für die weiteren Untersuchungen, da solche Schäden nicht von Wölfen zugefügt werden können. Hyänen sind dafür bekannt Knochen mit ihren Zähnen zerbrechen zu können, doch ist es wohl sehr unwahrscheinlich, dass es sich bei den Tieren um Hyänen handelt. Das Blutbad im Grunewald läuft wie eine Erschütterung durch die ohnehin angespannten Fronten der Wolfsbeführworter und –gegner. Schon werden Stimmen laut die Tiere abzuschießen, andere rufen nach umfassenden Studien. Die Wildschweinkadaver werden weiterhin untersucht, unter anderem auch auf Krankheitserreger. Es wird vermutet, dass die Raubtiere Tollwut haben. Der Bevölkerung wird geraten den Grunewald zu meiden, bis weitere Informationen vorliegen, denn offensichtlich scheuen diese Tiere auch vor Angriffen auf Menschen nicht zurück.“
„Mistvieher!“ kam es von einem älteren Herrn, der Milten beim Lesen beobachtet hatte.
Stirnrunzelnd ließ der Feuermagier die Zeitung sinken und sah den alten Mann vor ihm an. Er trug einen Hut und ein kariertes Hemd. Sein Körper wirkte aufgeschwemmt und kraftlos.
„Ich hab schon immer gesagt, dass das kein gutes Ende nimmt, wenn man die Wölfe einfach so frei durch die Gegend spazieren lässt. Man sieht ja was passiert“, kam es um Zustimmung heischend von dem Alten.
Milten hörte gar nicht weiter zu. Alles was ihm durch den Kopf ging war, dass er indirekt mit dafür verantwortlich war. Immerhin hatte er die Fernverwandlungsrune erstellt und dem Helden gegeben. Hatte er die Konsequenzen nicht ausreichend überdacht? Aber wie hätte er ahnen können, dass die Bevölkerung so alarmiert wegen dem Tod von einigen Wildschweinen reagierte? Vielleicht waren diese Tiere ja hier heilig, oder es gab einen anderen Grund für ihren besonderen Schutz? Doch, dass seine Freunde einen Jäger angriffen, das erschütterte ihn nun wirklich. Er würde sie zur Rede stellen müssen.
Er hatte keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn er wurde angepiept. Er warf die Zeitung zurück auf den Besuchertisch und hastete los, um seinem nächsten Patienten zu helfen. Es war wieder in der Notaufnahme. Der Patient war ein drahtiger Fahrradfahrer Ende vierzig, der von einem LKW überrollt wurde. Es stand sehr schlecht um ihn und vielleicht hätte das Personal schon jede Hoffnung aufgegeben, wenn es nicht gewusst hätte, dass es nun hier im Krankenhaus einen Magier gab, der mit seinen wundersamen Heilzaubern helfen konnte. Voller Ehrfurcht sahen die zwei Notfallmedizinerinnen dabei zu, wie er den Heilzauber anwandte und die tödlichen Verletzungen abheilten. Sie entfernten die Beatmungsmaske, die jetzt überflüssig war. Der Patient hob noch etwas träge die Augenlieder.
„Was? Wo bin ich?“
„Es ist alles wieder in Ordnung. Sie sind im Krankenhaus“, erklärte ihm eine der Notfallmedizinerinnen.
Milten sah seine Arbeit hier getan und drehte sich weg, um zu gehen, da sah er Astrid in Begleitung eines älteren Mannes, der nicht verstand, was er da gerade gesehen hatte. Der ältere Mann sah Astrid an, die ihm zunickte und dann ging er zu dem Patienten, um ihn zu fragen wie er sich fühlte.
„Hallo Milten“, begrüßte ihn Astrid. „Auch wenn ich jetzt schon viele Male gesehen habe, wie du jemanden heilst, finde ich es immer wieder erstaunlich.“
Der Feuermagier wusste nicht was er darauf antworten sollte und sagte deswegen gar nichts. Astrid sah ihn verlegen an.
„Ich hab das Ergebnis für die Tränke aus dem Labor. Im Heiltrank ist wirklich nichts Schädliches enthalten. Viele verschiedene unbekannte Pflanzenstoffe, welche die Regeneration des Körpers fördern. Naja … ich könnte dir den Bericht zeigen, aber ich weiß nicht, ob das für dich Aussagekräftig ist. Bei diesem blauen Trank … wie nennst du den?“
„Das ist ein Manatrank zur Wiederherstellung der magischen Kraft.“
„Ja…“
Astrid sah ihn forschend an, um herauszufinden, wie er aufnehmen würde, was sie als nächstes sagte.
„Es sieht so aus, als wären diese Manatränke eine Art Energiedrink mit einem gewissen Alkoholgehalt. Es …, es ist ja gut, wenn du dann wieder zaubern kannst, aber … wie es aussieht, sollte davon nicht zu viel getrunken werden. Im Labor sagen sie, es kann zu Bluthochdruck und Kreislaufproblemen führen und vielleicht … könnte es sogar süchtig machen.“
Milten sah kurz zu Boden, dann sah er ihr wieder in die Augen. Es war klar zu sehen, dass er so etwas in der Art schon wusste und es etwas unangenehm fand, dass ihm das jetzt jemand vorhielt.
„Ja, so etwas in der Art haben meine Kollegen auch festgestellt. Es wird geraten die Tränke nur dann zu nehmen, wenn es unbedingt erforderlich ist. Durch Meditation und ausruhen kann sich ein Magier auch wieder erholen.“
„Naja, …“
Astrid war es unangenehm das anzusprechen, aber sie konnte es nicht unausgesprochen lassen.
„Ich hab dich aber schon öfters diese blauen Tränke schlucken sehen.“
Miltens Augen verengten sich kurz. War das ein Vorwurf? Er fühlte sich unterbewusst in die Defensive gedrängt, versuchte dann aber schnell wieder unvoreingenommen zu antworten.
„Glaub mir, wenn ich die Zeit hätte meine Kraft anders wieder herzustellen würde ich das tun, aber wenn es einen Notfall gibt, dann habe ich keine andere Möglichkeit als einen Manatrank zu trinken.“
„Ist das … normal?“ fragte Astrid unsicher und als Milten nicht antworten wollte, bohrte sie weiter nach: „Wie ist das in deiner Heimat?“
Milten dachte an die vielen Manatränke, die er sich in den letzten Tagen hintergekippt hatte, um einsatzfähig zu bleiben. Er wusste selbst, dass das nicht gut war und es war vermutlich zum großen Teil für seine Gereiztheit mitverantwortlich, aber was sollte er denn tun? Die Menschen sterben lassen? Nein, das konnte er nicht. Er musste ihnen helfen. Doch so viel Magie hatte er in so kurzer Zeit noch nie wirken müssen. Hier gab es so viele Menschen, die alle seine Hilfe brauchten.
„In Myrtana … kommen die Leute unter anderem auch zu uns Magiern um nach Heilung zu fragen, aber es gibt nicht so viele Menschen wie hier. Es ist schon … fordernd.“
Astrid sah ihn besorgt an.
„Ich weiß, es fällt schwer, weil man weiß, dass man gerne allen helfen möchte, aber denk auch daran, dass du dir nicht zu viel zumutest. Nimm nicht so viele von diesen Manatränken, ok?“
Milten wusste nicht, ob er wütend sein sollte, weil sie ihm vorschreiben wollte wie er zu handeln hatte oder ob er es putzig finden sollte, weil sie sich um ihn sorgte. Er sagte sich, dass es wohl einfach nur ein gutgemeinter Rat war.
„Ich versuch‘s.“
„Weißt du … ich denke wir könnten diese Heiltränke auch für Notfälle einsetzen, wenn du nicht da bist. Ich werde mit meinem Abteilungsleiter darüber sprechen. Das größte Problem wird wohl sein, das irgendwie nach außen hin erklären zu können.“
Der ältere Mann, der eben noch mit dem Patienten gesprochen hatte, kam jetzt zu Astrid zurück und sie stellte ihn vor.
„Milten, da ist übrigens mein Vater, der evangelische Pfarrer von dem ich erzählt habe.“
Der Feuermagier sah ihn überrascht an. Das war also jemand von der Kirche hier. Er hätte nicht gedacht, dass er auch nicht anders, als die anderen Leute aussehen würde. Kein Gewand, keine Erkennungszeichen, nichts was ihn von anderen Menschen unterscheiden würde. Woher sollten denn die Bürger wissen, dass er der Kirche angehörte? Der ältere Mann streckte ihm die Hand entgegen und sie begrüßten sich.
„Guten Tag, ich bin Günther. Milten, richtig? Ich hab schon viel über diese Wunderheilungen gehört. Ganz erstaunlich. Und das geht mit Magie?“
Der Feuermagier hörte sowohl Skepsis, als auch Interesse heraus.
„Ja, ich bin ein Feuermagier“, erklärte Milten. „Eigentlich wollte ich ja auch was über eure Religion hier hören.“
„Ich denke wir können uns gegenseitig informieren. Wann ist denn Dienstschluss?“
Milten sah verwundert drein.
„Ich … ich weiß nicht.“
„Milten, wie lange bist du jetzt schon hier?“ wollte Astrid wissen, die sich denken konnte, dass der Feuermagier viel zu lange gearbeitet hatte.
Milten dachte angestrengt nach. Er hatte völlig das Zeitgefühl verloren. Er hatte dem Helden die Rune gegeben und war dann hierhergekommen.
„Gestern Abend.“
„Dann bist du doch bestimmt schon fünfzehn Stunden hier. Mach doch mal eine Pause. Ich rede so lange mit meinem Chef über die Heiltränke.“
Milten sah sich etwas unschlüssig um. Es fiel ihm schwer die Patienten unbehandelt zurückzulassen, aber er gab zu, dass er geschafft und müde war. Eine Auszeit war dringend nötig. Günther schlug vor, zusammen Mittag essen zu gehen und dabei über ihre Religionen zu sprechen. Sie verfielen schnell ins du. Milten wollte zuerst etwas über Günthers Religion hören. Es war dem älteren Mann anzusehen, dass er darauf brannte selbst Fragen zu stellen, doch er hielt sich zurück und beantwortete geduldig die vielen Fragen seines Gesprächspartners. Milten stellte fest, dass es Gemeinsamkeiten mit den Tätigkeiten der Magier in Myrtana gab. Auch hier kümmerten sich die Geistlichen um die Sorgen und Nöte der Bürger. Wie er hörte, gab es eine Kirchensteuer. Dass die Feuermagier darauf noch nicht gekommen waren, wunderte Milten, weil seine Kollegen doch sonst immer so findig waren, wenn es um Spenden an die Innos Kirche ging. Andererseits fand Milten die Aufgabenlage der hiesigen Geistlichen auch etwas dürftig, was aber wohl daran lag, dass sie eben keine Magier waren. Als sie beim Essen waren, hielt es Günther nicht mehr aus und löcherte nun seinerseits Milten mit seinen Fragen.
„Wie ist das in deiner Heimat? Was sind die Aufgaben eines Feuermagiers?“
„Das ist sehr unterschiedlich und hängt davon ab, womit der hohe Rat einen betraut. Er verteilt die Aufgaben. Man kann zum Beispiel in der Bibliothek eingesetzt werden, um zu studieren und magische Schriftrollen und Runen herzustellen, oder man spezialisiert sich auf Alchemie und stellt Tränke her, oder wird für die Ausbildung der Novizen ausgewählt. Natürlich gibt es auch Feuermagier, die sich um die Anliegen der Bürger kümmern. Sie leben dann in der Stadt, oder bei einem Schrein. Die Bürger kommen mit den unterschiedlichsten Absichten zu einem Feuermagier. Manche erbitten den Segen Innos, oder möchten etwas über die Götter erfahren. Andere wollen Spruchrollen oder Bücher erwerben, oder sogar in der Magie unterrichtet werden, was aber nur in Ausnahmefällen gewährt wird. Oder jemand ist verletzt und bittet um Heilung. Manchmal ist es auch schon vorgekommen, dass es einen verfluchten Friedhof zu reinigen gab.“
Günther, der ihm interessiert zugehört hatte, vergaß ganz zu essen.
„Was versteht man denn unter einem verfluchten Friedhof?“ wollte er wissen.
Milten hob eine Augenbraue. War das nicht klar?
„Naja, wie man sich das eben vorstellt, mit Zombies und Skeletten, die aus ihren Gräbern steigen und dann zufällig vorbeikommende Bürger terrorisieren. Paladine übernehmen häufig solche Aufgaben, aber wir Feuermagier machen das auch, wenn es nötig ist. Allerdings muss ich zugeben, dass es in letzter Zeit so viel anderes zu tun gab, das solche Aufgaben wohl etwas zu kurz kamen und von herumreisenden Abenteuern übernommen wurden.“
„Du meinst … so richtige laufende Skelette und wandelnde Leichen? Untote?“
„Ja, genau.“
Günther war fassungslos. Er wollte es einfach nicht glauben. Hätte er nicht gesehen, wie sein neuer Bekannter vorhin einen schwer Verletzten mit Magie geheilt hatte, würde er wohl denken, er sei verrückt.
„Das hört sich nach einem aufregenden Leben an.“
Milten dachte nach.
„Ja, vermutlich, aber eigentlich leben wir Feuermagier noch vergleichsweise ruhig. Manche verlassen fast nie das Kloster und widmen sich ganz ihren Studien.“
„Und was ist mit dir?“
Milten dachte an die vielen vergangenen Abenteuer.
„Ich denke, mein Leben ist aufregend genug.“
Sie aßen einen Moment schweigend weiter, dann fragte der Feuermagier: „Wäre es möglich, dass ich mir mal eine eurer Kirchen ansehen darf?“
„Aber selbstverständlich. Wir können gleich nach dem Essen zu einer gehen, wenn du möchtest."
Günther führte ihn hin. Milten fand es immer noch etwas verwirrend in die unterschiedlichen Verkehrsmittel umzusteigen, aber Günther wusste wohl ganz genau was sie zu tun hatten. Die Kirche war sehr groß, viel größer als die auf Khorinis. Milten hatte gelesen, dass die ehemalige Kirche in Vengard auch riesig war. Vielleicht hätte sie sich mit dieser hier messen können, doch sie war im Orkkrieg bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Milten stellte verwundert fest, dass wohl einfach jeder in die Kirche durfte. Die Leute gingen ein und aus, ohne, dass es eine Torwache gab. Die Feuermagier hätten so etwas wohl nicht zugelassen, aber bei den Wassermagiern wäre es denkbar, nur hatten sie keine Kirchen, außer man zählte diesen kleinen Pavillon in der Hafenstadt Khorinis dazu. Auch von innen wirkte alles sehr gewaltig. Die Einrichtung wirkte seltsam vertraut. Es gab Bankreihen, wo die Gläubigen beten und den Priestern beim Verkünden des Glaubens zuhören konnten.
„Und wer ist das?“ fragte Milten, als sie vor einem großen Kreuz standen, an dem die Figur eines Mannes festgenagelt war.
„Das ist Jesus, der zur Erlösung aller Menschen gesandte Messias und Sohn Gottes.“
Der Feuermagier sah zu diesem Mann hinauf und fragte sich, warum man ihn so darstellte. Wenn er ein Messias war, warum wurde er dann an dieses Kreuz genagelt? Günther konnte sich wohl denken, was ihm durch den Kopf ging und sagte: „Jesus wurde von römischen Soldaten gekreuzigt. Er wurde in einem Felsengrab bestattet, doch als nach drei Tagen nachgesehen wurde, war das Grab leer. Er war wiederauferstanden.“
Milten war sich nicht sicher, handelte es sich jetzt um göttliche Fügung oder Totenbeschwörung?
„Du meinst, so richtig, als er selbst?“
Günther sah ihn erst verwirrt an, dann fiel ihm ihr Gespräch von vorhin mit dem verfluchten Friedhof wieder ein.
„Er war kein Untoter, wenn du das meinst“, sagte Günther und er schaffte es nicht ganz den beleidigten Ton ganz zu vertreiben.
„Ich wollte dich nicht beleidigen, oder deinen Glauben. Ich wollte nur sicher sein, es richtig verstanden zu haben.“
Günther nickte. Er akzeptierte diese Entschuldigung und war seinem jungen Begleiter nicht böse.
„Jesus Auferstehung wird jedes Jahr zu Ostern gefeiert. Es ist nicht mehr lange bis dahin. Wenn du möchtest, kannst du dir dann die Feierlichkeiten hier in der Kirche ansehen.“
„Danke, ich fühle mich geehrt, doch ich weiß nicht, wie lange ich noch hier sein werde. Offen gestanden möchte ich so schnell wie möglich wieder in meine Heimat zurück. Meine Freunde und ich werden dort gebraucht. Du weißt nicht zufällig wie uns das gelingen könnte?“
„Nein, ich hätte überhaupt nie gedacht, dass solche Reisen zwischen Welten überhaupt möglich sind.“
Es war eine Zeit lang still. Keiner wusste etwas zu sagen.
„Astrid erzählte mir, dass es mehrere Weltreligionen gibt. Du bist ein Christ, richtig?“
„Richtig und innerhalb einer Religion gibt es noch verschiedene Konfessionen.“
„Und was gibt es noch für Weltreligionen und woran glauben deren Anhänger?“
„Zum Beispiel gibt es da das Judentum. Wir glauben an den gleichen Gott und verehren Jesus als Sohn Gottes.“
„Und wie heißt euer Gott?“ wollte Milten wissen, dem es merkwürdig vorkam seinen Gott nicht mit Namen anzusprechen.
„Nun …“
Günther wurde unruhig.
„Es gibt … verschiedene Auslegungen. Meist sagen wir einfach „Gott“ oder „unser Herr.““
Er sah, dass das Milten nicht wirklich zufrieden stellte und fügte zögerlich hinzu: „Es ist kompliziert. Die heiligen Schriften wurden vielfach übersetzt und daher ist es nicht eindeutig in unsere Sprache zu übertragen. Wir sagen, wenn wir seinen Namen denn aussprechen, meist Jehova oder Jahwe. Es gibt aber noch viele andere Namen. Schon allein darüber könnte man stundenlang diskutieren.“
Das glaubte ihm Milten sofort. Er fand, wenn man sich schon beim Namen des Gottes, den man anbetete nicht einig war, dann gab es bestimmt unglaublich viel Diskussionsmaterial.
„Und diese anderen Religionen haben auch ihre Kirchen und Geistlichen und alle leben hier in dieser Stadt friedlich zusammen?“ fragte Milten skeptisch.
Wenn man in Myrtana eine Stadt mit je einer Kirche von Beliar, Innos und Adanos aufbauen würde, dann würde es vermutlich immer Streit geben. Es reichte ja schon, dass in Khorinis sowohl ein Feuer-, als auch ein Wassermagier anwesend waren. Im Allgemeinen duldeten sich Wasser- und Feuermagier und arbeiteten auch zusammen, wenn es sein musste, aber das hieß nicht, dass sie sich in allem einig wären. Es gab viele Diskussionspunkte.
„Naja … es gibt viele Diskussionen und hin und wieder handfeste Probleme der Gläubigen, aber im Allgemeinen kommen wir alle in gewisser Weise miteinander aus“, sagte Günther beschwichtigend.
Ja, so hatte sich Milten das gedacht.
„Wenn du möchtest, kann ich dir mal eine Kirche des Judentums zeigen. Es heißt Synagoge. Ich hab einen alten Freund, der dort arbeitet.“
„Gern“, stimmte Milten zu und sie brachen wieder auf und Günther führte ihn mit verschiedenen Verkehrsmitteln ans Ziel.
Diese Synagoge hätte Milten nicht sofort als eine Art Kirche erkannt. Es war eigentlich ein ganz normales Gebäude aus roten Steinen. Drumherum waren kleine Säulen, die aus dem Boden ragten. Wozu die gut sein sollten konnte sich der Feuermagier nicht erklären. Als Zaun war es zu niedrig. Man konnte einfach darübergestiegen, oder dazwischen durch gehen. Vielleicht war es, damit niemand aus Respektlosigkeit davor mit dem Auto parkte, überlegte er. Hier gab es einen Mann, der vor dem Gebäude stand, ob aber als Wache, oder nur, weil es ihm gefiel dort zu stehen, das wusste der Feuermagier nicht. Der Mann trug keine Rüstung, oder eine Kutte, an der man hätte erkennen können ob er irgendwo zugehörig war. Er trug ganz normale Kleidung. Günther redete kurz mit dem Mann. Sie kannten sich offenbar. Sie gingen dann einfach weiter hinein und sahen sich drinnen um. Es gab einen kleinen Innenhof und einige Menschen, die hier standen und sich unterhielten. Sie gingen weiter und kamen in die Synagoge. Auch sie war innen sehr imposant, sogar noch beeindruckender, als die andere Kirche. Mehrere hell erleuchtete Kronleuchter hingen über allem, oben, im ersten Stock gab es zusätzliche Sitzplätze. Die Kirche war so groß, dass vermutlich fast alle Menschen aus Myrtana Platz gefunden hätten. Bald kamen einige Männer zu Ihnen, die Milten als Priester identifizierte. Zwei von ihnen waren sehr alt, sie trugen weiße, krause Bärte und Hüte auf dem Kopf, so dass es nicht ganz so auffiel, dass sie kaum noch Haare hatten. Der dritte Mann war etwas jünger, Milten schätzte ihn auf Mitte Dreißig. Günther stellte Milten vor und erzählte, dass er im Krankenhaus arbeitete. Die Männer wurden sehr skeptisch, als sie von seinen Heilkünsten hörten und glaubten wohl der evangelische Pfarrer wollte sich einen Spaß mit ihnen erlauben. Nur einer der Männer fragte weiter nach, er war vermutlich der alte Freund von Günther.
„Du meinst Magie … so wie bei Harry Potter? Mit Zauberstäben und sowas?“
Günther legte den Kopf schräg und sah Milten fragend an.
„Nun, eigentlich werden hauptsächlich Schriftrollen oder Runen genutzt.“
Der Feuermagier holte eine Lichtrune hervor und drückte sie dem Zweifler in die Hand.
„Es gibt aber noch die alte Magie, bei der man zu seinem Gott betet und dann die Zauber ohne weitere Hilfen anwenden kann. Diese Zauber sind aber anstrengender. Runen und Schriftrollen stellen eine Hilfe für den Magier dar, damit die Zauber nicht so viel magische Kraft benötigen.“
„Und jede Rune hat ihren eigenen Zauber?“ wollte Günthers Freund wissen und gab die Rune zurück.
„Ja, genau.“
„Hört sich an, als wäre der Zauber vorprogrammiert“, sagte der jüngere Jude und grinste schelmisch.
Der dritte Mann sah sich nervös um, als fürchtete er, jemand könne ihre Gespräche belauschen.
„Heute ist so ein schöner Tag. Nach Wochen können wir endlich mal wieder die Sonne sehen. Lasst uns doch raus gehen und im Sonnenschein weiter reden.“
Die anderen hatten keine Einwände und sie gingen wieder hinaus, wo der Mann am Eingang immer noch stand. Tatsächlich taten sich hin und wieder Lücken in der Wolkendecke auf und Sonnenstrahlen blinzelten zu ihnen hinunter.
„Und was gibt es noch für Zauber?“ fragte der junge Jude, der offenbar aufgeschlossener war, als seine beiden älteren Kollegen und das alles sehr lustig fand.
„Oh, es gibt Heilungsmagie, Bechwörungsmagie, Feuer- und Eiszauber, Magie um Untote zu vertreiben, Verwandlungsmagie, sehr unterschiedlich also.“
„Und das kannst du alles?“
„Nein, ich bin ein Feuermagier und bete zu Innos, dem Gott der Ordnung und der Gerechtigkeit. Als Feuermagier nutze ich vorrangig Feuer- und Heilzauber und Magie um untote Kreaturen zu vernichten.“
Die anderen stutzten beim Wort „untot“. Einen Moment sagte niemand mehr etwas.
„Gibt es denn noch andere Magier?“ wollte Günthers Freund wissen und durchbrach damit die Stille.
„Wassermagier nutzen Wasser- und Blitzzauber und manche beschwören einen Golem, als Schutz.“
„Einen Golem, sagst du?“ fragte der zweifelnde Geistliche jetzt interessiert.
„Dämonenbeschwörer setzen aber manchmal auch Golems ein, doch meistens holen sie sich, wie ihr Name schon sagt, Dämonen oder eben Untote als Diener.“
„Hört sich beunruhigend an“, kam es von Günthers Freund.
Milten nickte.
„Ja, ich bin froh, wenn ich nicht mit ihnen zu tun habe.“
„Kannst du deine Worte auch beweisen?“ fragte der Älteste, der Zweifler.
„Magie sollte nicht leichtfertig genutzt werden“, sagte Milten ernst.
Die anderen sahen sich an. Sie glaubten ihm ganz offensichtlich nicht. Milten merkte das und er war sich nicht sicher, was er deswegen tun sollte. Es war ihm nicht recht, wenn Innos Glaube als Spinnerei abgetan wurde. Er sah, wie der Mann an der Tür, der nur mit halbem Ohr zugehört hatte, verzweifelt versuchte seine Zigarette anzuzünden. Erleichtert sah der Feuermagier, dass es immerhin kein Sumpfkraut war.
„Mistding, schon wieder alle“, sagte der Mann, der immer wieder an seinem Zippo herumfingerte. „Hat einer von euch mal Feuer?“
Günther, sein Freund, der Alte und der Jüngere schüttelten die Köpfe.
„Wir rauchen nicht.“
Milten, der dem Mann helfen, aber auch gleichzeitig beweisen wollte, dass es Magie wirklich gab, trat vor und wählte die Rune des Feuerpfeils. Er brauchte sie gar nicht anzuwenden, es reichte, die Rune auszuwählen und ein kleines Flämmchen tanzte auf seiner Handfläche. Er hielt dem Mann an der Tür das Feuer hin, der ihn erstarrt ansah und dann zögerlich seine Zigarette daran entzündete. Milten ließ die Flamme wieder erlöschen und ging zu den anderen.
Die Älteren sahen ihn wie versteinert an, der Mittdreißiger grinste breit.
„Feuermagier, … das glaubt mir keiner.“
Günther fand als nächster seine Sprache wieder.
„Ist das anstrengend?“
„So lange der Zauber nicht direkt angewandt wird brauche ich dafür keine nennenswerte magische Kraft.“
„Du sagtest vorhin was von verfluchten Friedhöfen. Sind dafür auch diese Dämonenbeschwörer verantwortlich? Warum machen die das?“
Milten runzelte die Stirn.
„Wenn ich das wüsste... Manche Krypten werden gezielt von Untoten bewacht, um die darin enthaltenen Schätze zu beschützen. Vielleicht sind es aber auch junge Totenbeschwörer, die ihre magischen Fähigkeiten ausprobieren wollen, …“
Er sah sich verwundert um, als er etwas im Augenwinkel gesehen hatte, das so nicht hierhergehörte. Es war der Held, der aus dem Park kam, dort wo auch der Wasserturm stand, und in Begleitung von zwei Skeletten auf die Straße lief.
„… oder, weil ihnen langweilig ist, siehe Beispiel A.“
Er zeigte zum Helden, der Milten entdeckt hatte und nun auf ihn zusteuerte. Fassungslos sahen die Umstehenden auf die Skelette. Das strahlende Sonnenlicht nahm etwas von dem Schrecken, doch ließ es die Situation nur noch bizarrer erscheinen. Ein Mann, an dem der Held vorbeikam, rief etwas und der Held hielt an. Sie tauschten sich kurz aus, dann lachte der Mann, starrte anerkennend auf die Skelette und hob einen Daumen. Dann setzte sich der Held wieder in Bewegung, bis er bei Milten ankam. Noch bevor er den Mund aufmachen konnte, fragte der Feuermagier streng: „Was soll das? Wozu die Skelette?“
„Mir war langweilig“, erklärte der Held und bestätigte so Miltens Vermutung. „Ich wollte mehr darüber erfahren wie Beschwörungen sich hier auswirken. Die beiden hier latschen jetzt schon zwei Stunden hinter mehr her und fallen einfach nicht zusammen. Naja …“ unterbrach sich der Held und achtete gar nicht weiter auf die erschrockenen und versteinerten Blicke, der anderen Leute, die nicht aufhören konnten die Skelette anzustarren.
„Das eine hier“, der Held zeigte auf das linke kleinere Skelett „das ist schon einige Minuten länger da. Mir fiel auf, dass es klappert, oder … knirscht, jedenfalls so Geräusche macht, was mich wunderte, weil das andere Skelett, dass ich normalerweise immer beschworen habe, nie irgendwelche Geräusche gemacht hat. Hör doch mal!“
Er lief eine kleine Runde, wobei ihm seine Begleiter folgten und das kleinere Skelett knirschte und klapperte, das rechte, größere aber nicht. Dann blieb der Held wieder vor Milten stehen, der nicht glauben konnte, was hier gerade passierte. War sein Freund jetzt wirklich mit den Skeletten durch die Stadt gelaufen, nur um die Geräusche zu untersuchen? Er musste wirklich Langeweile haben und wie man sehen konnte, führte das zu Problemen.
„Ist doch komisch, oder nicht?“ fragte der Held, der hoffte Milten wüsste eine Antwort für das Mysterium des stillen Skeletts.
„Warum fragst du mich?“ fragte der Feuermagier gereizt. „Du weißt ganz genau, dass ich mit Beschwörungen nichts zu tun habe. Woher soll ich das wissen? Ich bin froh, wenn ich mich nicht mit Skeletten herumschlagen muss.“
Der Held hob angesichts von Miltens Laune eine Augenbraue.
„Naja, ich kenne keine anderen Magier hier, die ich fragen könnte“, sprach der Held das Offensichtliche aus.
„Vielleicht ist es ja ein Ninja Skelett“, schlug der Mittdreißiger Jude vor, der sich wieder gefasst hatte und weil er sah, dass keine Gefahr bestand, die Situation doch recht lustig fand.
Wann konnte man schon mal behaupten mit zwei Skeletten auf der Straße gestanden zu haben? Seine Kollegen sahen ihn aber ungläubig an.
„Was meinst du?“ fragte der Held.
„Naja, so eine Art Schleichkämpfer, der darauf trainiert ist keine Geräusche zu verursachen, um seine Gegner zu überraschen. So eine Art Teenage Magic Ninja Skeleton.“
Jetzt sahen ihn seine Kollegen so an, als wenn sie ihn gleich in die Klapse einweisen wollten.
„Was?“ fragte der aber und war sich keiner Schuld bewusst.
„Hm…“ kam es nachdenklich vom Helden. „Du meinst, das ist absichtlich so? Könnte sein. Wie war das noch mal mit dem Runen erschaffen? Man kloppt irgendein Vieh nieder und nimmt dann einen Bestandteil für die Rune, woraufhin das Wesen in der Rune wiederersteht und dann immer wieder vom Magier gerufen werden kann, richtig?“
„Du meinst, so eine Art Pokeball?“ fragte der auf einmal sehr redselige Mittdreißiger dazwischen.
„Sag mal, was machst du eigentlich in deiner Freizeit?“ fragte ihn der Älteste in der Runde.
„He, ich hatte auch mal eine Kindheit“, kam es empört zurück.
„Ist aber auch etwas makaber, oder?“ mischte sich jetzt Günther in die Diskussion ein. „Erst massakriert man ein Geschöpf und stiehlt Körperteile und dann muss es bis in alle Ewigkeit seinem Schlächter dienen.“
„Oder die Rune wird verkauft“, kam es sachlich vom Helden.
„Gilt das dann als Sklaverei?“ fragte Günther zurück.
„Naja, wie sieht denn die Rechtslage von Untoten aus?“ fragte sein Freund zurück.
Milten rieb sich die Schläfen. Er hatte Kopfschmerzen. Geschah das hier alles gerade wirklich? Wann war ihm die Situation so entglitten? Richtig, als der Held kam. Ihm war aber klar, dass sein Freund nicht eher ruhe geben würde, als dass er eine Antwort auf seine Frage erhalten hatte, deswegen sagte er: „Es hängt wohl mit den Fähigkeiten des Magiers zusammen. Ich könnte mir denken, dass fähigere Magier auch mächtigere Kreaturen beschwören können. Es gibt ja niedere Feuerdämonen und ganz normale Feuerdämonen, richtig?“
„Ja, da ist was dran“, sagte der Held nachdenklich.
„Wo hast du die Rune von dem größeren Skelett denn her?“
„Öhm… gefunden“, sagte der Held und drehte den Kopf weg, um mal die Welt zu sehen.
Der Feuermagier vermutete, dass das wohl nicht die ganze Wahrheit war. Vermutlich wollte er es gar nicht so genau wissen.
„Hör mal, du kannst doch nicht einfach mit diesen Skeletten durch die Stadt laufen. Das erschreckt die Bürger doch“, sagte Milten belehrend.
„Hm…“ kam es vom Helden.
„Was haben denn die Leute gesagt, wenn du ihnen begegnet bist?“
„Naja, am Anfang wirkten sie schon etwas ängstlich und fragten was „um Himmels willen“ das ist. Ich erklärte ihnen das sind „special effects“ und dann hatten sie gar keine Angst mehr, freuten sich und lobten mich sogar.“
„Ah … ja“, kam es zähneknirschend von Milten, der sich an den Typ von vorhin erinnerte, als der Held sich ihm genähert hatte. „Trotzdem könnten die Leute Angst haben, oder abgelenkt werden. Gerade im Straßenverkehr kann das schlimme Folgen haben.“
„Ver-stehe“ antwortete der Held.
Eine Zeit lang sagte keiner etwas, dann fragte er: „Und was jetzt? Ich hab keine Ahnung wie ich sie zurückrufen soll. Normalerweise fallen sie einfach so zusammen.“
Keiner konnte, oder wollte darauf eine Antwort geben. „Hm… ich könnte mich wegteleportieren und dann zu mir rufen.“
Ohne weiter darüber nachzudenken, kramte er in seiner Hosentasche nach einer Teleporterrune und setzte sie ein. Er schwebte ein Stück und verschwand dann im blauen Licht. Wie vom Donner gerührt starrten ihn die umstehenden Leute an. Nur Milten fand das normal. Die Skelette drehten sich auf ein unsichtbares Zeichen um und liefen die Straße entlang, in die Richtung, in der sich ihr Herr jetzt befand. Ein Autofahrer wich erschrocken aus und hätte fast ein parkendes Fahrzeug gerammt. Dann zerfiel erst das kleinere Skelett und dann das größere in seine Bestandteile und nur zwei Häufchen Knochen mit Schwertern zeugten von den seltsamen Begebenheiten dieses nachmittags.
Eispfötchen
22.02.2018, 19:52
Als der Held wieder im Versteck angekommen war, hatte er gleich seine beiden Skelette zu sich gerufen. Lester, der gerade die Treppe vom Keller hochkam, um sich etwas zu essen aus dem Kühlschrank zu holen, blieb verwundert stehen.
„He, ist alles klar? Wozu die Skelette? Ist was passiert?“
„Was? Nein, es war einfach nur ein Test. Das eine von denen hier ist nämlich ein Ninja Skelett“, sagte der Held und grinste.
„Aha?“ kam es fragend von Lester zurück. „Und was bedeutet das?“
„Es kann Leute lautlos hinterrücks niederstrecken“, das Grinsen des Helden wurde noch breiter.
Lester schluckte. Ihm war das doch ein bisschen gruselig. Unsicher fragte er: „Und was willst du jetzt mit den Beiden machen?“
Er sah den Skeletten in die leeren, dunklen Augenhöhlen, die ihn anzustarren schienen und ein eiskalter Schauer lief ihm über den Rücken.
„Ich dachte mir, …“ sagte der Held im Plauderton. „… dass sie unten vor dem Keller wache halten könnten.“
„Warum? Glaubst du ich arbeite mir was in die eigene Tasche?“ fragte Lester verletzt.
„Was? Nein!“ kam es resolut zurück. „Die sind für deinen Schutz. Ist wegen dieser Bande von diesem Miftah. Wer weiß, ob die uns mal einen Besuch abstatten und ich könnte mir denken, dass sie dir als unseren Obersumpfkrautzubereiter…“
„Es heißt Koch“, stellte Lester richtig.
Der Held verdrehte die Augen.
„Gut, du als Koch könntest besonders gefährdet sein und deswegen werde ich die Beiden hier unten als Wache abstellen. Jeder, der dir was antun will, wird massakriert.“
Lester wirkte nicht begeistert in Zukunft in Gegenwart dieser beiden Gestalten zu arbeiten.
„He, ich bin nicht schutzlos. Ich hab meine Runen, wer sich mit mir anlegt, wird das bereuen.“
„Sagen wir einfach, ich wäre beruhigt, wenn sie da stehen, in Ordnung?“
„Na schön“, gab sich Lester geschlagen. „Aber wenn ich unterwegs bin, dann kommen die nicht hinterher, oder?“
„Nein, die bleiben einfach hier stehen.“
Der Held wandte sich zu seinen beiden beschworenen Skeletten.
„Also Jungs, das ist Lester. Unter gar keinen Umständen greift ihr ihn an, klar?“
Keine Reaktion.
„Gut. Kommt mit!“
Der Held ging die Treppe hinunter und das eine Skelett klapperte geräuschvoll hinter ihm her, während das andere auf gespenstische Weise ganz ohne Geräusche auskam. Lester zögerte und folgte ihnen dann, um zu sehen, was sein Freund da tat. Er stand jetzt im Keller und postierte die beiden Skelette links und rechts hinter dem Durchgang. So wurden sie nicht gleich gesehen und sorgten bei unliebsamen Gästen für einen ordentlichen Schreck.
„So, hier bleibt ihr stehen und greift jeden an, der hier Ärger macht.“
Der Held winkte Lester heran und sagte: „Komm, testen wir es mal.“
Lesters Herz setzte einen Moment aus, nur um dann mit doppelter Geschwindigkeit weiter zu schlagen. Er wusste, dass sein Freund erst zufrieden war, wenn er es ausprobierte, also nahm er seinen Mut zusammen und trat, etwas zögerlich, in den Keller. Skeptisch sah er die beiden Skelette an. Sie rührten sich nicht, starrten starr geradeaus wie zwei gruselige Statuen. Lester lief ein Schauer über den Rücken, aber er würde vor seinem Freund nie zugeben, dass er Angst hatte.
Es klopft oben an der Tür.
„Erwartest du jemanden?“ fragte der Held.
Lester zuckte mit den Schultern und sagte: „Nein, nicht dass ich wüsste.“
Sie gingen hoch um nachzusehen. In der Tür stand eine unscheinbare, etwa dreißig Jahre alte Frau. Sie hatte braune, schulterlange Haare und trug eine Brille. Ihre Kleider sahen sehr ordentlich aus. Niemand würde vermuten, dass diese Person etwas mit Kriminellen zu schaffen hatte.
„Hi, mein Bruder Marius sagte hier gibt es einen Job.“
Der Held guckte erst verwirrt, dann fiel es ihm siedend heiß wieder ein.
„Ah ja, richtig. Du bist also seine Schwester“, sagte er ziemlich überflüssigerweise.
Dann zuckte er mit den Schultern.
„Ok, komm rein.“
Die Frau sah sich noch einmal um und trat dann ein.
„Hallo ich bin Annette“, sie streckte ihre Hand aus.
Der Held schüttelte sie, sagte aber seinen Namen nicht, weil es da nichts zu sagen gab.
„Und du heißt?“ fragte sie deswegen nach.
„Ich hab keinen Namen“, sagte der Held.
Annette sah erst verwundert aus, dann wurden ihre Augen groß.
„Oh…“ sagte sie im Glauben es zu verstehen.
Sie dachte sich, dass das aus kriminellen Gründen so war. Wenn jemand keinen Namen vorwies, war es schwer für andere ihn zu finden und für seine Machenschaften zur Rechenschaft zu ziehen.
„Und das ist Lester, er ist unser Koch“, stellte der Held vor.
Anette schüttelte auch seine Hand und musterte Lester staunend.
„Du meinst, so richtig ein Drogenkoch?“ fragte sie aufgeregt.
„Es heißt Sumpfkraut“, stellte Lester klar.
„Cool“, kam es von der Frau.
Lester und der Held sahen sich an. Sie wussten nicht genau wen sie hier jetzt vor sich hatten und was sie mit ihr anfangen sollten.
„Also Marius sagte du wärst gut im Organisieren“, sagte der Held und er hatte sehr genaue Vorstellung was unter „Organisieren“ zu verstehen war.
Die Banditen im neuen Lager wurden manchmal auch Organisatoren genannt.
„Ja, ich habe viele Connections und kann so ziemlich alles ranschaffen.“
„Was hast du denn vorher gemacht?“ fragte der Held.
„Ach …“ druckste Annette plötzlich herum. „Ganz normale Büroarbeit.“
Es wurde kurz still, dann fügte sie hinzu.
„Ich weiß nicht, ob ihr euch vorstellen könnt wie langweilig es ist jeden Tag das Gleiche zu machen. Immer wieder Rechnungen bezahlen und Formulare ausfüllen. Jeden verdammten Tag und das seit zehn Jahren. Und es passiert sonst überhaupt nichts.“
Es war klar zu sehen, dass ihr ganz elend war, als sie daran zurückdachte. Der Held bekam sofort Mitleid. Er konnte sich gar nicht vorstellen was das für ein furchtbares Leben sein musste. So eine Verschwendung von Lebenszeit. Er wäre bestimmt schon längst vor Langeweile eingegangen.
„Das muss ja schrecklich gewesen sein.“
Sie nickte.
„Naja, jetzt bist du ja bei uns, da wird es garantiert nicht langweilig.“
Er klopfte ihr kumpelhaft auf die Schulter und sie knickte kurz ein.
„Gut, dann wollen wir dich doch mal herumführen“, sagte der Held und sie zogen durch das Haus.
Annette war fasziniert. Sie hätte nicht gedacht, dass jemand so heruntergekommen wohnen konnte. Das hatte was von Abenteuer. Die Sumpfkrautpflanzen fand sie interessant und stellte allerhand Fragen, die meistens Lester beantwortete.
„Wo ist denn der Rest von eurer Gang?“
Der Held sah erst sie verwundert an, dann sah er zu Lester und grinste.
„Das hört sich an, was? Die „Gang“.“
Er grinste. Genau zum richtigen Zeitpunkt knallte unten die Tür.
„Aha, hört sich an, als wäre Gorn zurück“, sagte der Held amüsiert und sie liefen die Treppe wieder hinunter.
Gorn stutzte, als er eine unbekannte Frau hier drin sah, aber das war nichts im Vergleich zu Annette. Staunend sah sie zu Gorn hoch und reichte ihm zitternd die Hand.
„Das ist Annette“, erklärte der Held. „Sie ist unser neuer Organisator.“
Er zwinkerte Gorn zu.
„Aha“, machte der, denn auch er hatte ein sehr genaues Bild davon was er darunter zu verstehen hatte.
„Toll, wo ihr gerade da steht, können wir ja auch zusammen in den Keller gehen und euch unseren neuen Wachen vorstellen.“
„Äh… meinst du wirklich, dass das so eine gute Idee ist?“ fragte Lester, denn er stellte sich vor wie ihre neue Bekanntschaft schreiend aus dem Haus rennen würde, wenn sie die wandelnden Gerippe da unten sah.
„He, irgendwann muss es gemacht werden und besser früher als später.“
„Worum geht es denn?“ fragte Gorn mit seiner tiefen Stimme.
„Ich hab ein paar Skelette beschworen, damit sie Lester beschützen können, falls wirklich so Typen auftauchen, die ihm was antun wollen.“
Annettes Stirn kräuselte sich. Hatte ihr neuer Arbeitgeber da gerade wirklich von Skeletten gesprochen? Und was war unter „so Typen“ zu verstehen?
„Wirklich?“ fragte Gorn und stöhnte genervt.
Er fand es zwar ok, wenn die Skelette seinen Freund mal im Kampf unterstützten, er hielt aber nicht besonders viel davon dauerhaft mit welchen zusammen zu wohnen.
„He, die sind ganz still, du wirst sie gar nicht weiter bemerken“, kam es vom Helden, der sich wohl denken konnte was Gorn durch den Kopf ging.
Sie gingen die Treppen hinunter und er lief voran in den Keller.
„He, ihr Beiden, ich hab zwei neue Leute vorzustellen, die ihr nicht angreifen sollt, ok?“
Er winkte Gorn und Anette zu sich. Der starke Krieger ging ohne weitere Bedenken voran, doch Annette zögerte, weil sie nicht wusste, was sie erwartete. Langsam und vorsichtig trat sie näher und lugte dann um die Türecke. Innen sah sie Tische mit verschiedenen Apparaturen, die wohl dafür gebraucht wurden das Sumpfkraut zu Stengeln zu verarbeiten. Sonst konnte sie aber nichts erkennen. Sie hörte auch nichts. Doch wenn es wirklich Skelette waren, was sollten die schon groß sagen? Und was sollten die überhaupt machen? Immerhin waren Skelette doch tot, oder nicht? Sie hielt sich eigentlich für eine mutige Frau. Trotzdem erschreckte sie sich, als sie die Skelette schließlich sah. Sie wurde ganz blass und ihr blieb die Luft weg. Der Held nahm sie an der Hand und zog sie vorsichtig vor die Skelette.
„Siehst du, überhaupt kein Problem. Die tun dir nichts. Sie sind einfach nur als Wachen hier.“
Annette wusste nicht was sie glauben sollte. Es könnten auch einfach nur Exponate sein. Die Skelette standen so reglos da, dass sie sich einreden wollte, dass die sich gar nicht bewegen konnten. Vielleicht war es ja irgendein makabrer Scherz. Allerdings stellte sie sich jetzt vor, was ihr neuer Arbeitgeber mit den ehemals lebenden Menschen gemacht haben musste, damit sie jetzt so aussahen. Doch auf der anderen Seite und das war noch viel erschreckender, mussten diese Teile sich ja bewegen können, wenn die wirklich diesen Keller bewachen sollten. Sie kaute angespannt auf ihren Lippen herum. Zeit es rauszufinden. Sie streckte ihre Hand aus und griff nach der Skeletthand. Der ganze Arm hob sich und das Skelett ruckte mit dem Kopf um sie anzustarren. Sie erschreckte sich und ließ los. Die Hand pendelte wieder zurück in ihre Ausgangslage und das Skelett drehte den Kopf zurück. Gorn lachte. Er amüsierte sich über ihre neue Mitstreiterin.
„Noch nie ein Skelett gesehen was? Tja, kann einen ganz schon erschrecken am Anfang, oder?“
Sie nickte. Dann fragte sie aufgeregt ihren neuen Arbeitgeber: „Wo hast du die denn her?“
Der Held zuckte mit den Schultern.
„Beschworen“
„Was heißt das?“
„Na so, mit Magie.“
Sie sah ihn staunend an, doch es gab keine andere logische Erklärung, als dass er die Wahrheit sagte. Immerhin wusste sie nicht, woher da sonst zwei Untote herkommen sollten.
„Bist du so eine Art Satanist?“ fragte sie leise, weil sie wissen wollte wo sie hier hineingeraten war.
„Was ist ein Satanist?“ wollte der Held wissen.
Auch Lester und Gorn sahen sie fragend an.
„Naja, jemand, der zum Teufel betet und dunkle Beschwörungen veranstaltet.“
„Hm…“ kam es vom Helden der scharf nachdachte.
Wenn der Teufel hier das Gegenstück zu Beliar war, dann war da schon was dran.
„Ich mach das nur, weil mir das einen Vorteil bietet. Außerdem nutze ich noch alle anderen Arten von Magie, ist also nicht weiter wild.“
Annette sah ihn verwundert an, dann wandte sie sich an die anderen beiden Männer.
„Und ihr?“
„Ich hab mit Magie nichts am Hut“, sagte Gorn sofort und hob abwehrend die Hände.
„Ich bin im dritten Kreis und hab einige Runen, aber es ist hauptsächlich Schläfer Magie oder eigentlich welche von Beliar.“
Annette verstand nicht was er da erzählte, aber sie sagte sich, dass sie gleich am ersten Tag nicht unangenehm wegen allzu vieler Fragen auffallen wollte.
„Und hier stellst du also das Sumpfkraut her, Lester?“ stellte sie jetzt aber doch eine Frage, die sie einfach wissen musste.
„Ja, genau, sieh mal hier“, er führte sie zu den Apparaturen und erklärte ihr grob den Hergang.
„Und am Ende verpack ich die Stengel hier in diese Beutel und die kommen dann wieder in den großen Sack dort, bereit zur Auslieferung.“
Annette griff sich einen der Klarsichtbeutel mit Stengeln und nahm ihn ganz genau unter die Lupe.
„Ich denke die Verpackung kriegen wir noch besser hin.“
„Was meinst du?“ fragten der Held und Lester fast gleichzeitig.
„Also, so wie auch bei Zigarettenschachteln. Dann fällt es in der Öffentlichkeit mehr auf und ihr bekommt mehr Käufer. Außerdem kann man den Kunden suggerieren, dass es sich um ein ganz normales Rauchkraut handelt, das stimuliert die Akzeptanz und bringt wieder neue Käufer.“
Diesmal waren Gorn, Lester und der Held diejenigen, die nicht ganz genau wussten was sie meinte. Trotzdem sagte der Held: „Ver-stehe und weißt du wo du diese Packungen her bekommen kannst?“
„Na, dazu bin ich doch da, oder?“
Sie zwinkerte ihm zu und er grinste.
Diego hatte sich intensiv mit Nachforschungen über diese Bande beschäftigt, dessen Kundschafter neulich bei ihm im Laden war. Er war zum „Paradise“ gegangen, weil es ihm dort am wahrscheinlichsten war einen ersten Anhaltspunkt zu bekommen. Es war sehr mühsam die Gespräche in diese Richtung zu führen, ohne allzu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Schließlich fragte er Tabo, der im Hinterzimmer Lagerarbeiten verrichtete nach diesem Miftah. Tabo wurde ganz aufgeregt, redete und gestikulierte wild. Nur leider verstand Diego kein Wort von dem was er sagte. Er hielt ihm eine Karte hin und Tabo entfaltete und musterte sie. Dann zeigte er auf eine Straße. Dort musste also etwas sein. Diego zückte einen Kugelschreiber, dessen Funktion er schnell herausgefunden hatte und markierte den Punkt auf der Karte. Er bedankte sich und reichte Tabo einen fünfzig Euro Schein. Der grinste breit. Diego war sich im Klaren darüber, dass das hier wohl viel Geld für eine Information war, doch er wusste nicht, ob er Tabo trauen konnte und versuchte so sein Schweigen zu erkaufen. Vielleicht wäre er auch eine gute Anlaufstelle für zukünftige Informationen. Sein Ziel lag ein ganzes Stück entfernt. Er machte sich sofort auf den Weg. Mittlerweile war er recht geschickt darin sich im öffentlichen Straßenverkehr durchzumogeln. Er kaufte nie Beförderungstickets, merkte aber immer schnell wenn ein Kontrolleur in Anmarsch war. Man musste nur auf die Leute achten. Es gab einige, die es wie er handhabten und die Zeichen deuten konnten. Manche Kontrolleure waren nicht sofort als solche zu erkennen, doch Diego merkte es an ihrem Verhalten. Er war wie der Fuchs, welcher der Meute der Jäger immer ein paar Schritte voraus war. Sicher hätte Diego das Geld gehabt, aber diesen kleinen Spaß wollte er sich gönnen, sonst wurde es einfach zu eintönig. Er erreichte sein Ziel ohne weitere Vorkomnisse. Es war ein großer Park. Er lag zwischen ihm und dem markierten Punkt auf der Karte. Heute war wieder die Sonne zu sehen. Es war ein schöner Tag. Große Schäfchenwolken zogen langsam über den Himmel. Die Temperatur war mild, der Wind mäßig. Es war sehr angenehm. Diego hatte sich schon gefragt, ob dieses nasskalte Wetter für immer anhalten würde. Die Vegetation sah noch sehr trostlos aus. Keine Blätter an den Bäumen, das Gras war lasch und der Boden noch feucht. Doch wenn er genau hinsah, konnte er an einigen Bäumen erste Knospen sehen und kleine weiße Blumen streckten sich zur Sonne. Blumen waren in Myrtana selten. Diego riss seine Gedanken wieder zum eigentlichen Projekt herum. So schön es auch war mal wieder durchs Grüne zu gehen, er hatte andere Gründe hier zu sein. Er ging also weiter durch den Park hindurch und beobachtete genau die Menschen um ihn herum. Es wirkte alles auffällig normal. Kinder spielten auf einer Wiese Ball, beaufsichtigt von einigen Erwachsenen, die sich unterhielten. Einige andere Leute, nutzten die ersten Sonnenstrahlen um zu grillen oder ein Picknick zu veranstalten. Die Stimmung war überwiegend ausgelassen, nicht gerade das was man erwartete, wenn man zu einem gefährlichen Typen unterwegs war. Aber gerade das sagte Diego, dass er hier richtig war. Dieser Mann hatte sich wohl extra diese Gegend ausgesucht, weil man nicht vermuten würde, dass er hier wäre. Diego wollte aber Gewissheit haben. Er sah das Ende des Parks und dahinter ein großes klotzartiges Gebäude, das sich nahtlos in die anderen einreihte. Das musste es sein. Diego zückte seine Karte und sah nach. Ja, das war es. Er sah sich um und grinste. Da stand eine Bank, wie für ihn gemacht, mit Blickrichtung auf dieses Gebäude. Er würde also ganz genau sehen wer da kam und ging. Er ließ sich auf der Bank nieder und richtete sich darauf ein hier lange zu sitzen. Das störte Diego nicht. Er mochte es einfach nur dazusitzen, sich zu sonnen und die Umgebung zu beobachten.
Lester lief mal wieder im Dunkeln durch die Straßen der Stadt und verkaufte sein Sumpfkraut. Am Anfang fiel ihm das nicht leicht, denn es war ja sein Sumpfkraut, aber mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt und freute sich sogar bei jedem Verkauf, weil er sich sagte, dass er so viele neue Leute in den Genuss dieses tollen Rauchkrauts brachte. Allerdings hätte er sich gerne auch mal mit ein paar Leuten unterhalten. Die meisten wollten einfach nur Kraut kaufen und waren dann wieder weg. Anders sah es vor den Bordellen aus. Die Damen an der Straße hatten oft viel Zeit. Sie rauchten oder redeten miteinander, doch da sie oft und lange dort standen waren die Gesprächsthemen irgendwann aufgebraucht. Da kam eine Abwechslung ganz recht. Als Lester mal wieder dort auftauchte, wurde er wie ein alter Freund begrüßt. Er war schon so bekannt wie ein bunter Hund.
„Hallo Lester, da bist du ja, wir warten schon sehnsüchtig auf deine Rückkehr“, sagte eine der aufgepimpten Frauen mit hartem Akzent.
Sie hatte blonde, hochgesteckte Haare und war zwar dünn, aber hatte Kurven an genau den richtigen Stellen. Sie trug ein aufreizendes, rotes Kleid und wie ihre Kollegin hohe Schuhe.
„Du hast doch Sumpfkraut dabei, oder?“ fragte die Andere, deren Finger zitterten und die jetzt ihre momentane Menthol Zigarette wegwarf, weil sie aufgeraucht war.
Sie hatte lange schwarze Haare, die aber merkwürdig stumpf wirkten und trug ein Kleid, das im Licht der kühlen Straßenlampen glitzerte, was sie ein bisschen wie einen Paradiesvogel wirken ließ.
„Immer langsam Mädchen“, sagte Lester grinsend und er machte eine abwehrende Handbewegung um sie zu bremsen. „Natürlich hab ich genug Sumpfkraut für alle dabei und für euch zum Freundschaftspreis, zwanzig Euro pro Beutel.“
„Du bist der Beste, kannst du mir gleich zwei geben?“ fragte die zitternde Frau.
„Klar, aber ich komme doch auch wieder“, sagte Lester verwundert, reichte ihr aber das Sumpfkraut im Austausch für das Geld.
Er dachte, dass sie es vielleicht weiterverkaufen wollte. Das störte ihn im Grunde nicht, doch sagte er sich, dass er diese anderen Personen doch auch beliefern könnte.
„Wenn ihr noch andere Leute kennt die gerne Sumpfkraut haben wollen, sagt mir doch einfach Bescheid.“
„Oh, da gibt es viele, jede Menge“, sagte die erste Frau und holte ein Bündel Scheine hervor, um selbst Sumpfkraut zu kaufen. „Gibst du mir noch drei Packungen für unsere Freundinnen? Die sind auch alle ganz wild auf dein Kraut.“
„Hier Olga.“
Lester reichte ihr die Klarsichtbeutel und sie fischte sich sofort einen Stengel heraus und zündete ihn sich an. Ihre Kollegin tat es ihr gleich und Lester schloss sich ihnen an. So standen sie alle drei unter dem diffusen Licht der Straßenlaternen und wurden bald in eine große, dichte, grüne Rauchwolke eingehüllt.
„Gibt’s was Neues?“ fragte Lester.
„Laika hat sich den Knöchel verknackst und jetzt jammert sie deswegen ständig rum“, sagte Olga und nahm noch einen tiefen Zug.
„Warum geht sie dann nicht einfach nach Hause und ruht sich aus?“ fragte Lester nach.
Die beiden Frauen sahen sich verschmitzt an und lachten.
„Ja, gute Idee, was Natascha? Lass uns einfach nach Hause gehen. Gino versteht das bestimmt.“
Lester wusste bereits, dass dieser Gino das Bordell führte, aber er dachte sich nichts weiter dabei.
„Hör mal Lester, es ist ja prima, dass du uns so oft besuchen kommst, aber ich hab in letzter Zeit ständig so einen Typen gesehen, der sich da drüben in seinem Wagen aufhält, doch er kommt nicht zu uns oder spricht mit uns. Da ist doch was faul“, sagte Olga und ruckte mit dem Kopf zu einem grauen Wagen auf der anderen Straßenseite, etwa hundert Meter entfernt. „Sieh nicht hin!“, setzte sie hinzu, aber Lester hatte sich bereits umgewandt.
„Und? Was soll mit dem sein?“ fragte Lester unbesorgt.
Olga fand es wohl unpassend, dass ihr Dealer so locker blieb.
„Mensch, der ist von den Bullen! Ganz sicher sogar. Der guckt wann du hier vorbeikommst und irgendwann will er dich festnehmen“, sagte sie ganz aufgeregt.
Lester nahm noch einen letzten Zug und warf den kümmerlichen Rest seines Stengels dann auf den schmutzigen Boden. Die beiden Prosituierten hatten ihre nun auch aufgeraucht, doch steckten sie sich gleich neue an. Lester tat es ihnen nach, denn es war schön mal wieder mit anderen zusammen zu rauchen und zu plaudern, auch wenn es um die Polizei ging, soweit hatte Lester das schon verstanden. Er hatte mitbekommen, dass Sumpfkraut wohl auch hier illegal war und ihm wahrscheinlich Gefängnis drohte, wenn er erwischt wurde, aber er wusste auch, dass er ein paar Asse in Form von Runen in der Tasche hatte. Schlaf, Vergessen und die Teleporterrune würden ihm sicher gute Dienste leisten, wenn die Lage tatsächlich mal eskalieren sollte, deswegen sah er nicht, warum er sich große Sorgen machen sollte, das belastete doch nur.
„Macht euch keine Sorgen Mädchen, ihr werdet auch in Zukunft nicht auf euer Sumpfkraut verzichten müssen.“
Er zwinkerte ihnen zu.
„Na, deine Zuversicht hätte ich auch mal gerne“, sagte Olga und nahm noch einen tiefen Zug.
Genussvoll blies sie den grünen Rauch aus.
„Hab ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass ich deine Tätowierungen toll finde?“ fragte die benebelte Natascha.
„Nein, aber schön, wenn es dir gefällt“, antwortete Lester.
Er war schon mehrfach darauf angesprochen wurden, aber er hatte auch viele andere Leute gesehen, die hier tätowiert waren, deswegen hatte er sich nie weiter darüber Gedanken gemacht. Natascha wollte es aber wohl ganz genau wissen.
„Haben die eine Bedeutung?“ fragte sie.
Lester nahm noch einen genussvollen Zug, bevor er antwortete. Er sah mit gemischten Gefühlen auf die Zeit in der Barriere zurück.
„Ich war mal Mitglied in der Bruderschaft des Schläfers.“
Olga schaute skeptisch, Natascha interessiert.
„Ist das so eine Art Sekte?“ fragte Olga argwöhnisch.
„Die anderen haben uns zumindest immer so genannt, Sektenspinner.“
Lester lachte, als er an die Zeit zurückdachte.
„Und was habt ihr da gemacht? Irgendwelche mystischen Rituale und so?“ fragte Natascha neugierig.
Lester wiegte seinen Kopf hin und her.
„Manchmal.“
„Wow, der Wahnsinn“, kam es von Natascha, die das alles sehr aufregend fand.
„Die meiste Zeit ging es aber einfach nur darum Sumpfkraut herzustellen oder andere Aufgaben zu erledigen, welche die Gurus uns Novizen gaben.“
„Wurdest du da ausgebeutet?“ fragte Olga erschrocken.
„Was? Nein, die meiste Zeit stand ich nur am Eingang herum und hab Neuankömmlingen erklärt wie sie durchs Lager kommen und was so läuft. Es war eigentlich ganz entspannt und manchmal sogar etwas langweilig. Doch alles in allem kann ich mich eigentlich nicht beklagen.“
Er dachte daran, was andere in der Kolonie durchmachen mussten und fand, dass er dagegen eine recht angenehme Zeit im Minental hatte. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als eine weitere Frau angestöckelt kam. Sie hatte nie Sumpfkraut kaufen wollen und sah Lester etwas abschätzig an.
„He, ihr Beiden, ihr sollt rein kommen.“
Natascha und Olga sahen sich an, verabschiedeten sich von ihrem Dealer und folgten dann klackend ihrer Kollegin ins Innere des Puffs. Lester nahm noch einen Zug, blies lässig den Rauch aus, schnippte den Rest des Stengels dann weg und trollte sich.
Eispfötchen
23.02.2018, 16:21
Der Held war die Nacht hindurch als Warg unterwegs gewesen und befand sich jetzt in der Nähe von kleinen Seen oberhalb von Berlin am Rande einer Stadt. Die Nacht hatte er damit verbracht weiter Wildschweine zu jagen. Allein war es nicht ganz so lustig, aber immerhin hatte er noch einige der Viecher erwischen können. Bei den Ausläufern des Waldes verwandelte er sich in einen Menschen zurück. Zufrieden kramte er jetzt sein Mobiltelefon hervor und rief beim Bauern ab. Der nahm noch reichlich verpennt ab und gähnte zur Begrüßung.
„Dein Wildschweinproblem sollte erledigt sein. Ich hab jede Menge gejagt. Solltest du doch mal wieder Ärger haben, ruf mich an.“
„He, wer … wer spricht denn da?“ fragte der Bauer verwundert.
„Na ich, der Typ aus der Bar“, antwortete der Held etwas genervt.
Da hatte er sich solche Mühe gegeben und dieser Bauer erinnerte sich nicht einmal daran, dass er den Auftrag vergeben hatte.
„Ich kann mich nur noch ganz schlecht erinnern.“
Eine lange Pause setzte ein.
„Ah ja… DER Typ, ach so. Und du hast dich um die Wildschweine gekümmert? Hm… ok, wenn du das so sagst.“
Der Bauer lachte, doch der Held konnte es nicht richtig deuten. Freute er sich einfach, weil sein Problem damit erledigt war? Glaubte er ihm vielleicht nicht? Oder gab es einen anderen Grund?
„Schön, dass ich helfen konnte, aber wenn wir uns noch mal sehen, dann gibst du ein Bier aus, in Ordnung?“
„Ja, in Ordnung“, sagte der Bauer, der sich immer noch amüsierte.
Mit einem Klicken beendeten sie ihr Gespräch. Der Held trug die Aufgabe in seinem Tagebuch unter erledigt ein und freute sich, dass er um eine Erfahrung reicher war. Er ging weiter und in der nächsten Stadt sprach er mehrere Leute an, in der Hoffnung, sie hätten spannende Aufträge für ihn. Doch er hoffte vergebens. Die meisten Menschen brachten außer einem „Hallo“, oder „Guten Tag“, gar nichts über die Lippen und wollten sich partout nicht in ein längeres Gespräch verwickeln lassen. Manche wurden sogar sehr unfreundlich und sagten ihm, er solle verschwinden. Das Verhalten der Leute verwunderte den Helden. In Myrtana kamen die Leute mit ihren Problemen schnell auf den Punkt. Wie sollte er den Menschen hier denn helfen, wenn sie ihm nicht sagten, was sie bedrückte? Als der Held weiter durch die Stadt zog, sah er viele Bürger, die sich an einer abgesperrten Straße sammelten. Manche von ihnen standen in Reih und Glied und trugen Nummern auf ihren Klamotten. Auf ein Signal hin, liefen alle Leute mit Nummern los. Der Held trat an einen der Zuschauer heran und fragte: „He du, was ist denn hier los?“
Der angesprochene Mann sah ihn perplex an und antwortete: „Was hier los ist? Das ist ein Marathon.“
„Und wo laufen die alle hin?“
„Na ans Ziel.“
„Und was gibt es da?“ wollte der Held wissen, denn er vermutete, dass diese Leute sich in ein Abenteuer stürzten und am Ende des Weges ein versunkener Tempel, eine Drachenhöhle oder ähnlich spektakuläre Ziele lagen.
„Oh Mann, kennst du keinen Marathon? Lauf doch einfach mit, dann siehst du es schon“, sagte der Zuschauer genervt.
Er hätte wohl nie gedacht, dass sein Gegenüber das dann auch tatsächlich machen würde. Der Held lief einfach los, den anderen hinterher. Irgendwo würde er schon ankommen und er war gespannt was da am Ende des Weges auf ihn warten würde. Zuerst standen links und rechts überall Menschen, die ihn etwas verwundert ansahen, vermutlich weil er keine Nummer trug wie die anderen. Durfte er deswegen vielleicht nicht an dem Abenteuer teilnehmen? Aber niemand hielt ihn davon ab, also sagte sich der Held, dass es wohl in Ordnung war. Bald holte er den ersten Läufer ein und fragte ihn nach dem Ziel. Doch der sah ihn nur verwundert an und keuchte.
‚Komischer Typ‘, dachte sich der Held.
Doch als er andere Teilnehmer dieses Marathons einholte, verhielten sie sich nicht viel anders. Entweder er erhielt gar keine Antwort, oder sie sagten einfach nur „Na, das Ziel“, oder „Was ist das denn für eine blöde Frage?“.
Er hatte aber das starke Gefühl, dass alle diese Leute sehr wohl wussten was am Ende des Weges lag und es ihm nur nicht sagen wollten. Das frustrierte den Helden. Jetzt wollte er es erst recht wissen. Vor ihm ragten die letzten Häuser der Stadt auf und es ging an einigen Feldern und Wiesen einen Weg entlang. Die Sonne schien. Die Luft war klar und kalt. Es war ein schöner Tag. Während des Laufs beobachtete der Held die friedliche Natur, die langsam aus ihrem Winterschlaf erwachte, damit ihm nicht allzu langweilig wurde. Am Wegesrand standen aber auch hin und wieder Bürger, die aus irgendeinem Grund jubelten, vielleicht waren es einfach nur sehr fröhliche Menschen. Hin und wieder ging einer der Läufer zu jemandem am Wegesrand, der eine Flasche hochhielt, wohl um etwas zu trinken. Je weiter er kam, desto seltsamer verhielten sich die anderen Läufer. Immer öfter kam er an schwitzenden und schnaufenden Leuten vorbei. An Anstrengung konnte es ja wohl nicht liegen. Die Leute waren leicht bekleidet, trugen weder schwere Rüstungen noch Waffen. Waren diese Leute vielleicht krank und am Ziel wartete die Heilung? Immer häufiger sah er Menschen, die jetzt nur noch gingen, oder sogar anhielten und sich schnaufend an den Knien fassten. Der Held war sich sicher: Mit denen stimmte was nicht.
Er war schon eine Weile unterwegs und nun sah er kaum noch andere Läufer. Entweder hatten sie aufgegeben oder lagen weit zurück. Er fragte sich gerade, ob überhaupt noch jemand vor ihm lief, oder ob er vielleicht unwissentlich vom Weg abgekommen war, denn ihm war, als liefe er im Kreis, da sah er weit vor sich ein Pünktchen, das sich nach einigen Minuten als ein Spitzenläufer herausstellte. Es war ein Mann, etwa in seinem Alter, von schlanker, drahtiger Gestalt. Verbissen und hochkonzentriert lief er und es dauerte tatsächlich einige Minuten bis der Held ihn einholte.
„He du, kannst du mir sagen, was sich am Ziel befindet? Schon am Start konnte mir keiner sagen wo es eigentlich hingeht, “ startete der Held den letzten Versuch.
Der Extremsportler, der nicht damit gerechnet hatte angesprochen zu werden, sah ihn verblüfft an, sagte aber keinen Ton.
„Fein, dann sag es mir eben nicht. Ich werde es auch so herausfinden“, antwortete der Held säuerlich und zog an ihm vorbei.
Der Sportler gab krächzende Laute von sich und sah ihm ungläubig hinterher. Der Held beachtete ihn nicht weiter. Wenn sich der Typ nun doch dazu entschieden hatte ihm etwas sagen zu wollen, dann war es dafür zu spät. Da war der Held eigenwillig.
Der Weg führte wieder zurück zur Stadt, wo noch mehr Leute herumstanden und schrien wie am Spieß.
„Ja, weiter!“, „Du schaffst es!“, „Gleich bist du da“.
Der Held blieb ganz plötzlich stehen, als er das Ziel als den Ort erkannte wo er auf der anderen Seite losgelaufen war.
„Was ist denn los? Noch ein paar Meter“, riefen die Leute zu ihm herüber.
Unschlüssig sah der Held zu ihnen, sah dann zurück, wo er sonst niemanden sehen konnte. Meinten die ihn? Was war hier eigentlich los? Wenn er tatsächlich im Kreis gelaufen war, wozu dann das alles? Er trabte zu den Menschen hin, die alle hinter einem Band, das wohl als Absperrung diente, standen und ihm zujubelten. Kurz davor blieb er stehen, was bei den Menschen schlagartig für Ruhe und Unverständnis sorgte.
„He, kann mir mal einer sagen, warum ihr alle so schreit? Was ist denn los? Und warum liegt das Ziel da, wo der Start war? Was ist denn nun hier am Ziel?“
Die Menschen sahen ihn ungläubig an und brachten keinen Ton hervor. Ein Mann mit Stoppuhr in der Hand sagte in rauem Ton: „Halt keine langen Reden und geh durchs Ziel, das ist sonst schlecht für deine Zeit.“
Der Held zuckte mit den Schultern, hob das Band hoch, das zwischen den Zielstangen hing und ging durch.
„Zwei Stunden, zwei Minuten“, sagte der Stoppuhrträger nüchtern.
„Was?“, „Echt?“, „Der Wahnsinn!“, kam es von den Umstehenden.
„Herzlichen Glückwunsch“, sagte ein Mann, der eine blaue Jacke und eine Mütze trug und ihm jetzt die Hand schüttelte.
„Wegen was?“ fragte der Held verwundert.
„Na, weil Sie es geschafft haben“, antwortete ihm sein Gegenüber, wohl in der Annahme, er könne es selbst noch gar nicht fassen.
„Was denn?“ wollte der Held wissen, der sich keiner Leistung bewusst war.
„Na, den Weg hierher“, kam es, jetzt verdutzt, zurück.
„Wieso, waren da irgendwelche versteckten Fallen?“
„He, Gewinner, ich will dich eintragen, wo ist denn deine Nummer?“ fragte ein Mann mit Stift und Notizblock den Helden.
„Was? Ich hab keine Nummer. Ich wollte einfach nur wissen wo all die Leute hinlaufen und da hab ich so einen Typen angesprochen, der mir das aber auch nicht sagen konnte und nur meinte, ich soll mitlaufen und es selbst sehen. Tja, da hab ich das eben gemacht.“
Die Leute sahen ihn an, als hätte er gerade etwas Unbegreifliches gesagt.
„He, komm hör auf zu spinnen. Du willst mir echt sagen, du weißt nicht mal was das hier ist? Bestimmt erlaubst du dir hier einen riesen Scherz und bist einfach irgendwo zwischendrin dazugekommen“, sagte der Mann mit der Stoppuhr streng.
„Nein, wozu sollte ich das machen? Ich weiß ja immer noch nicht, wozu das alles gut sein soll“, sagte der Held, der nun aber wirklich fand, sie könnten ihn nun endlich aufklären.
„Nein, das stimmt, das ist der Typ, der mich gefragt hat, was die hier alle machen“, kam es von hinten aus der Menge und erkannte, das seltsam blasse Gesicht des Zuschauers, den er als ersten über all das ausgefragt hatte.
„Ja, ich hab auch gesehen, wie er losgelaufen ist“, sagte eine dicke Frau, die sich jetzt vordrängelte.
Die anderen Männer, in der Nähe des Helden wussten offenbar nicht so ganz was sie von all dem halten sollten. Endlich lenkte sich aber ihre Welt wieder in geordnete Bahnen, als sie am Horizont den Extremsportler sahen, ein ganz normaler Sportler also, der auch eine Nummer trug und höchstwahrscheinlich wusste, dass dies ein Marathon war und warum er hierbei mitmachte. Der drahtige Kerl schien noch mal alle seine Reserven zu mobilisieren und legte noch einen Zahn zu, rannte jetzt fast. Er stürmte durch das Ziel, zerriss das Absperrband und brach dann japsend auf dem Boden zusammen.
„Zwei Stunden und achtzehn Minuten“, verkündete der Stoppuhrträger.
„Was hat er denn? Ist er krank?“ fragte der Held den Typen, mit der blauen Jacke, der ihn beglückwünscht hatte und sich jetzt besorgt über den Sportler beugte.
„Er ist ganz normal erschöpft“, kam es harsch zurück. „Er wollte wohl eine gute Zeit einfahren und hat sich deswegen besonders angestrengt.“
Der Held schüttelte den Kopf. Merkwürdige Leute gab es. Leute, die im Kreis liefen und ihm nicht sagen wollten warum, Leute, die schnauften und keuchten, als ob Laufen anstrengend wäre, Leute, die einfach so zusammenbrachen. Er zuckte noch einmal mit den Schultern, drängte sich dann durch die Menge und ging davon.
„Hab ich gewonnen?“ hörte er hinter sich noch den Extremsportler japsen.
„Tja … äh…“ kam es von dem Mann, in der blauen Jacke, der sich jetzt unschlüssig zu seinen Kollegen umdrehte.
Milten saß wieder vor den Medizinbüchern. Er war so vorgegangen, dass immer, wenn ihm zugerufen wurde, was der Patient für ein Problem hatte und er das nicht wusste, sich das gemerkt, oder aufgeschrieben hatte, um dann später in den Büchern nachzulesen, um das nächste Mal zu wissen worum es sich handelte. Die Krankenschwestern waren aber trotzdem eine echte Hilfe, denn sie wussten meist sofort was diese Krankheitsbezeichnungen für den Patienten bedeuteten und daraus leitete sich dann ab, welchen Heilzauber er anwenden sollte. Im Moment las er über eine Krankheit, die im Volksmund einfach als „Krebs“ bezeichnet wurde. Dabei handelte es sich wohl um Zellwucherungen. Er hatte den Text erst halb durchgearbeitet, da flog ganz unvermittelt die Tür auf und er wurde mit
„Hallo Milten, wie geht’s?“ begrüßt.
Es war der Held, der sich jetzt im Raum umsah.
„Alles in Ordnung“, sagte Milten nur.
Er hatte seinen Freund hergebeten, weil er von Astrid gehört hatte, dass die Krankenhausleitung den Einsatz von Heiltränken genehmigte. Das hieß aber auch, dass sie große Mengen brauchten und die konnte nur der Held aufbringen.
„Meinst du die sind noch in Ordnung? Du hast gesagt, du hättest viele aus dem Schläfertempel mitgenommen. Wer weiß wie lange die da schon lagerten“, fragte Milten unsicher.
„Ach kein Problem, ich hab doch auch davon getrunken und ich bin noch da, oder? Also mach dir darüber keine Gedanken.“
Der Held packte einen Heiltrank nach dem anderen aus und stellte sie auf den Tisch.
„Lester ist dabei mal nachzusehen, ob schon neue Heilkräuter gewachsen sind. Er hat im Sumpf im Südwesten welche gepflanzt. Wenn wir wirklich so viele Heiltränke brauchen wie du sagst, dann wird auch mein Vorrat schnell zur Neige gehen.“
„Naja, Astrid sagt, dass sie die Tränke nur nehmen wollen, wenn es unbedingt nötig ist. Irgendwas wegen Nachweisen und Abrechnungen, so ganz hab ich nicht verstanden was sie meinte. Es liegt wohl an diesen Krankenkassen und Versicherungen, welche die Leute hier haben.“
Der Held zwinkerte kurz ungläubig und schüttelte den Kopf.
„Verrückt, anstatt, dass es für die Bürger dadurch einfacher geht, wird es komplizierter. Bei uns geht man einfach zum nächsten Händler und kauft sich einen Heiltrank und gut ist. Ich finde, auch wenn es hier viele interessante Dinge gibt, sind die grundlegenden Sachen bei uns besser.“
„Was meinst du?“ fragte sein Freund.
„Naja, wie das mit den Heiltränken, oder das man draußen einfach jagen kann wie es einem gefällt, oder hingehen darf wo man hinwill.“
„Also mir fallen da viele Orte ein, wo man bei uns nicht ohne weiteres hindarf“, antwortete der Feuermagier, der nicht wusste worauf sein Freund hinauswollte.
„Ich meinte draußen im Wald, auf der Wiese, sowas“, sagte der Held. „Auf dem Weg hierher hat mich ein Bauer angemotzt, ich soll doch von seinem Land verschwinden. Das Feld war riesig. Größer als alle Felder von Onar zusammen und der schnauzt mich an, weil ich, ein einzelner Mensch nur mal drüber läuft.“
„Was hast du gemacht? Bitte sag nicht du hast ihn verprügelt“, kam es nervös von Milten.
„Nein, ich hab ihm gesagt, er soll zu mir kommen und mich eigenhändig davonjagen, wenn es ihm so wichtig wäre. Hat er aber nicht gemacht. Er saß weiter in seiner komischen Maschine und hat da irgendwas gemacht.“
„Worauf willst du eigentlich hinaus?“ fragte Milten.
„Hier kommt mir alles so reglementiert vor. In Myrtana gibt es nicht so viele Regeln.“
Milten grinste.
„Die gibt es schon, nur beachtest du sie für gewöhnlich nicht.“
„Ach komm, jetzt übertreib mal nicht“, wehrte der Held ab.
„Aber wo wir gerade dabei sind. Sieh dir doch mal das hier an.“
Der Feuermagier reichte ihm eine Zeitschrift, die „Focus“ hieß und darin war ein Artikel enthalten, der ausgewählte Bürgermeinungen zum Schutz oder Abschuss der Wölfe verlauten ließ. So hieß es da zum Beispiel: „Der Wolf ist ein unberechenbares Raubtier, das in unserer dicht besiedelten Kulturlandschaft nichts zu suchen hat! Der erste Riss eines Menschen wird gewiss nicht mehr lange auf sich warten lassen. Die Problemlösung besteht nur im radikalen Abschuss der Wölfe!“, „Wölfe gehören hinter Gittern, da sind sie auch geschützt!“, „Der Mensch hat schon zu viel Natur zerstört. Das kann so nicht weitergehen. Ich finde, wir sollten die Wölfe schützen“, „Man kann beim Wolf nicht von einer bedrohten Art sprechen. Der Bestand muss im dicht besiedelten Deutschland reguliert werden, bevor es zu spät ist!“, „Wölfe sollten in unserem dicht besiedelten Land ins Jagdrecht aufgenommen und abgeschossen werden! Für die Nutztierhaltung und naturliebenden Menschen ist der Wolf in der freien Wildbahn nicht hinnehmbar!“, „Die Wölfe müssen unbedingt geschützt werden!“
Es war ganz erstaunlich mit welcher Inbrunst das eine oder andere gefordert wurde. Doch wer sollte das durchführen? Wer war dafür verantwortlich? Und warum wandten sich diese Menschen nicht direkt an diese Personen? Der Held dachte kurz, dass sie das Problem doch auch selbst erledigen könnten, aber dann fiel ihm wieder dieses Jagdverbot ein.
„Das alles nur wegen ein paar getöteten Wildschweinen?“ fragte der Held erstaunt.
„Naja, ich denke, es waren schon mehr als nur ein paar, oder meinst du nicht?“ versuchte Milten ihn zu überzeugen.
„Aber die waren doch ein Problem, hat der Bauer gesagt“, rechtfertigte sich der Held.
„Und jetzt sehen die Menschen die Wölfe als ein Problem.“
„Ich hab gar keine gesehen“, wunderte sich der Held und versuchte sich noch mal genau zu erinnern.
Nein, keine Wölfe. Sollte es hier wirklich von ihnen wimmeln, dann konnten sie sich wirklich gut verstecken.
