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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : [Story] Die Hüter



Dawnbreaker
20.12.2014, 12:57
Kapitel 01: Suche


Ich mache die Augen auf und sehe in den Himmel. Ein weiterer Tag. Sinnlos, leer und qualvoll. Mit Mühe richte ich meinen Oberkörper auf. Sofort wird mir übel, ich drehe mich zur Seite und übergebe mich. Notdürftig wische ich mir mit dem Handrücken über den Mund. Der Geschmack von Erbrochenem mischt sich mit den Überresten von Talen-Jeis üblem Gesöff, das er mir gestern zum halben Preis verkauft hatte.
Mein Kopf schmerzt und jede Bewegung verursacht mir erneute Übelkeit. Trotzdem rappele ich mich hoch. Eigentlich kein schlechter Platz um aufzuwachen. Vor mir liegt der Honrichsee. Ruhig, tief und dunkel. Ich suche diesen Ort des öfteren auf, denn hier habe ich meine Ruhe und kann meinen Rausch ausschlafen ohne entdeckt zu werden. Hier findet mich niemand. Ich seufze. Wer sollte mich schon suchen?

Jeden Morgen wache ich auf und im Moment des Verstehens um den neuen Tag schleicht sich Bedauern in meinen Verstand.
Jede Nacht trinke ich mich um den Verstand bis mich jener glückselige Moment des Vergessens einhüllt und schlafen lässt.
Jeden Tag quäle ich mich erneut durch die vielen Stunden. Hadere mit mir, meinem Schicksal, mit den Menschen, die mir nur Gutes wollen, mit dem, was hinter mir liegt.

Notdürftig wasche ich mir das Gesicht am Seeufer und spüle mir den Mund aus um wenigstens einen Teil der üblen Vermischung von Gestern und Heute loszuwerden. Ich bleibe so lange am Wasser sitzen bis ich mein Spiegelbild sehen kann. Ich erschrecke vor mir selbst und taste irritiert mein Gesicht ab. Meine Hand fährt die Wange hinunter bis zum Kinn, dann taucht sie ein in mein Ebenbild aus Wasser und Tränen verschleiern mir die Sicht.

Meine blonden Haare stehen mir wild in alle Himmelsrichtungen ab. Kleine Zöpfe verhindern, dass es völlig verfilzt. Es ist mir schon lange egal, wie ich aussehe. Schon lange egal, dass manche Leute auf dem Markt von Rifton auf mich spucken. Schon lange egal, dass ich ….. lebe.
Ich muss schlucken. Ein Kloß im Hals. Ich räuspere mich.
Bald kommt es zurück. Das Verlangen. Ich spüre das Zittern meiner Hände. Noch ein paar Stunden und ich kann keinen Trinkbecher mehr in meiner Hand halten ohne den Inhalt zu verschütten. Noch ein paar Stunden bis zur Erlösung von diesem Tag.
Ein paar Stunden in denen mein verhasster Verstand arbeitet und mich daran erinnert, wie sehr ich dieses Leben verpfuscht habe.
Wie tief ich gefallen bin.
Wie schmerzhaft Gedanken sein können.

