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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : [Diskussion] Post book depression - Die Leere nach dem Schreiben



eclipse500
26.05.2015, 10:53
Heute möchte ich aus gegebenem Anlaß einmal etwas anderes besprechen als theoretische Dinge zum Thema Schreiben. Die Rede ist von der sogenannten 'Post book depression'. Damit ist gemeint, daß ein Autor nach Beendigung eines Romans eine innere Leere verspürt, bis hin zur Melancholie oder – im schlechtesten Fall – zur Depression. Bevor ich dazu weiterschreibe, hier einmal ein Auszug eines Artikels, der sozusagen die Quintessenz des Problemes darlegt. Ich habe ihn von einer Autorenwebseite, wobei das ganze Interview interessant ist; am Ende füge ich den Link dazu ein, falls es jemand lesen möchte. Um euch nicht mit Englisch zu belasten, zitiere ich nachfolgend gleich einmal eine von mir gemachte Übersetzung des relevanten Textes, der von einem Autor mit Vornamen Jan stammt:



Es gibt viele verschiedene Zeiten wo du sagst, du beendest dein Buch. Wenn du den ersten Draft (Rohentwurf) fertig hast. Nachdem du ihn überarbeitet hast und wirklich glücklich mit deinem 2. oder 3. Entwurf bist. Wenn du ihn zwecks Kommentaren rausgeschickt hast und alle Leserkommentare eingearbeitet hast, von denen du denkst, sie waren hilfreich. Aber wenn du das letzte Bißchen Editieren beendet und ihn deinem Agenten geschickt hast, dann bist du ganz fertig. Richtig? Dann kannst du feiern und all die Dinge tun, die du hintenangestellt und versprochen hast, zu tun, wenn du dein Buch beendet hast. Wenn du den Luxus von Freizeit in Verbindung mit der Befriedigung hast, ein großes Projekt fertiggestellt zu haben.

Nur, daß es so nicht funktioniert. Zumindest für mich nicht. Das seltsamste Ding, ein Buch zu beenden, ist das unglaubliche Gefühl des Verlustes - und ja, ein bißchen Depression, wenn es vorbei ist. Ich habe gemacht, was ich mir selbst versprochen habe, ich habe meine Aufgabenliste in Angriff genommen. Ich habe Handwerker angerufen, um Hausreparaturen in Auftrag zu geben, habe meine Ausgaben geprüft und Kabelanbieter gewechselt, habe meinen Sockenschrank gesäubert und bin sogar in die Bibliothek gegangen, um um für mein nächstes Buch zu recherchieren – aber es war, wie sich durch Wackelpudding zu bewegen. Mein Gehirn war nicht da. Ich war abgelenkt und versagte die ganze Woche. Als ich gestern eine Abzweigung auf einem Routineweg verpaßt habe, um mit dem Hund im Park Gassi zu gehen, dachte ich: „Mann“, ich bin nicht 'anwesend' und dann erkannte ich, ICH WAR ANWESEND. Das Problem war nur, daß ich nach wie vor in der mythischen Stadt Waverly ANWESEND war, über die ich geschrieben habe. Ich möchte (dort) nicht weggehen. Ich möchte nicht zurück auf die Erde kommen. Ich erinnerte mich an dieses Gefühl von früheren Büchern, aber ich erinnerte mich nicht daran, daß es SO SCHLIMM war.

Was ist mit euch allen. Leidet ihr auch an dieser Krankheit, wenn ihr doch jubeln solltet. Ist es dasselbe bei jedem Buch?



Soweit Jan, hier nun der Link zum ganzen Artikel:

http://www.jungleredwriters.com/2011/05/post-book-depression.html


Warum ich dieses Thema jetzt aufbringe, ist leicht erklärt: ich habe ich ein neues Buch – Der Orden von Alessia 5 – fertiggeschrieben und veröffentlicht, gleichzeitig ist damit auch die Serie, die nun insgesamt 5 Bände umfaßt, zu Ende gegangen, an der ich doch insgesamt über einen Zeitraum von mehreren Jahren geschrieben habe.

Und wie üblich, wie nach jedem einzelnen Buch, das ich beendet habe, fühle ich nun eine gewisse innere Leere. Ich möchte, wie es Jan oben beschreibt, irgendwie in dieser Fantasywelt bleiben, möchte aus dem Leben von Britana und Lysande erzählen, von Abenteuern, die sie erleben, von Personen, die sie kennen und von deren Schicksal.

Diese Personen sind für mich für die Dauer des Schreibens 'real' geworden, plastisch... ich habe viele Emotionen, Recherchen und sehr sehr viel Zeit in die Erstellung und Ausarbeitung des Lebens und der Abenteuer dieser Personen investiert. Und jetzt ist es – wieder mal – vorbei...

