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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : [Story] Kriegerherz und Drachenseele



Rainbowdemon
17.07.2013, 20:12
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Gibt es Menschen ohne Seele?

Eine alte nordische Legende erzählt von Geschöpfen, die anders sind, als andere Menschen. Sie lachen nicht, sie weinen nicht, können nicht lieben und können nicht geliebt werden. Sie führen ein Leben in Stumpfsinn und Hoffnungslosigkeit, ohne jemals Freude, Trauer, oder Angst zu empfinden.

Ist Brynjar Sturm-Geborener, genannt Splitterseele, ein solches Geschöpf? Ist auch er ein Verdammter, dem bei seiner Geburt die Seele genommen wurde, um damit für die Sünden seiner Ahnen zu bezahlen? Eines Vaters, der ihm niemals Vater war? Eines Mannes, der durch und durch böse,ein Dämon in menschlicher Gestalt war? Und wie geht der einzige Mensch, der willens ist, hinter die Mauern aus tödlicher Kälte und erstarrten Gefühlen zu blicken, damit um, ohne selbst daran zu zerbrechen?

Dies ist eine Geschichte um Schuld und Vergebung, um Liebe und Verachtung, um Hoffnung und Verzweiflung.

Dies ist die Geschichte von Brynjar und Farkas.



Kapitel 1 – Das Erwachen


Finsternis, stockdunkle Nacht umgab ihn, als er zu sich kam. Eine beissende Kälte steckte ihm tief in den Knochen und lähmte ihn, als er versuchte, sich zu bewegen. Und es stank, dass ihm übel wurde. Es stank nach Moder, nach Verfall, nach Angst und nach Blut, und es stank nach den menschlichen Überresten von tausend Legionen.

Wo war er? Benommen schüttelte er den Kopf, versuchte, die lähmenden Schmerzen zu ignorieren. Dann kehrte die Erinnerung zurück. Kaiserliche Soldaten hatten ihn erwischt, als er in einem kleinen Dorf ein Brot stahl, mit dem er seinen ausgehungerten Magen hatte füllen wollen. Ohne ihn anzuhören, hatten sie ihn in dieses winzige Verlies gesperrt. Mühsam versuchte er, sich aufzurichten, sie hatten ihm mit einem derben Knüppel einen Schlag auf den Kopf verpasst, als er sich gegen die Festnahme gewehrt hatte, und nun brummte ihm der Schädel, als hätten es sich Hunderte von Bienenvölkern darin gemütlich gemacht. Langsam fuhr er mit der Hand an seine Stirn, spürte verkrustetes Blut unter den Fingerspitzen.

Mühsam versuchte er, sich aufzurichten, verlor jegliches Gefühl für Orientierung, selbst über seinen Gleichgewichtssinn hatte er hier, in der nahezu völligen Finsternis, keine Kontrolle und knallte schmerzhaft gegen die niedrige Decke seines Kerkers. Stöhnend brach er wieder zusammen, fand sich in einer weichen, breiigen Masse wieder, die einen bestialischen Gestank verströmte. Scheinbar hatte sich niemand die Mühe gemacht, den vorigen Bewohner seines Kerkers wegzuräumen, als dieser hier unten in Schmutz und Elend krepiert war. Angewidert kroch er davon weg, doch seine Möglichkeiten, dem undefinierbaren Etwas zu entkommen, wurden von den feuchten Mauern des Verlieses begrenzt. Von ferne hörte er Schreie, Schreie von einer Intensität und dermassen schrill und unwirklich, dass sie nicht von Menschen stammen konnten, oder doch? Resigniert, hungrig und durstig, drückte er sich in die Ecke seiner Zelle, die ihm in der Finsternis die sicherste schien und knirschte mit den Zähnen vor Kälte.

Irgendwann wurde die Stille, die von immer wiederkehrenden Schreien durchbrochen wurde, durch näherkommende Schritte gestört. Er hob den Kopf und schloss gleich darauf geblendet die Augen. Jemand hielt eine Fackel in seine Richtung, die Tür zu seinem Gefängnis öffnete sich quietschend, und ein Mann fasste ihn am Arm, zerrte ihn brutal nach oben und auf den Gang hinaus. „Wie ist Dein Name, Bastard?“ Er schwieg Aus Hass, aus Verachtung für die, die ihm das antaten, weil seine Zunge und seine Lippen vor Durst nicht kooperieren wollten. Doch der Soldat liess nicht locker und stiess ihm die Faust in die Magengrube. Röchelnd ging er ein weiteres Mal zu Boden und versuchte, nach Luft zu schnappen, versuchte krampfhaft, den Schmerz wegzudrücken. Man liess ihm keine Zeit für solchen Luxus, der Soldat krallte sich in sein langes, rötliches Haar, riss ihn empor und liess sich von dem knurrenden Schmerzenslaut, den der Gefangene ausstiess, nicht beeindrucken. „Ich frage nicht noch einmal, Hurensohn: Wie ist Dein Name?“ Kaum hörbar, ausgehungert und vor Kälte schlotternd, nannte er den Namen, den er seit vielen Jahren nicht mehr gehört und ausgesprochen hatte: Brynjar Sturm-Geborener.