Taumelnd stehe ich auf, lehne mich an einen Baum, bis der Brechreiz nachlässt. Mein Kopf schmerzt als sei ich gegen die Stadtmauern Riftons gerannt. Ich muss zeitig auf dem Markt sein um einen guten Platz zum betteln zu ergattern damit ich heute Abend wenigstens halbwegs betrunken werde. Betrunken genug, damit die Stimmen in meinem Kopf schweigen.
Das teure Zeug von Talen-Jei aus dem Bienenstich kann ich mir nicht an jedem Tag leisten. Oft gehe ich zum Hafen und versorgen mich mit Selbstgebranntem, den einige Argonier dort heimlich anbieten.
Am Markt angekommen stelle ich erleichtert fest, dass mir heute niemand meinen Platz streitig macht. Es ist noch recht früh und die Inhaber der Marktstände haben eben erst damit begonnen, ihre Waren in die Auslagen zu räumen. Brynjolf verteilt gerade einige seiner ominösen Elixiere um seinen Stand herum. Er blickt mich kurz an, wühlt in seiner Tasche und kommt hinüber zu mir. „Ach, Dagny …“ seufzt er und seine Augen mustern mich traurig. „Ich gebe Dir etwas zu Essen, Kleines. Gold versäufst Du mir nur.“ Mit diesen Worten drückt er mir einen Kanten Brot in die Hand und etwas Käse.
Ihm zuliebe esse brav auf, obwohl ich mich bemühen muss, das Essen im Magen zu behalten. Im Grunde weiß jeder hier, dass Brynjolf zur Diebesgilde gehört und man kann über ihn sagen, was man will, ich habe eine hohe Meinung von ihm. Nicht nur, weil er mir oft etwas zu Essen bringt. Er hatte mir vor einiger Zeit angeboten, mich in die Diebesgilde aufzunehmen, mir aber gleichzeitig Bedingungen gestellt, die ich nicht bereit war, einzugehen. „Bleib nüchtern! Nicht ist schlimmer als ein besoffener Dieb!“ Und dann sagte er etwas, das bei mir hängen geblieben ist: „Mjoll meint immer, Rifton sei ihre Bestie, die sie bekämpfen muss. Deine Dämonen, Dagny, sind in Dir selbst. Erst wenn Du mit Dir im Reinen bist, kannst Du zu uns kommen.“

Im Reinen … was heißt das? Wenn ich aufwache, kommen sie wieder. Die Stimmen in mir. Erst flüstern sie und wenn ich sie nicht bekämpfe, dann werden sie immer lauter. Meine Waffe ist der Alkohol. Mein Schild das Vergessen.
Gerade jetzt höre ich es wieder …. das Flüstern. Es ist die Stimme meiner Mutter. „Bitte töte mich!“ Ich spüre sie wieder in meinen Armen, ihren kraftlosen Körper. Spüre, dass sie qualvoll sterben wird, dass das Gift in ihrem Körper tobt. Spüre die Verzweiflung erneut. Die Hilflosigkeit.
Wie viel kann ein Mensch von einem anderen verlangen?
Wieder halte ich den Dolch in Händen. Nein! Ich kann es nicht tun!

Meine Hände krallen sich in die Überreste meiner Kleidung, die mich in Fetzen umschlottert. Die Erinnerung kehrt zurück. Mächtig und unaufhaltsam. Sie überschwemmt mich wie eine Flutwelle. Reißt mich empor und schleudert mich gegen Felsen. Ich ertrinke in ihr.

Ich brauche etwas zu trinken. SOFORT!
Also schnelle ich in die Höhe, suche meine letzten Münzen zusammen, renne fast zum Eingang des Bienenstichs und stoße dort fast mit zwei Gestalten zusammen, deren silberne Rüstungen in der Sonne strahlen.

***


Meister Saris hatte uns beigebracht, jedes Lebewesen zu achten, aber bei allen Neun! Hier in Rifton wird einem Hüter dies nicht gerade leicht gemacht. An allen Ecken betteln einen zerlumpte Gestalten an und der Gestank, der vom Kanal her in meine Nase weht lädt nicht gerade dazu ein, hier lange zu verweilen.
Mein Begleiter Voldan verteilt stoisch Münzen und ich beneide ihn um seine Ruhe. Wie ein Wesen, das nicht von dieser Welt ist, steht er da in seiner silbernen Rüstung und all die kleinen und großen Armen scharen sich um ihn.
Ich mache mir mehr Gedanken über unsere Suche nach Meister Saris. Seine letzte Nachricht klang beunruhigend. Seitdem scheint er verschwunden zu sein und ich bat den Orden, mich mit den Nachforschungen zu beauftragen. Widerwillig genehmigte man mir mein Gesuch mit der Auflage, einen Hüter mitzunehmen, da man annimmt, ich sei zu emotional mit meinem Mentor verbunden.