Milten verdrehte die Augen.
„Na, wer ist denn als Warg durch die Gegend gelaufen?“
„Oh…“ kam es vom Helden, bei dem der Erzbrocken endlich fiel.
„Und warum musstet ihr unbedingt diesen Jäger angreifen?“ fragte Milten streng.
„Ach, das war nur ein kleiner Spaß“, wehrte der Held ab. „Das war der Typ, der mich angefahren hat, weil ich ja ach so dreist war ein Wildschwein zu töten. Da wollte ich ihn nur ein bisschen trietzen.“
Milten seufzte.
„Ist es dir egal, dass deine Handlungen auch negativen Einfluss auf andere haben können?“
Der Held dachte nach. Er löste gerne die Probleme der Menschen, aber es war ja kein muss. Manchmal, da stand eben auch einfach der Spaß im Vordergrund. Er sah nicht, was daran verkehrt war.
„Milten, reg dich doch nicht so auf“, sagte der Held ruhig, damit sich sein Freund wieder entspannte und sich das nicht so zu Herzen nahm.
Es klopfte an der Tür. Der Feuermagier ging los, um zu sehen, um wen es sich handelte. Es war Günther.
„Hallo, ich wollte vorschlagen dir einige Sehenswürdigkeiten der Stadt zu zeigen. Astrid sagt, du bist die meiste Zeit hier im Krankenhaus und siehst gar nicht viel von Berlin. Oh … du bist ja auch da. Ich darf doch du sagen, oder?“ fragte Günther, als er den Helden im Hintergrund erblickte.
„Klar, wie denn auch sonst?“ fragte der Held und hob fragend die Hände.
„Wir können ja zusammen gehen“, schlug Günther vor, denn der gestrige Auftritt des Helden hatte ihn sehr neugierig gemacht.
Der Feuermagier gab einer Krankenschwester Bescheid, dass er für heute gehen würde und die leitete das an der nächsten Information weiter. Sie waren draußen auf dem Weg zur Bushaltestelle, als der Held es nicht mehr aushielt und fragte: „Müssen wir denn so langsam gehen? So kommen wir ja nie an.“
Sein Freund warf ihm einen warnenden Blick zu, doch der Held war sich keiner Schuld bewusst. Doch Günther lächelte und sagte: „Weißt du, in meinem Alter, da läuft man nicht mehr so dynamisch durch die Welt.“
Das leuchtete dem Helden allerdings ein. Xardas, Vatras und Pyrokar hatten auch alle ewig gebraucht, bis sie beim Ritual zur Wiederherstellung des Auges Innos ankamen. Das hatte ihn wahnsinnig gemacht, dieses ewige Warten.
„Habt ihr schon das Brandenburger Tor und die Siegessäule gesehen? Das ist nicht weit weg von hier und auf jeden Fall einen Besuch wert.“
Der Held war sich nicht sicher. Er war weit in Berlin herumgekommen, aber er wusste oft nicht, wie die Einheimischen dieses oder jenes nannten. Doch er hatte schon davon gehört und meinte zu wissen was er meinte.
„Das befindet sich in der Nähe von so einem großen Park, richtig?“
Günther lächelte.
„In Berlin gibt es viele große Parks.“
Der Bus kam und sie fuhren nur einige wenige Stationen mit. Dann stiegen sie aus und es dauerte nicht lange und sie befanden sich auf dem Pariser Platz. Hier wimmelte es von Menschen, die alle kamen oder gingen, erzählten, mitunter auch in Sprachen, die sie nicht verstanden und immer wieder mit komischen Geräten Blitze verschossen. Günther erklärte auch gleich warum der Platz so hieß. Es hatte was mit einer weit entfernten anderen großen Stadt zu tun. Der Platz wurde wohl unter der Herrschaft eines Friedrich Wilhelm des Ersten von einem preußischen Architekten angelegt. Der Platz erhielt aber erst später diesen Namen als die preußischen Truppen diese weit entfernte Stadt „Paris“ eroberten. Günther redete noch viel über die Geschichte des Platzes. Später gab es weitere verheerende Kriege und eine Mauer wurde gebaut und hier durfte niemand langgehen, oder er würde abgeschossen. Milten und der Held waren ganz erstaunt von dem historischen Wissen von Günther. Seine Ausführungen umfassten mehrere Jahrhunderte und es ging nur um diesen einen Platz. Dann fing er noch an von diesem großen Tor mit den Tieren zu sprechen. Das waren also Pferde. Bei den Menschen hier waren sie wohl sehr wichtig. Wie Günther erzählte, trugen sie damals die Soldaten in den Kampf und zogen Karren und Wagen und später sogar große Waffen, die Geschütze hießen. Das Tor selbst wurde wiederum unter der Herrschaft von Friedrich Wilhelm des zweiten gebaut, doch eigentlich war es ein Nachbau eines anderen irgendwie mickrigeren Tores, das zum ehemaligen Stadttor gehörte und das vormals auch da stand. So genau hörte der Held gar nicht mehr zu. Er hatte noch nie jemanden kennen gelernt, der sich so lange über die Historie von Bauten auslassen konnte. Das war bestimmt wichtig, aber der Held konnte nichts dagegen machen, so lange konnte er einfach nicht tatenlos herumstehen und nur zuhören. Deswegen ging er näher an das Tor heran, um es sich mal ganz genau von unten anzusehen. Nach einiger Zeit kamen auch Milten und Günther hinzu, der jetzt nach vorne auf eine große Säule zeigte, wo eine Figur an der Spitze im schwachen Licht des bewölkten Tages matt schimmerte.
„Das ist die Siegessäule. Sie wurde 1864 nach dem Sieg Preußens im Deutsch-Dänischen Krieg gebaut.“
Er wollte schon wieder ansetzen, um einen erneuten Vortrag zu halten, da nutzte der Held diese Atempause um zu fragen: „Du sagst immer Preußen, ich dachte das Land hier heißt Deutschland.“
„Ja, jetzt heißt es so, aber früher gab es noch kein geeintes Land, sondern einzelne Staaten, die von Königen regiert wurden.“
„Und jetzt nicht mehr?“ fragte der Held erstaunt.
„Nein“, sagte Günther und lachte leicht. „Es gibt kaum noch Länder auf der Welt wo Könige regieren, naja manche Staatsoberhäupter benehmen sich weiterhin so, aber hier gibt es eine Demokratie.“
Das fand der Held wiederum interessant, denn es war eine völlig neue Idee wie sie ihr Problem mit dem regieren in Myrtana in den Griff bekommen könnten und er fein raus wäre.
„Was ist denn das?“ fragte er deswegen neugierig.
Günther war erstaunt, dass ihnen das unbekannt war, denn auch Milten sah den Geistlichen verwundert an. Und so erzählte er ihnen lang und breit wie sich hier eine Regierung bildete. Soweit der Held das verstand, wählten die Bürger Gruppen, die dann einen Rat bildeten und der dann über die Geschicke des Landes entschied.
„Das hört sich toll an“, strahlte der Held. „Das sollten wir bei uns auch einführen.“
Milten war nicht gleich so euphorisch. Er sah es differenzierter.
„Das bedeutet doch aber sicher auch, dass sie sehr lange brauchen um eine Veränderung herbeizuführen, oder?“
„Ja“ gab Günther zu. „Im Normalfall schon, manchmal zieht sich eine Entscheidung über Jahrzehnte hinweg.“
Milten und der Held sahen sich an.
„Also bis dahin wären bei uns schon alle Tod, das können wir so nicht machen.“
Der Feuermagier schüttelte den Kopf.
„Milten, jetzt sei doch nicht gleich so pessimistisch. Man könnte es ja mal ausprobieren und wenn es eben nicht funktioniert, dann überlegen wir uns eben was anderes.“
Milten wusste ganz genau, dass der Held nach Ausflüchten suchte, um ja nicht selber ins Amt zu müssen und das verärgerte ihn. Warum sträubte er sich nur so dagegen? Günther fand das alles sehr lustig.
„Hört sich ja an, als hättet ihr bei euch richtig was mitzureden in der Regierung.“
Der Held wollte sich nicht dazu äußern.
„Also ich nicht, aber unser derzeitiger Regent Lee hat ihn als neuen König vorgeschlagen“, erklärte Milten.
Günther sah aus, als hätte er eben empfohlen Till Schweiger sollte neuer Bundeskanzler werden.
„Er? Wirklich?“ fragte er ungläubig.
„Siehst du, er hält es auch für eine blöde Idee“, sagte der Held und grinste, froh endlich einen Unterstützer seiner „Kein König Kampagne" gefunden zu haben.
Milten funkelte ihn wütend an.
„Jetzt hör endlich auf damit! Hast du denn andere Vorschläge? Wer soll es denn sonst tun?“
„Das haben wir doch schon öfter besprochen. Vielleicht schafft es Lee ja doch und wenn wir zurückkommen ist alles in Ordnung.“
„Oder es gibt gar kein Myrtana mehr in das wir zurückkehren können, weil alle verhungert oder von irgendwelchen Viechern, oder Orks getötet wurden“, sagte Milten gereizt.
Warum konnte sein Freund nicht endlich einsehen, dass es nötig war? Sonst hatte niemand die Macht sie alle zu retten. Sie brauchten ihn. Doch der sah gar nicht ein, warum er auf seine Freiheit verzichten sollte. Günther war indes jedes Lächeln vergangen. Was seine beiden neuen Bekannten da besprachen, hörte sich überaus ernst an.
„Was ist denn mit eurem Land?“
„So wie hier, gibt es auch bei uns Kriege und die letzten beiden Orkkriege haben zusammen ungefähr dreißig Jahre gedauert und wir hätten ganz sicher verloren, wenn er nicht das Ruder noch mal rumgerissen hätte.“
„Wie meinst du das?“ fragte Günther verwundert.
„Du hast doch vorhin gesagt, dass Berlin mal eine Zeit lang besetzt war und jetzt stell dir vor, da wäre ein Mann gewesen, der alle Besatzer erledigt hätte.“
Günther sah völlig baff aus.
„Jetzt übertreib mal nicht Milten, das ist doch was ganz anderes. Hier leben viel mehr Menschen als bei uns. In Myrtana leben doch höchstens, na wenn‘s hochkommt Tausendvierhundert Leute, oder so. Das ist was ganz anderes“, redete der Held seine Taten klein.
„So oder so, ohne dich wären wir alle drauf gegangen. Ich würde immer noch im Minental festsitzen, die Drachen hätten vermutlich alles abgefackelt und die Orks die Bevölkerung entweder getötet oder versklavt“, sagte Milten, der mit seiner Geduld am Ende war, was schon etwas heißen sollte.
„Naja, sie wurden auch so getötet und versklavt“, erwiderte der Held ungerührt.
„Aber du hast die Herrschaft der Orks beendet“, hielt der Feuermagier dagegen.
„Wartet mal, sagtet ihr da etwas von Drachen?“ fragte Günther, der langsam glaubte er wäre im falschen Film.
„Ja, Drachen. Sechs Stück hat er erschlagen“ sagte Milten und zeigte kurz auf den Helden.
„Naja, eigentlich zehn. Die vier kleineren auf dem Festland vergessen immer alle“, stellte der Held richtig.
„Was heißt denn klein?“ wollte der irritierte Günther wissen.
„Naja, so … drei Meter, weiß nicht mehr genau.“
„Um wieder zum Thema zurückzukommen“, sagte Milten, der versuchte sich zu beruhigen. „Wir müssen eine Lösung finden und das am besten schnell. Zuerst müssen wir natürlich hier weg.“
„Aber dieses „Demokratie“ hört sich doch gut an.“
„Ach ja? Du kannst dich doch bestimmt noch daran erinnern wie schwer es war Xardas und Pyrokar zur Zusammenarbeit zu bewegen und da ging es um den Untergang unseres Volkes. Was glaubst du wie lange es dauert, wenn es um solche banalen Dinge wie Steuern und dergleichen geht?“
Der Held versuchte sich tatsächlich daran zu erinnern was Steuern noch mal gleich waren. Er hatte nie welche gezahlt, so als Landstreicher, da hatte er nie große Berührungen damit gehabt. Es war so etwas wie Schutzgeld an das Königreich, wenn er sich richtig erinnerte. Aber er fand, Milten hatte Recht. Allzu wichtig war das nicht.
„Naja gut, und was ist, wenn wir das Volk den König wählen lassen?“
Sein Freund wurde ruhig.
„Hm… ich weiß nicht, vielleicht.“
Er dachte angestrengt darüber nach.
„Aber das würde nur bedeuten, dass es einen König gibt, mit dem die Mehrheit einverstanden wäre, es heißt nicht, dass es auch der König wäre, den das Land braucht.“
„Wo ist denn der Sitz dieser Regierung?“ wollte der Held wissen.
„Gleich da vorn“, sagte Günther und zeigte nach rechts, wo eine große gläserne Kuppel auf einem riesigen Gebäude aufragte.
Weder Milten noch der Held konnten sich eine Vorstellung davon machen, dass „gleich da vorn“ in diesem Land auch eher unüblich war, wenn es um die Beantwortung solcher Fragen ging.
Günther erklärte sich bereit es ihnen zu zeigen. Es gab Führungen und Günther schlug vor an einer teil zu nehmen. Auch ihr Führer konnte unglaublich viel zu diesem Gebäude und der Politik, die hier stattfand und stattfindet erzählen. Es war unglaublich. Besonders der Held war fasziniert und alles was er sah und hörte bestärkten ihn in dem Vorhaben solche Volkswahlen auch in Myrtana einzuführen.
Eispfötchen
01.03.2018, 21:18
Im Versteck war Anette eifrig am Werkeln. Sie hatte ihren Laptop mitgebracht, ihn im Erdgeschoss an einem wackeligen Tisch aufgestellt und designte nun die Schachteln für das Sumpfkraut. Dazu hatte sie eine besonders schöne Sumpfkrautpflanze fotografiert und dann später mit dem Bearbeitungsprogramm Gimp so verändert, dass es gut ins Bild passte. Der Hintergrund war in einem Smaragdgrün, die hellere Pflanze stach so gut hervor. Mit knalligen Farben schrieb sie an die Seite, dass es rein biologisch war und es gab sogar einen Warnhinweis: „Nicht alle auf einmal rauchen!“
Lester kam gerade die Treppe aus dem Keller hoch. Er hatte die nächste Charge Sumpfkraut hergestellt. Er fühlte sich nicht ganz wohl, wenn die Skelette dort unten standen, aber er wusste, dass er jetzt da durch musste. Es half nichts sich zu beschweren.
„He Lester, ich bin fertig, willst du es dir mal ansehen?“ fragte Annette und er kam zu ihr.
Lester verstand nicht wie dieses Bild sich materialisieren sollte.
„Was genau hast du vor?“
„Ich werde einen vertrauensvollen Händler finden, der mir das druckt und dann kommen Kistenweise Schachteln ins Haus.“
„Und du kennst jemanden, der sowas macht?“
Sie zwinkerte ihm zu.
„Das ist doch meine Aufgabe.“
Lester war es recht. Er zündete sich einen Sumpfkrautstengel an und schmauchte genüsslich.
„Willst du auch einen?“ fragte er und hielt der Frau einen Stengel hin.
„Ähm…“
Annette wollte ihn nicht verärgern. Wenn sie schon in so einem „Betrieb“ arbeitete, wollte sie wenigstens ihren guten Willen zeigen.
„Klar, ähm… hast du Feuer?“
Auch Lester hatte eine Feuerpfeilrune. Es war einfach ungemein praktisch zum Anzünden von Sumpfkrautstengeln. Annette staunte und nahm dann auch einen Zug. Sie stellte sich ungeschickt an, sog ganz vorsichtig den Rauch ein und musste trotzdem husten.
„He, alles in Ordnung?“ fragte Lester verwundert.
Annette hustete weiter, Tränen schossen ihr in die Augen und sie brachte mühsam hervor: „Klar, alles ok.“
„Sieht aber nicht so aus. Vielleicht verträgst du es nicht?“
„Ist das schlimm?“ fragte sie unsicher.
Lester schüttelte den Kopf. Dann blieb doch mehr für ihn übrig.
Später kamen auch die anderen ins Versteck bis sie vollzählig waren. Selbst Elyas war da. So lernte Annette auch Diego und Milten kennen, obwohl sie etwas verwundert war, dass sie mit dem Sumpfkraut nichts so richtig zu tun haben wollten. Erst später verstand sie, dass sie keine Geschäftspartner, sondern Freunde der anderen waren. Sie blieb aber nicht lange, sondern sagte: „Ich muss los. Heute findet ein InExtremo Konzert statt, da will ich hin.“
„Was ist denn das, ein Konzert?“ wollte Lester wissen.
Annette sah verwundert aus der Wäsche.
„Naja, Musik und eigentlich immer gute Stimmung.“
„Und was ist InExtremo?“ fragte Gorn.
„Die Band, die Leute, die da spielen. He, wollt ihr mitkommen?“
Hoffnungsvoll sah sie zu ihren neuen Bekannten. Sonst würde sie allein hingehen.
„Hört sich nach Spaß an, was meint ihr?“ fragte der Held seine Freunde.
Es kamen etwas verhaltene Antworten wie: „Kann man sich mal ansehen“, „Mal sehen was das ist“, „Einfach mal gucken gehen“.
Also zogen sie los. Annette lotste sie zu dem Konzert, aber es gab ein Hindernis. Man durfte offenbar nur rein, wenn man im Besitz gewisser Karten war.
„Müssen wir jetzt erst in einen Tempel und dort gegen Steinwächter oder Untote kämpfen?“ wollte der Held wissen.
„Was? Nein, eigentlich hatte ich gehofft jemand würde hier vorne stehen und seine restlichen Karten verkaufen. Das ist immer so!“ beteuerte ihre neue Bekanntschaft.
„Tja, heute wohl nicht“, sagte Diego trocken.
„Ich hab eine Idee“, sagte der Held, der nicht an aufgeben dachte.
„Und was für eine?“ wollte Milten wissen.
„Erstmal warten wir, bis alle drin sind.“
„Und dann?“ fragte der Feuermagier gespannt, weil er angesichts des schelmischen Grinsens seines Freundes Übles erwartete.
„Du wirst schon sehen.“
„Das hatte ich befürchtet.“
Annette sah sich nervös um. Sie wollte hinein gehen, aber ihre neuen Bekannte auch nicht einfach so stehen lassen. Von drinnen hörten sie bereits Musik.
„Das ist nur die Vorband“, erklärte sie, mehr um sich selbst zu beruhigen, als eine wirkliche Erklärung abzugeben.
„Sieht so aus, als wären alle drin“, sagte Gorn und sah sich noch mal prüfend um.
„Was willst du tun?“ fragte jetzt auch Diego.
„Lasst mich nur machen“, sagte der Held und ging zu dem Typen, der diese ominösen Karten durchsah.
Es war wie bei Ravens Lager und was hatte er da gemacht? Es gab eine kurze Diskussion und dann volles Pfund aufs Maul, der Typ lag um und der Held warf einen Vergessens Zauber auf ihn. Dann winkte der Held seinen Freunden.
„Kommt rein, alles in Ordnung.“
„Wenn du das sagst“, kam es von Diego.
„Ich hoffe, du machst das nicht öfter so“, bemerkte Milten.
Annette hatte wohl für sich beschlossen sich über gar nichts mehr zu wundern was diese Typen anging und folgte ihnen einfach. Je weiter sie kamen, umso lauter wurde es. Dann erreichten sie die ersten Ausläufer der Menschenmassen und es war ein einziges Chaos aus Lärm, Gewusel und Rauchschwaden, die über die Menge zogen. Lester fühlte sich gleich animiert ebenfalls zu rauchen. Es war nicht zu übersehen, dass er mit seinem Sumpfkrautkonsum nicht allein da stand. Die Vorband war jetzt fertig und es gab eine Pause in der sie eine halbe Ewigkeit nur herumstanden.
„War es das schon?“ fragte der Held Annette.
„Nein, das ist nur eine Pause, jetzt wird ein bisschen umgeräumt und es geht weiter.“
Zeit genug, um sich die Leute um sie her anzusehen. Es waren meistens Männer in ihrem Alter, die häufig dunkle Sachen trugen, viele davon bedruckt mit Bildern oder Schrift. Sie erzählten laut und da das fast alle taten entstand ein wogendes tosendes Meer des Gequassels. Tatsächlich ging es dann endlich weiter. Die Musiker, die fremdartige Instrumente trugen, stellten sich auf der Bühne auf. Die Band legte voll los und es war dem Helden und seinen Freunden, als würden ihnen die Ohren wegfliegen, so laut donnerte die Musik auf sie zu. Die Menge um sie herum hopste und grölte laut mit. Auch Annette sprang auf und ab wie ein Flummi und kam richtig aus sich heraus.
„Warum schreien die alle so?“ fragte Diego und er musste die Frage zweimal stellen und selbst schreien, damit seine Freunde ihn hörten.
„Ich glaube, die haben Spaß“, rief der Held zurück und freute sich mit den anderen mit.
„Ich kann mich nicht erinnern, dass es bei uns mal so etwas gab“, sagte Lester laut frei heraus.
Tatsächlich tobte der Krieg in Myrtana nun schon so lange, dass sich kaum jemand an kulturelle und fröhliche, gesellschaftliche Vergnügungen erinnern konnte. Doch bei Diego fiel etwas ein.
„He, kommen euch diese Sänger und diese Musik auch bekannt vor?“ fragte Diego zwischen all dem Lärm hindurch.
„Nein“ kam es von Gorn.
„Nicht, dass ich wüsste“, sagte Lester.
„Ich erinnere mich dunkel an etwas, das sich so anhörte“, ließ Milten verlauten.
„Diego, weißt du noch wie da diese Musikgruppe im alten Lager spielte?“ fragte der Held aufgeregt.
Diegos Augen wurden groß.
„Ja, die! Aber wie kommen die hierher?“
„Das sollten wir sie fragen. Wir müssen irgendwie herausfinden wie sie das gemacht haben. Dann kommen wir selbst auch wieder zurück“, sagte der Held und kratzte sich gedankenversunken am Bart.
Annette, die nur die Hälfte von ihrem Gespräch mitbekommen hatte, fragte verwundert: „Ihr wollt zu Ihnen? Meine Güte, ihr seid bestimmt nicht die Ersten, die das versuchen. Die haben Bodyguards.“
„Was?“ fragte der Held.
„Leibwächter“, sagte Annette, die immer noch wild herumhüpfte und schon bemerkt hatte, dass ihre neuen Arbeitgeber mit Englisch nichts anzufangen wussten.
„Ach was, ich komm überall rein“, sagte der Held selbstbewusst.
„Bitte, schlag nicht noch mehr Leute zusammen“, beschwor ihn Milten.
„Na schön, ich lass mir was anderes einfallen.“
Er dachte kurz nach und schlug dann vor: „Wie wäre es denn mit der guten alten Fleischwanzenverwandlung?“
Gorn war überzeugt.
„Hört sich gut an. Jetzt müssen wir nur noch abwarten bis dieses Konzert vorbei ist und dann krabbelst du ungesehen zu ihnen.“
Bis dahin ließen sie sich langsam von der Freude der anderen Leute anstecken. Es waren viele fröhliche und mitreißende Lieder dabei, die dazu einluden mitzusingen, auch wenn man den Text nicht kannte. Gerade dem Helden gefielen manche der Texte. Besonders angetan hatten es ihm ein Lied über Freiheit und Zigeunerleben* (https://www.youtube.com/watch?v=apdiIvy5aM4) und das mit den Piraten** (https://www.youtube.com/watch?v=dxxCCeaeLIw).
„Das erinnert mich an meine Zeit als Pirat“, sagte er, als das Lied „Störtebeker“ lief.
„Du warst mal ein Pirat?“ rief Milten fassungslos.
„Ja, hab ich das nicht erzählt? Damals, als ich in Jharkendar war.“
„Hörte sich für mich eher so an, als hättest du nur ein paar Tage Aufträge für sie erledigt“, kam es laut von Gorn.
„Und wo ist da der Unterschied zu meiner Zeit als Schatten, oder Wassermagier? Es kommt mir so vor, als hätte ich alles nur ein paar Tage gemacht. Naja, Söldner und Drachenjäger war ich ein bisschen länger.“
Gorn lachte und man konnte es selbst durch all den Lärm ein paar Meter weit hören. Er klatschte seinem Freund eine seiner schweren Pranken auf die Schulter.
„Tja, du bist eben die Karriereleiter hochgefallen, was?“
Die Stimmung wurde immer ausgelassener und weit vorne sah es so aus, als veranstalteten die Fans Ringelpietz mit Anfassen. Sie wogten hin und her und schuppsten sich gegenseitig in die Menge. Auf der Bühne ging es auch immer wieder richtig nach vorne. Laut schmetterten die Bässe und hin und wieder stiegen hohe Feuersäulen auf um mal so richtig einen drauf zu machen. Die Zeit verging im Flug. Als es schon so aussah, als wäre es vorbei, da kam die Band doch noch mal auf die Bühne und gab eine Zugabe. Es war richtig schön, einfach mal alles um sich herum zu vergessen und sich einfach nur zu freuen. Schade, dass es schon vorbei war. Die meisten der Leute verzogen sich langsam, oder drängten zu einigen Tischen wo Fanartikel verkauft wurden, um die letzten Reste abzugreifen. Lester, Milten, Diego, Gorn, der Held und Annette warteten und drängten sich dann in die Richtung wohin die Band verschwunden war. Dort standen auch einige Aufpasser, was den Verdacht erhärtete, dass sie dort sein mussten.
Der Held suchte sich eine stille Ecke, um sich zu verwandeln. Als Fleischwanze wurde er leicht übersehen, doch das wesentlich Schwierigere war, sich nicht zerquetschen zu lassen. Doch der Held wäre nicht er, wenn er das nicht schaffen würde. Er war jetzt in einem Gang und sah sich umständlich um. Niemand da. Er verwandelte sich zurück und ging den Gang entlang, dahin wo er Stimmen hörte.
„Ich hab mich halb tot gelacht, als dich der Typ geküsst hat“, hörte er eine leichte, lachende Stimme.
„Ich find das gar nicht mehr witzig“, hörte er eine andere, sehr raue Stimme. „Da will man den Fans was Gutes tun und lädt sie zu ihrem Geburtstag hoch auf die Bühne und dann sowas …“
„Ach nimm es doch nicht so schwer, der wollte bestimmt nur mal seinem Idol nahe sein.“
Der Held hörte Gelächter und ohne anzuklopfen trat er zur Tür herein.
„Hallo, ich hab eine Frage …“
„Oh nein, was machst du denn hier?“ wollte einer der Männer vor ihm wissen.
Die Mitglieder der Band hockten alle ganz lässig im Raum und hatten wohl gehofft sich einfach mal ausruhen zu können.
„Ich sag doch, die Fans kommen überall rein“, sagte ein anderer, kleinerer Typ.
„Es geht um folgendes…“ ließ sich der Held nicht aus der Ruhe bringen. „Ihr kommt mir alle sehr bekannt vor und auch eure Musik, aber das letzte Mal, als ich euch gesehen habe war das vor Gomez Burg, im alten Lager, im Minental. Wie kann das sein? Wie seid ihr da hingekommen und wie kamt ihr wieder hierher zurück?“
Die Band sah ihn wie vom Donner gerührt an. Eine Zeit lang sagte keiner etwas, sondern starrte den Typen nur an. Der Held befürchtete schon er würde keine positive Antwort bekommen, da sagte der mit der rauen Stimme, den der Held als den Sänger erkannte: „Ja, du kommst mir auch irgendwie bekannt vor.“
Er musterte den Helden eingehend.
„Naja, letztes Mal hatte ich eine rote Rüstung an.“
Sein Gegenüber schlug sich mit der Hand an den Kopf.
„Stimmt. Dann war das doch kein Trip, ich hatte echt gedacht, dass hätte ich bloß irgendwie geträumt.“
„Öh… sowas mit Burg und so mittelaltermäßig, das hab ich auch geträumt. Muss so 1999, oder 2000 oder so gewesen sein“, sagte einer seiner Kollegen.
„Ja, genau. Eine riesen Burg und wir haben neben so einem stinkenden Tümpel gespielt“, sagte ein Dritter, der etwas dicker war.
„Wir können doch nicht alle das Gleiche geträumt haben“, sinnierte der mit der rauen Stimme.
„Gibt es Kollektivträumen?“ fragte der Kleinere.
„Quatsch nicht … es muss wahr gewesen sein, jedenfalls wenn unser Freund hier uns nicht tüchtig verarscht.“
„Wisst ihr noch, wie ihr da hingekommen seid?“ wollte der Held wissen.
Die Männer sahen sich an und versuchten sich zu erinnern.
„Da war so ein Typ…“ fing der eine an. „Ja, so ein alter Mann. Ich glaube, der war blind.“
„Also, ich hatte das Gefühl, er hat uns trotzdem gesehen.“
„Ja, dieser alte Mann, irgendwie hat der was gedreht, damit wir dann auf einmal bei ihm waren. War alles ziemlich … wirr, aber ich ging ja auch davon aus, ich hab das geträumt und deswegen hab ich mir nichts weiter dabei gedacht“, kam es vom Sänger.
„Hm…“ kam es nachdenklich vom Helden, der sich denken konnte, wer dieser alte Mann war. „Ihr habt ihn nicht zufällig in letzter Zeit wieder getroffen?“
„Nein, der war nur zwei Mal da, richtig Männer?“
Seine Kumpels nickten.
„Einmal am Anfang des Traums, dann haben wir eine Weile gespielt, kam mir wie Tage vor und immer das gleiche Lied und dann am Ende des Traums war der alte Mann nochmal da und dann bin ich aufgewacht.“
„Genau“, stimmten ihm seine Jungs zu.
„Gibt es sonst noch etwas Wichtiges darüber zu sagen?“ wollte der Held in Erfahrung bringen.
„Hm… nein. Wir sind hin, haben gespielt und sind wieder zurück, mehr war nicht“, sagte der Sänger grübelnd.
„Na schön …“ sagte der Held etwas enttäuscht, weil er gehofft hatte, etwas Licht in dieses Mysterium bringen zu können.
„Manche von den Leuten dort hatten so blaue Steine …“ erinnerte sich der Kleinere.
„Ach, du meinst solche hier?“ fragte der Held und holte ein paar davon aus seiner Tasche.
„Ja, genau solche“, kam es aufgeregt zurück.
„Das ist magisches Erz.“
Er reichte es den Bandmitgliedern, die es ganz genau unter die Lupe nahmen.
„Wenn ihr nicht mehr darüber wisst, danke ich euch aber für diese Information. Ich denke, ich weiß nach wem ich suchen muss.“
Er wollte schon gehen, da drehte er sich noch einmal um, weil der Ruf hinterherkam: „He, dein Erz!“
„Behaltet es ruhig. Ihr macht richtig tolle Musik.“
Dann verschwand der Held und kaum hatte er das Zimmer verlassen, entstanden angeregte Gespräche unter den Bandmitgliedern.
„He, wo kommst du denn her?“ fragte ein Leibwächter verärgert, als er aus dem verbotenen Gang zurückkam.
„Ich hab mich nur mal umgesehen“, sagte der Held lapidar.
„Mach das du wegkommst“, drohte der Wächter.
Der Held hatte auch keinen Grund länger zu bleiben. Er suchte nach seinen Freunden. Sie standen mit gutem Blick auf den Leibwächter da und Lester winkte ihm zu.
„Wo ist denn Annette?“ fragte der Held.
„Sie sagte, sie müsse nach Hause“, sagte Lester.
„Und, was hast du herausbekommen?“ fragte Gorn ungeduldig.
„So wie es sich anhörte, hat Xardas was damit zu tun.“
„Wieso Xardas?“ fragte Diego.
„Ich weiß nicht“, gab der Held zu, „aber die Beschreibung der Musikanten passt auf ihn. Keine Ahnung warum er das gemacht hat, aber wenn er die in unsere Welt und wieder hierher zurück bringen konnte, dann sollte er es doch auch schaffen uns wieder nach Myrtana zu schicken.“
„Und … wie sagen wir ihm das?“ fragte Lester.
„He, warum schaut ihr auf einmal alle mich an?“ kam es genervt von Milten.
„Naja“, fing Gorn an. „Wir dachten, du wüsstest vielleicht von so einer geheimen Kommunikation unter Magiern oder so.“
„Nein, und selbst wenn, dann würden Dämonenbeschwörer und Feuermagier ganz sicher nicht mit einander in Verbindung stehen.“
„Aber Xardas war doch auch mal ein Feuermagier“, hielt der Held dagegen.
„Trotzdem. Sowas gibt es nicht und selbst wenn, warum sollte es von einer Welt in die andere funktionieren?“, sagte Milten entschieden.
„Naja … Magie“, sagte der Held schulterzuckend.
„Nein!“
Es war klar, dass Milten da keinen Weg sah.
„Schade, …“
Nach der lauten Musik war die drückende Stille besonders schwer.
„Und was machen wir jetzt?“ fragte Lester und zündete sich einen weiteren Stengel Sumpfkraut an.
„Hm… wir müssen versuchen irgendwie mit Xardas in Kontakt zu treten, oder vielleicht kriegen wir ja auch selber raus wie er das gemacht hat“, überlegte der Held.
„Hat bestimmt irgendwas mit Beliarmagie zu tun“, sagte Milten resigniert.
„Kopf hoch, wir haben es so weit geschafft, da kriegen wir das andere auch noch hin“, sagte der Held und versuchte Optimismus zu verbreiten.
Das war eine der großen Stärken des Helden. Es konnte noch so düster aussehen, er sah immer noch einen Silberstreif am Horizont. Seine Freunde konnten gar nicht anders, als sich etwas besser zu fühlen.
*https://www.youtube.com/watch?v=apdiIvy5aM4
**https://www.youtube.com/watch?v=dxxCCeaeLIw
Eispfötchen
01.03.2018, 21:19
Am nächsten Morgen wachte der Held in seinem Bett auf. Er hatte tatsächlich mal wieder geschlafen. Er stand auf und patschte Waldi kurz auf den Kopf, der neben ihm in seinem Korb lag.
„Ja, kriegst ja was“, sagte der Held, weil Waldi bettelte und griff in seine Tasche um ein gut abgelagertes Stück Fleisch hervorzuziehen und dem Wolf hinzuhalten.
Etwas zögerlich nahm das beschworene Tier das Stück ins Maul und fing an zu fressen. Der Held spitzte indes die Ohren. Er hörte fröhliches Pfeifen und ging in die Richtung aus der es kam.
„Lester?“ fragte er, als er die Etage gewechselt hatte.
„Hier“, kam es zur Antwort aus dem Badezimmer.
„Was machst du da?“ fragte der Held, als er vorsichtig ins Zimmer lugte, wo Lester in der Wanne saß und mit einem Stück Seife sein T-Shirt schrubbte.
„Ich wasche, oder siehst du das nicht?“
Lester lachte.
„Dieses Wasser, das aus der Wand kommt ist klasse. Da gibt es sogar warmes Wasser. Stell dir das mal vor: warmes Wasser, das aus der Wand kommt.“
Der Held sah ihn ungläubig an.
„Aha? Aber ich dachte für die Wäsche gäbe es diese Waschmaschinen? Da fällt mir ein, ich sollte mir mal eine neue Anlaufstelle suchen, ich glaub im letzten Laden kann ich mich nicht mehr blicken lassen.“
„Was hast du gemacht?“ fragte Lester und klatschte sein „Ich mag Kraut“ Shirt jetzt ins Wasser und nahm als nächstes seine Hose zur Hand.
„Na gewaschen, sonst nichts“, kam es unschuldig vom Helden.
Lester kräuselte die Stirn.
„Aha.“
Er beschloss nicht weiter zu fragen.
„Und wie kriegst du die Klamotten trocken?“ wollte der Held wissen, weil er sich erinnerte, dass ihn die meisten Bürger komisch angesehen hatten, als er pitschnass der Spree entstieg, eben aus dem Grund weil sich sein angepeiltes Ziel auf der anderen Seite befand.
„Da gibt es so eine tolle Vorrichtung, die nennt sich „Der Föhn“. Davon hat mir Elyas erzählt. Da kommt heiße Luft raus, damit werde ich meine Klamotten nachher trocknen.“
Das hörte sich für den Helden logisch an. Er drehte den Kopf, als er ein leises Klopfen hörte.
„Da ist jemand unten an der Tür. Ich seh mal nach“, sagte er und ließ Lester allein, der wieder anfing fröhlich vor sich hin zu pfeifen.
Er lief die Treppen nach unten und öffnete die Tür. Es war Annette.
„He, ich steh mit meinem Auto im eingeschränkten Halteverbot. Kannst du mir helfen die Pakete rein zu tragen?“
Der Held sah nach draußen, wo ein sturmgrauer Kleinwagen bis oben hin vollgepackt mit braunen Paketen am Straßenrand stand.
„Klar.“
Die Pakete waren sperrig, aber sehr leicht. Als Annette das Haus bepackt mit zwei Kisten betrat, ertönte ein furchteinflößendes Knurren und Waldi kam die Treppe hinunter gesprungen.
„Waldi, Schluss! Sie gehört jetzt zu uns“, belehrte der Held seine Beschwörung.
Annette hatte ihre Pakete erschrocken fallen gelassen und sah jetzt erstarrt zu dem Tier vor sich. Waldi hatte aufgehört zu knurren, musterte die Frau aber skeptisch.
„Das ist mein Wolf“, erklärte der Held, weil seine Bekannte so aussah, als bedurfte sie einer Erklärung.
„Ist der auch beschworen?“ fragte Annette leise, fast als wollte sie das Tier nicht dazu motivieren wieder zu drohen.
„Ja.“
„Und er heißt Waldi?“ fragte Annette perplex.
„Ein Junge aus der Straße hat ihn so genannt.“
„Ahja, dann ist mir alles klar.“
Sie griff sich wieder die Pakete und brachte sie in den Keller. Ohne weitere Zwischenfälle luden sie alle Pakete aus. Annette fuhr ihren Wagen zu einem Parkplatz in der Nähe und als sie zurückkam, sah sie, dass der Held schon begonnen hatte die Pakete zu öffnen.
„Das sind die Verpackungen für die Sumpfkrautstengel.“
Es war eine Feststellung keine Frage, aber trotzdem sagte Annette: „Ja, richtig. Gefällt es dir?“
Der Held nahm einige Stengel aus einer Tüte zur Hand und legte sie in die Schachtel. Sie waren sicher verstaut, die Schachtel ließ sich öffnen und schließen, das war es worauf es aus seiner Sicht ankam.
„Passt“.
Sie begannen die Stengel in die Schachteln zu Packen. Eine Packung konnte zwanzig Stengel aufnehmen.
„Ich denke, ihr solltet mehr Geld verlangen.“
„Wie viel denn?“ fragte der Held, dem es eigentlich gar nicht so sehr um das Geld ging.
Sie hatten Elyas Schulden bei Cem schon abbezahlt und sie konnten sich von dem Geld, das sie hatten Essen kaufen. Wozu brauchten sie überhaupt noch welches? Der Held sah es eher als Beschäftigung. Auch wenn es nicht unbedingt spannend war, kam er in der Stadt herum und traf viele Leute und da war ihm nur Recht, wenn er auch etwas Nützliches damit verband.
„Naja, so vierzig Euro pro Packung sollten es schon sein. Immerhin handelt es sich um … seltene Pflanzen.“
„Von mir aus. Mal sehen, ob die Käufer das auch mit machen.“
„Bestimmt“, sie zwinkerte ihm zu.
„Sag mal“, fing der Held an. „Du hast gesagt, du wolltest diesen Bürojob nicht mehr machen, weil es zu langweilig war. Was hast du denn nach der Arbeit gemacht? Dieses Konzert neulich hat Spaß gemacht. Sowas ist doch eine Abwechslung von der Arbeit.“
Der Held wollte besser verstehen wie ein Leben hier ablief. Im Finanzamt hatte er einige oberflächliche Einsichten in diese Bürotätigkeiten bekommen und fand schon das sterbens langweilig. Doch er wollte wissen, ob es wirklich so war.
„Naja, gerade hier in Berlin gibt es viele Clubs und Kultureinrichtungen, um sich zu unterhalten. Aber irgendwann hatte ich eben alles was mich interessierte auch gesehen und dann war es nichts Interessantes mehr. Und meine Arbeit, … es war eine sichere Arbeit im Büro und das ist vielleicht auch Teil des Problems. Ich war abgeschottet von der Welt um mich herum. Es war immer das Gleiche, Schreibzeug hier, Schreibzeug da. Die gleichen Leute, jeden Tag. Ich musste irgendwann über gar nichts mehr nachdenken, es war ja immer gleich. Keine neuen Erfahrungen. Im Fernsehen oder im Radio laufen immerzu Nachrichten von überall auf der Welt. Erdbeben, Kriege, schreckliche Taten, die Menschen anderen Menschen antun, aber das ist … es ist, als wäre das in einer anderen Welt. Es berührte meinen Alltag nie, ob jetzt ein Hochhaus in England Feuer gefangen hat oder ein Bus in Italien verunglückt ist, es hatte überhaupt keinen Einfluss auf mein Leben. Immerzu sagte ich mir, dass ich ja auch froh darüber sein sollte. Wer will denn schon im Elend leben? Aber … es ist als hätte ich ein Leben in einem Elfenbeinturm verbracht, in einem goldenen Käfig. Hier gibt es alles was man braucht, ich musste nie Hunger leiden, nie wirklich um mein Leben fürchten. Ich sollte doch froh sein, oder nicht?“
Annette hielt in ihrer Arbeit inne und sah den Helden aus großen Augen an. Sie schien um eine Bestätigung zu bitten.
„Hm...“ kam es vom Helden. „Aber was ist mit Abenteuern?“
Annette schnaubte.
„Hier ist es doch schon ein Abenteuer, wenn man mit dem öffentlichen Zugverkehr fährt.“
„Was meinst du?“
Der Held verstand nicht was sie ihm damit sagen wollte.
„In diesem Land ist alles ganz genau reglementiert. Es gibt Vorschriften und Gesetze, viele Gesetze. Ich war eigentlich immer froh deswegen und hab mich auch dran gehalten, aber es ist … langweilig.“
„Du meinst, du machst das hier, weil du was erleben willst?“ fragte der Held verwundert.
„Ja, genau. Schon allein, weil es verboten ist, ist es aufregend.“
„Hm… und ich hatte den Eindruck Sumpfkraut in Pappschachteln zu stecken wäre langweilig.“
Annette kicherte.
„Dann bist du vermutlich anderes gewohnt. Ich finde es aufregend. Ich stehe in einem Keller und arbeite mit einem Drogenhändler zusammen, während an der Tür zwei Skelette stehen und Wache halten. Das ist so ziemlich das Aufregendste was mir in meinem ganzen Leben passiert ist.“
Ihre Augen leuchteten.
„Wirklich?“ fragte der Held bestürzt und ihm ging durch den Kopf was für ein ödes Leben sie geführt haben musste, wenn das wirklich der Fall war.
„Wo ist eigentlich Lester?“ fragte Annette, weil sie dachte, dass es ihn interessieren könnte, dass die Sumpfkrautstengelverpackung endlich da war.
„Wie es aussieht hat er heute Waschtag“, sagte der Held gelangweilt.
Annette sagte nichts weiter dazu und die nächste halbe Stunde verbrachten sie weitgehend schweigend. Sie hatten zwei Pakete voller Schachteln befüllt, als Lester doch noch hereinspazierte. Er pfiff immer noch gut gelaunt vor sich hin.
„Oh, sind das diese Schachteln, von denen du erzählt hast?“ fragte er und sah sie sich an. „Sieht auf jeden Fall besser aus, als diese langweiligen Tüten.“
Er begann sofort sich selbst eine Packung zu füllen und in die noch leicht klamme Hosentasche zu stecken. Sie arbeiteten jetzt zu dritt.
„Hast du die Heilkräuter eingesammelt?“ fragte der Held.
„Ja, ich denke es sollte für zehn Tränke reichen“, kam zur Antwort.
„Hm… nicht besonders viel.“
„He, die müssen noch wachsen.“
„Was denn für Tränke?“ mischte sich Annette ein.
„Heiltränke. Wir haben vor so eine Art Arztpraxis aufzumachen, damit auch die Leute eine Chance auf Heilung haben, die keine Krankenversicherung haben.“
„Milten arbeitet doch im Krankenhaus und heilt da mit seiner Magie Leute, oder? So hab ich das verstanden“, sagte Annette zögerlich, weil sie nichts falsches sagen wollte.
„Ja, da dachten wir uns, das können wir doch auch, nur gegen Geld, viel Geld.“
„Hört sich nach einem Geschäftsmodell um. Ich frag mal meinen Bruder, ob er eine passende Internetseite erstellt. Da gibt es sicher einen riesen Ansturm.“
Das Handy des Helden klingelte. Es war Cem, der die nächste Fuhre Sumpfkraut haben wollte. Der Held griff sich einen Sack mit bereits fertig verschachtelten Sumpfkrautstengeln und begab sich auf den Weg zu ihm. Lester und Annette arbeiteten weiter. Es war eine eintönige Arbeit. Gespräche halfen da, damit es nicht langweilig wurde.
„Ist der Namenlose der Anführer?“ fragte sie.
„Der Namenlose?“ fragte Lester verwundert.
Er wusste natürlich schon wen sie meinte, wunderte sich aber über diese Anrede.
„Wie soll ich ihn denn sonst nennen, wenn er keinen Namen nennt?“
Sie zuckte etwas patzig mit den Schultern. Lester dachte darüber nach. Ja, wie eigentlich? Irgendwie waren sie immer ohne eine Anrede ausgekommen. Es wusste auch so jeder über wen sie sprachen.
„Anführer … naja, ich weiß nicht. Wir sind eben Freunde. Würdest du sagen, dass es unter deinen Freunden einen Anführer gibt?“
„Ich hab keine Freunde“, kam es traurig zurück.
Lester runzelte die Stirn.
„Wirklich nicht?“
Sie schüttelte wortlos den Kopf.
„Oh.“
Lester wurde in dem Moment klar, wie froh er war damals auf Milten, Diego und Gorn gestoßen zu sein. Ohne sie wäre die Zeit in der Kolonie bestimmt schwer erträglich gewesen. Freunde machten alles leichter, selbst, oder gerade dann, wenn man sich in einer echt beschissenen Situation befand.
„Er ist der mit den Ideen. Bei ihm hab ich das Gefühl, dass er einfach alles schaffen kann, … und immer so optimistisch, das ist toll.“
Anette lächelte schwach. Sie wollte sich für Lester freuen, aber sie konnte nicht ganz umhin auch ein bisschen neidisch zu sein. Sie sagte sich, dass sie immerhin ihren Bruder hatte.
Der Held hatte den Tag zum einen Teil in Cems „Paradise“ verbracht, zum anderen war er mal wieder durch die Stadt gezogen und hatte Sumpfkraut vertickt, immer auf der Such nach neuen Aufträgen oder Hinweisen auf eine Reise zwischen den Welten. Doch wie auch schon zuvor, war er nicht sehr erfolgreich gewesen. Langsam bekam er das Gefühl, dass mit dieser Welt etwas nicht stimmte. Es war alles so kompliziert und die Leute wollten nicht richtig mit ihm reden. Sie waren oft so oberflächlich und ihm war, als sagten sie oft nicht das, was sie meinten. Wenn er seine Hilfe anbot, so lächelten die Meisten nur und wehrten ab. Es gab einige kleine Aufträge, die ihn aber auch nicht von den Socken hauten. Ein Mann brauchte Hilfe beim Verladen eines Schranks in einen Lastwagen. Es handelte sich wohl um einen Umzug. Ein anderes Mal hatte ein Dieb jemanden bestohlen. Der Held verfolgte ihn, versetzte ihm eine Kopfnuss und brachte das Diebesgut zu der Touristin zurück, die sich wortreich, aber unverständlich bedankte. Selbst das war nicht wirklich spannend gewesen. Wo blieben die Abenteuer, wo die Kämpfe, wo die Ungeheuer? Wenn er nicht bald etwas Interessantes fand, würde er noch wahnsinnig, war sich der Held sicher.
Es war späte Nacht geworden. Er hatte unzählige Clubs besucht und war viel Sumpfkraut losgeworden. Es war wie Annette gesagt hatte, mit den neuen Schachteln zog er viel mehr Kunden an. Waren die Menschen bei den Tüten eher skeptisch, so fragten jetzt auch umstehende Leute, um was es sich handelte und wollten dann auch etwas. Diese Neukunden köderte er mit niedrigeren Preisen, denn vierzig Euro waren ihnen oftmals einfach zu viel.
Er war jetzt in einem Park. Der Himmel war bedeckt, der Mond war nicht zu sehen, so dass es sehr dunkel war. Es war kalt geworden und der Wind pfiff durch die kahlen Äste der knorrigen Bäume. Auf einer Bank, beleuchtet von einer Straßenlaterne sah er jemanden sitzen. Erst als er sich weiter näherte, erkannte er, dass es sich um ein Mädchen von vielleicht acht, oder neun Jahren handelte. Es war klein und schmächtig und hatte braune Haare, die aussahen, als hätte jemand dem Kind einen Topf aufgesetzt und dann alle überstehenden Haare abgeschnitten. Es trug eine dünne Stoffhose, nur einen Pullover, aber keine Jacke, Halbschuhe, aber keine Socken. Alles in allem sah das Kind aus, als hätte es sich sehr schnell und unüberlegt angezogen. Er hatte nicht viel Erfahrung im Umgang mit Kindern, doch kam es ihm ungewöhnlich vor, eins zu dieser Zeit ganz allein anzutreffen.
„He du“, kam es vom Helden.
Das Mädchen zuckte erschrocken zusammen.
„Was machst du denn hier, ganz allein?“
„Nichts“, kam sofort die schüchterne Antwort zurück.
Er sah, dass das Kind geweint hatte. Die kleinen Wangen waren ganz nass und die Augen rot. Was sollte er jetzt machen? Einfach weitergehen? Doch vielleicht gab es hier ja etwas zu tun.
„Kann ich dir helfen?“
Das Kind sah ihn unschlüssig an.
„Hast du dich verlaufen? Weißt du nicht mehr wie du nach Hause kommst?“
Keine Antwort.
„Was machst du denn hier?“
Er fand das Verhalten des Mädchens sonderbar. Warum antwortete sie denn nicht? Erst jetzt wurde ihm klar, dass sie vermutlich Angst vor ihm hatte.
„He, ich tu dir nichts.“
Er setzte sich zu ihr auf die Bank. Das Mädchen sah ihn skeptisch an.
„Ich … ich bin weggelaufen“, sagte es schließlich.
„Von zu Hause?“ mutmaßte der Held.
Sie schüttelte den Kopf.
„Nein, von so einem Ort, wo es Krankenschwestern gibt und Ärzte.“
„Ein Krankenhaus?“ tippte der Held.
Wieder Kopfschütteln.
„Pyso, Psycho…dingsbums… mein Vater nannte es mal Klapse, als er dachte, ich höre nicht zu.“
„Hm… und was ist das?“ fragte der Held weiter, der glaubte, dem Kind würde es besser gehen, wenn er es nur einfach am Reden hielte.
„Ich weiß nicht genau. Mama sagt, die Leute dort sollen mir helfen, damit es mir wieder besser geht.“
„Bist du krank?“ wollte der Held wissen.
Das Kind ließ den Kopf hängen.
„Weiß nicht.“
Verwundert bemerkte der Held, dass es wieder anfing zu weinen.
„Sie sagen, mit mir stimmt was nicht.“
Ein tiefer Schluchzer ließ den kleinen Körper erzittern. Der Held sah sich um. Niemand war da. Nur er und das kleine Mädchen. Was sollte er denn jetzt machen? Hier konnte er es doch nicht lassen. Vielleicht konnte er ja das Problem lösen.
„Worum geht es denn?“ fragte er weiter.
Die Kleine sah ihn scheu aus verheulten Augen an.
„Du bekommst bestimmt Angst, wenn ich es dir sage. Alle kriegen Angst.“
„Ach was, ich bin nicht ängstlich“, sagte der Held, wurde aber jetzt sehr neugierig.
Das Mädchen biss sich auf die Unterlippe und rutschte dann näher an den Helden heran. Sie flüsterte ihm ins Ohr: „Ich sehe tote Leute.“
Der Held, nicht im Geringsten erschüttert, antwortete: „Ach, das ist doch normal.“
Das Kind schaute ihn mit großen Augen an. Ein Hoffnungsschimmer keimte in der kleinen Brust.
„Wirklich?“
„Aber ja. Mir fällt eigentlich niemand ein, der keine toten Menschen gesehen hätte. Jeder stirbt doch mal und manchmal, da kommen eben Leute und greifen einen an und dann … sind sie hinterher tot. Alles ganz normal“, sagte der Held in fröhlichem Plauderton.
„Hm…“
Sie wusste wohl nicht, was sie davon halten sollte.
„Naja“, sagte sie leise. „Aber ich meinte eigentlich Leute, die tot sein sollten, es aber nicht sind.“
Der Held wurde hellhörig.
„Untote meinst du?“
„Weiß nicht … nennt man das so?“
Der Held musterte das Mädchen eingehend. Redete sie jetzt von beschworenen Untoten oder eher verstorbenen Leuten, die immer mal wieder kamen? Ersteres könnte bedeuten, dass Xardas doch in der Nähe war und ihr vielleicht unversehens ein Skelett über den Weg gelaufen war. Oder war es vielleicht seine Schuld gewesen? Immerhin war er auch mal mit zwei Skeletten durch Berlin gelaufen. Er verwarf den Gedanken aber schnell wieder. Niemand, der klar bei Sinnen war, würde jemanden für verrückt halten, nur weil er zwei Skelette gesehen hatte. Das konnte es also nicht sein. Vielleicht war sie aber auch wie die Totenwächter von Jharkendar und sie konnte mit ihren Ahnen reden?
„Kennst du diese Toten?“
Sie schüttelte langsam den Kopf.
„Sehen noch andere Leute sie?“
„Nein, eigentlich nicht, aber vorhin, da hinten…“
Sie zeigte auf die andere Seite des Parks.
„… da hab ich zwei Männer getroffen, die sagten, sie hätten auch herumlaufende Tote gesehen, aber die wirkten komisch und waren voll mit grünem Rauch.“
„Hm…“, kam es unschlüssig vom Helden. „Sagen diese Toten etwas zu dir?“
„Manchmal“, hauchte sie.
„Was sagen sie denn?“ bohrte der Held weiter.
„Verschiedenes.“
Das kleine Mädchen zog die Knie an und schlang dann die Arme um sie.
„Das mich niemand lieb hat, das ich ganz allein bin. Einer sagt immer wieder, dass er mich töten wird.“
Der Held blieb selbst angesichts dieser Antwort unerschütterlich und versuchte eine Lösung zu finden.
„Du bist doch nicht allein. Ich bin doch jetzt da.“
„Aber vorher war ich allein“, beharrte das Kind.
„Aber jetzt nicht mehr“, gab der Held nicht nach.
Ein leises Lächeln stahl sich auf das Gesicht des Mädchens.
„Und so ein Toter kann ja noch so oft sagen, dass er dich umbringen will, das heißt ja noch lange nicht, dass er es auch schafft.“
„Hat denn schon mal zu dir ein Toter gesagt, dass er dich umbringen will?“ fragte das Mädchen wieder mutlos.
„Nein, das nicht, aber sie versuchen es eben immer wieder.“
Das Mädchen sah ihn staunend an.
„Wirklich?“
„Ja, mit Schwertern und Äxten und manche untoten Tiere, die schnappen mit ihren Reiszähnen, aber keiner hat es je geschafft wie du siehst.“
Er überlegte noch, wie das Kind sich selbst verteidigen sollte. Wenn es Tote sah, dann war es vielleicht magisch begabt. Er zog eine Lichtrune hervor, um es zu testen.
„Hier, siehst du diesen Stein? Konzentriere dich doch mal darauf ein Licht zu machen, etwa so.“
Er zeigte ihr wie es ging. Ein gleißend helles Licht erschien über ihm und ließ das Licht der Straßenlaterne neben ihnen stumpf und dunkel wirken. Er gab ihr die Rune.
„Jetzt versuch du es!“
Sie nahm die Rune in ihre kleine Hand und strengte sich mächtig an. Es sah aus, als würde sie auf dem Klo sitzen.
„Nicht so verkrampft. Entspann dich! Es ist wichtig, dass du dir vorstellst was passieren soll.“
Doch nichts passierte.
„Schade."
Der Held war etwas enttäuscht, doch dann fiel ihm ein, dass sie ja eigentlich auch erst den ersten Kreis der Magie lernen musste, um eine Rune wirken zu können. Ja, das musste es sein. Dann konnte er seinen Plan, ihr eine „Untote vernichten“ Rune zu übergeben wohl vergessen. Da wären ja noch viel mehr Kreise nötig gewesen. Er grübelte angestrengt, um eine neue Lösung zu finden. Das Mädchen sah ihm schweigend und interessiert zu und beobachtete gespannt das Licht über ihm.
„Weißt du, wenn du da bist, dann reden die Toten nicht mit mir“, sagte das Mädchen langsam. „Vielleicht haben sie ja Angst vor dir.“
„Das kann gut sein“, sagte der Held und zwinkerte ihr zu.
„Aber was soll ich denn machen, wenn sie wiederkommen?“ fragte das Mädchen und wieder sammelten sich Tränen in ihren Augen.
„Hm… vielleicht sind die Toten gar nicht so schrecklich wie du denkst“, startete der Held den zweifelhaften Versuch sie aufzubauen.
„Ich finde sie meistens nicht so toll“, sagte das Mädchen leise. „Sie machen mir Angst.“
„Aber machen sie denn auch was?“
Das Mädchen druckste herum.
„Nein, eigentlich nicht. Sie schweben einfach nur so herum und sagen mir Dinge.“
„Vielleicht wollen sie einfach nur reden, weil sie auch allein sind.“
Das Mädchen dachte nach.
„Aber warum sind sie dann so gemein?“ wollte das Mädchen wissen.
„Manche Untote machen gar nichts“, versuchte der Held sie zu überzeugen. „Soll ich es dir zeigen?“
Das Mädchen sah ihn gebannt an und wollte offensichtlich wissen was da jetzt kam.
„Ja, zeig mal!“
Der Held zog eine „Skelett beschwören“ Rune hervor und holte das Ninja Skelett herbei. Stocksteif stand es da und machte keinen Mucks.
„Nicht angreifen!“ befahl er. „Siehst du. Das ist eins meiner Skelette“, sagte er zum Mädchen gewandt.
Das Mädchen schien nicht wirklich verwundert oder ängstlich. Neugierig rutschte sie von der Bank herunter und trat zu dem Skelett.
„Und du sagst, das tut mir nichts?“ fragte sie und trat noch näher.
„Wenn ich ihm befehle, dass er nicht angreifen soll, dann greift er auch nicht an.“
Das Mädchen ging interessiert um das Skelett herum und sah es sich ganz genau an.
„Dann ist es zu deinem Schutz?“
„Ja, genau.“
Der Held nickte und lächelte, weil dieses Kind so aufgeschlossen und mutig war.
„Meine Toten sind nicht so … fest“, sagte sie, als sie das Skelett mit einem Finger antippte. „Die kann ich nicht anfassen … naja ehrlich gesagt, hab ich mich das auch noch nicht getraut, aber jetzt wo du da bist, da fühle ich mich nicht in Gefahr und dein Skelett scheint nett zu sein. Es ruft keine schlimmen Dinge und steht einfach nur da.“
Sie streckte ihre kleine Hand aus und fasste in den leeren Brustkorb des Skeletts hinein. Der Untote beobachtete das kleine Kind aus kalten, toten, leeren, dunklen Augenhöhlen, doch das ließ sich überhaupt nicht aus der Ruhe bringen.
„Wie heißt es denn?“ wollte das kleine Mädchen wissen.
„Wer?“
„Na das Skelett“, kam es zurück.
Der Held kratzte sich im Nacken.
„Ich … ich weiß nicht. Vielleicht hat es ja keinen Namen.“
„Ach was, jeder hat doch einen Namen“, kam es altklug zurück.
„He, ich hab keinen Namen“, sagte der Held in einem gespielt empörten Ton.
„Wirklich nicht? Soll ich dir einen geben?“ fragte das Mädchen und sie lachte den Helden an.
„Nein, lass mal, denk dir lieber einen Namen für das Skelett aus.“
„Hmm…“
Sie umkreiste das Skelett ein weiteres mal, stellte sich dann davor und stemmte die Hände in die Hüften. Sie sah jetzt nicht mehr im Mindesten ängstlich oder traurig aus.
„Dann gebe ich dir jetzt den Namen: Elmo.“
Elmo stand einfach nur da und ließ sich nicht anmerken, was er von dem Namen hielt.
„Ich bin übrigens Elizabeth, aber eigentlich nennen mich alle Lizzy.“
Sie trat vor und schüttelte dem Helden die Hand, der immer noch auf der Bank saß. Dann drehte sie sich um und schüttelte auch dem Skelett die Hand.
„Hallo auch an dich, Elmo, ich bin Lizzy.“
Die knochige Skeletthand fiel einfach in ihre Ursprungsstellung zurück, als sie losließ. Lizzy strahlte.
„Elmo ist wirklich nett. Vielleicht hast du Recht und die anderen Toten sind auch gar nicht so übel wie ich denke.“
„Weißt du, es gibt ein Land, das heißt Jharkendar, dort lebte früher ein Volk, in dem es Totenwächter gab, die redeten mit Verstorbenen, genau wie du. Vielleicht bist du ja auch so ein Totenwächter.“
Lizzy sah ihn an, unsicher, ob sie Angst haben oder sich freuen sollte.
„Du meinst, ich bin etwas Besonderes?“
„Ganz bestimmt sogar“, bekräftigte der Held.
Lizzy strahlte, kam zum Helden auf die Bank geklettert und in einem Anflug von Erleichterung und Glück umarmte sie ihn einfach.
„He, ist ja gut, komm, lass uns zu deinen Eltern gehen.“
„Meinst du? Die stecken mich doch bestimmt wieder zu diesen Ärzten“, sagte das Mädchen wenig begeistert.
„Aber du willst doch auch nicht ewig auf dieser Bank hocken, oder?“
Lizzy holte tief Luft und seufzte dann.
„Nein. Ich dachte, ich könnte vielleicht bei dir und Elmo bleiben.“
Der Held lächelte schief.
„Aber deine Eltern würden dich doch vermissen.“
Das Kind sah ein, dass da wohl was dran war.
„Ja, da hast du wohl Recht. Bringst du mich noch nach Hause?“ fragte sie.
„Sicher, wo wohnst du denn?“
Lizzy wusste den Namen ihrer Straße, aber nicht genau wo sie sich befand. Der Held zog seine Karte hervor und sah nach.
„Elmo kommt doch mit, oder?“ fragte das Mädchen und es schien traurig, bei dem Gedanken ihn hier zurücklassen zu müssen.
„Natürlich kommt er mit“, sagte der Held und so zogen sie zu dritt los.
„Er macht ja gar keine Geräusche“, staunte das Mädchen.
„Tja, er ist ein Ninja Skelett.“
Der Held zwinkerte ihr zu. Um diese Uhrzeit war kaum jemand unterwegs, doch in der U-Bahn ernteten sie einige verstörte Blicke. Als sie ausstiegen, rempelte Elmo einen alten Mann an, der aber nicht wagte sich darüber aufzuregen.
„Da vorne ist es“, sagte Lizzy und zeigte auf ein dreistöckiges, unscheinbares, kastenartiges Haus.
Der Held klingelte sturm und nach einer recht langen Wartezeit, wie er fand, öffnete sich endlich die Tür und ein dicker Mann mit kahlem Kopf stand vor ihm.
Er sah erst zum Helden, dann zu Lizzy „Lizzy!“ seine Augen wurden groß, aber noch viel größer, als er das Skelett erblickte.
„Was zum …?“
Der Mann wurde kreidebleich und stütze sich an der hinteren Wand ab, als ihm die Knie plötzlich wegknicken wollten.
„Hallo Papa, das ist Elmo und er hier hat mir gesagt, dass er gar keinen Namen hat.“
„Ich hab sie im Park gefunden“, erklärte der Held.
„Manfred, was ist da unten los?“ kam eine hohe Stimme aus dem Flur.
Eine Frau mit Dauerwellenfriseur und nur in einem Bademantel bekleidet kam zur Tür, kreischte als sie Elmo sah und brach ohnmächtig zusammen.
„Was hat sie denn?“ fragte der Held arglos.
Lizzy sah ihn an und zuckte mit den Achseln.
„Ich weiß auch nicht.“
Sie sah ihn an, offenbar unschlüssig, ob sie ihn und Elmo wirklich verlassen sollte, oder nicht.
„Danke, dass du mich gefunden hast“, sagte Lizzy und schüttelte dem Helden die Hand.
„Lizzy, jetzt komm rein!“ befahl ihr Vater, der endlich seine Stimme wiedergefunden hatte.
„Wiedersehen Mann ohne Namen, Widersehen Elmo“, verabschiedete sich Lizzy und winkte ihnen zu, bis ihr Vater die Tür geschlossen hatte.
Der Held winkte zurück und als die Tür dumpf ins Schloss fiel, machte er kehrt und beschloss erst einmal zum Versteck zurückzukehren, um das Skelett, Elmo, wie es jetzt hieß, zu seinem Wachtposten zurückzubringen. Er teleportierte sich und rief dann Elmo nach.
Eispfötchen
23.03.2018, 18:23
Diego verbrachte viel Zeit auf der Bank im Park und beobachtete die Gegenüberliegende Straßenseite, wo er das Versteck ihrer Gegenspieler vermutete. Natürlich vernachlässigte er dadurch den Laden. Doch aufgrund der ständigen Verfügbarkeit mittels technologischer Kommunikationsübermittlung konnten seine Dienste trotzdem abgerufen werden. Diego störte das und er überlegte das Handy auszuschalten, doch dann würden ihm viele Aufträge und somit Geld durch die Lappen gehen, Geld, das er so niemals bekommen würde, Geld, das einfach so bei den ahnungslosen, leicht auszunehmenden Leuten verbleiben würde. Er war hin und hergerissen und entschied sich deshalb das Telefon aktiviert zu lassen. Einmal war es von alleine ausgegangen. Elyas erklärte ihm, dass er das Gerät hin und wieder an einer Öffnung in der Wand laden musste, um es aktiviert zu halten. Das war so ziemlich das Sonderbarste was Diego in seinem Leben erlebt hatte. Das Ding wurde mit einem Band verbunden, das dann in einem Loch in der Wand verschwand und das sollte das Ding nun füttern. Verrückt. Diego musste sagen, diese Welt war nichts für ihn. Sicher, es gab jede Menge Möglichkeiten, wie er an Geld kommen konnte. Elyas hatte ihm da einiges erzählt, aber für all diesen technischen Firlefanz hatte er keinen Sinn.
Diego saß also auf der Bank im Park und hin und wieder wurde er wegen einem Auftrag weggerufen, das ließ es schwierig werden aus dem Kommen und Gehen der Leute schlau zu werden. Diego meinte aber herausgefunden zu haben, dass es sich lediglich um ein Nebengebäude handelte. Es war ganz sicher nicht der Ort, an dem sich ihr Gegner höchstpersönlich aufhielt. Als er das herausgefunden hatte, fragte er sich, ob es überhaupt noch lohnte das Gebäude weiterhin zu überwachen. Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als er unvermittelt angesprochen wurde.
„Oh, Sie sind es, Diego richtig?“
Er drehte sich zur Seite und sah eine bekannte Frau. Es war die gestresste Mutter, die damals unbedingt nach Hause musste um einen Impfpass für ihr Kind abzuholen.
„Unerwartet Sie hier zu treffen“, sagte Diego, weil es ihm in dieser Stadt noch nie passiert war, dass er zufällig jemanden getroffen hatte, den er kannte.
Die Frau lächelte. Im Moment trug sie ein Stirnband, ein Shirt und eine eng anliegende Hose, aber keine Jacke.
„Ja, finde ich auch.“
Sie zeigte nach hinten wo Kinder mit einem Ball auf einer Wiese spielten.
„Mein Sohn spielt mit seinen Freunden Fußball und währenddessen jogge ich mit meiner Freundin durch den Park.“
Jetzt wies sie auf eine rothaarige, abgekämpft aussehende Frau, die mit dem Rücken zu ihnen stand und den Kindern beim Fußball zusah. Diego hatte keine Ahnung warum sie ihm das alles erzählte, doch er vermutete sie wollte irgendetwas. Sie wollten alle irgendetwas, sonst würden die Leute, seiner Meinung nach, überhaupt keine Gespräche führen. Er merkte, dass sie pausierte und wohl darauf wartete, dass er eine Antwort gab.
„Ich sitze hier einfach nur auf dieser Bank und genieße das schöne Wetter.“
In der Tat war es ungewöhnlich warm, fast fünfzehn Grad und die Sonne schien, also war das eine plausible Erklärung.
„Oh, eine Pause vom Geschäft, läuft es denn gut?“
„Kann mich vor Aufträgen kaum retten. Und bei Ihnen? Wurde alles gut?“
Die Frau wurde leicht rot, weil sie es rückwirkend sehr unangenehm fand so gestresst aufgefallen zu sein.
„Ja, alles bestens. Irgendwie bekomme ich alles dann doch noch gewuppt.“
Diego musste unfreiwillig Lächeln. Ja, so eine Frau hatte er in Myrtana noch nicht gesehen. Schon allein, weil es da nicht so viel Stress gab. Jeder hatte seine Aufgaben, das war klar, aber die wurden meist im eigenen Tempo erledigt. Es gab oft keine rigide Trennung zwischen Arbeit und Freizeit, wenn etwas länger dauerte im Geschäft, dann dauerte es eben länger. Doch hier war es wohl eher so wie damals mit den Buddlern im Alten Lager oder mit jungen Auszubildenden. Die Meister sagten wie sie zu arbeiten hatten und dann hatte man gefälligst zu parieren.
„Ja, gut … dann … gehe ich wohl mal weiter joggen“, sagte seine Bekanntschaft. „War schön, Sie zu sehen.“
Dann lief sie zurück zu ihrer Freundin und die beiden machten sich wieder auf den Weg. Diego war verwundert. Dieses Gespräch hatte seiner Meinung nach überhaupt keinen Sinn. Wozu führte man so ein Gespräch?
Es dauerte gar nicht lange und er traf wieder zufällig auf jemanden, den er kannte. Diesmal war es Lester. Er war hier im Park unterwegs, um Sumpfkraut zu verkaufen, wie sich herausstellte. Dabei hatte er überhaupt keine Berührungsängste. Mehr oder minder offensichtlich verkaufte er die grünen Schachteln. Um diese Zeit waren viele Familien hier, da hatte er nicht viel Glück. Diego sah es auf die Art wie sie auf Lester reagierten. Sie schüttelten entschieden die Köpfe, manche sehr empört oder hoben abwehrend die Hände. Einige Mütter und Väter schimpften sogar laut. Diego konnte es hören, obwohl er noch ein Stück entfernt war.
„Was erlauben Sie sich? Mitten am hellichten Tag vor Kindern Drogen verkaufen! Ich rufe jetzt die Polizei.“
Lester schien das alles nicht weiter zu stören. Er zuckte nur mit den Achseln und suchte sich einen neuen potentiellen Kunden. Viel wurde er aber nicht los. Ein alter Mann, der aussah, als würde er noch ein letztes kleines Abenteuer wagen wollen ging auf Lesters Angebot ein und auch ein paar junge Studenten griffen zu. Sonst ging er leer aus. Doch er erspähte Diego auf seiner Bank.
„He, was für ein Zufall, dass du auch da bist“, sagte sein Freund und setzte sich zu ihm.
Diego grummelte. Es passte ihm gar nicht, dass er sich jetzt zu ihm setzte, nachdem er für so viel Aufsehen gesorgt hatte.
„Hast du schon mal was davon gehört sich unauffällig zu verhalten?“ flüsterte Diego.
„Wozu denn?“ wollte Lester wissen, denn für ihn ergab das keinen Sinn, da er was verkaufen wollte.
„Weil die Leute jetzt die Miliz holen und die Typen dort im Gebäude haben sicher auch schon mitbekommen, dass du hier überall dein Kraut verteilst.“
„Na und?“
Lester zuckte mit den Schultern und zog einen Sumpfkrautstengel hervor, den er sich jetzt mit einer Feuerpfeilrune anzünden wollte.
„Hörst du wohl auf damit? Du vermasselst mir noch meine ganze Überwachungsarbeit. Scher dich weg!“ zischte Diego genervt.
Laut sagte er: „Nein, ich möchte nichts kaufen und jetzt verschwinde!“
Sein ablehnender, aggressiver Tonfall ließ die Leute im Umkreis glauben die beiden hätten nichts miteinander zu tun. Jetzt sah Lester tatsächlich etwas verletzt aus, zog aber ab. Er verließ den Park und bog an der Straße rechts ab. Diego spähte wieder zu seinem Überwachungsziel hinüber. Dort, an der Straße, stand ein kräftiger Mann etwa Anfang dreißig, mit langem, krausen Bart und ihm war, als würde er Lester ganz genau beobachten, dann ging er dem Dealer nach. Diego seufzte. Es musste ja so kommen. Er erhob sich von der Bank und folgte in sicherem Abstand.
Eispfötchen
25.03.2018, 23:23
Milten war schon wieder viel zu lange im Krankenhaus. Er konnte es einfach nicht über sich bringen die Leute mit ihrem miesen Los allein zu lassen. Wenn er den Menschen nicht gerade half, dann saß er im Bereitschaftsraum über Medizinbücher gebeugt, oder meditierte, um etwas von seiner magischen Kraft wieder herzustellen. Seit dem letzten Besuch von Günther kam noch hinzu, dass er pausenlos über das Schicksal von Myrtana nachdachte. Bei all den vielen Eindrücken dieser neuen Welt, hatte er seine Heimat zwar nicht vergessen, aber die Gedanken daran waren zumindest etwas zur Seite gedrängt wurden. Er hatte das nicht gewollt, es war ganz einfach passiert, weil er hier so viel Neuem begegnete, auf das er sich einstellen musste. Natürlich hatte er darüber nachgedacht, wie sie alle zurückkommen könnten, er hatte überlegt, wie es in Myrtana zur Zeit lief, aber es war nicht die Art von ruheloser Grübelei, die ihn jetzt befiel. Als er am Morgen aufgebrochen war, hatte Gorn ihn besorgt angesehen und ihm gesagt, er solle nicht zu sehr darüber nachdenken. Auch er sei unzufrieden mit ihrer derzeitigen Situation, aber es würde ihnen nicht weiterhelfen wenn sie sich selbst verrückt machten. Doch Milten konnte gar nicht anders, als über Myrtana und all die Menschen, die dort lebten, nachzudenken. Wie konnten sie den Untergang ihres Volkes noch abwenden? Was lauerten für neue Gefahren? Gab es überhaupt noch eine Chance? Es ließ ihn einfach nicht los.
„He, ist alles in Ordnung?“ fragte ihn Astrid.
Sie waren gerade auf dem Weg zu den nächsten Patienten und er war ganz in Gedanken versunken.
„Oh, ähm… ja, alles in Ordnung. Was hat denn der nächste Kranke für ein Problem?“
Astrid sah auf ein Klemmbrett und las vor: „Der Patient ist zu früh wieder aufgestanden und die Wunde hat sich erneut geöffnet. Eine erneute Operation ist möglich, aber für den Patienten gefährlich, weil er schon sehr alt ist.“
„Wie alt ist er denn?“ wollte der Feuermagier wissen.
„Vierundneunzig“, erklärte Astrid nüchtern.
Milten sah sie ungläubig an.
„Wirklich? Ich hab noch nie jemanden gesehen, der so alt ist. Ich wusste gar nicht, dass man überhaupt so alt werden kann.“
Astrid lachte leise.
„Tja, dann wird es höchste Zeit, dass du diesen Methusalem mal kennen lernst.“
Als sie ins Zimmer des Patienten kamen war Milten tatsächlich sehr überrascht. In Myrtana gab es keine Menschen die so alt wurden. Siebzig, achtzig Jahre vielleicht, wenn sie sehr viel Glück hatten. Meist waren so alte Menschen Magier, doch grundsätzlich galt in Myrtana, wer sich seiner Haut nicht mehr erwehren konnte und nicht mehr selbstständig war, den ereilte bald der Tod.
Es stellte sich heraus, dass der Mann sich geweigert hatte seine Notdurft in einem Topf zu verrichten und deswegen unbedingt zur Toilette hatte laufen wollen. Dadurch hatte sich die Naht dann wieder geöffnet. Astrid flüsterte ihm zu, dies sei ein klarer Fall von Altersstarsinn. Milten war sich da nicht so sicher. Er kannte viele Menschen, die sich so verhalten hätten.
Die Heilung war sehr einfach, aber für den Patienten war es ein Wunder. Milten hatte sich daran gewöhnt. Routiniert sagte er ein paar erklärende Sätze, dann verschwanden Astrid und er wieder, um sich um die nächsten Patienten zu kümmern.
„Wie geht es dir? Kannst du noch weitermachen?“ fragte Astrid.
Sie fragte das jetzt öfter. Milten kam es so vor, als würde sie in letzter Zeit genau überwachen, wie viele Manatränke er zu sich nahm. Heute waren es immerhin erst drei gewesen, doch wenn er genau darüber nachdachte, so hätte er es vor ein paar Wochen wohl noch nicht als normal empfunden drei Manatränke am Tag zu trinken. Er fühlte Astrids besorgten, aber auch abwartenden Blick.
„Ich denke, es wird auch gehen, wenn ich erst einmal einige Heiltränke benutze“, antwortete Milten.
„Gut, unser nächster Patient ist gleich im übernächsten Gang“, sagte sie und blickte auf ihr Klemmbrett.
Sie öffnete gerade die Tür zum nächsten Korridor, als ein wildes Piepen die Luft zerriss und Astrid lossprintete, bis sie vor einer der Türen im Gang kurz stehen blieb und sie aufriss. Auch daran hatte sich Milten langsam gewöhnt. Er folgte ihr, um zu sehen, ob er helfen konnte.
„Was ist los? Kann ich helfen?“
Astrid gab dem Patienten einen Beutel mit einer Flüssigkeit, den sie jetzt an eine Metallstange neben seinem Bett aufhängte.
„Nein, ich hab das hier unter Kontrolle. Ich bin gleich wieder bei dir.“
Hier war er also überflüssig. Der Feuermagier ging wieder nach draußen auf den Gang und ihm kam eine bedrückt wirkende Familie entgegen. Einem kleinen Jungen, vielleicht acht Jahre alt, liefen Tränen über die Wangen.
„Muss Opi jetzt sterben?“
Es war bezeichnend, dass die Mutter zwar versuchte ein beruhigendes Lächeln aufzubringen, es aber nicht schaffte und dem Kind auch kein Versprechen machen konnte, das dann nicht einzuhalten war.
„Die Ärzte versuchen ihr Bestes, …“
Es gab eine unangenehme Pause, dann versuchte die Mutter das Thema zu wechseln: „Jetzt komm, was hältst du davon, wenn wir zusammen ins Kino gehen? Du wolltest doch schon lange diesen lustigen Animationsfilm sehen.“
Selbst das schien das Kind nicht aufheitern zu können. Der Vater sagte gar nichts, lief stumm neben seiner Familie her, angestrengt darauf bedacht nicht die Fassung zu verlieren. Milten sah ihnen nach und öffnete dann die Tür zu dem Zimmer, in dem der wohl bald sterbende Mann lag.
„Guten Tag“, begrüßte Milten ihn.
„Hallo“, kam es schwach zurück.
Die Haut des alten Mannes wirkte wächsern und er war an allerhand Geräte angeschlossen. Die eigentlich weißen Augäpfel hatten sich gelblich verfärbt.
„Sind Sie ein Arzt?“ fragte der alte Mann verwundert.
Wenn man es nicht besser wusste, konnte man Milten dafür halten. Die Krankenhausleitung hatte darauf bestanden, dass er einen weißen Kittel trug, damit er als Krankenhauspersonal erkannt wurde.
„So in der Art, ich bin ein Magier.“
Die Augen des Alten hellten sich für einen Moment auf.
„Aha …“ kam es ganz langsam von ihm. „Dann sind Sie der Mann von dem hier alle reden. Dieser Wunderheiler. Ich weiß ehrlich gesagt nicht was ich glauben soll, aber ich muss zugeben, in meinem Zustand würde ich gerade alles glauben, wenn ich dafür noch den nächsten Geburtstag meines Enkels miterleben könnte.“
Die Traurigkeit in den Augen des Alten war herzergreifend. Milten war klar, er musste etwas tun. Er musste helfen.
„Was haben Sie denn?“ fragte er deswegen.
Er griff nach einem Blatt, das am Bett des Patienten festgemacht war, doch hatte er nie richtig verstanden diese Aufzeichnungen zu deuten. Er wurde nicht daraus schlau. Leider war auch keine Krankenschwester da, die er hätte fragen können.