Post book depression... ich hatte das, wie auch der Autor oben schreibt, nach jedem einzelnen Buch bisher (damit meine ich Texte ab mindestens 60 A4-Seiten aufwärts) und bin damit nicht alleine, denn es ist unter sehr vielen Autoren ein bekanntes und auch ein wenig gefürchtetes Thema.

Es fühlt sich ein wenig so an, als ob sich sehr gute Freunde verabschiedet haben, die ich nun für einen unbestimmten Zeitraum nicht mehr sehen werde. Sie fehlen mir, ich möchte sie nicht loslassen, möchte weiter an ihrem Leben teilhaben...

All das hat auch nichts damit zu tun, ob man das, was man schreibt, dann kommerziell verwertet oder nicht, ob man im Leben allgemein glücklich ist oder nicht... Es ist explizit an das Faktum des Beendens / Abschließens eines Buches gebunden. Man war nun solange in dieser fiktiven Welt, hat sich ganz in die handelnden Personen versetzt, um die Dialoge so real, so 'in character' wie möglich gestalten zu können. Man hat auch sehr viel von seiner eigenen Persönlichkeit, seinen Meinungen und Anschauungen in den Text eingeflochten, und nun ist es getan... man ist fertig, man muß das neu geschaffene Werk 'loslassen'... üblicherweise vergeht dieser Zustand nach 1 bis 2 Wochen langsam wieder, trotzdem ist es dann so, wenn man an das jeweilige Buch, an die jeweiligen Protagonisten denkt, ist eine gewisse Wehmut damit verbunden.

Kennt ihr das? Empfindet ihr das auch so? Und wenn ja, wie geht ihr damit um? Vielleicht können wir ein bißchen darüber reden, ich würde mich freuen.

Moonlord
26.05.2015, 12:36
Ja, jetzt wo du darüber schreibst, kommt mir das schon bekannt vor, wenn auch nicht in diesem Ausmaß. Mit einem Charakter über den man lange geschrieben hat, verhält es sich ein bisschen so wie mit der Erziehung eines Kindes. Man gibt ein Stückchen der eigenen Persönlichkeit weiter und hofft, dass es auf fruchtbaren Boden fällt.
Meist - und das ist das Gute an einer Geschichte - entwickelt es sich so, wie man es sich wünscht. Manchmal geht es eigene Wege, plötzliche Ideen geben der Geschichte eine andere Richtung und der Charakter entwickelt sich wie von selbst mit.
Und dann kommt der Moment, wo man loslassen muss. Das Kind verlässt sein Elternhaus - der Geschichtencharakter wird auf die Leserschaft losgelassen und der Autor? Er beobachtet die weitere Entwicklung noch eine Weile aus der Ferne. Wie kommt es an? Welche Reaktionen löst es bei den Lesern aus?
Vielleicht hat die anschließende Leere etwas mit dem Gefühl zu tun, dass man nun nichts mehr ändern kann. Man hat alles gegeben, die weitere Entwicklung hat man nicht mehr in der Hand.
Es ist Zeit für neue Herausforderungen.

Ich denke aber, dass das Problem bei professionellen Autoren, die vom Charisma ihrer Schöpfungen leben müssen, stärker ausgeprägt sein dürfte.
Wir hingegen haben es besser. Wir müssen kein neues Universum erschaffen, wir bewegen uns in einer Spielewelt, die viele andere kennen und treffen auch dort immer wieder auf Figuren, die wir uns für unsere Geschichte ausgeliehen haben. Wir haben immer wieder die Möglichkeit, uns die Schauplätze unserer Geschichte erneut anzusehen.

Und dann bedeutet das Ende einer Geschichte, auch wenn sie 5 Bände füllt, ja nicht, dass es das gewesen sein muss. Was ist mit den Nebenrollen? Auch wenn alles zur Hauptperson gesagt ist, so bleiben immer noch andere Figuren, deren weiteren Weg (oder deren Herkunft) man in einem späteren Werk beleuchten kann.

Wie wäre es mit Britanas Erlebnissen in Valenwald, bevor sich die beiden kennengelernt haben? Da wäre noch einiges zu erzählen, oder? ;)

Ich bin jetzt gerade bei Kapitel 2 von Alessia 5 und habe erst heute früh darüber nachgedacht, eine gewisse Miezekatze noch einmal zum Zuge kommen zu lassen. Mal sehen, was die nächste Zeit dazu bringt.

Dawnbreaker
26.05.2015, 12:39
Moonlord hat es ein wenig vorweg genommen.