Ich äußerte dem hohen Rat des Ordens gegenüber, dass einige Wächter Stendarrs in der Gegend um Rifton aufgetaucht sind. Nicht, dass wir mit ihnen im Krieg lägen, wir sind nur nicht einer Meinung und das engstirnige Weltbild der Wächter verstand ich noch nie.
Unter den Hütern befinden sich Elfen, Vampire und Werwölfe, so wie Meister Saris. Man wird nicht gut oder böse geboren, sondern dazu gemacht. Es ist keine Frage der Herkunft, des Geschlechts, der Rasse. Wir sind alle von Geburt an gleich.
Das brachte er mir bei und es ist meine tiefste Überzeugung, allerdings gehe ich nicht so weit wie er und glaube, dass in jedem Wesen ein guter Kern steckt. Dafür habe ich zu viel Blut gesehen und vergossen.

Ich will gerade die Tür zur Taverne öffnen, da rennt eine abgerissene Gestalt an mir vorbei, rempelt mich fast an und einen Moment lang stehe ich verblüfft da. Zu verblüfft um ihr Manieren beizubringen. Ich seufze und winke Voldan zu mir. Vielleicht werden in der Spelunke einige unserer Fragen beantwortet? Wer weiß. Ich bin dankbar um jeden Hinweis und trete ein. Sofort schlägt mir der Geruch von abgestandenem Met entgegen.
Voldan deutet zum Tresen. Dort diskutiert die Bettlerin von eben lautstark mit einer Argonierin. Offensichtlich die Wirtin dieses … Etablissements, die nicht bereit ist, Alkohol an die blonde Frau in Lumpen auszuschenken. Wütend läuft diese wieder hinaus. Wir treten zur Seite, sehen uns an. Besser gesagt: Ich sehe Voldan an, der immer noch seinen Helm trägt.
Dann drehe ich mich zur Besitzerin dieser Kaschemme um, richte mich auf um sie ein wenig einzuschüchtern. Manchmal habe ich damit sogar Erfolg. „Wir hätten einige Fragen an Euch.“
Sie zischt mich an mit dem für Argonier typischen Akzent, aber ihre Aussprache ist sehr deutlich. Sie lebt sicher schon sehr lange hier. „Ausssssskünfte gegen Gold.“
Zielsicher schliddern einige Münzen über den Tresen in ihre krallenartigen Hände. „Besssser.“

Ich beuge mich über die Theke und mustere sie. „Ist Euch in letzter Zeit ein Magier begegnet? Sagen wir, in den letzten zwei bis drei Wochen? Er ist leicht zu erkennen, denn sein halber Schädel besteht aus einer Metallplatte.“
Meister Saris hat diese Verletzung der Silbernen Hand zu verdanken. Einer Organisation, die Werwölfe jagt. Sie lauerten ihm auf und schlugen ihm den Schädel mit der Axt ein. So fand ihn ein Wächter Stendarrs. Eines muss man diesen lassen: ihre Heilkünste und ihr Wissen um den menschlichen Körper sind enorm.
Er trat den Wächtern bei, aber es dauerte nicht lange, da kam man hinter sein Geheimnis und er musste fliehen. So gründete er den Orden der Hüter und nahm mich auf, weil meine Eltern zu arm waren, um mich weiter ernähren zu können. Sie verkauften mich und Meister Saris bewahrte mich vor der Sklaverei … und vor Schlimmerem.
Anfangs war er wenig begeistert, nun Amme für mich spielen zu müssen, aber nach und nach wurde er mein Vater und er behandelte mich wie seine Tochter.

Mein Herz verkrampft sich beim Gedanken, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte. Ich will nicht daran denken! Aber ich muss es! Ich muss wissen, was geschehen ist. So einen großen Mann mit einer Eisenplatte im Kopf wird doch wohl jemand gesehen haben!
Voldan tippt mir sachte auf die Schulter. Ich drehe mich zu ihm um und er schüttelt den Kopf. Recht hat er, hier finden wir keinerlei Hinweise. Ich überlege kurz, ob wir hier einkehren sollten, aber dazu ist es zu früh am Tag. Wir werden etwas auf dem Markt einkaufen und dann irgendwo im Freien nächtigen.
Ich gehe an den Bettlern vorbei, aber Voldan bleibt vor der streitsüchtigen Gestalt aus der Taverne stehen. Was mag mag ihn jetzt schon wieder dazu bewogen haben? Sicher ist er hellsichtig, aber ich frage mich, warum er gerade mit ihr ein Gespräch beginnt.
Seufzend drehe ich mich um und stelle mich neben ihn. Zum Dank für seine netten Worte faucht dieses Miststück ihn auch noch an: „Wenn Ihr nichts geben wollt, dann verschwindet! Ihr vergrault mir die Kundschaft!“