„Meine Leber versagt“, sagte der Alte.
Seine Worte waren hart, als hätte er sein Schicksal bereits akzeptiert, doch es war ihm anzusehen, dass er um jede Minute, die er noch länger leben konnte kämpfen würde.
„Sie halten mich mit diesen Maschinen hier am Leben, aber das eben … das war wohl das letzte Mal, das ich meine Familie gesehen habe. Ich bräuchte eine neue Leber, aber meine Chancen sind gleich null.“
Milten hatte schon mitbekommen, dass Organe von Verstorbenen in noch lebende, aber kranke Menschen verpflanzt wurden. Das hielt er für sehr sonderbar und ethisch fragwürdig, aber er konnte verstehen, dass diese Menschen hier keine andere Möglichkeit hatten, um ihre Bürger zu retten. Doch er hatte diese Möglichkeiten sehr wohl. Er zog ein Elixier der Heilung hervor und zeigte es dem Patienten.
„Das ist ein Heiltrank, wenn Sie den trinken, dann wird ihre Leber wieder geheilt und Sie müssen nicht sterben.“
„Ach, so einfach geht das?“ fragte der Alte, unsicher, ob er einfach nur überrascht, oder skeptisch sein sollte.
„Bei allen anderen hat es auch funktioniert, ich sehe nicht, warum es bei Ihnen anders sein sollte“, erklärte Milten und löste den Korken der Flasche.
Er war gerade dabei sich über seinen Patienten zu beugen, damit der leichter trinken könnte, da flog die Tür auf und er zuckte zurück.
„Halt! Nicht!“ rief Astrid.
Der Ausdruck in ihren Augen zeigte, dass sie genauso erschrocken war wie Milten und der alte Mann.
„Was ist los?“ fragte Milten überrascht.
Astrid kam mit schnellen Schritten zu ihm und nahm ihm den Heiltrank ab.
„Das wird nichts.“
Sie warf einen kurzen, unglücklichen Blick auf den alten Mann, der in ihren Augen las, dass sein Schicksal doch nicht mehr geändert werden konnte.
„Was hast du denn? Warum soll ich ihm den Heiltrank nicht geben?“ fragte Milten verwundert.
Astrid versuchte freundlich und sachlich zu bleiben, aber er konnte sehen, wie es in ihrem Inneren brodelte.
„Der Mann hat nicht nur eine versagende Leber, sondern auch ein Magenkarzinom. Wenn du ihm den Heiltrank gibst, dann sorgt der zwar dafür, dass seine Leber wieder hergestellt wird, aber eben auch, dass der Tumor in seinem Magen in Sekundenschnelle so sehr anwächst, dass er stirbt.“
Ein gequälter Ausdruck trat in ihr Gesicht. Sie hatte das ganz bestimmt nicht vor dem Patienten sagen wollen, aber es war nötig, damit beide verstanden, warum es nicht möglich war.
„Es tut mir so leid, Herr Brunnensteiger, ich würde Ihnen wirklich gerne helfen, wenn ich es könnte …“
Sie sah ihn traurig an.
„… aber ich kann es nicht.“
Sie ging mit schnellen Schritten aus dem Zimmer, auf der Flucht vor ihren eigenen Gefühlen, die in ihr hochkamen. Die Tür knallte und Milten und der alte Mann, Herr Brunnensteiger, sahen sich beklommen an.
„Es … es tut mir leid“, sagte jetzt auch Milten, der noch nicht fassen konnte, was er da beinahe angerichtet hätte.
„Ist schon gut, Junge. Du meintest es gut. Wahrscheinlich hätte ich das mit meinem Krebs sagen sollen … ich hatte einfach die Hoffnung … weißt du, wenn man so daliegt und nur noch auf den Tod warten kann, dann ist es einem jedes Risiko wert, so lange man noch die Hoffnung hat, dass es vielleicht doch noch einen Lichtblick gibt. Als meine Familie dieses Zimmer verließ, verließ mich auch der letzte Rest Freude, doch als du von diesem Heiltrank erzählt hast, da hatte ich für einen kurzen Moment noch einmal Hoffnung. Dafür danke ich dir.“
Der alte Mann streckte seine kraftlose Hand nach seiner aus und drückte sie ganz schwach. Milten steckte ein Kloß im Hals. Es war eine ganz und gar bedrückende Situation. Es brachte nichts, noch länger hier zu verweilen. Der Feuermagier verließ den Raum, ging den Korridor entlang und suchte nach Astrid. Er hörte angestrengtes Atmen aus einem kleinen Kabuff, das für die Reinigungsmittel gedacht war. Er öffnete die Tür und fand sie dort ganz aufgewühlt. Sie sah ihn aus gequälten Augen an.
„Ich hab ihn über die Jahre, die er immer wieder hier auf Station war, gut kennen gelernt. Ich weiß, es sollte mich nicht mehr so mitnehmen, aber ich kann nichts dagegen machen …“
Milten suchte nach einem Weg sie zu trösten.
„Ich wusste nicht …“ fing er an.
Astrids Laune schlug so schnell um wie ein Blinzeln. Da war sie wieder, die innere Wut.
„Ja, du wusstest es nicht. Ganz toll“, warf sie ihm entgegen. „Und deswegen musstest du einfach einen Heiltrank zücken und es versuchen? Der Mann wäre unter entsetzlichen Schmerzen gestorben. Du hättest doch einfach etwas warten können, bis ich zu dir gekommen wäre, oder du hättest eine andere Schwester fragen können, oder du hättest ganz einfach wissen müssen was in der Patientenakte steht, aber nein, für dich ist es ja genug mit Tränken und Heilzaubern um dich zu werfen, ist ja auch egal was da bei den Patienten vorgeht, die Hauptsache ist doch, dass sie wieder gesund werden, nicht wahr?“
Ihre Worte trafen Milten mit Macht, denn sie hatte Recht. Was wusste er denn schon von ihrer Medizin? Das wirkte sich dann auch darauf aus, dass er eben nicht ganz genau sagen konnte wie die Tränke und Heilzauber den Körper dazu brachten sich zu regenerieren. Er wusste nur, dass es so war. Sie hielt ihm den Spiegel seines Versagens entgegen und das traf ihn schwer. Angespannt biss er die Zähne hart zusammen.
„Du hast Recht.“
Mehr sagte er nicht. Sie sah ihn einen Moment einfach nur schwer atmend an, erstaunt, dass er das einfach so zugab und nicht etwa versuchte, es abzustreiten, oder sich zu rechtfertigen. Wieder wechselte ihre Stimmung. Ihr Ausdruck wurde weicher und er sah wie sich Tränen in ihren Augen bildeten.
„Es … es tut mir Leid. Das ist alles so aus mir herausgebrochen. Woher solltest du das denn auch wissen? Du hast so viele Menschen hier gerettet und ich benehme mich … wie eine blöde Ziege."
Sie wandte sich ab, wischte sich einige Tränen mit zitternden Fingern weg und sah schweratmend und schniefend die Wand an, wo ein Mopp und ein alter Besen lehnten.
Milten konnte nicht anders, sie tat ihm ganz einfach leid, auch wenn sie ihn eben so angefahren hatte.
„He, ist schon gut.“
Er trat einen Schritt vor und umarmte sie, um sie zu stützen und zu trösten.
„Ich kann verstehen, dass diese Aufgabe sehr schwer ist und es schrecklich ist, jemandem nicht helfen zu können, obwohl man es doch so gern möchte.“
Astrid schluchzte ein wenig. Er merkte, dass sie versuchte es zurückzuhalten, doch dann entspannte sie sich etwas.
„Danke“, murmelte sie.
„Schon in Ordnung“, sagte er und löste die Umarmung.
Jetzt schien sie wieder etwas gefestigt. Sie wischte sich noch weiter eilig die Augen trocken, ordnete dann ihr Haar, trat aus der Abstellkammer heraus und sagte, so, als wenn nichts gewesen wäre: „So unser nächster Patient … dort hinüber.“
Später, als Milten gerade im Bereitschaftsraum war, um zu meditieren, damit er einen Teil seiner magischen Kraft zurückerhielt, klopfte es an der Tür und als sie sich öffnete, sah er Günther, der hereinlugte.
„Störe ich?“ fragte er ruhig.
Milten fand, dass es nicht besonders höflich wäre die Wahrheit zu sagen, deswegen kam als Antwort: „Komm doch herein.“
Er stand auf und ging Günther entgegen und wartete ab, um herauszufinden was der Grund für seinen Besuch war.
„Ich … äh …“
Der Pfarrer wirkte etwas verlegen.
„Ich bin vorbeigekommen, weil ich mit dir über neulich sprechen wollte, du weißt schon, als ich mit dir und deinem Kompagnon beim Pariser Platz war. Es ließ mir keine Ruhe …“
Milten nickte.
„Ja, mir lässt es auch keine Ruhe.“
„So?“
Günther war erstaunt. Im stillen Einvernehmen setzten sie sich an einen der Tische gegenüber.
„Ja, ich kann gar nicht mehr aufhören an meine Heimat zu denken. Wir werden dort gebraucht. Ich mache mir große Sorgen.“
Milten sah fertig aus und Günther hoffte, ihm mit einem Gespräch helfen zu können und damit gleichzeitig seine Neugier zu befriedigen.
„Meintest du das ernst, als du sagtest dein Freund soll euer König werden?“
Milten, der sich mit der rechten Hand seine kopfschmerzgeplagte Stirn hielt, sah zu ihm auf. Ihm ging auf, dass es Günther sonderbar vorkommen musste einen solchen … nun … Abenteurer wie den Helden als König vorzuschlagen.
„Myrtana ist … anders als dieses Land. Wir befinden uns in einer ganz anderen Situation. Ich kann mir vorstellen, dass es dir verrückt vorkommen muss jemanden wie ihn zum Anführer zu bestimmen…“
Er verstummte, um zu überlegen, wie er Günther erklären konnte, dass der Held die beste Chance für Myrtana wäre.
„Vielleicht kommt er dir nicht als der große Politiker vor, aber er ist sehr intelligent, auch wenn er oft versucht das nicht so zu zeigen.“
Auf Günthers Blick hin führte er noch weiter aus: „Du kennst das doch sicher, die Schläger verhauen immer die schlauen Kinder, oder? So ist das bei uns auch, nur dass es sich um sehr große Kinder handelt. Nur wer sich wehren kann, kommt weiter. Er ist sicher nicht perfekt, aber wer kann das schon von sich behaupten? Das Wichtigste ist, dass er genau der ist, den wir jetzt brauchen, um überhaupt eine Chance zu haben. Myrtana ist verwüstet, die Bevölkerung stark dezimiert, es droht eine Hungersnot und ich wette, jetzt wo die Orks vertrieben wurden, spähen schon andere Länder zu uns herüber. Die versprengten Reste unseres Militärs könnten die Bevölkerung nicht beschützen, wenn eine neue feindliche Streitmacht anrückt, aber wenn unsere Gegner wüssten, dass er unser König ist, dann würden sie es sich bestimmt zwei Mal überlegen.“
„Wie meinst du das?“
„Würdest du gegen jemanden in den Krieg ziehen der den Avatar des Totengottes besiegte, sechs … nein zehn Drachen tötete und auch noch ein ganzes Land quasi im Alleingang befreite?“
Günther hob eine Augenbraue.
„Nein, das würde ich wohl nicht, aber meinst du nicht … dass du ihn etwas übertrieben darstellst?“
Milten musste nicht lange darüber nachdenken.
„Nein, er hat das alles tatsächlich getan.“
Die Stirn seines Gesprächspartners zerfurchte sich, aufgrund seiner Skepsis.
„Sicher, er hat auch einige Sachen gemacht, die nicht sehr löblich waren“, sagte Milten langsam.
Er dachte an den heiligen Hammer.
„Aber, er ist derjenige, den wir jetzt brauchen.“
Milten fand es etwas sonderbar mit jemanden über die Probleme Myrtanas zu reden, der dieses Land noch nie gesehen hatte, aber es tat ihm gut. Günther hatte so eine Art an sich, dass er sich gut bei ihm aufgehoben fühlte.
„Aber …“
Günther begann langsam und versuchte Milten nicht zu beleidigen.
„… er meinte doch selbst, dass es keine gute Idee wäre. Mir kam es so vor, als würde er es nicht machen wollen.“
„Jah, das stimmt“, sagte Milten und er konnte nicht umhin niedergeschlagen zu wirken. „Wenn es nach ihm ginge, würde er wohl einfach immer weiter durch die Welt reisen und Abenteuer erleben. Ich denke, er möchte sich einfach nicht festlegen und das würde er als König ja müssen.“
„Naja, aber wenn er es nicht machen möchte …“
Günther versuchte herauszufinden, warum es ausgerechnet dieser Mann sein sollte.
„Sicher gibt es noch erfahrenere Männer, die auch etwas von Führung verstehen.“
Der Feuermagier dachte nach. Ihm kamen da nur wenige Männer in den Sinn. Pyrokar, Saturas, Lord Hagen, Lord Garond, vielleicht sogar einer der damaligen Rebellenanführer.
„Ein paar vielleicht …, aber keiner dieser Männer würde auch ein guter König sein, gute Berater, ja, aber gute Könige? Nein. Zu einseitig die jeweiligen Ansichten, zu groß die Gefahr hauptsächlich die eigenen Interessen durchzusetzen und keiner dieser Männer hätte einen Effekt wie er. Wenn er König werden würde, dann hätte das … Aussagekraft. Die meisten Menschen in Myrtana kennen ihn …“
„Wie das? Ich hab immer noch nicht mal mitbekommen wie er überhaupt heißt“, sagte Günther leicht säuerlich.
„Er hat keinen Namen“, antwortete Milten und es hörte sich sehr geheimnisvoll an, wie er das so sagte. „Und es ist so … meistens läuft er durch die Gegend und hört sich die Sorgen und Nöte der Bürger an und dann löst er ihre Probleme. Deswegen kennen ihn fast alle und ich denke deswegen wären auch die meisten froh, wenn er der neue König wäre. Sie wüssten, dass er sie beschützen könnte und sich um sie kümmert und wie gesagt hätte das auch nach außen hin eine große Wirkung.“
„Aber warum muss er als König denn das Volk beschützen? Dazu gibt es doch eine Armee.“
„Eigentlich schon … nur Tatsache ist, dass ein Großteil unserer Truppen im Krieg umgekommen ist. Außerdem ist es Tradition, dass der König das Land beschützt. Offen gestanden gab es erst zwei Könige vorher. So alt ist unser Land noch nicht. Vorher hat jeder so sein eigenes Süppchen gekocht.“
„Hm… ich kann mir vorstellen, dass es das besonders schwer macht, jetzt für Einigung zu sorgen“, sagte Günther und versuchte sich in diese Lage hineinzuversetzen.
„Nordmar und Varant haben sich abgespalten. Auch deswegen wäre es sinnvoll ihn zum König zu machen. Die anderen hätten keine Chance das Land wieder zu vereinen, aber bei ihm sieht es gar nicht mal so schlecht aus. Die Clanführer im Norden würde er sicher überredet bekommen und die Assassinen … naja, das wird sicher schwieriger.“
„Assassinen?“ fragte Günther skeptisch.
„Ja, ich wünschte wir bräuchten sie nicht. Meiner Meinung nach sind es verlogene Ausbeuter und hinterhältige Mörder, die Sklaverei und dunkle Magie praktizieren. Es ist aber so, dass sie vermutlich die Einzigen auf dem Kontinent sind, die eine noch einigermaßen intakte Infrastruktur haben. Wir brauchen sie als Handelspartner. Ohne sie wird es noch schwieriger nicht zu verhungern.“
„Eine Hungersnot bricht häufig nach einem harten Krieg aus“, erklärte Günther und überlegte was man da tun könnte. „Wie sieht denn die landwirtschaftliche Lage aus?“
„Die meisten Felder sind verwildert. Es gibt kaum noch Bauernhöfe, die überhaupt etwas erwirtschaften. Eigentlich fallen mir da nur die Handvoll auf Khorinis ein, das reicht aber nicht, um über Tausend Menschen zu ernähren.“
„Könntet ihr vielleicht Jagen gehen?“ schlug Günther vor.
„Schon, so kommen die Menschen im Moment über die Runden, aber es gibt kaum noch Tiere, die auch verwertbares Fleisch haben.“
„Was meinst du?“
„Es ist anders als hier. Viele Tiere sind sehr gefährlich. Es gibt Schattenläufer, riesige Bestien, mit einem harten Horn, Krallen und Zähnen, die einen Mann in nicht mal einer Minute in Stücke reißen können, oder Snapper und Razor, große aufrecht gehende Echsen, die meist in Rudeln jagen und ihre Beute nicht mehr entkommen lassen, Lurker, die einem am Wasser auflauern, wenn man gerade seinen Trinkschlauch auffüllen möchte, oder Warane, es gibt auch Feuerwarane, die Feuer speien können, oder Warge und Bluthunde, die eine sehr feine Nase haben und einen noch aus kilometerweiter Entfernung aufspüren können, wenn man verletzt ist. Nicht zu vergessen all die Untoten, die durch die Gegend schlurfen und unachtsame Reisende angreifen. All diese Viecher sind nicht nur mordsgefährlich, sondern auch ungenießbar.“
Milten dachte angestrengt nach und achtete gar nicht auf Günther, der angesichts all dieser Scheusale mit offenem Mund da saß.
„Wenn ich es mir recht überlege bleiben zur Jagd eigentlich nur Molerats, Scavenger, Wölfe und Wildschweine. Nur sind die eben auch die Beute für all die noch gefährlicheren Viecher. Hm…“
Milten runzelte die Stirn.
„Ich hab mal gehört, dass auch Beißerfleisch essbar ist, soll aber furchtbar schmecken. Und dann wären da noch Ripper, riesige Monsterschweine, die einen einfach umrennen und dann mit einem Biss das Genick brechen.“
„Ok, ich habe es verstanden. Jagen gehen, ist eine ganz blöde Idee“, sagte Günther und rieb sich die Augen. „Wenn ich mir das so anhöre, dann bin ich wirklich froh, dass ich nicht in deinem Land leben muss. Wie kann man denn mit dieser ständigen Angst leben?“
„Nun, die meisten Menschen verlassen ihr Dorf oder ihre Stadt nicht allein und gehen immer zusammen, um sich helfen zu können, wenn etwas geschieht, aber das ist eben auch keine Garantie es zu schaffen.“
Eine lange, drückende Stille senkte sich über sie. Die Mittagssonne blinzelte durch die Fenster zu ihnen herein. Die angenehme Wärme, wirkte seltsam deplatziert.
„Was ist mit Obstplantagen?“
Milten dachte nach.
„Es wäre schwer das Obst zu sammeln, wenn man immer nach Tieren ausschau halten muss, die einen fressen wollen. Einzelne Bäume in den Städten und Dörfern gibt es ja, aber eine ganze Plantage… schwierig. Einzäunen würde zu lange dauern und zu viel Arbeit machen.“
„Was ist mit Fischfang? Im Meer gibt es doch bestimmt genügend Fische.“
„Wir haben keine Schiffe mehr. Genau genommen haben wir noch ein Schiff, wenn man es denn so nennen will und das wird eigentlich auch zum Fischfang verwendet, aber im Moment werden damit die Paladine und Ritter von Khorinis zum Festland gebracht.“
Günther seufzte. Es wurde einfach nicht besser. Milten wusste, wie er sich fühlte.
„Glaub mir, ich hab mir schon lange darüber den Kopf zerbrochen.“
„Was ist, wenn ihr etwas mit anderen Ländern gegen Nahrungsmittel eintauscht?“
„Und was? Unser Land ist ausgeplündert. Das mit Abstand wertvollste ist das magische Erz auf der Insel Khorinis, aber wir haben keine Arbeiter, um es abzubauen. Es war schon schwierig während des Krieges, jetzt, völlig ohne Nahrungsversorgung wird es ein Ding der Unmöglichkeit genug abzubauen, damit es als Austausch genügend Nahrung für alle gäbe. Und dann ist es ja wieder … mit was für einem Schiff sollte es denn transportiert werden? Dem klapprige Wrack, was im Moment benutzt wird, traue ich nicht zu, dass es Kistenweise schweres Erz über das tobende Meer bringen kann. Und mit wem sollten wir auch tauschen? Jeder weiß doch, dass wir geschwächt durch den Krieg sind. Viel eher würden uns die anderen Länder überfallen und unterwerfen.“
„Es tut mir Leid das sagen zu müssen, aber es sieht wirklich schlecht aus für dein Land“, sagte Günther trübsinnig. „Ich weiß aber nicht, was jetzt dein Freund deswegen tun soll. Das ist eine Mammutaufgabe. Wie stellst du dir vor, dass er das lösen soll?“
„Ich weiß nicht“, gab Milten zu. „Aber ich glaube fest daran, dass er es schaffen kann. Er findet für alles eine Lösung.“
„Findest du nicht, dass du ihn da auf ein etwas zu hohes Podest stellst?“ fragte Günther zweifelnd.
„Du hast ja auch nicht miterlebt was wir durchgemacht haben“, sagte Milten leicht gereizt.
Das verwies den Pfarrer in die Schranken. Nein, er wusste es tatsächlich nicht und deswegen wollte er sich auch nichts herausnehmen. Doch er befürchtete Milten stellte Anforderungen an seinen Freund, die er unmöglich halten konnte.
„Aber weißt du … vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass er nicht der König werden möchte. Die Anforderungen sind so hoch.“
„Er muss es einfach tun … wir sind verloren ohne ihn“, sagte Milten trübsinnig.
„Aber was wäre …“
Günther suchte nach Strohhalmen.
„Was wäre, wenn jemand anders der König werden würde…“
Er sah Miltens Blick und hob die rechte Hand.
„Lass mich ausreden. Jemand anders wird König, aber er hilft tatkräftig mit, um die Probleme zu lösen. So eine Art Berater, vielleicht auch der Anführer vom Militär, er hilft da, wo er gerade am dringendsten gebraucht wird.“
„Nein … ich denke nicht, dass er das macht. Ich denke, es würde ihm schwerfallen sich unter zu ordnen. Er macht lieber sein eigenes Ding … was ja auch wieder ein Problem ist. Er würde wohl früher oder später einfach weggehen und zu neuen Abenteuern aufbrechen und uns mit unseren Problemen allein lassen. Hat er schon einmal gemacht“, sagte Milten und ein leichter Schwung Bitterkeit lag in seiner Stimme.
„Ich weiß nicht, ob du es verstehst. Ohne ihn … da sind wir verloren. Er hatte Myrtana von der Herrschaft der Orks befreit, aber dann ging er einfach weg. Brach zu neuen Abenteuern auf. Die Orks kamen nach Myrtana zurück und diejenigen, die noch kämpfen konnten, hatten alle Hände voll zu tun, damit die Orks nicht wieder die Herrschaft übernehmen. Es war ein langer und zäher Kampf, der sich über Monate hinwegzog. Dann kam er zurück und in nicht einmal einer Woche gab es das Problem gar nicht mehr. Er hat so eine Art … das ist einfach unbeschreiblich.“
„Du hältst wirklich viel von ihm“, stellte Günther fest.
„Wenn er der König wäre, dann hätten wir die Sicherheit, dass er nicht einfach wieder loszieht. Wir brauchen ihn.“
Urplötzlich flog die Tür auf und niemand anderes als der Held stand im Türrahmen. Milten und Günther zuckten erschrocken zusammen.
„Hallo. Du wolltest doch noch weitere Heiltränke, Milten. Das die so schnell alle gehen… Was ist? Warum guckt ihr so?“
„Ach, nichts“, kam es von Günther, der aussah, als hätte er fast einen Herzinfarkt bekommen.
„Worüber habt ihr geredet?“ fragte der Held und musterte ihre angespannten Gesichter.
„Darüber wie Myrtana noch gerettet werden könnte.“
„Achso“, kam es vom Helden, als hätte Milten gesagt, sie hätten über die Aussaat und Ernte von Rüben geredet.
Günther sah den Helden forschend an, der jetzt einen Heiltrank nach dem anderen aus seiner magischen Hosentasche zog und auf dem Tisch abstellte.
„Besser du stellst es gleich dahinten in den Schrank. Es ist abgesprochen, dass sie dort verwahrt werden sollen“, sagte Milten, stand auf, zückte einen Schlüssel und öffnete die Schranktüren.
„Na schön“, sagte der Held gleichgültig.
Der Pfarrer wollte testen, ob die großen Stücke, die der Feuermagier auf seinen Freund hielt, nicht von ungefähr kamen.
„Wir überlegten, wie man die Menschen in Myrtana ernähren könnte. Hast du vielleicht eine Idee?“
Der Held sah ihn leicht gelangweilt an und fast sofort kam als Antwort: „Na jagen. In Nordmar und Silden gibt es große Bisonherden. Es dürften nicht alle gejagt werden, aber wenn man hin und wieder eins aus der Gruppe treibt und tötet, wäre das ein Anfang. Man bräuchte jemanden der aufpasst, damit sich keine anderen Viecher an den Tieren vergreifen. Und in Varant gibt es große Nashörner. Die bringen auch ordentlich Fleisch.“
Er hörte sich an, als wenn das Jagen eines riesigen, todbringenden Tieres ganz selbstverständlich und nicht weiter der Rede wert wäre. Milten warf Günther einen vielsagenden Blick zu. Günther wollte jetzt unbedingt mehr über diesen Mann herausfinden.
„Was haltet ihr davon, mit mir mitzukommen? Ich lade euch zu mir nach Hause zum Kaffee ein.“
Milten und der Held sahen sich verwundert an. Der Feuermagier ahnte, dass er ihr Gespräch fortsetzen wollte und er war der Meinung, dass es nicht schaden konnte den Helden darin einzubeziehen.
„Wir kommen gern.“
Der Held hob eine Augenbraue, als wollte er sagen: Ach wirklich?
Aber er hatte wohl noch keine weiteren Pläne für den heutigen Tag, weswegen er nichts dagegen sagte. Sie trafen sich mit Astrid und zu viert verließen sie das Krankenhaus. Dort sahen sie Waldi, der seinem Herren entgegenlief.
„Du hast ihn mitgebracht?“ fragte Milten verwundert.
„Warum nicht? Er brauchte mal wieder etwas Auslauf. Als ich mit ihm ins Krankenhaus lief, fanden das aber einige von den Empfangsdamen nicht so toll. Sie meinten, es wären keine Tiere erlaubt. Ich sagte ihnen, streng genommen wäre er eine Beschwörung, aber ich glaube, sie haben es nicht so ganz verstanden.“
„Ist das …?“ fragte Günther verwundert.
„Ein beschworener Wolf“, sagte Milten und seufzte genervt.
„Keine Sorge, er ist harmlos, so lange ich ihm nichts anderes sage“, versuchte der Held den alten Mann zu beruhigen.
Günther sah noch nicht ganz überzeugt aus, aber als sie alle in seinen weißen Kleinwagen stiegen, musste er zugeben, dass er noch kein Tier getroffen hatte, dass sich so brav und ergeben gezeigt hatte. Es saß ganz friedlich zwischen Milten und dem Helden hinten auf der Rückbank und machte keinen Mucks. Günther lenkte das Auto in die Berliner Vorstadt. Hier waren die Häuser nicht so hoch und um jedes gab es einen kleinen Garten, meist umrissen von Hecken und Zäunen. Sein Haus war weiß, mit großen Fenstern und einem roten Dach. Eine hohe Hecke schützte vor unliebsamen Blicken. Waldi sollte vor dem Haus warten.
„Wer wohnt denn alles hier?“ fragte Milten.
„Meine Frau und ich“, antwortete Günther und schloss die Haustür auf.
Milten und der Held sahen sich an.
„Ein sehr großes Haus für zwei Leute. Ihr seid bestimmt sehr reich“, kam es vom Helden.
„Reich? Naja, wenn man das so nennen will. Es gehörte vormals meinen Eltern.“
Er ließ sie herein und staunend sahen sich der Held und Milten um. So ein Haus hatten sie noch nicht gesehen. Es gab mehrere Räume mit unterschiedlichen Funktionen. So ähnlich wie damals bei Gomez Burg. Da hatte es einen Thronsaal, eine Waffenkammer, eine Küche und oben Schlafzimmer gegeben. Zugegeben, ganz so groß war das Haus nicht, aber fast. Schon allein der Flur war so groß wie eine Hütte im Hafenviertel von Khorinis. Gleich rechts ging eine Tür in einen weiteren Raum ab.
„Das ist das Wohnzimmer“, erklärte Günther.
„Lass mich raten, hier wohnt man?“ fragte der Held und grinste.
„Ein Spaßvogel, was?“ kam es amüsiert vom Hausherrn zurück.
Das Wohnzimmer war ein helles Zimmer. Durch die großen Fenster kam sehr viel Licht ins Haus. Der Boden bestand aus etwas das aussah wie Holz, aber keins war. Hinten Richtung Garten gab es eine Sitzecke vor einem großen Fernsehgerät, wie sie es auch schon von Elyas kannten. In der Nähe der Tür stand ein riesiger Esstisch, an dem eine große Familie Platz fand und rechts davon ging es in einen weiteren Raum, den sie als Küche identifizierten. Günther gab eine kurze Führung und fand es sehr lustig wie seine Gäste so alltägliche Gegenstände wie Toaster und Mixer bestaunten. Der Held spielte am Herd herum und stellte staunend fest, dass es ja gar nicht innen drinnen brannte.
„Kann man da überhaupt was mit anfangen, wenn da noch nicht mal ein Feuer brennt?“ wollte er wissen.
„Es geht ja auch nicht um das Feuer, sondern um die Wärme“, erklärte Astrid, aber das verstand der Held nicht so wirklich.
„Ich höre, wir haben Besuch?“ hörten sie eine weibliche Stimme.
Es war Günthers Frau. Für ihr Alter hatte sie sich gut gehalten. Mit ihren blonden voluminösen Haaren und der gepflegten Haut wirkte sie viel jünger, als sie eigentlich war. Günther stellte sie als Anna vor. Sie wirkte nicht wirklich überrascht von ihren Gästen, was schon etwas heißen wollte, da der Held gerade den Schalter für die Abzugshaube gefunden hatte und jetzt immer hin und herschob, so dass es abwechselnd laut toste und dann wieder still wurde. Milten bekam den Eindruck, Günther hätte diesen Besuch schon vorher mit seiner Familie abgesprochen und hatte im Krankenhaus nur den Anschein erweckt, diese Einladung käme ganz spontan.
„Liebling, wenn du raus gehen solltest, nicht erschrecken, draußen wartet ein beschworener Wolf, aber der ist wirklich ganz brav, hat keinen Mucks gemacht im Auto“, sagte Günther und gestikulierte angeregt mit den Händen herum.
Anna sah ihn staunend an, war aber offenbar eine sehr tolerante Frau, denn gegen einen beschworenen Wolf im Vorgarten hatte sie offensichtlich nichts einzuwenden.
„Und du bist Milten, der Feuermagier, richtig?“ fragte Anna und schüttelte Milten die Hand.
„Ja, genau.“
„Ich bin Richterin.“
Der Blick des Helden fuhr skeptisch herum. Er erinnerte sich noch sehr gut an den letzten Richter, der ihm begegnet war. „Ein anstrengender Beruf, aber sonst könnten wir uns dieses Haus wohl nicht mehr leisten.“
„Ich dachte es wäre geerbt?“ fragte Milten verwundert.
„Ja, schon, aber die Reparaturen kosten ein Heidengeld.“
Der Feuermagier fragte sich, was Ungläubige damit zu tun hatten, aber es war wohl nur eine Redewendung. Der Held hatte ein Aquarium im Wohnzimmer entdeckt und fragte wozu die Fische gut sein sollten.
„Damit es schön aussieht, außerdem ist es ein Hobby von mir Fische zu züchten. Es ist sehr entspannend“, sagte Günther und stellte sich zu ihm, um zu erklären, was für verschiedene Arten sein Aquarium beherbergte.
„Ich muss noch mal einkaufen fahren. Der Kaffee ist alle und wir haben auch kein Waschmittel mehr“, rief Anna ihrem Mann im Vorbeigehen zu und verschwand in den Flur, wo sie es klappern hörten und wenig später klappte die Haustür.
„Du hast mich doch nach weiteren Medizinbüchern gefragt“, wandte sich Astrid an den Feuermagier. „Ich hab noch welche oben, in meinem Zimmer. Ich kann sie dir zeigen, wenn du möchtest.“
Milten stimmte zu und folgte Astrid aus dem Wohnzimmer hinaus und eine Treppe hinauf. Er konnte noch hören, wie Günther den Helden bat ihn von seinen Abenteuern zu erzählen. Das konnte lange dauern, wenn er wirklich von allen hören wollte.
„Hier, das ist mein Zimmer“, hörte er Astrid sagen.
Im zweiten Stock gingen vier Zimmer ab und ihres lag rechter Hand des oberen Flures. Allein dieses Zimmer war so groß wie damals der Schlafraum der Feuermagier im Alten Lager. Es war über und über vollgestellt mit Schränken voller Bücher, Schachteln und Kästchen. Es gab ein großes Bett, welches unter der Dachschräge stand, in der ein Fenster eingelassen war, so dass der blaue Himmel draußen gut zu sehen war. An einer der Wände stand ein großer Schreibtisch auf dem allerhand Papier und Stifte verteilt waren. Alles in allem sah das Zimmer aber sehr ordentlich aus. Astrid blickt nervös zu ihm, als dachte sie, er würde eine Bewertung aussprechen, doch als nichts weiter kam, öffnete sie einen Schrank und holte einen Stapel dicker, schwerer Bücher hervor. Sie legte sie auf ihrem Bett ab und setzte sich daneben. Milten fand das etwas merkwürdig, aber sagte sich, dass das wohl ihre Methode war Bücher zu lesen.
„Setz dich doch“, kam es von Astrid und sie wies neben sich aufs Bett und zog eines der Bücher aus dem Stapel. „Das hier ist ein Grundlagenbuch über Anatomie.“
Sie schlug es auf und reichte es Milten, der jetzt neben ihr saß.
„Und das führt in die Grundlagen der Pflege ein. Du brauchst es vermutlich nicht zwingend zu wissen, aber es kann ganz nützlich sein. Es wird beschrieben wie man einen Port legt, oder Blut abnimmt. Ganz alltägliche Sachen im Krankenhaus also.“
Sie zog ein weiteres dickes Buch hervor und blätterte es vor Miltens schnell durch, um ihm einen groben Überblick zu geben.
„In dem hier geht es um genetische Krankheiten.“
„Was heißt das? Genetisch?“ wollte Milten wissen.
Astrid sah ihn schief an.
„Das sind Krankheiten, die weitervererbt werden können. Von den Eltern auf die Kinder.“
„Hm…“
Milten dachte angestrengt nach.
„Kannst du mir mehr darüber sagen?“
„Oh…“
Astrid musste jetzt selbst nachdenken. Wie konnte sie das jemandem erklären, der noch nie von Genetik gehört hatte?
„Also … grob gesagt gibt es für jedes Lebewesen ein Art Bauplan. Es wird DNA genannt.“
„Und was heißt das ausgesprochen? Es ist doch eine Abkürzung, oder?“
„Es heißt Desoxyribonukleinsäure. Sie ist der Träger der Erbinformationen.“
Sie stand auf, ging zum Bücherschrank und zog ein weiteres, aber dünneres Buch hervor, ging dann zurück zum Bett, ließ sich nieder und schlug das Buch auf. Jetzt blätterte sie bis zu einer Seite wo eine Abbildung zu sehen war. Milten kam sie sehr abstrakt vor und er verstand nicht was es damit auf sich hatte. Für ihn hatte das Gebilde entfernte Ähnlichkeit mit einer Wendeltreppe.
„Aber … was genau bedeutet das?“ fragte Milten und er kam sich sehr ahnungslos vor.
Astrid machte auf ihn den Eindruck, dass es sich hierbei um grundsätzliches Wissen handeln musste. Sie biss sich auf die Lippen und ihre Augen huschten schnell umher auf der Suche nach einer einfachen Antwort bei so einem komplexen Thema.
„Also … ähm… hm… nehmen wir mal an, du hast später mal Kinder ...“
Milten hob verwundert eine Augenbraue. Wie kam sie denn jetzt darauf?
„Dann werden sie dir deswegen ähnlich sehen, weil ihr zum Teil gleiche Gene habt. Vielleicht haben sie auch braune Haare, oder ihre Augen sehen so aus wie deine. Bestimmte Krankheiten werden auch vererbt und das nennt sich dann Erbkrankheit.“
Milten saß einfach nur da und versuchte das zu verstehen. Er wusste natürlich, dass die Kinder ihren Eltern ähnlich sahen, aber er hatte das einfach immer als gegeben hingenommen und sich gar keine Gedanken darüber gemacht, warum das eigentlich so war.
„Das kannst du auch mitnehmen, wenn du möchtest.“
Astrid sah ihn eingehend an und fragte sich was in ihm gerade vorging.
„Möchtest du denn mal eine Familie gründen?“
Milten sah sie verwundert an. Sowas war er noch nie gefragt wurden.
„Feuermagier gründen eigentlich keine Familien.“
Astrid musterte ihn.
„Warum nicht?“
Tja … warum eigentlich nicht? Wieder etwas worüber sich Milten noch gar keine Gedanken gemacht hatte und das verwunderte ihn, denn eigentlich hielt er sich für einen sehr nachdenklichen Mann.
„Nun … es ist einfach nicht üblich. Eine Familie würde den Magier doch von seinen Aufgaben ablenken.“
Dafür erntete er skeptische Blicke von Astrid.
„Ihr nehmt euren Job sehr wichtig, was?“
„Ja, ich dachte, du nimmst deine Arbeit auch wichtig“, kam es zurück und er sah Astrid prüfend an.
Sie zog eine Schnute.
„Schon, aber es muss doch auch etwas Zeit für Privates bleiben.“
„Bei mir zu Hause läuft vieles anders, als hier.“
„Gibt es Frauen die Feuermagier sind?“ fragte sie unvermittelt.
„Was? Nein.“
„Warum nicht?“
Wieder brachte sie ihn ins Grübeln. Ja, warum gab es eigentlich keine weiblichen Feuermagier? Logisch betrachtet sprach ja kein Grund dagegen. Gerade in dieser Welt war es so offensichtlich, dass es vollkommen Schnurz war, ob man nun eine Frau oder ein Mann war. Im Krankenhaus arbeiteten sowohl Ärzte, als auch Ärztinnen. Eine Frau leitete sogar das Krankenhaus. Es gab also keinen Grund anzunehmen Frauen wären nicht ebenso intelligent wie Männer. Sicher waren Männer von Grund auf überlegen in der Körperkraft, aber als Magier spielte das keine wichtige Rolle.
„Ich … ich weiß es nicht“, sagte Milten selbst verwundert.
Eine Weile saßen sie einfach nur stumm da und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
„Was wäre, wenn du nicht mehr in deine Welt zurück kommen könntest?“ fragte Astrid schließlich und durchbrach damit die Mauer des Schweigens.
Milten sah sie erschrocken an.
„Ich hoffe nicht, dass das passiert. Wir werden zu Hause gebraucht.“
„Aber hier wirst du auch gebraucht“, hielt Astrid dagegen. „Sieh nur wie vielen Menschen du das Leben gerettet hast.“
Milten sah sie an und wandte dann den Blick ab und fokussierte einen Fussel auf dem Teppich vor ihm. So gesehen hatte er hier mehr Menschen geholfen als in seinem ganzen Leben in Myrtana. Vielleicht, weil es hier viel mehr Menschen gab. Vielleicht, weil er die meiste Zeit bei seinen Kollegen mit Studien verbracht hatte und nicht so oft in Berührung mit den Sorgen und Nöten der Bürger kam, so wie es zum Beispiel bei Vatras war. Milten war plötzlich am Zweifeln, ob der Weg, den er gegangen war für sein Volk wirklich am Besten gewesen war. Wäre er eine viel größere Hilfe gewesen, wenn er direkt den Rebellen zur Seite gestanden hätte? Immerhin gab es Feuermagier, die das getan hatten. Doch waren seine Aufgaben doch auch wichtig gewesen. Die Ausbildung neuer Magier hatte Priorität und er hatte immerhin dazu beigetragen, dass es wieder Runenmagie gab. Doch Milten fühlte ein unangenehmes Ziehen in der Brust. Hatte er wirklich alles getan, was er hatte tun können, um den Menschen zu helfen? Er nahm sich vor, sich noch mehr anzustrengen, wenn sie nach Myrtana zurückkamen. Sie mussten es einfach schaffen und er würde alles tun, damit es gelang.
„Astrid, es ist wichtig, dass wir zurückgehen. Hier helfe ich auch vielen Menschen, aber dein Volk droht immerhin auch nicht zu sterben, oder?“
Er klang ruhig und das nahm die Wucht aus seinen Worten heraus und brachte Astrid dazu einzulenken.
„Nein. Mein Volk stirbt nicht. Es sterben jeden Tag viele Menschen und es gibt in unserer Gesellschaft auch viele Probleme, aber sie sind vermutlich unbedeutend mit denen in deiner Welt.“
Sie sah traurig aus. Sie sah ihn an und plötzlich legte sie eine Hand auf seinen rechten Unterarm.
„Aber wenn es eben so ist und ihr nicht mehr zurück könnt, bleibst du dann im Krankenhaus?“ fragte sie leise.
Milten seufzte. Der Gedanke all die Menschen in Myrtana im Stich lassen zu müssen, zehrte an ihm. Andererseits … hier war es wirklich angenehm. Keine Monster, die einem bei nächster Gelegenheit den Kopf abbeißen wollten, nicht so viele Halunken, die ihn alle Nase lang über den Tisch ziehen, ausrauben oder ermorden wollten. Man könnte schon fast sagen, es war friedlich hier. Er hatte bemerkt wie die Menschen miteinander umgingen. Nicht so hart, leichter, friedlicher. Für immer so leben? Es war tatsächlich verlockend. Hier war keine Hungersnot zu befürchten und wenn er sich das Haus hier so ansah, ließ es sich wirklich gut leben. Ihm würde schon ein kleines Zimmer im Krankenhaus reichen, wo er auch mal für sich sein konnte. Er hatte sich schnell an den Luxus gewöhnt jeden Tag dort essen zu können, ohne sich kümmern zu müssen. Es schmeckte gut und war von hoher Qualität. Kein altes, trockenes Brot oder Käse. Keine dünne Suppe. Richtig gutes Essen. Es wäre sehr angenehm hier zu leben. Es wäre geradezu zu schön um wahr zu sein.
„Es … es wäre sicher ein schönes Leben hier“, sagte Milten leise. „Aber ich werde alles daran setzen wieder zurückzukommen und den Menschen in Myrtana zu helfen.“
„Natürlich“, sagte Astrid, jetzt einen Hauch fröhlicher.
Miltens Stirn furchte sich.
„Woher weißt du eigentlich so genau Bescheid? Wir haben gar nicht so viel über meine Heimat geredet.“
Astrids Wangen erglühten rot.
„Mein Vater hat mir von euren gemeinsamen Ausflügen erzählt.“
„Oh …, ach so“, kam es von Milten, der nicht genau wusste, was er davon halten sollte.
Er hatte eigentlich gedacht Günther behielt es für sich. Wem hatte er alles davon erzählt? Und wenn, war es überhaupt schlimm, wenn einige Leute davon wussten? Doch Astrid kannte er immerhin und sie war seine Tochter, deswegen war es wohl gar nicht weiter verwunderlich, dass sie jetzt auch davon wusste.
„Stimmt es, dass dein Freund mit zwei Skeletten unterwegs war?“ fragte Astrid skeptisch.
Milten seufzte.
„Erinnere mich bloß nicht daran. Ich wünschte, er würde nicht ständig irgendwelche Viecher beschwören. Das ist Beliar Magie.“
„Und was heißt das? Sowas wie schwarze Magie?“
„So in der Art. Es ist zwar nicht direkt verboten, aber wird nicht so gern gesehen. Wer möchte schon gern über ein paar Skelette stolpern, die einen dann angreifen?“
„Haben sie aber nicht gemacht, oder?“ fragte Astrid nach.
„Was?“ fragte Milten verwundert und wurde aus seinen Gedanken gerissen.
„Die Skelette, die er bei sich hatte.“
„Nein. Er hat sie wohl so weit unter Kontrolle, dass er sie gezielt angreifen lassen kann, wenn es nötig ist. Dennoch … ich mag das nicht.“
„Kann ich verstehen. Hört sich gruselig an. Was ist mit dem beschworenen Wolf? Ist der gefährlich?“
Milten zuckte mit den Schultern.
„Auch nicht anders, als eure Hunde, nehme ich an. Vermutlich sogar um einiges gehorsamer.“
Wieder wurde es still. Milten blätterte durch die Bücher und Astrid wusste wohl nicht so recht was sie sagen sollte.
„Vielleicht hört sich das für dich … komisch an, aber ich bin froh, dass ihr ausversehen hier gelandet seid. Sonst hätte ich dich doch nie kennen gelernt.“
Milten sah auf. Astrid lächelte ihn an und er fragte sich wie genau sie das meinte. Einfach so? Oder weil er so viele Menschen geheilt hatte? Oder, hm… nein, daran wollte er lieber gar nicht denken, das würde nur zu Problemen führen.
„Schön, dass du es so positiv siehst. Ja, so gesehen … wir hätten das alles hier nie gesehen, wenn die Teleportation nie schief gelaufen wäre.“
Gedankenverloren strich er über eins der Bücher und versuchte nicht zu Astrid zu sehen, die irgendwie erwartungsvoll aussah.
„Vielleicht sollten wir wieder zurück ins Wohnzimmer gehen und mal hören worüber unten gesprochen wird.“
„Oh … ja, na gut, wenn du möchtest“, sagte Astrid und es hörte sich wenig begeistert an. „Ich bleibe noch etwas hier, wenn du nichts dagegen hast.“
Sie hörte sich niedergeschlagen an. Milten konnte sich das nicht erklären. Er ließ ihr ihren Willen und verließ ihr Zimmer, um zurück zu Günther und dem Helden zu gehen, die immer noch im Wohnzimmer am großen Tisch saßen und erzählten. Es ging selbstverständlich immer noch um die zahlreichen Abenteuer des Helden und er erzählte sie wie immer in einer derart beiläufigen Art, dass jemand der diese Sprache nicht verstand, glauben könnte es ginge um völlig banale Dinge. Ungeachtet dieser Tatsache hörte Günther hoch interessiert zu. Für Milten sah es so aus, als würde er alles was sein Freund sagte genau analysieren. Ob sich der Held dem bewusst war, konnte er nicht sagen. Es ging wohl gerade um die Drachen, als sich Milten zu ihnen setzte.
„Pandrodor, Pedrakhan, Finkregh und Feomathar.“
Beim Namen des Feuerdrachens erschauerte Milten. Der Held konnte nicht wissen welche grausigen Erinnerungen im Kopf seines Freundes Gestalt annahmen. Er war es, der Gomez alte Burg angegriffen hatte.
„Auf Irdorath gab es dann noch Feodaron, er war der Bruder von Feomathar und …“
Es war untypisch für den Helden, aber er sah tatsächlich beunruhigt aus.
„der untote Drache ohne Namen“
„Warum hatte der keinen Namen?“ fragte Günther sofort.
Er merkte, dass er hier etwas auf der Spur war, dass seinen Gast sehr beschäftigte und das wollte er näher in Erfahrung bringen, nachdem er von all seinen Abenteuern bisher so leichthin gesprochen hatte, als würde er nur mal eben ein Glas Gurken aus dem Keller holen. Der Held antwortete nicht sofort und auch Milten saß jetzt wie auf heißen Kohlen. Ja, warum hatte der untote Drache eigentlich keinen Namen? Sein Freund hatte nie so direkt darüber gesprochen. Wenn man ihn danach fragte was da auf Irdorath genau geschehen sei, fasste er sich für gewöhnlich sehr kurz und mied wo es ging, dieses Thema. Der Held klopfte nachdenklich mit seinen Fingern auf den Tisch. Er überlegte, ob er das Thema irgendwie wechseln könnte, aber seine beiden Gesprächspartner sahen nicht so aus, als würden sie damit locker lassen. Deswegen seufzte der Held und rückte mit der Sprache heraus: „Der untote Drache sagte mir, dass er keinen Namen hat, weil auch ich keinen Namen trage und nur ich ihn töten könnte. Was auch immer das genau heißen soll.“
Mit seinem letzten Satz versuchte er das Gewicht aus dem ersten zu nehmen. Milten sah ihn erstaunt an.
„Du meinst …“
„Was?“ fragte der Held unschuldig.
„Weißt du was dazu geschrieben steht? „Und Beliar wählte das Tier…““
Der Held verdrehte genervt die Augen.
„Ja, ja, ich weiß „Und der Mensch erschlug das Tier und es ging ein in Beliars Reich.“ Vatras hat diese Geschichte jeden Tag erzählt und ich stand nicht weit entfernt in Coragons Kneipe und habe da Fleisch gebraten. Da kam ich gar nicht umhin, als seinem Gerede zuzuhören.“
„Dann weißt du ja was das bedeutet“, sagte Milten und sah ganz aufgeregt aus.
Günther sah gespannt von einem zum anderen. Die beiden schienen ihn vollkommen vergessen zu haben, aber das störte ihn nicht. Interessiert beobachtete er wie die beiden sich verhielten.
„Und was?“ fragte der Held in einem Ton, der deutlich werden ließ, dass er es gar nicht wissen wollte.
„Es war schon lange vorherbestimmt, dass du den Untoten Drachen tötest. Du wurdest wirklich von den Göttern auserwählt, vielleicht schon von deiner Geburt an.“
„Ach Quatsch“, wehrte der Held ab. „Wenn jetzt irgendein anderer Typ den Drachen getötet hätte, dann wäre er der Auserwählte. Das ist so eine selbsterfüllende Prophezeiung. Wenn ich‘s nicht geschafft hätte, dann wäre ich es nicht gewesen, aber wenn doch, dann bin ich es, zumindest in den Augen der Leute. Das ist wie beim Schläfer Tempel, da hatten die Orks auch die Prophezeiung, dass da ein Typ käme um den Schläfer wieder zu verbannen.“
Milten sah ihn erstaunt aber auch etwas amüsiert an.
„Davon hast du ja noch gar nichts erzählt.“
„Weil ich wusste, dass du da wieder allerhand hineininterpretierst. Hätte ich es nicht gemacht, hätt’s irgendwer anders gemacht.“
„Das glaube ich nicht. Die magische Barriere bestand seit Jahren und du hast es in nicht einmal einem Monat geschafft sie zu Fall zu bringen.“
Der Held verschränkte die Arme vor der Brust und sagte trotzig: „Was sollte ich auch noch länger da hocken.“
Günther fand ihr Gespräch sehr interessant, aber er wusste, dass es noch mehr Verborgenes beim vorherigen Thema gab, von dem der Held so geschickt abgelenkt hatte.
„Noch mal zurück zu diesem Untoten Drachen …“
Der Held sah aus, als würde er ihm eine verpassen wollen. Da hatte er sich so viel Mühe gegeben und jetzt stocherte er weiter in dieser Wunde herum.
„Wie hast du dich gefühlt, als der Drache sagte, dass nur du ihn würdest töten können?“ fragte Günther aufmerksam.
„Wie soll ich mich schon gefühlt haben? Ich wollt‘s nicht glauben.“
Günther nickte. Wenn ihm ein sprechender Drache, der eigentlich tot sein sollte, gesagt hätte, er sei dazu bestimmt gegen ihn zu kämpfen, dann hätte er es wohl auch nicht geglaubt.
„Und wie denkst du jetzt darüber?“ fragte Günther mit sanfter Stimme weiter.
Er hatte viel Übung darin. Es galt möglichst behutsam vorzugehen, damit sein Gesprächspartner das Gefühl bekam über alles reden zu können, egal wie schlimm es war. Der Held antwortete nicht sofort. Abwesend starrte er auf einen Kratzer auf dem Tisch und fuhr ihn mit dem rechten Zeigefinger nach, dann sagte er schließlich: „Ich habe lange darüber nachgedacht. Ein Teil von mir ist immer noch der Meinung, dass es nicht sein kann. Der Untote Drache sagte mir auch, dass er mich absichtlich zu ihm gelockt hätte.“
Milten sah ihn verwundert an.
„Was meinst du?“
„Er sagte, er hätte die Zeichen seiner Existenz so deutlich gesät, dass ich gar nicht anders können würde, als früher oder später vor ihm zu stehen. Die Drachen und ihre Eier würden mich unweigerlich nach Irdorath führen. Er klang sehr überzeugt, aber ich sagte mir, dass er nur den Anschein erwecken wollte, das alles so vorhergeplant zu haben, um nicht eingestehen zu müssen, dass er mich nicht aufhalten konnte. So hörte es sich ja an, als wäre es alles Teil seines Plans.“
„Und der wäre?“ fragte Milten gespannt weiter.
Der Held atmete einmal tief aus.
„Während des Kampfes war mir das nicht klar, aber wie ich schon sagte … ich hatte viel Zeit darüber nachzudenken. Warum ließ mich Beliar die Klaue führen? Ich musste ja zu ihm Beten und einen Teil meines Lebens an ihn abgeben…“
„Was ich immer noch für sehr zweifelhaft halte“, unterbrach ihn Milten.
„Willst du das jetzt hören, oder nicht?“
Der Held sah ihn zornfunkelnd an. Milten hob die Hände zum Zeichen, dass er ihn nicht mehr unterbrechen würde.
„Ich sagte mir lange, das ist der Preis, aber … was ist, wenn das nicht alles ist? Warum sollte mich Beliar so eine mächtige Waffe führen lassen und riskieren seine Streitmacht derart zu dezimieren? Mit der Klaue Beliars konnte ich die ersten fünf großen Drachen töten und die Orks fertig machen. Ohne die Klaue hätte ich es wohl gar nicht erst bis zum Untoten Drachen geschafft. Aber was wäre, wenn gerade das Beliars Absicht war?“
Milten sah ihn mit großen Augen an. Er wagte aber nicht eine Zwischenfrage zu stellen.
„Wir hatten ja schon mal darüber geredet, letztens in Diegos Haus und ich hab über deine Worte nachgedacht, Milten. Was ist, wenn ich die Klaue oft genug nutzte, um einen großen Teil meiner Lebenskraft hineinfließen zu lassen, ihr eine so große Macht zu geben? Was, wenn all diese Diener Beliars nur Mittel zum Zweck waren? Wenn selbst der Tod dieser fünf Drachen für Beliar zu verschmerzen gewesen wären? Als ich dann gegen den Untoten Drachen kämpfte zog ich, wie selbstverständlich, die Klaue Beliars zum Kampf. Doch dieses Mal verweigerte sie mir ihren Dienst.“
Milten hörte interessiert zu und es war ihm anzusehen, dass seine Gedanken rasten. Davon hatte der Held noch nichts gesagt.
„Als ich das Schwert gegen den Untoten Drachen einsetzten wollte, traf mich selbst ein Blitz. Es war sehr schmerzhaft und mittlerweile bin ich mir sicher, dass es Beliars Absicht war mich zu töten. Doch nach diesem ersten Angriff, steckte ich die Klaue weg und benutzte Magie um gegen meinen Feind vorzugehen. So komisch sich das auch anhört, dieser Untote Drache spuckte tatsächlich Feuer. Beliar war sich wohl sehr sicher, das wenn mir das Schwert nicht ganz den Rest gab, es der Drache tun würde und wenn ich erst tot wäre … Mittlerweile bin ich mir nicht mehr so sicher, ob ich überhaupt sterben kann, so richtig meine ich.“
Die anderen beiden sahen ihn verwundert an, offensichtlich wussten sie nicht so ganz was er meinte.
„Wenn ich so zurückdenke: Ich hab sowohl Quarhodron, als auch Rhademes als Geister gesehen. Beide waren im Besitz von Beliars Klaue, das heißt sehr wahrscheinlich haben sie in irgendeinem Maße auch zu Beliar gebetet und einen Teil ihrer Lebenskraft für das Schwert hergegeben, genau wie ich. Abgesehen von diesen beiden gab es keine Geister in Jharkendar, oder zumindest sind mir keine untergekommen. Damals hab ich das einfach so hingenommen, als ich aber so darüber nachdachte … Warum wurden ausgerechnet für diese beiden so aufwendige Krypten gebaut? Für niemanden sonst aus den hohen Kasten hab ich etwas Ähnliches gesehen. Auch keine Ruinen oder so… Die Kaste der Totenwächter gab es wohl schon länger, aber was, wenn es auch in Jharkendar ungewöhnlich war, dass jemand nicht so wirklich starb? Was ist also, wenn Beliar plante mich nach meinem Tod in Irdorath für seine Zwecke zu nutzen? Als sein untoter Diener, der mit seiner Klaue Tod und Verderben über Myrthana bringt? Was ist wenn das sein ganzer Plan war?“
Milten sah ihn erschüttert an.
„Das …“ er schluckte mühsam. „das ist ja ungeheuerlich.“
Er atmete tief aus.
„Meinst du wirklich?“ fragte er nach.
Der Held nickte langsam.
„Es könnte sein. Sonst würde mir nicht einfallen, warum mir Beliar die Klaue so bereitwillig überlassen hat. Kurzfristig gesehen gibt mir das Schwert die Macht gegen so ziemlich jeden Gegner zu bestehen, doch Beliar plant wohl langfristig. Früher oder später werde ich sterben, so wie jeder andere auch und dann hat er was er will.“
Der Held erschauerte. Es war ungewöhnlich ihn so zu sehen, doch aber auch verständlich.
„Wenn ich sterbe, wird mich wohl die verbliebene Kraft im Schwert am Unleben halten und wer weiß was dann passiert. Wenn ich glück habe, werde ich wohl einfach nur irgendeinen uralten unterirdischen Tempel bewachen müssen und mich zu Tode langweilen.“
Sein eigener Galgenhumor lockte ihm ein schiefes Lächeln aufs Gesicht.
„Wenn das stimmt, dann … wir müssen dich irgendwie von der Verbindung zu dem Schwert befreien“, sagte Milten energisch und im Geiste ging er schon fieberhaft alles durch was er über Bindungsmagie wusste.
Die Miene des Helden wurde hart und er sah seinen Freund abweisend an.
„Das will ich gar nicht.“
„Was? Das kann nicht dein ernst sein“ brauste Milten auf.
„Das Schwert gibt mir die Möglichkeit ein aufregendes, abenteuerliches Leben zu führen. Ich finde, irgendwie ist es das wert. Was später kommt, kann ich ja nicht vorhersehen. Vielleicht stimmt meine Theorie gar nicht und Beliar hat etwas ganz anderes vor.“
Milten schüttelte den Kopf, total erschüttert über das was er gehört hatte. Der Held ahnte was in ihm vorging.
„Immerhin weißt du jetzt Bescheid, falls so etwas wirklich mal geschehen sollte. Wenn ich sterbe … und irgendwie eben doch nicht, dann kannst du mich mit einem „Untote vernichten“ Zauber einfach endgültig sterben lassen.“
Milten schüttelte heftiger mit dem Kopf.
„Also ich glaube ja nicht, dass das so „einfach“ wird. Zum einen … wenn sich Beliar wirklich so einen raffinierten Plan ausgedacht hat, dann wird es mit einem einfachen „Untote vernichten“ Zauber nicht getan sein und zweitens … glaubst du denn wirklich das wäre einfach für mich dich umzubringen? Ganz zu schweigen davon, dass ich im Kampf vermutlich keine Chance gegen dich hätte … ich … ich könnte dich doch nicht einfach umbringen“, sagte Milten aufgewühlt.
„Aber Milten, ich wäre doch schon tot“ antwortete der Held in einem beruhigenden Tonfall, der wohl ausdrücken sollte: Ist doch alles halb so wild.
„Wieder einmal hab ich das Gefühl, du siehst nicht den Ernst der Lage“ sagte der Feuermagier streng.
„Na schön…“ sagte der Held, verdrehte die Augen und lehnte sich weit im Stuhl zurück. „Dann schafft ihr mich eben in irgendeinen Tempel und versiegelt den, so wie sie es mit Rhademes im Adanos Tempel gemacht haben.“
„Ich weiß nicht, ob du die Tragweiter dieser Konsequenzen wirklich anerkennst.“
„Ach?“ fragte der Held verärgert. „Und was soll ich sonst machen? Denkst du ich freu mich darauf, später mal als Untoter durch die Gegend zu schlurfen? Ich hab zahlreiche Untote getötet“ und er zählte auf: „Skelette, Zombies, Schattenkrieger, untote Orks und Skelettschattenläufer und eben auch einen untoten Drachen. Da freut es mich sicher nicht, selbst ein Untoter zu werden.“
Anna kam ins Wohnzimmer zurück und fragte in die sich ausbreitende Stille hinein, ob noch jemand einen Kaffee haben wollte, sie würde sich jetzt einen machen. Milten und Günther zuckten, ob dieses Angebots überrascht zusammen. Da dachten sie über Flüche, Untote und das Leben nach dem Tod nach und dann wurden sie nach einem Pott Kaffee gefragt.
„Ich nehm gerne einen, danke“, sagte der Held und hob eine Hand.
Anna lächelte ihn an und ging dann in die Küche, wo sie die Kaffeemaschine vorbereitete.
„Und … wie läuft das genau, wenn du zu diesem Beliar betest?“ fragte Günther langsam.
„Das ist so, ich geh zu einem Beliarschrein, lege das Schwert davor und spreche zu ihm.“
„Und worüber?“ wollte der ältere Mann wissen.
„Unterschiedlich. Manchmal sage ich einfach nur: „Beliar“, manchmal erzähle ich ihm aber auch, was ich so alles mit dem Schwert umgenietet habe. Keine Ahnung warum, vielleicht einfach nur so, als Monolog. Er sagt ja nicht viel. Er schickt einfach nur einen Blitz, der mir Lebenskraft entzieht und sie ins Schwert leitet.“
Günther und Milten sahen sehr verstört aus, deswegen fügte er hinzu: „Keine Sorge, ich hol mir die Lebenskraft von Innos zurück. Wenn ich an dessen Schreinen Bete und hundert Goldstücke spende, dann kriege ich im Tausch Lebenskraft.“
Günther sah ihn irritiert an.
„Aber … aber“
Aus der Küche hörten sie Anna sagen: „Ah … wie bei mir und den Kreditkartenabrechnungen. Die eine belaste ich für den Kauf und die andere benutze ich um die erste zu decken.“
Der Held lächelte in ihre Richtung. Endlich jemand, der ihn verstand.
„Aber …“
Günther rang immer noch nach der Fassung.
„Der Glaube ist doch kein Versandhandel. Man betet doch nicht, um etwas von seinem Gott einzufordern.“
„Warum denn nicht?“ wollte der Held verwundert wissen.
„Na weil …“
Günther suchte nach Worten.
„Wie machst du es denn?“ wollte der Held wissen. „Was bekommst du für dein Gebet zu deinem Gott?“
Günther versuchte sich zu beruhigen.
„Es gibt keinen physischen Gegenwert. Es ist das Gefühl, dass Gott über mich wacht und für mich da ist.“
Der Held hob verwundert eine Augenbraue.
„Mehr nicht? Also dafür würde ich nicht beten, dann kann man es ja genauso gut auch sein lassen.“
Günther sah Milten an, der ihm einen Blick zuwarf, der wohl sagen sollte: „So ist er eben.“
„Du meinst also, es muss einen Gegenwert geben?“ fragte Günther.
„Ja na klar, was soll ich mit einem Gott anfangen, der mir nichts bringt?“ sagte der Held, als sei das selbstverständlich.
Günther dachte über das nach was er heute gehört hatte. Milten versuchte es seinem Freund zu erklären: „Weißt du, es gibt Menschen die beten einfach, weil es ihnen ein gutes Gefühl gibt.“
„Hm…“
Der Held schien nicht überzeugt.
„Nach dem was ihr so erzählt habt, kommt es mir ganz so vor…“ begann Günther „als würden eure drei Götter jeweils versuchen dich auf ihre Seite zu ziehen und deswegen bietet dir jeder etwas anderes.“
Der Held dachte darüber nach.
„Möglich.“
„Seltsam“ murmelte Günther.
Der Held fand das gar nicht seltsam, wozu sollte man sonst zu einem Gott beten? Es musste schon was für ihn dabei herausspringen.
„So, der Kaffee ist fertig“, sagte Anna und reichte dem Helden einen großen Pott und nippte dann genüsslich an ihrer eigenen Tasse.
„Es ist noch genügend da, falls ihr auch welchen wollt“, sagte sie an Milten und ihren Mann gewandt.
Es klingelte an der Tür. Anna ging in den Flur, um nachzusehen wer es sein könnte. Sie hörten eine männliche, eine weibliche und zwei Kinderstimmen.
„Das ist mein Bruder mit seiner Familie“, sagte Astrid, die gerade die Treppe von ihrem Zimmer herunterkam und sah Milten und den Helden fast schon entschuldigend an.
Warum das so war, bekamen sie erst später mit.
„Oh, ihr habt gerade Besuch“, sagte Astrids Schwägerin.
Es gab eine große Vorstellungsrunde. Astrids Bruder hieß Christopher, seine Frau Ingrid, Sohn Martin und Tochter Anja. Günther stellte als Hausherr seine Gäste vor, wobei er den Helden in Ermangelung eines Namens einfach als Miltens Kumpel vorstellte. Anna schlug vor in den Garten zu gehen, weil sie dort mehr Platz hätten. Ausnahmsweise war heute mal ein sonniger Tag und es waren fast fünfzehn Grad. Der Garten war fast sechshundert Quadratmeter groß. Es gab einige Beete, wo zu dieser Jahreszeit allerdings nichts blühte, kahle Laubbäume, einen Nadelbaum und einen kleinen Teich wo außerhalb des Winters Fische zu sehen waren. Eine Hecke umgab den Garten und sorgte für Sichtschutz. An einem Birnbaum hing eine alte Schaukel, auf die das kleine, vielleicht siebenjährige blonde Mädchen Anja sofort zulief, um dort zu schaukeln. Der etwa zehnjährige Martin setzte sich lieber an den Tisch der Erwachsenen, aß ein paar Kekse, die seine Oma auf den Tisch stellte und hörte den Gesprächen der Erwachsenen zu, während diese Kaffee tranken. Milten und der Held fühlten sich deutlich fehl am Platz. Sie konnten sich nicht erinnern, jemals in einer ähnlichen Runde gesessen zu haben. Für diese Leute schien es aber ganz normal zu sein, sich an einem Sonntag mit der Familie zu treffen, völlig ungefährdet zusammenzusitzen und sich über, wie es ihnen zumindest schien, Belanglosigkeiten auszutauschen. Da ging es um den Preis von Butter, der offenbar um zehn Cent gestiegen war, über die neue Wandfarbe in der Küche und eine neue Maschine, die den Kaffee erzeugte. Keine Gespräche über Monsterangriffe, Überfälle aus anderen Ländern, Tod von Familienangehörigen, der drohenden Gefahr durch Untote oder ähnlichem. Wahrlich, den Leuten in diesem Land ging es gut, wenn sie sich über solche Kleinigkeiten austauschten. Milten fand das faszinierend. Der Held begann sich dagegen zu langweilen. Da kam es gerade recht, dass die kleine Anja auf einmal wie angestochen angesprungen kam und ihren Vater mit den Worten: „Komm! Pferdchen spielen!“ am Arm zog.
„Ach nein“, murrte ihr Vater. „Du siehst doch, dass wir gerade so schön zusammen sitzen. Schaukel doch noch ein bisschen.“
„Das wird langweilig. Lieber Pferdchen spielen.“
Der Vater stöhnte.
„Aber wir haben doch schon den Weg hierher Pferd gespielt. Jetzt trage ich dich nicht durch die Gegend.“
„Da hinten ist doch Omas Karre“, sagte Anja und zeigte auf den Geräteschuppen.
„Ach, und ich soll mich jetzt davor spannen und dich durch die Gegend ziehen, oder was?“
„Ja, genau, siehst du, du hast es verstanden“, sagte die Kleine keck.
„Unsere kleine Anja hält sich für eine Prinzessin“ erklärte Oma Anna ihren Gästen.
„Oma, ich will auch Kekse“, sagte das kleine Prinzesschen im gewohnten Befehlston.
„Aber natürlich, eure Majestät“, spielte Oma mit, deutete einen Knicks an und reichte ihr einen Teller mit Keksen.
Sie nahm sich welche und kam dann wieder auf das Thema zurück: „Ich will spielen. Alleine ist es langweilig.“
„Martin, spiel doch mit deiner Schwester“, legte der Vater seinem Sohn nahe.
Der Junge seufzte.
„Aber es ist doch immer das gleiche. Sie will immer alles bestimmen. So macht das doch keinen Spaß.“
„Bitte, tu uns doch den Gefallen, sonst kriegen wir hier keine Ruhe.“
„Na schön.“
Der Held sah den gequälten Ausdruck im Gesicht des Jungen. Er hatte eine Idee. Hier herumzusitzen, war sowieso langweilig.
„Vielleicht können wir meinen … Hund vor den Wagen spannen. Ist zwar kein Pferd, aber einen Versuch wäre es doch wert.“
„Ach, das ist dein Hund? Wir haben uns schon gewundert, wie dieses Tier so brav vor dem Eingang sitzt.“
„Ja“ freute sich Anja, weil jemand mitspielte.
Sie kam sofort angeflitzt, als der Held aufstand und sprang um ihn herum.
„Und du bist der Ritter!“ befahl sie.
Milten verschluckte sich an seinem Kaffee und musste husten. Der Held sah sie verwundert an.
„Ich?“
„Ja, du. Ich brauch doch als Prinzessin Schutz vor Räubern und mein Bruder ist der Hofzauberer.“
Damit hatte sie das Spiel bestimmt. Auf der einen Seite konnte einem ihre bestimmende Seite auf die Nerven gehen, aber sie hatte auch eine so einnehmende Art an sich, dass man es ihr gar nicht böse nehmen konnte. Der Held verließ den Garten durch die Gartentür, um Waldi zu holen.
„Dein Kumpel ist ja sehr kinderlieb“, stellte Ingrid fest.
„Offenbar schon“, sagte Milten, der den Kindern amüsiert zusah, wie sie einen alten Holzwagen aus dem Schuppen holten.
Er war sehr klein, vermutlich dazu da, um Laub, Äpfel oder Kartoffeln zu transportieren. Für die kleine Anja reichte die Sitzfläche aber vollkommen. Zumindest eigentlich, denn sofort wies sie ihren Bruder an: „Ich bin eine Prinzessin und das hier ist dreckig. Ich brauche ein Kissen.“
Ihr Bruder seufzte genervt, tat aber was sie wollte, weil er wusste, sie würde sonst keine Ruhe geben. Die Gartentür öffnete sich und der Held kam in eine Gardistenrüstung gekleidet zurück in den Garten. Waldi folgte seinem Herrn gehorsam.
„Ich dachte mir, von den Rüstungen, die ich habe, ist diese noch am ritterlichsten.“
Die Rüstung machte tatsächlich was her, auch wenn sie an einigen Stellen geflickt war. Immerhin stank sie dank der inzwischen zerstörten Waschmaschine nicht mehr. Martin sah den Helden mit weit aufgerissenen Augen an. Anja klatschte zufrieden in die Hände, sagte aber: „Ihr seht toll aus, Herr Ritter, aber habt ihr auch ein Schwert?“
Milten fürchtete schon er würde jetzt Uriziel oder gar die Klaue Beliars ziehen, aber dann war es zum Glück doch nur der „Todbringer“.
„Wo hat er denn das her?“ fragte Christopher verwundert.
„Ach, er sammelt so altes Zeug“, wimmelte Milten die Frage ab.
Die Erwachsenen sahen verwundert zu wie der Held zu den beiden Kindern ging. Martin sah ihn immer noch ehrfürchtig an.
„Das hier ist Waldi. Mal sehen, ob er den Wagen zieht.“
Er dirigierte den Wolf vor den Karren und befahl ihm still zu stehen. Waldi sah nicht sehr glücklich über seine Rolle in diesem Spiel aus. Der Held legte ihm ein behelfsmäßiges Geschirr aus Seilen an und knotete das am Lenker des Karrens fest. Der Held ging ein paar Schritte vor und rief: „Komm!“
Waldi und somit auch der Karren setzten sich in Bewegung.
„Hui!“ jauchzte Anja, doch dann kam der Karren wieder zum Stehen und das passte ihr gar nicht.
Ihren Ärger ließ sie an ihrem Bruder aus.
„Hofzauberer, ihr habt ja gar keinen Zaubererumhang an. Geh zur Schneiderin und lass dir einen Anfertigen.“
„Dafür brauche ich aber Gold, eure Majestät“, erwiderte Ihr Bruder schlagfertig.
„Du denkst doch wohl nicht, dass ich mein Gold selbst mit mir herumschleppe? Das Gold verwahrt mein Ritter, der kann es ja auch vor Räubern beschützen. Ritter, gebt dem Hofzauberer etwas Gold für seinen Umhang!“
Martin erwartete ein paar Steine zu bekommen, doch der Held zwinkerte ihm schelmisch zu und zog ein paar echte Goldtaler aus seiner Hosentasche. Martin staunte.
„Worauf wartest du, Hofzauberer?“ fragte Anja, die gar nicht so erstaunt war.
Immerhin hatte sie ja befohlen, dass es Gold sein sollte. Martin rannte zu den Erwachsenen und zeigte gleich das Gold vor.
„Seht mal, seht mal!“ sagte er ganz aufgeregt.
Dann erinnerte er sich wieder an das Spiel.
„Ähm… ehrenwerte Schneiderin, würdet ihr mir im Tausch gegen dieses Gold einen Zaubererumhang geben?“
Seine Oma amüsierte sich über die Situation und verbeugte sich.
„Aber natürlich, Herr Hofzauberer, ich gehe sofort einen holen.“
Währenddessen schallte es von Anja her: „Herr Ritter, lass uns dahinten zu dem Baum gehen, ich will aus den Ästen einen Haarreif basteln.“
„Und was ist mit dem Hofzauberer?“ fragte der Heldenritter.
„Der wird uns schon finden.“
„Ah ja.“
Rumpelnd setzte sich Waldi in Bewegung, immer hinter seinem Herrn her. Als sie bei der acht Meter großen Birke ankamen hielten sie an und Anja befahl: „Helft mir aus dem Karren heraus!“
Amüsiert hob der Held die Kleine aus dem Wagen und setzte sie aufs Gras. Sie ging zur Birke und fuhr durch die Äste. Zuerst sah es so aus, als wollte sie sich einige Äste abreißen, dann drehte sie sich um und sagte: „Herr Ritter, reißt mir ein paar Äste ab, damit ich mir keine Splitter in die Finger hole.“
Der Held sah sich zum Hausherrn am Kaffeetisch um, der den Kopf schüttelte. Er wusste nicht, ob das war, weil er die Situation so albern fand, oder ob er nicht wollte, dass der Baum gerupft wurde.
„Aber das ist doch die heilige Birke des Königs, da können wir doch nicht einfach Äste abreißen“, hielt der Ritter dagegen.
Das schien der Prinzessin einzuleuchten. Sie sah auf dem Boden aber einige Zweiglein liegen und sagte: „Dann hebt mir einige Zweige vom Boden auf!“
Der Held grinste und sagte schelmisch: „Aber ich bin doch ein Ritter, ich hab einen Stock im Arsch und kann deswegen nichts selbst aufheben.“
Selbst Milten musste losprusten.
„Na schön, dann warten wir eben auf den Hofzauberer“, sagte Anja vollkommen ernst.
Der Hofzauberer wartete immer noch auf seine Oma, die jetzt aus dem Haus kam und ein Faschingskostüm in den Händen hielt. Es war ein lilaner Umhang mit Sternen darauf, dazu ein Spitzhut.
„Hier, Herr Hofzauberer, euer Gewand.“
Sie deutete einen Knicks an und gab ihm die Klamotten. Martin bedankte sich und zog die Sachen über. Dann ging er zu seiner Schwester zurück, die ihn sofort anwies einige Zweige aufzuheben. Dann ließ sie sich mit ihrer Ausbeute wieder in den Wagen heben und begann dort zu flechten. Das konnte sie erstaunlich gut und bald hatte sie sich einen Kranz aus Birkenzweiglein gebaut, den sie sich auf den Kopf setzte.
„So, jetzt habe ich immerhin wieder eine Krone.“
„Was ist denn mit deiner alten passiert?“ fragte der Held.
„Aber Herr Ritter, wie redet ihr denn mit mir? Ich bin doch die Prinzessin, da gehört sich doch nicht so eine Anrede, wisst ihr das denn nicht?“
„Ich habs gerafft, hochverehrte Lordschaft“, sagte der Held und musste das Lachen, das ihm entweichen wollte mühsam unterdrücken.
Anja schien jetzt zufrieden.
„Meine Krone wurde mir von Räubern gestohlen“, erklärte sie. „Da drin verstecken sie sich. Gehen wir hin und suchen nach meiner Krone.“
Wieder setzte sich das Gefolge rund um die Prinzessin in Bewegung und sie kamen beim Geräteschuppen an. Diesmal kletterte die Prinzessin ungeachtet der Splittergefahren sogar selbst aus dem Wagen und öffnete wagemutig die Tür zum Räuberversteck. Der Ritter und der Hofzauberer folgten ihr. Drinnen war es stockdunkel.
„Hofzauberer, mach Licht!“
Klick. Das war der Lichtschalter, den Martin betätigt hatte, nur leider war die Glühbirne kaputt.
„Hofzauberer, Licht!“ befahl die Prinzessin.
„Es geht nicht“, sagte Martin genervt.
„Bist du jetzt der Zauberer, oder was?“ fragte Anja eigenwillig.
Plötzlich erstrahlte ein helles Licht über ihren Köpfen. Die Kinder sahen erstaunt darauf. Selbst Anja geriet aus der Fassung.
„Sehr gut, Hofzauberer“, sagte sie dann wieder kühl und ging voran.
Martin sah zum Helden, der ihm zuzwinkerte. Anja fing an im Schuppen herumzukramen. Nach einigen Minuten seufzte sie enttäuscht.
„Die Krone ist nicht mehr da.“
„Die Banditen haben sie bestimmt in der Stadt verkauft“, kam es fachmännisch vom Helden.
„Dann sollten wir dort danach suchen!“ befahl die Prinzessin und sie brachen, Anja natürlich im Wagen, zum Kaffeetisch auf.
Mal abgesehen von Milten waren alle sehr erstaunt vom hellen Licht über den Köpfen der kleinen Truppe. Der Feuermagier war einfach nur froh, dass der Held nicht etwa ein Goblinskelett beschworen hatte, um ein Monster zu haben, gegen das man ja die Prinzessin hätte verteidigen können.
„Werte Bürger. Habt ihr die Krone der Prinzessin gesehen?“ fragte der Held schmunzelnd.
Oma war für jeden Spaß zu haben und sagte, sie habe sie gefunden. Wenig später kam sie mit einem goldfarbenen Haarreif zurück, den sie Anja übergab.
„Oh, Danke. Jetzt habe ich meine Krone endlich wieder. Nun dann können wir ja wieder aufbrechen.“
„Und was ist mit den Räubern?“ fragte der Held.
„Richtig, du bist der Ritter, du kümmerst dich um das Problem.“
Der Held ging zum Tisch und griff sich einen Keks.
„Jetzt ist keine Zeit für Kekse, du sollst dich doch um die Räuber kümmern“ protestierte die kleine Prinzessin.
Der Held schluckte den Keks hinunter und sagte: „Aber ich bin doch ein Ritter. So ein Vorhaben muss doch gründlich geplant sein. Deswegen stehe ich jetzt hier ersteinmal zwei Wochen am Tisch herum und bespreche mich mit meinen Beratern.“
Milten sah amüsiert zum Helden. Er sah ihm deutlich an, dass es ihm großen Spaß machte den Ritter zu spielen und sich so über all das lustig zu machen, was ihn an den Streitern Innos störte.
Anja schien diese Antwort zu akzeptieren. Sie stieg aus dem Wagen und forderte den Hofzauberer zum Federballspielen auf. Für Milten war es das Stichwort sich von Günthers Familie zu verabschieden. Er fand, dass sie sich nun lange genug aufgedrängt hatten und vermutete, dass die Familie auch gerne wieder unter sich wäre. Anna bat sie noch zu bleiben, aber Milten glaubte in Christopher und Ingrids Augen zu lesen, dass es ihnen ganz recht wäre, wenn sie ihre Familie wieder für sich hätten und schlug das Angebot aus. Milten sah den Helden an und fragte: „Zurück zu den Anderen?“
Der Held nickte und kramte in seiner Hosentasche nach der Teleporterrune. Fast zeitgleich teleportierten sie sich und ließen eine mächtig beeindruckte Kaffeerunde zurück.
„Hat dir wohl großen Spaß gemacht den Ritter zu spielen was?“ fragte Milten und grinste den Helden amüsiert an.
Sein Freund grinste zurück.