Ich möchte das Buch mit einem Kind vergleichen:
In der Schwangerschaft denkt man nach über das, was kommen mag. Man recherchiert, bereitet sich vor. Im Gedanken nehmen die Formen Gestalt an. Dann kommt die Geburt. Man sitzt nun wirklich vorm PC und fängt an zu schreiben! Es beginnt zu leben, bunt zu werden. Man hat Angst, dass es hinfällt, denn noch steht es unsicher auf den Beinen. Dann läuft es, die Freude ist groß. Es kann alles werden und überall hin, die Welt steht ihm offen. Nicht erscheint unmöglich.Schließlich wird es erwachsen und man muss es gehen lassen, auch wenn es einem das Herz bricht.

Dass ein Autor das Beenden eines Buches eher als Qual wahrnimmt, zeigt mir, wie sehr er sich eingebracht hat. Es ist keine hingerotzte Trivialliteratur, es ist Seelenblut. Er gab dem Leser einen Teil seiner Selbst und das spürt man. Wenn man dem Wortklang lauscht, zwischen den Zeilen liest.

Aber mir geht es als Leser kaum anders. Ich leide mit den Helden, lerne sie kennen, begleite sie auf ihren Wegen, so wie einst ihr Schöpfer. Ihre Welt wird mir vertraut, wird zum Leben erweckt. Das Beenden eines Buches lässt mich manchmal traurig zurück.

Nun ist diese Traurigkeit, diese Leere danach bei mir in der Malerei viel ausgeprägter. Ich gebe dort mehr von mir Preis, mache mich verletzlicher, angreifbarer. Ich habe alles gegeben. Tagelang, vielleicht ohne Pause. Gierig danach, das was in mir ist, auf die Leinwand zu bannen.

Ich arbeite selbst gerade an einer Geschichte und denke dauernd über meine Story nach. Über meine Charaktere. Sie begleiten mich durch den Tag. Ich erschaffe ihre Welt, hauche ihnen Leben ein. Denke darüber nach, wen sie treffen, gegen wen sie kämpfen, in wen sie sich verlieben. Und eines Tages hört es einfach auf, aber es hört nur auf, damit etwas Neues beginnen kann.

Ronsen
26.05.2015, 14:52
Hm, also ich kenne dieses Gefühl noch nicht wirklich. Das liegt vermutlich daran, dass Geschichten bei mir sehr oft im Sande verlaufen, ohne überhaupt eine Länge zu erreichen, bei der ich dann schon so tief mit den Charakteren verbunden bin. Die letzte längere Geschichte, die ich abgeschlossen hatte, war ja "Harte Arbeit" mit Embry, die war aber noch nicht wirklich ein richtiger Roman.

Aktuell bin ich wieder aktiv bei den Harpyien am Schreiben. Da könnte ich mir tatsächlich auch vorstellen, dass es mir ein wenig Leid tut, wenn die Geschichte schließlich vorbei ist. Andererseits fiebere ich jetzt schon ein bisschen dem Ende entgegen, das noch in ferner Zukunft liegt. Aber mal eine zusammenhängende Geschichte mit 100 oder mehr Seiten zu vollenden. Da wäre ich so stolz drauf. Da kann ich noch nicht sagen, wie sich Stolz und Wehmut schließlich ausbalancieren.

Aber ich könnte ja eine Prognose machen. Wenn ich es tatsächlich schaffe, die Story abzuschließen, wird es so laufen, dass ich mit viel Schwung in eine Fortsetzung sause, diese nach fünf Kapiteln im Sande verläuft und ich am Ende nicht wehleidig bin, weil ich mich von der Geschichte trennen musste, sondern eher enttäuscht von mir selbst, weil ich wieder etwas angefangen habe, das ich nicht abschließe.

eclipse500
27.05.2015, 05:46
Danke mal für eure Meinungen und Überlegungen dazu! §knuff


Wie wäre es mit Britanas Erlebnissen in Valenwald, bevor sich die beiden kennengelernt haben? Da wäre noch einiges zu erzählen, oder?

Naja, daran mangelt es nicht, ich habe bereits den Entwurf für einen kompletten neuen Zyklus im Kopf.


Ich bin jetzt gerade bei Kapitel 2 von Alessia 5 und habe erst heute früh darüber nachgedacht, eine gewisse Miezekatze noch einmal zum Zuge kommen zu lassen. Mal sehen, was die nächste Zeit dazu bringt.

Das wäre natürlich genial, ein Spin-Off mit ihr, wie sie diese 'kontinentale Umwälzung' sozusagen, sieht. Da bin ich jetzt bereits neugierig!!!