Ich hole tief Luft um diesem Aas endlich zu zeigen, dass man seinen Mitmenschen ein wenig Respekt entgegen bringen sollte, da legt Voldan sanft seine Hand auf meine Schulter und schüttelt den Kopf. Hat er etwas in ihren Gedanken gesehen? Unmöglich zu sagen, was in ihm vorgeht, da er seinen Helm außerhalb der Stützpunkte des Ordens nie abnimmt. Nun, zum Essen hin und wieder, aber ansonsten muss ich leider mit einem verschlossenen Visier reden. Man gewöhnt sich an alles.
Die Bettlerin steht auf und baut sich störrisch vor uns auf. Es scheint, dass sie anderswo ihre Ration Alkohol bekommen hat, denn sie hält eine Flasche in der Hand und schwankt bedenklich. Ich runzele die Stirn. In so kurzer Zeit zur Volltrunkenheit? Beachtlich!
Aber ehe ich weiter über die Auswirkungen von billigem Fusel nachdenken kann, verdreht der dreckige Blondschopf die Augen und fällt bewusstlos zu Boden. Etwas ratlos stehen Voldan und ich vor dem Häufchen Elend, an dem sich offensichtlich niemand zu stören scheint. Eine andere Bettlerin nutzt höchstens die Gunst der Stunde und setzt sich triumphierend auf den soeben frei gewordenen Platz.
„Sunja, wir können die Kleine hier nicht einfach so liegen lassen!“
Wieder seufze ich. Also, manche Tage sind wirklich verflucht, aber mein Ordensbruder hat Recht. Wir helfen den Menschen. ALLEN. Da hat uns die Vorsehung, der Zufall oder was auch immer einen gehörigen Strich durch die Rechnung gemacht! Wir suchen meinen Meister und finden … was auch immer diese Frau sein mag.

Dawnbreaker
29.12.2014, 15:06
Kapitel 02: Unter Dieben ...


Ich beuge mich hinunter um das Lumpenbündel auf die Seite zu drehen, da sehe ich aus den Augenwinkeln den Rothaarigen vom Stand mit den merkwürdigen Elixieren heran eilen. Vorhin hatte Voldan noch über die Tränke gescherzt, die man bei dieser zwielichtigen Gestalt erwerben kann. Nachwachsende Gliedmaßen! Wobei es mich weniger erschreckt, auf ein solches Angebot zu stoßen, sondern mehr, dass es Menschen gibt, welche diese Brühe auch noch kaufen.
Nun steht dieser Kaufmann, oder was auch immer er ist, vor uns und flüstert: „Kommt mit. Lasst uns Dagny an einen sicheren Ort bringen.“
Ich fahre in die Höhe und mustere ihn misstrauisch. „Nennt mir einen Grund, warum wir so dumm sein sollten, einem Fremden zu trauen.“
Der Rote lächelt. Zumindest glaube ich, dass er lächelt. Sein bärtiges Gesicht verzieht sich und die Mundwinkel wandern den Ohren entgegen. Er deutet auf die Frau am Boden. „Weil Dagny mein Schützling ist.“
„Ihr habt eine seltsame Art, auf einen Menschen aufzupassen!“ rufe ich empört.
Er schüttelt traurig den Kopf. „Ich habe ihr Obdach angeboten, aber noch war sie nicht so weit, meine Offerte auch anzunehmen. Zu groß ist die Sucht nach Alkohol, zu groß ihr Schmerz. Ich bin übrigens Brynjolf.“ Er nickt uns zu.