„Oh ja, das war klasse, mal den schnöseligen Angeber heraushängen zu lassen.“
Milten musste schmunzeln, aber dann fasste er sich wieder und sagte: „Weißt du, die Ritter sind gar nicht so unerträglich wie du denkst. Sie sind es einfach gewohnt Befehle zu geben, aber sie sind auch sehr ehrenhaft und versuchen ihr Bestes um das Volk von Myrtana zu beschützen.“
„Oh ja, und sie brauchen ewig um sich mal zu entscheiden etwas in die Hand zu nehmen.“
„Ich glaube, du tust ihnen unrecht. Wenn du dich mal mit ihren Problemen auseinandersetzen würdest, dann würdest du sie bestimmt auch besser verstehen.“
Der Held sah nicht so ganz ein, warum er sich den Rittern und Paladinen gegenüber anders verhalten sollte, immerhin hatten sie ihn meist recht arrogant behandelt.
„Sieh mal, so ein Leben als Ritter ist auch nicht leicht. Da gibt es viele Hintergründe warum sie sich so verhalten. Wenn du sie besser verstehen würdest, dann würdest du bestimmt auch besser mit ihnen klar kommen.“
Der Held dachte angestrengt nach. Eigentlich wusste er gar nicht so recht, ob er überhaupt mit ihnen klar kommen wollte. Doch wie so oft hatte Milten natürlich Recht. Es würde viele Vorteile bringen nachvollziehen zu können, warum sich die Ritter oft so verhielten, wie sie es eben taten und deswegen nickte der Held schließlich und sagte: „Du hast Recht. Ich werde mich darum kümmern. Lester sagte mir, du wärst in einer Bibliothek hier in der Nähe gewesen, kannst du mir sagen wie ich da hinkomme?“
Der Feuermagier war noch etwas überrascht wie schnell sein Freund eingewilligt hatte sich weiter mit dem Thema zu befassen und seine Meinung über die Streiter Innos zu überdenken, beschrieb ihm aber den Weg und zeichnete den Standort auf seiner Karte ein.
Eispfötchen
25.03.2018, 23:54
Nach einem längeren Dauerlauf kam der Held, nun wieder in seiner Straßenkleidung, vor der Bibliothek an und war erstaunt wie riesig sie war. Es würde ewig dauern ein entsprechendes Buch zu finden. Innen sah es recht nüchtern aus. Überall Regale mit Büchern, hin und wieder Tische, an denen Leute lasen, schrieben oder auf diesen merkwürdigen Apparaturen herumhackten, welche die Leute hier Computer nannten. Der Held steuerte auf den Ausleihtresen zu, wo sich auch die Information befand und sprach eine junge Angestellte an. Sie hatte ein freundliches Gesicht, braune Haare und eine Brille mit starken Brillengläsern. Noch bevor er den Mund geöffnet hatte um sie anzusprechen kam sie ihm zuvor.
„Wie kann ich Ihnen helfen?“ fragte sie mit einem Lächeln, als ob sie nichts lieber täte.
Der Held war so verwundert über so viel Hilfsbereitschaft, dass er ganz durcheinander war.
„Ich … äh… ich suche ein Buch, in dem steht wie Ritter so ticken.“
Die junge Angestellte hob verwundert eine Augenbraue.
„Meinen Sie, so eine Art Anleitung wie man ein Ritter wird?“
Der Held zuckte mit den Achseln.
„Ja, das dürfte es auch tun.“
„Hm…“
Die hilfsbereite Fachangestellte für Medien und Informationsdienste überlegte, setzte sich dann auf ihren Stuhl und tippte etwas auf der Tastatur vor ihr. Der Held fragte sich, ob das so sein musste, oder ob sie ihn ignorierte, als er aber um die Ecke linste, sah er, dass sie etwas in diesem Computer nachsah.
„Wir hätten das Buch: „Ritter: Der ultimative Karriereführer“. Kennen Sie sich in unserer Bibliothek aus?“
Er sah wohl recht unschlüssig aus, denn sie fragte weiter: „Wissen Sie wie sie suchen müssen, um das Buch zu finden?“
Dem Helden wurde es unangenehm so viel nicht zu wissen.
„Nein, keine Ahnung.“
Die hilfsbereite FAMI sah ihm seine Lage wohl an, denn nutzerorientiert wie sie war, bot sie an, ihn zum Buch zu führen. Er folgte ihr durch das Bücherlabyrinth der Bibliothek und musste zugeben, dass er das Buch, auf sich allein gestellt, vermutlich erst in den nächsten Jahren gefunden hätte. Die nette Angestellte lief an einem bestimmten Regal zielgerichtet entlang, suchte dann mit den Augen die Buchrücken ab und zog bestimmend ein Buch hervor.
„Hier ist es. Gerne können Sie sich noch umsehen, vielleicht finden Sie noch weitere Bücher, die sie interessieren.“
Der Held sah sich kurz um und war schier erschlagen von der Vorstellung, dass man das alles hier theoretisch lesen könnte. Er zog verschiedene Bücher heraus, blätterte kurz darin und kommentierte es mit Aussagen wie: „Uninteressant“, oder „Das kenne ich schon.“
Schnell verlor er die Geduld und entschied, dass dieses eine Buch reichte.
Zurück bei der Ausleihe fragte ihn die Angestellte, ob er bereits zuvor Bücher geliehen hätte, was er verneinte und sie legte ihm ein Formular für ein Ausleihkonto vor und verlangte eine Gebühr. Außerdem schärfte sie ihm ein, dass er das Buch innerhalb der nächsten vier Wochen zurückbringen musste. Der Held zückte sein Tagebuch, in dem er in der letzten Zeit wieder zahlreiche neue Aufträge eingetragen hatte und setzte unter den letzten den Auftrag: Das Buch „Ritter“ innerhalb von einem Monat zurückbringen. Er fragte nach dem genauen Datum und trug es dann ein. Die Fachangestellte lächelte noch breiter. Offensichtlich fand sie es toll, dass der Nutzer gleich eine Notiz in sein Tagebuch eintrug, um das Buch auch wirklich rechtzeitig zurückzubringen. Ob ihr Optimismus allerdings angebracht war, war fraglich. Das Formular stellte den Helden vor eine ungekannte Herausforderung. Da hatte er so viele Heldentaten vollbracht und stand nun vor einer schier unlösbaren Aufgabe: Was sollte er ins Namensfeld eintragen?
Doch er ließ sich nicht beirren und dachte sich einfach einen Namen aus, so wie er es schon öfter getan hatte. Die Leute gingen einfach davon aus, dass jeder einen Namen hatte. In seinem bisherigen Leben hatte er es immer so gehandhabt, dass er sich einfach immer einen Namen zurechtlegte, den er nannte, sollte ihn tatsächlich mal jemand danach fragen. Anders als hier gab es in seiner Welt keine Schriftstücke auf denen der Name festgehalten wurde, deswegen konnte er hinter dem nächsten Berg, dem nächsten Fluss, dem nächsten Meer einen anderen Namen nennen, ohne dass es weiter auffiel. Er reichte das ausgefüllte Formular zurück und die Angestellte erledigte die Formalitäten. Mit seinem ausgeliehenen Buch verließ der Held die Bibliothek. Draußen schien außergewöhnlicher Weise immer noch die Sonne und so beschloss er in den nächsten Park zu laufen und sich dort auf eine Bank zu setzen, um in dem Buch zu lesen. Die Bank hatte sogar eine Rückenlehne, was für ein Luxus.
Das Buch* war tatsächlich so geschrieben, als würde man vorhaben in den Ritterstand treten zu wollen. Der Held nahm aber gar nicht so wirklich wahr, dass dies ungewöhnlich war, für ihn war es genau richtig. Denn er brauchte keine rückblickende Betrachtungsweise, sondern eine interne Ansicht.
Offenbar dauerte es Jahre, bis man in den Ritterstand eintreten konnte. Das nahm der Held allerdings nicht so ernst, denn immerhin hatte er schon öfter beobachtet, dass es auch schneller ging, wenn man nur zur rechten Zeit am rechten Ort war und den richtigen Leuten aus der Patsche half. Viel erstaunter war er aber, dass die Ritter dafür bezahlen mussten im Ritterstand zu bleiben. Kein Wunder, dass sie dann immer so sehr auf ihren Status pochten.
Interessiert sah er sich an, zu was ein Anwerber fähig sein musste, um ein Ritter zu werden. Die körperliche Verfassung war verständlicherweise sehr wichtig. Ausdauer war unerlässlich und gute Fähigkeiten im Umgang mit Schwert und Lanze essentiell. Der Held musste zugeben, dass er sich mit dem Lanzenkampf noch nicht befasst hatte. Weiterhin konnte er mit den Themen Pferde und Reiten nicht viel anfangen, weil es in Myrthana keine Pferde gab. Die Jagd war wohl auch sehr wichtig für einen Ritter, allerdings nicht vorrangig, um Tiere zu erlegen, sondern viel mehr, weil es eine Art von Statusbetätigung war. Anstelle von der Jagd auf Schattenläufer, Razor oder gar Trolle ging es in dem Buch aber hauptsächlich um die Jagd auf weniger gefährliche Tiere, wie Hirsche. Der Held wunderte sich darüber. Ein Ritter sollte doch so richtig mutig und heroisch sein, oder nicht? Da konnte man bei einer Jagd doch schon mehr verlangen, als dass der Herr Ritter anschließend mit einem erlegten Reh ankam. Das Buch erläuterte aber auch, dass nur wer auf die Jagd ging, die Achtung seiner Waffenbrüder erhielt und da man in solchen Kreisen, aber immer mit Armbrust oder Bogen zur Jagd aufbrach und im selben Absatz stand, dass dies nicht die bevorzugten Waffen eines Ritters waren, vermutete er, dass sie deshalb keine gefährlichen Gegner angriffen. Vielleicht war es nur so eine Art Training oder einfach zum Spaß.
Weiterhin sollte ein Ritter Lesen und Schreiben können. Das verwunderte den Helden nun wirklich nicht, schließlich sollten sie ja auch die Befehle ihres Vorgesetzten lesen können. Abschließend stand in dem Kapitel, dass jemand der Ritter werden wolle folgende Fähigkeiten haben sollte: Erfahrung im Umgang mit Pferden, körperliche Härte, hoffähige Manieren und er sollte ein guter Kämpfer mit dem Schwert und der Lanze sein. Der Held überlegte, ob er, wenn er denn wollte ein Ritter hätte werden können. Das mit den Pferden erübrigte sich in Myrtana ja. Er wusste, dass er körperlich sehr fit war und dass er kämpfen konnte musste er wohl niemandem mehr beweisen. Doch das mit den Manieren … na … das hätte vielleicht ein Problem werden können. Er wusste, dass er Schwierigkeiten hatte Autoritäten anzuerkennen. Er stellte sich vor wie er vor Lord Hagen oder Lord Garond stand und es Ihnen immer Recht machen sollte. Er fand es bisher schon schwierig. Er hatte versucht sich anständig zu verhalten, auch wenn ihm hin und wieder vielleicht mal eine bissige Bemerkung entwischt war. Sowas hätte man ihm als Ritter vermutlich nicht mehr durchgehen lassen. Es hätte viel Willenskraft gekostet sich immer respektabel auszudrücken. Doch möglich wäre es. Für sich schloss er den Gedanken damit ab, dass er es sehr wahrscheinlich geschafft hätte ein Ritter zu werden, wenn er es denn gewollt hätte. Im Buch stand, dass es leichter war ein Ritter zu werden, wenn der Vater ebenfalls ein Ritter war, weil man dann bereits adlig war. Die Abstammung schien sehr wichtig zu sein. Der Held überlegte, dass das vermutlich ein Grund dafür war, warum die Ritter glaubten sie wären etwas Besseres. Als er las, dass es besonders ehrenhaft sei für Gott zu kämpfen, anstatt sich selbst zu bereichern, war er nicht weiter erstaunt. In Myrtana war es auch so, dass die Ritter vorrangig im Dienste Innos standen und erst an zweiter Stelle ihrem König dienten. Oder jedenfalls taten sie immer so …
Alles in allem war der Held erstaunt wie viel Gewicht vielen Kleinigkeiten beigemessen wurde. Es war wichtig was man für Kleider trug, wie man sich verhielt, was man für ein Banner hatte, wie viel Vermögen und Land man besaß und ob man die Ritterideale achtete. Darunter fielen Großzügigkeit, Heldenmut, gute Manieren und Loyalität. Er musste zugeben, dass die Ritter in Myrtana zumindest versuchten diesen Idealen gerecht zu werden. Trotzdem fragte er sich wo ihre Großzügigkeit gewesen war, als er die Drachen getötet hatte. Ein bisschen mehr hätte da schon für ihn rausspringen können, und etwas mehr Mut im Angesichts der Orks wäre auch nicht schlecht. Ein kleiner Ausfall wäre doch mal ganz nett gewesen. Doch es war nicht zu leugnen, dass Garonds und auch Lord Hagens Männer ihren Herrn überallhin folgten und ihnen die Treue hielten. Im Buch stand, dass man vom Ritter zum Bannhern, Marschall und Konnetabel befördert werden konnte. In Myrtana gab es das nicht, aber dafür wurde man Paladin. Der Held vermutete, dass es etwas Ähnliches war. Informationen zu Rüstung und Waffen nahmen viel Raum im Buch ein. Der Held fand das nicht verwunderlich und las dieses Kapitel besonders interessiert. Etwas enttäuscht musste er aber feststellen, dass sich für ihn nicht viel fand, dass er bei sich selbst verbessern konnte. Die vorgestellten Rüstungen waren in seinen Augen viel zu starr und unbeweglich und die Waffen Massenware. Gegen Uriziel und die Klaue Beliars hatten diese Waffen einfach keine Chance. Doch natürlich verstand er, dass ihre ganz persönlichen Schwerter für die Ritter wichtig waren. Ihm selbst ging es ja nicht anders. Kurz richteten sich seine Gedanken auf die Klaue Beliars und er spielte einen Moment damit das Schwert hervorzuholen und es mal wieder in den Händen zu halten. Doch schnell verwarf er den Gedanken wieder. Er befand sich mitten in einem gut besuchten städtischen Park, wo es nicht üblich war, Leute mit Schwertern herumlaufen zu sehen. Der Held zwang sich seine Konzentration wieder auf das Buch zu lenken. Im Kapitel über Ritterorden las er, dass es einen Orden gab, der sich Johanniter nannte und deren Mitglieder offenbar halb Mönch, halb Ritter waren. Der Held stellte sich vor, wie es wäre sowohl ein Ritter als auch ein Feuermagier zu sein. Das wäre in der Tat beeindruckend und er konnte nicht verstehen wieso dies in dem Buch so schlecht geredet wurde. Vielleicht aufgrund der klösterlichen Verpflichtungen? Dann gab es noch den Templerorden, der hier aber aufgelöst wurde, weil die Mitglieder der Ketzerei, Anbetung von Götzen und des lasterhaften Lebensstiels angeklagt wurden. Der Held dachte darüber nach. Die Parallelen waren in der Tat verblüffend. Im Mienental war es nicht anders gewesen. Er hatte sich ja selbst ein Bild davon im Sumpflager machen können, auch wenn er es nicht so hart sehen würde. Was war schon dabei hin und wieder etwas Sumpfkraut zu rauchen? Aber vermutlich galt das eben als lasterhafter Lebensstiel. Die Anbetung des Schläfers fiel in jedem Fall unter Ketzerei und Götzenanbetung. Wäre die Bruderschaft nicht mit dem Zusammenbruch der Barriere von sich aus aufgelöst wurden, so hätten sich die Mitglieder vermutlich, wie ihre Namensvettern in dieser Welt, vor der Kirche und den Rittern verantworten müssen, weil sie alle den drei Göttern abgeschworen und stattdessen den Schläfer anbeteten.
Weiterhin erfuhr der Held im Kapitel über Anwerbung und Gefolge, dass die Ritter normalerweise ihre eigene Gefolgschaft mitbrachten. Er versuchte sich zu erinnern, wie das damals in der Burg war. Sicher, da gab es einige Waffenknechte, er hatte aber nicht erkennen können, ob die nun wirklich bestimmten Rittern dienten, oder einfach wie alle anderen unter Lord Garonds Kommando standen. Er überlegte, dass die Gefolgsleute, wenn es denn überhaupt welche gegeben hatte, von den Orks getötet oder im Drachenfeuer umgekommen sein könnten. Er würde das weiter beobachten müssen. Es wäre interessant zu wissen, ob auch die Ritter in Myrtana normalerweise über ein Gefolge verfügten. Wer ständig gewohnt war zu befehlen, der hätte in der Tat Probleme wenn dann plötzlich jemand daherkam und sich einfach nichts befehlen ließ und sogar widersprach. Vielleicht war es vor dem Orkkrieg für Ritter üblich gewesen, ein Gefolge zu haben und aufgrund der Dauer des Krieges waren einfach keine Kapazitäten mehr übrig. Umso mehr sich der Held mit dem Thema des Rittertums befasste, umso interessanter fand er es. Noch vor ein paar Stunden hätte er das nicht für möglich gehalten, aber er musste zugeben, dass es ihm Spaß machte, all diese Informationen zu lesen und sich zu überlegen wie es in seiner Heimat um diese Dinge stand. Der Held war überrascht zu erfahren, dass die Konditionen unter denen die Ritter dienten, denen von Söldnern gleichen konnten. Ein Ritter konnte sich einem einzigen Herrn verpflichten und ihm ein Leben lang dienen, oder er konnte immer mal wieder wechseln und Verträge unterzeichnen, die lediglich Monate oder einige Jahre währten. Das Buch zeigte auf, dass man sogar gleichzeitig Söldner und Ritter sein konnte, was den Helden wirklich überraschte. Seiner Beobachtung nach, hatten sich Ritter und Söldner bei jeder Begegnung angefeindet und nur ungern gemeinsame Sache gemacht. Beides zu vereinen schien ihm fast unmöglich. Er überlegte lange wie sich diese Kluft überbrücken ließ. Als er allerdings weiterlas wurde ihm einiges klar. Im Kriegsfall war es mit den hochgelobten Ritteridealen wohl nicht mehr allzu weit her. Das Land des Feindes wurde verwüstet und geplündert. Selbst von Klöstern wurde Vieh geraubt und sollte es dann zurückgekauft werden erging im Buch der Rat man könne es dann ja noch einmal stehlen. Der Held fand das schon recht gewagt. Die Feuermagier würden sich bestimmt nicht einfach sehenden Auges bestehlen lassen und jedem der es versuchen würde eins auf den Pelz brennen. Im Buch wurde beschrieben, dass die Einwohner in jedem Fall ein schlimmes los zogen. Sie wurden schikaniert, für Lösegeldforderungen gefangen genommen oder getötet und sollten sie doch vorerst verschont bleiben, so mussten sie mit steigenden Steuern rechnen, weil der angerichtete Schaden der feindlichen Streitkräfte ihre Herrscher viel Geld kostete. Im Buch wurde damit argumentiert, das solche unschönen Arbeiten den einfachen Soldaten zufielen und die Ritter in den meisten Fällen einfach wegsahen. Der Held schüttelte den Kopf. Solches Verhalten würde er tatsächlich eher von Söldnern als von Rittern erwarten. Er fragte sich, ob so etwas in Myrtana auch geschehen könnte. Es war ein raues Land, doch bisher hatte er nicht gehört, dass sich die Ritter dort auch derartig verhielten. Im Kapitel über medizinische Versorgung las er von allerhand abstrusen Möglichkeiten jemanden wieder zusammen zu flicken. Von Heilzaubern oder heilsamen Kräutern hatte hier wohl keiner gehört. Es gab sogar ein Kapitel über Damen und Jungfrauen, in dem zu lesen war, dass diese weiblichen Wesen den Rittern mitunter nahelegten besondere Taten zu vollbringen um ihre Liebe zu erringen. Sowas würde ihm bestimmt nicht einfallen. Wenn er für sie Biester erschlug oder anderweitig ihre Probleme löste erwartete er eine Belohnung in Form von Gold oder etwas ähnlich nützlichem, so wie bei allen anderen auch. Weiter ging es im Buch mit Schlachttaktiken. Das las der Held sehr interessiert und versuchte daraus einen späteren Nutzen ziehen zu können. Alles in allem war der Held sehr überrascht über die Informationen, die ihm dieses Buch vermittelte. Was er hier erfahren hatte konnte in der Tat noch sehr nützlich werden, wenn er sich wieder einmal mit Rittern auseinandersetzen musste. Ein Klingeln riss ihn aus seinen Gedanken. Er kramte sein Handy hervor, drückte auf den grünen Knopf und legte das Gerät an sein Ohr.
„Ja, hallo?“
Es war Diego.
„Wir haben ein Problem.“
*Ritter, der ultimative Karriereführer von Michael Prestwich
Eispfötchen
03.04.2018, 18:53
Diego verfolgte den zwielichtigen Typen, der Lester nachging. Er sah, wie er eines von diesen mobilen Gesprächsgeräten aus der Tasche zog und sich ans Ohr hielt. Die Entfernung war viel zu groß, als dass er etwas hätte verstehen können. Es war ein kurzes Gespräch und dieser Typ steckte das Ding dann wieder ein und folgte Lester weiter. Er hielt sich bedeckt und hielt genügend Abstand um nicht aufzufallen. Lester hatte ihn wohl noch nicht bemerkt. Unter den vielen Menschen, die ihm begegneten wusste sein Freund genau bei wem er Erfolg mit seinen Geschäften haben könnte. Es waren Menschen, die aussahen, als hätten sie sowieso gerade nichts zu tun. Die am Straßenrand abhingen, oder auf den Bus, oder die Bahn warteten. Die größte Zielgruppe waren junge, gelangweilt wirkende Männer. Lester steuerte jetzt eine Hochschule an. Davor lag ein Grünstreifen mit einigen Bäumen, wo zwei dutzend junger Leute plaudernd zusammenstanden. Lester war wohl nicht das erste Mal hier und kannte seine Kunden. Sofort kam er ins Gespräch und kurze Zeit später tauschten Geld und Sumpfkrautpackungen die Besitzer. Diego beobachtete den Verfolger genau. Er schien auf etwas zu warten.
Lester machte gute Geschäfte. Dann veränderte sich etwas. Viele der Schüler strömten in die Schule, nur einige wenige blieben zurück, weil sie offenbar noch etwas von Lester erstehen wollten, doch dazu kam es gar nicht mehr. Ein schwarzer Wagen kam angebraust und fuhr auf Lester zu, der überrascht zur Seite sprang und ihm verwundert nachsah. Die Schüler schrien auf und verteilten sich in alle Richtungen. Aus dem jetzt zum Stillstand gekommenen Wagen sprangen drei Männer, die Waffen hoben und mit ihnen feuerten. Instinktiv ging Lester hinter einer Mauer in Deckung, wo sich auch schon einige Schüler versteckt hatten, die erschrocken kreischten und schrien.
„Was haben die für ein Problem mit dir?“ fragte ihn einer seiner Kunden schockiert.
„Ich hab keine Ahnung“, sagte Lester, der jetzt durch einen starken Adrenalinstoß völlig klar war, auch wenn er gerade erst jede Menge Sumpfkraut geraucht hatte.
Das war eine von den Situationen, die selbst Lester ernst nahm. Er spähte über die Mauer und versuchte die Lage zu überschauen. Beunruhigender Weise sah er nur zwei der drei Männer. Wo war der Dritte? Er griff in seine Tasche und zog die Rune Windfaust hervor. Das war ganz klar eine brenzlige Situation, die Magie erforderte.
„Was willst du machen?“ fragte der junge Mann neben ihm ängstlich, der in seinen Augen sah, dass er etwas vorhatte.
„Wirst schon sehen. Die werden ihr blaues Wunder erleben, “ sagte Lester unerschütterlich, konzentrierte sich und lud die Windfaust auf.
Dann hechtete er hinter der Mauer hervor und entfesselte die Magie. Wie von einem unsichtbaren Felsblock getroffen, wurden die beiden Männer umgeweht und schlugen hart mit den Köpfen voran auf dem Boden auf. Lester hörte noch wie die Schüler in ihrem Versteck verwundert murmelten und merkte wie einige sogar einen Blick riskierten, in der Hoffnung zu sehen was da gerade passiert war, aber er achtete gar nicht weiter darauf, sondern rannte zu den beiden bewusstlosen Typen, um ihnen die Waffen abzunehmen. Er hatte keine Lust doch noch erschossen zu werden, wenn sie aufwachten. Doch er hatte nicht daran gedacht, dass da ja noch jemand übrig war. Ein stechender Schmerz am Bein ließ ihn zusammen fahren. Etwas hatte ihn getroffen. Er knickte kurz ein, blickte hinunter und sah, dass er am Unterschenkel verletzt wurde. Lester suchte dann aber schnell wieder Deckung. Die nächste Möglichkeit war hinter dem Wagen, mit dem die drei Kerle gekommen waren. Doch auch hier wurde auf ihn geschossen. Er sah über die Straße, wo ein bärtiger Mann hinter einem Auto hockte und hin und wieder Schüsse abgab. Verwundert sah Lester, wie sich überraschend Diego näherte und dem Kerl eins überzog. Der war also kein Problem mehr. Aber was war mit dem Letzten?
„Komm raus, wenn du nicht willst, dass diese Kleine ein Loch in den Kopf bekommt!“ hörte er eine schnarrende Stimme.
Lester spähte über den Wagen und sah, dass der letzte Mann, ein großer, kräftiger Kerl, eine junge Frau eingefangen hatte. Er hielt sie an seine linke Seite gepresst, die linke Hand auf ihren Mund, damit sie nicht schrie, die Waffe hielt er ihr an den Kopf. Verzweifelt huschten die Augen der jungen Frau herum, auf der Suche nach irgendjemanden, der ihr Beistand leistete, sie aus dieser gefährlichen Lage befreite. Tränen liefen ihr über die Wangen. Lester hatte eigentlich gehofft, dass er diese Rune niemals an einem Menschen würde anwenden müssen, doch er sah keine andere Möglichkeit. Er wählte die Rune „Pyrokinese“, verbarg sie in seiner Hand und sagte: „Ich komme raus, wenn du sie gehen lässt.“
„Nein! Zuerst kommst du raus und dann lasse ich sie gehen!“
Lesters Herzschlag beschleunigte sich. Eine verzwickte Situation. Er wollte nicht für den Tod der Frau verantwortlich sein, aber er wollte auch nicht selbst draufgehen. Er sah zu Diego, der jetzt versuchte sich im weiten Bogen an den verbliebenen Übeltäter heranzuschleichen, doch Lester sah, dass das viel zu lange dauern würde. Sein Gegenüber würde nicht ewig warten.
„Nun, was ist?“
Lester fasste einen Entschluss. Sein Gegner konnte seine Waffe nicht gleichzeitig auf die Frau und auf ihn richten. Es würde sehr schwierig werden, aber er musste es riskieren. Lester stand auf und kam aus seinem Versteck hervor. Er sah noch wie sein Gegner lächelte und die Waffe von seinem früheren Opfer auf ihn richtete. Genau auf diesen Moment hatte Lester gewartet. Pyrokinese entfesselte seine Macht und ließ den Kerl aufkreischen, als hätte ihn jemand aufgespießt und würde ihn jetzt in einem Topf mit heißem Öl kochen. Die Waffe entglitt seinen Fingern und sein Opfer konnte sich aus seinem nun sehr schwachen Griff befreien. Er sank auf den Boden und schrie seine Todesqualen laut in die Welt hinaus. Es war so laut, dass es an den Häuserwänden widerhallte. Wer einmal solche Schreie hörte, würde sie sein Leben lang nicht mehr vergessen. Seine Gefährten wachten davon auf. Zuerst noch benommen, wurden sie schnell wieder klar, als sie wahrnahmen was sich hier abspielte. Lester ging schnell zu dem Kerl und nahm ihm seine Waffe ab, erst dann beendete er Pyrokinese. Er wusste nicht genau wie lange es noch gedauert hätte, bis der Mann gestorben wäre, doch wenn er gut versorgt werden würde, standen die Chancen nicht schlecht, dass er es ohne weiteres überlebte.
„Verschwindet!“ rief Lester den beiden Kerlen am Boden zu und es war selten, dass seine Stimme so hart und drohend klang. „Und vergesst euren Kumpel auf der anderen Straßenseite nicht!“
Erst als er den Schauplatz verließ trauten sie sich zu ihrem Komplizen zu kriechen, der sich wimmernd wie ein einziges Häuflein Elend auf dem Boden windete. Sie sahen sich noch einmal nach Lester um, standen dann auf und schleiften ihren Kollegen dann zum Wagen.
Lester hatte inzwischen Diego getroffen und gemeinsam gingen sie stumm die Straße hinunter.
„Das war ja …“ fing Diego an.
Lester sagte immer noch nichts, sondern zog eine Heilrune hervor, um seine Wunde zu schließen.
„… ganz klar ein Mordversuch an dir. Die Lage ist ernst.“
Diego zog sein Handy hervor und rief das erste Mal jemanden selbst an. Es dauerte etwas, bis er herausgefunden hatte, wie er zum Adressbuch kam, doch dann klingelte es. Der Held meldete sich am anderen Ende.
„Wir haben ein Problem“, sagte Diego.
Diego, Lester, Milten, Gorn und der Held trafen sich im Versteck und Diego und Lester erzählten von dem Anschlag.
„Hört sich so an, als hätten wir dem größten Köter der Stadt ans Bein gepisst“, kommentierte Gorn.
„Mich wundert, dass es mitten am Tag stattfand. Sowas ist doch eher was für eine Nacht und Nebel Aktion. Wenn Lester ganz allein durch die Gassen der Stadt gehen würde, wäre es doch viel einfacher und ganz ohne Zeugen.“
Lester sah ihn miesepetrig an.
„Danke, dass du auf meiner Seite bist.“
„Ich vermute, das war Absicht“, erklärte der Held. „Es sollte Aufmerksamkeit erregen, vielleicht als Abschreckung. Wäre Lester gestorben, so hätten sie uns damit die Botschaft vermittelt, dass sie uns egal wann, egal wo, jederzeit umbringen könnten.“
„Scheint dich nicht im Mindesten zu beunruhigen“, kommentierte Diego das aufgeregte Funkeln in den Augen des Helden.
„Endlich mal was los“, kam es zurück.
„Schön, dass ich euch allen so am Herzen liege“, sagte Lester verletzt.
„Also mir hat es so ruhig gefallen wie es war“, entgegnete Milten, dem die Richtung in die sich ihre Lage entwickelte gar nicht gefiel. „Was wäre denn, wenn es eine spontane Aktion war? Diego, du hast gesagt, du hättest gesehen, wie dieser Typ Lester verfolgte, seitdem er mit dir im Park war.“
Diego nickte.
„Richtig.“
„Ich vermute in so einer großen Stadt ist es gar nicht so einfach jemanden aufzuspüren und da er Lester einmal vor der Nase hatte, rief er gleich seine Komplizen an, damit sie ihn unterstützen.“
„Die feige Sau wollte es nicht mit ihm allein aufnehmen“, stimmte Gorn Miltens Theorie zu.
„Also? Was wollen wir jetzt deswegen unternehmen?“ fragte Lester und zündete sich einen Stengel Sumpfkraut an, um seine Nerven zu beruhigen.
„Wir wissen doch wo ihr Versteck ist. Ich sage wir gehen rein, hauen alles kurz und klein und damit wäre das Problem erledigt“, erklärte der Held selbstbewusst.
„Nein. Ganz schlechte Idee“, hielt Diego dagegen. „Wir wissen nicht was sie für Waffen haben. Ich glaube diese Schusswaffen sind nicht alles was es hier gibt. Es könnten uns viele totbringende und unerwartete Dinge begegnen und so wie ich das sehe, ist das nicht ihr Hauptquartier, sondern nur ein Außenposten. Bevor wir nicht wissen wo sich dieser Miftah selbst aufhält, sollten wir schön die Füße still halten und erstmal abwarten. Lester hat heute eine klare Botschaft vermittelt: „Wenn ihr uns angreift, dann setzt das Schmerzen, die gestandene Männer heulen lässt wie kleine Mädchen.““
„Hehe, hätte ich ja gerne gesehen“, knurrte Gorn und schmunzelte.
„Ich denke, Miftah wird sich demnächst zweimal überlegen, ob er gegen uns vorgeht“, sagte Diego mit rauer Stimme.
„Ja, oder ganz andere Maßnahmen ergreifen“, gab Milten zu bedenken.
Eispfötchen
12.04.2018, 21:17
Lester war nicht erfreut darüber tatenlos herumzusitzen. Er wollte mehr herausfinden und er hatte schon so eine Ahnung wo eine gute Anlaufstelle dafür war. Mittlerweile war es dunkel geworden und das grelle Neonschild des Bordells leuchtete ihm schon von weitem entgegen. Olga und Natascha standen wieder vor dem Gebäude und versuchten Freier zu einer Dienstleistung zu verführen. Die Männer, die sich dem Puff näherten, gingen aber wohl lieber in das Gebäude hinein, anstatt sich mit einer der Damen zu vergnügen. Als die Frauen Lester sahen, zuckten sie zusammen. Lester merkte schnell, dass es diesmal anders war als sonst. Die Frauen wirkten nervös.
„Oh, hallo Lester. Ist … alles in Ordnung?“ fragte Olga besorgt.
Lester ließ sich gar nicht anmerken, was er heute durchgemacht hatte.
„Nichts worüber ihr euch Sorgen machen müsstet, wollt ihr etwas Sumpfkraut kaufen?“
Olga und Natascha sahen sich an. Sie wirkten unschlüssig. Zum einen wussten sie wohl nicht mehr was sie von Lester halten sollten, zum anderen wollten sie unbedingt Sumpfkraut kaufen. Ihrem Verhalten nach zu urteilen, wussten sie ganz genau, was heute passiert war und das weckte Lesters Neugier. Hier war er richtig.
„Ja, klar“, sagte Olga zögerlich.
„Immer her damit“, kam es deutlich schwungvoller von Natascha.
Sumpfkraut und Geld tauschten ihre Besitzer. Lester zündete sich einen Stengel Sumpfkraut an und nach kurzem Zögern taten es ihm die Frauen nach. Darauf hatte er gehofft. Wenn sie sich erst einmal entspannten, dann würde er vielleicht auch etwas aus ihnen herausbekommen. Zuerst sagte er kein Wort und sah sich nur um. Auf der anderen Straßenseite saß wieder ein Polizist in einem dunklen Wagen. Konnte der zu einem Problem werden? Wie viel Aufsehen hatte der Angriff heute erregt? War es schon zur Polizei durchgedrungen? Es war Olga, die das Schweigen wohl nicht mehr ertragen konnte und schließlich sagte: „Wir haben gehört was heute passiert ist. Geht es dir wirklich gut? Wir haben gehört, du seist verletzt worden.“
„Nicht der Rede wert“, sagte Lester abwehrend und hob die freie Hand. „Ist schon wieder verheilt.“
„Diesen Typen sollst du es aber so richtig gegeben haben“, kam es von Natascha, die ihm jetzt bewundernde Blicke zu warf.
„Also alles lass ich mir auch nicht gefallen“, sagte Lester knapp um den Anschein zu erwecken, gar nicht so dringend darüber reden zu wollen.
„Wie hast du das gemacht? Immerhin waren sie zu dritt?“ wollte Olga wissen.
„Hab ein paar Tricks aus meiner alten Bruderschaft benutzt.“
„Echt? Krass. Hab zwar nur davon gehört, aber der eine soll wohl irgendwie innerlich gebrannt haben“, kam es von Natascha, die jetzt offenbar jegliche Scheu überwunden hatte.
„Es heißt Pyrokinese“, erklärte Lester. „Ihr wisst nicht zufällig etwas über diesen Miftah und seine Leute?“
Olga und Natascha sahen sich kurz an. Olga schien zu viel Angst zu haben, um mit der Sprache herauszurücken, aber ihre Freundin war offen für Konversation.
„Die kommen öfter mal vorbei um zu feiern und uns zu begrapschen. Widerliche Typen. Die wollen alles machen, ohne Schutz und sind rücksichtsloser als alle anderen. Schweine, widerliche, perverse Schweine.“
Es brach so richtig aus Natascha heraus. Es machte ganz den Eindruck, als hätte sie lange darüber geschwiegen und konnte es jetzt nicht länger ertragen nichts zu sagen. Vielleicht hoffte sie in Lester einen Verbündeten gefunden zu haben.
„Hat Gino mit ihnen geredet?“ bohrte Lester weiter und nahm einen tiefen Zug vom Sumpfkraut.
Olga warf Natascha einen warnenden Blick zu, aber die redete einfach weiter.
„Oh ja, recht oft, der ist ja genauso ein Schwein wie die. Wenn ich solche Fähigkeiten hätte wie du, dann würde ich ihm zeigen was ich über sein Verhalten denke.“
„Hm…“
Lester hatte nur einmal mit Gino geredet. Es war das erste Mal, als er den Laden betreten hatte, doch der Mann hatte auf ihn keinen abnormalen Eindruck gemacht. So wie es sich aber anhörte behandelte er seine Mädchen schlecht. Eine andere Nutte kam aus dem Puff und kaum war sie herausgestöckelt und hatte Lester bei den anderen Beiden gesehen, blieb sie abrupt stehen und kehrte eilig ins Gebäude zurück.
„Ich glaube, ich geh auch mal rein“, sagte Lester, schnippte seinen abgebrannten Sumpfkrautstummel fort und ging los.
„Lester, nein!“ rief Olga mit halb erstickter Stimme hinter ihm her, wohl weil sie nicht wusste, was diese Tat letztendlich für Konsequenzen für sie und ihre Freundin hatte.
Doch Lester kümmerte sich gar nicht weiter darum und trat ein. Drinnen herrschte ein merkwürdiges Lichtverhältnis. Dort wo die Gäste, ausschließlich Männer, standen oder saßen, herrschte ein zwielichter aber bunter Lichtschein, die Frauen auf der Tanzfläche waren dagegen in strahlendes Licht getaucht, damit sie besonders gut zu sehen waren. Als Lester den Laden das erste Mal betreten hatte, war er über die Tänze der Frauen verwundert, hielt sich damit aber nicht weiter auf, weil er ja Sumpfkraut hatte verkaufen wollen. Im Moment lief wilde Musik* (https://www.youtube.com/watch?v=yIhHou2k0Js) und zwei fast identisch aussehende dünne, aber kurvige Frauen schwangen das Tanzbein. Sie hatten kurze, aber verstrubbelte rote Haare und auf eine merkwürdige Art, sahen sie äußerst wild aus. Ihre Tänze passten zu ihrem Aussehen. Aggressiv betonten sie ihre weiblichen Reize und winkten die zusehenden Männer zu sich heran, blickten sie verführerisch, aber auch hart an und fuhren sich mit der Zunge über Zähne und Lippen. Hin und wieder hangelten sie an Stangen und verrenkten ihre Körper zu grotesken Formen. Fast wirkten sie wie Spinnen, die paarungswillige Männchen in ihr Netz lockten, um sie dann zu fressen. Den Zuschauern gefiel es aber offenbar. Sie jubelten und johlten und riefen laut, auch wenn Lester oft nicht verstand was, da auch fremde Sprachen darunter waren. Doch auch dieses Mal hatte Lester anderes zu tun, als lange den Frauentänzen zuzuschauen. Er suchte nach Gino und es war gar nicht so leicht ihn zu finden. Schließlich fand er ihn an der Bar, wo die Prostituierte, die er kurz draußen gesehen hatte, gerade wegging. Lester schlendert zum Hausbesitzer und setzte sich neben ihn.
„Hallo Gino“, sagte Lester betont freundlich.
„DU!“
Der Bordellbesitzer keuchte erschrocken.
„Ja, ich. He, was ist? Du guckst so erschrocken.“
Lester musste bei seinem Anblick lachen. Es sah aus, als hätte jemand Gino einen Drachensnapper vor die Füße gesetzt.
„Ich … ich, ich hab gehört was du heute gemacht hast.“
„Was ich heute gemacht habe?“ fragte Lester gespielt ahnungslos.
Er musste zugeben, dass er nicht allzu viel Übung in solchen Aushorch- und Drohtätigkeiten hatte. Diego würde das bestimmt viel besser hinbekommen, doch er war nicht da. Er musste es allein schaffen.
„Du … du weißt genau wovon ich rede. Du hast diese Typen einfach ausgeschaltet, ohne, dass sie dir was antun konnten.“
„Du hörst dich nicht besonders glücklich an“, kam es jetzt ernst von Lester.
Er musterte sein Gegenüber genau.
„Hattest du etwas damit zu tun?“
„ICH? Nein, natürlich nicht“, kam es schrill von Gino und Schweiß rann ihm von der Stirn.
Selbst Lester erkannte sofort, dass er log.
„Glaub ich dir nicht“, kam es trocken von Lester.
Gino sah ihn mit schreckgeweiteten Augen an.
„Nein, wirklich.“
„He, ich dachte eigentlich wir sind gut miteinander ausgekommen und jetzt muss ich feststellen, dass du versuchst mich zu verarschen. Was glaubst du wohl, wie ich mich da fühle?“
Es kam keine Antwort.
„Ich bin stinksauer und der Letzte, der mich wütend erlebt hat, heulte anschließend ganz schön herum.“
„Du … du hast ihn umgebracht“ sagte Gino mit erstickter Stimme.
Lester, der nicht genau beurteilen konnte, ob es eine Frage war, antwortete: „Nein, eigentlich nicht. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hat er jedenfalls noch gelebt.“
„Ich hab gehört, dass er qualvoll verreckt sei.“
Lester verzog keine Miene, aber innerlich konnte er nicht umhin erschrocken zu sein. Natürlich hatte dieser Typ es seiner Meinung nach verdient. Warum griff er ihn auch an? Aber der Tod durch Pyrokinese war etwas, das er nicht mal seinen Feinden wünschte. Konnte es wirklich wahr sein?
‚Er hätte doch nur ein paar Heiltränke trinken müssen …‘ dachte er.
Erst dann fiel Lester ein, dass es hier ja gar nicht so einfach war, an Heiltränke heranzukommen. Die Zellen konnten sich so nicht einfach mal schnell regenerieren. Der Schaden, den er angerichtet hatte bestand weiterhin. Verbrannte Nerven und Blutbahnen, versengte Muskeln und Gefäße. Wenn er genau darüber nachdachte, musste der Tod des Mannes in der Tat langsam und sehr qualvoll gewesen sein. Kurz fand Lester schade, dass es so hatte kommen müssen, dann schüttelte er dieses Gefühl wieder ab. Es war passiert und es brachte jetzt nichts weiter darüber nachzudenken.
„Tja und wenn du nicht bald mit der Sprache herausrückst, passiert dir vielleicht das gleiche“ drohte Lester dem Bordellbesitzer.
Gino zitterte und wimmerte leise.
„Also … ich hab wirklich nichts damit zu tun.“
Lesters linke Augenbraue hob sich.
„Es ist so. Diese Typen kommen öfter mal hier vorbei und hin und wieder reden wir auch etwas.“
„Aha und da hast du ihnen von mir und dem Sumpfkraut erzählt, richtig?“
„Ich … ja, es hätte ja sein können, dass du sie als Kunden gewinnen könntest“, schob Gino dieses fadenscheinige Argument vor.
Lester schnaubte, was Gino zusammenzucken ließ.
„Ich … nun, sie waren nicht gerade glücklich, dass du überall dein Kraut verkaufst. Für die bist du Konkurrenz, aber ich wusste nicht, dass sie dich aus dem Weg räumen wollten.“
„Aber du konntest es dir denken“ sagte Lester und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Was hätte ich denn machen sollen? Ich kenn dich doch auch kaum und im Prinzip geht es mich doch überhaupt nichts an, wenn sich da ein paar Dealer bekriegen.“
Da musste Lester ihm tatsächlich Recht geben. Das war nicht Problem des Bordellbesitzers. Er konnte ihm doch da keinen Vorwurf machen, oder? Doch Lester sah eine Chance.
„Hör gut zu! Wenn diese Typen das nächste Mal hier auftauchen, verhalte dich wie immer. Sag deinen Mädchen, dass sie die Ohren offen halten sollten und wenn ich demnächst zu Besuch komme, berichtest du mir, was du herausgefunden hast.“
Gino nickte ängstlich.
„Gut.“
Lester stand auf und wollte schon gehen, da drehte er sich noch einmal um und sagte drohend: „Und verhalte dich gegenüber deinen Mädchen nicht wie ein Arsch. Die machen doch auch nur ihre Arbeit.“
Gino grummelt.
„Was? Ich hab dich nicht gehört.“
„Ja, in Ordnung.“
Zufrieden drehte sich Lester um und entfernte sich. Es spielte jetzt andere Musik** (https://www.youtube.com/watch?v=qX6Ie_Xux3Y). Leichter, verführerischer. Jetzt tanzte nur noch eine einzelne, üppig gebaute Frau mit langen blonden Haaren, die sich lasziv vor den Männern räkelte, dann stand sie auf, drehte sich um und ließ ihre Hüften kreisen. Von allen Seiten lautes Johlen.
Lester verließ das Etablissement und kehrte zu Olga und Natascha zurück, die gespannt auf eine Reaktion von ihm warteten.
„Und? Wie ist es gelaufen?“
„Gino sollte euch jetzt besser behandeln und wenn er das nicht tut, lasst es mich ruhig wissen.“
Die Augen der Frauen wurden groß. Sie fuhren herum, als sie quietschende Reifen hörten. Es war der graue Wagen des Polizisten, der abrupt startete und zu Lester brauste.
„Schnell hau ab, der will dich einbuchten!“ rief ihm Olga zu.
Lester lief sofort in die nächste Straße und kramte eilig in seiner Tasche nach der Teleportationsrune, die ihn in ihr Versteck zurückbringen würde. Das Auto folgte ihm und als Lester über eine schmale Grünfläche mit anschließendem Innenhof hastete, parkte der Polizist seinen Wagen, stieg eilig aus und rannte ihm hinterher.
„Stehen bleiben, Polizei! Sie sind festgenommen!“
„Ach ja?“ rief Lester, der gar nicht daran dachte stehen zu bleiben nach hinten.
Er setzte über eine niedrige Mauer und wirkte den Teleportationszauber. Als sein Verfolger ächzend ebenfalls die Mauer überwunden hatte, war vom Dealer nichts mehr zu sehen.
„Scheiße“, fluchte der Polizist und fragte sich, wie er das seinem Vorgesetzten erklären sollte.
Währenddessen befand sich der Held in Cems „Paradise“. Annette und Marius hatten das Projekt mit den Heiltränken initiiert. Es gab jetzt eine Website, wo neugierige Kunden erfuhren, dass selbst ihre schlimmsten Verletzungen und Krankheiten kein Problem mehr waren, wenn nur das Geld stimmte. Marius hatte die Idee, dass sie die Tränke doch auch per Post verschicken könnten, doch der Held hatte darauf bestanden, die Interessenten sollten persönlich bei ihm vorbeikommen. Er wollte erst einmal sehen wie es lief. Was waren seine Kunden bereit zu bezahlen? Waren sie wirklich krank, oder würden sie die Tränke einfach nur weiter verkaufen? In dieser Nacht startete das Geschäft und es fand im Hinterzimmer des Paradise statt. Annette stand hinten im Hof am Eingang der Hintertür, in der Hand ihr Smartphone, wo alle möglichen Kunden gelistet waren, die sich vorher auf der Internetseite hatten anmelden müssen. Viele Leute hatten auch Fantasienamen angegeben, um Anonym zu bleiben.
„Name?“ fragte Annette den nächsten Mann, der sehr merkwürdig lief.
„Frank Meyer“ antwortete dieser.
„Aha, Sie sind schon der zehnte Meyer heute. Na dann, rein mit ihnen“, sagte Annette und öffnete die Tür.
Der Mann lief mit seinem merkwürdigen Gang durch die Tür und kam ins Hinterzimmer, wo der Held schon auf ihn wartete.
„Was gibt’s?“ fragte der Held locker.
„Wie bitte?“ fragte der angebliche Herr Meyer.
„Na, was ist das Problem?“
Der Kunde wurde puterrot.
„Also, müssen Sie das unbedingt wissen? Kann ich nicht einfach so einen Heiltrank haben und ich geh dann wieder?“
„Das geht auch, aber ich möchte gerne sicher sein, dass ich dir auch den richtigen Trank gebe. Vielleicht wäre es auch ganz gut dich gleich zu heilen, damit du nicht so bescheuert durch die Gegend trippelst.“
Der Rotton des Kunden wurde dunkler.
„Naja … es ist … mein Johannes. Irgendwie eine Entzündung, oder so…“ brachte der Mann schließlich heraus.
„Ver-stehe“, kam es vom Helden.
Das sollte eigentlich leicht zu beheben sein. Bisher hatte er versucht seinen Vorrat an Heiltränken zu schonen und stattdessen Zauber zu wirken. Für einen kleinen Heilzauber sollte sein Mana noch reichen. Er wählte die Rune und hob die Hand.
„He, was … was machen Sie da?“ fragte sein Kunde, der erschrocken zusammengezuckt war.
„Ich werde dich jetzt heilen, oder willst du das nicht mehr?“
„Aber die Rede war doch von einem Trank, oder?“
Der Held überlegte kurz was er deswegen sagen sollte und antwortete dann: „Ist günstiger.“
Der Kunde verfiel jetzt endlich doch ins Du, immerhin ging es hier um etwas sehr persönliches.
„Du musst mich da doch nicht anfassen, oder? Deswegen bin ich grade nicht zum Arzt gegangen.“
Der Held sah ihn irritiert an.
„Nein, du hast ja Ideen. Das ist ein Fernzauber.“
„Ach so“, kam es vom Kunden, obwohl er in Wahrheit gar nichts verstand.
Der Held wirkte den Heilzauber, blaues Licht erfüllte seinen Patienten und dann verblasste es wieder.
„Wie ist es jetzt?“
„Öhm…“
Der Mann stand aus Gewohnheit immer noch merkwürdig da.
„Der Schmerz ist weg, warte mal…“
Herr Meyer wandte sich von ihm ab, ging, nun wieder normal, in eine Ecke und öffnete seine Hose, um sich zu vergewissern, dass auch wirklich alles in Ordnung war. Der Held schaute währenddessen gebannt auf die Neonröhren über ihm, als wenn sie hochinteressant wären. Ihm fiel auf, dass es in der einen ganz leicht flackerte. Dann hörte er ein Ratschen, als der Hosenreißverschluss wieder hochgezogen wurde und sich Herr Meyer wieder umdrehte.
„Alles in Ordnung. Du hast mich wirklich geheilt. Kaum zu glauben. Was muss ich da jetzt bezahlen?“
„Dafür? 50 Euro.“
„In Ordnung.“
Sein Kunde grinste breit, offenbar mehr als zufrieden, griff zu seiner Brieftasche und übergab einen orangenen Schein an den Helden.
„Besten Dank. Werde dich weiter empfehlen.“
Als sich die Tür öffnete, hörte er wie Annette mit jemandem stritt. Der Held ging nachsehen. Vor ihr stand ein Mann, der so roch wie es in Myrtana üblich war und ebenso abgewetzte Kleidung trug. Es war ein älterer Obdachloser, der ein altes, blutdurchtränktes T-Shirt um sein dürres Handgelenk gewickelt hatte. Er war blass und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten.
„Du hast dich nicht angemeldet“ beharrte Annette auf ihrer Position und wollte ihn partout nicht ins Hinterzimmer lassen.
„Wie denn? Ich hab doch keinen Internetzugang. Ich hab das nur so aufgeschnappt was hier läuft. Lass mich doch rein. Ich hab Mist gebaut, das weiß ich, los, lass mich rein.“
Der Held sah hier eigentlich kein Problem. Der Mann war da, er war verletzt, alle Vorgaben waren seiner Meinung nach erfüllt.
„He, Annette, mach doch Platz!“
Sie warf ihm einen missbilligenden Blick zu, gab aber den Weg frei. Wieder im Hinterzimmer, wickelte der Obdachlose das vollgesogene T-Shirt von seinem Arm und offenbarte eine Schnittverletzung am Handgelenk. Helles Blut quoll stetig aus der Wunde.
„Ich hab mich mit einer kaputten Flasche geschnitten.“
„Wozu das?“ fragte der Held verwundert.
Die Augen des Obdachlosen weiteten sich, aufgrund dieser, wie es ihm vorkam, überflüssigen Frage.
„Ich wollte mich umbringen. Mein Leben ist scheiße, aber als ich es dann gemacht habe und merkte wie es aus mir rauslief, da wollte ich dann doch nicht sterben.“
„Ver-stehe“ sagte der Held, als wäre es das Normalste von der Welt, dass sich jemand die Hand aufschneidet. „Hier trink diesen Heiltrank!“
„Und das Geld?“ fragte der Obdachlose zitternd.
„Ich überleg mir was, trink erstmal.“
Sein Kunde sah ihn argwöhnisch an. Ihm gefiel diese Situation nicht, aber er wusste, dass ihm nichts anderes übrig blieb. Nachdem er alles ausgetrunken hatte, starrte er auf seine Wunde, die sich jetzt schnell schloss. Nur das alte Blut zeugte von seinem Selbstmordversuch.
„Unglaublich.“
Der Mann konnte es nicht fassen.
„Wegen der Bezahlung … mir ist da was eingefallen“, kam es langsam vom Helden und sein Gegenüber sah jetzt so aus, als mache er sich auf das Schlimmste gefasst.
„Du brauchst doch Geld und hast keinen Job, richtig?“
Der Obdachlose nickte schwach.
„Du kannst mit dem Verkauf von Sumpfkraut anfangen, dann verdienst du was und musst deinen freien Lebensstil nicht aufgeben. Ist doch toll, oder?“
Sein Kunde strich sich das fettige, dreckige Haar zur Seite und wusste nicht was er tun sollte. Er wagte es nicht zu widersprechen.
„Hört sich gut an“, sagte er deswegen, obwohl es gar nicht danach klang.
„Hier.“
Der Held zog eine Plastiktüte mit Sumpfkrautpackungen hervor.
„Zieh los und bring die Ware an den Mann. Sagen wir zehn Prozent springen zunächst für dich dabei raus. Und vergiss nicht: Vom Erlös musst du noch hundert Euro an mich für den Heiltrank bezahlen.“
Der Obdachlose griff nach der Tüte, sah hinein und murmelte: „Du gibst mir das einfach so? Und was ist, wenn ich nicht mehr wieder komme?“
„Dann werde ich dich finden und du bekommst volles Pfund aufs Maul.“
Der Held schlug mit der rechten Faust in seine offene linke Hand um seine Worte zu unterstreichen.
„Kapiert. Na dann … ich geh dann mal.“
‚Das wäre erledigt‘, dachte sich der Held und wartete auf den nächsten Kunden.
Es war ein schon sehr alter Mann, der jetzt eintrat. Er sah wohlhabend aus, trug einen dunklen Anzug und darunter ein weißes Hemd.
„Ich habe Ihre Internetseite gesehen. Nun…“
Der Mann sah sich im schäbigen Zimmer um.
„… unter anderen Umständen würde ich wohl nicht in so ein … Etablissement gehen …“
Der Held fragte sich ungeduldig wann der Kerl endlich auf den Punkt kam.
„Sie möchten einen Heiltrank kaufen?“
„Ja“, sagte der Mann langsam und nahm den Helden genau in Augenschein. „Ich fürchte ja, das ist alles Schwindel, aber ich bin so verzweifelt, ich würde alles tun.“
„Dann ist ihre Krankheit oder Verletzung wohl tödlich?“ fragte der Held nach. „Die besten Heiltränke kosten eintausend Euro.“
Der Held zeigte auf eine große bauchige Flasche, gefüllt mit roter Flüssigkeit.
Der Mann nickte.
„Ja, tödlich,“
Er zog ein Bündel aus seinem Anzug und legte es auf den Tisch.
„ich habe Krebs im Endstadium.“
*https://www.youtube.com/watch?v=yIhHou2k0Js
**https://www.youtube.com/watch?v=qX6Ie_Xux3Y
Eispfötchen
19.04.2018, 18:45
„Das funktioniert nicht“, beschwerte sich einer der Mediziner, ein älterer, dicker Mann mit schütterem Haar.
Milten stand im Konferenzraum des Krankenhauses und versuchte Ärzte, Chirurgen und Krankenschwestern in der Magie zu unterweisen. Eine gefühlte Ewigkeit hatten sie ihn damit jetzt schon gelöchert und er hatte nun doch nachgegeben. Es war erst ihre zweite Unterweisung, aber manche Teilnehmer waren jetzt schon entmutigt.
„Was hast du erwartet? Das du einfach so Magie wirken kannst? Das Studium der Magie ist keine leichte Sache“, erklärte Milten dem Mann, von dem er die Vermutung hatte, dass er es gar nicht wirklich lernen wollte, sondern nur zeigen wollte, dass es gar nicht möglich sei.
Andre hieß der Mann und fiel schon länger damit auf, dass er Milten und seine Praktiken anzweifelte. Er wollte den Magier wohl als Schwindler entlarven.
„Und nicht alle Menschen haben das Zeug dazu. Es ist große geistige Stärke, Konzentration und Entschlossenheit nötig.“
Das ließ Andre nur noch griesgrämiger dreinschauen. Die Krankenschwester Sabrina hob die Hand und fragte mit ihrem dünnen Stimmchen: „Ist es nicht gefährlich, wenn wir allein Zaubern üben?“
„Nein, das heißt, es wäre schon gefährlich, wenn es sich um einen gefährlichen Zauber handeln würde. Doch aus diesem Grund hab ich euch den Lichtzauber mitgegeben, damit ihr zuhause damit übt. Da kann eigentlich nichts schief gehen. Hat es jemand geschafft ein Licht zu erschaffen?“
Gemurmel und Gemurre erfüllte den Raum.
„Jedenfalls nicht mit diesem Zettel“, sagte ein junger Arzt keck.
„Das ist nicht einfach ein Zettel, das ist eine Spruchrolle. Langsam frage ich mich, ob ihr wirklich zaubern lernen wollt.“
Vielstimmige positive Zurufe kamen von seinen Schülern, aber es waren auch einige bei, die stumm blieben, oder nur murrten.
„Stellt euch vor, ich würde Arzt oder Chirurg werden wollen, dann würde ich das doch auch nicht innerhalb von ein paar Tagen schaffen und genauso wie das Studium der Medizin braucht es für gewöhnlich Jahre, bis man es in der Magie zu etwas gebracht hat.“
Die nächste Stunde erklärte Milten seinen Schülern noch einmal ausführlich wie eine Schriftrolle angewendet wurde und er zeigte an einem Beispiel, wie ein Lichtzauber auszuführen war. Das Ziel war, dass er seine Schüler eines Tages mit leichten Heilrunen ausstatten konnte, damit sie auch ohne ihn zurechtkamen. Er hatte immer noch die Hoffnung wieder mit seinen Freunden nach Myrtana zurück zu kommen.
Als er nach der Unterrichtsstunde den Konferenzraum verließ, wurde er sofort von zwei Reportern belagert. Es hatte sich herumgesprochen, dass in diesem Krankenhaus wundersame Dinge vor sich gingen. Milten hatte es so verstanden, dass es hier etwas gab, das sich „Zeitungen“ nannte. So etwas wie ineinandergelegte Schriftrollten, aus denen die Bürger Neuigkeiten erfahren konnten. Er hatte gemerkt, dass die Krankenschwestern und auch einige Herren vom Sicherheitspersonal versuchten die Journalisten aus dem Krankenhaus hinauszukomplimentieren, aber irgendwann hatten die zumindest mit den Patienten zahlreiche Interviews geführt, was nicht schwer war, denn immerhin verließen sie nach einer Schnellheilung bald das Krankenhaus und waren, aufgrund ihrer plötzlichen Genesung so euphorisch, dass sie nur allzu gern darüber berichteten. Deswegen sah sich Milten gezwungen nun doch ein paar Sätze zu den Journalisten zu sagen. Im Prinzip war es nichts anderes, als das was er den Patienten erzählte. Dass er ein Feuermagier war und die Patienten mit Heilzaubern und -tränken behandelte. Doch die Journalisten wollten immer mehr wissen. Es wurde anstrengend und lästig. Er erklärte schließlich, dass er noch sehr viel zu erledigen hätte und sich jetzt nicht weiter mit einem Gespräch aufhalten konnte. Die Journalisten trollten sich zwar, sahen aber nicht so aus, als würden sie auf lange Sicht aufgeben.
Miltens Kopfschmerzen wollte nicht mehr verschwinden. Im Krankenhaus gab es immer viel Arbeit, die einfach nicht enden wollte. Da brauchte er nicht noch hektische Fragen, die zwischen Tür und Angel gestellt wurden. Er arbeitete die Nacht hindurch und war am frühen Morgen im Bereitschaftsraum über den Medizinbüchern eingeschlafen. Er wurde sanft wachgerüttelt. Verschlafen blickte er auf. Es war Günther, heute in feinem Zwirn, was Milten vermuten ließ, dass es einen besonderen Anlass gab.
„Es ist Karfreitag, ein wichtiger Feiertag meiner Religion. Mein Angebot steht immer noch. Wenn du möchtest, darfst du gerne die Messe in der Kirche miterleben, aber dann müssen wir bald los.“
Milten war noch so schlaftrunken, dass er einen Moment brauchte, um sich zu sammeln.
„Gib mir noch einen Moment“, bat der Feuermagier und verschwand kurz, um für den neuen Tag startklar zu sein.
Bald darauf saß Milten zusammen mit anderen Menschen auf einer der vielen Bänke in der großen Kirche, die ihm Günther zuerst gezeigt hatte. Es war schön wieder in einer Kirche zu sein und auch wenn alles etwas fremdartig war, so gab es doch auch Gemeinsamkeiten zu seiner Religion. Zuerst war es ganz still. Keiner sagte ein Wort. Dann läuteten die Kirchenglocken. Milten fand es beruhigend dieses vertraute Geräusch wieder zu hören. Es folgte ein Lied, bei dem sowohl Günther, als auch die Gläubigen mitsangen. Das war neu für Milten. Mit singen hatten es die Magier nicht so. Vielleicht gab es das tatsächlich mal, oder wurde in anderen Kirchen seiner Heimat wirklich praktiziert und er hatte es nur nicht mitbekommen. Die Liebe und das Vertrauen in ihren Gott war klar aus den Gesängen der Gläubigen herauszuhören. Nach dem Lied wurde es wieder still, bis Günther erneut die Stimme erhob.
„Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes begrüße ich euch alle heute zu diesem besonderen Tag in unserer Kirche.“
Anschließend wurde gebetet. Milten machte zwar nicht mit, da es ja nicht sein Glauben war, aber er beobachtete sehr genau die anderen. Die meisten Menschen wirkten glücklich, andere sahen so aus, als wären sie nur hier, weil es von ihnen verlangt wurde. Eine ganz normale Kirchengesellschaft also. Günther stand vor seinen Schäfchen und redete über den Tag der Kreuzigung von Jesus. Milten erinnerte sich, es war der Messias am Kreuz über den er sprach. Die Geschichte war sehr interessant und Milten fand es nicht einmal unrealistisch, immerhin kannte er auch jemanden, von dem er geglaubt hatte, er läge Tot in einer Höhle, nur um später festzustellen, das dem gar nicht so war. Anschließend wurde wieder gesungen und Milten drängte sich ganz automatisch die Vorstellung auf wie Corristo, Torez, er und die anderen Feuermagier im alten Lager lauthals Kirchenlieder gesungen hätten. Vermutlich hätte das Gomez und den anderen nicht so gefallen. Er musste bei dieser Vorstellung schmunzeln. Dann wurde es wieder still und Günther begann anhand einer Stelle aus seinem heiligen Buch mit seinen Gläubigen über den Glauben und ihren Gott zu sprechen. Dieses Gespräch empfand Milten als sehr vertraulich, anders als bei den Feuermagiern, wo oft von oben herab mit den Bürgern gesprochen wurde und kein Raum für Zweifel oder Diskussionen eingeräumt wurde. Hier aber konnten sich die Bürger fast auf gleicher Ebene mit ihrem Priester austauschen. Alles in allem empfand Milten die Messe als sehr entspannt und lehrreich. Er überlegte, ob dieses bürgerliche zugehen auf die Gläubigen in Myrtana funktionieren würde. Würden sich die Feuermagier überhaupt darauf einlassen? Würden die Bürger den Respekt vor den Magiern verlieren? Milten wurde traurig, als er an seine Heimat dachte. Vielleicht würde er sie nie wiedersehen.
Nach der Veranstaltung blieb er noch in der Kirche, um auf Günther zu warten, der noch einiges nachbereiten musste.
„Und? Wie fandest du es?“ fragte Günther schließlich und es war ihm anzuhören, dass er sehr gespannt auf Miltens Antwort war.
„Sehr angenehm. Es ist schön, wie offen du zu den Gläubigen sprichst.“
„Oh, ich bemühe mich, aber ich denke, ich kann noch besser werden.“
Nach einer Kunstpause fragte Günther weiter: „Ist das in deiner Heimat nicht so?“
Milten verschränkte die Arme vor der Brust, weniger aus Ablehnung, sondern eher, weil er diese Bewegung so gewohnt war. In seiner Feuermagierrobe sah es auch etwas würdevoller aus, als in seiner derzeitigen Straßenkleidung.
„Nein. Die meisten Feuermagier würden sich nicht auf die gleiche Ebene wie die einfachen Bürger herabbegeben.“
Günther runzelte verwundert die Stirn und bevor er noch einmal darüber nachdenken konnte rutschte ihm heraus: „Warum denn nicht?“
Milten fühlte sich unangenehm bei dieser Frage. Er mochte das Verhalten seiner Kollegen diesbezüglich nicht. Es bräuchte wirklich mehr Feuermagier wie Isgaroth, oder selbst Daron, die meist ein offenes Ohr für die Gläubigen hatten.
„Nun …“
Günther bemerkte, dass er Milten wohl in eine Zwickmühle gebracht hatte. Der Feuermagier wollte nicht schlecht über seine Kollegen sprechen, die Frage des Pfarrers aber auch beantworten.
„Viele Feuermagier sehen sich als die Erwählten von Innos und dementsprechend behandeln sie alle anderen.“
„Oh…“ kam es getroffen von Günther. „Nun … das hätte ich jetzt nicht gedacht. Du verhältst dich gar nicht so.“
„Es sind aber nicht alle Feuermagier so elitär“, beeilte sich Milten zu sagen und dachte wieder an Daron und Isgaroth und auch einige andere der Feuermagier kamen ihm kurz in den Sinn, auch wenn es da gewiss Verbesserungspotential gab.
„Schon gut, beenden wir das Thema“, sagte Günther, der wohl vermeiden wollte weiter im Wespennest zu stochern. „Nicht weit von hier ist ein Park. Ich bin dort mit meinen Enkeln und meinem Sohn verabredet. Begleite mich doch.“
Milten war sich unsicher.
„Störe ich da nicht?“
„Ach was, ich muss sagen, ich genieße jeden Ausflug, den wir zusammen unternehmen. Es ist sehr interessant mit dir zu sprechen und ich muss schon sagen, dass ich Glück habe einem Magier zu begegnen. Wer kann das in meiner Welt schon von sich behaupten?“
Er lachte und zusammen verließen sie die Kirche.
Als sie den Park erreichten und Christopher, Martin und Anja bei einem Spielplatz fanden, stellten sie überrascht fest, dass sie im Beisein von Elyas und dem Helden waren. Günther kannte Elyas noch nicht und der Feuermagier hoffte, dass er von dessen dubiosen Aktivitäten nichts wusste.
„Wir haben uns gerade zufällig getroffen“, erklärte Christopher.
Milten dachte sich, dass es so ganz zufällig wohl nicht wahr, denn der Held hielt Parks für einen hervorragenden Ort, um Sumpfkraut zu verkaufen.
„Christopher hat erzählt, sie sind hier um Eier zu suchen“, sagte der Held und erstaunen lag in seiner Stimme.
Günther gab ein verstimmtes Knurren von sich.
„Wir haben doch darüber gesprochen. Ostereier gibt es erst am Ostersonntag.“
„Wir wollen aber jetzt schon suchen“, krähte Anja und Christopher warf seinem Vater einen zerknirschten Blick zu.
Es war klar, wer die Idee für die Eiersuche gehabt hatte.
„Nennen wir es eine Generalprobe“, sagte Christopher und sah fast schon flehentlich zu seinem Vater, damit seine Kinder endlich Ruhe gaben, die wie angestochen um ihn herumhüpften und endlich suchen wollten.
Günther und Christopher ließen sich breitschlagen.
„Na schön.“
„Ihr wartet mit Opa hier am Spielplatz und ich gehe mal voraus und gucke, ob der Osterhase schon was dagelassen hat“, bestimmte Christopher.
„Yippi!“ kam es von seinen Kindern, die jetzt, wo sie ihren Willen bekommen hatten, zum Spielplatz rannten und dort tobten.
Christopher seufzte und ging los und weil Milten und der Held sehen wollten, was passieren würde gingen sie mit. Elyas wollte nicht allein bei, dem ihm unbekannten, Günther bleiben und folgte ihnen. Als sie ein Stück gekommen waren, sah sich Christopher verstohlen nach seinen Kindern um und holte aus dem Rucksack, den er bei sich trug, ein knallorangenes kleines Ei hervor und legte es an den Rand eines Busches.
Milten und der Held sahen ihm verwundert dabei zu.
„Ist das eine Aufgabe, die deine Kinder lösen sollen?“ fragte der Held.
„Naja … Es ist eine Ostertradition. Bunte Eier werden für die Kinder versteckt und die müssen sie dann finden.“
„So eine Art Ausbildung zum Eier suchen?“ bohrte der Held weiter.
Christopher runzelte die Stirn.
„Wenn man es so nennen will.“
„Hmm… vielleicht sollte es dann etwas schwieriger sein“, überlegte der Held. „Darf ich auch eins verstecken?“
„Sicher.“
Christopher überließ ihm ein blaues Ei und der Held legte es gut versteckt hinter einige Steine in einen Busch.
„Das finden sie bestimmt nicht“, sprach der schmunzelnde Elyas laut aus, was die anderen nur dachten.
„Sonst wäre es ja langweilig. Es geht ja einfach nur ums finden, oder? Es gibt nicht einmal irgendwelche Rätsel, Fallen, oder wilde Tiere, die ihre Eier beschützen“, kam es vom Helden.
„Es ist ein Spiel für Kinder“, gab Milten zu bedenken.
„Trotzdem …“ kam es störrisch vom Helden. „Ich erinnere mich da noch an eure Erzählung, wie Gorn und Diego dieses Snapperei beschaffen mussten…“
Milten stöhnte.
„Erinnere mich nicht an die Geschichte.“
Er sah zum Helden in dessen Augen es blitzte.
„Nein! Du wirst dich jetzt nicht in einen Drachensnapper verwandeln und die Kinder zu tode erschrecken“ sagte der Feuermagier streng.
„Schade, das wäre bestimmt ein riesen Spaß gewesen.“
Doch der Held dachte sich schon was Neues aus, während Christopher zunehmend beunruhigt weitere Eier versteckte.
„Hm…“
Der Held strich sich nachdenklich über seinen Bart.
„Ich hab hier noch Dracheneier drin, die könnten wir doch auch verstecken und …“
„Dracheneier?“ fragte Milten geschockt und Christopher und Elyas sahen jetzt so aus, als hätte der Held den Verstand verloren.
„Du meinst … mit einem Spielzeug drin?“ wollte Christopher wissen.
Der Held sah ihn verwundert an.
„So würde ich es ja nicht nennen, nein. Ein Drachen eben, so ein schuppiges Vieh mit Flügeln, speit Feuer…“
„und frisst Menschen“, warf Milten mit düsterem Blick ein.
„Es sind ja noch kleine Drachen, vielleicht sind die ganz niedlich“, hielt der Held dagegen.
„Wo hast du die überhaupt her?“
„Die lagen bei Feodoran in Irdorath“, sagte der Held schulterzuckend, ganz so, als wäre es nichts weiter besonderes Dracheneier zu finden.
„Aber du sagtest doch, alle Drachen wären männlich gewesen. Wie kann es da Eier geben?“
„Hm… darüber hab ich noch nicht nachgedacht.“
Der Held stand einen Moment einfach nur da und überlegte.
„Vielleicht funktioniert das anders, vielleicht brauchen die keine Weibchen.“
„Ja, oder da fliegen noch ein paar irgendwo rum“, sagte Milten zerknirscht.
Der Held zuckte mit den Schultern, ganz so, als wäre das nicht weiter schlimm und vielleicht sogar ein Anreiz für ein neues Abenteuer.
„Also was ist nun, die Dracheneier verstecken oder nicht? Die sind schön rot, passt doch zu den anderen bunten Eiern.“
„Und wenn einer schlüpft?“ gab Milten zu bedenken.
„Dann ist es ein Überraschungsei“ kam es jetzt belustigt von Elyas, der die ganze Situation zum schießen fand.
„Also, ich verstehe nicht genau worüber ihr redet, oder ob ihr noch alle habt, aber wir verstecken hier ganz sicher keine Dracheneier“, kam es verstimmt von Christopher, der sich langsam fragte, was das für Gestalten waren mit denen sich sein Vater abgab.
Er hatte das letzte Ei versteckt, klopfte sich die Hände ab und schlug vor zu seinen Kindern zurückzugehen, bevor andere die Eier fanden. Er rief seine Kinder herbei, die sofort angerannt kamen und mit frenetischem Eifer zu suchen begannen.
„Und vergesst nicht: Keine Hundehaufen oder Müll aufsammeln“, erinnerte er mit erhobenem Zeigefinger seinen Nachwuchs.
Trotzdem ließ es nicht lange auf sich warten bis Anja mit einem „Guck mal was ich gefunden habe“, ankam und eine Keksschachtel vorzeigte.
„Die ist bestimmt leer und das fällt ganz klar unter Müll. Weg damit“, sagte der Vater und warf es in den nächsten Mülleimer. „Es geht um Eier, Anja, bei Ostern geht es darum Eier zu finden.“
„Ok“, sagte Anja traurig, doch einen Moment später, als sie weiter suchte war ihr Trübseligkeit schon längst wieder vergessen.
Martin hatte schon sehr viele Eier gefunden. Anja immerhin erst vier Stück. Ihrem Bruder war aber zugute zu halten, dass er rücksichtsvollerweise die einfacher versteckten Eier absichtlich übersah und die Herausforderung suchte. Das blaue Ei des Helden war als letztes übrig und nach einiger Zeit meinten die Kinder, sie hätten alle Eier gefunden.
„Da fehlt noch ein blaues“, beharrte der Held.
Günther erbarmte sich und dirigierte die Kinder mit Worten wie „heiß“ und „kalt“ immer näher an das Versteck. Martin sah sich sehr umsichtig um und durchsuchte dann den Busch, in dem der Held das blaue Ei versteckt hatte.
„Hab’s gefunden!“ rief er triumphierend und streckte das Ei in die Höhe.
„Sehr schön“, lobte sein Vater.
Zusammen gingen sie anschließend durch den Park. Der Held, der nicht sah, dass hier noch etwas passieren würde, verabschiedete sich und Elyas folgte ihm.
„Ich werde dann auch wieder ins Krankenhaus verschwinden“, erklärte Milten, zog die Teleporterrune für das Krankenhaus und wollte sie anwenden, doch ein „Wie machst du das?“ von Martin hielt ihn zurück.
„Das ist ein Zauber. Ich bin ein Feuermagier“, erklärte Milten zum gefühlten zehntausendsten Mal.
„Cool“, kam es von dem kleinen Jungen.
Milten wusste ja nicht, ob „Cool“, das richtige Wort dafür war.
„Kannst du mir zeigen wie das geht?“ fragte Martin aufgeregt.
Der Feuermagier warf einen prüfenden Blick auf Günther und Christopher. Letzterer sah sehr unsicher aus, aber Günther lächelt und meinte: „Warum nicht? Er kann es ja mal versuchen.“
Er glaubte wohl nicht, dass sich bei seinem Enkel etwas tun würde. Milten steckte die Teleporterrune vorläufig zurück in seine Tasche, zog stattdessen eine Lichtspruchrolle hervor und gab sie seinem neuesten Schüler.
„Das ist eine Spruchrolle. Sie kann nur einmal verwendet werden, dann löst sie sich von selbst auf. Die magische Kraft, die notwendig ist, um Magie zu wirken nennen wir Mana.“
„Muss er zu deinem Gott beten, um diese Spruchrolle anwenden zu können?“ fragte Günther.
Milten konnte sehen, dass er beunruhigt war, wohl weil er nicht wollte, dass sein Enkel zu einem fremden Glauben konvertierte.
„Er muss nicht, aber er kann. Meiner Erfahrung nach hilft das Beten, um die nötige Innere Ruhe und das Gleichgewicht zu finden, um neues Mana zu regenerieren. Die Magie kommt von den Göttern, daher denke ich, es wäre hilfreich zu beten.“
„Was sind das für Götter?“ fragte der Junge, der jetzt immer mehr von Milten hören wollte.
Während sie weiter durch den Park gingen erzählte Milten von Innos, Adanos und Beliar. Anja fand das sehr langweilig und sie löste sich immer wieder von der Gruppe, um etwas abseits auf eigene Faust im Park herumzustromern. Christopher wusste nicht, was er von Miltens Reden halten sollte und nahm seinen Vater beiseite, um mit ihm darüber zu sprechen. Der hatte ihn wohl beruhigt, denn Christopher unternahm anschließend keine Versuche den Feuermagier zu unterbrechen, oder seinem Sohn zu verbieten sich an der Magie zu versuchen. Milten sah ihm an, dass ihm das Erzählte wundersam vorkam, er seinem Vater aber vertraute. Lang und breit erzählte Milten Martin wie er die Spruchrolle anwenden sollte.
„Wenn du es dann geschafft hast, lass es mich wissen. Vielleicht können wir uns dann den nächsten Zauber vornehmen.“
Martin nickte und hütete die Lichtspruchrolle wie einen Schatz. Milten musste unwillkürlich schmunzeln. Er verabschiedete sich und zog jetzt seine Teleporterrune zum Krankenhaus hervor. Einen Moment später erglühte blaues Licht und er war verschwunden.
Gorn und Diego waren zusammen durch die nächtlichen Straßen Berlins unterwegs. Sie wollten sich weiter nach Miftah umhören. Sie hatten schon einige Bars und Clubs abgeklappert, aber nicht viel herausbekommen. Entweder sie ernteten verständnislose Blicke, oder der Angesprochene wiegelte schnell ab. Selbst Diegos geschickte Überzeugungsarbeit brachte dann nicht mehr viel. Sie versuchten ihr Glück als nächstes in einer weiteren prunklosen Bar. Gorn setzte sich so, dass er den Rücken an der Wand und die Tür im Blick hatte. Diego fand es sehr angenehm mit Gorn unterwegs zu sein. Sein Freund übernahm das wachsame Sondieren der Umgebung, so dass er sich ganz damit befassen konnte nach möglichen Informanten Ausschau zu halten. Er musste zugeben, dass ihn diese Stadt vor ungeahnte Herausforderungen stellte. Dagegen war es in Myrtana vergleichsweise einfach solcherlei Erkundigungen einzuholen. Er entdeckte einen dünnen Mann mit kurzem dunklen Bart, der vom Teint so aussah, als käme er aus Varant. Das musste noch nichts heißen, aber obwohl seine Nachfragen meist im Nichts verliefen, hatte er festgestellt, dass diese Klientel größere Chancen auf Erfolg versprach als andere. Er stand auf und gesellte sich zu dem Typen, der sich an die Bar setzte und ein Getränk bestellte. Als er zum Geldbeutel griff, hatte Diego bereits einen zehn Euro Schein auf die Theke gelegt.
„Geht auf mich.“
Dem Wirt war es wohl egal, Hauptsache er bekam sein Geld, doch Diegos Günstling sah ihn scheel an.
„He, ich kenn dich nicht mal.“
Er musterte Diego argwöhnisch.
„Und auf irgendeinen Kuschelkurs bin ich nicht aus.“
Diego hob eine Augenbraue und setzte sich einfach neben ihn.
„Ich möchte nur reden. Ich bin auf der Suche nach jemanden.“
„Ach? Und warum glaubst du, sollte ich wissen, wo du diesen Jemand findest? Das hier ist Berlin. Wäre ja ein echter Zufall, wenn ich den Typen kenne, den du suchst.“
„Es handelt sich um einen sehr bekannten Mann.“
„Ach und wie heißt der?“
„Miftah.“
„Hmm…“
Sein potentieller Informant verengte die Augen. Diego sah ihn wachsam an. Meist konnte er feststellen, wenn ihn jemand anlog.
„Was willst du denn von dem?“
„Ist was Geschäftliches“, gab Diego spärlich Antwort.
„Ach was“, kam es zynisch zurück.
„Kannst du mir irgendwas über ihn sagen?“
„Nicht viel und ich wüsste auch gar nicht, warum ich das tun sollte.“
„Weil ich dir noch einen ausgebe.“
„Na schön.“
Sein neuer Informant bestellte das teuerste Getränk, das der Laden zu bieten hatte und nachdem er es sich hinter gekippt hatte, sagte er: „Soll ganz groß im Drogengeschäft sein, aber auch Diebstähle und Glücksspiel sollen in seiner Hand liegen.“
Diego wartete, aber als ihm die Pause zu lang vorkam fragte er weiter nach.
„Weißt du wie viele Männer für ihn arbeiten?“
„Schwer zu sagen. Es sind mehrere Familienclans, die sich zusammengetan haben.“
„Haben sie die Polizei bestochen?“
Sein Informant sah ihn mit großen Augen an.
„Junge, was weiß ich? Ich gehöre nicht zu denen, sonst würde ich mit dir doch gar nicht darüber reden. Ich weiß nur, was man sich so erzählt.“
„Was kannst du mir noch sagen?“
„Die halten zusammen. Wenn sich jemand mit einem von denen anlegt, dann legt er sich mit denen allen an. Vielleicht macht die Polizei deswegen nichts und auch die anderen Kriminellen halten sich möglichst von ihnen fern, oder arbeiten für sie. Wer nicht nach denen ihrer Pfeife tanzt wird entweder gekauft, oder getötet.“
„Hm…“ kam es nachdenklich von Diego.
„Mehr weiß ich nicht.“
Als Diego grübelnd zu Gorn zurückkehrte, stellte er fest, dass sein Freund nicht länger alleine war. Eine überaus hübsche Frau mit braunen, lockigen Haaren, die enge Jeans und ein blaues T-Shirt trug, das ihren Oberkörper an genau den richtigen Stellen betonte, hatte sich zu ihm gesetzt und in ein Gespräch verwickelt. Sie lächelte fast die ganze Zeit und warf ihm bewundernde Blicke zu.
„Du bist nicht von hier, oder?“
„Ist das wirklich so offensichtlich?“ fragte Gorn verwundert. „Ich komme aus Gotha.“
„Na dann, Gorn aus Gotha, was machst du so?“
„Ich bin … im Sicherheitsdienst“, erklärte er zögernd.
„Soso, ich wette, dir macht so schnell keiner Ärger.“
„Nein und wenn es doch einer versucht, überlegt er es sich für gewöhnlich ganz schnell anders.“
Gorn grinste, dann fiel ihm doch noch Diego auf, der nicht wusste, ob er einfach wieder gehen sollte, um seinen Freund nicht zu stören, da sagte er: „Das ist mein Kumpel Diego.“
Die Frau sah nicht genervt aus, sondern streckte ihm zur Begrüßung sogar die Hand entgegen.
„Hallo, ich bin Alexandra, schön dich kennen zu lernen. Wir sprachen gerade über Berufe. Was machst du denn so?“
„Ich habe einen Schlüsselnotdienst.“
„Oh … interessant und wie läuft das Geschäft?“
„Es geht so.“
Diego hatte das unbestimmte Gefühl ausgehorcht zu werden und nahm sich fest vor es bei wagen Aussagen zu belassen.
„Kennt ihr euch schon länger?“ wollte sie wissen.
Diego antwortete nicht.
„Ein paar Jahre“, kam es dann von Gorn, so dass sie sich wieder ganz auf ihn fokussierte.
„Woher kennt ihr euch denn?“ fragte sie weiter, sah Gorn jetzt tief in die Augen, klimperte mit den Liedern und strich sich durchs Haar.
Diego warf seinem Freund warnende Blicke zu, doch der hatte nur Augen für die schöne Frau. Es war, als hätte sie ihn mit einem ganz eigenen Zauber belegt.
„Öhm… aus dem Knast.“
Diego hätte sich am liebsten mit der Hand an den Kopf gefasst. Er konnte es einfach nicht fassen, wie konnte Gorn das einfach so einer Fremden ausplaudern? Die reagierte auch nicht wie eine typische Frau mit Entsetzen oder zumindest Zurückhaltung, es hatte im Gegenteil den Anschein, als fände sie es überaus interessant.
„Das hört sich wahnsinnig spannend an“, sagte sie und zutschte am Strohhalm ihres Cocktails.
Gorns Mund stand ein Stück weit offen. Diego war sich jetzt ganz sicher, dass hier etwas faul war. Wer war diese Frau nur? Warum wollte sie das alles wissen? Für wen arbeitete sie? Und wie konnte er Gorn von ihr wegbekommen?
„Wie lange wart ihr denn im Gefängnis?“ wollte die Schönheit weiter wissen.
„Etwa zwei Jahre“, sagte Gorn, bei dem es nun ganz so aussah, als hätte sich sein Gehirn vollends in den Sparmodus geschaltet und jetzt ganz anderes im Sinn.
Vielleicht überlegte er sich gerade wie es wäre mit dieser Schönheit ganz allein zu sein. Sie wickelte sich jetzt verspielt eine ihrer braunen Locken um den rechten Zeigefinger und fragte: „Hört sich an, als wärt ihr richtig schlimme Jungs. Was habt ihr denn angestellt?“
„Ach, eigentlich nur eine kleine Auseinandersetzung … mir ist ein bisschen mein Temperament durchgegangen.“
„Ja, ist mir auch schon aufgefallen, dass du richtig heiß bist“, hauchte sie und beugte sich vor, um ihm tiefe Einblicke auf ihren Busen zu gewähren.
Spätestens jetzt war Gorn ihr gänzlich verfallen. Er starrte sie einen Moment einfach nur an, dann fiel ihm offenbar etwas ein, denn er sagte: „Ach und bei Diego war es irgendwas mit Betrug, stimmt doch, oder Diego?“
Diego sagte sich, dass es so keinesfalls weitergehen durfte.
„Gorn, ich muss dich draußen mal sprechen.“
„Nicht jetzt“, wehrte sein Freund ab und versank in den schönen Augen seiner Gesprächspartnerin, die ihn immer noch anlächelte, als wenn sie die Freundlichkeit in Person wäre.
Diego fragte sich, wie sein Kumpel nicht sehen konnte, was hier vor sich ging. Es war doch so offensichtlich.
„Es ist aber wichtig“, beharrte er.
„Es kann bestimmt ein paar Minuten warten“, antwortete Gorn genervt, ohne ihn auch nur anzusehen.
Diego überlegt Gorn einfach am Arm zu packen und nach draußen zu ziehen, aber schnell schlug er sich das wieder aus dem Kopf. Gorn würde nirgendwo hingehen, ohne, dass er es wollte. Er musste zu einer List greifen.
„Unser Freund hat mich aber gerade angerufen und er sagt, er muss uns ganz schnell sprechen.“
Gorn horchte auf und wandte ihm seinen Blick zu. Seine Treue ging so weit, dass selbst die strahlende Schönheit dieser Frau sie nicht ausblenden konnte.
„Worum geht es denn?“ wollte Gorn gespannt wissen.
„Ich weiß nicht, deswegen sollen wir ja zu ihm gehen.“
„Wie heißt denn euer Freund?“ fragte die Frau, welche die Ohren gespitzt hatte und aussah, als wäre sie auf eine Goldader gestoßen.
„Ach …, er hat keinen Namen“, antwortete Gorn, der jetzt langsam und sichtlich unwillig aufstand.
Das steigerte nur noch die Neugier der gutaussehenden Frau und sie nahm ihn an der Hand und schnurrte: „Bleib doch noch, ich würde dich gerne besser kennen lernen.“
„Gorn, kommst du jetzt endlich?“ schnarrte Diego.
Gorn stand einen Moment unentschlossen herum. Er musste sich zwischen seinen Freunden und diesem gestaltgewordenen Traum von Frau entscheiden. Die Treue behielt die Oberhand und er folgte Diego schließlich aus der Bar heraus. Sein Freund schritt eilig aus, so dass er sich beeilen musste, um nicht zurückzufallen. Diego wartete, bis sie sich ein großes Stück von der Bar entfernt hatten, bevor er mit der Sprache herausrückte.
„Was ist nur los mit dir? Hast du nicht gesehen, dass sie dich durchleuchtet hat wie ein Juwelier einen Diamanten?“
„Was?“ fragte Gorn verwundert. „Was meinst du?“
Diego sah ihn genervt an.
„Die hat dich doch nur ausgehorcht.“
„He, du musst nicht gleich neidisch sein, weil mich ein so hübsches Mädel angesprochen hat.“
„Bin ich nicht!“ sagte Diego laut. „Du musst ihr doch nicht gleich erzählen, dass wir mal saßen, … und überhaupt unsere ganze Lebensgeschichte.“
„Hab ich doch gar nicht“, wehrte sich Gorn, aber so ganz überzeugt klang er nicht.
„Ich wette, die hat sich für jemanden umgehört. Die Frage ist nur für wen?“ überlegte Diego laut.
„Ach komm, hör auf.“
Diego musterte seinen Freund eingehend.
„Was ist bloß los mit dir? Die muss dir ja komplett den Kopf verdreht haben. Sonst bist du doch immer so wachsam und verdächtigst alles und jeden. Was war das mit: „Immer den Rücken frei halten?“ Gilt das nur für Männer? Glaubst du eine Frau kann dich nicht auch in eine Falle locken? Gerade bei denen musst du auf der Hut sein.“
„Tja, also…“
Plötzlich wirkte Gorn beschämt.
„Daran hast du wohl gar nicht gedacht, wenn du überhaupt gedacht hast“, hackte Diego weiter auf ihn ein.
„He, jetzt ist aber auch mal gut, ja?“ knurrte Gorn. „Vielleicht hab ich tatsächlich einen Fehler gemacht, aber wann trifft man schon mal so eine schöne Frau? Da … hab ich nicht dran gedacht.“
Diego verdrehte die Augen.
„Immer wachsam bleiben“, mahnte er.
Eine Weile schritten sie stumm grollend nebeneinander her, dann blieb Gorn auf einmal stehen und rief aus: „Dann hat er dich gar nicht angerufen? Du wolltest mich nur von ihr wegbekommen, oder?“
Diego sah nicht nach hinten, als er sagte: „Schön, dass du es auch endlich mitbekommen hast.“
Gorn grummelte und blickte Diegos Hinterkopf düster an, so als würde das die Situation verbessern.
„Aber ich schätze, es wäre trotzdem gut, mal bei ihm zu horchen, wie es gerade läuft.“
Eispfötchen
19.04.2018, 18:45
Im Versteck erwartete sie eine Überraschung. Als Diego, Gorn und Annette, die gerade ihr Auto vor der Tür geparkt hatte, zur Tür hereinkamen sahen sie Elyas, Lester und den Helden im Treppenflur stehen.
„Was ist denn los?“ fragte Diego, der sofort merkte, dass etwas nicht stimmte.
„Wir haben Leichen im Keller“, erklärte der Held schonungslos.
„WAS?“ fragte Annette erschrocken und japste nach Luft.
„He, seht mich nicht so an, ich war es nicht. Ich vermute ja, die beiden wurden von Miftah geschickt und sollten Lester umbringen. Doch die beiden Skelette haben sie dann abgestochen.“
„Woher wussten die nur, wo wir wohnen?“ fragte Gorn laut.
„Die werden bestimmt genauso herumgefragt haben wie wir“, kam es von Diego, der jetzt die Treppe hinunter ging, um sich das Schlamassel anzusehen.
Die anderen folgten ihm und als Annette die beiden Toten sah, stieß sie einen lauten Schrei aus. Bäuchlings lagen die beiden Männer in ihrem eigenen Blut auf dem Boden. Der eine war ein richtiger Muskelprotz, der andere vergleichsweise dürr. Letzterer hatte beim Angriff des Skeletts eine Hand eingebüßt, die jetzt etwas abseits lag wie die groteske Version des eiskalten Händchens. Die beiden Skelette standen reglos an ihren Posten, ganz so, als wäre nichts geschehen.
„Und was machen wir jetzt?“ fragte Lester und zündete sich einen Sumpfkrautstengel an.
„Was meinst du?“ fragte der Held arglos.
Lester hob eine Augenbraue.
„Naja … sollen wir die so liegen lassen?“
„Also ich hab mich bisher nie um die Leichen gekümmert. Meist verschwinden sie von ganz allein. Vielleicht irgendwelche Viecher, die sie sich holen.“
„Was denn für Viecher?“ wollte jetzt Gorn wissen.
„Hast du denn Beschwörungen die Menschen fressen?“ wollte Diego wissen.
Der Held dachte angestrengt nach.
„Weiß nicht, vielleicht Waldi? Ja, bestimmt, aber dann bleiben immer noch Knochen übrig.“
„Du willst Waldi die Beiden fressen lassen?“ fragte Annette erschrocken und griff sich an ihre Drosselgrube.
„Hast du eine andere Idee?“
„Säure!“ kam es jetzt von Elyas.
Die anderen sahen ihn überrascht an.
„Was denn für Säure?“ sprach es Annette aus.
„Mann … hat denn keiner von euch Breaking Bad geguckt?“
Verständnislose Blicke. Elyas seufzte.
„Ja, warum denn auch? In der Serie lösen Jesse und Walter White ihre Leichen mit Säure auf.“
„Ja, na klar“, kam es sarkastisch von Annette. „Machen wir es doch einfach wie in einer Fernsehserie, das klappt bestimmt. Ist ja nicht so, als wäre das bloß ausgedacht oder so.“
„He, es gibt wirklich Chrystal Meth und es gibt Leichen und es gibt diese komische Säure“, verteidigte Elyas seine Idee.
„Und weißt du auch wie diese Säure heißt?“ fragte Annette bissig.
Der junge Mann dachte angestrengt nach.
„War irgendwas mit Wasser … hm… ah, jetzt hab ichs: Flusssäure.“
Elyas Augen strahlten. Er war ganz stolz, weil es ihm wieder eingefallen war.
„Außerdem brauchen wir Anzüge aus Plastik als Schutz und große Plastikbehälter, wo die Leichen rein kommen. Wenn wir keine finden, die groß genug sind, müssen wir die Leichen zerhacken.“
Annette war noch blasser geworden.
„Ach und wo sollen wir das herbekommen?“
„He, wer ist denn hier unsere Organisatorin?“ fragte Elyas kalt.
Annette knirschte mit den Zähnen.
„So etwas musste ich noch nie beschaffen. Mal sehen, wird bestimmt etwas dauern. Außerdem muss es ja dann auch irgendwohin. Wir brauchen also noch jemanden der sich mit der Beseitigung von Gefahrgut auskennt. Das wird sehr schwer.“
„Hört sich sehr kompliziert an. Vielleicht sollten wir sie doch einfach von Waldi fressen lassen“, kam es vom Helden, der es gerne möglichst praktisch und einfach hatte.
„Ach? Und die Knochen und was da auch immer sonst übrig bleibt, verbuddeln wir dann im Grunewald? Die werden irgendwann zufällig gefunden, nachdem ein paar Wildschweine die ausgegraben haben und dann sind wir geliefert. Ich hätte gerne, dass uns nachher niemand dran kriegt.“
Elyas riskierte wieder eine dicke Lippe. Doch er erhielt unerwartete Rückendeckung von Diego.
„Wenn es sicherer ist, dann bin ich auch für die Säure.“
Gorn und Lester stimmten zu, weil ihnen selbst keine bessere Idee einfiel. Der Held zuckte mit den Achseln zum Zeichen dafür, dass es ihm vollkommen egal war.
Gorn, Diego und der Held beschlossen zu Cem ins Paradise zu gehen und ihn zu fragen, ob er vielleicht einige der benötigten Sachen da hatte. Der Held war fest davon überzeugt, denn er schätzte Cem so ein, dass sich hin und wieder einmal ein „Unfall“ ereignete. Als sie durch die Hintertür eintraten, bot sich ihnen eine überraschende Situation. Cem hatte Marius am Wickel.
„Du beklaust mich? Glaubst du echt, das lass ich dir durchgehen? Als Elyas dich anschleppte, dachte ich, du wärst vertrauensvoll und kein Dieb.“
„Genau genommen, hab ich dir doch gar nichts gestohlen“, wagte Marius trotz zugeschwollenem linken Auge zu sagen.
Cem hatte ihm wohl einen ordentlichen Schlag verpasst.
„Einnahmen, die ich hätte haben können und dann nicht habe, sind für mich das gleiche wie Diebstahl“, schnauzte Cem.
„He, was ist denn hier los?“ fragte der Held im Plauderton, ganz so, als wären sie zu einem angenehmen Treffen in der Taverne verabredet.
Cem und Marius hatten die Neuankömmlinge bisher noch nicht bemerkt. Während Cem zuerst wütend und dann nachdenklich aussah, blickte Marius den Helden furchtsam, aber auch mit einem Funken Hoffnung an.
„Dieser Nerd hat uns beklaut“, erklärte Cem und ließ von Marius ab, der schnell ein paar Schritte zurückging.
Der Held fand es sehr interessant, dass es jetzt auf einmal wieder „uns“ hieß.
„Hab ich nicht!“ wiedersprach Marius.
„Schnauze!“ blaffte der ältere Mann.
„Also, der Reihe nach. Was ist passiert?“ wollte der Held wissen.
„Er hat unsere Sumpfkraut- und die Heiltrankseiten benutzt, um Rechner, die diese Seiten besuchen, zum Mining zu zwingen.“
„Mining? Hat das was mit Minen zu tun?“ fragte der Held nach.
Cem sah Marius mit einem wütenden Blick an.
„So, jetzt rede dich gefälligst selbst aus der Scheiße raus!“
Trotz seiner Lage blieb Marius überraschend unerschütterlich. Er war ein junger Mann, der ganz genau wusste, wie viel seine Fähigkeiten wert waren. Deswegen glaubte er nicht umgebracht zu werden.
„Ja, Minen. Die Rechner, die unsere Seiten besuchen werden dazu gezwungen bei fünfzig prozentiger Auslastung nach Bitcoins zu schürfen.“
„Was sind Bitcoins?“ fragte jetzt Diego.
„Geld“, erklärte Marius schulterzuckend.
In den Köpfen der Freunde bildete sich ein neues Bild. Marius schien so eine Art Erzbaron zu sein, nur eben mit diesen Bitcoins. Ein Bitcoinbaron.
„Hätte ich dir gar nicht zugetraut“, sagte der Held grinsend und klopfte dem jungen Mann auf die Schulter.
Cem wunderte dieses kumpelhafte Lob.
„Also hör mal, er hat uns ausgenutzt und da lobst du ihn auch noch?“ fragte Cem verärgert.
„Er hat immerhin eine Möglichkeit aufgetan weiteres Geld ranzuschaffen“, verteidigte der Held Marius Verhalten.
„Aber wir sollten auch etwas vom Kuchen abbekommen“, stellte Diego schnell klar. „Mindestens fünfzig Prozent.“
„He“, platzte es aus Marius heraus. „Ohne mich würden wir überhaupt keine Bitcoins bekommen. Da sollte mir schon etwas mehr zustehen, immerhin hab ich die ganze Arbeit.“
„Ach?“
Cem funkelte ihn böse an.
„Allzu viel verstehe ich von diesem Zeug ja nicht, aber du musst diesen Befehl für die Seiten doch nur einmal schreiben, oder?“
„Ja, du hast recht, du verstehst wirklich nicht allzu viel davon“, sagte Marius kalt.
„Pass auf wie du mit mir sprichst!“ herrschte Cem ihn an und drohte mit der Faust. „Wenn es nach mir ginge, dann würdest du sofort von sämtlichen Geschäften mit uns ausgeschlossen. Fünfzig Prozent sind noch viel zu viel für dich. Also lass hören, was kannst du uns denn noch anbieten?“
Er sah den IT-Spezialisten aus zusammengekniffenen Augen an, der gar nicht danach aussah ein Angebot zu unterbreiten.
„Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass du außerdem allerhand Computer gekapert hast.“
Marius wurde tiefrot im Gesicht.
„Volltreffer, also wie viele sind es etwa?“ wollte Cem wissen und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Naja …“ wollte Marius hinter dem Berg halten.
„Spuck es aus, sonst setzt es was!“ drohte Cem.
Marius hob das Kinn, ganz so, als stünde er über solcherlei Drohungen.
„Ich habe eine ganze Zombiearmee. Etwa achttausend sollten es schon sein.“
Diego, Gorn und der Held sahen sich erstaunt an. Hörte sich ganz so an, als wäre Marius ein mächtiger schwarzer Magier. Er mochte schwächlich und klein wirken, doch verbarg er seine wahre Macht im Inneren. Es wäre besser diesen Typen auf der eigenen Seite zu haben, anstatt gegen ihn vorgehen zu müssen.
„Gut“, sagte Cem. „Wenn ich … wenn wir mal ein Problem haben, dann erwarte ich, dass du deine Zombiearmee darauf ansetzt.“
„Na schön“, ließ sich Marius breit schlagen.
„Noch mal zurück zu dem Geld“, sagte Diego geschäftsmäßig. „Du sagtest vorhin die Schürfer würden nur mit fünfzig prozentiger Leistung arbeiten. Warum denn das? Da wäre doch sicher mehr zu holen.“
„Schon“, gab Marius zu. „Aber umso mehr Leistung genutzt wird, umso höher ist die Gefahr, dass der Eigentümer mitbekommt, dass sein Rechner missbraucht wird.“
„So hab ich ja überhaupt erst mitbekommen was läuft“, erklärte jetzt Cem. „Mit meinem altersschwachen Laptop hab ich mir unsere Seiten mal angesehen, um zu checken, ob auch alles ordentlich ist, da röhrte das Teil auf einmal laut auf, als würde es sonst was machen.“
„Und was hast du unternommen?“ fragte Marius spitz, ein verschlagenes Lächeln im Gesicht.
„Den Task-Manager geöffnet, um zu sehen, was für Prozesse laufen.“
Marius Grinsen wurde breiter.
„Aber dein Mining Programm schaltet sich einfach selbst aus, wenn es mitkriegt, dass der Task-Manager geöffnet wird, hab ich nicht Recht?“
Marius Grinsen war Antwort genug.
„Tja, aber als ich die .exe einfach umbenannt hatte konnte ich es doch sehen“, sagte Cem triumphierend.
Marius Mund verzog sich.
„Ja, das ist leider ein Problem, aber wer kommt schon darauf? Hätte nicht gedacht, dass du das kennst.“
„Tjaha“, lachte Cem. „Ist nicht das erste Mal, das mir sowas passiert und ich hab auch ein paar Bekannte, die sich mit sowas auskennen.“
Der Held, Diego und Gorn verstanden nicht worum es im Konkreten ging, vermuteten aber das Aufliegen der Sklaverei dieser Computer.
„Wäre das dann geklärt?“ fragte der Held.
Cem und Marius sahen sich unschlüssig an, zuckten mit den Schultern und nickten.
„Eigentlich sind wir ja wegen etwas anderem hier. Wir brauchen Tonnen aus sogenanntem Plastik und auch Anzüge daraus und etwas das Flusssäure heißt.“
„Was? Wozu denn das?“ fragte Cem misstrauisch.
„Ach, wir hatten unerwartet Besuch. Vermutlich ein paar Typen von Miftah, die Lester umbringen wollten“, sagte der Held, als wenn sowas jeden Tag vorkam. „Aber meine beiden Skelette, haben sie abgemurkst, kaum dass sie durch die Kellertür kamen.“
„Skelette?“ fragte Marius verwundert.
„Na ja so Untote. Kennst du doch, du mit deinen Zombies…“
Weil er es zu diesem Zeitpunkt für sehr unklug hielt etwas zu sagen, hielt Marius den Mund.
„Verdammt“, kam es von Cem. „Ich wusste es würde Ärger geben, aber nicht, dass er so schnell käme. Ihr wollt die Leichen also in der Säure auflösen?“
„Ja, Elyas hatte die Idee“, sagte der Held.
„Na schön, ich werde mal sehen, ob ich etwas in der Art auftreiben kann. Ich glaube an die Plastiktonnen könnte ich rankommen.“
„Im Darknet gibt es das ganz sicher, ich setz mich mal dran“, erklärte Marius hilfsbereit.
Das brachte ihm wieder Pluspunkte ein.
„Gut. Wo wir gerade von diesem Miftah reden,“ führte Cem das Thema fort „da kam letztens ein Typ, ein bekannter Kerl in der Wettszene, der von dir gehört hat Gorn.“
Gorn, der bisher einfach nur zugehört hatte, horchte auf.
„Ach und was will er von mir?“ knurrte er.
„Du könntest ein großer Mann in verborgenen Hinterhofkämpfen werden, meinte er.“
Gorn ließ sich das durch den Kopf gehen. Er mochte das Kämpfen, doch gefiel es ihm mehr, wenn es dabei auch um eine bestimmte Sache ging. Einfach nur kämpfen, des Kämpfens Willen war nicht genug. Immerhin barg es ja auch gewisse Risiken.
„Und warum sollte ich da einsteigen?“ wollte er wissen.
„Dieser Mann, alle nennen ihn bloß Tyson, genau wie diesen Boxer, könnte ein guter Verbündeter gegen Miftah sein. Miftah und seine Clans kontrollieren in dieser Stadt große Teile der Kriminalität. Beim Hinterhofkampf haben sie aber noch keinen Fuß in die Tür bekommen. Und Tyson hätte gerne, dass das auch weiterhin so bleibt. Mit seinem Geld und Einfluss und seinen Leuten konnte er sich bisher behaupten. Doch nun sucht er Verbündete und wir könnten jemanden brauchen, der uns den Rücken frei hält.“
Das war ganz noch Gorns Geschmack.
„Gut, wenn das so ist, dann bin ich dabei. Wann geht es los?“
„Ich rufe Tyson an und kläre das mit ihm, dann sag ich dir Bescheid“, erklärte Cem.
„Sieht ganz so aus, als würden wir eine Armee aufstellen“, kam es von Diego, der einen Krieg witterte.
Eispfötchen
25.04.2018, 21:22
Diego und Gorn waren am Abend wieder in den Bars und Clubs unterwegs, um Informationen zu sammeln. In einer Bar trafen sie völlig unvermittelt auf eine frühere Kundin von Diego, die damals mit ihrem Kind so eilig zum Arzt musste. Mit einer Freundin saß sie an einem der Tische und rief erstaunt aus: „Diego, so ein Zufall. Berlin ist so eine große Stadt, aber wir laufen uns einfach immer wieder über den Weg.“
Sie lachte herzhaft, vermutlich war sie nicht mehr ganz nüchtern.
„Setz dich doch zu uns.“
Diego sah zu Gorn, um zu sehen was er dazu meinte, doch sein Kumpel zuckte nur mit den Schultern. Sie setzten sich dazu und sofort sagte die Frau: "Da fällt mir ein, du weißt ja noch gar nicht wie ich heiße."
Sie kicherte.
"Mein Name ist Marietta und das ist meine langjährige Freundin Franziska.“
Diego erkannte sie als die Frau, mit der sie zusammen im Park unterwegs war.
„Ich arbeite bei einer Bank“, erklärte sie. „Du hast einen Schlüsselnotdienst, richtig?“
Diego nickte.
„Und du bist sein Kumpel?“
„Ja, ich heiße Gorn und arbeite im Sicherheitsdienst.“
„Glaub ich dir sofort“, sagte Franziska, die Gorn bewundernde Blicke zuwarf.
Sie blieben bei dem Thema Arbeit und so erfuhren sie schnell, dass Marietta eine Immobilienmaklerin war. Darunter konnten sich die beiden Männer nichts vorstellen.
„Ich zeige Menschen Wohnungen, die sie dann mieten.“
„Mieten?“ fragte Diego verwundert.
Wären die beiden Frauen nüchtern gewesen, hätten sie sich jetzt wohl gewundert, so aber plapperte Marietta einfach weiter. „Na, du weißt schon, Leute, die selbst kein Haus haben, mieten sich eins, oder eben eine Wohnung und ich zeig ihnen das, ja das mach ich.“
Sie lachte laut auf, obwohl es dazu ja eigentlich keinen Grund gab und nippte dann wieder an ihrem Drink. Gorn sah wohl nicht so recht was dieses Gespräch bringen sollte und die beiden Frauen waren bei weitem nicht so hübsch wie die von neulich. Doch Diego war hellhörig geworden. Er witterte eine Geschäftsidee. Häuser vermieten. So etwas in der Art hatte er doch auch in Mora Sul mit seinem Haus gemacht. Er hatte dem Arenakämpfer für Geld erlaubt, während seiner Abwesenheit in seinem Haus zu wohnen.
„Wie oft müssen diese Mieter denn bezahlen?“ wollte Diego wissen.
„Na, einmal im Monat, wie immer“, sagte Marietta und schaute jetzt doch etwas verwundert.
‚Gar nicht dumm.‘ dachte sich Diego. ‚So sieht es nach weniger aus, als es tatsächlich ist und die Menschen gewöhnen sich an die Last, so dass sie es irgendwann für selbstverständlich halten. Da lässt sich was draus machen.‘
Die beiden Frauen hatten ein Gespräch mit Gorn angefangen, indem sie ihn ausfragten was er so in seiner Freizeit unternahm. Gorn, der sich nur zu gut an Diegos Ermahnung erinnerte, blieb verhalten und Antwortete nur kurz und bündig.
„Sag mal, Franziska wie genau funktioniert das mit den Banken?“ wandte sich Diego jetzt ihr zu.
„Wie? Was meinst du?“ wollte die beschwipste Frau wissen.
„Die Leute zahlen in die Bank ein, aber was hat die davon?“
„Die … äh … arbeiten mit dem Geld… investieren in Unternehmen und so …“
Es war Franziska anzusehen, dass sie Schwierigkeiten hatte sich zu konzentrieren.
„Wenn die Leute Geld brauchen, können sie es sich bei der Bank leihen.“
Diego konnte ein Grinsen nicht ganz unterdrücken.
„Und dann müssen sie es der Bank nachher mit vielen Zinsen zurückzahlen, richtig?“
Da Franziska den Inhalt ihres Glases jetzt mit einem mal herunterstürzte antwortete ihre Freundin für sie.
„Exakt … du kennst doch das Sprichwort: Die kleinen Gauner rauben die Banken aus, die großen gründen sie.“
„Nun mach mal halblang“, kam es von Franziska.
Die beiden Frauen fingen an sich zu zoffen, doch Diego nahm davon gar nicht wirklich Notiz. Er sah Möglichkeiten, Möglichkeiten der reichste Mann zu werden, der jemals in Myrtana gelebt hat. Er würde eine Bank gründen. Mit seinem angehäuften Reichtum, den der Held immer noch in der Tasche trug, hatte er ein ausreichendes Startkapital. Jetzt nach dem Krieg brauchten die einfachen Leute dringend Gold und er würde es ihnen geben. Natürlich würden sie es zurückzahlen müssen und die Zinsen würden enorm sein. Diego grinste. Aber er war ja kein Unmensch, sie sollten die Möglichkeit haben ihre Schulden abzuarbeiten. Das zerstörte Vengard war da gerade richtig. Schließlich musste die Stadt doch irgendwann wieder aufgebaut werden, oder? Es braucht nur den richtigen Investor und der würde er sein. Die Schuldner würden sich den Buckel für ihn krumm schuften und die Stadt wieder aufbauen. Die entstandenen Häuser würden dann ihm gehören und er würde sie vermieten. Zunächst noch für wenig Gold, doch umso mehr Leute in Vengard leben wollten, umso höher würden seine Mieten steigen. Würde einer Protestieren, würde er ihn rauswerfen und gegen jemanden ersetzen, der bereit war seinen Preis zu zahlen. Das versetzte ihm aber einen ersten Dämpfer. Rauswerfen… das könnte er nicht allein tun, immerhin war er auch nicht mehr der Jüngste. Er bräuchte Unterstützung. Der Held wäre ideal. Vielleicht wäre es gar nicht so schlecht, wenn er der König werden würde. Selbst Lee hatte gesagt, Vengard müsse wiederaufgebaut werden und der Held hätte sicher nichts dagegen und würde ihn in seinem Vorhaben bestimmt unterstützen. Und wie war das? Der Held hatte ihm doch angeboten ihn zum Schatzmeister zu ernennen, sollte er König werden. Ja, das passte alles gut zusammen. Diegos Herz schlug immer schneller. Er war einem ganz großen Ding auf der Spur. Bisher hatte er den Wunsch des Helden für sich zu bleiben und weiterhin einfach nur ein abenteuerliches Leben zu genießen unterstützt, immerhin war er sein Freund und er hatte keinen Grund gesehen ihn dazu zu überreden, doch jetzt, wo sein eigener Vorteil davon abhing, dachte Diego anders. Wenn der Held König würde, hätte er die besten Chancen seine Ideen in die Tat umzusetzen. Er würde sein Schatzmeister werden und eine große Bank aufbauen, mit der er den Aufbau Vengards finanzierte, doch zuguterletzt würden die Gewinne so enorm sein, dass sein derzeitiger Reichtum wie ein Taschengeld wirkte und der Held würde ihm dabei helfen. Diegos Gedanken rasten. Angestrengt dachte er darüber nach wie er den Helden dazu überreden konnte, doch noch König zu werden. Es mussten sehr gute Argumente sein.
„He, Diego, was ist denn mit dir los? Du grinst schon die ganze Zeit so dämlich, das ist doch sonst gar nicht deine Art“, riss ihn Gorn aus seinen Gedanken.
Diego bezweifelte, dass sein Grinsen tatsächlich dämlich ausgesehen hatte und sagte nur: „Ach, heute ist nur so ein schöner Tag.“
„Ja, da hast du vollkommen recht“, lallte Marietta und trank ein weiteres Glas auf Ex. „Noch eins“, krähte sie der Kellnerin zu, die gerade vorbeilief.
Die warf ihr einen genervten Blick zu, lieferte ihre Bestellung ab und kehrte dann zur Bar zurück, um weiteren Alkohol zu besorgen. Gorn hatte sich einen Schnapps bestellt, den er aber mit einem Zug hinterkippte. Er verzog keine Miene. Auch die Damen zeigten, dass sie trinkfest waren und lachten sehr viel.
„Wie kommt ihr denn nach Hause?“ wollte Diego wissen, denn der bezweifelte, dass sie den Weg finden würden.
„Ich ruf einfach meinen Mann an“, säuselte Franziska. „Griff auch schon unbeholfen in ihre Tasche und zog ihr Smartphone heraus.
Sie tippte darauf herum und sagte dann viel zu laut zu dem Gerät: „He, wo bissd du? Ich bin hier in …“
Sie sah Marietta fragend an.
„wie heißt das hier?“
Marietta sagte es ihr und Franziska gab das so durch.
„Wenn du mich gleich abholst, dann kannst du dich schon mal auf eine interessante Nacht gefasst machen.“
Diego und Gorn wechselten Blicke. Sie konnten sich vorstellen, dass es vielmehr auf Kopfschmerzen und Kotze hinauslaufen würde, was ganz bestimmt nicht interessant war.
„Und was ist mit dir?“ fragte Diego Marietta.
„Ich … komm schon klar.“
Sie versuchte aufzustehen, hatte dabei aber einige Schwierigkeiten. Ihre hochhackigen Schuhe trugen nicht gerade zu einem guten Gleichgewicht bei.
„Komm, ich bring dich nach Hause“, sagte Diego, nicht ohne Hintergedanken.
Das war DIE Gelegenheit sie weiter nach den Mieten auszufragen, um seinen Plan im Detail ausarbeiten zu können. Gorn dachte da wohl an ganz andere Dinge, denn jetzt grinste er und zwinkerte ihm schelmisch zu.
„Mach das, ich verschwinde dann auch mal, weil es wohl keine gute Idee ist, wenn Franziskas Mann sie hier nur mit mir findet.“
„Ach, glaubst du wirklich, der legt sich mit dir an?“ fragte Diego belustigt.
„Das nicht, aber ich will doch keine Ehe zerstören“, sagte Gorn gutmütig.
Franziska und Marietta verabschiedeten sich und Diego half ihr nach draußen auf den Bürgersteig. Er wusste ja wo sie wohnte und überlegte, wie er sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln am besten dorthin bringen konnte. Während der Fahrt mit der U-Bahn und einem Bus fragte er sie immer weiter über das Immobilienwesen aus. Marietta hatte aber nicht wirklich Lust darüber zu reden. Viel lieber grub sie alte Anekdoten aus, die sie dann zum Besten gab und an deren Ende sie jedes Mal in schallendes Gelächter ausbrach. Diego seufzte. Das war vielleicht doch keine gute Idee gewesen. Sie stiegen aus und Diego legte einen ihrer Arme, um seine Schultern, weil sie ständig drohte das Gleichgewicht zu verlieren.
„Gab es irgendwas zu feiern?“ wollte Diego wissen.
Marietta hickste.
„Oder zu betrauern?“
„Den Verlust meiner Jugend“, kam es von der Frau.
Diego runzelte die Stirn. So alt würde er sie gar nicht einschätzen. Er brachte sie an die Haustür und es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis Marietta den Schlüssel gefunden hatte. Diego dachte daran, sie jetzt einfach stehen zu lassen, aber schon nach den ersten Treppenstufen, die sie nahm, wurde ihm klar, dass das kein gutes Ende nehmen würde. Jetzt wo er sich einmal damit einverstanden erklärt hatte, fühlte er sich doch irgendwie dafür verantwortlich, sie bis nach Hause zu bringen. Also griff er ihr erneut unter die Arme und bugsierte sie bis hoch zu ihrer Tür, wo er ihr den Schlüssel aus der Hand nahm, aufschloss und sie hineinbrachte. Die Tür knallte laut ins Schloss.
„So, da wären wir“, sagte Diego und sah sich um.
Es war ein sehr ordentlicher Haushalt. Der Flur war sehr schmal, gleich dahinter kam das Wohnzimmer mit zusammengelegter nobler Kochecke. Marietta zog sich die Hackenschuhe an und ließ sie liegen wo sie waren. Sie hustete, griff sich an den Mund und rannte dann schneller als Diego ihr in diesem Zustand noch zugetraut hätte, in ein weiteres Zimmer, wo er das Bad vermutete und übergab sich geräuschvoll. Diego wollte sich schon umdrehen und gehen, als er trippelnde Schritte hörte und ein kleiner Junge in seinem Sichtfeld erschien. Er trug dünne helle Sachen, die mit kleinen Löwen bedruckt waren. Im Arm hielt er ein merkwürdiges Tier, mit großen Augen, Ohren, Schnurrharen, Fell und einer grünen Latzhose.
„Du bist der Schlüsselmeister, oder?“
Diego runzelte die Stirn.
„So kann man das sagen, ja.“
Aus dem Bad kam lautes Würgen.
„Was ist mit Mami?“ fragte der Junge ängstlich.
Diego fühlte sich unbehaglich. In so einer Situation hatte er sich noch nie befunden. Wie war er da nur hereingeraten? Sollte er jetzt auch noch das Kindermädchen spielen? Genervt seufzte er. Was blieb ihm auch sonst übrig? Er wollte nicht, dass der Kleine seine Mutter so sah.
„Ihr ist nur schlecht. Morgen geht es ihr wieder besser. Leg dich wieder ins Bett.“
„Ich kann nicht schlafen.“
Es war eine einfache Feststellung, doch Diego wusste nicht, was er jetzt damit anfangen sollte.
„Und? Was soll ich da jetzt machen?“ fragte er.
Er kam sich ein bisschen so vor, wie damals, als ihn die Neuen in der Barriere fragten, wie sie es zu etwas bringen konnten. Manchmal hatte er den Eindruck gehabt, sie erwarteten von ihm, dass er ihnen ihren Arsch hinterhertrug. Ein bisschen Eigeninitiative konnte doch nicht schaden.
„Liest du mir vor?“ fragte der Kleine und riss Diego so aus seinen Gedanken.
Diego seufzte noch einmal, blickte zum Bad, wo immer noch würgende und spuckende Laute herkamen und ließ sich von dem Jungen zu seinem Zimmer führen. Er hatte gar nicht erwartet, dass es hier so viel Platz gab. Abgesehen von den Räumen, die er schon bemerkt hatte, gab es noch mindestens drei Weitere. Zu einem davon zog ihn der Junge. Ein Nachtlicht in der Form eines Mondes leuchtete und ließ das kleine Zimmer in gemütlichem Licht erstrahlen. An den Wänden befanden sich helle aufgemalte Sterne, überall lagen Spielzeug und Blätter mit gemalten Kritzeleien. Viele zeigten davon einen Mann und ein kleines Tier, ebenjenes mit grüner Latzhose bei verschiedenen Tätigkeiten. Angeln, Klettern, Baden oder einfach im Gras liegen. Es brauchte etwas Fantasie um das zu erkennen. Der kleine Junge kletterte in sein gemütliches Bett.
„So, da liegst du ja schon drin. Mach doch einfach die Augen zu und schlaf“, sagte Diego, der nicht so richtig wusste, was er da jetzt noch tun sollte.
„Kann ich nicht. Ich schlafe besser ein, wenn mir jemand vorliest.“
Diego verdrehte die Augen. Unter solchen Bedingungen wäre er als Kind wohl nie in den Schlaf gekommen.
„Was soll ich dir denn vorlesen?“ fragte Diego und sah sich im kleinen Zimmer um.
Der Junge streckte schon die kleine Hand aus und hielt ihm ein dünnes, abgegriffenes Buch hin. Diego griff danach und betrachtete es. Natürlich, auch da war dieses komische Latzhosentier mit dem alten Mann drauf. Der unfreiwillige Märchenonkel Diego seufzte erneut und ließ sich in den Sessel in der Zimmerecke fallen, der wohl allein zu diesem Zweck dort stand. Diego schlug das dünne Buch auf. Das Nachtlicht beleuchtete die Seiten, auf denen große, bunte Bilder zu sehen waren. Diego fing an zu lesen und der Junge kuschelte sich in sein Bett und hörte gespannt zu.* (https://www.amazon.de/Elchjagd-andere-Geschichten-Pettersson-Findus/dp/B00HVIH2KA/ref=sr_1_sc_1?s=books&ie=UTF8&qid=1524687081&sr=1-1-spell&keywords=h%C3%B6rbuch+petersson+elchjagd) Es sah ganz so aus als, als hätte er überhaupt keine Bedenken, dass da ein Mann, den er eigentlich kaum kannte, vorlas. Seine Mutter hatte ihn immer nett behandelt, also musste es ein guter Mensch sein, so war wohl die Logik. In der Geschichte ging es um das Latzhosentier namens Findus, das eine Katze war und den alten Mann Petersson. Eigentlich ging es um ganz banale Dinge wie Pilze suchen und die Flucht vor Wildtieren und Diego verstand nicht, warum er das überhaupt vorlesen sollte. Vielleicht war es ganz einfach so langweilig, dass jedes Kind freiwillig dabei einschlief. Das musste es sein! Er las und las und spähte immer wieder zu dem Kleinen hin, in der Hoffnung, er wäre endlich eingeschlafen. Doch der hielt sich hartnäckig, gerade so, als wollte er gar nicht einschlafen und viel lieber der Geschichte zuhören. Also las Diego immer weiter vor und die kleinen, unbedeutenden Abenteuer von Petersson und Findus nahmen ihren Lauf. Er blätterte gerade in dem Buch, um herauszufinden, wie viele Seiten es noch waren, da sah er, dass der Junge endlich eingeschlafen war. Diego atmete angestrengt aus, klappte das Buch zu und legte es auf den Sessel. Dann stand er auf und unter Aufbietung all seiner Schleichkünste stahl er sich zur Tür, um bloß kein Geräusch zu verursachen, dass den Jungen aufwecken könnte. Dann hätte er vielleicht wieder lesen müssen. Geschafft, endlich hatte er das Zimmer verlassen. Draußen begegnete er Marietta, die an der Wand lehnte und versonnen lächelte.
„Das hast du gut gemacht. Als ich mich einigermaßen wieder gefangen habe, musste ich doch sehen wo mein Kleiner abgeblieben ist. Hätte ich nicht gedacht, dass du ihm vorliest.“
„Tja, …“ war alles was Diego herausbrachte.
Er hätte das auch nicht geglaubt, wenn ihm das jemand erzählt hätte.
„Bist ein guter Kerl“, meinte sie. „Du hast mich hergebracht und meinem Sohn vorgelesen…“
Sie gähnte herzhaft.
„Ich könnte jetzt auch ins Bett gehen. Willst du mitkommen?“
Eispfötchen
10.05.2018, 07:39
Gorns erster Kampf fand in den späten Abendstunden in einer leeren Industriehalle statt. Die hohen Fenster waren so voller Staub und Dreck, dass es beinahe unmöglich war von draußen hineinzusehen. An den Decken hingen nur schwache Funzeln, die diffuses Dämmerlicht in den gigantischen Raum warfen. Das Gebäude bestand aus roten Steinen. Innen hatte sich die Farbe zu einem sehr erdigen Ton verändert. Die hohe Decke wurde von großen, eckigen Säulen gestützt, in die metallene Stege und Plattforme verankert waren. Dort hatten sich jetzt allerhand Schaulustige versammelt, um einen guten Blick auf den bevorstehenden Kampf zu haben. Andere Fans des rohen Faustkampfes hatten sich direkt um den Kampfbereich versammelt, um dem Geschehen so nah wie möglich zu sein. Der Kampfplatz war mit einer weißen Linie umzogen, die an jeder Ecke an eine Säule stieß. Gorn war erklärt wurden, dass es Ziel des Kampfes war, den Gegner zu besiegen, oder über die Linie zu treiben. Er war in seiner alten Söldnerrüstung erschienen, mit der großen Doppelaxt auf dem Rücken, da er davon ausging, dass es ein richtiger harter Kampf werden würde, so wie das bei myrtanischen Hinterhofkämpfen so üblich war. Die Umstehenden sahen voller Staunen zu ihm auf. Cem sprach mit Tyson in einer Ecke des Raumes. Der Verwalter der Kämpfer war ein stattlicher Kerl, mit noch dunklerer Hautfarbe als Gorn und einem sehr kantigen Gesicht, das aussah, als wäre sein Kiefer schon mehrmals gebrochen worden. Sie hielten in ihrem Gespräch inne und kamen jetzt eilig zu Gorn.
„He, was soll das denn?“ fragte Cem.
„Was?“ wollte Gorn wissen.
„Na, deine Aufmachung.“
Überflüssigerweise sah Gorn an sich herunter und fragte sich, was damit nicht stimmen sollte.
„Ich soll doch kämpfen, oder nicht?“ knurrte Gorn.
„Was glaubst du, was das hier ist, ein Gladiatorenkampf?“ fragte Cem verwundert, aber auch mit Schärfe in der Stimme.
„He, lass mal!“ hielt Tyson ihn zurück, denn ihm kam eine Idee. „Das ist gut, das ist sehr gut. So was kommt super beim Publikum an.“
Er breitete die Arme aus, um seine nachfolgenden Sätze zu unterstreichen.
„Gorn, der Gladiator, ja das ist gut. Wäre toll, wenn du vor dem Kampf noch mal richtig auf den Putz haust. Warte mal…“
Er sah sich schnell um.
„Ah, genau.“
Er lief kurz weg und kam mit einem alten massiven Metallarbeitstisch zurück. Er sah schwer aus, doch Tyson war kräftig und stellte den Tisch in Gorns Kampfecke.
„Wenn der Gegner in den Ring tritt, gibt es immer erst eine Vorstellung der Kontrahenten. Das ist alles Show fürs Publikum, damit ihnen auch was geboten wird und da kommst du ins Spiel. Du nimmst deine Axt und haust auf den Tisch ein. Wenn da eine tüchtige Kerbe entsteht, dann macht das ordentlich Eindruck.“
„Eine Kerbe?“ fragte Gorn verwundert.
Was glaubte dieser Mann, was er hier dabei hatte?
„So kannst du nicht kämpfen“, sagte Tyson und zeigte auf seine Rüstung. „Bei diesen Kämpfen wird nur mit natürlichen Waffen gerangelt. Die Rüstung muss weg, sonst wird keiner gegen dich kämpfen wollen, weil es nach Bevorteilung aussieht.“
„Die anderen haben wohl auch keine Rüstung?“ fragte Gorn skeptisch.
„Nein, natürlich nicht.“
Tyson sah nachdenklich aus. Er hatte schon wieder die nächste Idee wie er den Kampf zur Show machen könnte, noch bevor er überhaupt angefangen hatte. Abermals verschwand er in der Menge.
„Lass dich nicht unterkriegen. Ich hab viel Geld auf dich gesetzt“, sagte Cem.
„Na hier, dann setzt auch noch ein bisschen was mehr“, sagte Gorn und zog ein fettes Bündel Geldscheine hervor.
„Gib das Tyson, wenn … ah, da ist er schon.“
Der Kampfausrichter kam in der Begleitung von zwei hübschen, gewagt gekleideten jungen Frauen zurück. Er grinste breit und sagte laut: „Die beiden Schnecken werden dir aus deiner Rüstung helfen.“
An die Frauen gewandt, sagte er: „Wartet dort in der Ecke. Ich sage jetzt Gorn an, dann schwingt er seine Axt und anschließend geht er in die Ecke zurück, wo ihr ihm dann aus seinen Klamotten helft.“
Er steckte ihnen etwas Geld zu. Die Frauen nickten und sahen neugierig zu Gorn, der verwundert zurück blickte. So ganz verstand er noch nicht, was das hier alles sollte, aber er vertraute darauf, dass Tyson ein erfahrener Kampfausrichter war und wusste wie die Dinge hier liefen.
„Ich will auf mich wetten“, erklärte Gorn.
„Auf dich selbst? Na gut, her damit“, forderte Tyson, blickte in die Runde und fragte laut. „Noch andere letzte Wetteinsätze?“
Vereinzelt drängelten sich noch ein paar Spätzünder durch und gaben ihre Einsätze ab. Dann trat Tyson zu eine der Säulen an den Rand, außerhalb des Ringes, wo ein stabiler Tisch stand. Dort kletterte Tyson hinauf und brüllte in die Runde: „Gleich geht’s hier rund. In der linken Ecke darf ich einen Neuzugang vorstellen: Gorn, den Gladiatoren.“
Der Krieger trat vor, schwang seine riesige Axt und ließ sie auf den Metalltisch krachen. Der brach mittendurch. Das Publikum hielt die Luft an. Selbst Tyson war sprachlos. Diejenigen, die mit ihrem Smartphone gefilmt hatten, freuten sich diebisch und sagten ihren Nachbarn wo sie es demnächst im Internet hochladen würden. Weitere Smartphones wurden gezückt. Gorn schulterte seine Axt wieder und ging in seine Ecke zurück, wo die beiden Frauen sich jetzt näherten. Gorn musste ihnen sagen wie sie die Riemen und Verschlüsse lösen sollten. Die Frauen sahen etwas verunsichert aus. Anfangs zitterten ihre Finger und es wollte ihnen nicht so ganz gelingen. Sie warfen Gorn ängstliche, aber auch bewundernde Blicke zu und umso mehr sie von seiner Rüstung entfernten, umso mehr bewunderten sie ihn. Auch das Publikum war beeindruckt von Gorns Muskelbergen und einige Frauen johlten anerkennend. Zwei dicke Typen hievten die Tischreste angestrengt weg. Währenddessen fuhr Tyson mit dem Programm fort.
„Und in der rechten Ecke der beliebte wilde Willi.“
Der wilde Willi wirkte gar nicht so wild. Im Gegenteil, der durchtrainierte, aber eher sehnige Mann sah gar nicht so aus, als wäre er scharf auf einen Kampf. Ganz vorsichtig stieg er in den Ring und wollte sich Gorn partout nicht nähern. Tyson warf ihm einen strengen Blick zu und Willi fügte sich in sein Schicksal. Willi trug ein dünnes gelbes Hemdchen und eine kurze rote Hose. Nicht gerade die richtige Ausrüstung für einen Kampf, fand Gorn, aber er war ja hier in einem fremden Land, da gab es wohl einfach andere Gebräuche. Sie standen sich jetzt gegenüber und warteten auf Tysons Signal.
„Der Kampf möge beginnen“ rief der Kampfausrichter laut.
Gorn wollte erst mal warten wie das hier so lief, hob die Hände zur Abwehr und wartete darauf, dass Willi angriff, doch dazu kam es nicht. Willi tänzelte um ihn herum und traute sich gar nicht ihm eine zu langen.
„Willi, Willi, Willi“ drang es von seinen Fans aus der Menge, die versuchten ihn zum Angriff zu bewegen.
Vielleicht wollten sie auch einfach nur sehen, wie er ein paar Ohrfeigen kassierte. Gorn dauerte das zu lange. War das jetzt ein Kampf oder was? Er langte zu. Willi versuchte seinen Angriff abzublocken, doch seine Blockade wurde einfach durchbrochen. Links und rechts bekam der kleinere Mann ein paar Klatscher gegen den Kopf. Willi brach taumelnd zusammen. Gorn schaute verdutzt. Sollte es das schon gewesen sein?
„Steh auf, du fauler Sack!“ brüllte Tyson, der wohl ähnlich dachte.
Das Publikum zählte runter: „10, 9, 8, 7, 6…“
Da war Willi wieder auf den Beinen. Seinerseits griff er jetzt an. Er war flink, dass musste Gorn ihm lassen. Der Krieger schaffte es nicht immer ihn mit seinen Armen abzublocken, doch musste er zugeben, dass das auch nicht unbedingt nötig war. Willis Schläge trafen nur auf harte, angespannte Muskelstränge. Wer gewohnt war Orkangriffe auszuhalten konnte über solche Treffer nur lachen. Für Gorn war das kein richtiger Kampf. Wo blieb die Herausforderung? Besser er beendete dieses Trauerspiel. Als Gorn einen gut gesetzten Schlag in Willis rechte Seite ausführte, merkte er wie etwas unter seinem Angriff riss. Oh, das war wohl die Leber gewesen. Willi erblasste und fiel um wie ein nasser Sack. Wieder zählte das Publikum runter.
„10, 9, 8, 7 , 6, 5, 4, 3, 2, 1, aus!“
Der Kampf war vorbei, aber Willi blieb immer noch liegen. Tyson pfiff laut und die zwei dicken Kerle kamen angewatschelt.
„Kratzt den vom Boden ab und legt ihn da hinten irgendwo in eine Ecke. Wenn der Kampf heute vorbei ist, kümmern wir uns um seine Versorgung.“
Er drehte sich wieder zur Menge und sagte: „Gladiator Gorn ist klarer Sieger.“
Das Publikum jubelte laut. Willis ehemalige Siege schienen längst vergessen.
„Der nächste Kampf…“
Gorn war überrascht, aber ihm konnte es nur recht sein. Hoffentlich würde sein nächster Gegner fordernder sein.
„… findet zwischen dem siegreichen Gorn und Ivan dem Zerstörer statt.“
Das Publikum das bereits tobte, geriet jetzt völlig aus dem Häuschen. In die rechte Ecke trat nun ein Hühne von Mann mit kräftigen Armen und kantigem Kiefer.
„Und los!“ sagte Tyson nur und die beiden Männer starteten beide einen Rammangriff.
Sie hatten Ähnlichkeit mit zwei Dickhornschafen, die sich gegenseitig aus dem Weg rammen wollten. Dumpf prallten sie aufeinander und Ivan griff sich Gorns rechte Hand und wollte sie nach hinten drücken. Gorn konnte sich befreien, indem er seinen Arm gewaltsam herumdrehte und den großen Ivan über seinen Rücken rollen ließ. Damit hatte sein Kontrahent wohl nicht gerechnet. Er gab Gorn was aufs Dach, doch der fiel nicht um, was Ivan sichtlich verblüffte. Gorn nutzte den Moment aus und verpasste ihm einen Satz warmer Ohren. Ivan wollte sich revangieren, doch Gorn fing seinen Angriff mit den Armen ab und stieß ihn zurück. Ivan taumelte, fing sich aber noch ab. Er wartete auf Gorns nächsten Angriff. Der Krieger wollte ihm mit seiner rechten Faust mitten ins Gesicht schlagen, doch Ivan fing seinen Arm mit dem linken Unterarm ab, schlug ihn hoch, legte dann seinerseits seinen linken Arm in Gorns Nacken und hielt ihn fest, wehrte Gorns linke Hand mit rechts ab und führte dann einen Dampfhammerangriff auf. Drei Mal schlug Ivan mit der Handkannte seiner geballten Faust mit voller Wucht auf Gorns Schädel, dann schlug er ihm zwei Mal mit dem Ellenbogen ins Gesicht, nahm den nun benommenen Gorn an den Schultern und rammte ihm mehrmals das Knie in den Bauch, dann schubste er ihn auf den Boden.
„10, 9, 8, 7 …“
Gorn wäre nicht Gorn, wenn er einfach liegen bleiben würde. Er schüttelte seinen benommenen Kopf und richtete sich mühsam wieder auf. Sein Schädel dröhnte, als hätte ihm ein Troll einen Schwinger verpasst. Noch im Aufstehen lief er los, rannte den verdutzten Ivan um, warf ihn zu Boden, setzte sich auf ihn und hieb mit seinen Fäusten auf sein Gesicht ein. Ivan versuchte ihn abzuwehren, gab ihm einen Hieb auf die Nase und sofort schoss Blut daraus hervor. Längst hatte der Kampf Kneipenschlägereicharakter, aber Gorn sah da keinen Unterschied. Der Menge war es wohl auch egal, angestachelt grölten und brüllten sie, feuerten mal den einen, dann wieder den anderen an, vollkommen egal, Hauptsache es gab so richtig was aufs Dach. Gorn und Ivan standen sich jetzt wieder gegenüber und funkelten sich aus halb zugeschwollenen Augen an. Wie auf ein unausgesprochenes Stichwort gingen sie wieder aufeinander los und Gorn versetzte Ivan einen kampfentscheidenden Schwinger gegen die linke Schläfe. Ivan klappte zusammen und blieb am Boden liegen. Das Publikum zählte wieder runter und Tyson erklärte Gorn zum Sieger. Lauter Jubel brandete auf. Die Zuschauer hüpften und sprangen aufgeregt herum, bejubelten Gorn und aus unerklärlichen Gründen sich gegenseitig. So einen Kampf hatte es lange nicht mehr gegeben und das Publikum war schier begeistert. Tyson kam von seinem Tisch herunter und klopfte Gorn auf die schweißnasse Schulter und reichte ihm ein dickes Bündel Geldscheine.
„Gut gemacht, du wirst es weit bringen. Du wirst noch eine richtige Berühmtheit.“
Ivan richtete sich mühsam auf und überrascht sah Gorn wie er auf ihn zu kam und ihm die Hand reichte. Verwunderte schüttelte er sie und Ivan sagte mit tiefer Stimme und breitem Akzent: „Komm, lass einen trinken gehen.“
Wenig später saßen die beiden in einer Kneipe und kippten sich Bier hinter die Binde. Das war in diesem Fall tatsächlich wörtlich zu verstehen, denn sie hatten sich behelfsmäßig verbunden, damit ihre Wunden nicht so stark nässten. Gorn hatte die erste Runde ausgegeben. Er wischte sich Schaum vom Mund und sagte: „War ein guter Kampf, muss schon sagen, du hast einen ordentlichen Schlag drauf Ivan.“
Ivan sah ihn kurz an, senkte dann den Blick zu seinem leeren Bierglas und sagte: „Eigentlich heiße ich gar nicht Ivan. Das hat sich Tyson einfallen lassen. Ist gut für die Show, sagte er. Richtig heiße ich Stanislaus.“
Er wischte sich über den Mund und fuhr dann fort: „Bei Tyson musst du aufpassen. Ihm ist egal was mit dir ist, der denkt nur an Kohle.“
Gorn wiegte nachdenklich seinen Kopf. Das würde er sich merken. Er ging fest davon aus, dass Tyson sie im Kampf gegen Miftah unterstützte. Wenn nicht … Tatsächlich wusste Gorn nicht, was er tun würde, wenn Tyson sein Versprechen brach, aber er rechnete damit, dass es der Held wusste und das genügte ihm. Stanislaus erzählte ihm, dass er als junger Mann aus seiner Heimat weggezogen war, weil er hoffte hier gutes Geld zu verdienen. Er hatte aber nicht einmal einen richtigen Schulabschluss. Für Menschen wie ihn, war die Zukunft nicht so rosig.
„Eigentlich kann ich froh sein, dass ich für Tyson kämpfen darf. Ich verdiene mehr Geld, als ich als Feldarbeiter oder Fabrikarbeiter bekommen würde, aber so hatte ich mir mein Leben auch nicht vorgestellt.“
Stanislaus ließ den Kopf hängen. Gorn verstand nicht ganz worüber er sich beschwerte. Für ihn gehörte Kämpfen einfach zum Leben dazu und so schlecht war das Leben hier doch nun wirklich nicht.
„Lass den Kopf nicht hängen, sieh es doch mal positiv. Es könnte schlimmer sein. Du könntest in einem Land leben, wo eine Hungersnot ausgebrochen ist, wilde Tiere und feindliche Armeen dein Leben bedrohen.“
Stanislaus sah ihn überrascht an, dann dachte er darüber nach und sagte: „Ja, da hast du wohl Recht. Ich sollte nicht so negativ sein. Weißt du was? Ich geb auch einen aus, aber diesmal Wodka.“
Stanislaus knallte einen Schein auf die Theke. Der drahtige Wirt kam herbei, holte eine Flasche und griff nach kleinen Gläsern, die er auf die Theke stellte.
„Nein, vergiss das kleine Zeug, schütt es hier rein“, verlangte der Kämpfer und zeigte auf die großen Biergläser.
Der Wirt bekam große Augen.
„Aber das geht doch nicht“, protestierte er.
„Was geht nicht?“ fragte Stanislaus und blickte finster.
Der Wirt sah von ihm zu Gorn und entschied wohl, dass er keine Hilfe von ihm bekommen würde.
„Na schön, kostet aber mehr.“
„Kannst den Schein behalten“, knurrte Stanislaus.
„Aber …“ protestierte der Wirt, da das nicht ansatzweise ausreichte um die Kosten zu decken.
Ein weitere Blick und es kamen keine weiteren Widerworte. Er kippte den Wodka einfach in die Biergläser und verschwand dann eilig.
„Na dann, zum Wohl“, sagte Gorn und hob seine Portion hoch.
Stanislaus prostete ihm zu und hob das Glas dann an die Lippen. Mit einem Zug hatte er es zur Hälfte geleert. Gorn wollte es ihm gleichtun, doch ein überraschend beißendes Brennen ließ ihn innehalten. Überrascht setzte er das Glas ab und sah hinein. Er hatte kaum drei Schlucke getan.
„Was ist das denn für ein Zeug? Da stellen sich mir ja die Nackenhaare auf.“
„Stark, was? Ist gutes Zeug, nicht so ein billiger Fusel.“
Stanislaus grinste dümmlich, woran vielleicht der Alkohol Schuld war und setzte das Glas erneut an die Lippen. Gorn hob eine Augenbraue und folgte seinem Beispiel. Jetzt wo er schon auf das Brennen gefasst war, kam er besser damit klar und zeitgleich mit seinem ehemaligen Gegner stellte er sein nun leeres Glas auf der Theke ab.
„Hu, das haut echt rein“, sagte Gorn, denn schon bemerkte er die ersten Auswirkungen des Trunks.
„Ja, was? Haut voll rein“, wiederholte Stanislaus und sein Grinsen offenbarte einige Zahnlücken. „Ich weiß was wo wir noch hingehen könnten, komm mal mit.“
Sie verließen die Kneipe und Stanislaus führte Gorn zu einem Bordell. Grüner Rauch wallte in der Luft. Einige Prostituierten rauchten dort und bei ihnen war: „Lester.“
Gorn tapste zu ihm. Er schrieb es dem Alkohol zu, dass er ihn erst jetzt erkannt hatte.
„Was machst du denn hier?“
Lester sah ihn überrascht an.
„Sumpfkraut verkaufen, was sonst?“
Er sah besorgt aus.
„Naja und eigentlich wollte ich auch Informationen einholen, aber Gino hat seinen Mädels verboten mit mir zu sprechen.“
„Tut uns Leid Lester“, sagte Olga, die Prostituierte, die neben ihm stand, betroffen. „Wir würden ja gerne, aber Gino hat gesagt, dass er zu drastischen Maßnahmen greift, wenn wir dir was über Miftahs Schweine vorsingen.“
„Schweine? Singen?“
Gorn hatte Probleme die Zusammenhänge zu verstehen. Sein Kopf fühlte sich benommen an und es war schwer einen klaren Gedanken zu fassen.
„Miftahs Leute“, erklärte Lester. „Eigentlich muss ich jetzt was machen… irgendein Zauber oder so, aber mit einer einfachen Windfaust wird es wohl nicht getan sein und Pyrokinese will ich nicht einsetzen wenn es nicht unbedingt sein muss.“
„Behandelt er euch immer noch so schlecht?“ wollte auf einmal Stanislaus wissen.
„Nichts hat sich geändert, Stani“ sagte jetzt Natascha und stemmte die Hände in die Hüften.
Die Nutte kannte den Kämpfer wohl etwas besser.
„Komm Gorn, wir gehen jetzt da rein und hauen alles kurz und klein und dann werden wir ja sehen, ob Gino seine Meinung ändert“, sagte der enthemmte Stanislaus und ging schnellen Schrittes in den Puff.
Gorn kratzte sich am Bart, versuchte vergeblich einen klaren Gedanken zu fassen und folgte seinem neuen Kumpanen dann einfach. Lester stand immer noch unschlüssig bei seinen beiden Kundinnen. Er überlegte, ob er seinem Freund folgen sollte, als er aber dann von drinnen lautes Krachen, Schreie, Brüllen und Schläge hörte, entschied er sich doch dagegen. Stattdessen zog er eine weitere Schachtel Sumpfkraut hervor.
„Auch noch eine, Mädels?“
Natascha und Olga, die besorgt zum Bordell schauten, wandten sich jetzt wieder zu ihm um und griffen zu.
„Danke Lester, du bist der Beste.“
Natascha lächelte ihn an. Ganz so, als wäre alles wie immer, standen sie da und pafften vergnügt, während drinnen scheinbar die gesamte Einrichtung zerlegt wurde. Es dauerte einige Zeit, aber schließlich wurde es doch ruhiger und Lester warf seinen Sumpfkrautstummel auf den Boden.
„Ich seh mal nach wies Gino geht.“
Er ging durch die Tür. Innen schlug ihm Chaos entgegen. Einige Männer, vermutlich Gäste oder vielleicht auch Angestellte, lagen bewusstlos zwischen Glassplittern von zertrümmerten Lampen und kaputten Stühlen oder Hockern, auf dem Boden. Jeder hatte Kampfspuren vorzuweisen, sei es ein zugeschwollenes Auge, eine blutige Lippe oder auch nur einige Flecken, wobei die Farbpalette von Gelb, über Grün, bis hin zu dunkelviolett reichte. Von den hier arbeitenden Frauen war keine zu sehen, vielleicht waren sie die Treppe hinauf in die anderen Räumlichkeiten geflohen. Lester fand Gorn und seinen neuen Freund bei der Bar, wo Gino in einem Scherbenhaufen aus zerstörten Flaschen mit vormals alkoholischem Inhalt lag. Er hatte einige üble Schnittwunden an den Armen und eine gebrochene blutige Nase. Krampfhaft hielt er sich einige Rippen. Vermutlich waren sie gebrochen. Mehr als Drohung kramte Lester seine Windfaust Rune hervor und ließ sie in seiner Hand schweben.
„Reicht es dir jetzt, oder willst du noch einen Nachschlag?“ fragte Lester.
Gino sah mit geweiteten Augen erst zu Lester, dann auf die Rune und gleich darauf zu Gorn und Stanislaus.
„Ich pack ja aus, ich pack ja aus.“
„Und behandel die Mädels besser“, röhrte Stanislaus, griff nach einer Flasche, die noch nicht kaputt war, öffnete sie grob und kippte den Alkohol seine Speiseröhre hinunter.
Gino nickte eifrig und begann eilig zu erzählen.
„Miftahs Männer waren hier und haben Stunk gemacht. Sie haben mir gedroht, sollte ich euch etwas erzählen, würde er mich verschwinden lassen, aber so wie es im Moment aussieht, ist das bei euch auch nicht anders zu erwarten. Miftahs Männer kommen oft hierher und hin und wieder rutscht ihnen auch das eine oder andere heraus.“
„Aha, und was zum Beispiel?“ fragte Lester neugierig.
„Wo sie ihre Drogen verkaufen, dass sie drei Köche haben, die bestens bewacht sind, verschiedene Kontakte in die unterschiedlichen Szenen, sowas eben.“
„Ich hab da eine ganz tolle Idee“, grinste Lester. „Mach doch mal eine Liste. Schreib alles auf, was du weißt!“
Eispfötchen
09.06.2018, 10:37
Der nächste Morgen war mit einem hellen Schimmer am Horizont zu erahnen. Im Versteckt herrschte rege Betriebsamkeit. Von Cem hatten sie zwei Plastikfässer bekommen und Annette hatte die Plastikanzüge und die Flusssäure organisiert. Sie wollte nicht über die Herkunft der kleinen milchigen Kanister sprechen. Nachdem sie die Säure abgeliefert hatte, verschwand sie auch eiligst wieder nach oben. Der Held konnte sich denken, dass sie beim zerhacken der Leichen nicht unbedingt dabei sein wollte. Es war nötig, denn die Behälter waren nicht groß genug, um die Leichen anders hineinzubekommen.
„Sie ist eben eine Frau“, sagte Diego weise. „Die meisten wollen mit sowas nichts am Hut haben.“
„Wollen? Also wenn ich ehrlich bin, will ich mit sowas auch nichts am Hut haben. Ich könnte mir besseres als das hier vorstellen“, sagte Lester, der gerade die Plastikbehälter neben die Leichen hievte.
"Und was ist, wenn es nicht funktioniert?"
Der Held trat zu ihm, klopfte ihm kumpelhaft auf die Schulter und sagte: "Mach dir keine Sorgen, alles wird gut."
Das beruhigte Lester anscheinend. Elyas hatte den Morgen damit verbracht den Keller mit Zeitungen auszulegen. Die sollten Körperflüssigkeiten auffangen. Der Held wunderte sich darüber. Klar, wenn er Leute aufgeschlitzt hatte, dann war da hinterher auch Blut, aber bisher war es ihm egal gewesen, da er sowieso nicht lange an Ort und Stelle blieb. Die Leichen sahen jetzt irgendwie auch anders aus und Elyas erklärte das mit dem Einsetzen der Fäulnis. Es sei höchste Zeit die beiden verschwinden zu lassen. Lester und Elyas zogen sich umständlich die Plastikklamotten an.
„In der Serie sah das nicht so kompliziert aus“, konstatierte Elyas.
„Kann es losgehen?“ wollte Gorn wissen, der mit seiner riesigen Axt bereit stand, um die Leichen zu zerteilen.
Er hatte mächtig Kopfschmerzen und wollte die Arbeit am liebsten so schnell wie möglich erledigt haben.
„Ja, kann losgehen“, kam es gedämpft von Lester und Elyas.
Gorn schwang seine Axt und mit einem Krachen und Spritzen wurde die erste Leiche ohne Probleme in zwei Hälften geteilt. Ein weiterer Schwinger und Nummer zwei ereilte das gleiche Schicksal. Gorn und der Held wuchteten daraufhin die vier Stücke in die Plastikbehälter und entfernten sich dann. Jetzt nahmen Lester und Elyas die Kanister mit der Säure zur Hand, schraubten sie auf und gossen die Säure in die Behälter, wobei sie darauf achtgaben nichts zu verschütten. Es gluckerte und blubberte und verströmte einen unangenehmen Geruch. Vielleicht war es das Fleisch, das sich langsam aufzulösen begann.
„Deckel zu“, sagte Elyas und Lester tat es ihm nach.
Es klappte laut und die Behälter waren verschlossen.
„Was macht ihr denn hier?“ kam eine Stimme von der Tür her.
Es war Milten, der gerade eingetreten war, aber nicht, ohne den Skeletten an der Tür einen argwöhnischen Blick zuzuwerfen. Dann sah er verwundert auf den merkwürdigen Anblick, der sich ihm bot.
„Ach, wir lassen nur ein paar Leute verschwinden“, sagte der Held, so als wäre es das normalste der Welt.
Milten blieb abrupt stehen, sah ihn erschrocken an und fragte noch einmal fassungslos mit unnormal hoher Stimme: „Was macht ihr?“
Dem Helden dämmerte, dass ihre Arbeit wohl nicht mit seinen moralischen Vorstellungen übereinstimmte. Doch schnell ließ er sich etwas einfallen.
„Das waren Banditen. Ganz miese Schweine. Sie sind hier eingedrungen und wollten Lester abmurksen.“
Argumente wie diese hatten bisher immer gezogen. Milten sah trotzdem noch blass und beunruhigt aus. Er warf wieder einen weiteren skeptischen Blick zu den Skeletten.
„Und die haben sie getötet, oder?“
„Genau, wenn sie nicht da gewacht hätten, wäre Lester vielleicht verletzt wurden.“
Lester verzichtete gekonnt darauf hinzuweisen, dass er zu dem fraglichen Zeitpunkt gar nicht anwesend war, denn das hätte ja die Argumentation des Helden entkräftet und er wollte ihm nicht in den Rücken fallen. Trotzdem war Milten anscheinend immer noch nicht überzeugt davon, dass den Skeletten zu trauen war. Er wandte sich jetzt von ihnen ab und trat zu den Behältern.
„Und …“
Milten schluckte mühsam.
„Die sind jetzt da drin?“
Seine Stimme ließ ganz deutlich werden, dass er so gar nicht mit der weiteren Aufbewahrung der toten Körper einverstanden war, auch wenn es sich um Banditen handelte.
„Die müssen verschwinden Milten, sonst sitzt uns die Miliz irgendwann im Nacken“, erklärte Diego, der die Arme verschränkt, wie ein Fels in der Brandung da stand.
Er strömte unnachgiebige Entschlossenheit aus. Milten erkannte schnell, dass an dieser Lösung des Problems nicht mehr zu rütteln war. Er wusste, er hatte einige Tage keine Zeit gehabt, um hier nach dem Rechten zu sehen, aber diese Entwicklung hatte er nun wirklich nicht erwartet. Er umrundete die Fässer und versuchte mit dem Gedanken klar zu kommen, dass sich darin tote Körper befanden.
„Wie habt ihr die überhaupt da reinbekommen?“
„Zerhackt“, sagte Gorn vorschnell, obwohl Diego ihm einen warnenden Blick zuwarf.
Milten verzog angewidert das Gesicht. Handlungen wie diese machten es ihm sehr schwer weiterhin zu seinen Freunden zu stehen. Lester merkte wohl was in ihm vorging, denn er versuchte seinen Freund zu beruhigen.
„Sieh mal, es musste sein. Irgendwo müssen die ja hin und auf einem Friedhof hätte jemand gemerkt, wenn da auf einmal zwei neue Leichen verscharrt wären. Ich hab das auch nicht gern gemacht.“
„Jemand könnte sie immer noch finden“, gab Milten zu bedenken.
„Nein, könnten sie nicht“, entgegnete Elyas gedämpft. „Wir haben die Tonnen mit Flusssäure gefüllt. Die löst die Leichen auf und später ist nichts mehr übrig.“
Milten wandte erschüttert das Gesicht ab und schloss die Augen. Einen Moment stand er einfach nur da und seine Freunde fragten sich besorgt, ob sie jetzt vielleicht doch den moralischen Bogen überspannt hatten. Dann öffnete Milten wieder die Augen und fragte unvermittelt: „Was zersetzt diese Säure denn noch?“
Elyas antwortete überrascht: „Sehr viel: Keramik, Holz, sogar Metall.“
Beim letzten Wort leuchteten Miltens Augen auf. Darauf hatte er wohl gehofft. Der Held schaltete blitzschnell, denn er konnte sich denken was dem Feuermagier jetzt durch den Kopf ging.
„Kommt nicht in Frage.“
Milten sah ihn an, sowohl bittend, als auch entschuldigend.
„Du weißt doch was das heißt, oder? Wir könnten die Klaue Beliars zerstören. Sieh mal, sie bringt doch nur Unglück über die Welt. Ich weiß, du hast viele Gegner nur mit ihrer Hilfe bezwingen können, doch du kannst nicht leugnen, dass sie einen schlechten Einfluss auf dich hat.“
„Ist mir egal, ich geb‘ sie nicht her“, wehrte der Held jegliche Diskussion darüber von vornherein ab, verschränkte die Arme und sah Milten nicht mehr an.
Diego und Gorn warfen sich einen Blick zu. An die Klaue Beliars hatten sie in letzter Zeit gar nicht mehr gedacht, vielleicht weil der Held sie derzeit nicht trug. Doch Lester war es wohl nicht entfallen, denn er sagte: „Ach komm, du könntest wenigstens darüber nachdenken. In Myrtana fällt mir kein Ort ein, an dem das Schwert wirklich sicher wäre, oder wie man es sonst vernichten könnte. Immerhin ist es ein göttliches Artefakt.“
Elyas sah von einem zum anderen und fragte sich, worum es eigentlich ging.
„Was für eine Klaue?“
Doch die anderen beachteten ihn gar nicht weiter.
„Man könnte das Schwert auch einfach im Meer versenken, wenn es doch zu gefährlich würde“, argumentierte der Held, ohne es wirklich in betracht zu ziehen.
„Als ob du das zulassen würdest“, entgegnete Lester.
Es war nicht leicht für ihn seinen Freund zu etwas zu überreden, was er nicht wollte, aber auch er war davon überzeugt, dass das Schwert eine Gefahr war und seinen Freund negativ beeinflusste. Er glaubte, dass es schon allein einen positiven Effekt hatte, dass er das Schwert jetzt nicht trug. Ihm kam er jetzt viel fröhlicher und weniger aggressiv vor, als zuletzt in Myrtana. Doch der Held ließ nicht mit sich reden. Er würde das Schwert niemals freiwillig hergeben und es kam ihm ein schrecklicher Verdacht.
„Und wenn ihr daran denkt es mir zu klauen, dann blüht euch nicht nur ein Satz warmer Ohren.“
Drohend funkelte er die anderen an und zum ersten Mal waren sie wirklich beunruhigt. Selbst während des Theaterstücks hatten sie sich nicht so gefühlt. Sicher, er hatte die Skelette, den Dämon … und den Golem auf sie gehetzt, aber nicht mit der wirklichen Absicht sie zu verletzten. Jetzt sah es dagegen anders aus. Er hatte eine klare Linie gezogen und wenn sie diese überschreiten würden, dann würde ihre Freundschaft unbarmherzig untergehen. Beklommen sahen sie sich an. Milten und Lester war jetzt klar, dass sie mit ihren Befürchtungen Recht hatten und sie das Schwert wirklich schnellstmöglich loswerden mussten, bevor es noch schlimmer werden würde. Gorn und Diego wollten dagegen einfach nur, dass ihre Gemeinschaft zusammenhielt.
„Keiner nimmt dir das Schwert weg, ok?“ versuchte Gorn die Wogen zu glätten, denn die Streiterei verschlimmerte seinen Kopfschmerz noch mehr.
Seine tiefe Stimme wehte durch den Keller und schien nachzuhallen.
„Ja, mir egal, ob du es hast, oder nicht“, stimmte Diego zu, auch wenn es nicht gänzlich überzeugend klang.
Prüfend warf der Held Lester und vor allem Milten einen scharfen Blick zu.
„Ja, ist gut, wenn es dich glücklich macht“, sagte Lester, doch der Held konnte nicht sagen, ob er ihm glauben sollte.
Bei Milten war er besonders unsicher. Der Magier sah ihn zutiefst beunruhigt an und brachte zuerst überhaupt kein Wort heraus. Hörbar stieß er die Luft aus und sagte: „Du … ähm…“
Er verstummte wieder, versuchte Worte zu finden und setzte dann erneut an: „Ich hätte nie gedacht, dass du so etwas sagen würdest. Sind wir dir etwa wirklich nicht wichtiger als das Schwert?“
Der Blick des Helden büßte seine Härte ein. Er gab seine ablehnende Haltung auf und fuhr sich mit der linken Hand in den Nacken.
„Doch, natürlich seid ihr mir wichtiger, aber ich möchte auch nicht, dass ihr es mir stehlt. Ich habe hart dafür gekämpft und genug geblutet. Ich lass es mir nicht mehr wegnehmen.“
„Das hat auch keiner vor“, bekräftigte Gorn noch einmal und warf jetzt seinerseits warnende Blicke zu seinen Freunden, damit das Thema endlich durch war.
Als keiner mehr etwas sagte, nickte er zufrieden und erhob erneut die Stimme: „So, werden wir jetzt die Fässer los, oder was?“
„Klar“, sagte Elyas, der zwar nicht den Inhalt, aber die aufkochenden Gefühle des Streits mitbekommen hatte und froh war, dass sich seine Geschäftsbeziehungen nicht aufzulösen begannen.
Er zog sich den unangenehmen Anzug aus und bedeutete Lester es ihm gleich zu tun. Jetzt mussten sie die Fässer die Treppe hinauf ins Erdgeschoss hochhieven. Für Gorn und den Helden war das aber kein Problem.