Endlich nimmt Voldan mal seinen Helm ab und ich sehe in sein sorgenvolles Gesicht. Seine blonden Haare sind nass. Ich beiße mir auf die Lippen um mir eine sarkastische Bemerkung zu verkneifen. Wer bei diesem warmen Wetter in voller Rüstung herum rennt, der schwitzt halt wie ein Minenarbeiter.
Aber an manchen Tagen ist mein Ordensbruder nicht ganz richtig im Kopf. Ich weiß nicht, ob es an seinen Visionen liegt, jedenfalls liebt er es, als Held in strahlender Rüstung aufzutreten. Er ist glücklich, wenn sich die Kinder staunend um ihn scharen und ihn vorsichtig mit ihren kleinen Fingern vorsichtig berühren. So als könnten sie es nicht fassen, dass er aus Fleisch und Blut ist.

Gefunden haben wir, Meister Saris und ich, Voldan ist einer Irrenanstalt. Uns kam zu Ohren, dass sich dort eine Person befindet, welche wüste Prophezeiungen von sich gibt. Als wir eintrafen, stand dieser Berg von einem Nord auf dem Tisch des Speisesaals, umringt von zehn Wachen, und seine Stimme fegte durch den Raum wie ein Donnerhall.
Mein Meister trat vor ihn, sah ihn an und dann geschah das Unfassbare: Voldan hörte auf zu reden und folgte Saris wie ein Lämmchen ins Hauptquartier. Die beiden hatten bis zu diesem Zeitpunkt kein Wort miteinander gesprochen.
Nach und nach lernte Voldan, sich besser zu kontrollieren. Die Visionen raubten ihm den Blick auf die Wirklichkeit. Wahn vermischte sich mit Prophezeiungen. Wenn es ihn heute heimsucht, dann längst nicht mehr so machtvoll und grausam.
Dennoch ist etwas geblieben und er hat das Gemüt eines Kindes. Manchmal sitzt er einfach so da und betrachtet einen Schmetterling oder eine Raupe. Dann habe ich das Bedürfnis, zu ihm zu gehen und ihn bei seinen Betrachtungen zu beobachten. Ich weiß auch nicht, aber es beruhigt mich, den sanften Koloss so zu sehen. Ich würde gerne wissen, was er in solchen Momenten denkt. Ich kenne ihn auch anders, denn im Kampf hält ihn nichts auf, auch wenn er verletzt ist.

Als ich nun das Mitleid in seinem Blick sehe, da ist mir klar, dass wir diesem „Kaufmann“ folgen werden. Mein Begleiter hebt die Bewusstlose behutsam hoch, als wäre sie so leicht wie eine Feder. Wir folgen also diesem rothaarigen Möchtegern-Alchemisten und finden uns kurz darauf an den Kanälen Riftons wieder.
Dem Gestank nach zu urteilen, verrichtet jeder Einwohner hier ungehemmt seine Notdurft und ich ertappe mich dabei, wie ich misstrauisch nach oben schaue. Nicht dass jemand seinen Nachttopf entleert just in jenem Moment, in dem ich drunter hindurch gehe.
Wir folgen Brynjolf auf dem knarrenden Holzsteg, der uns von dieser übel riechenden Brühe trennt und betreten eine Art unterirdisches Kanalsystem. Ich versuche, mir den Weg zu merken, aber nach einigen Abzweigungen bin ich mir nicht mehr sicher, ob ich den Rückweg finden würde. Ich hinterlasse kleine Zeichen an jeder Gabelung des Weges, indem ich mit dem Fingernagel das Moos auf den Backsteinen einritze.
„Die Mühe könnt Ihr Euch sparen.“ lacht der Rote amüsiert auf. Wie hat er nur gemerkt, was ich mache? Schließlich laufe ich die ganze Zeit hinter ihm her und er dreht mir den Rücken zu. Gut, ich muss zugeben, ich bin ein wenig beeindruckt, was eigentlich eher selten passiert. Langsam erwacht meine Neugier.
Schließlich stoppt unsere kleine Gruppe in einer Art Zisterne, in deren Mitte ein großes Wasserbecken fast den ganzen Raum einnimmt. Wir laufen am Rand entlang und stehen unvermittelt vor einigen Tischen und Stühlen. Hier unten scheint es wahrhaftig eine Taverne zu geben!