„Ich fahr das Zeug zu Cem. Der hat hin und wieder jemanden da, der besonderen Müll abholt. Wäre gut, wenn du mir helfen könntest.“
Er sah zu Gorn, der nickte. Miltens Blick hatte sich hingegen beim Wort „Müll“ erneut verdüstert. Elyas fuhr sein Auto bis an die Tür heran, legte die Rückbank um und sie hoben das Gefahrgut in den Wagen. Dann fuhren Gorn und Elyas los. Einen Moment standen die anderen einfach nur in der Tür und sahen ihnen nach, dann klatschte der Held in die Hände und fragte: „So, was liegt sonst noch an?“
„Mir hat’s für heute gereicht“, kam es von Lester, der sich ins nächste Zimmer schleppte und dort mit einem „Uff“ auf einen Stuhl fallen ließ.
Routiniert griff er in seine Tasche, um ein neues Päckchen Sumpfkrautstengel zu öffnen und sich einen davon anzuzünden. Der Held wollte sich gerade umdrehen und woanders hingehen, als er Annettes Stimme hörte: „Es ist fertig.“
Die anderen sahen zu ihr hin, um zu sehen was denn fertig war. Die junge Frau kam mit einem Blech in den behandschuhten Händen aus der Küchenzeile.
„Was ist das?“ fragte Lester erstaunt.
„Was das ist? Na Kekse“, sagte Annette, doch nicht ganz so selbstsicher wie sonst.
Es sah ganz so aus, als würde sie ihre Arbeitgeber auf einem möglichst hohen Zufriedenheitslevel halten wollen, nachdem was sie heute mit angesehen hatte.
„Langt kräftig zu, es ist genug da“, sagte sie und hielt ihnen das Tablet hin.
Die Männer nahmen vorsichtig je einen Keks herunter, um sich nicht am heißen Blech zu verbrennen. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Diego und der Held fanden den Geschmack wohl ganz in Ordnung, Milten sah nach dem ersten Bissen jedoch skeptisch auf seinen Keks und Lester wirkte ganz angetan.
„Das schmeckt ausgezeichnet“, sagte er fröhlich.
Annette freute sich sichtlich über dieses Lob.
„Mir kommt irgendwas im Geschmack bekannt vor“, sagte der Held und dachte angestrengt nach.
„Ich hab Sumpfkraut hineingemischt“, sagte die Frau unumwunden.
Lester strahlte.
„Was für eine tolle Idee.“
Milten sah aber gar nicht so aus, als würde er das für eine „tolle Idee“ halten. Er verzog den Mund und legte den angebissenen Keks auf ein altersschwaches Regal neben sich.
Diego sah aber auch angetan aus.
„Die lassen sich bestimmt gut verkaufen. Guter Geschmack und da es keine gewöhnlichen Kekse sind, haben sie immer noch einen gewissen Effekt. Die Kunden werden sie lieben und das Beste: Von außen ist überhaupt nicht erkennbar, dass es besondere Kekse sind.“
Er dachte weiter nach und rieb sich über den Schnurrbart.
„Hm… jetzt sind Gorn und Elyas schon weg, sonst hätten wir ihnen sagen können, dass sie Cem fragen sollen, ob er diese Kekse in sein Angebot mit aufnimmt.“
„Kein Problem, dazu gibt es doch Smartphones“, erklärte Annette, zog ihr Kommunikationsgerät und gleich darauf hielt sie es in Richtung Tablet, wo noch einige der Kekse auf ihren Verzehr warteten, ein Blitz erschien und sofort tippte und wischte sie auf ihrem Gerät umher.
„So, erledigt.“
„Was hast du gemacht?“ wollte der Held wissen.
„Eine Nachricht an Elyas geschickt. Dann zeigt er Cem die Kekse.“
„Toll dieses Nachrichtensystem. Sowas könnte Kriegsentscheidend sein“, sagte der Held.
Eispfötchen
19.07.2018, 19:57
Am Nachmittag war Lester wieder unterwegs, um Sumpfkraut zu verkaufen. Er stand gerade vor einer Schule für Jugendliche. Im hiesigen Bildungssystem kannte Lester sich nicht aus, aber er wusste, dass es hier viele Käufer gab. Die jungen Leute fanden es „cool“ mit einem Stengel Sumpfkraut lässig an einer Hauswand zu lehnen und zu rauchen. Schnell hatte der ehemalige Novize mitbekommen, dass die Lehrer am besten nicht mitbekamen, wie er ihren Schülerinnen und Schülern Kraut verkaufte, deswegen stand er abseits vor dem Tor, hinter einem großen Laubbaum. Die Jugendlichen wussten aber ganz genau, wo er zu finden war. Sein nächster Kunde war ein junger Bursche, an dem als erstes seine Schmalztolle auffiel. Umringt von seinen Mitschülern kam er auf Lester zu und kaufte unter allgemeinem Gejohle und Gekicher zwei Sumpfkrautstengelpackungen. Eine laute Klingel ertönte und die schwatzende Schülerschaar strömte in den unordentlichen Schulhof und von dort aus in die halb verfallene Schule. Hier war für ihn nichts mehr zu tun. Er wandte sich um, und wollte die Straße entlanggehen, da hörte er es von hinten quietschen und wenig später stand der Held mit Elias Auto halb auf dem Bordstein.
„Mittlerweile bin ich mir ziemlich sicher, dass man so nicht fahren sollte. Das dich die Miliz noch nicht erwischt hat...“ sagte Lester grinsend, öffnete die Tür und setzte sich zu ihm in den Wagen.
„Vorhin haben sie es versucht“, kam es vom Helden zurück. „Mit Sirenengeheul und blinkenden Lichtern.“
„Und was hast du gemacht?“ wollte Lester wissen, da er seinen Freund augenscheinlich vor sich hatte.
„Angehalten und erst mal geguckt was sie wollten.“
„Und was wollten sie?“ fragte Lester, der es langsam nervig fand dem Helden alle Antworten einzeln aus der Nase zu ziehen.
„Irgendeinen Schein. Als ich ihnen ganz offen sagte, dass ich keine Ahnung habe, wovon sie sprechen, wurden sie auf einmal richtig wütend und sagten mir, ich solle aus dem Wagen steigen. Das hab ich dann auch gemacht, aber da ich mir denken konnte, dass sie mich dann abführen wollten, bekamen sie was aufs Dach und ich verzauberte sie mit Vergessen. Also kein Problem.“
„Na, dann ist ja gut“, sagte Lester, so als wäre wirklich alles in bester Ordnung und zündete sich einen Sumpfkrautstengel an. „Wo fahren wir eigentlich hin?“
„In den Wald. Ich hab mir was ausgedacht, damit es nicht so langweilig ist und wir im Training bleiben.“
Lester schwante übles.
Milten hatte sich gerade vom Krankenhaus ins Versteckt teleportiert, aber als er dort ankam, musste er feststellen, dass keiner seiner Freunde anwesend war. Nur Elyas lümmelte auf dem abgewetzten Sofa und drückte auf einem Gerät herum. Dazu drangen laute Geräusche vom Fernseher her und rasche Bildfolgen waren zu sehen.
„Die sind im Tegeler Forst.“
„Und wo ist das?“
„In Tegel“, sagte Elyas keck. „Einfach die Straße am Flughafen nordwärts hoch.“
Einfach war in Berlin schon mal gar nichts, vor allem, wenn derjenige, der sich zurechtfinden musste aus einer anderen Dimension stammte. Milten hatte das Liniennetz der öffentlichen Verkehrsmittel immer noch nicht ganz durchschaut. Oftmals konnte er sich auch einfach nicht entscheiden. Sollte er jetzt mit der Tram fahren, einem Bus, den Zügen, oder doch der Schnellbahn? Dazu kam, dass er es sehr unangenehm fand von so vielen Menschen umringt zu sein, die scheinbar alle ganz genau wussten wo sie hinmussten und er selbst keine Ahnung hatte und erst einmal etwas Zeit brauchte, um den Weg zu finden. Es war ihm viel lieber sich zu teleportieren, das war einfacher. Endlich hatte er den Flughafen Tegel erreicht. Mit viel Getöse erhob sich gerade eins der riesigen Flugobjekte in die Luft. Obwohl Milten jetzt schon mehrfach Flugzeuge am Himmel gesehen hatte, fand er sie immer noch überaus beeindruckend. Eine Zeit lang sah er dem Flugzeug nach, dann ging er die Straße nordwärts entlang, kam an den genannten Wald und ging hinein. Der Magier hatte ein kleines Wäldchen erwartet, so wie sie im Mienental üblich waren. Dort war es einfach jemanden nach wenigen Minuten zu finden. Der Wald hier hatte aber eine ganz andere Größenordnung. Er fragte sich wie er seine Freunde mit dieser ungenauen Beschreibung überhaupt jemals finden sollte. Seufzend setzte er seinen Weg fort und musste hoffen auf etwas zu stoßen, das ihn ans Ziel führte. Nach stundenlangem Herumirren, so kam es ihm zumindest vor, hörte er ein lautes Brüllen. Milten zuckte zusammen. Das hatte sich sehr stark nach einem Snapper angehört. Wie kam der denn hierher? Hatten seine Freunde den Weg zurück in ihre Welt gefunden? Jetzt hörte er ein lautes Schnaufen und Schnarren. Der Snapper musste hier irgendwo in der Nähe sein. Vorsichtshalber zog Milten eine Feuersturmrune und blieb in Habachtstellung. Krachend brach ein Drachensnapper hinter ihm aus den Büschen und stürzte sich auf ihn. Miltens Herz setzte kurz aus, nur um dann mit doppelter Geschwindigkeit weiter zu schlagen. Er fuhr herum, um seinen Zauber zu wirken, doch da hatte sich das Biest schon in seinen rechten Arm verbissen. Mit Entsetzten im Gesicht versuchte der Magier sich loszureißen, doch jeder schmerzhafte Versuch misslang. Doch der Snapper hatte ihn wohl nicht richtig zu fassen bekommen, denn er ließ kurz los um erneut zuzuschnappen und das war seine Chance. Angestrengt warf er den Zauber auf das Ungeheuer. Der Drachensnapper brüllte schmerzerfüllt und rannte kokelnd davon. Milten atmete schwer. Sein Kopf war ganz klar, wie leergepustet und er empfand es als seltsamen Zustand, da sonst immer so viele Gedanken hindurchschwirrten. Das Adrenalin hatte für einen kurzen Moment alles hinweggefegt. Mit der unverletzten Hand zog er eine Heilrune hervor, um sich zu verarzten. Vorsichtig ging er weiter, darauf gefasst, dass das Tier zurückkehren könnte. Er hatte gesehen, dass es bereits verletzt war. Einige, teilweise abgebrochene Pfeile hatten aus seinem Rück geragt. Die hatte doch bestimmt Diego abgeschossen. Er war also höchstwahrscheinlich hier irgendwo in der Gegend und vermutlich waren Lester und Gorn dann auch nicht weit. Nachdem er noch einige Zeit aufs Geratewohl im Wald unterwegs war, hörte er endlich vertraute Stimmen.
„Was ist nur los mit dir Gorn? Du hättest ihn haben können. Du hast voll vorbeigehauen, das ist doch sonst gar nicht deine Art“, war Diegos Stimme zu hören.
Es folgte ein genervtes Brummen: „Schrei doch nicht so!“
„Ich schreie doch gar nicht.“
„Du bist zu laut.“
Milten folgte den Stimmen und trat auf eine Lichtung. Das war ein strategisch guter Platz, da der Snapper sich hier nicht einfach an sie heranschleichen konnte. Diego hatte den Magier bereits gesehen und winkte ihm zu, während Lester dem zerknirscht aussehenden Gorn einen Sumpfkrautstengel anbot, wohl um seine Beschwerden zu lindern.
„Nein, bloß kein Sumpfkraut, davon kriege ich bestimmt noch mehr Kopfschmerzen.“
„War wohl doch etwas zu viel gestern, was?“
Lester grinste verschmitzt.
„Hör bloß auf, wer hätte denn ahnen können, dass dieses Wodka so reinhaut?“
Gorn war nicht nur unglücklich darüber, dass er sich so schrecklich fühlte, sondern auch, dass ihm klar anzusehen war, dass er sich so fühlte.
„Habt ihr einen Weg nach Hause gefunden?“ fragte Milten, obwohl er noch nicht ganz ran war.
„Was? Nein, wieso?“ fragte Diego überrascht.
„Da war ein Drachensnapper. Ich hab die Pfeile gesehen, die in diesem Mistvieh steckten. Du musst ihm also auch begegnet sein.“
Lester gackerte und auch Diego konnte sich ein belustigtes Lächeln nicht verkneifen.
„Dieses … Mistvieh … ist unser ganz spezieller Kumpel. Er meinte es wäre eine gute Idee, wenn wir uns unserer Haut nicht allzu sicher fühlen würden und im Training bleiben.“
„Oh…“
Milten sah bestürzt zu seinen Freunden.
„Das war … er?“
„Na wer denn sonst?“ fragte Diego genervt. „Sag bloß er hat dich überrascht?“
„Könnt sein, dass er jetzt etwas … angeschmort ist.“
„Na, das hat er verdient“, meinte Diego und Schadenfreude funkelte in seinen Augen. "Vorhin hätte er mich fast eiskalt erwischt.“
„Und was jetzt? Sollen wir hier jetzt einfach weiter hocken? Ich glaube nicht, dass er zu uns auf die Wiese kommt“, gab Gorn leise zu bedenken.
„Dann müssen wir uns weiter raus schleichen.“
Diego warf einen kurzen Blick auf Gorn und sagte dann. Wir bilden zwei Gruppen.
„Milten und Gorn, ihr geht voraus und Lester und ich gehen unauffällig hinter euch her und decken euch den Rücken.“
„Du willst doch nur, dass wir den Köder spielen“, hatte Milten ihn sofort durchschaut.
„Na irgendwer muss es ja tun", sagte Diego schulter zuckend.
Gorn war offenbar nicht in der Stimmung zu diskutieren, denn er ging einfach in den Wald hinein, ohne noch etwas zu sagen. Milten folgte ihm, versuchte aber die Lage zu ändern, indem er in den Wald hineinrief, um den Helden dazu zu bewegen sein Unternehmen abzubrechen.
„Du hattest deinen Spaß, jetzt komm raus und lass es gut sein, bevor noch jemand ernsthaft verletzt wird.“
Er wusste nicht, ob sein Freund ihn da draußen irgendwo im Wald hören konnte. Vielleicht war er ganz in der Nähe und beobachtete sie.
„Diese Pfeile in deinem Rücken schmerzen doch bestimmt wie verrückt. Ein paar Heilzauber und alles wird gut.“
Der Held kam in der Gestalt des Drachensnappers aus einem nahen Dickicht aus Himbeersträuchern, fauchte wild und wollte sie angreifen. Milten zuckte zusammen, doch Gorn hatte seine Axt schon zur Hand, fegte den Verwandelten mit der flachen Seite weg, so dass er umstürzte und erhob seine Waffe drohend zum erneuten Schlag.
„Verwandel dich zurück, sonst setzt es was!“
Der Held fauchte erbost, tat dann aber was sein Freund forderte.
„Na schön, du hast mich erwischt. Nächstes Mal muss ich mich wohl mehr anstrengen.“
„Was heißt denn hier nächstes Mal?“ wollte Milten wissen.
„Wieso? Es hat doch Spaß gemacht“, sagte der Held leichthin.
„Da kannst du wohl nur für dich sprechen,“ sagte Gorn, steckte seine Waffe weg und hielt sich den schmerzenden Kopf.
„Aber mal wirklich“, sagte Milten tadelnd. „Wie kannst du das als Spaß bezeichnen?“
Der Held grinste breit.
„Du hättest dein Gesicht sehen sollen, als ich dich eiskalt überrascht habe. Herrlich, einfach unbezahlbar.“
„Du hast mir in den Arm gebissen“, sagte Milten vorwurfsvoll.
„Ich hätte dich auch in den Hals beißen können, oder? Aber das habe ich natürlich nicht gemacht, ich wollte dich nur etwas triezen und naja, du hast mich ja auch mächtig verkohlt.“
Der Held grinste immer noch, so als wäre das alles ein großer Spaß gewesen.
„Zum Glück für dich, dass wir uns einfach so mit Heilzaubern heilen können“, redete ihm Milten weiter ins Gewissen.
„Ja, ja“, kam es vom Helden, der scheinbar gar nicht richtig zuhörte, sich aber gerade selbst mit einem Heilzauber in Ordnung brachte.
„Ich hab da vorne einen See gesehen, lasst uns den doch mal genauer erforschen“, schlug der Held vor.
„Was denn? Nicht zurück?“ fragte Gorn, dem klar anzusehen war, dass er eigentlich nur zurück ins Bett wollte.
„Ach ist doch langweilig immer in der Stadt zu hocken. Es tut doch so richtig gut mal wieder durchs Grüne zu laufen."
Der Held atmete tief durch. Da musste Milten ihm tatsächlich mal recht geben. Es war wirklich gut die Stadt hinter sich zu lassen, auch wenn es nur für ein paar Stunden war. Das warme Licht der Sonne blinzelte zwischen das mittlerweile dichter werdende frische, grüne Blattwerk. Die Luft war hier klar und frisch und es fiel gleich viel leichter zu atmen.
„Na schön, dann zeig mal wo du den See gesehen hast.“
Tatsächlich wollte auch er noch nicht zurück in die Stadt. Diego und Lester hatten wohl auch nichts dagegen. Gorn grummelte, wollte aber auch nicht allein umkehren und so vielleicht etwas verpassen. Der See war gar nicht weit entfernt. Still lag er zwischen den Bäumen des Waldes da. Der leichte Wind kräuselte sacht die Wasseroberfläche, auf der die Sonnenstrahlen glitzerten.
„Schön hier“, sagte Lester, setzte sich kurzerhand ins Gras und entspannte sich.
Nach kurzem Zögern, taten es ihm seine Freunde nach. Gerade Gorn sah sehr erleichtert aus, weil er jetzt seine Ruhe bekam. So saßen sie eine Weile, aber dem Helden lag das lange untätige Herumsitzen wohl nicht, denn schließlich stand er auf, sagte er werde sich im See mal etwas umsehen und lief ungebremst ins Wasser hinein, bis er bis zu den Knien nass war, watete weiter hinaus, bis er bis zur Hüfte im See stand und schließlich losschwamm.
„Wenn er nichts zu tun hat, ist er nicht glücklich“, bemerkte Diego.
Von den anderen kam zustimmendes Brummen. Die Unruhe des Helden hatte ihre Spuren hinterlassen, einfach nur da sitzen war den anderen jetzt auch zu wenig und es entspann sich ein Gespräch.
„Als ich vorhin den Snapper sah, dachte ich für einen Moment wirklich, dass wir wieder nach Hause kommen“, sagte Milten niedergeschlagen.
„Schön wär’s“, kam es knapp von Gorn, der sich der Länge nach in den Schatten gelegt hatte.
„Und ich dachte du würdest vielleicht was herausfinden“, kam es in leicht vorwurfsvollen Ton von Diego und er sah den Feurmagier von der Seite her an.
„Ich?“ fragte Milten verwundert, unschlüssig, wo er auf einmal die Lösung hätte herzaubern sollen.
„Ja na klar, du. Wer auch sonst? Von uns anderen weiß doch niemand so genau etwas über Teleportation und solche Magiesachen.“
„Ich bin jetzt auch im dritten Kreis,“ mischte sich Lester von der Seite her ein und er klang tatsächlich etwas stolz.
„Und kannst du uns deswegen sagen wie wir zurück kommen?“ fragte Diego scharf.
Lester zuckte zusammen.
„Nein. Ich hab zwar ab und zu herumgefragt, aber keine Antworten bekommen. Die Leute sahen immer so aus, als hielten sie mich für verrückt.“
„Ist ja’n Ding“, brummte Gorn.
Milten seufzte. Er machte sich Vorwürfe, weil er ihr Vorhaben nach Hause zurückzukommen ungewollter Weise vernachlässigt hatte. Er war so eingebunden in seine Pflichten im Krankenhaus gewesen, dass er kaum Zeit hatte sich damit zu befassen wie sie denn nun zurückkommen sollten. Der diffuse Verdacht, es könnte etwas mit Beliarmagie zu tun haben war nicht greifbar genug, um daran anzuknüpfen. Es war als würde er im Dunkeln stochern und der Vergleich kam ihm wirklich passend vor.
„Ich hatte sehr viel zu tun“, sagte der Feuermagier zerknirscht. „Ich weiß natürlich, dass wir so schnell wie möglich zurückkommen müssen, aber ich weiß wirklich nicht wie.“
Diego seufzte.
„Ich mag es nicht das auszusprechen, aber vielleicht müssen wir uns wirklich damit abfinden hier nie mehr weg zu kommen.“
Die Stimmung wurde gedrückt. Gorn dachte an seine Männer in Gotha und wie sie jetzt mit all den Aufgaben alleine klarkommen mussten. Diego ging ständig durch den Kopf, dass er in so entscheidenden Momenten nicht in Myrtana war und Milten konnte immer nur daran denken, dass er seine Freunde und sich selbst enttäuscht hatte. Die offensichtlichen und präsenten Leiden der Bevölkerung hier, die ihm im Krankenhaus begegneten waren viel greifbarer, als die unsichtbare und weit entfernte Not ihres Volkes und doch wusste er natürlich, dass sie litten. Er empfand es als sehr grausam zwischen dem Leiden hier und dem Leiden dort wählen zu müssen, aber musste er das nicht letztendlich tun? Er würde abwägen müssen, um Prioritäten zu setzen, selbst, wenn das bedeutete, dass er hilfesuchende Menschen vernachlässigen musste. Die Leute hier kannten die Magie bisher nicht, sie waren auch vorher zurechtgekommen, auch wenn es Verluste gab und auch weiterhin geben würde, aber dieses Volk war nicht in Gefahr. Die Menschen in Myrtana hatten es dagegen im Moment viel schwerer. Allerdings hatte er hier bisher viel mehr Menschen helfen können, als überhaupt in Myrtana lebten. Rechtfertigte die Tatsache, dass es sich dabei um sein Volk handelte, dass er hier noch viel mehr Menschen sterben ließ, anstatt ihnen zu helfen?
„Ach naja, also so schlimm ist es hier doch nun wirklich nicht“, durchbrach Lester die trübe Stimmung und die Gedankengänge seiner Freunde. "Hier gibt es so viele wundersame Dinge zu sehen."
Die anderen sagten kein Wort.
„Ich wundere mich nur was er so lange da im See macht. Kann einer von euch ihn sehen? Wo steckt er denn eigentlich?“
„Was? Keine Ahnung, ich dachte du behältst ihn im Auge“, knurrte Gorn nur und drehte sich auf die andere Seite.
Lester zuckte mit den Schultern, stand auf und wagte sich nun ebenfalls in den See hinein. Er watete ein Stück, hielt eine Hand an die Stirn, um eine bessere Sicht zu haben und spähte über den See.
„Ich kann nichts erkennen.“
Gerade als er das sagte, plätscherte etwas leicht. War da ein Fisch gesprungen? Neugierig watete Lester weiter hinein und begann zu schwimmen. Als er die Stelle erreicht hatte, wo er glaubte etwas gesehen zu haben, tauchte er unter, kam aber schnell wieder hoch.
„Keine Ahnung was das war.“
Er sah sich weiter um.
„Weit und breit nichts zu sehen“, rief er laut zum Ufer zurück.
Urplötzlich ruckte etwas heftig an seinem Bein. Er wurde nach unten gezogen und er schluckte einen Schwall Wasser. Erschrocken schlug Lester um sich und zappelte um sich dem Griff zu entwinden, doch was auch immer ihn da gefasst hatte, ließ nicht los, nein, es zog ihn nur noch weiter nach unten. Schnell wurde es kälter und dunkler. Er trat noch mal aus und spürte wie er mit dem Fuß etwas Hartes traf. Der Griff ließ nach und eilig schwamm Lester zum Licht zurück. Japsend durchbrach er die Wasseroberfläche und hustete. Neben ihm kräuselte sich das Wasser und der Kopf eines Lurkers erschien. Lester stieß einen erstickten Schrei aus und der Lurker grinste. Da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er bespritzte seinen Planschpartner mit Wasser.
„Du Arsch“ sagte Lester, musste aber jetzt wo er wusste, dass keine Gefahr bestand, lachen.
Zusammen schwammen sie zum Ufer zurück, wo sich der Lurker in einen Menschen zurück verwandelte.
„Das war lustig, solltest du auch mal versuchen“, sagte der Held, der immer noch breit grinste.
„Warst du etwa die ganze Zeit ein Lurker?“ fragte Lester und ließ Wasser aus seinem linken Ohr laufen.
„Klar, es ist einfach viel angenehmer so. Lurker können sich schnell im Wasser fortbewegen und müssen nicht auftauchen um Luft zu holen. Leider hab ich nichts Interessantes entdecken können.“
„Hä?“ fragte Lester, dem das komisch vorkam. „Die brauchen keine Luft?“
„Wirklich nicht?“ fragte jetzt auch Milten. „Aber Lurker sind doch keine Fische, oder? Die haben doch keine Kiemen, folglich müssen die doch irgendwann mal auftauchen.“
„Nein, müssen sie nicht. Die können so lange unter Wasser bleiben wie sie wollen“, beharrte der Held auf seinen Standpunkt.
„Nein.“
„Doch!“
„Aber wie soll das gehen?“ fragte Milten verwirrt.
„Das … ist ein Lurkergeheimnis“, sagte der Held, der jetzt auf den Boden schaute.
„Oh, ein Geheimnis? Was denn für eins?“ wollte Lester aufgeregt wissen.
„Wenn ich es herumposaunen würde, wäre es doch kein Geheimnis mehr“, stellte der Held klar.
„Aber wir sind doch Freunde und Freunden kann man doch ruhig Geheimnisse erzählen“, sagte Lester und grinste ihn breit an.
Der Held seufzte.
„Komm schon, verrate es uns“, bohrte Lester weiter. „Komm schon sag, sag, sag, sag.“
Der Held seufzte und setzte sich.
„Na schön … also es ist so“, fing der Held peinlich berührt an. „Lurker atmen mit ihrem Arsch.* (https://de.wikipedia.org/wiki/Analblase)“
Die Kinnladen der anderen fielen herunter, selbst Gorn, der bisher vorgab geschlafen zu haben, sah ungläubig zu ihnen herüber.
„Was zum Henker …?“ kam es erstaunt von Diego.
„He, ich hab mir das nicht ausgedacht. Lurker ziehen mit ihrem Po Wasser rein und holen dann irgendwie die Luft da raus und wenn die verbraucht ist, pupsen sie das Wasser wieder aus.“
Lester bekam einen Lachanfall.
„Also, das ist das Bekloppteste was ich je gehört habe“, sagte er gepresst und lachte dann schallend weiter.
Milten machte ein komisches Gesicht, ganz so als würde er sich vorstellen wie es wohl wäre im Wasser zu sein und mit seinem Allerwertesten zu atmen, was Lester noch mehr zum Lachen brachte und auch der Held musste jetzt mit einstimmen. Spätestens jetzt war die niedergeschlagene Stimmung wie weggeblasen.
Eispfötchen
29.07.2018, 08:24
Es war wieder ein langer Tag im Krankenhaus gewesen und Milten hatte nicht so konzentriert wie sonst gearbeitet, weil er in Gedanken immer wieder durchging was er tun könnte, um seine Freunde und sich wieder nach Hause zu bringen. Doch wie schon in den vorherigen Wochen drehten sich seine Gedanken im Kreis. Er war alles was er über Teleportation wusste schon mehrfach durchgegangen, hatte versucht neue Lösungsmöglichkeiten zu finden. Die Teleportersteine aus ihrer Heimat waren nicht die Lösung, das war schnell klargeworden. Astrid riss ihn aus seinen Gedanken, als sie zu ihm ins Behandlungszimmer kam, wo er gerade einen Mann wegen einem offenen Schienbeinbruch kurierte.
„Es ist schon nach zwanzig Uhr. Was hältst du davon gleich mit mir was essen zu gehen? Nur zwei Straßen weiter hat ein indisches Restaurant aufgemacht, das würde ich gerne probieren..“
Der Patient starrte ungläubig auf sein jetzt wieder heiles Bein, stand vorsichtig auf und konnte noch gar nicht fassen, dass er es einfach so belasten konnte. Er gab seinem Gönner die Hand, bedankte und verabschiedete sich.
„Ja, ich komme mit“, sagte Milten, geistig halb abwesend.
Er wusste zwar nicht was „indisch“ bedeutete, aber es war ihm im Moment ganz Recht hier zu verschwinden. Normalerweise würde er sich nicht so schnell von der Arbeit verabschieden, aber im Moment fand er, dass er unbedingt mit ihrem Projekt weiterkommen musste. Er hatte sich vorgenommen am nächsten Morgen noch mal zum ehemaligen Mittelalterplatz zu laufen und dort alles Stückchen für Stückchen abzusuchen. Er wusste, dass er nach Strohhalmen griff, aber gar nichts zu tun, kam ihm mittlerweile einfach unerträglich vor. Sonst hätte er sich einfach zu ihrem Unterschlupf teleportiert, aber da er jetzt Astrid an seiner Seite hatte und sie essen gehen wollten, durchquerten sie die Eingangshalle und traten hinaus in die klare, frische Frühlingsnacht.
„Du bist so still in letzter Zeit“, bemerkte die Krankenschwester, als sie längsseits an der Außenwand des Krankenhauses entlangliefen.
„Ich denke viel nach.“
„Hm… und worüber?“
„Wie ich einen Weg nach Hause finde.“
„Verstehe.“
Sie wurde still. Vielleicht wusste sie nicht was sie sagen sollte, oder das Thema war ihr unangenehm. Schweigend liefen sie ein Stück. Als sie gerade wieder etwas sagen wollte, sprangen zwei Männer hinter einer im Schatten liegenden Hausecke hervor.
„Endlich habe ich dich erwischt“, sagte einer der Männer.
Er hielt ein Messer in der Hand, dessen Klinge etwa Handlang war. Er trug die Kleidung, welche hier offenbar üblich war. Lockere Baumwollhosen und ein sogenanntes T-Shirt. Haar und Bart wirkten gepflegt, auch sein Komplize war ähnlich gekleidet, hielt aber ein langes Metallrohr in der Hand, das er erwartungsvoll tätschelte.
„Oh, mein Gott, ein Überfall“, kreischte Astrid nach Luft schnappend.
Milten blieb erst einmal ruhig. So lange noch Platz zwischen ihnen war, versuchte er die Lage zu entschärfen.
„Wer seid ihr? Was wollt ihr?“ fragte er und versuchte möglichst unaufgeregt zu klingen.
„Wer ich bin?“
Der Mann vor ihm spie die Worte geradezu aus.
„Ich war in einen Unfall auf der Straße verwickelt. Ich war in meinem Auto eingequetscht, da kam irgendwann der Krankenwagen und die Feuerwehr und die haben mich da rausgeholt. Ich war aber schwer verletzt und da kamst du und hast mich verhext.“
Milten erinnerte sich. Es war der Tag, an dem der Held das erste Mal mit dem Auto auf öffentlichen Straßen unterwegs war. Ständig war er mit den anderen vom Notarztteam unterwegs und hatte geholfen wo er konnte.
„Ich habe dich geheilt. Was ist dein Problem? Bist du nicht froh, dass ich dich gerettet habe?“ fragte der Feuermagier verwundert.
„Gerettet?!“ kreischte der Mann laut, fast schon hysterisch. „Verflucht hast du mich. Meine Religion verbietet es, dass jemand an mir herumhext. Seit dem Tag habe ich nur noch Pech. Mein Chef hat mich entlassen, meine Wohnung konnte ich nicht mehr halten, meine Freundin hat mich verlassen. Das ist alles deine Schuld und jetzt werde ich mich dafür rächen.“
Der Griff um sein Messer wurde fester. Milten dachte schnell nach. War der Mann verrückt? Wie konnte er die Lage retten? Astrid, die sich ängstlich an ihn klammerte, ließ ihn bewusstwerden, dass er keine Risiken eingehen durfte, denn sonst könnte auch sie unnötig verletzt werden.
„Wir können das doch bestimmt in Ruhe klären“, schlug Milten vor und versuchte zu verstehen, was das Problem des Mannes war.
Wie hätte er sich gefühlt, wenn er von einem Diener Beliars gerettet worden wäre? Das war zwar unwahrscheinlich, aber was wäre wenn? Wäre er ihm dankbar? Musste er ihm nicht sogar dankbar sein? Aber immerhin würde es sich um einen Gegensatz seiner Weltanschauung handeln. Vielleicht hatte er diesen Mann unwissentlich in eine ähnliche Position gebracht.
„Ach, und was hättest du mir schon zu sagen?“ fragte der Mann.
Milten schöpfte Hoffnung, denn wenn sich erst ein Gespräch entspann, dann würde es vielleicht zu keiner gewalttätigen Auseinandersetzung kommen, doch der zweite Mann flüsterte seinem Freund jetzt eindringlich ins Ohr. Bösartig funkelte er zum Feuermagier herüber. Es war klar, dass er es auf die Auseinandersetzung abgesehen hatte.
„Ich konnte doch nicht wissen, dass Magie gegen deine Religion ist. Ich wollte dir helfen. Glaub mir.“
„Verfluchter Ungläubiger, wie kannst du es wagen meinen Bruder zu verhexen?“ schrie ihn der zweite Mann an.
Milten versuchte unauffällig seine rechte Hand in seine Tasche zu stecken, wo sich seine Runen befanden. Er hatte jede markiert, so dass er sie blind auseinanderhalten konnte, um sie schneller einsetzen zu können. Er überlegte, ob er einen Feuerball einsetzten sollte, immerhin hatten diese Männer Waffen, aber er wollte die Männer auch nicht töten, sondern nur vertreiben.
„Was machst du da?“ fragte der Mann mit dem Messer scharf. „Was kramst du da in deiner Tasche herum? Du willst uns verhexen!“
Die Männer machten einige Schritte auf sie zu. Milten sah es als Angriff und reagierte. Zwei Feuerpfeile flogen den beiden Unruhestiftern entgegen, die mit schreckgeweiteten Augen sahen was da auf sie zukam. Als sie getroffen wurden loderte das Feuer kurz auf und fraß sich durch ihre Kleidung und dann in ihre Haut. Sie heulten vor Schmerz, ließen ihre Waffen fallen und suchten panisch das Weite. Der Feuermagier sah ihnen erleichtert hinterher. Er spürte, dass sich Astrid noch weiter in seine Seite verkrallt hatte.
„Alles in Ordnung bei dir?“ fragte Milten ruhig, während er die Rune zurück in seine Tasche steckte.
„Ob alles in Ordnung ist?“ fragte Astrid erst leise, aber dann sehr aufgebracht. „Ich begreife nicht mal was genau da eigentlich gerade passiert ist. Hast du die gerade wirklich abgefackelt?“
Milten runzelte die Stirn.
„Das waren nur Feuerpfeile. Die können zwar sehr schmerzhaft sein, aber wirklich gefährlich sind sie nicht.“
„Aha“, sagte die Krankenschwester in hohem, spitzem Tonfall. „Dann ist es also normal, wenn man mit Feuer nach anderen Leuten schmeißt?“
Milten dämmerte was ihr Problem war.
„Aber das waren doch Banditen“, versuchte er sich zu rechtfertigen. „Sie haben uns angegriffen. Hätte ich etwa nichts machen sollen?“
Astrid wurde still. Sie wusste vielleicht selbst nicht, was sie davon halten sollte. Sie holte tief Luft, versenkte ihren Kopf in den Händen und strich sich durchs Haar. „Das ist einfach zu viel für mich. Ich bin noch nie überfallen worden.“
Sie wirkte so schwach und verletzlich, sie tat Milten Leid. Er wollte sie beruhigen und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
„Es ist alles in Ordnung. Sie sind ja jetzt weg.“
Unerwarteter weise hatte sein Beruhigungsversuch einen gegenteiligen Effekt. Astrid schüttelte ihn ab und sagte laut: „Ach, es ist also in Ordnung, wenn man andere Menschen anzündet? Solltest du nicht lieber versuchen den Leuten zu helfen, anstatt mit Feuer um dich zu werfen?“
„Naja, immerhin bin ich ein Feuermagier“, rutschte es ihm heraus.
Er bereute es sofort. So hatte er das keinesfalls sagen wollen.
„Ich meine …“
Doch es war zu spät, was gesagt war, war gesagt.
„Oh, der Herr spielt also gerne mit dem Feuer und meint deswegen selbst darüber richten zu können, dass diese Leute es einfach verdient haben? Selbst Schuld? Einfach Pech gehabt? Der Stärkere gewinnt, so lebst du, ja? Hätten sie uns eben nicht angreifen sollen, oder was?“
Milten verstand sie einfach nicht. Warum war sie so aufgebracht?
„Was hätte ich denn sonst tun sollen?“ sprach er seine Gedanken laut aus.
„Vielleicht hätte es eine andere Lösung gegeben. Vielleicht wollten sie uns nur drohen und hätten gar nichts gemacht.“
„Glaub ich nicht“, sagte Milten, dem das unverständlich war.
In seiner Heimat ließen die Menschen ihren Drohungen fast immer Tagen folgen. Es war nur konsequent. Er wollte ihr wieder eine Hand auflegen, aber sie blockte ihn ab.
„Lass mich! Ich gehe nach Hause. Mir reicht’s.“
Sie war völlig durch den Wind und Milten war sich unsicher, ob er sie so gehen lassen konnte. Andererseits konnte er sich auch denken, dass sie nicht wollte, dass er mit ihr ging. Er sah ihr hinterher. Sie sah nicht mehr zurück, hatte ihn einfach stehen gelassen. Er lehnte sich an die Hausmauer und atmete tief durch. Was genau war jetzt ihr Problem gewesen? Sie wurden von Banditen angegriffen und er hatte sie abgewehrt. War das hier nicht so üblich? War vielleicht gerade die Tatsache, dass er nicht wusste was er verkehrt gemacht hatte das Problem? Das hier war ein relativ sicheres Land. Auch wenn es Menschen gab, die manchmal mit Gewalt konfrontiert wurden, so lebte der Großteil der Bevölkerung doch in einer gewissen Sicherheit. In Myrtana war das nicht der Fall. Beinahe jeder konnte Opfer von Gewalttaten werden und unterbewusst war man immer darauf vorbereitet. Man wurde überfallen, wehrte die Angreifer entweder ab, oder tötete sie, andernfalls würde man selbst dran glauben müssen. Anschließend dachte man nicht weiter darüber nach. Hatten sie sich zu sehr daran gewöhnt? Für sie war es normal sich ihrer Haut stets und ständig zu erwehren. Als Magier hatte man zwar das Privileg nicht ständig mit dem streitenden Pöbel zusammenzuleben, aber auch sie hatten sich an das raue Klima ihrer Heimat gewöhnt. Das Töten von mehr oder minder gefährlichen Tieren war für einige Menschen schon zu einer Art Spaß geworden. Die wöchentliche Schlägerei fast schon obsolet. War ihr Volk nach der generationenlangen Gewalt einfach verroht? War diese Normalität gar keine Normalität? Er selbst hatte es sich damals im alten Lager angewöhnt auf solcherlei Überfälle gefasst zu sein, schließlich war er nicht immer ein Feuermagier gewesen und die erste Zeit im Lager war wirklich hart. Er hatte damit zurechtkommen müssen, doch wie hatten die letzten Minuten wohl auf Astrid gewirkt? Sie sagte sie wäre noch nie in einen Überfall geraten. Kaum zu glauben, aber wenn das wirklich so war, dann war ihr Verhalten doch auch nachvollziehbar. Sie war mit der Situation wohl schlicht und ergreifend überfordert gewesen. Milten hätte sich selbst nie als abgebrüht oder herzlos bezeichnet, aber vielleicht war er ihr in diesem Moment einfach so erschienen. Vielleicht war gerade diese Normalität mit der er der Situation begegnete so erschreckend für sie gewesen. Für Milten stellte sich die Frage: Was ist eigentlich Normalität?
Währenddessen sorgte ein Nachrichtenartikel im Versteck für Aufregung. Annette hatte ihr Smartphone in der Hand und las Elyas, Diego und dem Helden vor, die gespannt lauschten.
„Die Polizei hat zwei Plastikfässer gefunden, in dem sich Säure und teilweise darin aufgelöste Körper befanden. Es ist davon auszugehen, dass es sich dabei um die Überreste von zwei Menschen handelt. Die Polizei geht von Mord aus und versucht jetzt anhand der Überreste die beiden getöteten Menschen zu identifizieren.“
„Du hattest doch aber gesagt diese Säure löst die Körper auf!“ sagte Diego drohend an Elyas gewandt.
Der sah gar nicht glücklich aus und wäre offensichtlich am liebsten jemand anders.
„Das … das sollte auch so sein. Im Film war das so, ich schwöre. Die hätten sich eigentlich auflösen sollen.“
Annette, der es nicht gefiel unterbrochen zu werden, hob einen Finger und las weiter vor: „Die Polizei geht davon aus, dass die Täter die Leichen in die Fässer verbracht und anschließend mit Säure übergossen haben. Da sie die Flüssigkeit später aber nicht mehr umrührten, lösten sich die menschlichen Überreste nicht vollständig auf.“
Elyas hieb sich die rechte Hand an die Stirn.
„Umrühren?! Wer soll denn darauf kommen?“
Annette warf ihm einen aggressiven Blick zu und las weiter vor: „Nun ermittelt die Polizei gegen die Täter. Sie hat schon Fingerabdrücke auf den Behältern gefunden.“
Elyas traute sich gar nicht zu seinen Geschäftspartnern zu sehen und linste nur aus den Augenwinkeln zu ihnen herüber.
„Was genau heißt das? Was meinen sie mit Fingerabdrücken?“ wollte Diego wissen, der sich dem unangenehmen Gefühl nicht erwehren konnte, dass sie sehr bald hinter stählernen Gardinen sitzen würden.
Er funkelte Elyas wütend an, aber der brachte keinen Ton hervor.
„Nun, jeder Mensch hat eigene Fingerabdrücke. Die sehen bei jedem anders aus und so lässt sich ermitteln wer was angefasst hat. Daraus leiten die Polizisten dann ab mit welcher Tatwaffe jemand getötet wurde, oder eben wer jemanden in ein Plastikfass gestopft hat.“
„Großartig“, kam es sarkastisch von Diego.
„He komm“, versuchte der Held die negative Stimmung zu durchbrechen. „Die wissen doch trotzdem nicht, dass wir es waren. Selbst wenn sie unsere Fingerabdrücke gefunden haben, so können sie es doch nicht zuordnen. Hier leben so viele Menschen in der Stadt, da können sie ewig suchen.“
Der Held lachte.
„Ja, genau“, kam es zustimmend von Elyas, der unbedingt für eine Stimmung war, die vom Lynchen seinerseits absah.
„Ich an deiner Stelle würde mich jetzt sehr zurückhalten“, knurrte Diego den jungen Mann an.
Der zog eingeschüchtert den Kopf ein und versuchte sich zu erklären: „He, ich … ich habe das Abwischen der Fingerabdrücke halt vergessen. So was kann doch mal passieren.“
„Und wer badet das jetzt aus?“ fragte Diego ungehalten. „Dieser Miftah weiß bestimmt längst welche Überreste da in den Fässern lagern und er wird bestimmt nicht glücklich darüber sein. Er wird sich sicher rächen.“
Just in diesem Moment klingelte Elyas Handy. Er guckte mit den Augen nach links und rechts, fast schon als würde er hoffen, dass die anderen es nicht gehört hätten.
„Was denn jetzt schon wieder?“ knurrte Diego. „Na los, sieh nach!“
Mit zittrigen Fingern holte Elyas sein Smartphone heraus.
„Von wem ist die Nachricht?“ fragte der Held und lugte über seine Schulter.
„Ich … ich weiß nicht, es ist eine fremde Nummer“, sagte Elyas, der jetzt leichenblass war und dessen Stimme zitterte.
„Jemand möchte unseren Koch und dich in einer Stunde in einem alten Lagerhaus treffen. Wenn ihr nicht erscheint, wird die Polizei ein paar Infos bekommen von wem diese Fingerabdrücke auf den Fässern sind. Hier ist die Adresse.“
Er zeigte dem Helden den Bildschirm.
„Was denn für ein Koch?“ fragte der Held verwundert.
„Na Lester“, knurrte Diego, immer noch mies gelaunt. „Er hatte doch mal erzählt, dass er jetzt als Koch bezeichnet wird. Ich finde das stinkt zum Himmel. Ist doch ganz klar, dass das eine Falle ist. Was wollen wir jetzt tun?“
Der Held kratzte sich am Kopf und sagte dann lächelnd: „Die Falle zuschnappen lassen. Da Lester mit Gorn unterwegs ist, werde ich allein hingehen.“
Elyas und Annette sahen ihn mit aufgerissenen Mündern an, als hätte er den Verstand verloren.
„Das ist sehr leichtsinnig. Wir sollten besser erst einmal von außen alles überwachen. Wir können alle zusammen dorthin gehen, aber draußen erst mal alles absuchen und sie dann von hinten überrumpeln.“
„Ach Diego, nun lass mir doch mal meinen Spaß. Immerhin ist endlich mal was los. Ich will endlich mal wieder eine Herausforderung.“
Diego sah ihn lange prüfend an, dann sagte er langsam: „Na schön, wenn du meinst.“
Eispfötchen
29.07.2018, 10:32
Lester und Gorn ahnten von alledem gar nichts. Lester hielt es für keine gute Idee direkt zum Bordell zu gehen. Dafür hatten er und Gorn dort zuletzt für zuviel Unruhe gesorgt. Aber in einer Seitenstraße des Bordells hatte er Natascha getroffen, die ihm wieder gerne einige Sumpfkrautpakete abgekauft hatte. Sie erklärte, dass sie jetzt zwar etwas besser behandelt, aber dafür ständig überwacht wurden. Gino hatte sich offenbar einige Schläger ran geholt, die jetzt auf ihn und seine Mädels aufpassten. Sie erklärte Lester, dass auch Olga Sumpfkraut gebrauchen könnte. Sie nannte die Adresse wo sie zusammen wohnten. Es war gar nicht weit entfernt. Lester und Gorn fiel kaum auf, dass dieses Haus überaus schäbig und heruntergekommen war, immerhin waren sie nichts anderes gewohnt. Sie gelangten ins Treppenhaus, weil die Haustür nicht richtig schloss und waren rasch im genannten Stockwerk angekommen. Lester klopfte laut an die Tür. Es dauerte einen Moment, dann öffnete Olga die Tür einen Spalt breit.
„Ach du bist es“, sagte sie mit ihrem starken Akzent, als sie Lester erkannte.
Sie klang erleichtert.
„Hattest du jemand anderen erwartet?“
„Meinen Vermieter. Ich bin ihm noch Geld schuldig und er klingelt zu den schlechtesten Zeiten.“
Sie entdeckte Gorn, der hinter Lester stand. Sie kannte ihn nur flüchtig aus der Nacht, als er zusammen mit Stanislaus das Bordell zerlegt hatte.
„Du bist auch dabei?“
„Das ist mein Kumpel Gorn. Wir ziehen heute gemeinsam los“, erklärte Lester.
„Etwas Sumpfkraut könnte ich schon gebrauchen. Viel Stress. Habt ihr es eilig?“
„Ich und eilig? Nein, wirklich nicht.“
„Kommt doch herein.“
Olga öffnete die Tür jetzt ganz, um sie einzulassen. Ihre kleine Wohnung sah sehr schäbig aus. Die Tapete war aus, zuerst unerfindlichen Gründen, unten abgerissen. Es gab Flecken auf dem abgewirtschafteten Teppich und neben dem alten Sessel lagen überall verstreut kleine, bunte Dinger und in all dem saß ein kleines dreijähriges Mädchen. Das erklärte die Tapete und noch so einiges andere.
„Meine kleine Tochter, Katharina“, erklärte Olga und sah etwas nervös zu den beiden Männern.
Sie wusste offenbar nicht, wie sie reagieren würden. Lester war gleich fasziniert und setzte sich neben sie.
„Was sind das denn für kleine bunte Dinger?“ fragte er lustig.
„Duplo“ sagte die Kleine in einem Tonfall, dass man sowas doch aber eigentlich wissen müsste.
Olga setzte sich neben sie und hielt ein kleines braunes Kaninchen hoch.
„Hast du das Kaninchen schon gefüttert?“
„Ja, und jetzt bau ich einen Stall.“
Dazu zimmerte sie die Duplosteine brachial zusammen und setzte eine Art Käfig oben drauf. Sie öffnete die Tür und nahm ihrer Mutter das Kaninchen aus der Hand und warf es in den Käfig. Gorn stand eine Zeit lang unschlüssig herum und setzte sich dann dazu.
„Gorn, richtig? Seid ihr schon lange befreundet?“
„Äh…“
Gorn wechselte einen Blick mit Lester.
„Bestimmt schon …“
„Fast vier Jahre und wir haben schon einiges durchgestanden. Auf Gorn kann man sich wirklich verlassen“, sagte Lester offen.
Das beruhigte Olga sehr. Offenbar hatte sie das Gefühl, Lester jetzt gut genug zu kennen, um seinem Urteil zu vertrauen. Sie redeten noch eine Weile, während Katharina mit dem Duplo spielte. Hauptsächlich ging es darum, was Olga im Moment alles um die Ohren hatte. Lester fand, dass sich das alles nach schrecklich viel Stress anhörte und er war froh, dass er ein einfaches Leben hatte, wo er sich um sowas nicht zu kümmern brauchte.
„Es brennt!“ krähte Katharina.
Gorn zuckte zusammen und sah sich um. Kein Rauch zu sehen.
Katharina setzte eine Plastik Flamme auf den Kaninchenstall.
„Na, dann muss jetzt die Feuerwehr kommen und das Kaninchen retten!“ sagte Olga in einem dramatischen Tonfall.
Katharina stürzte zum Duplo Kasten und kramte laut und polternd darin herum.
Es klingelte an der Tür.
„Mist!“ stieß Olga aus.
Sie warf Lester einen unsicheren Blick zu und kaute auf ihrer Unterlippe.
„Könnt ihr mal kurz auf sie achten?“
„Klar, kann ja nicht schwer sein“, sagte Lester naiv.
Olga sah nicht glücklich damit aus ihr Kind zu verlassen, aber sie vertraute Lester so weit, dass sie ihnen den Rücken zudrehen konnte. Sie ging zur Tür und sah nach wer es war. Sie hörten, wie sie sich gedämpft mit jemandem unterhielt, dann warf sie noch einen Blick zurück und verließ ihre Wohnung, ließ aber die Tür offen.
„Hab ihn gefunden“ krähte Katharina und hielt eine schokoladenbraune Duplofigur hoch.
Es war ein Feuerwehrmann, sogar mit Feuerwehraxt.
„He, der Typ sieht genauso aus wie du“, sagte Lester und grinste Gorn an.
Gorn verdrehte die Augen und wirkte genervt.
„Los, jetzt muss aber auch das kleine Tier gerettet werden, oder soll es verbrennen?“
„Dann gibt es schönen Braten“, kam es von Gorn.
Katharina sah ihn schockiert an.
„Nein! Das wird gerettet.“
Sie ließ den Feuerwehrmann zum Kaninchenstall rennen, rupfte das Feuer vom Stall und holte das Kaninchen aus seiner Box.
„Gerettet.“
Dann warf sie den Feuerwehrmann in den Käfig. Lester lachte.
„Sie weiß gleich, dass du ständig hinter Gittern sitzt. Ein schlaues Kind.“
„Haha“, kam es tonlos von Gorn.
Von draußen wurden die Stimmen jetzt immer lauter. Es wurde ein ausgewachsener Streit.
„Wollen wir mal nachsehen, was deine Kundin da draußen für Probleme hat?“ fragte Gorn, dem so etwas interessanter vorkam, als zu sehen wie sein alter Ego im Kaninchenstall ein langweiliges Dasein fristete.
Lester und er standen auf und gingen zur Tür.
„Eintausend Euro, sofort! Oder ich setz euch auf die Straße!“ herrschte ein dicker, schmieriger Kerl sie an.
„Du weißt genau, dass wir das Geld nicht haben“, sagte Olga laut, aber verzweifelt.
„Dann packt eure Sachen!“
„He, immer langsam“, sagte Gorn und betrat mit seiner eindrucksvollen Erscheinung den Flur.
Der Typ, der wohl Olgas Vermieter war, wurde sofort aschfahl im Gesicht und schrumpfte in sich zusammen.
„Gib ihr doch noch etwas Zeit, immerhin muss sie sich auch um ihr Kind kümmern.“
„Das ist doch nicht mein Problem“, wagte sein Gegenüber zu sagen, aber es klang nicht so selbstbewusst wie es sein sollte.
Lester verzog sein Gesicht in einem Anfall von Hilfsbereitschaft von der er dachte, dass er sie später noch mal bereuen würde. Doch was er vorhatte wäre das einfachste, um diese stressige Situation zu beenden.
„Hier, nimm das und verschwinde!“
Er drückte dem Vermieter eine Rolle Geld in die Hand. Der blickte ungläubig darauf, sah es kurz durch und glotzte Lester verwundert an, dann ging er wortlos die Treppe hinunter und verschwand.
„Lester, was hast du da gemacht?“ fragte Olga, nicht weniger überrumpelt, als ihr Vermieter.
„Dir aus der Patsche geholfen, oder wo nach sah das aus? Ich kann doch meine beste Stammkundin nicht verlieren.“
Gorn sah ihn verwundert an. Sicher, Lester hatte nie so einen großen Bezug zu Geld wie Diego und war auch kein Geschäftsmann wie er, aber dass er so viel Geld einfach mal hergab hätte er auch nicht erwartet. Lester ahnte wohl was seinem Freund durch den Kopf ging.
„He, sieh mich nicht so an. Ich konnte nicht mit ansehen wie er die beiden rauswirft.“
„Eher hätte ich ihm einen Satz warmer Ohren verpasst“, kam es von Gorn, der jetzt die Arme vor der Brust verschränkte.
„Das hätte das Problem aber auch nicht gelöst. Vermutlich wäre dann nur wieder die Mil…. Äh… die Polizei gekommen und hätte dich eingesperrt und ich will nicht, dass du schon wieder im Knast landest.“
„Hmm…“ grummelte Gorn und sah auf den Boden.
Es störte ihn selbst, das er immer wieder hinter Gittern landete. Olga ging wieder in die Wohnung, um nach ihrer Tochter zu sehen. Die hatte den unbeobachteten Moment genutzt um eine Schublade aus einem Schrank zu reißen und allen Inhalt um sich herum zu verstreuen.
„Schätzchen, was machst du denn da?“ fragte Olga leise.
Sie wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. Sie war eine Frau, die einfache Verhältnisse gewohnt war und in ihrem Leben hatte sie schon viele Enttäuschungen und Rückschläge verkraften müssen. Sie war es gewohnt mit ihren Problemen allein dazustehen. Höchstens auf die Hilfe ihrer Mitbewohnerin Natascha konnte sie bauen. Doch es war ganz und gar merkwürdig, dass ihr jemand aus so einer großen Notlage heraushalf und am allerwenigsten hätte sie erwartet, dass ihr Dealer ihr Retter sein würde. Sie griff sich ihre Tochter und setzte sie vor den heruntergekommenen Röhrenfernseher, den sie jetzt anschaltete und auf ein Kinderprogramm wechselte. Dann ging sie wieder zu Gorn und Lester, die jetzt vorne im Flur standen.
„Ich … ich geb dir das Geld natürlich zurück, sobald ich kann.“
„He, es ist alles gut, mach langsam und wenn du wieder Land siehst, dann kannst du mir das Geld immer noch geben.“
„Ich … Ich … ich kann das gar nicht fassen, dass du mir einfach so viel Geld geliehen hast, mir aus dieser schlimmen Lage geholfen hast“, sagte Olga immer noch ganz aufgewühlt.
„Ach was… ich hab hier noch viel mehr Geld, da fällt das bisschen gar nicht weiter auf“, sagte Lester, um sie zu beruhigen und zog noch einige Tausender Bündel aus der Tasche.
Olga sah ihn ungläubig an. Gorn patschte seinem Kumpel eine seiner riesigen Pranken auf die rechte Schulter.
„Ich glaub, du hast noch nicht ganz begriffen wie viel das eigentlich war, was du da gerade weggegeben hast. Komm jetzt, oder wollen wir noch Wurzeln schlagen?“
„Aber das Sumpfkraut!“ sagte Lester empört, wie sein Freund das denn vergessen konnte.
Er zückte ein Päckchen aus der anderen Tasche und warf es der völlig verblüfften Olga zu.
„Aber nicht alles auf einmal rauchen.“
Sie streckte ihm einen Zwanziger entgegen und ihre beiden seltsamen Gäste verließen daraufhin das Treppenhaus.
Eispfötchen
07.08.2018, 21:33
Der Held stand jetzt vor dem genannten Lagerhaus. Er hatte sich seine beste Rüstung angezogen. Es war die schwere Drachenjägerrüstung. Sie war unbequemer, schwerer und nicht so beweglich wie die leichte Drachenjägerrüstung, die er bevorzugte, doch war diese noch beschädigt und er hatte sie noch nicht reparieren lassen können. Die schwere Drachenjägerrüstung hatte außerdem den Vorteil, dass sie einen Helm hatte. Lester hatte ihn natürlich von seiner Auseinandersetzung mit Miftahs Leuten berichtet. Schusswaffen nannten sich diese Dinger, wie Elyas ihnen erklärt hatte. Lang und breit hatte er sich über Funktion und Wirkung dieser Waffen ausgelassen. Der Held wusste nicht, ob seine Rüstung den Kugeln standhalten würde, doch das würde er schon noch herausfinden. Er sah sich noch einmal um, dort hinter einem der zugestaubten Fenster meinte er eine Bewegung ausgemacht zu haben. Er lächelte. Sie waren also da und warteten nur noch auf ihn. Er freute sich. Endlich war mal wieder so richtig was los. Er hatte sich schon wirklich angefangen zu langweilen. Er öffnete die schwere Tür und trat ein. Drinnen regte sich nichts. Scheinbar war niemand da. Es war größtenteils dunkel, nur hin und wieder waren helle Flecken auf dem Boden verteilt, wo das Licht durch die staubigen Fenster drang. Die Halle reichte zum Teil bis zu den Dachfenstern, doch links gab es eine weitere Etage, wo sich wohl einige ehemaligen Verwaltungsräume befanden, die in der Finsternis lagen. Er hörte auch etwas quietschen, dass sich nach Metall anhörte. Im gewohnten Dauerlauf lief er immer weiter, bis er im Dunkeln den Umriss einer Person erkannte.
„Also, du wolltest ein Treffen? Hier bin ich. Worum geht’s?“ kam der Held wie immer schnell auf den Punkt.
Den Mann vor sich konnte er, aufgrund der Dunkelheit, nur undeutlich erkennen. Er war etwas kleiner als er selbst, aber in guter Form, hatte offenbar kurze Haare und einen Bart. Er konnte keine Waffen erkennen. Er selbst hatte auch noch nichts angelegt, weil er meinte, seinen Gesprächspartner so zu verschrecken und das wollte er ja nicht. Womöglich würde er sonst noch abhauen bevor es überhaupt zum Kampf kommen konnte. Der Mann in der Dunkelheit wiegte leicht den Kopf hin und her.
„Ich hatte gesagt, du sollst den Koch mitbringen!“
„Er ist im Moment unterwegs, aber du kannst auch mit mir über alles sprechen“, sagte der Held leichthin, so als würden sie ganz unbeschwert miteinander plauschen.
Er spürte den musternden Blick seines Gegenübers auf sich. Ein Geräusch von weiter oben sagte ihm, dass sich in den oberen Etagen seine Männer versteckt hielten. Das würde noch interessant werden.
„Was hast du da an?“ fragte sein Gegenüber skeptisch, mit einer Spur Häme in der Stimme.
„Was wohl? Eine Rüstung natürlich. Ich bin verwundert, dass du keine trägst, soll das jetzt deine guten Absichten vortäuschen? Dann wärst du aber schön blöd.“
Der Mann schnaubte.
„Du bist hier blöd. Dein freches Mundwerk bringt dich in dein Grab.“ Laut rief er: „Los Männer! Knallt ihn ab!“
Aus der oberen Etage ertönte Knallen und Kugeln flitzten um den Helden. Er stand ebenfalls im Dunkeln, so dass seine Gegner nur erahnen konnten wo er sich befand, doch dieser Schutz währte nicht lange. Ein Flutlicht flackerte auf und tauchte die Lagerhalle in jähe Helligkeit. Da der Held mit einem Hinterhalt gerechnet hatte, schaltete er schnell und ging zum Angriff über. Er verpasste dem Kerl, der jetzt ebenfalls eine Pistole zog, im Vorbeilaufen einen harten Schlag auf den Kopf. Seine gepanzerten Handschuhe hinterließen ordentlich Eindruck. Der Kerl brach zusammen, bevor er auch nur einen Schuss hatte abgeben können. Kugeln prasselten jetzt auf den Helden nieder. Die starke Panzerung an seinen Schultern, und dem Oberkörper bewahrte ihn vor Schaden, doch ein scharfer Schmerz durchzuckte ihn und er musste feststellen, dass die Teile seiner Rüstung, die beweglich sein mussten, nicht stark genug gepanzert waren, um ihn zu schützen. Schon hatte ihn eine Kugel am linken Ellenbogen und im linken Unterschenkel durchschlagen. Sicher wäre es jetzt normal gewesen einfach zusammenzuklappen und liegen zu bleiben, der Held sah darin aber keinen Nutzen und lief einfach weiter. Eine Blutspur hinter sich herziehend hielt er auf einen Kistenstapel zu, hinter dem er Deckung suchte. Hatte er die Schusswaffen unterschätzt? Es war ein scheinbar ungünstiger Platz, da er sich zentral im Raum befand und er trotzdem noch von oben getroffen werden konnte, wenn seine Gegner nur über die Kisten hinwegzielten. Doch der Held hatte schon etwas geplant. Er zog eine Feuerregen Rune hervor und begann die Magie zu wirken. Seine Gegner sahen nicht, dass er eine Gefahr für sie war und feuerten munter weiter von ihren Positionen oben aus den Geschäftsräumen und einem metallenen Wegesystem, von wo sie einen hervorragenden Blick auf ihr Opfer hatten. Das Lachen verging ihnen jäh, als ein Regen aus Feuer auf das Lagerhaus niederging, die Fenster zersplitterten und schließlich auf sie einprasselte. Unter lautem Schreien und Fluchen versuchten sich die Männer in Sicherheit zu bringen. Der Held nutzte die Verwunderung und die somit eingetretene Feuerpause, um eine Beschwörung zu beginnen. Unter eindrucksvollem Getöse erschien ein steinerner Golem, der jetzt vor den Kisten stand und ihm als Schutzschild diente. Zuerst tat er überhaupt nichts, stand einfach nur stumm und starr herum, wie eine Statue. Der Feuerregen hatte nur zwei Schützen niedergestreckt, die das Pech hatten unter Fenstern zu stehen, die Anderen sammelten sich jetzt wieder, blieben von den Fenstern weg, obgleich der Regen jetzt nur noch tröpfelte, und versuchten um diese ominöse Statue herumzuschießen. Das gelang nicht so wie geplant und der Golem wurde getroffen. Tatsächlich richtete das aber keinen nennenswerten Schaden an. Die Kugeln prallten einfach ab und hinterließen nur winzig kleine Kerben. Damit hatte der Held gerechnet. Bei einem Golem musste man schon mit stumpfen Waffen heran, um ihn zu besiegen. Doch nun war der Golem alarmiert. Jemand war eine Gefahr und musste folglich beseitigt werden. Unter lautem Stampfen drehte er sich um und lief auf die Schützen zu. Zuerst brachte das nicht sehr viel, weil er ständig nur unter dem Metallgitter herumlief, auf dem die Männer standen. Wegfindung war noch nie sein Ding gewesen. Die Treppe hinauf ignorierte er gekonnt. Doch immerhin waren die Schützen beschäftigt, denn so ein Steinhaufen, der eigentlich gar nicht da sein sollte, war ein viel auffälligeres Ziel, als ein scheinbar unbewaffneter Spinner in einer Rüstung. Ohne Unterlass verpulverten sie eine Salve nach der anderen an dem Golem und die Querschläger stoben nach allen Richtungen, so dass einer der Schützen am rechten Fuß getroffen wurde. Er heulte auf und knickte ein. Währenddessen hatte der Held die Zeit genutzt, um eine weitere Beschwörung durchzuführen. Diesmal war es ein Feuerdämon. Der hatte zwar keine Beine, aber Flügel und kaum war er eindrucksvoll unter rotem Glühen aus dem Boden aufgestiegen, flog er auch schon los und schnappte sich den nächstbesten Typen auf dem Metallsteg. Der war völlig überrascht, denn da er auf den Golem gezielt hatte, stand er mit dem Rücken zum Dämon. Er schrie erschrocken auf, doch viel Zeit hatte er nicht herauszufinden was ihn da gepackt hatte. Der Dämon griff ihn an der Gurgel drückte zu und zermatschte ihm den Hals. Dann ließ er ihn einfach fallen wie ein Stück Müll. Dumpf schlug der Körper in der unteren Etage auf. Die anderen hielten kurz in ihrem Metallgewitter inne und blickten zu ihrem neuen Gegner. Der Dämon hielt sich nicht mit einer Vorstellung seinerseits auf, sondern flog schnurstracks zum nächsten Typen und fegte ihn mit einem Schwinger nach unten in den Dreck, wo er seiner Meinung nach wohl hingehörte. Der Mann kreischte und jaulte vor Schmerz, als er unten aufschlug. Es fügte sich, dass er daran noch nicht starb, doch der Golem kam herbei und änderte diesen Zustand, in dem er sich den Typen mit seiner steinernen Pranke griff und mit dem Gesicht voran gegen die nahe Wand schmetterte. Der lähmende Schockmoment war überwunden, jetzt brach die nackte Panik aus. Alle ballerten wie von Sinnen auf den Dämon, der fauchte und brüllte und jetzt rasend vor Wut war. Er stieß einen Schwall Flammen aus und verwandelte den nächststehenden Schützen so in eine Fackel. Der Held hatte währenddessen einen mittleren Heilzauber auf sich gewirkt und die Klaue Beliars hervorgkramt. Es hatte überraschend lange gedauert und er nahm sich vor seine Freunde noch mal daran zu erinnern, dass sie ihm ihren Kram bald mal wieder abnehmen konnten. Er lief auf den Anführer zu, den er zuvor bewusstlos geschlagen hatte und der sich jetzt anschickte sich unter Stöhnen wiederaufzurichten. Der Mann fluchte und griff nach seiner Pistole, die noch neben ihm lag und wollte auf ihn schießen, doch der Held war abermals schneller. Er machte sich nicht die Mühe groß auszuholen, sondern stach einfach zu. Kaum durchfuhr die Klinge das Fleisch seines Feindes, entlud sie einen tödlichen Blitz, fast so, als hätte sie nur darauf gewartet endlich wieder Blut zu kosten. Der Held setzte seinen desaströsen Weg ungebremst fort und verwandelte die Lagerhalle in ein Schlachthaus. Der Kampf war zwar sehr kurz, aber überaus brutal und am Ende waren nur noch er, sowie der Golem und der Dämon übrig. Die beiden Wesen mochten mit diesem Zustand wohl nicht leben, denn kaum fehlte es an Gegnern, gingen sie gegenseitig auf einander los. Der Golem stürmte auf den Dämon zu, der von oben heruntergekommen war, und versuchte ihn wegzuschlagen, doch unerwarteter Weise steckte der den Schlag einfach weg und hieb jetzt ebenfalls aus. Der Held stand oben auf dem Metallgitter, stütze sich auf sein Schwert, dass noch im Leichnam eines Gegners steckte und sah dem Kampf interessiert zu. Dabei dachte er sich, dass das doch sicher eine neue viel spannendere Art des Zweikampfs war. Kämpfende Kerle hatte ja schon wirklich jeder gesehen, aber zwei Monster die sich kloppten, das war doch mal was Besonderes. Sicher, er hatte das zwar schon mehrfach erlebt, denn immer, wenn er mehrere Beschwörungen unterschiedlicher Art herbeirief, führte das letztendlich zu einem finalen Zweikampf, aber er dachte sich, dass es für die normale Bevölkerung sicher ein Nervenkitzel wäre. Er beschloss es Tyson vorzuschlagen und gerade als er diesen Gedanken fasste zerschlug der Dämon den Golem und der Geröllhaufen fiel in sich zusammen. Mit seinen üblichen dämonischen Atemgeräuschen schwebte das Ungeheuer jetzt auf der Stelle herum, ganz so, als wenn nichts weiter gewesen wäre. Der Held sah ein, dass jetzt nichts mehr weiter passieren würde, zog Beliars Klaue mit einem Knirschen aus dem Brustkorb seines Opfers und steckte es wieder in seine Hosentasche zurück. Er lief die Metalltreppe hinunter zum Dämon und befahl ihm hier zu warten, damit er ihm nicht hinaus auf die Straße folgte. Der Dämon ließ nicht erkennen, ob er ihn verstanden hatte oder nicht. Er schwebte einfach weiter unbeteiligt herum. Dem Helden war das wohl egal, er verließ das Lagerhaus und trat in die kühle Nacht hinaus. Er war gerade erst über die Straße gegangen, da hörte er von oben aus dem zweiten Stock des nahen Eckhauses einen Pfiff. Es war Diego. Er stand auf einem leeren Balkon, hatte wohl die Lage beobachtet und auf der Lauer gelegen, falls sein Freund seine Hilfe benötigen würde.
„Sieht so aus, als wärst du wie immer ganz alleine mit dem Problem fertig geworden“, sagte der ehemalige Schatten mit Respekt in der Stimme.
„Hm… ja, einen Moment habe ich geglaubt, ich hätte diese Schusswaffen unterschätzt, aber als dann der Golem da war und für Verwirrung gesorgt hat, war es eigentlich kein Problem mehr.“
„Soll der jetzt im Lagerhaus bleiben?“ fragte Diego skeptisch.
„Nein, mein Dämon hat ihn zerbröselt.“
„Und den lässt du jetzt dort zurück?“ fragte sein Freund weiter.
„Hm… jetzt wo du es ansprichst, vielleicht keine gute Idee. Ich rufe ihn später ins Versteck, dort kann er sich als Wächter nützlich machen.“
„Na, da werden sich aber welche freuen“, sagte Diego sarkastisch.
Es war nicht schwer Tyson zu finden. Für Gorn stand heute wieder ein Kampf an und er war als Kassenleiter natürlich mit dabei. Die Halle hatte sich bereits bestens gefüllt. Gorns letzter Kampf hatte sich weit herumgesprochen. Gorn stand in einer Ecke. Vor ihm lag ein zerhackter Tisch. Offenbar gehörte es wieder mal zur Show seine Axt zu schwingen und zu demonstrieren was er damit alles anstellen konnte. Sein Gegner, ein Typ wie ein Schrank, wirkte durchaus eingeschüchtert, versuchte aber seinerseits den starken Max zu markieren. Sie umkreisten sich, dann schlug Gorn los. Es wurde eine wilde Keilerei und die Menge jubelte ihnen begeistert zu. Diego und der Held fanden auch Lester, der am Geländer, in der oberen Etage stand und Sumpfkraut paffte. Das hier war der perfekte Ort um sein Kraut zu verkaufen. Er hatte bereits alles was er dabei hatte an den Mann gebracht, so dass er jetzt entspannen konnte.
„He Lester, alles klar?“ fragte der Held im Plauderton.
„Sicher, warum auch nicht?“ fragte Lester unbekümmert.
„Gab eine Auseinandersetzung mit diesem Clan“, erklärte Diego und Lester sah jetzt tatsächlich beunruhigt aus.
Er hatte sein letztes Aufeinandertreffen mit diesen Leuten nicht vergessen.
„Mach dir keine Sorgen, ich habe die Angelegenheit geklärt“, sagte der Held. „Die anderen sind jetzt bestimmt so eingeschüchtert, dass sie erstmal unter sich bleiben.“
„Bist du dir da so sicher?“ fragte Diego, weil er diese Aussage naiv fand. „Wenn das wirklich so ein großer und mächtiger Clan ist, wie Elyas meint, dann kann ich mir denken, dass sie viel mehr auf Rache aus sind. Wir sind es, die zukünftig ordentlich aufpassen müssen.“
„Sollen sie nur kommen“, sagte der Held kampflustig.
Lester sah so aus, hätte ihm jemand Mist in sein Sumpfkraut getan. Zu allem Überfluss musste Diego auch noch anmerken: „Sie haben nach dir gefragt. Ich schätze, du als Koch stellst für sie eine Schlüsselfigur dar. Wenn sie dich kriegen, dann ist es aus mit dem Sumpfkraut und das wollen sie doch vermutlich. Naja, und Rache natürlich.“
Lester lief leicht grün an.
„Dabei hatte der Tag so gut angefangen“, murmelte er niedergeschlagen vor sich hin.
Gorns Kampf unten geriet zur Nebensache. Lester und Diego sahen zwar zu, hingen aber ihren eigenen Gedanken nach und der Held bahnte sich einen Weg zu Tyson, um ihn von seiner Idee mit den Monsterkämpfen zu überzeugen.
„Monsterkämpfe?“ fragte der verwundert, weil er sich davon wohl keine Vorstellung machen konnte.
„Zwei Monster kämpfen gegeneinander, was ist daran nicht zu verstehen?“ fragte der Held ungeduldig.
Tysons Augenbrauen berührten sich fast, so verwundert schaute er drein.
„Ok, Gorns Kampf ist sowieso der Höhepunkt des Abends, wenn das danach Mist sein sollte, ist es eh egal. Wenn du willst können wir diese Monsterkämpfe gleich ausprobieren. Ich weiß zwar nicht, wo du diese Viecher herbekommen willst, aber das ist ja dein Problem.“
Tyson zählte weiter Geld, was ihn wohl an etwas erinnerte.
„Ich werde jedenfalls Wetten drauf abschließen. Ich muss die Monster ja irgendwie nennen, was sind denn das für Viecher?“
„Hm…“
Der Held dachte nach.
„Ich denke, es sollte zuerst was Einfaches sein, damit wir sehen können, ob es so funktioniert wie gedacht. Wolf gegen Goblin wäre doch ein guter Einstiegskampf.“
„Goblin?“ fragte Tyson nach. „Was soll der Mist?“
„Mist? So ein Goblin ist sehr agil und wird den Kampf interessant machen.“
Tyson hatte wohl keine Lust mit ihm zu diskutieren, denn er seufzte genervt und sagte dann: „Ok, und wie nenne ich die? Wenn ich die Ansage hört es sich doch bescheuert an, wenn ich einfach nur sage: „Und jetzt Wolf gegen Goblin.“ Haben die irgendwelche Namen?“
Der Held zog die Stirn kraus. Immer das mit den Namen.
„Also der Wolf heißt Waldi und … wie könnte man einen Goblin nennen?“
Tyson stieß genervt die Luft aus.
„Was weiß ich, Gobbo halt, mir egal, Hauptsache das Vieh kriegt einen Namen. Den ersten Kampf müssen wir aber wohl eh erstmal austesten. Die Leute wetten auf nichts Unbekanntes.“
Seine Worte gingen im Jubel der Menge unter, als Gorn seinen Kontrahenten nach Strich und Faden verdrosch und schließlich besiegte.
„So, dann mal rein mit dir in die Arena und bring deine Monster.“
Während zwei große wuchtige Kerle Gorns Gegner vom Boden hochzerrten, lief der Held in den Kampfbereich, klopfte Gorn auf die Schulter und sagte ihm so, dass er jetzt übernahm.
„Unser Freund, …“ Tyson überlegte kurz, entschied dann, dass er seinen Namen vergessen hatte, räusperte sich und sprach weiter: „hat uns etwas mitgebracht, dass noch nie hier gezeigt wurde.“
Der Held zog die Rune und beschwor Waldi. Von jetzt auf gleich stand er vor seinem Herrn und schaute ihn folgsam an. Staunen breitete sich in der Menge aus, wie eine Laola-Welle. Leute von weiter hinten drängelten sich nach vorn, oder stiegen die Treppe hinauf, um von oben eine bessere Sicht zu haben. Hatte man vorher schon den Eindruck, es wäre voll, so wimmelte es jetzt wie in einem vollbesetzten Ameisenhaufen. Der Held lief ein paar Schritte und beschwor jetzt ein Goblinskelett. Obwohl es seiner Stimmbänder beraubt war, quiekte es wie ein waschechter lebendiger Goblin. Die leeren Augenhöhlen richteten sich sofort auf Waldi. Auch der Wolf wandte sich ihm sofort zu, knurrte drohend und bleckte die Zähne. Es war wie der Held erwartet hatte. Sie gingen sofort aufeinander los. Er verließ den Kampfplatz und stellte sich an die Seite, um zu beobachten wie es enden würde. Tyson hatte es die Sprache verschlagen. Das war ungewohnt für ihn, doch er fasste sich wieder und sagte dann doch noch an: „Es kämpfen jetzt Waldi der Wolf gegen Gobbo den Goblin.“
Die beiden genannten hatten längst angefangen. Gobbo hatte seinen vergammelten Ast erhoben und stürmte auf Waldi zu, der aber auswich und dann von der Seite angriff. Er bekam das Schulterblatt des Goblins zu fassen und zerrte daran. Gobbo quiekte und grollte und versuchte sich aus dem Kiefer zu befreien. Er wand sich, so dass Waldis Zähne abrutschten und nur mehr seinen rechten Arm festhielten. Mit links zog er dem Wolf mit seinem Ast eins über den Schädel. Waldi ließ los und schreckte winselnd zurück. Die Zuschauer gafften staunend und brachen jetzt in laute Anfeuerungsrufe aus. Eilig wurden wieder allerorts Smartphones gezückt, um den Kampf aufzunehmen. Jeder hatte bereits für sich entschieden, wem er die Daumen drückte und wildes, Ohrenschmerzen verursachendes Geschrei hallte durch den hohen Raum. Währenddessen griff Gobbo, den Ast hoch erhoben, an und hieb dem Wolf weitere Schläge auf den Pelz. Das Tier wurde rasend, knurrte bedrohlich wie noch nie, fletschte die Zähne und schnappte geifernd zu. Es bekam den Ast zu packen. Das Holz knackte unter der Kraft von Waldis Kiefern. Der Wolf wollte dem Goblin die Waffe wegnehmen, doch der ließ nicht los. Die beiden Beschwörungen rangen unter drohenden Lauten um den Ast, wie zwei Parteien beim Tauziehen. Ständig wechselten sie ihren Standort, um den Gegner auf dem falschen Fuß zu erwischen, tänzelten über den Boden und versuchten den anderen zu übertölpeln. Waldi hatte den Vorteil, dass er auf vier Beinen stand und mehr Kraft besaß. Mit einem heftigen Ruck riss er seinen Kopf nach oben, stellte sich dazu auf die Hinterbeine und riss Gobbo damit den Ast aus den Händen. Waldi taumelte, fiel um und spuckte den Ast aus. Gobbo sah ihn einen Moment unsicher an und rannte dann vor ihm weg. Waldi richtete sich bedrohlich knurrend auf und rannte ihm nach. Einmal im Kreise herum, ging die wilde Jagd, denn die Menschen standen so dicht, dass selbst für das kleine Goblinskelett kein Durchkommen war. Waldi holte Gobbo ein, sprang und streckte ihn nieder. Gobbo versuchte kriechend fortzukommen, doch Waldi packte ihn am Fußgelenk und riss es ab. Die Knochen flogen in alle Richtungen und sprangen selbst noch in das wilde Gedränge der Leute, die staunend Augen und Münder aufrissen und jubelten, angesichts der gezeigten Brutalität. Sowas hatten sie wirklich noch nicht gesehen. Gobbo jammerte und versuchte mit den Händen fortzukriechen, doch Waldi war es wohl egal, denn er schnappte jetzt seinen Brustkorb und zerlegte ihn knirschend mit wilden Bissen. Gobbo starb mit einem quälenden Laut und alles was blieb waren ein Häufchen Knochen auf dem Boden, über die sich Waldi jetzt hermachte. Als wäre das alles ganz normal hockte er da und nagte an den Knochen seines früheren Kontrahenten. Die Zuschauer konnten es wohl noch gar nicht richtig fassen, denn zuerst hielten sie alle zusammen die Luft an. Nur Waldis nagen war zu hören. Dann brach lautes Geplapper los. Die Leute waren begeistert. So etwas hatte es noch nicht gegeben. Das war vollkommen neu, richtig brutal und damit sehr unterhaltsam. Schon bestürmten einige Leute Tyson und bewarfen ihn fast schon mit Geld, damit es einen weiteren Monsterkampf gab. Lester drängte sich zum Helden durch.
„Waldi setzt du jetzt aber nicht wieder ein, oder?“ fragte er.
Seine Stimme schwankte zwischen Furcht und Strenge.
„Wieso, warum auch nicht?“ fragte der Held, der sehr zufrieden mit seiner Idee war.
„Naja, es ist doch Waldi. Ich mag ihn und ich fände es schade, wenn er stirbt.“
Der Held sah Lester verwundert an. Er hatte sich zwar auch an die Anwesenheit des Wolfes gewöhnt, doch Lester mochte den Wolf wohl wirklich.