Brynjolf dreht sich zu uns um. „Willkommen in der Diebesgilde.“ Er grinst breit.
Diebe also! Nun gut, wir hätten es schlimmer treffen können und schon werden wir umringt. Ehrlich gesagt, so viel Aufmerksamkeit ist mir unangenehm. Ich räuspere mich: „Wo können wir … Dagny … ähm … ablegen?“
Eine blonde Frau schnauft verächtlich: „Was denn? Schon wieder besoffen umgekippt?“ Trotzdem kommt sie näher und begutachtet das Bündel auf Voldans Armen. Sie seufzt: „Oh Dagny, wo soll das nur mit Dir enden?“ und winkt uns, ihr zu folgen.
Wir trotten ihr hinterher und uns folgt eine Traube neugieriger und besorgt wirkender Menschen. Es geht durch einen kurzen Gang hindurch in den nächsten Raum. Auch hier zieht ein Wasserbecken den Blick auf sich, allerdings kann man über einen steinernen Steg von einer Seite zur anderen gelangen. Schnell werden Tücher und Wassereimer geholt und man weist uns an, die Ohnmächtige auf eines der Betten zu legen, die alle in einer Ecke stehen. Voldan lässt sie sanft auf die Matratze schweben, hält bis zuletzt ihren Kopf fest, damit dieser nicht nach hinten kippt.
Eine Rotwardonin mustert Dagny eingehend. „Was hat sie diesmal getrunken? Wir müssen es wissen.“ Brynjolf wühlt ein Gefäß aus seiner Schultertasche hervor und hält es ihr entgegen. „Aber nicht zu tief einatmen. Das Zeug ist wirklich übel.“
Die Flasche macht die Runde und jeder schnuppert einmal angewidert daran, ich ebenfalls. Ich rieche etwas, das mir bekannt vorkommt. Ich weiß nicht genau … wo habe ich das denn schon einmal gerochen? Ein wenig bitter.
Ich fahre ruckartig hoch und rufe: „Das ist Gift!“ Alle schauen mich an als hätte ich gerade gerufen: „Ich ziehe mich aus und gehe nackt baden! Schaut zu oder macht mit!“
Entsetztes Gemurmel geht durch die Reihen der Diebe. „Kennt sich einer von Euch mit Alchemie und Heilkunde aus?“ meine Frage hinterlässt ratlose Gesichter.
Gut, dann muss ich versuchen, mich an all das zu erinnern, was mir Meister Saris Frau Elanda beigebracht hat. Ihre Heilkünste sind unerreicht und ich stand als Kind sehr oft in ihrer kleinen Alchemistenhütte, die Saris vorsorglich ans Haus angebaut hatte. Aus Angst um die Kinder. Es war immer ein Fest für mich, wenn sich das große Vorhängeschloss öffnete und ich mit ihr hinein gehen konnte. All die bunten Zutaten, Töpfe und Tiegelchen hatten es mir angetan.