„Wenn er stirbt, ist es doch nicht schlimm, ich kann ihn doch jederzeit erneut herbeirufen.“
„Trotzdem“, beharrte Lester auf seinen Standpunkt. „Vielleicht könnte er es uns übelnehmen. Er hat doch schon einen Kampf gewonnen.“
„Na schön, dann nimm ihn mit“, sagte der Held, dem es jetzt auch egal war.
Lester lief sofort auf Waldi zu, der selig an seinem Futter knusperte und sagte: „Na komm mit Waldi. Du hast es für heute geschafft.“
Waldi schaute Lester aus seinen braunen treuherzigen Wolfsaugen an, schluckte den Bissen herunter, der ihm noch im Hals steckte und schaute zu seinem Herrn hinüber. Der ruckte mit dem Kopf. Offenbar sollte er mitgehen. Waldi schnappte sich den Brustkorb des ehemaligen Goblinskeletts, richtete sich auf und lief Lester hinterher, der sich durch die Menge drängte, die jetzt eilig Platz machte und hinter dem Wolf hersah. Sie liefen die Treppe hinauf und aufs Geländer, wo sich Waldi wieder niederließ und erneut an den Knochen herumkaute. Der Held trat wieder in die Mitte des Kampfplatzes und beschwor abermals Gobbo. Der sah seinen Herrn kurz aus dunklen, leeren Augenhöhlen an und wandte sich dann um. Er rannte mit hoch erhobenem Ast zum Rand der Arena, blieb abrupt stehen und schaute ärgerlich kreischend zu Waldi hinauf, der an seinem vorherigen Körper herumknabberte. Der Goblin kam nicht heran, er konnte nur empört von einem knochigen Fuß auf den anderen hopsen und seinen Ast drohend schwingen. Waldi ließ das kalt. Er tat so, als ob er den Goblin da unten gar nicht kennen würde und ihn das alles gar nichts anging. Währenddessen war der Held bereits dabei eine weitere Beschwörung durchzuführen. Tyson brüllte: „Und jetzt ein Kampf zwischen Gobbo dem Goblin und dem Golem … ähm… Bob.“
Leute reichte bereits Geld zu ihm, die Wetten waren voll am Laufen und der Geschäftsmann hatte alle Hände voll zu tun. Bob, der Golem, erschien wie bestellt und schaute sich nach seinem Gegner um, indem er die rechte Hand an seine Stirn hob und aus reglosen Augenlöchern umherstarrte. Gobbo hatte seinen Gegner natürlich schon entdeckt und rannte mit wild schwingendem Ast auf den Steinklotz zu, offenbar froh jemanden zu haben, an dem er all seinen Ärger auslassen konnte. Wild hämmerte er auf den Golem ein, der zuerst nicht ganz begriff was da passierte. Er sah auf das kleine Skelett hinunter, dass seine Knie kitzelte und stieß mit dem Fuß nach ihm, doch Gobbo war flink und wich rechtszeitig zurück. Er tänzelte um seinen großen Gegner herum und versetzte ihm saftige Schläge, die freilich nicht viel ausrichteten, außer dass sein Holz platt gehauen wurde. Dieser Kampf war tatsächlich nicht so aufregend wie der letzte, da es hauptsächlich darum ging, dass Gobbo um Bob herumhopste und seinen Frust ausließ und Bob hin und wieder mal nach dem kleinen Kerlchen schlug, ihn aber nicht traf. Dem Jubel der Menge tat dies keinen Abbruch. Es war allein schon die Tatsache ein Goblinskelett gegen einen Golem kämpfen zu sehen. Das reichte schon an Außergewöhnlichkeit. Schließlich landete Bob doch noch einen Treffer und Gobbo zerfiel in seine Einzelteile. Da die meisten Spieler auf Bob gewettet hatten, fiel der Gewinn nicht sehr hoch aus. Tyson hatte das schnell erledigt und flitzte dann eifrig zum Helden, der bereits in die Mitte ging, um den nächsten Kampf zu starten. Sie berieten sich kurz und der Held wartete, damit Tyson den nächsten Kampf ansagen konnte und die Wetten diesmal ordentlich platziert werden konnten.
„Als nächstes kämpft Bob, der Golem gegen Elmo das Ninja Skelett.“
Der Held wartete und beschwor das Geschöpf erst, als Tyson mit einem Nicken seine Zustimmung gab. Elmo erschien und mit einem ratschenden Geräusch zog er seinen rostigen Zweihänder, den er sich selbst zwischen die Knochen gesteckt hatte, um eine Halterung für das Schwert zu haben. Der Held verdrückte sich an den Rand und wartete gespannt ab. Seiner Meinung nach war der Golem in klarem Vorteil. Elmo war aber beinahe ebenso wendig wie Gobbo. Geschickt wich der den Backpfeifen von Bob immer wieder aus, so dass er überhaupt keinen Schaden einstecken musste. Dagegen säbelte Elmo immer wieder auf Bob ein. Die Angriffe waren im Gegensatz zu denen von Gobbo wirklich ernst zu nehmen. Das rostige Metall zog lange Kerben ins Gestein. Immer weiter wich Bob zurück, weil Elmo ohne Unterlass auf ihn einhackte. Der Held dachte fast, das rostige Schwert würde am Gestein zerbrechen, doch unfassbarer Weise hielt es durch und Bob geriet in die Zwickmühle. Er musste immer weiter zurückweichen und drängte jetzt die Menschen hinter sich weg, die eilig zur Seite sprangen, um dem wandelnden Steinhaufen Platz zu verschaffen. Die Stimmung war zum Zerreißen gespannt. Auch diesmal war es ein ohrenbetäubender Lärm, doch manche der Zuschauer waren schlicht zu gespannt, um irgendwelche Töne von sich zu geben. Staunend sahen sie einfach dem Kampf zu und konnten immer noch gar nicht fassen was sie da eigentlich sahen. Die Smartphones liefen heiß, während sie den Kampf filmten. Bob kam gar nicht mehr aus der Defensive heraus. Erbarmungslos attackierte Elmo ihn bis zum letzten. Sie hatten den halben Weg durch das Gebäude genommen, als Bob sich schließlich in sein Schicksal fügte und auseinanderfiel. Elmo steckte sofort sein Schwert weg und stand wie zur Salzsäule erstarrt einfach nur da und wartete auf neue Befehle. Der Held beobachtete ihn misstrauisch. Ein Gedanke war gewesen, dass die Beschwörungen die Menschen angreifen könnten, doch waren es offenbar so viele, dass sie gar nicht mehr als einzelner Feind wahrgenommen wurden. Vielleicht würde sich dies ändern, wenn sie dem beschworenen Wesen zu nahe kamen. So dumm war aber offenbar keiner. Die Zuschauer hatten jetzt zwar einen Kreis um das Skelett gebildet, das sie aus leeren, finsteren Augenhöhlen anstarrte, aber sie wagten nicht näher zu kommen, oder es gar zu berühren. Tyson jubelte, denn dieser Abend war ein voller Erfolg gewesen.
„Super Idee, diese Monsterkämpfe. Hier nimm!“
Er häufte dem Helden einen Stapel Geld auf, der gar nicht wusste, was er damit anfangen sollte. Er steckte es erstmal in seine Hosentasche.
„Aber das Skelett nimmst du doch auch wieder mit, oder?“
„Sicher, ich beam mich gleich nach Hause und hol es dann nach.“
„Was machst du?“ fragte Tyson verwundert.
„Beamen, das sagt man hier doch so.“
Der Held zwinkerte ihm bedeutungsvoll zu. Tyson sah ihm ratlos dabei zu, wie er eine weitere Rune griff und von jetzt auf gleich einfach verschwand. Kurz darauf zerfiel Elmo in seine Einzelteile. Die Zuschauer schauten erst verdutzt, dann stürzten sich alle auf die Knochen, als wäre es pures Gold. Wildes Gedränge setzte ein und brachiale Keilereien starteten, aufgeheizt von der Stimmung, um ein Stück der Kämpfer mit nach Hause zu nehmen, oder vielleicht zu Geld zu verwerten.
Milten hatte es in letzter Zeit wirklich nicht leicht. Eigentlich reichte es ihm schon, dass er, obwohl das eigentlich zu erwarten war, auf dem Platz, wo vor einiger Zeit der Mittelaltermarkt stattfand, nicht das geringste bisschen Magie hatte aufspüren können. Doch als er dann zum Krankenhaus zurückkehrte, hatte er feststellen müssen, dass er von überallher nicht nur mit den üblichen neugieren Blicken, sondern auch mit nervösen und ängstlichen bedacht wurde. Milten war nicht auf den Kopf gefallen, er konnte sich denken, dass es mit dem nächtlichen Überfall zusammenhing. Hatte Astrid es frei heraus überall herumerzählt? Vielleicht war sie immer noch so durcheinander und mitgenommen, dass sie sich einfach mitteilen musste? Eine ältere Krankenschwester sprach ihn an und sagte ihm in distanziertem Ton, dass die Leiterin des Krankenhauses ihn zu sprechen wünschte. Das konnte nichts Gutes verheißen. Unruhig machte sich Milten auf den Weg. Es stellte sich heraus, dass die Ursache all dieses Aufhebens wirklich der nächtliche Zwischenfall war. Die Leiterin fragte zwar nach, ob Astrid oder er verletzt wurden wären, aber wichtiger schien es ihr dann doch zu sein herauszufinden unter welcher Motivation der Feuermagier seine beiden Widersacher zurückgeschlagen hatte. Vielleicht zweifelte sie an Miltens guten Absichten, obwohl er der Meinung war, er hätte sie schon zur Genüge bewiesen, da er so vielen Menschen hier geholfen hatte. Im Laufe des Gesprächs wurde klar, dass sie fürchtete, er könnte durch all den Stress psychisch instabil geworden sein. Milten wollte dem sofort wiedersprechen, aber dann fiel ihm ein, dass es zumindest teilweise stimmte. Ja, er war gereizter als sonst, ja, vielleicht wäre ihm ein besserer Ausweg eingefallen, wenn er nicht so viele Manatränke zu sich nehmen würde und stattdessen mehr Schlaf bekam und ja, vielleicht war er im Vergleich zu den anderen Leuten hier tatsächlich etwas anders zu Gewalt eingestellt, auch wenn er das noch in Myrtana nie für möglich gehalten hätte. Das alles ging er in kurzer Zeit im Kopf durch, doch sprach er nichts davon laut aus. Er dachte, dass das seine Lage nur noch verschlimmern würde. Stattdessen versicherte er, dass es reine Notwehr war und nicht wollte, dass Astrid verletzt wurde. Zudem beteuerte er, die schwächsten Feuerzauber benutzt zu haben, um die Banditen zu vertreiben. Daraufhin hob die Leiterin eine Augenbraue, sagte aber dazu nichts weiter. Sie entließ ihn, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass er sich hier in einer Gesellschaft befand, in der Gewalt nicht toleriert wurde. Milten ging mit dem Gedanken hinaus, dass ihm seine bisherigen Erlebnisse in dieser Welt aber ein etwas anderes Bild zeichneten. Sicher, mit den Zuständen in Myrtana war es ganz gewiss nicht zu vergleichen, aber immerhin wurden all die Machenschaften seiner Freunde noch nicht mit irgendwelchen Strafen bedacht. Und das war schon ein starkes Stück, wenn er bedachte was schon so alles geschehen war. Erstaunt stellte er fest, dass er tatsächlich froh war, dass es so war. Er wollte Gorn oder einen der anderen nicht aus dem Gefängnis befreien oder herausreden müssen. Als er weiter darüber nachdachte war er bestürzt über seine eigenen Gedanken. Offenbar war er nicht so moralisch integer, wie er gedacht hatte. Sicher, ein allzu strenger Verfechter der Gesetze war er nie gewesen, denn irgendwie musste man schließlich durchkommen, doch gab es immer moralische Grenzen, die er nicht überschreiten wollte und er konnte es gar nicht leiden konnte, wenn seine Freunde sie sorglos und scheinbar ohne nachzudenken übertraten. Gedankenverloren trat er ohne zu klopfen ins Bereitschaftszimmer und stieß dort überraschend auf Astrid und ihren Vater, die offensichtlich in ein Streitgespräch verwickelt waren. Als sie sahen, wie sich die Tür öffnete, verstummten sie jäh.
„Oh, Entschuldigung, ich wollte nicht stören“, sagte Milten verlegen und wollte schon wieder verschwinden, doch Günther sagte rasch: „Nein, du kannst ruhig reinkommen. Du kommst gerade zur rechten Zeit. Hab ich nicht Recht?“
Sein letzter Satz galt seiner Tochter, die er jetzt mit einem Blick bedachte, den Milten nicht ganz deuten konnte. War es Verärgerung, oder Strenge? Eigentlich rechnete der Feuermagier selbst mit einer Strafpredigt, immerhin war er ihr Vater und stand somit bestimmt auf ihrer Seite, weswegen er sehr verwundert war, dass er sie mit so einem Blick bedachte.
„Ich habe gehört, was passiert ist,“ begann Günther. „Astrid rief noch in derselben Nacht zuhause bei meiner Frau und mir an und erzählte es ganz aufgeregt.“
„Und ich habe meine Meinung nicht geändert,“ wollte Astrid offenbar das Gespräch wiederaufnehmen, dass der Feuermagier unwissentlich unterbrochen hatte.
„Ich finde du tust ihm Unrecht“, erwiderte Günther.
„Milten hat einfach so ein paar Feuerbälle beschworen und die Männer damit beworfen“, sagte Astrid fast schon hysterisch.
Es war ganz klar, sie hatte die gestrige Situation noch nicht verdaut.
„Ich wollte dich nur beschützen“, erklärte Milten.
„Da hast du es“, sprang ihm unvermutet Günther bei. „Und ich bin froh, dass du meine Tochter vor Schaden bewahrt hast“, wandte er sich jetzt direkt an den Feuermagier.
„Ich verstehe nicht wie du auf seiner Seite sein kannst“, reagierte die Krankenschwester pikiert.
„Was genau ist eigentlich dein Problem?“ fragte Milten.
Diese Direktheit war eigentlich nicht seine Art, aber er wollte jetzt endlich wissen, warum dieses Thema so lang und breit ausgewalzt wurde. Er wollte es einfach nur noch hinter sich lassen.
Astrid druckste einen Moment herum und es sah schon fast so aus, als würde sie gar nichts mehr sagen.
„Na…“ kam es von ihrem Vater, der offenbar auch wollte, dass sie jetzt endlich den Mund aufmachte.
Sie holte tief Luft und dann sprudelte es nur so aus ihr heraus: „Ich hab einfach die ganze Zeit geglaubt, dass du ein netter Kerl bist, der anderen gerne hilft und sich für andere einsetzt und dann muss ich herausfinden, dass du ein abgestumpfter Gewalttäter bist.“
Die Worte trafen Milten hart. So würde er sich ganz sicher nicht selbst einschätzen und es erschreckte ihn, dass Astrid ihn jetzt so sah.
„Wie kommst du denn darauf?“ fragte er fassungslos.
„Wie ich darauf komme?“
Astrids Stimme wurde wieder höher.
„Du hast nicht einmal gezögert, bevor du sie mit deinen Feuerbällen beworfen hast.“
„Genau genommen waren es Feuerpfeile und in meiner Heimat ist es so, dass wer sich nicht wehren kann und zögert nicht lange zu leben hat.“
„Da hast du es“, sagte Günther, als wenn Milten ausgesprochen hätte, was er schon immer gesagt hatte. „Ich muss sagen, mir gefallen diese Umstände auch nicht, aber Milten hat versucht dich vor diesen Typen zu beschützen. Das ist mir lieber als ein feiger Hund, der dich einfach stehen lassen würde und selbst abhaut.“
„Ach, du hättest die beiden Typen also auch angegriffen?“ giftete seine Tochter ihn an. „Da hab ich meinen Vater wohl all die Jahre falsch eingeschätzt und diese pazifistischen Reden, die du in meiner Kindheit immer geschwungen hast? Alles nur leeres Gerede, oder was?“
„Liebes, du kannst doch hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen“, sagte Günther und seine Stimme wurde weicher. „Wenn ich überfallen werden würde, dann würde ich bestimmt nicht angreifen, schon gar nicht wenn ich von mehreren Leuten bedroht werde. Ich würde meine Brieftasche und mein Smartphone zu ihnen werfen, vielleicht noch meine Armbanduhr und darauf hoffen, dass sie mich dann in Ruhe lassen. Wenn die mies drauf sind oder ihnen meine Visage nicht passt, schlagen sie mich dann vielleicht noch zusammen. Nein, ich wäre vermutlich nicht mutig genug, um mich solchen Leuten entgegenzustellen.“
Er warf Milten einen bewundernden Blick zu. Der Feuermagier war immer noch erstaunt. Er hatte wirklich damit gerechnet, dass Günther ein paar strenge Worte mit ihm wechseln würde.
„Nach allem was Milten über seine Heimat erzählt hat, geht es da wohl sehr raubeinig zu. Wie kannst du da erwarten, dass er von heute auf morgen sein Verhalten ändert, wenn es ihm bisher immer genutzt hat?“
„Trotzdem“, kam es ein bisschen bockig von Astrid, ohne dass sie weitere Gegenargumente vorbringen konnte.
„Wenn Milten sich erstmal richtig eingewöhnt hat, dann wird er sich an unsere Lebensweise schon anpassen, aber wir müssen ihm dabei helfen, damit er merkt, dass man hier normalerweise nicht hinter jeder Ecke etwas Schlimmes befürchten muss.“
Milten hob verwundert eine Augenbraue. Nicht nur, dass er gar nicht vorhatte den Rest seiner Tage hier zu verbringen, auch wenn er zugeben musste, dass es vielleicht so kommen könnte, die zerhackten Leichen in den Plastikbehältern sagten ihm, dass auch hier nicht alles Friede Freude Eierkuchen war und es bestimmt nicht schaden konnte wachsam zu sein. Doch Günthers Worte lösten abermals ein flaues Gefühl in ihm aus. Nie mehr nach Hause zu kommen, dieser Gedanke wurde ihm fast unerträglich. Er fühlte sich immer noch schuldig, weil er es vielleicht gewesen war, der ihren Teleport vermasselt hatte. Außerdem wurde er das Gefühl nicht los, dass inzwischen vielleicht sogar von ihm erwartet wurde, dass er hierblieb. Unvermittelt klopfte es an der Tür und ohne, dass sie jemand hereingebeten hätte, traten die Polizisten Nagel und Klein ein.
„Feuermagier Milten?“
Herr Nagel betonte das „Feuer“ extra, was Milten nichts Gutes ahnen ließ. Hatte seine Notwehr doch noch weiter nach sich ziehende Folgen? Hatte die Krankenhausleitung sie vielleicht gerufen?
„Was gibt es?“ fragte er einfach nur, und versuchte möglichst gefasst auszusehen.
„Heute Morgen haben wir einen Tatort entdeckt. Zuerst sah es nach einem Bandenkrieg unter Verbrechern aus, aber der Umstand, dass über dem betreffenden Lagerhaus wohl Feuer geregnet hat, lässt darauf schließen, dass da Magie im Spiel war und da hab ich mich sofort an Sie erinnert.“
Für eine Schrecksekunde schien Miltens Herz abzustürzen. Was hatte der Held jetzt wieder gemacht? Denn wer sonst könnte dahinterstecken? Ein Feuerregen mitten in der Stadt, was war denn da nun schon wieder passiert? Und da machte er sich Sorgen, er würde unmoralisch handeln.
„Ich war’s nicht“, war das Einzige, was er im Moment hervorbrachte.
Er hob abwehrend die Hände, aber fühlte sich trotzdem ertappt. Warum mussten die Aktionen seiner Freunde so oft auf ihn zurückfallen?
„Das hat auch niemand behauptet“, schnarrte Herr Klein, bedachte Milten aber mit einem aufmerksamen Blick.
Die rasche Antwort und das Verhalten des jungen Mannes ließen ihn stutzen. Seine Menschenkenntnis sagte ihm, dass dieser Mann indirekt sehr wohl etwas mit dem Fall zu tun haben könnte.
„Wir brauchen ihre … Expertise, um diese Sache weiter bearbeiten zu können, denn immerhin ist Feuermagie doch ihr Fachgebiet, oder?“
„Sicher.“
„Dann kommen Sie bitte mit. Ich habe das schon mit der Leiterin abgesprochen, sie werden so lange von ihrer Arbeit freigestellt.“
Herr Klein bedachte die anderen beiden, die sprachlos da standen, nnoch mit einem Blick und damit war es der erste, den er ihnen zuwarf, dann ging er nach Milten aus dem Raum.
Eispfötchen
15.08.2018, 20:43
Vor dem Lagerhaus standen mehrere Polizeiwagen und geschäftig wuselten Polizisten und andere Leute, offenbar Angestellte, hin und her, ohne das Milten erkennen konnte, was ihre Aufgaben waren. Herr Klein und Herr Nagel hielten zielstrebig auf die Tür des Lagerhauses zu. Innen schlug Ihnen ein unangenehmer Geruch entgegen. Hier waren noch mehr Menschen beschäftigt. Ein älterer, grauhaariger, hagerer Herr hielt ein Gerät in der Hand, dass hin und wieder Blitze verschoss und auf besonders grausige Hinterlassenschaften gerichtet war. Milten sah sich mit einem flauen Gefühl im Magen um. Für ihn stand außer Frage, dass niemand anders als sein Freund das hier verbrochen haben konnte.
„Ganz offensichtlich hat jemand dieses Lagerhaus in ein Schlachthaus verwandelt. Wir haben zwar unsere eigenen Vermutungen, aber wir sind sehr gespannt auf ihre fachkundige Meinung Herr Feuermagier“, sagte Herr Klein, eine unüberhörbare Spur Hohn in der Stimme, den Milten aber an sich abprallen ließ.
Er hatte im Moment ganz anderes worüber er sich Sorgen musste. Wie viel sollte er ihnen sagen? Sie würden bestimmt nicht eher Ruhe geben, bis sie Antworten auf ihre Fragen hatten, dennoch wollte er seinen Freund auch nicht verraten. Aufmerksam stand er vor einer großen Blutlache. Die Spritzer deuteten darauf hin, dass das Blut von oben herabgetropft war. Dort lag die Leiche eines Mannes, den Milten von hier unten durch die Metallgitter nur undeutlich erkennen konnte. Der Feuermagier vermutete, dass sein Freund ihn mit Beliars Klaue niedergestreckt hatte. Sein Blick verweilte einen Moment auf dem Leichnam, dann wechselte er seinen Standort, um sich weiter umzusehen. Er kniete sich hin und fuhr mit den Fingern über die Brandspuren auf dem mit Glassplittern und Patronenhülsen übersäten Boden. Herr Klein und Herr Nagel tauschten einen gespannten Blick.
„Ja, ohne jeden Zweifel ein Feuerregen.“
Milten erhob sich wieder und sah nach oben zu den zerborstenen Fenstern. Dann ging er zielgerichtet auf den Steinhaufen zu, der mal ein Golem gewesen war. Die beiden Polizisten folgten ihm. Auch dort blitzte das Licht des Fotoapparats des Angestellten auf. Dann schulterte der Mann sein Gerät und ging von dannen, offenbar war seine Arbeit hier erledigt. Der Steinhaufen war seiner Meinung nach offenbar das am wenigsten interessante Objekt gewesen, was Milten klarwerden ließ, dass die Leute hier ganz offensichtlich nicht wussten womit sie es hier zu tun hatten.
„Wissen Sie was das hier ist?“ fragte Milten deswegen an die Polizisten gerichtet.
Der Feuermagier wartete sehr gespannt auf eine Antwort. Herr Nagel und Herr Klein warfen sich einen verwunderten Blick zu und Herr Nagel sagte dann etwas steif: „Ein Steinhaufen. Etwas merkwürdig, dass er hier so mitten im Raum liegt. Wir suchen noch eine logische Erklärung.“
Es war ihm deutlich anzuhören, dass er es nicht mochte sich als Unwissender zu offenbaren, deswegen schob er wohl diese dürftige Erklärung vor.
„Das ist ein Golem“, erklärte Milten ruhig, ohne den Blick davon zu lösen und deswegen sah er die skeptischen Blicke seiner Begleiter nicht.
„Ein … was?“ fragte Herr Nagel.
Doch sein Kollege hatte wohl schon davon gehört.
„Sie meinen, so eine Art bewegliche Steinstatue?“
„So in der Art, ja“, Milten legte einige der Steine beiseite, woraufhin Herr Nagel schon protestieren wollte, doch sein Kollege hielt ihn zurück.
Offenbar war er neugierig was der Magier tun würde. Der zog einen großen steinernen Kopf hervor und zeigte ihn den Beamten. Die wirkten immer noch nicht ganz überzeugt. Mit den Fingern fuhr Milten einige Risse und Kerben nach. Hier und da war im Stein auch eine Kugel stecken geblieben.
„So wie es aussieht diente er als eine Art Schutz vor diesen Kugeln.“
„Und die haben ihm dann den Garaus gemacht?“ fragte Herr Klein halb belustigt.
„Nein, das war ein Dämon, ist hier an diesen brachialen Kratzspuren sehr gut zu erkennen.“
Herr Kleins Lachen blieb ihm im Halse stecken.
„Ein Dämon? Sie meinen, so wie einer aus der Hölle?“
Jetzt war es an Milten verwundert auszusehen. Aber wenn die Hölle wirklich das Äquivalent zu Beliars Reich war, dann war es verständlich warum dieser Mann das dachte.
„So in der Art.“
Er ließ die beiden einfach stehen und sah sich weiter um. Die Polizisten standen einen Moment unschlüssig herum und folgten ihm dann mit einer Mischung aus Unbehagen und Neugier. Milten blieb an einer Wand stehen, wo sich ein bizarrer Anblick bot. Ein Mann war regelrecht in die Wand hineingestanzt wurden. Zersplitterte Knochen stachen aus seinem zermalmten Körper heraus. Es war ein Anblick, der nicht leicht zu ertragen war.
„Und was ist Ihrer Meinung nach hier passiert?“ fragte Herr Nagel mit schnarrender Stimme.
„Der Golem hat einen … Herrn … in diese Wand gedrückt“, sagte der Feuermagier trocken.
„Sie nehmen das alles viel zu gefasst auf, finde ich“, sagte Herr Nagel misstrauisch. „Ganz so, als wäre es vollkommen normal, wenn Steindinger Leute in Wände hauen und Feuer vom Himmel fällt.“
„Und Menschen aufgeschlitzt werden“, fügte sein Kollege hinzu.
Milten sah sie mit zusammengekniffenen Augen an.
„Ich versuche es aus einer objektiven Perspektive zu betrachten, um eine möglichst unverfälschte Sicht auf die Dinge zu bekommen. Ich vermute sie arbeiten ähnlich?“
Seine Frage bewirkte peinlich berührtes Schweigen, bis Herr Nagel endlich sagte: „Naja, aber wir sind ja auch vom Fach und Sie sind …“
„Ein Feuermagier“, sagte Milten, so als würde das alles erklären.
Er wandte sich zur Seite und ging die Metalltreppe hinauf, wo weitere Leichen lagen. Am schauderhaftesten waren die völlig verkohlten Überreste von drei Männern. Der Übelkeit erregende Gestank, der in der Luft hin, intensivierte sich hier oben. Milten blieb vor einem Körper stehen, der so schwarz war wie Holzkohle.
„Und war …?“ fragte Herr Klein.
„Der Dämon, genau wie das da hinten und das da unten“, Milten zeigte auf einen zerfetzten Leichnam und einen der unten auf dem Boden lag, dessen Hals zerquetscht war.
„Bei einigen anderen hier gehen wir aber vom Tod durch einen spitzen Gegenstand aus“, sagte Herr Nagel, weil er es nicht so aussehen lassen wollte, als wenn sie gar nichts herausgefunden hätten.
Er führte Milten zu einer Leiche, die fürchterlich zugerichtet war. Offenbar hatte jemand seinem Opfer erst die rechte Hand abgeschlagen und dann dem Oberschenkel eine tiefe Wunde beigebracht, woraufhin der Mann hintenüberfiel. Der Killer hatte dann seine Waffe im Brustkorb seines Feindes versenkt und herumgerissen, wodurch Knochen brachen und zersplitterten und Herz, Magen und Lunge vollständig zerrissen wurden. Milten sah so eine Leiche nicht zum ersten Mal. In Myrtana war es üblich Feinde derart zur Strecke zu bringen, um sicher zu gehen, dass sie auch auf jeden Fall tot waren.
„Wir vermuten als Tatwaffe ein Schwert“, sagte Herr Nagel, der jetzt neben Milten stand.
Es war nicht zu überhören, dass er etwas überrascht über diese Tatwaffe war. Doch Milten sagte nur: „Ja, sieht ganz so aus.“
Herr Nagel taxierte den Feuermagier.
„Ich kann mich dem Eindruck nicht erwehren, dass Sie mehr wissen, als sie uns sagen wollen.“
„Wirklich?“ fragte Milten ruhig.
„Ja,“ kam es zurück.
Herr Nagel wirkte sehr angespannt und der Feuermagier konnte sich denken, dass nicht viel fehlte und der Polizist würde andere Saiten aufziehen, um an die Wahrheit zu kommen.
„Sie sagten, es handele sich um einen Kampf zwischen Verbrechern?“ fragte Milten, um einen Ausgangspunkt für eine Erklärung zu haben, die sowohl die Polizisten zufrieden stellen würde, als auch seinen Freund nicht verraten würde.
„Wir vermuten es. Diese Typen hier gehören zu einem Familienclan, der fest in der kriminellen Welt dieser Stadt verankert ist.“
„Dann sieht es doch so aus, als hätte ihnen jemand einen Gefallen getan“, versuchte Milten dem Ganzen etwas Positives abzugewinnen, obwohl er innerlich am liebsten laut geschrien hätte.
Ein Teil von ihm wollte seinen Freund nicht länger decken. Gerechtigkeit und Ordnung mussten doch noch irgendeinen Wert haben. Doch die Treue zu seinem Freund war viel stärker als seine moralischen Bedenken und er wusste nicht, ob das gut war.
„Nun hören Sie mal gut zu. Wir sind hier nicht bei einem Superheldencomic. Irgendwelche einsamen Rächer in der Nacht können wir hier nicht brauchen. Mord ist Mord. Klar sind es jetzt ein paar Verbrecher weniger, aber so läuft das hier nicht. Wer eine Strafe begeht, muss in Gewahrsam genommen und einem Gericht vorgeführt werden, damit er sich dort für seine Taten verantwortet. Wir verurteilen Selbstjustiz. Außerdem sieht es meiner Meinung nach ganz so aus, als wäre das hier bloß der Anfang eines Konflikts, der sich anbahnt und das beunruhigt mich. Sehen wir uns doch nur mal um.“
Mit weit ausholender Geste wies er auf seine mit Blut und Leichen bestückte Umgebung.
„So etwas geschieht, wenn es denn überhaupt passiert, eigentlich erst dann, wenn eine Lage endgültig eskaliert, also ein Bandenkrieg schon länger in Gange ist, oder vor sich hin schwelt. In diesem Fall ist das anders. So ein Ausbruch von Brutalität, schier aus dem Nichts, das ist ungewöhnlich. Bis vor wenigen Wochen war hier noch alles ruhig. Wir können immer noch nicht sagen, wer diese zweite Partei ist. Offenbar hat es da überhaupt keine Opfer gegeben.“
Milten wollte gerade sagen, dass es immerhin den Golem da unten gab, aber er konnte noch den Mund halten, bevor ihm die Worte entwischten.
„Vielleicht haben Sie ja eine Idee?“ fragte Herr Nagel und seinem Ton war anzumerken, dass er glaubte der Feuermagier wisse ganz genau wer dahintersteckte.
Milten wich der Frage aus, indem er sagte: „Nach dem was ich mir zusammengereimt habe, könnte ich mir folgendes Szenario vorstellen: Die beiden Parteien haben sich hier zu einem Treffen verabredet, doch es lief nicht wie gedacht, oder eine Seite hatte es von vornherein als Hinterhalt geplant. Die Männer von diesem Clan fingen an zu schießen, woraufhin der andere den Golem beschwor, um sich einen Schutzschild zu schaffen. Hm… aber das war wohl erst später, denn der Feuerregen hätte den Golem vernichtet. Also muss der vorher eingesetzt wurden sein. Später wurde dann noch der Dämon beschworen, außerdem war wohl ein Schwert die Tatwaffe.“
„Der Andere?“ fragte Herr Nagel mit einem wölfischen Grinsen.
Milten, der sich plötzlich bewusst wurde, sich verplappert zu haben, schaute für einen Moment tatsächlich verdutzt drein und sagte dann schnell: „Sie sagten doch selbst, es sind sonst keine Opfer von der Gegenseite vorhanden.“
„Ja, ja, ich weiß, was ich sagte“, schnarrte der Polizist.
Er warf seinem Kollegen einen triumphierenden Blick zu. Der feixte.
„Nun“, sagte Herr Nagel, im Plauderton. „… wäre das für einen einzelnen eine schon fast unmögliche Aufgabe all diese Leute umzubringen, finden Sie nicht?“
Milten errötete ungewollt. Der Wind hatte sich gedreht. Er ärgerte sich, in die Falle des Polizisten getappt zu sein. Sonst war er doch nicht so unaufmerksam. Der Feuermagier brauchte wirklich mal etwas Ruhe, um sich wieder besser konzentrieren zu können.
„Immerhin reden wir hier von jemandem der Golems und Dämonen beschwören kann. Mehr Hilfe braucht es da doch gar nicht mehr.“
„Hm… so, so…“ sagte Herr Nagel grinsend.
Es machte ihm ganz offensichtlich Spaß mit Milten zu spielen.
„Und Sie wissen nicht zufällig wo man so einen Herrn finden kann?“
Für Milten wurde es jetzt sehr unangenehm. Wie kam er hier nur wieder raus?
„Gut, nehmen wir mal an, sie würden den Schuldigen finden. Würden Sie wirklich riskieren wollen, dass ihre Männer im Feuerregen sterben, oder von beschworenen Viechern getötet werden?“
„Soll das eine Drohung sein?“ fragte Herr Nagel leise, aber umso gefährlicher.
„Es ist ein gut gemeinter Rat“, sagte Milten, der sich aber der Ahnung nicht erwehren konnte, sich nur immer weiter ins Schlamassel zu reden.
„Hm…“
Herr Nagel taxierte Milten eindringlich, so als könnte er etwas aus ihm herauslesen, wenn er ihn nur besonders intensiv und lange anstarrte. Der Feuermagier hielt seinem Blick stand.
„Schön“, sagte der Polizist dann in einem Ton, als ob gar nichts schön wäre. „Ich denke mehr können wir im Moment nicht sagen, aber wir werden uns natürlich auf Spurensuche begeben und den finden, der für all das verantwortlich ist. Sie dürfen jetzt gehen.“
Milten warf den beiden Polizisten noch einen aufmerksamen Blick zu, dann stieg er die Treppe wieder hinab und verließ gemächlichen Schrittes das Lagerhaus. Draußen bog er um eine Ecke und sah nach, ob ihm jemand gefolgt war. Niemand da. Zeit sich ins Versteck zu teleportieren und seinen Freund zur Rede zu stellen.
Kaum materialisierte er sich wieder da befand er sich auch schon Auge in Auge mit einem Dämon. Milten wich erschrocken zurück. Der Dämon reagierte sofort auf die neue Situation und hob eine Klaue, um zuzuschlagen.
„Halt!“ drang eine kraftvolle Stimme durch den Raum. „Das ist Milten. Er gehört zu uns, also greif ihn nicht an!“
Der Dämon ließ nicht erkennen, ob und wenn ja welche Emotionen in diesem Moment durch seinen Kopf gingen. Er ließ den Arm einfach sinken und schwebte weiter schwer atmend vor sich hin. Milten stieß geschafft die Luft aus und kam endlich dazu sich umzusehen. Er war im Versteck. Ganz wie er es beabsichtigt hatte, stand er im Flur, wo jetzt aber auch der Dämon schwebte. Der Held war gerade aus der Tür zu einem der Zimmer gekommen, wo Lester Sumpfkraut anbaute.
„Was macht dieses Vieh hier?“ fragte Milten mit ungewohnt schneidender Stimme und zeigte auf den Dämon.
„Es gab ein kleines Problem mit Miftahs Jungs in einem Lagerhaus, da hab ich mir seine Hilfe geholt.“
Der Held wies mit einer lapidaren Handbewegung auf den Dämon.
„Aber den konnte ich ja schlecht dort lassen.“
„Du hättest ihn töten können“, sagte Milten nachdrücklich.
Der Dämon hinter ihm ließ nicht erkennen was er vom Vorschlag des Feuermagiers hielt.
„Sicher, aber dann dachte ich mir, dass wir noch einen zusätzlichen Wächter gebrauchen könnten. Ich habe herausgefunden, dass Miftahs Leute sehr an Lester interessiert sind. Diego meint, sie wollen ihn töten, damit wir kein Sumpfkraut mehr herstellen können. Da habe ich natürlich an Lesters Sicherheit gedacht. Wenn der Dämon hier wacht, wird sich hier so schnell keiner von Miftahs Jungs an ihm vergreifen.“
„Redet ihr über mich?“ kam es von links die Treppe herunter.
„Da kommt ja unser Krautexperte.“
Der Held schmunzelte und zwinkerte ihm zu.
„Ich habe Milten und den Dämon gerade miteinander bekannt gemacht, damit sie sich nicht gegenseitig abmurksen.“
Die Worte des Helden hörten sich so beiläufig an, als hätte er einem Gast seine Katze vorgestellt. Bei Lesters Gesichtsausdruck wurde klar, dass auch er nicht gerne in Gesellschaft des Dämons war.
„Naja, wenn du sagst, dass der Dämon hier sein muss.“
„Ich denke nur an deinen Schutz“, erklärte der Held.
Lesters Stirn furchte sich, angesichts dieser plötzlichen Führsorge.
„Wenn es so weit ist, dann muss die Kacke wirklich am Dampfen sein.“
„Das kann man wohl laut sagen. Ich hab dein … kleines Problem mit Miftahs Leuten gerade gesehen“, knurrte Milten. „Darüber müssen wir reden.“
Der Feuermagier warf einen finsteren Blick zum Dämon, der ausdrucklos zurückstarrte, dann winkte er seine Freunde, damit sie ihm in den Nebenraum folgten. Hier standen immer noch die Tische, die Tabo aufgebaut hatte, als sie ankamen. Das Sumpfkraut war seitdem zweimal herangezüchtet und geerntet wurden. Gerade reckten sich wieder ein paar junge Pflanzen in die muffige Luft.
„Wieso hast du Miftahs Leute gesehen?“ fragte der Held interessiert.
„Weil die Polizei bei mir war.“
Lester und der Held sahen sich verwundert an.
„Warum das?“
Milten stieg die Zornesröte ins Gesicht.
„Ja, warum wohl? Vielleicht weil es in der Stadt ein Lagerhaus voll mit Leichen gibt?“
Der Held ließ sich nicht anmerken, wie er zu seinen Taten stand. Er fragte einfach nur: „Aber wie kommen sie da auf dich?“
„Der Feuerregen, den du verursacht hast. Da haben Sie sich sofort wieder an mich erinnert.“
Lester und selbst der Held wirkten jetzt besorgt.
„Glauben Sie, du hättest es getan?“ fragte Lester beunruhigt.
„Ich weiß nicht, ich denke nicht, aber vielleicht glauben Sie, ich hätte teilweise etwas damit zu tun. Ich hatte das Gefühl, dass sie denken, ich würde den Täter kennen.“
„Na, so falsch liegen sie da ja nicht“, kam es vom Helden.
„Hör bloß auf! Das ist nicht lustig“, sagte Milten streng. „Die beiden Polizisten haben mich zum Lagerhaus gebracht und wollten, dass ich ihnen sage, was dort passiert sei.“
„Und? Was hast du ihnen gesagt?“ fragte der Held gespannt. „Hast du ihnen gesagt, dass ich es war?“
„Nein, natürlich nicht, aber es war wirklich schwer sowohl ihre neugierigen Fragen zu beantworten, als auch dich zu schützen. Warum müssen eure Taten immer wieder auf mich zurückfallen?“ fragte Milten genervt.
„Weil wir Kumpel sind“, erklärte Lester leichthin.
Milten seufzte. Es war offensichtlich, dass er sehr gestresst war.
„Die Polizei hat mich jetzt auf dem Kieker und es wird wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis sie dann auf euch kommen.“
„Meinst du?“ fragte Lester zweifelnd.
Der Feuermagier rollte mit den Augen.
„Natürlich, ich wundere mich sowieso warum sie euch noch nicht auf die Schliche gekommen sind. Ihr macht euch ja nicht mal Mühe das Sumpfkraut irgendwie heimlich zu verkaufen. Ganz offen quatscht ihr auf der Straße Leute an, damit sie das Sumpfkraut kaufen. Hauptsache Geld, Geld, Geld, haben, haben, haben, umso mehr, umso vieler.“
Lester und der Held sahen sich an, unsicher, ob sie Milten über etwas in Kenntnis setzen sollten, oder nicht. Dem Feuermagier kam ein furchtbarer Verdacht.
„Soll das etwa heißen, …“ begann er wütend und seine Stimme wurde mit jedem Wort schneidender „dass ihr längst genug Geld beisammenhabt, um es euch gut gehen zu lassen und trotzdem noch weiter Sumpfkraut verkauft, weil euch sonst langweilig wird?“
„Kannst du Gedanken lesen, oder was?“ fragte Lester mit weit aufgerissenen Augen.
Dieser Tropfen brachte das Fass zum überlaufen. Das war einfach zu viel für Milten. Tag für Tag rackerte er sich ab, bei dem Versuch den Menschen hier zu helfen, aber seine Freunde dachte nur an sich und langweilten sich sogar.
„Das kann doch nicht euer ernst sein“, fuhr der Feuermagier seine Freunde an. „Ich … ich glaub’s einfach nicht.“
Seine Freunde, die ihn noch nie so aufbrausend erlebt hatten, befürchteten schon er würde einen Herzkasper bekommen.
„Milten, beruhige dich doch“, versuchte Lester ihn zu beschwichtigen.
„Ich soll mich beruhigen?“
„Ja, es ist nicht gut für dich, wenn du dich so aufregst. Hier, wir rauchen erstmal ein bisschen und kommen wieder runter und dann können wir ganz in Ruhe darüber reden.“
Lester hielt ihm einen Stengel Sumpfkraut hin, doch Milten sah gar nicht so aus, als würde er sein Angebot annehmen wollen.
„Wie oft soll ich es dir denn noch sagen? Ich rauche kein Sumpfkraut. Ich bin ein Feuermagier, verdammt!“
Lester und der Held warfen sich einen Blick zu, der all ihre Besorgnis zum Ausdruck brachte. Wenn Milten so neben der Spur war, dann stimmte etwas ganz und gar nicht.
„Weißt du,“ begann der Held und diesmal fehlte der normale Plauderton völlig, stattdessen sprach er ruhig und geduldig. „Der Feuermagier Isgaroth raucht auch ab und zu mal einen Stengel Sumpfkraut.“
Milten war so verblüfft, dass er ganz vergaß sauer zu sein.
„Wirklich?“
„Ja, ich hab ihn öfter gesehen, wie er sich nachts im Mondschein einen Stengel ansteckte und dann genüsslich schmauchte. Seine Arbeit kann eben auch anstrengend sein, man denke nur an all die komischen Leute, die des Weges kommen und ihn vollquatschen und irgendwas von ihm wollen. Er braucht eben auch mal eine Auszeit. Und bei den Wassermagiern gibt es auch den einen oder anderen, der gegen etwas Sumpfkraut nicht abgeneigt ist. Wer war das noch gleich?“
Der Held dachte angestrengt nach.
„Ich glaube es war Riordian. Ja genau, Nefarius hatte sich mal wieder in Brand gesetzt und gerade als ich bei Riordian ein paar Tränke abholen wollte, da hatte er was geraucht. Ist also überhaupt nichts ungewöhnliches dran als Magier auch hin und wieder mal einen durchzuziehen.“
Milten sah nachdenklich aus. Lester fand, er müsste seinen Kumpel zu seinem Glück zwingen und drückte ihm den Stengel einfach in die Hand. Dann zündeten er und auch der Held sich ihr Sumpfkraut an und sogen den Rauch tief in ihre Lungen. Milten merkte wohl, dass es jetzt nichts mehr brachte weiter diskutieren zu wollen. Er war schrecklich gestresst und genervt und hatte das Gefühl, dass es letztendlich immer er war, der sich um alles Gedanken machen musste. Wenn er ehrlich zu sich war, dann wollte er gar nicht mehr mit seinen Freunden streiten, er wollte sich nicht immer über alles Sorgen machen müssen. Hatte er es nicht auch mal verdient, sich einfach nur auszuruhen und nur mal dazustehen und gar nichts zu machen? Milten gab sich einen Ruck und zündete sich ebenfalls seinen Sumpfkrautstengel an. Sein erster Zug endete in Husten, doch wirklich abhalten tat es ihn auch nicht. Er nahm noch einen Zug und das Kraut entfaltete langsam seine Wirkung. All die Sorgen, die ihn plagten rückten in weite Ferne. Es war wie ein Wind, der all seine Gedanken aus seinem Kopf fegte. Für Milten war es eine völlig neue Erfahrung. Kein ewiges Nachdenken, keine Grübelei, keine Sorgen die ihn plagten. Ihm war, als hätte ihm jemand schwere Gewichte von den Schultern genommen. Ihm wurde ganz leicht ums Herz. Er atmete tief ein und aus und entspannte sich.
„So fühlst du dich die ganze Zeit?“ fragte er an Lester gewandt.
„Ist klasse, oder?“ grinste der.
„Ja, so lässt es sich wirklich aushalten“, kam es zurück.
Plötzlich verstand Milten warum sein Freund so scharf auf das Kraut war. Man musste sich nicht mit den harten Realitäten des Lebens herumplagen, es reichte einfach nur zu sein und allem seinen Lauf zu lassen. Sich einfach mal fallen lassen.
„Mach dir keine Sorgen Milten, alles wird gut“, versicherte ihm der Held und klopfte ihm auf die Schulter, dann warf er Lester einen Blick zu, der wohl so etwas aussagen sollte wie: Du kümmerst dich um ihn, oder? Lester nickte und der Held warf seinen Sumpfkrautstengel auf den Boden und verließ den Raum. Milten war es tatsächlich egal. Er und Lester setzten sich auf den Fußboden, mit dem Rücken zur Wand, rauchten und kümmerten sich im Moment nicht um die Dinge der Welt.
Eispfötchen
15.08.2018, 21:10
Der Held war wieder einmal in der Stadt unterwegs. Er hatte von Diego die Beschreibung eines Handlangers Miftahs bekommen. Das war bisher das einzige, was Diego weiter in Erfahrung bringen konnte. Natürlich wollte der Held sein Wissen sofort nutzen, um Miftah einen Schritt voraus zu sein. Er würde diesen Schergen von ihm umbringen. Doch ließ er Miltens Warnung nicht unbeachtet. Er würde sich etwas überlegen müssen, wie er ihn töten konnte, ohne, dass es auf ihn zurückfiel. Er überlegte sich in einen Wolf oder einen Warg zu verwandeln, doch auch da hatte der Feuermagier seine Bedenken geäußert. Etwas Wolfähnliches fiel also flach. Bei den vielen anderen Tieren, in die er sich verwandeln konnte wusste er nicht, ob es normal wäre, wenn sie durch die Stadt laufen würden. Er hatte bisher nur Hunde gesehen, die in seinen Augen vom Prinzip her ja auch nichts Anderes als Wölfe waren. Er grübelte so vor sich hin, als linker Hand ein großes Gebäude in sein Sichtfeld rückte. Eine kleine Straße führte direkt zu den Treppen des Gebäudes. Ein gut gekleideter Mann mittleren Alters saß dort auf den Stufen und starrte auf seine feinen Lederschuhe. Der Held fand, dass er bedrückt wirkte. Möglicherweise bot sich hier die Gelegenheit endlich mal wieder eine Aufgabe anzunehmen. Vielleicht fiel ihm dabei auch eine Lösung für sein anderes Vorhaben ein.
„He du. Was ist dein Problem?“
Der Mann sah zu ihm hinunter, was möglich war, weil er sich oben auf der Treppe befand und der Held unten.
„Was?“
„Wenn du ein Problem hast … bestimmt kann ich dir helfen“, offerierte der Held seine Hilfe.
„Das glaube ich nicht. Es wurden schon zahlreiche Anstrengungen unternommen um dieses Problem zu lösen, aber auf lange Sicht nützt gar nichts.“
„Worum geht es denn?“ ließ der Held nicht locker.
„Es kommen kaum noch Besucher ins Museum“, erklärte der Mann und zeigte nach oben auf die mächtigen Eingangstüren des Gebäudes.
Der Held wusste mit dem Begriff „Museum“ nichts anzufangen, doch er dachte sich, dass dieser Mann seine Hilfe nicht mehr annehmen wollte, wenn er sagte, dass er keine Ahnung hätte, wovon er redete.
„Nun… ich bin ja hier“, sagte der Held Schulterzuckend. „Das ist doch immerhin ein Anfang.“
Ein schmales Lächeln erschien auf dem Mund des Mannes.
„Ja, schon … aber es bräuchte viel mehr Menschen. Es geht doch um Besucherzahlen…“
„Könntest du mir das Museum mal zeigen?“ fragte der Held.
Der Mann seufzte, sah sich um und sagte dann: „Warum auch nicht, ich hab im Moment ja eh nichts zu tun. Wochentags bei so schönem Wetter, da haben die Leute einfach anderes im Sinn, als ins Museum zu gehen.“
Er richtete sich auf, klopfte sich ein bisschen Dreck ab und ging in das Gebäude hinein, nachdem er dem Helden ein bisschen Geld als Wegzoll abgenommen hatte. Es stellte sich heraus, dass er zum Museumspersonal gehörte und darauf achtete, dass niemand den Exponaten zu nahe kam. Der Held verstand ihn als Museumswächter. Es war tatsächlich sehr leer im Museum. Nur ein paar einzeln auftretende Leute, schlenderten durch die Hallen und sahen sich flüchtig mal dieses oder jenes Ausstellungsstück an. Das konnte der Held gar nicht verstehen, denn jetzt wo er hier drin war, hatte ihn die Neugier gepackt. Für ihn sah es so aus, als hätte man allerhand tote Viecher aufgestellt. Vielleicht war es die Trophäensammlung eines großen Jägers oder Helden. Die meisten dieser Biester waren höher als die Häuser in Myrtana und ein ganz besonders großes Exemplar mit langem Hals und Säulenbeinen konnte sich selbst mit manchen Häusern in dieser Stadt messen. Der Held überlegte, wie er so ein Tier wohl zur Strecke bringen könnte. Vielleicht ein Feuerregen, ja das wäre gut. Dieses Tier sah ihm nicht so aus, als würde es besonders schnell oder wendig sein. Doch hieß das nicht, dass es nicht gefährlich sein könnte, mit einem Tritt würde es das wohl für ihn gewesen sein. Der kleine Kopf ganz weit oben, sah aber nicht so aus, als würde er eine Gefahr sein.
„Das frisst kein Fleisch, oder?“ fragte der Held und zeigte auf den winzigen Kopf.
„Nein, nein, das war ein Pflanzenfresser. Giraffatitan heißt die Art. Wurde in Afrika entdeckt, lange Zeit haben wir ihn Brachiosaurus genannt, bis festgestellt wurde, dass es sich um unterschiedliche Spezies handelt. Das hier ist das größte montierte Dinosaurierskelett der Welt“, referierte der Mann in gewohntem Erklärungston.
„Sehr beeindruckend“, erklärte der Held und verrenkte sich den Hals bei dem Versuch hinaufzuschauen.
„Ja, nicht wahr? Man sollte doch annehmen, dass das ausreicht, um Besucher anzuziehen. Da haben wir jetzt auch noch all diesen Technikschnickschnack ins Museum eingebaut, Virtual Reality und so ein Zeug und trotzdem ist die Neugier der Leute verhalten.“
Der Held verstand nicht ganz was er meinte, aber kümmerte sich im Moment auch nicht weiter darum. Er war damit beschäftigt sich umzusehen. Auch die kleineren, aber immer noch mächtig imposanten Exemplare um diesen Titanen herum, waren bestaunenswert. Der Held hatte sofort gesehen, dass die Schwänze der Tiere todbringende Waffen sein konnten. Davor müsste sich ein Jäger in Acht nehmen. Vielleicht würde er gar nicht zum Feuerregen kommen, wenn diese Riesen auf ihn eindreschen würden. Er zog den Hut vor demjenigen der diese Viecher, Dinosaurier, wie der Museumswächter sie nannte, zu Fall gebracht hatte. Er ging weiter herum, sah exotische Tiere mit Platten oder Stacheln auf dem Rücken und am Schwanz und als er sich umdrehte fiel ihm ein Tier ins Auge, dass er schon einmal gesehen hatte, jedenfalls so in der Art. Entschlossen lief er auf ein zweibeiniges Tier zu, dass er als Urvieh kannte.
„So welche hab ich schon gesehen“, erklärte der Held rundheraus.
Der Museumswächter stellte sich neben ihn und schien nicht überrascht.
„Ja, das ist ein Allosaurus, von denen gibt es ganz viele. Auch hier in Deutschland gibt es einige Museen, die welche vorzuweisen haben. Klar für die Kinder ist das was tolles, aber die Erwachsenen sehen mal kurz hin, sagen, kenn ich schon und gehen weiter. Wollen sie mal unseren Star sehen?“
Der Held war gespannt und ließ sich vom Wächter weiter ins Innere des Museums führen, vorbei an vielen weiteren Skeletten, Steinen und sogar einem Modell von Planeten und der Sonne, bei dem der Held kurz stehen geblieben war, um es zu betrachten. Dann merkte er, dass er den Anschluss verloren hatte und lief dem Wächter nach, in einen Raum wo ein einzelnes großes Skelett aufgestellt war. Es war nicht so riesig wie der Giraffatitan, dafür unverwechselbar ein Fleischfresser. Der Held überlegte sofort wie so ein Biest zu erlegen war. Einfach mit dem Schwert draufhauen? Bei den Urviechern ging das, vielleicht wäre es aber doch sinnvoll etwas taktischer vorzugehen, so wie bei den Drachen. Die größten Zähne waren so groß wie einfache Kurzschwerter, Lurkerbiss oder Wolfszahn. Die Kiefer sahen auch sehr kräftig aus. Wäre nicht auszuschließen, dass ein Biss genügen würde, um ihn zu zermalmen. Er müsste also dafür sorgen, dass dieses Vieh gar nicht erst zum zuschnappen kam.
„Sehen sie nur wie schön er ist“, riss ihn der Museumswächter aus seinen Gedanken.
Tatsächlich, jetzt wo der Held mal nicht daran dachte dieses Tier nach Stärken und Schwächen abzusuchen und es einfach nur betrachetet, fiel sofort die ungewöhnliche Färbung auf. Von der Grundfärbung her wirkte es fast schwarz, aber im Licht schimmerte es wie Silber. Dieser Kontrast verhalf dem Skelett zu einer rohen, unbändigen Schönheit.
„Habt ihr es mit Metall veredelt?“ fragte der Held verwundert.
Sein Begleiter lachte.
„So was in der Art bekommen wir andauernd zu hören, die Leute fragen immer: Habt ihr den angemalt? Nein, der ist so. Das kommt durch das Gestein, in dem er lag.“
Der Held ging näher heran und las von einem Schild laut vor: „Tristan Otto. Ist das der Typ, der dieses Kerlchen erbeutet hat?“
Wieder lachte der Museumswächter, wobei er erbeutet wohl mit ausgebuddelt gleichsetzte.
„Oh nein, so heißt das Tier. Tristan Otto der Tyrannosaurus Rex. Er ist einzigartig.“
Der Held fragte sich, ob die Leute hier nicht schon zu lange im Museum gehockt hatten. Jetzt gaben sie schon toten Tieren Namen. Immer das mit den Namen, musste so eine Art Manie sein.
„Und was ist damit?“ fragte der Held und deutete auf einen Glaskasten, wo ein riesiger fast identischer Schädel aufbewahrt wurde.
„Das ist der Originalschädel, durch die Versteinerung war er zu schwer, um ihn auf das Skelett zu montieren, deswegen ist der Schädel auf dem Skelett ein Nachbau.“
Der Held hob eine Augenbraue. So richtig hatte er nicht verstanden was das sollte, aber das war ihm im Moment auch egal. Hauptsache er konnte sehr nah an diese Zähne heran und überlegen, ob seine Drachenjägerrüstung dem nun standhalten würde oder nicht. Sein Führer hatte wohl so eine Ahnung was ihm durch den Kopf ging.
„Es heißt dieses Tier hätte eine Beißkraft von dreitausend Kilogramm gehabt. Damit hätte es selbst Autos zerbeißen können.“
Der Held strich seine Überlegungen. Seine Rüstung hätte das ganz sicher nicht ausgehalten. Das hieß, würde er so einem Burschen gegenüberstehen, müsste er entweder unglaublich schnell sein, oder ihn aus der Distanz fertigmachen. Die Überlegungen machten ihm Spaß. Der Held hatte Lust mal wieder auf die Jagd zu gehen. Wenn es so ein Museum in Myrtana gäbe, dann könnten sich die Jäger und Krieger ganz in Ruhe die Tiere ansehen, Strategien entwickeln und Schwachpunkte aufdecken. Es wäre ideal, um neue Rekruten auszubilden.
„Eigenartig, warum kaum jemand hier ist. Das ist doch interessant und sehenswert“, sagte der Held nachdenklich.
„Ja, das finde ich auch, aber leider haben viele Bürger einfach keine Augen dafür. Sie gehen einfach am Museum vorbei, als wenn es gar nicht da wäre, dabei machen wir schon so viele Sonderveranstaltungen und Führungen und weisen wieder und wieder auf das Museum hin.“
Der Mann sah wirklich frustriert aus und der Held überlegte wie ihm zu helfen war.
„Was wäre, wenn man die Leute extra darauf aufmerksam machen würde? Mit so einem … Dinosaurier?“
Sein Gegenüber runzelte die Stirn.
„Wie soll das gehen? So ein Skelett draußen auf die Straße rollen? Das sind ja Ideen.“
Der Angestellte schüttelte den Kopf.
„Nein, nein, gedacht hatte ich da mehr an … Special effects.“
Der Held zwinkerte ihm zu.
„W… wie?“
Doch der Held achtete gar nicht weiter auf ihn. Zielstrebig lief er los und suchte nach etwas ganz Bestimmten. Sein Führer blieb einen Moment sprachlos zurück, dann folgte er ihm und stolperte ihm fast hinterher. Der Held hatte währenddessen gefunden was er suchte. Es war ein Schild, mit der Aufschrift „Eigentum des Naturkundemuseums“, das an einer Metallkette hing.
„Warten Sie, das können Sie doch nicht so einfach wegnehmen“, sagte der Museumsführer entsetzt.
Doch der Held achtete gar nicht auf seine Einwände, sondern drückte ihm das Schild in die Hände und erklärte: „Ich verschwinde jetzt, aber ich schicke bald so einen Dinosaurier vorbei und dem hängst du dann dieses Schild um den Hals. Dann wissen die Leute, dass keine Gefahr von ihm ausgeht.“
Der Held strich sich durch den Bart.
„Vielleicht wäre es gut, wenn noch ein paar Angestellte da wären, um ängstlichen Leuten zu erklären, dass keine Gefahr besteht.“
„Wie bitte?“
Doch der Held hörte nicht zu, schnurstracks verließ er das Museum und wollte zur Tat überschreiten. Er war ganz stolz auf sich. Nicht nur, dass er eine Lösung für das Problem des Mannes hatte, nein, er hatte auch Miltens Worte beachtet, damit niemand verängstigt wurde. Er joggte einige Meter, bis er zum nahen Invalidenpark kam, dort lief er zwischen schattige und inzwischen gut belaubte Bäume und verwandelte sich mittels Druidenstein in einen grünen myrtanischen Snapper. Anders als ihre Verwandten auf Khorinis hatten die Snapper vom Festland Arme, waren kleiner und schlanker und hatten im allgemeinen mehr Ähnlichkeit mit diesen zweibeinigen Dinosauriern aus dem Museum. So verwandelt lief er zum Museum zurück, doch jetzt waren ihm die Blicke aller Bürger sicher. Sie zeigten mit dem Finger auf ihn, riefen laut, manche erstaunt, andere ängstlich. So hatte sich der Held das vorgestellt. Er ging sicher, dass sie ihm in ihrer Neugier nachliefen und führte sie so zum Museum. Es waren zwar nur ein paar Meter, aber es reichte, um eine große Menschenmasse anzulocken, die jetzt alle vor dem Museum standen und erstaunt zusahen, wie das grüne Reptil ohne Zögern in das Museum hinein ging. Die Leute ließen sich nicht lange bitten und wollten nachströmen. Nur mit Mühe konnte eine Angestellte, die selbst völlig überrumpelt war, die Menge zurückhalten und darum bitten Eintrittskarten zu kaufen. Zielsicher lief der Held währenddessen auf seinen neuen Bekannten zu. Der erstarrte als er ihn sah, ihm klappte das Kinn herrunter und dann schnappte er nach Luft wie ein Fisch, der auf dem Trockenen lag. Der Held wusste nicht was das sollte, er hatte ihm doch gesagt, dass er einen Dinosaurier schicken würde. Als er vor ihm stand und zu ihm hochblickte, stand er immer noch wie zur Eissäule erstarrt da und tat rein gar nichts. Der Held als Snapper schnaufte genervt, nahm ihm dann das Museumsschild aus der Hand und hängte es sich kurzerhand selbst um den Hals. So, das wäre geschafft. Wo blieben jetzt die Leute, oder musste er doch noch mal rausgehen und sie reinlocken? Nein, da kamen sie schon angestürmt, filmten und fotografierten mit ihren Smartphones, als gäbe es kein Morgen mehr. Der Museumswächter wurde mit Fragen überrannt, auf die er einfach keine Antworten wusste. Der Held mochte es zwar nicht, derart im Mittelpunkt zu stehen, aber es gehörte eben zur Aufgabe. Er überlegte, was er jetzt tun sollte. So ein Snapper, oder eben auch Dinosaurier musste doch irgendwas tun. Daran hatte er leider keinen Gedanken verschwendet. Bisher hatte er einfach nur herumgestanden und die Leute angestarrt. Was hatten die Snapper denn zuhause immer so getan? Er erinnerte sich, hob ein Bein und knabberte an seinen Fußkrallen herum.
„Ist das putzig“, „Niedlich“, „Ganz schön gelenkig, ist das wirklich ein Roboter?“, „Vielleicht ist es ja auch ein Hologramm“.
Das Stimmengewirr schwoll immer weiter an und plötzlich näherten sich dem Snapper Hände, die ihn anfassen wollten. Das passte dem Helden ja nun gar nicht. Ein bisschen Respekt vor einem wilden Raubtier hätte er schon erwartet. Drohend brüllte er und trat einen Schritt nach vorn. Sofort zuckten die Hände zurück.
„Bitte Abstand halten, berühren sie nicht das Museumsexemplar“, drang jetzt die Stimme des Museumswächters laut durch die Halle.
An seiner Seite war jetzt eine Frau, die er eilig herbeigestikuliert hatte.
„Willkommen bei unserem heutigen Spezialüberraschungsevent: Der Führung durch unser Museum mit unserem Ultrarealitätsnahenhightech Dinosaurierexponat. Michaela wärest du so freundlich?“
Die letzten Worte waren an die Frau neben ihm gerichtet. Sie trug die gleiche Kleidung wie ihr Kollege und rückte nun geschäftig ihre große Brille zurecht.“
„Danke, Oskar. Wenn sie mir bitte folgen wollen.“
Sie wären wohl nicht gefolgt, wenn der Snapper nicht hinter Michaela hergedackelt wäre. Es war nicht sicher, ob die Leute verstanden hatten, dass sie eine extra Führung bekamen, aber dort wo der Dinosaurier hinging, dorthin gingen sie auch. Die Führung lief so ab, dass Michaela vor den einzelnen Exponaten stehen blieb und etwas dazu erklärte, während der Held, als Snapper, sich die Freiheit herausnahm hin und wieder über die Absperrung zu treten und sich die Tiere genauer anzusehen. Immerhin war er ja selbst so eine Art Exponat, hatte Oskar erklärt. Die Leute hatten eigentlich nur Augen für ihn und da war es wirklich am sinnvollsten, wenn er sich neben oder im Falle der großen Dinosaurier, unter die Ausstellungsstücke stellte, oder herumschlich, denn ansonsten wären sie vermutlich geradeheraus weg ignoriert wurden, egal wie interessant das eigentliche Exponat war. Michaela improvisierte gekonnt und bezog ihn öfter in ihre Erklärungen mit ein, etwa wenn es darum ging eine Relation zur Größe, Gewicht, oder sonstigen Körperattributen herzustellen. Der Held hätte nie für möglich gehalten, dass seine Idee eine derartige Resonanz hatte. Einmal stieß er beinahe einen großen Steinbrocken um, der auf einem Sockel lag, was Michaela mit einem angespannten Zischen quittierte. Er schob den Brocken mit seinem Kopf wieder in Position und gab einen Laut von sich, von dem er hoffte, dass er sich entschuldigend anhören würde. Die Gäste kicherten und lachten, offenbar hielten sie es für Teil der Show. Der Held fand die Führung interessant und je länger sie dauerte, umso mehr hing er seinen eigenen Gedanken nach und kümmerte sich nicht mehr groß um die Menschenmasse, die sich um ihn herumwälzte. Viele der ausgestellten Tiere hier wirkten auf ihn sehr exotisch und er überlegte, wie er sie jagen würde. Manche Tiere waren ihm auch bekannt. Erfreut stellte er fest, dass es hier Löwen gab, immerhin stand da ein ausgestopftes Exemplar. Vielleicht war das die Lösung für sein anderes Problem.
In einer anderen großen Halle waren Fische und allerhand Gekröse in Gläsern abgefüllt. Einzelne derart gelagerte Tiere hatte er bereits bei Alchemisten im Labor gesehen, aber in dieser Dimension war es wirklich ein unglaublicher Anblick. Er fragte sich, wie lange es wohl gedauert haben mochte, all diese Tiere zusammenzusuchen und in die Gläser zu stopfen. Das war bestimmt ein wirklich umfangreicher Auftrag. Als die Führung vorbei war und sie bei einem Händler ankamen, der Waren mit Bezug rund um die Exponate verkaufte, erklärte Michaela, dass die Führung hiermit vorbei sei. Die Leute protestierten. Obwohl die Führung bestimmt über eine Stunde gedauert hatte, konnten sie einfach nicht genug bekommen. Nun erklärte Michaela streng, dass auch noch andere Besucher eine Sonderführung erleben wollten. Tatsächlich, die nächste Meute wartete bereits. Oskar hatte sie mit einem Video vom ominösen kleinen grünen Dino herbeigeködert. Es waren noch mal doppelt so viele wie zuvor. Die Eingangshalle war brechend voll. Viele Leute aus der ersten Gruppe hatten deswegen ein Einsehen und zogen ab, doch manche blieben tatsächlich und stellten sich hinten an, um mit der Masse mitzuschwimmen, selbst wenn dort hinten die Chancen auf eine gute Sicht ziemlich eingeschränkt waren. Nach dieser Führung kam noch eine und dann noch eine. Der Held hätte nicht gedacht, dass dieser Auftrag so lange dauern würde. Mittlerweile führte Oskar die Leute durch das Museum, damit Michaela ihre Stimme nicht verlor. Er sagte ein bisschen was anders zu den Exponaten, was bei seinem ersten Durchgang noch interessant war, aber bei der nächsten Führung war dann auch das ein alter Hut. Dem Helden wurde langweilig. Als sie im Saal mit den großen Dinosauriern waren, legte er sich einfach unter das Giraffatitan Skelett, rollte sich ein und döste vor sich hin. Es war ihm unerklärlich, aber selbst das fanden die Leute hochspannend. Oskar musste ihn mit einem durchdringenden Pfeifen wecken und sie liefen weiter in den Nebenraum, wo eine Sonderausstellung über Vögel stattfand. Auch hier wurde er immer wieder in die Erklärungen eingebunden. Laut Oskar stammten Vögel von Snappern ab. Der Held fand das merkwürdig, aber dachte sich nichts weiter dabei. Auch das waren die Führer heute schon mehrfach durchgegangen und er hatte es einfach akzeptiert. Gelangweilt gähnte er und offenbarte dabei seine kleinen nadelspitzen Zähne was erneutes Blitzlichtgewitter hervorrief. Es war Nacht geworden, als die letzte Führung endete und die Besucher hinausgetrieben werden mussten.
„So und was machen wir jetzt mit unserem kleinen Freund?“ fragte Michaela, als sie mit Oskar und ein paar weiteren Leuten vom Museumspersonal alleine war.
„Ich, ich weiß nicht“, kam es ratlos von Oskar.
Die Angestellten waren allesamt geschafft aber glücklich und sahen gar nicht so aus, als würden sie sofort nach Hause wollen. Der Held hatte sich schon überlegt, wie er sich absetzen sollte, aber seine Überlegungen ließen sich nur schwer in die Tat umsetzen. Draußen würde er sofort auffallen. Die Blicke der Menschen würden ihm überallhin folgen. Er freute sich endlich mal wieder einen richtigen Auftrag abgeschlossen zu haben, aber langsam reichte es ihm auch und er wollte seine menschliche Gestalt zurück. Er zog das Schild ab und gab es dem verblüfften Oskar zurück.
„Wir sollten ihn in den Forschungsbereich hinten schaffen, damit der mal untersucht werden kann, für mich sieht das nicht nach einem Roboter oder Hologramm aus“, kommentierte ein junger Kerl, der ebenfalls ein Angestellter des Museums war.
Der Held überlegte, ob er mitgehen sollte, oder nicht. Er spähte zur Vordertür hinüber, die jetzt aber geschlossen war. Selbst wenn er sie öffnete, befanden sich dort bestimmt viele neugierige Augenpaare. Vielleicht gab es ja „hinten“ einen zweiten Ausgang. Die anderen warteten schon auf ihn, pfiffen nach ihm, wie er das schon bei Menschen beobachtet hatte, die ihren Hund herbeiholen wollten, oder riefen ihn: „Dino“ oder „Komm, komm, komm“ und einer sagte sogar „Putt, putt, putt“, als wäre er ein Huhn.
Über den Tag hinweg hatte der Held für sich entschieden, dass die Leute hier wirklich nicht mehr alle Nadeln an der Tanne hatten, aber Auftrag war Auftrag. Der Forschungsbereich entpuppte sich als ein halb einsehbarer Raum, mit Stühlen, Tischen, Lampen, Computern, Vergrößerungsgläsern, vielen Büchern und allerhand toten Tieren.
„He Jörg, du hast doch bestimmt schon von unserem kleinen Freund gehört, oder? Sieh ihn dir doch mal genauer an“, sagte der junge Museumswächter und wollte den Helden mit sanfter Gewalt zu dem Mann namens Jörg schieben.
Der Held fauchte warnend. So herumschubsen ließ er sich nicht.
„Na komm mal her Kleiner, brauchst keine Angst haben“, kam es von Jörg, auf den er einen Moment lang nicht geachtet hatte und der ihn jetzt einfach hochhob.
Der Held war so verdutzt, dass er völlig vergaß sich zu wehren. Da hatte Jörg ihn auch schon auf einen Tisch gestellt und betrachtete ihn jetzt eingehend. Er starrte ihn einfach nur an und der Held starrte zurück. Er dachte sich, dass dieser Typ sich doch reichlich dämlich vorkommen musste, wie er einfach nur herumstarrte, aber dem war offenbar nicht so. Tatsächlich lächelte er, als hätte er gerade den Berg mit magischem Erz vom neuen Lager vor sich. Der Held entschied, dass hier irgendwas nicht stimmte. Diese Art von Neugier war zu viel, als dass sie normal wäre. Jörg griff jetzt zu einem Gegenstand mit langer Spitze, in welcher der Held eine Waffe sah und wollte ihn damit stechen. Blitzschnell hatte er Jörg einen warnenden Biss versetzt, hopste vom Tisch und flüchtete durch die Arme der Museumsangestellten hinweg, die ihn jetzt einfangen wollten. So hatte er sich die Dankbarkeit aber nicht vorgestellt. Er sprintete los und seine Häscher kamen gar nicht so schnell hinterher. Da er sich durch all die Führungen heute bestens im Museum auskannte, war es ein Leichtes den Weg zum Eingang zu finden. Er sprang an der Tür hoch, aber bekam sie nicht auf. Er fauchte genervt und rief damit ungewollt den Händler des Museums auf den Plan.
„Keine Angst, ich tu dir nichts“, sagte der, doch seine schleichenden Schritte straften seine Worte Lügen.
Der Held drehte, wild mit dem Schwanz schlackernd, herum, rutschte kurz auf dem glatten Untergrund aus und hechtete dann den Gang entlang, weg von diesem Mann. Er sprang einige Stufen hinunter. Geradeaus war eine Tür, die aber abgeschlossen war, nach rechts unten führten weitere Stufen und wie ihm seine Nase sagte, ging es dort zu den Toiletten. Er sah nach oben, wo rechts neben der Tür ein kleines offenes Fenster war, sprang hoch, krallte sich am Fensterrahmen fest und strebte nach draußen. Es war eng, doch letztendlich schaffte er es, bevor ihn jemand aufhalten konnte. Mit einem Ruck purzelte er auf die andere Seite, kam hart auf dem Boden auf, rappelte sich aber schnell wieder hoch. Er flüchtete nach links, weg von der Hauptstraße und verwandelte sich eilig zurück. Schwer atmend wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Immer noch wunderte er sich über das Verhalten der Menschen. Er hatte doch nur helfen wollen. Immerhin war es lehrreich und zu guter Letzt noch ein kleines Abenteuer gewesen. Jetzt wollte er sich aber so schnell wie möglich von hier entfernen.
Eispfötchen
17.08.2018, 14:14
Am nächsten Morgen führte der Weg des Helden direkt in Diegos Laden. Sein alter Freund stand hinter der Theke. Er wirkte nicht unbedingt gut gelaunt. Ob das an dem Kind lag, das auf dem Boden saß und mit Spielzeug spielte, konnte der Held nicht sagen.
„He, was läuft denn so?“
„Das läuft“, sagte Diego trocken und zeigte hinunter auf das Kind.
Dem Helden standen wohl die Fragezeichen ins Gesicht geschrieben, denn Diego erklärte weiter: „Seine Mutter Marietta, eine Kundin, ist gerade unterwegs und versucht ihr Auto zurückzubekommen. Offenbar gibt es Plätze wo so ein Auto nicht abgestellt werden darf. Jemand hat es mitgenommen.“
„Ist ja merkwürdig.“
Der Held hatte sich bisher nie Gedanken über die Parkposition von Elias Auto gemacht. Er parkte es an der Kreuzung, auf dem Gehweg, alten Schotterstraßen, auf dem Grundstück von fremden Leuten oder im Park, immer da, wo gerade Platz war und bisher war es immer noch da gewesen, wenn er zurückkam. Sein Blick fiel auf den Jungen und er erkannte das Spielzeug als zwei kleine Dinosaurier. Hatte seine Aufgabe gestern zu einem weiteren Ansturm im Museum geführt, oder fanden die Leute hier diese Dinosaurier generell gut? Es war ein merkwürdiges Phänomen. In Myrtana nahmen die Leute schreiend reißaus, wenn Ihnen Snapper oder gar Razor begegneten, hier freuten sich die Menschen regelrecht, wenn sie große Echsen sehen konnten.
„Was hast du denn da?“ fragte der Held und hockte sich neben dem Kleinen hin.
Der Junge sah misstrauisch zu ihm auf und sah dann zu Diego hoch.
„Ist ein Kumpel von mir“, gab dieser mit seiner allzeit rauen Stimme bekannt.
Das war offenbar genau das, was der Kleine hören wollte, denn jetzt erklärte er feierlich: „Das ist ein Tyrannosaurus“, dabei zeigte er auf ein Tier mit großem Kopf und kleinen Armen, das dem schwarzsilbernen Ungetüm von gestern ähnlichsah, „und das ist ein Therizinosaurus“ und wies auf ein ebenfalls auf zwei Beinen stehendes Tier, allerdings mit kleinem Kopf auf langem Hals und großen Händen mit riesigen Krallen. „Willst du mitspielen?“ fragte der Junge geradeheraus.
„Klar“, kam es nur vom Helden, weil er den Jungen nicht so rüde abweisen wollte.
Der Kleine drückte ihm den Pflanzenfresser in die Hand und fing gleich darauf an mit seinem Tyrannosaurus laut zu brüllen.
„Ich bin ein Tyrannosaurus und ich hab riesen Zähne und jetzt werde ich dich fressen.“
Der Held überlegte kurz und erwiderte dann: „Aber ich bin ein Terpentinosaurus und mit meinen großen Krallen gibt es jetzt volles Pfund aufs Maul.“
„Der heißt Therizinosaurus,“ verbesserte der Kleine ihn wichtigtuerisch. „und du spielst das falsch.“
Er nahm ihm den Dinosaurier wieder ab und spielte alleine weiter.
„Du hast es ja richtig drauf mit Kindern“, kam es schmunzelnd von Diego, als sich der Held wiederaufrichtete. „Komm, lass mal ein Stück gehen.“
Diego ging auf die andere Seite des Ladens und der Held folgte ihm. Er drückte ihm die Seite einer Zeitung in die Hand und wies auf den Artikel auf der Hauptseite, dessen Überschrift hieß: „Frei laufender Löwe reißt Bürger die Gurgel raus.“
„Und?“
Der Held zuckte mit den Schultern.
„War doch klar, dass ich diesen Kerl umnieten würde. Haben wir doch so abgesprochen.“
„Aber hättest du das nicht auch ein bisschen unauffälliger machen können? Ich hab gestern auch einen unter die Erde gebracht und davon steht nichts in der Zeitung.“
Der Held war verstimmt.
„Da hab ich mir extra die Mühe gemacht, mich in einen Löwen zu verwandeln und dem Kerl hinter seiner Bar aufzulauern und dann ist dir das auch nicht recht? Weiß doch keiner, dass ich es war.“
„Aber es hat viel zu viel Aufmerksamkeit erregt. So wie ich das mitbekommen habe sind Löwen hier ungewöhnlich.“
„Ich hab gestern einen gesehen.“
„Ach?“
„Ja, im Museum“, rechtfertigte sich der Held, dem es gar nicht gefiel für sein Vorgehen kritisiert zu werden.
„Und der hat gelebt?“
„Nein, der war ausgestopft.“
Diego sah davon ab, weiter auf seinen Freund einzuhacken und sagte stattdessen: „Jetzt weiß zwar keiner, dass du es warst, aber sehr wohl, dass etwas Merkwürdiges in der Stadt vor sich geht. So wie ich das da herausgelesen habe, vermuten sie, dass er aus irgendetwas das sich Zoo oder Zirkus nennt, ausgebrochen ist, doch von deren Seite wird das bestritten. Die Polizei wird dem ganz sicher nachgehen und noch mehr Aufmerksamkeit ist das Letzte was wir brauchen.“
Dem Helden gefiel diese Wendung gar nicht. Er hatte sich doch extra die Mühe gemacht, damit die Polizei nichts davon mitbekam und jetzt wurde so ein Aufheben darum gemacht, dass der Artikel darüber sogar den neuen Zulauf im Museum von der Titelseite gedrängt hatte.
Der Held spitzte die Ohren. Eben hatte er eine Stimme gehört, von der er glaubte, dass es unmöglich war sie hier zu hören. Er wandte den Kopf. Der Junge spielte jetzt nicht mehr mit den Dinosauriern. Er hatte ein Gerät zur Hand aus dem Stimmen kamen.
„Was ist?“ fragte Diego.
Der Held antwortete nicht und ging stattdessen auf den Jungen zu, der ihn nun wieder misstrauisch beäugte. Vielleicht fürchtete er, er würde ihm sein Gerät wegnehmen. Wieder erklang diese Stimme. Der Held konnte es nicht glauben. Er lachte laut.
„Was ist denn?“ fragte Diego verwundert.
„Na hör doch mal“, verlangte sein Freund und zeigte auf das Gerät.
Diego lauschte. * (https://www.amazon.de/Die-gespenstische-Farm-Leonie-Abenteuer/dp/B01GEIVFBE/ref=sr_1_2?s=books&ie=UTF8&qid=1534320428&sr=1-2&keywords=h%C3%B6rbuch+bodo+henkel)
„Das ist doch nur eine Geschichte. Kommt zwar aus so einem komischen Kasten, aber hier gibt es ja so viele Merkwürdigkeiten. Was hast du denn?“ fragte er, als sein Freund in lautes Gelächter ausbrach.
Sein Kumpel verhielt sich seiner Meinung nach sehr merkwürdig. Er wurde jetzt Opfer eines richtigen Lachanfalls und bekam sich gar nicht wieder unter Kontrolle.
„Na erkennst du die Stimme denn nicht?“ japste der Held und hielt sich seine Rippen, die schmerzten, weil Lachen und Reden wohl zu viel auf einmal waren. „Oh Mann, dann noch dieser komische Akzent, ich kann nicht mehr.“
Der Held lachte so laut, dass von der Geschichte gar nicht mehr viel zu verstehen war. Der kleine Junge sah ängstlich zu ihm, vielleicht dachte er, dieser Mann wäre verrückt geworden. Als die Stimmen von Mädchen aus dem Kasten zu hören waren, fragte der Held angestrengt nach Luft ringend: „Sag mal Kleiner, wie heißt denn die Geschichte?“
„Leonie, Abenteuer auf vier Hufen“ antwortete der Junge arglos.
Der Held musste wieder loslachen, auch wenn er versuchte es zu unterdrücken. Tränen liefen ihm übers Gesicht.
„Was ist denn mal los?“ fragte Diego irritiert.
Die Tür ging auf und eine Frau trat ein. Es war Diegos Spezialkundin Marietta.
„Na hier ist ja eine Bombenstimmung“ kommentierte sie verwundert.
„Ja, mein Kumpel hat heute ganz ausgezeichnete Laune“ sagte Diego und ließ den Helden dabei nicht aus den Augen.
Die Frau sah misstrauisch zu dem lachenden Mann.
„Ist auch wirklich alles in Ordnung?“
Diego bemerkte ihren Blick.
„Ja, alles klar, dein Sohn hat nur so eine lustige Geschichte dabei.“
Sie seufzte angestrengt.
„Nicht das schon wieder, dieses Zeug läuft hoch und runter. Meine Schwester musste ihm das ja auch unbedingt zum Geburtstag schenken, nur weil ich mal bemerkt habe, dass er Pferde mag.“
Sie sah genervt aus.
„Danke, dass du auf ihn aufgepasst hast. Ich hab den Wagen jetzt wieder.“
Sie winkte ihrem Sohn und bedeutete damit, dass sie aufbrechen würden. Der sprang sofort hoch, offenbar war es ihm ganz recht hier zu verschwinden. Er packte seine Dinosaurier und den Kasten und lief zu seiner Mutter, die Diego nochmal zuwinkte und dann verschwand. Der Held bekam sich jetzt langsam wieder unter Kontrolle, was sein Freund nutzte um mit säuerlicher Miene zu fragen: „Würdest du mir jetzt endlich mal sagen was mit dir los ist?“
Der Held wischte sich die Tränen vom Gesicht, blinzelte und schnappte nach Luft.
„Hast du das denn nicht gehört? Diese Stimme, das ist ganz klar Xardas, das höre ich selbst trotz dieses dämlichen Akzents.“
„Xardas?“ fragte Diego zweifelnd.
Er hatte den Magier nie gesehen und deswegen wusste er auch nicht wie er sich anhörte.
„Könnte es nicht sein, dass es einfach jemand ist, der eine ähnliche Stimme hat?“
„Nein“, hielt der Held starsinnig dagegen. „Das ist ganz klar Xardas und wenn er hier ist, dann weiß er vielleicht wie es zurück nach Myrtana geht. Wir sollten uns mit den anderen Treffen, um uns zu besprechen.“
„Gorn hat gesagt, dass es ihm ganz recht wäre nachher zusammen was zu Essen. Ist so eine Bude gleich hier um die Ecke.“
„Na dann, worauf warten wir noch?“ fragte der Held, jetzt voller Tatendrang.
Später saßen sie alle zusammen beim Essen in einem Imbiss. Da es mittlerweile Mittag war, waren alle Plätze voll besetzt. Sie quetschten sich zusammen an einen vierer Tisch. Der Held, der neben Gorn saß, zerschnitt gerade ein Schnitzel, als er sagte: „Wenn ich es euch doch sage. Das war ganz klar Xardas Stimme. Das heißt, er muss hier irgendwo sein.“
„Aber wie sollte Xardas denn hierhergekommen sein?“ fragte Milten verwundert, der gedankenverloren in seinen Nudeln stocherte.
„Keine Ahnung, aber Xardas weiß sehr viel über Teleportation. Er hat mich damals ja auch aus dem Schläfer Tempel herausteleportiert, obwohl du ja meintest, dass das nicht geht.“
Milten wurde rot, aber er sagte nichts weiter dazu. Vielleicht wollte er nicht wieder streiten, oder es war, weil er sich immer noch als schuldigen für die verpatzte Teleportation sah.
„Ich hätte Xardas Stimme bestimmt auch wiedererkannt“, meinte Lester und steckte sich einen Löffel Erbsensuppe in den Mund.
Diego schluckte sein Gulasch hinunter und fragte: „Stimmt, du warst ja mal bei ihm im Turm. Wie ist er denn so?“
„Also ich fand ihn hilfsbereit und nett“, erklärte Lester frei heraus. „Als es mir schlecht ging, durfte ich sogar in seinem Bett schlafen.“
Diego hob seine linke Augenbraue so weit, dass sein Gesicht so verzerrt aussah wie ein verunglücktes Kunstwerk.
„Aha“, sagte er in einem Ton, der ausdrückte, dass er sich nicht auf das Glatteis wagen wollte weiter nachzufragen.
Gorn sah so aus, als wollte er auch etwas sagen, aber sein Mund war zu voll mit Pommes und Currywurst. Er hatte eine riesen Portion auf dem Teller, doch keiner seiner Freunde zweifelte auch nur eine Sekunde daran, dass er sie schaffen würde.
„Was? Ich hab dich nicht verstanden“, stichelte der Held.
Mühsam schluckte Gorn die großen Brocken hinunter und fragte: „Aber selbst, wenn das Xardas war, wie wollen wir ihn finden?“
„Tja, das ist die Frage“, kam es vom Helden, der sich ein weiteres Stück Schnitzel in den Mund steckte und beim Kauen angestrengt nachdachte.
„Ist dir vielleicht sonst irgendwas aufgefallen, was auf seine Anwesenheit deuten könnte?“ fragte Milten nach.
„Ich weiß nicht.“
„Denk mal scharf nach.“
Bei der Aussicht vielleicht doch noch nach Hause zu kommen wurde der Feuermagier ganz aufgeregt. Diego indes hatte jemanden in der Menge erspäht, der ihm bekannt vorkam. Es war eine Frau. Sie war sehr hübsch und hatte kurze blonde Haare.
„He, Gorn, da ist die Kleine, die dir letztens den Kopf so verdreht hat. Sieh aber nicht hin, oder es fällt sofort auf, dass wir sie entdeckt haben.“
Doch Gorn hatte offenbar nicht richtig zugehört, denn sofort streckte er den Hals und fragte:
„Was? Wo?“
Diego hielt seine rechte Hand an die Stirn und murmelte: „Wozu sag ich überhaupt was?“
Gorn hatte die Frau entdeckt. Sie telefonierte angeregt.
„Hm… ja, sieht so aus, aber sie hat ganz andere Haare.“
„Stell dir vor Gorn, vielleicht hat sie sich verkleidet“, sagte Diego in einem langsamen genervten Tonfall, weil er es offenbar für überflüssig hielt das auch noch erklären zu müssen.
„Meinst du sie ist von der Polizei?“ fragte Milten und wurde nervös.
„Vielleicht“, sagte Diego. „Es war unvorsichtig von uns, gemeinsam was essen zu gehen. Wenn die wirklich von der Polizei ist, dann wissen die jetzt ganz genau, dass wir alle zusammenhängen. Besonders Lester ist in Gefahr, weil er ja das Kraut züchtet und verkauft.“
Lester sah plötzlich doch etwas nervös aus.
„Vielleicht wäre es am besten, wenn du erstmal im Versteck bleibst. So auf offener Straße könnten sie dich sehr leicht verhaften“, riet Diego.
Lester nickte. Er war plötzlich etwas blass um die Nase geworden.
„Jetzt fällt es mir wieder ein“, kam es unvermittelt vom Helden, der seinen Freunden während seiner Grübelei nur mit halbem Ohr zugehört hatte. „In der Bibliothek war ein Buch, das ich schon kannte. Ich glaube es war die „Die göttliche Kraft der Gestirne“. Ja, genau. Ich hatte ein Buch über Ritter gesucht und gleich da in der Nähe stand auch das. Ich hatte mir nichts weiter dabei gedacht, aber wo ich jetzt genauer darüber nachdenke, warum sollte es dieses Buch hier in dieser Welt geben? Eigentlich doch nur, wenn es jemand aus unserer Welt dort abgegeben hat.“
„Und du meinst es war Xardas?“ fragte Lester.
„Ich kann mich erinnern, dass ich ein Exemplar dieses Buches zusammen mit einigem anderem Krempel gegen ein paar Spruchrollen und Runen bei ihm eingetauscht habe. Das heißt wir müssen nur in die Bibliothek gehen und fragen wer dieses Buch dort hinterlassen hat.“
„Und du meinst das geht so einfach?“ fragte Milten skeptisch. „Diese Bibliothek ist riesig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Bibliothekare bei jedem Buch daran erinnern wo das mal herkam.“
„Ich frag mal Annette, vielleicht weiß sie was.“
Der Held zückte sein Handy und rief sie an. Wie immer kam der Held schnell auf den Punkt und schilderte ihr sein Anliegen. Das Gespräch dauerte nur wenige Minuten.
„So“, sagte er, als er das Gespräch beendete. „Ich treffe mich gleich mit ihr in der Bibliothek. Dann werden wir hoffentlich herausfinden, ob es wirklich von Xardas ist.“
„Hm… das heißt aber nicht, dass wir dann auch wissen, wo er steckt“, gab Diego zu bedenken.
„Aber es ist eine Spur“, hielt der Held dagegen. „So läuft das meistens. Eine Spur finden und ihr Nachgehen, irgendwas wird schon dabei herumkommen.“
Der Held war sehr zuversichtlich, dass er Erfolg haben würde und als sich ihre Versammlung bald darauf auflöste, lief er sofort los, um zur Bibliothek zu kommen. Dort angelangt, traf er in der Nähe des Eingangs auf Annette. Sie hatte auf einer Bank gesessen und erhob sich jetzt. In der Hand hielt sie eine ordentliche blaue Mappe.
„Was ist denn das für ein Typ, dem das Buch mal gehört haben soll?“ fragte sie, gleich nach dem er eingetroffen war.
„Er ist ein weiser alter Mann. Ich hoffe auf seinen Rat.“
Diese kryptische Antwort stellte Annette wohl nicht zufrieden, aber sie wagte auch nicht weiter nachzufragen. Mittlerweile war ihr ihre neue Arbeitsstelle etwas zu aufregend geworden, doch sie bekam vier Mal mehr Geld als bei ihrer letzten Arbeit und das ließ sie am Ball bleiben.
„Weißt du noch, wo sich dieses Buch befindet?“
„Ja, es war … da entlang“, kommandierte der Held und zeigte in eine bestimmte Richtung.
Es war nicht einfach den Weg zurück zu dem Buch zu finden, doch schneller als erwartet hatten sie die richtige Stelle erreicht.
„Hier irgendwo“, sagte der Held und begann die Buchrücken abzusuchen.
Einige Minuten suchten sie, dann zog er ein kleines Buch heraus und zeigte es vor.
„Das ist es.“
„Was willst du jetzt damit tun?“ fragte die junge Frau gespannt.
„Ich frag die Bibliothekare von wem es ist.“
Annette biss sich auf die Unterlippe.
„Ich glaube nicht, dass sie es dir sagen werden. Das ist gegen den Datenschutz.“
„Datenschutz?“ fragte der Held verständnislos.
„Ja, wir sind in einer öffentlichen Einrichtung, die Angestellten und Beamten dürfen keine Nutzerdaten an jeden dahergelaufenen weitergeben.“
„Und … wie kommen wir dann da ran?“ fragte der Held verwundert.
Er hatte sich das anders vorgestellt. Es hätte doch so schön einfach sein können. Doch Annette hatte bereits einen Plan.
„Ich hab mir schon was überlegt. Ich werde anfragen, ob ich als Praktikantin hier anfangen darf. Ich hab ja bereits im Büro gearbeitet, ich wäre also nicht völlig unnütz. Mit ein wenig Glück erhalte ich Zugang zum System. Das hier ist eine öffentliche Einrichtung. Es muss ein Nachweis erhalten bleiben woher die Bücher kommen. Und wenn dieser alte Mann, den du suchst, auch ein Ausleihkonto hier hat, dann kriegen wir sogar seine Adresse heraus und dann kannst du ihn besuchen.“
„Hört sich toll an, na dann mal los.“
Ihre Wege trennten sich. Während der Held noch weiter im Bestand auf der Suche nach Hinweisen herumstöberte, ging Annette zur Information und brachte ihr Anliegen vor. Ein Bewerbungsschreiben, welches sie in der Mappe bei sich trug, legte sie sogleich vor. Schneller als erwartet kam sie zum Helden zurück und erklärte ihm triumphierend: „Ich wurde angenommen. Offenbar herrscht akuter Personalmangel, wegen Krankheit und Urlaub und weil ich kein Geld haben will, kann ich gleich Morgen anfangen.“
„Rufst du mich dann an, wenn du die Adresse hast?“ fragte der Held.
„Natürlich. Es kann aber ein bisschen dauern. Ich weiß nicht wann ich die Gelegenheit habe, allein an einen Computer zu kommen. Hast du noch das Buch?“
„Selbstverständlich.“
Er gab es ihr. Sie schlug es auf und suchte nach einem Strichcode. Die darunter stehende Nummer schrieb sie sich auf einen Zettel, den sie faltete und in ihre Hosentasche steckte.
„Gut, ich habe alles was ich brauche. Das Buch kann zurück ins Regal.“
„Brauchst du es denn wirklich nicht mehr?“ fragte der Held skeptisch.
„Nein, alles in Ordnung. Ich hab mir die Nummer des Buches aufgeschrieben, so finde ich es im System.“
Der Held zuckte mit den Schultern und stellte das Buch zurück. Als sie auf dem Weg zum Ausgang der Bibliothek waren, kam ihnen die junge Bibliothekarin entgegen, die ihm vor einiger Zeit das Ritterbuch ausgeliehen hatte.
„Ah, sie sind es. Sie hatten doch…“
Sie dachte angestrengt nach.
„Ja, Sie hatten das Ritterbuch ausgeliehen.“
Er musste wohl ein spezieller Fall gewesen sein, weil sie sich noch an ihn erinnerte.
„Oh, das hab ich dabei.“
Der Held kramte in seiner Hosentasche herum und zog es schlussendlich heraus. Etwas verwundert nahm die Bibliothekarin das Buch entgegen und sagte verblüfft: „Danke.“
Der Held ließ sie einfach stehen und ging dem Ausgang entgegen. Seine Stimmung war großartig. Wieder einmal hatte er den Auftrag Xardas zu finden und wieder hatte er die ersten Hinweise gefunden.
Eispfötchen
17.08.2018, 14:33
Es war Abend geworden und wieder einmal sollte ein großer Kampf stattfinden. Tysons Kampfgelände war gerappelt voll, denn bereits seit mehreren Tagen ließ er überall herumerzählen, dass heute etwas ganz besonders Brutales stattfinden würde: Mehrere Monster, die sich gegenseitig zerfetzen und zerreißen würden. Der Held stand zusammen mit Diego, Gorn, Elyas, Cem und Tabo bei Tyson. Sie hatten besondere Plätze bekommen, so dass sie nicht im Gedränge herumzustehen brauchten. Cem war schon im vollen Wetteifer und befahl Tabo die Wetten einzusammeln und zu ihm zu bringen. Der arme Kerl musste sich durch das Gewühl kämpfen und die einzelnen Wetteinsätzen einsammeln. Die Zuschauer konnten es offenbar gar nicht abwarten, schon grölten und brüllten sie und verlangten, dass die Show begann. Tyson gab dem Helden einen Wink und der machte sich daran die abgesprochenen Kreaturen zu beschwören. Zuerst wurde der Dämon beschwört, weil es bei ihm am längsten dauerte. Die anderen Viecher hätten sonst schon begonnen sich gegenseitig anzugreifen. Der Dämon wurde von Tyson mit dem ungemein originellen Namen Daemon tituliert, gleich darauf sagte er noch Bob, Elmo und Murray an. Letzterer war das zweite Skelett, das allerdings beim laufen klapperte. Ganz wie erhofft wurde es ein spannender Kampf. Elmo und Murray hieben sofort auf Bob ein. Daemon sah sich das einen Moment an und mischte dann mit. Vielleicht gab es eine gewisse Verbundenheit zwischen den Skeletten und dem Dämon. Bob hatte ohne Zweifel das Nachsehen. Schon nach kurzer Zeit war er auseinandergefallen. Zuerst sah es so aus, als würden sich die Skelette und der Dämon in Ruhe lassen, aber dann griffen sie sich doch an. Der Held hatte eigentlich vermutet, dass der Dämon ganz klar die Oberhand gewinnen würde, aber die Skelette stellten sich überraschend geschickt an. Besonders Elmo wich den starken Angriffen behände aus und schlug dann zu, danach wich er sofort wieder zurück, um keine Angriffsfläche zu bieten. Es war, als würden sich die beiden Skelette absprechen, wenn Daemon gerade mit Elmo beschäftigt war, griff Murray ihn von hinten an und umgekehrt. Verärgert schnaufend wütete der Dämon in der Halle und schlug wild um sich. Oftmals mussten die Zuschauer zurücktreten, um nicht selbst getroffen zu werden, obwohl sie schon von sich aus nicht bis zur Absperrung vordrangen. Würden die Zuschauer weiter hinten nicht so drängeln, würden die Leute vorne wohl auch noch weiter zurücktreten. Sie hatten wohl zu viel Respekt, oder Angst. Einen Dämon hatte es bisher noch nicht zu sehen gegeben und Teile des Publikums wirkten geradezu schockiert. Manche vergaßen sogar mit ihrem Smartphone zu filmen. Mit jedem Schlag den die Skelette dem Dämon verpassten rückte sein Ende näher, doch er war nicht bereit das einfach so geschehen zu lassen. Mit einem Mal entließ er einen mächtigen Feuerschwall der selbst noch beim Publikum ordentlich Hitze abstrahlte. Elmo und Murray wurden von den Flammen getroffen und gerieten in Brand. Murray zerfiel sofort, doch Elmo wollte sich noch nicht geschlagen geben. Mit einem Schwinger verpasste er dem Dämon eine ordentliche Kerbe im Bauch. Der Dämon brüllte laut und griff dann seinerseits an. Jetzt wo Murray ihn nicht mehr unterstützte hatte Elmo allerdings schlechte Karten. Der Dämon drängte ihn immer weiter in die Defensive, bis er ihm schließlich einen ordentlichen Schlag versetzte und auch Elmo die Niederlage akzeptieren musste. Der Dämon tat so als wäre nichts weiter passiert und schwebte nur noch in der Luft herum, dann plötzlich strebte er auf das Publikum zu.
„Halt!“ befahl der Held und augenblicklich gehorchte der Dämon. „Bleib wo du bist. Du hast gewonnen, das Reicht erstmal.“
Der Kampf hatte kaum zehn Minuten gedauert, dennoch war das Publikum begeistert. In ihren Augen hatte es sich allemal gelohnt hierherzukommen. Es gab Blut, Gewalt und Monster, die sich gegenseitig verdroschen.
„Wieder einmal ein voller Erfolg“, grinste Tyson und wedelte mit den Geldscheinen, die er heute verdient hatte, wie mit einem Fächer.
Gorn und Diego wollten mit Cem mitgehen. Gorn hatte es zwar nicht mehr nötig als Türsteher zu arbeiten, aber er und Diego wollten bei einem Kartenspiel mitmachen, das bei Cem stattfinden sollte. Der Held hatte keine Lust mitzugehen. Er zog eine Rune heraus und teleportierte sich zum Versteck. Sobald er da angekommen war, beschwor er den Dämon, der in der Zwischenzeit vielleicht schon zu einem menschlichen Opfer unterwegs gewesen war. Der Held wollte Lester fragen, ob er eine weitere Charge Sumpfkraut fertig hatte. Vielleicht würde er heute Nacht einfach mal wieder herumziehen und welches verkaufen. Doch der Held stutzte. Die Haustür war aufgebrochen wurden. Ihm kam ein schrecklicher Verdacht und er rannte in den Keller, aber statt Lester fand er nur Waldi. Der Wolf lag tot auf dem Boden, eine große Blutlache hatte sich unter seinem Körper gebildet. Der Held kniete sich hin und sah, dass der Wolf erschossen wurde. Zerbrochene Glasphiolen und Becher wiesen darauf hin, dass hier im Labor ein Kampf stattgefunden hatte. Er ging jede Wette ein, dass es Miftahs Leute waren. Er lief nach draußen, doch es war niemand in der Nacht zu sehen. Der Held lief los. Sein Ziel: Das „Paradise“. Auf dem Weg dorthin gingen ihm allerhand Fragen durch den Kopf. Warum hatten sie ausgerechnet jetzt angegriffen? Wussten sie das Lester allein im Versteck war? Die letzten beiden Angreifer waren von den Skeletten getötet wurden … die vorhin im Kampf bei Tyson beschäftigt waren. Der Held war wütend auf sich selbst. Sowohl der Dämon, als auch die Skelette sollten ja eigentlich für Lesters Schutz sorgen und er hatte sie abgezogen, weil er einen guten Kampf wollte. Hatte er gedacht Lester würde schon allein zurechtkommen? Missmutig musste er zugeben, dass er gar nicht darüber nachgedacht hatte. Als er im „Paradise“ ankam fand er Gorn, Diego und Elyas im Hinterzimmer, wo sie mit vier anderen Typen Karten spielten. Tabo war auch gerade ins Zimmer gekommen und brachte den Spielern Getränke. Auf der Tischmitte lag reichlich Geld. Dem Helden war das im Moment egal, er platzte einfach herein und rief: „Ich glaube Lester ist entführt wurden. Ich war gerade im Versteck, aber er war nicht da. Waldi wurde erschossen und die Haustür war aufgebrochen.“
„Scheiße“ kam es von Gorn, dessen Gesicht sich in Sekundenschnelle verfinsterte.
Diego sagte nichts, aber ihm war anzusehen, dass er innerlich fluchte. Ihre Mitspieler, sahen unsicher aus. War das Spiel damit gelaufen?
„Hätte ich mal nichts gesagt, dann wäre er mit zum Kampf gekommen. Sicherer als wenn wir alle zusammen sind, kann es doch eigentlich gar nicht sein“, kam es leise von Diego.
„Das Blöde ist, dass ich den Dämon und die Skelette, die Lester schützen sollten im Kampf eingesetzt habe“, grummelte der Held.
Es war klar, dass er sauer auf sich selbst war.
„Aber woher hätten diese Typen denn wissen sollen, dass gerade niemand im Haus ist?“ fragte Gorn.
Tabo stellte ihm gerade ein großes Bier hin. Zitterte seine Hand? Diego hatte es genau gesehen und aufmerksam musterte er ihn.
„Tja, vielleicht haben wir ja einen Spitzel in unseren eigenen Reihen.“
Tabo sah ihm nicht in die Augen. Rasch stellte er einem der anderen Spieler eine große Cola hin und verschwand dann mit schnellen Schritten aus dem Zimmer.
„Diese Ratte“, brauste Diego auf.
Er stand so schwungvoll auf, dass der Stuhl, auf dem er saß, nach hinten kippte. Eilig rannte er Tabo nach und als Gorn und der Held auch geschaltet hatten, folgten sie ihm. Leise hörten sie einen der anderen Spieler zu seinem Kollegen sagen: „Ok, also ich bin dafür, dass wir das Geld durch vier teilen.“
Tabo hatte gerade den Hinterausgang erreicht und wollte in die Nacht verschwinden, da ergriff ihn Diego im Genick und hielt ihn zurück.
„Nicht so schnell Jungchen. Wo willst du denn so eilig hin?“
Er hielt Tabo in Schach, was nicht schwer war, denn er war viel zu ängstlich, als sich zu wehren. Er sagte etwas, das Diego nicht verstand.
„Stimmt ja, ich versteh kein Wort von dem was du sagst. Elyas!“ brüllte er. „Komm her und übersetz mal was dieser Spion zu sagen hat."
Gorn und der Held waren schon da und Elyas folgte ihnen auf den Fersen.
„Meinst du wirklich, dass er ein Spitzel ist?“ fragte Elyas unsicher.
„Ich habe schon viele Verräter gesehen. Schau ihn dir doch an.“
Tatsächlich zitterte Tabo, der Schweiß troff ihm vom Gesicht und er blickte scheu umher wie ein in die enge getriebenes Wild. Allerdings musste man dazu kein Verräter sein, es reichte schon zu wissen mit wem man es zu tun hatte.
„Wo ist Lester?“ fragte Diego und er betonte jedes Wort besonders deutlich, um sicherzugehen, dass Tabo ihn verstand.
Elyas übersetzte es trotzdem noch mal. Doch Tabo schüttelte den Kopf. Auch ohne Übersetzung war klar, was das bedeutete.
„Vielleicht müssen wir etwas nachdrücklicher werden“, sagte Gorn und rieb sich die Knöchel.
Tabos Augen weiteten sich. Er verstand auch ohne Worte was da jetzt auf ihn zukommen würde.
„Warum sich die Hände schmutzig machen?“ fragte der Held, fischte die Dämonenrune aus seiner Hosentasche und beschwor das Ungetüm.
Tabo stieß einen Schrei des Entsetzens aus, als die Beschwörung direkt vor ihm erschien. Sofort sprudelte ein Wortschwall aus seinem Mund.
„Also was sagt er?“ fragte Diego Elyas.
„Er sagt, dass Miftahs Leute ihn zur Zusammenarbeit gezwungen hätten. Er sollte beim Kampf dabei sein und melden, wenn die Ungeheuer beschworen werden. Mehr sei nicht gewesen.“
„Verdammt!“ fluchte Gorn.
Der Held fühlte sich schrecklich. Wenn er die Monsterkämpfe nicht eingeführt hätte, dann hätten sie sich natürlich auch nicht herumsprechen können. Vermutlich wusste die gesamte Unterwelt Berlins davon und damit natürlich auch Miftah und seine Leute. Er überlegte, ob Tyson vielleicht auch mit im Boot hing, aber dann verwarf er den Gedanken sehr schnell. Tyson und Miftah konnten sich, nachdem was er gehört hatte, überhaupt nicht leiden und außerdem wusste Tyson womit er es zu tun bekam, wenn er ihn hinterging. Ähnliches hätte er aber auch von Tabo erwartet.
„Wo ist Lester?“ fragte Diego ein weiteres Mal.
Aber wieder Kopfschütteln. Der Held ging jetzt davon aus, dass Tabo es wirklich nicht wusste, deswegen fragte er ihn: „Kennst du Verstecke von Miftah und seinen Leuten?“
Er zog seine Karte von Berlin hervor und hielt sie Tabo hin, damit er es ihm zeigte. Tabo sah noch einmal zum Dämon, der wie eh und jäh in der Luft hin und vor sich hin schnaufte, dann zeigte er auf ein paar Stellen auf der Karte.
„Zeichne sie ein!“ befahl Diego.
Eispfötchen
17.08.2018, 14:55
Lester fand sich in einem kahlen Raum wieder. Er war im Labor von Miftahs Leuten überfallen wurden. Lester hatte sie mit Pyrokinese belegen wollen, aber sie hatten kurzen Prozess gemacht und mit ihren Waffen um sich geballert, um klar zu stellen wer der Chef war. Der Umstand, dass Lester völlig unverletzt war, ließ darauf schließen, dass das die volle Absicht der Entführer war. Sie brauchten ihn wohl noch. Mit einem Sack über dem Kopf hatten sie ihn verschleppt und jetzt hockte er in diesem kahlen Raum. Seine Hände und Füße waren gefesselt und ihm war alles abgenommen wurden, was er bei sich trug. Mit Zauberei würde er sich also nicht befreien können. Lester fiel kein Plan ein, wie er sich selbst wieder aus dieser misslichen Lage befreien könnte. Er fragte sich, warum er nicht mit den anderen zum Kampf gegangen war. Dort hätten ihn diese Leute bestimmt nicht drangekriegt. Und der arme Waldi. Mutig hatte er sich seinen Feinden in den Weg gestellt und war auf sie losgegangen. Noch im Sprung hatten sie ihn erschossen. Immerhin könnte der Held ihn wieder beschwören. Lester hätte jetzt zu gerne etwas Sumpfkraut. Er war sehr nervös und er musste zugeben, dass er große Angst hatte. Immerhin war niemand da, um das zu bemerken. Lester war ein optimistisch denkender Mensch, aber in diesem Fall fiel es ihm wirklich schwer. Er konnte sich denken, dass sie ihn über das Sumpfkraut ausfragen würden. Lester sah auch nicht, warum er es ihnen nicht erzählen sollte, denn es war klar, dass sie ihn wohl foltern würden, wenn er nicht mit der Sprache herausrückte und darauf hatte er nun wirklich keine Lust. Doch andererseits, wenn er ihnen alles erzählt hätte, würden sie ihn wohl umbringen und darauf hatte er noch weniger Lust. Sollte er also doch den Mund halten, um Zeit zu gewinnen? Seine Freunde würden ihn doch bestimmt retten kommen. Doch vielleicht wussten sie ja auch gar nicht wo er sich befand.
Die Tür ging auf und ein Typ trat ein. Er war etwa so groß und ähnlich gebaut wie Lester, hatte einen Bart und einen dunklen Teint.
„Da ist ja der Koch“, sagte der Mann und grinste breit. „Du und deine Kumpel habt mit eurem Sumpfkraut die ganze Stadt durcheinandergebracht.“
Lester war froh, dass dieser Mann immerhin seine Sprache benutzte. Die Typen, die ihn entführt hatten reden unaufhörlich in einer fremden Sprache, was Lester sehr unheimlich fand, weil er so nicht verstehen konnte was sie besprachen.
„Wir wollten einfach nur das Sumpfkraut verkaufen. Das irgendwas durcheinandergerät daran haben wir gar nicht gedacht“, erklärte Lester.
„So, so.“
Der Typ grinste immer noch.
„Das stimmt vielleicht sogar. Du scheinst mir ein sehr offener Typ zu sein. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir hier in dieser Stadt Geschäfte machen wollen und wenn ihr uns da reinpfuschst wird es nichts.“
Der Mann musterte Lester eingehend.
„Aber so wie es aussieht, werden wir das Geschäftliche bald aufholen können und dafür erwarten wir deine Hilfe.“
„Und warum sollte ich euch helfen? Immerhin habt ihr mich ja überfallen“, sagte Lester abwehrend.
Der Mann ging auf ihn zu und setzte sich einige Meter vor ihm auf dem Boden. Eigentlich wirkte er nicht besonders gefährlich. Vielleicht war das so gewollt. Vielleicht sollte er besonders einnehmend auftreten, um sich seine Mitarbeit zu erschleichen.
„Dein Kumpel, dieser Typ, von dem überall erzählt wird, dass er keinen Namen hätte, der hat viele gute Männer aus meiner Familie getötet und die anderen …“ Er wies hinter sich auf die Tür. „warten nur auf eine Gelegenheit sich zu rächen. Wenn du also nicht helfen willst, super, die freuen sich schon drauf dich so richtig Leiden zu lassen.“
Er legte den Kopf schräg.
„Und du sollst auch ein ganz übler Typ sein, hab ich gehört. Der Schwager meines Cousins hat erzählt, dass der Bruder seines Onkels von dir mit schwarzer Magie belegt wurde. Er soll innerlich verbrannt sein.“
Sein Gefängniswärter sah ihn nachdenklich an.
„Hm… sieht man dir gar nicht an, dass du so ein übler Bursche sein sollst.“
„Dir sieht man es auch nicht an“, hielt Lester dagegen. „und trotzdem hältst du mich hier gefangen.“
Etwas in den Augen seines Gegenübers veränderte sich. Das falsche Lächeln war aus seinem Gesicht verwunden. Es sah ganz so aus, als würde er innerlich mit sich ringen. Lester fand, dass der Typ mal etwas Sumpfkraut gebrauchen könnte, so gestresst wie er aussah.
„Ich kann deine Sprache gut, außerdem verstehe ich was von Biologie und Chemie. Deswegen wurde ich zu dir geschickt. Jeder in meiner Familie hat eben seinen Teil beizutragen, aber ich bin kein Mörder so wie du.“
Eine Zeit lang saßen sie einfach nur stumm da und sahen den jeweils anderen misstrauisch an.
„Was ist nun? Erzählst du uns was über dieses Sumpfkraut, oder muss meine Familie dir deine Zunge lockern?“
Lester blickte unschlüssig drein und als er nach mehreren Minuten immer noch keine Antwort gegeben hatte, rief sein Kerkermeister etwas laut in einer anderen Sprache. Sofort ging die Tür auf und ein anderer Mann steckte feist grinsend den Kopf zur Tür herein.
„Nein, ist in Ordnung, ich erzähle dir alles über das Sumpfkraut“, sagte Lester schnell.
„Na bitte, das war doch gar nicht so schwer, oder?“
Sein neuer Bekannter nickte dem Kerl an der Tür zu, woraufhin der sich enttäuscht wieder zurückzog.
„Oh, jetzt hast du ihm den Tag verdorben.“
Der Mann lächelte schief und zückte ein in Leder eingebundenes Buch sowie einen Stift und legte es auf seine Knie.
„Dann leg mal los, was muss ich über das Sumpfkraut wissen?“
„Was willst du denn wissen?“ fragte Lester und er versuchte Zeit zu schinden.
„Einfach alles, wo es wächst, wie man es züchtet und erntet und natürlich, wie man daraus Stengel dreht.“
Lester legte los. Er bemühte sich es möglichst umfangreich zu erklären, damit es länger dauerte und er seinen Tod so noch etwas aufschieben konnte. Er war gerade bei der Ernte des Sumpfkrauts angekommen, da rummste es laut und eine heftige Erschütterung ging durch den Fußboden. Erschrocken fuhren sie zusammen. Was könnte das sein? Was war da unten los? Ein markerschütterndes Brüllen drang von unten herauf, das Miftahs Familienangehörigen die Angst ins Gesicht trieb. Lester ahnte, dass es ein Dämon war, den der Held herbeigerufen hatte und seine Rettung nahe war. Das änderte aber nichts daran, dass er nervös war. Was würde sein Gegenüber jetzt tun? Vielleicht würde er ihn umbringen, oder ihm eine Waffe an den Kopf halten, damit er eine Chance bekam noch davon zu kommen. Doch es kam anders. Er tat gar nichts. Er saß einfach nur da und brachte keinen Ton mehr hervor. Lester hätte ihm gerne einen Sumpfkrautstengel angeboten. Er tat ihm trotz allem leid. Vielleicht konnte er ja gar nichts dafür, dass seine Familie ihn hier reingezogen hatte. Von unten waren schrille Schrei, laute Rufe und das durchdringende Geräusch von betätigten Schusswaffen zu hören. Alle schrien durcheinander. Es rummste noch mehrmals und immer mal wieder erzitterte der Boden. Dann wurde es beängstigend ruhig, bis sie Schritte hörten, die sich dem Raum näherten. Die Tür flog auf und der Held stand im Türrahmen. Er trug wieder die schwere Drachenjägerrüstung. Blut am linken Arm verriet, dass er verletzt war. Den Helden schien das nicht zu kümmern. Selbst Lester bekam etwas Angst, wie sein Freund so dastand. Es lag nicht nur an der blutbesudelten Klaue Beliars, die er in der Hand hielt. Es war vor allem diese ungewohnte Aura von Hass, Aggression und Feindseligkeit, die er ausstrahlte. Sein Gesichtsausdruck war grimmig und es sah so aus, als hätte sich ein Schatten über seine Augen gelegt. Lesters Gefängniswärter sprang erschrocken auf und hob eilig die Hände zum Zeichen das er unbewaffnet war.
„Ich bin keine Gefahr ehrlich nicht“, sagte er mit viel zu hoher sich fast überschlagender Stimme. "Dein Freund kann gehen, tu mir bitte nichts."
Der Held sah ihn finster an und purer Hass ging von ihm aus. Er ging entschlossen und ohne Worte auf seinen Gegner zu, der immer weiter mit erhobenen Hände zurückwich, bis er mit dem Rücken an die Wand stieß.
„Bitte töte mich nicht, ich bin doch gar keine Gefahr, ich wollte das alles gar nicht, es war meine Familie, die hat mich dazu gebracht mitzumachen, bitte, du siehst mich auch nie wieder“, bettelte er verzweifelt um sein Leben.
„Hör mal. Er hat mir nichts getan und er ist keine Gefahr. Du brauchst ihn nicht zu töten“, sagte Lester, der selbst etwas erschrocken war.
Der Held achtete gar nicht auf seine Worte, sah ihn nicht mal an und irgendwie beunruhigte das Lester. Was war mit seinem Freund nur los? Lag es an der Klaue Beliars? Hatte sie ihn so verändert? Der Held packte seinen wehrlosen Gegner an der Schulter, drückte ihn fest gegen die Wand, hob die Klaue Beliars und stieß sie ihm in den Leib. Zuerst schrie der Mann, dann ging der Schrei in ein Röcheln über, das von seinem eigenen Blut erstickt wurde, welches ihm nun aus dem Mund quoll. Hasserfüllt sah der Held ihm in die Augen aus denen das Leben schwand, dann ließ er ihn los und zog die Klinge heraus. Der tote Körper fiel zu Boden und das Blut tränkte den Boden. Der Held steckte die Waffe weg und drehte sich zu Lester um. Es war, als würde all der Hass und die Aggression von ihm abfallen.
„Lester, alles in Ordnung bei dir?“ fragte er in seinem üblichen Plauderton.
„Ja“, sagte Lester und er versuchte das Zittern aus seiner Stimme zu vertreiben.
Er war erschüttert, über diese Kälte, die bis eben von seinem Freund ausgegangen war. Es wäre ja nicht so, als hätte er noch nie gesehen wie jemand getötet wurde. Es ging mehr um die Art und Weise wie sein Freund es getan hatte. Der schnitt ihm jetzt die Fesseln durch und klopfte ihm kumpelhaft auf die Schulter.
„Jetzt hast du es überstanden. Die werden uns keinen Ärger mehr machen.“
„Wie meinst du das?“ fragte Lester tonlos.
„Na hör mal, ich hab zwei weitere Häuser durchsucht bis ich dich in dem hier gefunden habe“, sagte der Held ganz nebenbei. "Sieh mal was ich gefunden habe."
Der Held drückte Lester seine Runen in die Hand, dann ging voran aus dem Zimmer und Lester folgte ihm mit einem mulmigen Gefühl im Bauch. Die Treppe, die sie herabstiegen war halb zerstört, so wie das Haus an sich. Linker Hand fehlte ein großes Stück von der Wand und der Decke. Dort stand ein Dämon, der sich den Platz verschafft hatte, den er brauchte. Er sah dem Exemplar aus Gotha ähnlich, hatte kräftige Beine und Arme, sowie Flügel und war vollständig Schwarz. Die Hörner auf dem Kopf ließen ihn sehr bedrohlich aussehen, die Augen waren wie Schlünde in die Abgründe der Finsternis. Das Flammenschwert ließ er gerade wieder auf eine Gruppe dicht zusammengedrängter, jammernder Frauen niederfahren und einen übel zugerichteten Körper hämmerte er immer wieder gegen die Wand, die langsam zerbröckelte. Die Leiche seines Opfers war nur noch eine blutige Masse. Vielleicht hatte er nicht gemerkt, dass seine Beute längst tot war, oder es war ihm egal. Übelkeit stieg in Lester auf. Auf dem Boden lagen überall aufgeschlitzte tote Körper und es waren nicht nur bewaffnete Männer. Der Held hatte offenbar keinen Unterschied gemacht wer sich ihm hier in den Weg stellte. Es waren genauso Männer ohne Waffen darunter, sowie ein paar Frauen. Dort hinten wo der Dämon stand, konnte er auch kleine tote Körper sehen. Er hoffte inständig, dass der Dämon dafür verantwortlich war. Plötzlich wünschte Lester sein Freund wäre nie hierhergekommen, um ihn zu retten.
„He, ist wirklich alles in Ordnung?“ fragte sein Freund besorgt.
Lester wagte kaum ihn anzusehen. Er fühlte sich schrecklich. Es war allein schon, wie der Held diese Frage stellen konnte angesichts dieses Chaos.
„Ich … ich …“ sagte Lester mit erstickter Stimme.
Der Held folgte seinem Blick.
„Ja, sieht übel aus, oder? Schätze hab wohl die Nerven verloren und es ist ein bisschen mit mir durchgegangen. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie angepisst ich war, als ich hörte, sie hätten dich entführt.“
Mehr wollte er wohl angesichts seiner Taten nicht sagen. Lester atmete angestrengt durch, doch es war nicht befreiend. Der Geruch nach Blut und Tod drang in seine Lungen ein wie Gift. Er wollte nur noch hier raus, aber weil er nicht wollte, dass ihnen der Dämon folgte, um noch mehr Zerstörung zu verursachen, fragte er den Helden: „Aber den nehmen wir doch nicht mit, oder?“
„Nein, du hast Recht, warte einen Moment, das haben wir gleich.“
Der Held stiefelte los und seine Schuhe saugten sich mit dem Blut seiner Opfer voll. Einmal wäre er beinahe auf einer Blutlache ausgerutscht, doch er konnte sich noch fangen. Als er vor dem Dämon stand, der ihm erwartungsvoll entgegensah, sein Opfer noch immer in der Pranke, zog er erneut Beliars Klaue und hieb auf ihn ein. Der Dämon brüllte laut, durfte sich aber nicht wehren. Er musste es akzeptieren, gemeuchelt zu werden. Mit einem Brüllen brach er zusammen und begrub zahlreiche ermordete Menschen unter sich.
„Gehen wir“, sagte der Held und ging voraus in die milde Nachtluft.
Lester folgte ihm eilig. Er wollte keine Sekunde länger hierbleiben.
Eispfötchen
17.08.2018, 15:10
Milten befand sich gerade wieder im Krankenhaus, als er unangenehmen Besuch erhielt. Es waren die beiden Polizisten Klein und Nagel und dieses Mal sah es nicht so aus, als würden sie ihn einfach so gehen lassen. Sie führten ihn in einen Besprechungsraum und schlossen die Tür hinter sich. Milten wusste, dass er sich dem nicht einfach so entziehen konnte. Vielleicht wurde es ja auch gar nicht so schlimm wie er befürchtete.
„Herr Feuermagier“, fing Herr Nagel an und seine Stimme war auf eine unerträgliche Art freundlich, dass es Milten schlecht wurde. „Ich wusste doch, dass sie uns nicht alles erzählen. Sie hätten ruhig sagen können, dass zwei ihrer Freunde Drogendealer sind.“
„Was meinen Sie?“ versuchte sich Milten dumm zu stellen.
„Ach komm, jetzt spielen Sie hier nicht den Ahnungslosen.“
Herr Nagel zog sein Smartphone hervor und zeigte ein Bild.
„Das wurde mir gestern Mittag zugeschickt. Und sehen Sie mal, da sind sie zusammen mit ihren Freunden. Und was für ein Zufall das doch ist, wer da alles zusammenkommt. Da ist ja Gorn, der mal einen meiner Männer zusammgeschlagen hat, sicher, Sie haben sich für ihn eingesetzt, deswegen ist ja klar, dass er ihr Freund ist, aber dann ist da auch noch dieser komische Typ, der mitten in Gorns Vernehmung geplatzt ist und mich bestechen wollte. Der verkauft Sumpfkraut. Da auch der andere Dealer, bei dem wir rausfinden konnten, dass er Lester heißt und hier … den kennen wir noch nicht, aber so wie ich ihren Freundeskreis einschätze, wird der auch irgendwas auf dem Kerbholz haben.“
Er sah Milten finster an.
„Ganz schön üble Halunken mit denen Sie sich da abgeben.“
Das ließ er so im Raum hängen, vielleicht wettete er darauf, dass sich der Feuermagier irgendwie verteidigen würde, aber das tat er nicht, was ihn schon überraschte. Milten versuchte angestrengt einen Ausweg aus diesem Schlamassel zu finden. Er konnte nicht bestreiten, dass seine Freunde Verbrecher waren, niemand würde ihm abkaufen, dass sie weiße Westen hatten. Doch sie zu verraten war natürlich keine Option. Vielleicht sollte er einfach nichts sagen.
„Na, so schweigsam heute?“ fragte Herr Klein ungehalten. „Wie kommt es denn, dass ein Feuermagier, der hier im Krankenhaus versucht anderen Leuten zu helfen, sich mit so einem Pack zusammentut?“
Milten biss die Zähne zusammen, um nicht etwas zu sagen was er später bereuen würde. Er versuchte ruhig zu bleiben. Natürlich versuchten sie ihn zu reizen, damit er etwas Unvorsichtiges tat und ihm etwas herausrutschte, aber diese Genugtuung würde er ihnen nicht geben.
„Hören Sie“, setzte Herr Nagel wieder an. „Wenn Sie uns nichts sagen und ihre Hilfe verweigern, dann machen Sie sich mitschuldig. Sie wollen doch nicht ins Gefängnis gehen, nur, weil ihre Freunde das Gesetz mit Füßen treten, oder?“
Milten blieb hartnäckig. Er sagte gar nichts.
„Schön“, sagte Herr Nagel genervt. „Ich habe versucht es Ihnen leicht zu machen, weil Sie offenbar wirklich vorhaben den Leuten hier zu helfen, aber jetzt komme ich nicht mehr drumherum. Jetzt muss ich Sie zur offiziellen Befragung zur Wache mitnehmen. Wenn Sie mir bitte folgen würden?“
Er ging voran, Milten wurde in die Mitte genommen und Herr Klein übernahm die Nachhut. Milten kam sich schon jetzt wie ein Verbrecher vor. Er ließ die Schultern hängen und fragte sich wie er hier nur wieder raus kommen sollte.
„Milten, schnell, wir brauchen deine Hilfe“, kam ein Ruf von links.
Es war Saskia, die den Gang entlangrannte und aufmerksamkeitsheischend mit den Armen ruderte.
„Was ist denn los?“ fragte Milten.
Er wollte anhalten, aber der Polizist hinter ihm gab ihm einen leichten Stoß, damit er weiterging.
„Notfall, Herzversagen, jetzt komm schon mit!“
„Er geht nirgendwohin“, schnarrte Herr Nagel. „Wir müssen ihn zu einem Sachverhalt befragen.“
Saskia sah zuerst völlig eingeschüchtert aus, aber dann reckte sie den Kopf und sagte mit für sie ungewöhnlich selbstbewusster Stimme: „Wenn Sie nicht den Tod eines Menschen auf dem Gewissen haben wollen, dann lassen Sie ihn kurz mit mir mitgehen.“
Herr Nagel schnaubte.
„Na schön, aber wir kommen mit.“
Jetzt eilten Saskia und Milten voran und die Polizisten mussten sich beeilen um Schritt zu halten. Der Feuermagier und die Krankenschwester waren zuerst im Patientenzimmer und Milten rief ihr zu: „Schnell schließ die Tür!“
„Was? Warum?“ fragte Saskia verwirrt.
„Mach einfach!“ drängte Milten.
Sie tat was er verlangte und als die Polizisten die Tür aufstießen und sie zornfunkelnd ansahen, sagte sie: „Tut mir leid, aber hier dürfen Sie nicht rein. Es geht um das Patientenwohl. Er darf sich im Moment nicht aufregen. Milten ist ja gleich wieder bei ihnen“, und damit schlug sie ihnen die Tür vor der Nase zu.
Der Feuermagier hatte bereits den Heilzauber gesprochen und die kritische Lage des Patienten stabilisierte sich. Er ging sicher, dass es dem Mann gut ging und zog dann eine Teleporterrune hervor.
„Was machst du?“ fragte Saskia und sah ihn mit großen Augen an.
Milten legte den Finger an den Mund, um ihr zu bedeuten still zu sein.
„Bestell Astrid meine Grüße“, sagte er leise und wirkte den Zauber.
Er wusste, dass er wohl nie mehr ins Krankenhaus zurückkehren könnte.
Er rematerialiserte sich im Versteck. Dieses Mal schwebte kein Dämon im Treppenhaus. Er hörte Stimmen von oben und folgte ihnen. Seine Freunde saßen oben in dem Raum wo das großes Bett und das hässliche grüne Sofa stand. Diego, Lester und Gorn saßen auf diesem Sofa und unterhielten sich. Nur der Held war nicht dabei.
„Wir haben ein Problem“, sagte Milten und lief zu ihnen.
„Ach?“ fragte Gorn in einem merkwürdig abgeklärten Tonfall, der Milten irritierte.
„Die Polizei ist uns dicht auf den Fersen. Du hattest Recht Diego, die Frau, die wir beim Imbis gesehen haben war wirklich von der Polizei. Die haben mir im Krankenhaus ganz schön unangenehme Fragen gestellt. Wenn ich nicht mittels Teleport entwischt wäre, hätten sie mich auf ihre Wache gebracht.“
„Auch das noch“, kam es von Diego.
„Was? Was ist denn?“ fragte Milten, der das starke Gefühl hatte, irgendwas verpasst zu haben.
„Lester ist entführt worden“, klärte Gorn ihn auf.
„WAS?“ fragte der Feuermagier erschrocken und sein Blick huschte zu Lester, der ungewöhnlich blass um die Nasenspitze war.
„Ja,“ bekräftigte Gorn noch einmal. „Dieser Tabo hat uns verraten und Miftahs Leuten gesteckt wann es praktisch wäre hier aufzukreuzen und ihn einzukassieren.“
„Und wie … wie bist du da wieder rausgekommen?“ fragte Milten aufgeregt.
Er fand es unglaublich, dass er davon gar nichts mitbekommen hatte.
„Was wohl, unser Kumpel hat ihn da rausgehauen, aber Lester will nicht erzählen was genau passiert ist.“
„Das wollt ihr auch gar nicht wissen“, sagte Lester, dessen Stimme ungewohnt ernst klang.
„Doch, wollen wir schon, mach es doch nicht so spannend“, sagte Gorn, der wohl gar nicht merkte, wie es Lester ging.
Milten warf Gorn einen Blick zu, der sagte, dass er aufhören sollte, Lester zu drängen. Wenn Lester sich so untypisch verhielt, dann musste etwas wirklich Schlimmes geschehen sein. Der Feuermagier setzte sich zwischen Lester und Diego, der etwas beiseite rutschte, um seinem Kumpel Platz zu verschaffen. Er musterte Lester und wartete darauf, dass er etwas sagte. Der Umstand, dass sein Freund so still war, beunruhigte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte.
„Guck nicht so, ich hab keine Lust darüber zu reden“, druckste Lester herum.
„Aber irgendwas muss doch passiert sein“, kam es von Gorn und er hob kurz die Hände, nur um sie dann auf seine Oberschenkel klatschen zu lassen.
Lester ließ seinen Kommentar an sich abprallen und sah Milten eindringlich an.
„Wir müssen ihm die Klaue abnehmen“, flüsterte er.
Milten runzelte die Stirn. Das kam unerwartet. Sie hatten schon darüber gesprochen, aber hatten sie im Moment nicht andere Probleme?
„Was hat er denn gemacht?“ fragte Diego neugierig.
„Na was wohl. Lester befreit und bestimmt im Alleingang alle Feinde getötet“, sagte Gorn, der da offenbar überhaupt kein Problem sah.
Lesters Gesicht wirkte verkniffen.
„Ja, er hat sie getötet, sie alle. Egal wer sich ihm in den Weg gestellt hat, er hat sie alle getötet.“
Gorn hatte offenbar immer noch nicht begriffen was Lesters Problem war, aber Diego hob eine Augenbraue. Er konnte es sich wohl vorstellen. Damals in Ishtar hatte er ja auch keine halben Sachen gemacht. Milten sah Lester beunruhigt an.
„Wir müssen ihm dieses Schwert abnehmen, versprich mir das“, sagte Lester drängend.
Ihn so verzweifelt und durcheinander zu sehen war verstörend.
„Ja, ich versprechs. Wir müssen uns aber was einfallen lassen. Einfach so wird er es ja nicht hergeben“, sagte Milten und dachte angestrengt nach.
„Hauptsache du bist wieder da. Ich hab mir echt Sorgen gemacht, sie würden dir was antun“, versuchte Gorn diese furchtbare Stimmung zu überwinden.
Diego sagte gar nichts. Vielleicht dachte er sich seinen eigenen Teil, wollte ihn aber nicht aussprechen. Eine unangenehme Stille trat ein. Erst als es auf der Treppe polterte und schließlich der Held ins Zimmer trat wurde sie durchbrochen.
„He Leute,“ der Held hielt mitten in der Bewegung inne. „Was ist denn los? Was ist passiert? Ihr sitzt da, als wäre jemand gestorben.“
Lester warf Milten einen flehenden Blick zu. Er wollte wohl nicht, dass der Feuermagier seine Befreiung ansprach.
„Wir … ähm… die Polizei ist hinter uns her“, nahm Milten diesen Faden wieder auf. „Eben wurde ich von zwei Polizisten im Krankenhaus befragt. Wir wurden gesehen wie wir zusammen im Imbiss gegessen haben. Sie haben viele unangenehme Fragen gestellt, aber ich hab nichts dazu gesagt.“
„Sehr gut“, freute sich der Held.
„Was haben die denn gemeint?“ wollte Gorn wissen.
„Sie wollten zum Beispiel wissen, warum ich einen Haufen Verbrecher als Freunde habe.“
Gorn gluckste.
„Ach ja, immer das gleiche, sofort ist man ein Verbrecher, nur weil man jemandem einen Satz warmer Ohren verpasst.“
„Ja, genau, daran hatte sich der Polizist sofort erinnert“, sagte Milten und tatsächlich stahl sich ein schmales Lächeln auf sein Gesicht. „Lester ist der Drogendealer, genauso wie du“, er zeigte auf den Helden. „Außerdem bist du noch wegen Bestechungsversuch aufgefallen.“
„Na sowas,“ sagte der Held leichthin und musste grinsen.
„Nur mit Diego konnten sie nichts anfangen. Über ihn wussten sie gar nichts zu sagen.“
Wie zum Sieg stieß Diego seine rechte Faust empor.
„Tja, ich bin eben am besten. Ihr könnt eure Verbrechen einfach nicht vertuschen.“
„Freu dich nicht zu früh“, mischte sich Milten ein, um ihn etwas zu sticheln. „Der meinte, bei dem Freundeskreis, den ich habe, müsstest du auch irgendwelchen Dreck am Stecken haben. Die forschen jetzt bestimmt nach.“
Diego knurrte. Die anderen lachten. Selbst Lester wirkte jetzt nicht mehr ganz so bedrückt. Die schlechte Stimmung war wie weggeweht.
„Hört mal, ich hab gerade eine Nachricht von Anette bekommen. Sie hat herausgefunden wo Xardas wohnt. Wenn ihr wollt können wir uns sofort auf den Weg machen. Wenn wir Glück haben, geht es für uns bald nach Hause.“
„So eine gute Nachricht habe ich lange nicht mehr gehört“, sagte Gorn.
Auch Lester, Milten und Diego freuten sich und aufgeregt brachen sie auf. Vielleicht konnten sie alle Probleme dieser Welt bald hinter sich lassen.
Eispfötchen
17.08.2018, 16:11
Der Held verglich die Adresse mit der, welche ihm Annette per Kurznachricht geschickt hatte. Sie standen vor einem großen Hochhaus, das aussah wie …
„Ein Turm… natürlich musste es ein Turm sein“, sagte der Held schmunzelnd.
„Naja, immerhin musste er ihn diesmal nicht erschaffen“, gab Lester seinen Senf dazu.
Milten war bereits vorgelaufen und suchte am Klingelknopf nach dem Namen Xardas.
„Ich kann ihn nicht finden“, erklärte er unsicher.
„Lass mal sehen“, der Held ging zu ihm und sah sich die Namensschilder an.
„Hier das ist leer, probieren wir es doch mal da. Marius hat mir gesagt wie man es machen muss. Er wollte wohl nicht mehr, dass ich klopfe.“
Der Held betätigte einen Knopf. Das hieß er ließ seinen Finger einfach für ein paar Minuten drauf. Aus einigen Löchern in der Wand drang eine genervte Stimme, die unverkennbar Xardas gehörte: „Kommt rein und hört mit diesem Lärm auf!“
Die Freunde sahen sich an und fragten sich, ob Xardas gut auf sie zu sprechen sein würde. Dem Helden plagten solche Sorgen offenbar nicht. Er öffnete die Tür und ging voran die Treppe hinauf.
„Wir könnten auch den Aufzug nehmen“, schlug Milten vor.
„Den was?“ fragte der Held, der schon zwei Absätze weiter war.
„Ach nichts“, kam es von Milten, der sich jetzt bemühte hinter den anderen Schritt zu halten.
Schier endlos ging es die Treppe hinauf, bis der Held endlich stehen blieb und an einer bestimmten Tür klopfte. Er sah immer noch so aus, als hätte es ihn überhaupt keine Anstrengung gekostet hier hochzusteigen. Es dauerte einen Moment, dann wurde die Tür geöffnet und es stand niemand anderes vor ihnen als … Xardas. Allerdings sah er nicht so aus wie sonst. Statt seiner Dämonenbeschwörerrobe trug er jetzt einen schwarzen Anzug. Man könnte ihn für einen ganz normalen alten Mann halten, wären da nicht die unnormal weißen Augen.
„Da bist du ja endlich, ich hab mich schon gefragt, wann du dich blicken lässt“, begrüßte der Magier den Helden.
Der Held wunderte sich nicht weiter über diese Ansprache, offenbar war er es gewohnt. Seine Freunde warfen sich aber entgeisterte Blicke zu, denn immerhin hatte es ja so lange gedauert Xardas zu finden. Xardas hatte sich währenddessen umgedreht und war weiter in sein Apartment hineingegangen. Der Held folgte und nach einem kurzen Zögern auch seine Freunde. Die Wohnung war recht groß. Hier hatte Xardas mehr Platz als in einem seiner Türme und es war viel bequemer. Gediegene Sessel und Sofas standen um ein Tischchen herum, kunstvolle Bilder in schweren Rahmen hingen an den weißen Wänden und schweres, kostbar aussehendes Mobiliar aus echtem Holz zierte den Raum. Auch der Boden schien aus Holz zu bestehen. Der Blick aus den Fenstern war atemberaubend. Es sah aus, als ob die ganze Stadt diesem Turm zu Füßen lag.
„Setzt euch doch“, forderte Xardas sie auf Platz zu nehmen.
Der Held ließ sich in einen Sessel plumpsen, als wäre das sein angestammter Platz, während sich die anderen etwas nervös auf die Sofas verteilten. Xardas, der ebenfalls in einem Sessel saß wiederholte noch einmal: „Ich habe mich schon gefragt, wann ihr hier auftauchen würdet.“
„Du wusstest also, dass wir hier sind?“ fragte der Held interessiert.
„Selbstverständlich. Es gab eine Fülle von Nachrichten über euch. Wenn man weiß wonach man Ausschau halten muss, ist es geradezu lächerlich einfach herauszufinden was ihr gerade treibt. Es war … amüsant“, sagte er nach kurzem Zögern.
Plötzlich kam ein Skelett zu ihrem Platz getreten. Es trug eine Fliege am knochigen Hals und in den Händen hielt es ein Tablet mit einer Weinflasche und sechs Gläsern. Xardas und der Held beachteten es nicht weiter, doch Gorn, Diego, Milten und Lester bedachten es mit skeptischen Blicken, während es die Gläser auf den Tisch stellte, den Wein entkorkte und die Gläser füllte.
„Warum hast du dich denn nie gemeldet?“ wollte der Held wissen.
„Du weißt doch, dass das nicht meine Art ist“, erklärte Xardas.
„Hm…“ kam es nur vom Helden, was wohl so viel heißen sollte wie: stimmt.
Xardas hatte ihn nur einmal wissen lassen, dass er ihn sprechen wollte, indem er Lester zu ihm geschickt hatte, sonst war er wohl immer davon ausgegangen, dass er zu ihm kommen würde, wenn etwas anlag.
„Warum bist du eigentlich hier?“ fragte der Held und eine Spur Verwunderung lag in seiner Stimme.
Xardas runzelte die Stirn.
„Du warst es doch, der mich gefragt hat, ob ich mein restliches Leben abgeschieden im unentdeckten Land verbringen will“, sagte Xardas fast schon etwas empört und vorwurfsvoll. „Außerdem lässt sich nicht leugnen, dass ich mittlerweile ein alter Mann bin und so ein feuchter, muffiger Turm ist nicht die angenehmste Unterkunft. Diese Welt bietet erstaunlich viel Komfort und ich finde auf meine alten Tage habe ich das durchaus verdient.“
„Und du verdienst dein Geld damit Kindergeschichten zu erzählen?“
Der Held feixte.
„Unter anderem. Es sind auch einige sehr ernsthafte Themen darunter. Außerdem gibt es einige Werbespots, denen ich meine Stimme leihe.“
„Finden das die Leute nicht etwas seltsam?“ fragte Lester verwundert.
„Nein, ganz und gar nicht. Es ist alles eine Frage der Anpassung. Für die Menschen hier bin ich einfach nur ein alter Mann, der sich ein Zubrot verdienen möchte.“
„Wie bist du hierhergekommen?“ fragte der Held neugierig.
Xardas antwortete nicht sofort. Er schüttelte das Kissen hinter seinem Rücken auf und machte es sich in dem gemütlichen Sessel so richtig bequem.
„Nun, ich habe eine interessante Verbindung zwischen unserer Welt und dieser gefunden und wollte das erforschen. Mit einem Teleport kam ich dann hierher.“
„Warst du auch im Schläfertempel?“ fragte Lester freiheraus.
Xardas runzelte die Stirn.
"Nein, ich war in Ishtar. Auch wenn viele Leute es nicht wissen, aber Ishtar ist aus gutem Grund nicht offen für jeden. Es ist ein heiliger Ort Beliars. Das Tor ist mit alter Magie durchtränkt, die nur von jenen erkannt werden kann, die erfahren genug sind, sie zu sehen. Hier in dieser Welt gibt es ein ähnliches Ishtar-Tor, auch wenn es etwas anders aussieht und ein c hat. Es ist das Gegenstück und dort bin ich auch erschienen.“
„Aber wieso sind wir dann hier? Wir waren gar nicht beim Tor von Ishtar“, fragte der Held.
„Das Portal, aus dem der Schläfer kam, ist sehr mächtig und führt direkt in Beliars Sphäre. Zwischen den beiden Is(c)htar Toren besteht eine Verbindung, doch es sieht ganz so aus, als hättet ihr eine Abkürzung gefunden. Es war recht leichtsinnig gleich neben dem Schläferportal einen Teleport zu versuchen.“
Milten errötete.
„Die Höhle war eingestürzt“, rechtfertigte sich Milten.
„So? Na, das ist ja kein Wunder, nachdem sie sich derart destabilisiert hat.“
Betretenes Schweigen breitete sich aus. Natürlich war ihnen klar, dass es sehr leichtsinnig gewesen war in den Schläfertempel zu gehen.
„Kannst du uns zurück nach Myrtana bringen?“ erhob jetzt Diego die Stimme.
„Sicher“, kam es sofort von Xardas „doch warum sollte ich das tun?“
Die anderen sahen ihn ungläubig an.
„Wie meinst du das?“ fragte Gorn. „Willst du uns nicht zurückschicken?“
„Wenn ihr zurückkehrt, dann seid ihr doch drauf und dran ihn zum König zu machen“, bemerkte Xardas und zeigte auf den Helden. „Und das bringt das Kräftegleichgewicht völlig durcheinander. Alles wofür ich all die Jahre gearbeitet habe, wäre dann dahin.“
Gorn stieg die Zornesröte ins Gesicht und er brauste auf: „Nun mach aber mal halblang. Wir anderen haben jahrelang dafür gearbeitet, damit Myrtana für Menschen endlich wieder sicher ist und so ganz ist das Ziel ja immer noch nicht erreicht. Wir können froh sein, wenn überhaupt noch jemand da ist, wenn wir zurückkommen. Ich finde die Menschen von Myrtana haben schon genug gelitten und sie brauchen eine Chance wieder auf die Beine zu kommen und die haben sie bestimmt nur mit ihm als König.“
Der Held rutschte im Sessel hinunter. Jetzt ging das wieder los. Hatte er nicht alles getan, um seine „Kein-König-Kampagne“ zu rechtfertigen? Diego hatte währenddessen die Augen geschlossen und hoffte wohl einfach, dass er immer noch er selbst war, wenn er sie wieder öffnete und Xardas sie wegen Gorns Wutausbruch aus Rachsucht nicht in irgendetwas Scheußliches verwandelt hatte.
„Nun, das mag für dich so aussehen,“, erklärte Xardas vollkommen ruhig „aber es gibt auch kaum noch Kräfte Beliars in Myrtana.“
„Und was ist mit den Assassinen?“ fragte Milten.
„Die Assassinen sind ebenfalls stark geschwächt und gehen sich aus Uneinigkeit gegenseitig an die Gurgel. Für einen großen Feldzug gegen ihre Nachbarn fehlt ihnen die Einigkeit.“
„Du nimmst es also einfach so hin, dass die Menschen in Myrtana sterben?“ fragte Milten ungehalten. „Wir wissen doch gar nicht genau, ob das Gleichgewicht der Kräfte wirklich gestört werden würde.“
„Es ist aber anzunehmen.“
Es klang endgültig.
„Ich habe nicht vor König zu werden. Wir wollen einfach nur zurück“, erklärte der Held entschlossen.
„Hm…“ machte Xardas und stützte sein Kinn nachdenklich auf seine Hand. „Tatsächlich wäre hier bleiben auch keine wirkliche Option. Ihr habt hier alles durcheinandergebracht und wenn ihr noch länger bleibt, befürchte ich schwere Folgen.“
Er ließ das einen Moment so im Raum stehen, bis er sagte: „Schön, dann werde ich euch zurückbringen.“
Einen Moment sahen ihn die Anderen nur ungläubig an. Sie konnten gar nicht fassen, dass sie jetzt doch noch nach Hause kamen. Ein Aufatmen ging durch den Raum.
"Kommen wir dann in Varant raus?" fragte Milten.
Er war erleichtert bei der Vorstellung nach Myrtana zurückzukehren, aber Varant war nicht sein Bevorzugtes Reiseziel.
Xardas sagte aber: "Da ihr vom Schläfertempel hierhergekommen seid, müsst ihr auch wieder dahin zurückkehren."
"Aber dann hat sich unsere Situation doch nicht verändert", protestierte Gorn. "Der Ausgang ist doch trotzdem noch eingestürzt."
"Ich werde euch die Aufzeichnungen hinterlassen, mit denen ein Teleport aus oder in den Schläfertempel möglich ist."
"Meinst du, du kriegst das hin?" fragte Gorn an Milten gewandt.
Sein Freund warf ihm einen verletzten, aber auch wütenden Blick zu und sagte: "Das will ich doch hoffen."
„Ich werde die nötigen Vorbereitungen treffen“, sagte Xardas stand auf und verließ das Zimmer in einen Nebenraum.
„Dann … dann war es das einfach?“ fragte Diego. „Wir verschwinden?“
„Was ist mit meinem Sumpfkraut?“ fragte Lester erschrocken.
Die anderen verdrehten die Augen. Da kamen sie endlich nach Hause und er dachte nur an sein Sumpfkraut.
„Keine Sorge, Kumpel, ich hab noch jede Menge davon in meiner Hosentasche. Das ist bestimmt so viel, dass du noch Jahre was zu rauchen hast.“
Lester atmete erleichtert auf. Der Held kramte sein Handy heraus und sagte: „Aber ich denke, es wäre gut Elyas und Annette mitzuteilen, dass wir uns verdrücken.“
Er wählte Elyas Nummer und rief an.
„Ja, ich bins. Die Jungs und ich, wir verschwinden von hier. Wird langsam zu dicke Luft hier. Nein, ich weiß nicht, wie du alleine mit dem Sumpfkraut zu Rande kommen sollst. Du wirst schon eine Möglichkeit finden, immerhin warst du lang genug dabei. Ach, jetzt, tu nicht so, du hast doch bestimmt genug Geld, um dich die nächsten Jahre über Wasser zu halten.“
Während der Held noch telefonierte suchte Milten Stift und Papier zusammen, um einen Brief an Günther und Astrid zu schreiben, in dem er sein Fortgehen erklären wollte. Er fand, dass sie einen ordentlichen Abschied verdient hätten, doch dafür war bestimmt keine Zeit. Als er ihn fertig geschrieben hatte, trat er vorsichtig an Xardas heran, der gerade in einem großen Buch las.
„Was gibt es denn Milten?“ fragte der alte Magier, ohne dabei von seinem Buch aufzusehen.
„Könntest du diesen Brief an einige Freunde senden? Die Adresse habe ich auf dem Umschlag notiert.“
Xardas sah ihn jetzt doch an und nahm den ihm entgegengehaltenen Brief an.
„Wissen diese Leute von Magie?“
„Ja, ich habe im Krankenhaus Verletzte und Kranke geheilt und sie waren mit dabei.“
„Davon habe ich gelesen. Sie werden ihn erhalten“, erklärte Xardas knapp und widmete sich dann wieder seinem Buch, was ein klares Zeichen war, dass er nun nicht weiter gestört werden wollte.
Sie verbrachten den Rest des Tages bei dem alten Magier und in der Nacht stiegen sie in das Pergamon Museum ein, indem sich laut Xardas, das Ischtar-Tor befand. Der Einbruch war gar nicht so schwer wie gedacht. Der Held hatte Marius damit beauftragt die Computer zu hacken und die technische Überwachung so auszutricksen. Diego übernahm die manuellen Einbruchtechniken. Xardas führte sie durch die großen Hallen und gespenstisch leeren Gänge des Museums. Die Exponate wirkten irgendwie unwirklich hinter ihrem Glas in diesem Dunkel, nur unterbrochen von den Strahlen des kleinen Lichts, welches der Held beschworen hatte. Er und seine Freunde trugen jetzt wieder ihr alte Kleidung. Wenn sie wieder in Khorinis waren, wollten sie auf eine mögliche kritische Situation vorbereitet sein. Sie erreichten ein blaues, imposantes mit glasierten Reliefs verziertes Tor.
"Da hat sich aber mal jemand richtig Mühe gegeben", kam es von Diego und er zeigte auf die Darstellungen von Löwen, Stieren und drachenartigen Wesen. "Wer soetwas in Auftrag gibt, muss richtig viel Gold haben."
"Viel interessanter ist doch, wer es verzaubert hat", wandte Milten ein.
"Hat das Tor wirklich was mit Beliar zu tun?" fragte Lester.
Die anderen sahen ihn verwundert an.
"Ich mein ja nur", sagte Lester kleinlaut, als wäre er ganz verwundert über die plötzliche Aufmerksamkeit. "weil es blau ist."
"Es ist ganz sicher das richtige Tor", kam es jetzt in einem Ton von Xardas, der keinen Widerspruch mehr zuließ.
Die Anderen sahen sich an und ließen weitere Gedanken unausgesprochen.
"Stellt euch in den Torbogen!" wies sie der alte Magier an.
Diego, Gorn, Lester und Milten stellten sich auf, aber der Held kam noch mal zu Xardas und holte dicke Geldbündel aus seiner Hosentasche: "Fast hätte ich es vergessen. In Myrtana habe ich dafür ja keine Verwendung. Ich denke für einen angenehmen Aufenthalt in dieser Welt sollte das eine längere Zeit reichen, dann musst du auch keine Kindergeschichten mehr vorlesen."
Der Held zwinkerte ihm keck zu.
"Danke", sagte Xardas möglichst würdevoll und steckte das Geld ein. "Nun denn, dann will ich euch mal nach Myrtana zurückschicken."
Er hob beschwörend die Hände und ein blauschwarzer Strudel erfasste Diego, Milten, Gorn, Lester und den Helden. Von jetzt auf gleich waren sie verschwunden.
Sie rematerialisierten sich. Pure Finsternis umhüllte sie. Ein bedrohliches Pulsieren drang an ihre Ohren.
"Licht, nun mach doch mal jemand Licht!", knurrte Diego verstimmt.
"Nun warte doch mal ab, euer Krempel behindert mich bei der Suchen nach der Rune", kam es genervt vom Helden.
Doch endlich erschien ein Licht über ihnen und offenbarte ihren neuen Aufenthaltsort. Sie waren tatsächlich zurück im Schläfertempel.
"Puh, ich hätte nicht gedacht, dass ich mal froh sein würde hier zu sein", kam es von Lester, der sich den Schweiß von der Stirn wischte. "Wo du gerade bei der Suche bist, reich mir doch mal ein Dutzend Sumpfkrautstengel rüber."
Der Held seufzte und gab seinem Freund was er verlangte.
"Also, ich bin dafür, dass wir die nächste Teleportation nicht hier an diesem Ding starten", kam es von Gorn und er zeigte auf das Portal direkt vor ihnen.
"Dem schließe ich mich an", sagte Diego. "Lasst uns weiter nach oben gehen, vielleicht ist es dann auch leichter für Milten. Wer weiß, wenn wir das schon letztes Mal gemacht hätten, dann wäre es vielleicht gar nicht so weit gekommen."
So liefen sie durch den Schläfertempel, der wieder seine gruselige Atmosphäre auf sie wirken ließ und die Stimmung drückte.
"So, da wären wir", sagte Gorn, als sie am Eingang des Tempels standen.
Die Brücke zum Ausgang war immer noch zerstört und mit schweren, unverrückbaren Felsen verschlossen. Milten zog die Aufzeichnungen hervor, die Xardas ihm gegeben hatte und las sie sich durch, dann krempelte er die Ärmel hoch, bat seine Freunde dich zusammen zu rücken und sprach den Zauber.
Weiter geht es dann demnächst in "Neue Abenteuer braucht der Held" https://forum.worldofplayers.de/forum/threads/1503584-Story-Neue-Abenteuer-braucht-der-Held
Eispfötchen
17.08.2018, 17:10
Astrid war über das Wochenende bei ihren Eltern zu besuch. Es war Nacht und sie sah sich im Wohnzimmer auf dem Sofa in eine Decke gehüllt einen Gruselfilm an. Es ging um ein merkwürdiges geisterhaftes Wesen, das aus einem GuteNachtBuch kam und kleine Kinder fressen wollte. Schrille Werbung unterbrach die Spannung jäh und buhlte um ihre Aufmerksamkeit. Astrid seufzte, setzte sich auf und ging dann los, um die Werbepause für einen Gang zur Toilette zu nutzen. Sie war gerade wieder im Flur, als ein lautes Pochen sie zusammenfahren ließ. Abruppt blieb sie stehen. Wieder klopfte es laut. Da war jemand an der Tür und begehrte Einlass. Nachdem Astrid den ersten Schrecken überwunden hatte, wurde sie wütend. Wer wagte es um diese Uhrzeit hier anzuklopfen? Erneutes Hämmern erklang, diesmal energischer.
"Nun schlag doch gleich die Tür ein!" rief sie wütend und lief mit eiligen Schritten durch den Flur.
Derjenige draußen hatte sie offenbar gehört, denn er schien ihren Worten Taten folgen zu lassen. Astrid riss die Tür auf, griff sich dann ans Herz und verfiel in eine Schockstarre. Dort im schwachen Licht vom Halbmond schwebte ein Dämon vor der Haustür und schnaufte bedrohlich. Das Biest blickte sie aus seinen grausigen Augen an, hob dann einen Umschlag hoch, um sicher zu gehen, dass sie ihn gesehen hatte und warf ihn ihr zu. Das Papier segelte durch die Luft und kam leicht wie eine Feder auf der Türmatte auf. Astrid hatte gar nicht danach gegriffen, sie war zu erschrocken. Ihr Gast drehte sich jetzt einfach um, schlug kräftig mit den Flügeln um höher in die Luft zu kommen und flog in die Schwärze der Nacht. Astrid gab ein Wimmern von sich. Als es ihr möglich war sich wieder zu bewegen schaute sie vorsichtig aus der Tür heraus. Vielleicht fürchtete sie noch mehr Ungeheuer würden sich in der Nähe aufhalten, doch es war keins da. Ihr Blick fiel auf den Umschlag auf der Türmatte. Er sah ganz unscheinbar und harmlos aus. Mit zitternden Fingern hob sie ihn auf und knallte eilig die Tür zu und schloss rasch ab. Drinnen lehnte sie sich an die Wand und versuchte ruhig durchzuatmen, um sich wieder zu fassen. Sie zitterte wie Espenlaub und weil ihre Füße sie nicht mehr tragen wollten, rutschte sie an der Wand hinunter und setzte sich auf den Boden. Sie starrte auf den Umschlag in ihren Händen und fragte sich was er enthalten könnte. Nachdem er von diesem Biest gebracht wurde, war er vielleicht verflucht? Mittlerweile hielt sie solche eigentlich abwegigen Möglichkeiten tatsächlich für denkbar. Sie kannte aber niemanden, der sie verfluchen wollte. Sie fasste sich ein Herz und ritzte den Umschlag mit dem Haustürschlüssel auf. Sie entfaltete das innen liegende Papier und stellte fest, dass es ein kurzer Brief war. Neugierig las sie:
Astrid, Günther.
Es tut mir Leid, dass ich keine Zeit habe, mich von euch so zu verabschieden wie ihr es verdient hättet, aber für meine Freunde und mich hat sich eine plötzliche Gelegenheit aufgetan in unsere Heimat zurückzukehren.
Ich möchte meinen Dank aussprechen, weil ihr mich in meiner Zeit hier unterstützt und mich so freundlich und nett aufgenommen habt. Ich habe mich willkommen gefühlt.
Obwohl es ein Zufall war, dass meine Freund und ich in diese Stadt gekommen sind, bin ich doch froh, dass ich so viele Wunder dieser Welt erleben durfte und um viele Erfahrungen reicher bin.
Vielleicht seid ihr noch wütend auf mich, weil ich einfach so verschwunden bin und ich muss sagen, dass es mir sehr Leid tut, weil in letzter Zeit so einiges nicht so gelaufen ist, wie ich es mir gewünscht hätte.
Wir passen wohl einfach nicht in diese Welt und vermutlich ist es gut, dass wir nach Hause zurückkehren.
Hoffentlich können mit den Heiltränken, die im Krankenhaus verblieben sind, noch viele Menschenleben gerettet werden.
Ich habe einige Spruchrollen zur Heilung beigelegt. Der junge Martin hat Talent in der Magie. Vielleicht braucht ihr seine Fähigkeiten eines Tages.
Ich wünsche euch, dass ihr ein langes, glückliches und gutes Leben führen werdet.
Milten
Astrid sah in den Briefumschlag und entdeckte einige Papiere mit seltsamen Symbolen.
Tränen liefen Astrid über die Wangen, bevor sie so richtig wusste warum. Weil Milten so unvermittelt verschwunden war? Sie hatte gewusst, dass etwas nicht stimmte, als Saskia ihr erzählt hatte, die Polizei wäre wegen ihm im Krankenhaus gewesen und er wäre mittels Teleportation geflüchtet. Was war geschehen? Wie waren er und seine Freunde in ihre Welt zurückgekehrt? Würde sie ihn wirklich nie mehr wiedersehen? Sie saß noch eine Weile so da, bis sie aufstand und langsam, den gedankenverlorenen Blick immer noch auf den Brief in ihren Händen gerichtet, die Treppe in die obere Etage hochstieg. Sie schaltete ihre kleine Nachttischlampe an, zog sich für die Nacht um, legte sich aufs Bett und las den Brief wieder und wieder durch, in der Hoffnung, dass ihr der Inhalt dann realer vorkommen würde. Milten war tatsächlich verschwunden. Sie würde ihn wohl nie wieder sehen. Sie erinnerte sich wieder daran was sie ihm zuletzt an den Kopf geworfen hatte und weinte, weil sie wütend auf sich selbst war. Sie wünschte sich, dass es diesen Streit nie gegeben hätte. Natürlich hätte das nichts an seinem Verschwinden geändert, aber dann würde sie sich jetzt wohl nicht so schrecklich fühlen. Als einige Tränen auf das Papier fielen und die Tinte von ein paar Wörten begann zu verschwimmen, legte sie den Brief eilig auf ihren Nachttisch und wischte sich die Tränen fort. Sie schaltete ihre Leselampe aus und legte sich auf den Rücken. Aus dem Dachfenster konnte sie bis zu den hellen Sternen sehen. Es waren nicht viele, denn immerhin wohnte sie in Berlin, aber dennoch war es ein schöner Anblick, der sie aus unerfindlichen Gründen wehmütig werden ließ. Sie lag noch lange so da, den Kopf voller Fragen, die sie wieder und wieder durchging und auf die sie einfach keine Antworten fand. Es mochten Stunden vergangen sein, bis ihr eine Frage aufkam, bei der sie sich wunderte, dass sie so lange auf sich warten ließ und die jetzt wo sie in ihrem Kopf erschienen war nicht mehr losließ. Wenn Milten und seine Freunde verschwunden waren, wer hatte dann den Dämon geschickt?
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