Doch nun stehe ich hier und die Zeit drängt. Mir MUSS ein Gegenmittel einfallen. Jemand schubst mich von der Seite an. „Lasst und zu Elgrims Elixieren gehen. Dort bekommen wir alles, was wir brauchen.“ Ich schnappe mir das Gift und renne hinter der Rotwardonin her. Überraschenderweise nehmen wir eine Abkürzung an die frische Luft und stehen kurz darauf auf einem Friedhof. So so, Brynjolf wollte uns wohl ein wenig in die Irre führen? Sein gutes Recht. Wir hetzen wieder den Steg am Kanal entlang und ich kann es kaum glaube, dass hier jemand freiwillig ein Geschäft eröffnet hat. Wir reißen die Tür auf und zwängen uns beide in den Raum hinein.
„Na, so eilige Kundschaft sieht man selten.“ schmunzelt ein alter Herr zwischen seinen Runzeln hervor. „Tonilia, was kann ich für Euch tun?“
Aha! Das ist also der Name meiner rotwardonischen Begleiterin, die das Gift auf die Theke stellt. „Wir brauchen ein Gegenmittel, Meister Elgrim, und zwar schnell.“
Er riecht daran und dreht würgend den Kopf zur Seite. „Du meine Güte, das hat doch hoffentlich keiner von Euch getrunken?!“
„Doch, genau das!“ werfe ich ein und werde ungeduldig.
Der Alchemist tropft ein wenig des Gebräus auf eine Metallplatte und hält sie über eine Kerze. „Hm, eine rote Flamme ...“ murmelt er und streut ein Pulver hinein. Die Flamme wird grün. „Dachte ich's mir.“ er streicht sich nachdenklich über seinen grauen Backenbart, während ich anfange, mit den Fingern genervt auf dem Tresen herum zu trommeln.
Schließlich schlurft er an seinen Alchemietisch und kommandiert seine Assistentin, ich nehme zumindest an, dass es sich um eine solche handelt, von einem Regal zum nächsten. Sie rennt durch den Raum und reicht ihm flink alle Zutaten.
Nicht lange darauf erhalten wir ein Gebräu, das nicht weniger stinkt als das Gift selbst. Ich mache schnell den Verschluss zu und bitte Elgrim: „Bewahrt das Gift an einem sicheren Ort auf. Ich möchte es später genau analysieren.“
Er schaut mich beleidigt an. „Das kann ich für Euch machen.“
Ich möchte jetzt wirklich nicht diskutieren und antworte: „Gut, dann kümmert Ihr Euch darum und listet mir genau auf, welche Kräuter Ihr findet. Aber um alles in der Welt, lasst mir unbedingt die Hälfte des Inhaltes übrig!“
Was erhoffe ich mir davon? Ich weiß, dass jeder Alchemist seine ganz eigenen Mixturen herstellt. Sie unterscheiden sich in Menge und Zubereitung manchmal so sehr, dass man daraus auf den Alchemisten selbst schließen kann. Aber dazu bräuchte ich Meister Saris Frau. Kurz bevor er nach Rifton aufbrach, schickte er seine Familie ins Hauptquartier. Dort schienen sie ihm sicherer zu sein.

Die Zeit drängt, wir hetzen wieder zurück über den Friedhof und nun bekomme ich auch mit, wie man den Mechanismus des Steines in Bewegung setzt, der den Gang in die Katakomben verschließt.
Offensichtlich denkt meine Begleiterin nicht weiter darüber nach und wir rennen ans Bett, heben Dagny hoch und versuchen, ihr das Heilmittel einzuflößen. Einen Teil spuckt sie mir ins Gesicht, meine Augen brennen, aber ich kann sie dazu bewegen, den nächsten Schwung zu schlucken.
Keine fünf Minuten später ergießt sich Dagnys Mageninhalt über uns. Dafür, dass sie so wenig gegessen hat, kommt uns da allerhand entgegen.
Voldan zückt netterweise ein Tuch und tupft damit vorsichtig auf meiner Rüstung herum. „Schöne Sauerei.“ murmelt er und wischt verbissen weiter während ich versuche, meinen eigenen Magen davon abzuhalten, sich seines Inhaltes zu entledigen.
„Ich hoffe, dass Dagny nicht zu viel von diesem Gift aufgenommen hat.“ seufzt Brynjolf und deutet zu einer verschlossenen Tür. „Dort könnt Ihr Euch umziehen. Vex wird Euch einige Sachen von ihr geben.“ Ich nicke und so unfreundlich Vex auch ist, so dankbar wechsele ich meine Kleidung. Voldan schicke ich unterdessen los, unser Gepäck zu holen, das wir an den Stallungen in Verwahrung gegeben hatten.
Das starre Leder der Diebesgildenrüstung knarrt bei jedem Schritt und ich kann mir nicht vorstellen, wie man damit lautlos schleichen soll. Die blonde Vex grinst mich unverschämt an. „Eingetragen sind diese Rüstungen wirklich sehr bequem. Außerdem bringen sie Eure … Vorteile zur Geltung.“
Na, danke für diese süffisante Bemerkung! Ich laufe rot an und tauche lieber kurz im Schatten eines Schrankes unter.
Zum Glück sagt Brynjolf in diesem Moment etwas und die Aufmerksamkeit richtet sich auf ihn. „Ich hoffe, wir haben Dagny das Heilmittel noch rechtzeitig verabreichen können.“ Er lässt sich müde auf einen Stuhl fallen.
Ich setze mich auf ein leeres Bett und sehe ihn an. „Wir haben getan, was wir konnten. Nun müssen wir abwarten.“