„Du lügst, Du falscher Hund! Ich habe gehört, dass man Dich Splitterseele nannte. Also, was nun?“ Die Frage wurde von einem weiteren, schmerzhaften Hieb begleitet, doch der Angesprochene beschloss, dieses einzige, das ihm noch geblieben war auf dieser Welt, das Geheimnis um seine Geburt, niemals irgendjemandem zu offenbaren, so krächzte er nur leise: „Ein Spitzname.“ Diesmal schien der Wachmann zufrieden und stiess den abgerissenen Kerl den dunklen, modrigen Gang hinunter, der nur spärlich von einzelnen, blakenden Fackeln erhellt wurde, die in unregelmässigen Abständen in Halterungen im morschen Mauerwerk befestigt waren und ein geisterhaft waberndes Licht erzeugten.

Mühsam und unter Schmerzen schleppte sich der Gefangene an anderen Zellen vorbei, verzweifelte Hände schossen ihm durch die Gitterstäbe entgegen, und ein kleiner Seitenblick ermöglichte es ihm, die Quelle der unsäglichen Schreie auszumachen. In einem hell erleuchteten Gewölbe hing ein Mann in Ketten an der Decke und brüllte sich die Seele aus dem Leib, während ein untersetzter Kerl mit blossem, schwitzenden Oberkörper mit aller Kraft eine Peitsche tanzen liess. Entsetzt schloss Brynjar die Augen und strauchelte, weil er eine tote Ratte auf dem Boden übersehen hatte, ein brutaler Tritt in die Seite brachte ihn jedoch schnell wieder auf die Füsse.

An einer Treppe, die nach oben führte, ging einer der Männer zur Seite, und der Wachmann, der hinter ihm ging, versetzte dem Gefangenen einen Stoss in den Rücken, der ihn auf die Stufen zutaumeln liess. Am Ende der Stufen wurde plötzlich eine in den Boden eingelassene Klappe geöffnet, das also erklärte das Fehlen jeglichen Tageslichtes in diesem Gewölbe, es war unterirdisch angelegt worden. Brynjar schloss vor Schmerz die Augen, die Sonne sandte ihr gleissendes Licht direkt in die von der Finsternis ermüdeten Pupillen. Da seine Hände auf dem Rücken gefesselt waren, hatte er keine Möglichkeit, seine Augen vor der Qual des schmerzhaften Lichtes zu schützen, hatte keinerlei Orientierung, wo er war, wo er hingehen sollte.

Man liess ihn einfach stehen an der Stelle, an der er aus dem Boden gekrochen war, und als er endlich seine Augen etwas öffnen konnte, sah er sich auf einem Platz stehen, mehrere Karren standen herum, die mit Pferden bespannt waren. Kaiserliche Soldaten jagten Menschen mit ebenfalls gefesselten Händen die Wagen hinauf und beschimpften sie als Verräter. Viel Zeit, seine Umgebung zu studieren, nach einem Fluchtweg zu suchen, blieb ihm nicht, denn auch Brynjar wurde nun gepackt und in die Richtung eines der Karren getrieben, auf dem bereits drei Männer sassen. Wenigstens lösten sie ihm die Fesseln und banden ihm die Hände vorne auf dem Bauch wieder zusammen, sodass er sich mühsam den Wagen hochziehen konnte und auf eine der Bänke fiel. Seltsam, der Mann neben ihm trug einen Knebel im Mund.

Gleich darauf setzten sich die Karren in Bewegung. Die ungepolsterten Gefährte machten es ihm unmöglich, ein wenig zu schlafen, die frische Luft in seine Lungen zu pressen. So hob er den Kopf und sah nach seinem Gegenüber, einem blonden Mann, der die Uniform der Sturmmäntel trug, einer Rebellengruppe um den selbsternannten Hochkönig Ulfric, der Himmelsrand von Windhelm aus von den Kaiserlichen befreien wollte. „Wer seid Ihr, Rotschopf?“ fragte der Blonde ganz ungeniert.
Brynjar schüttelte den Kopf, er wollte nicht reden, und es fiel ihm unglaublich schwer, auch nur zu schlucken. Stattdessen beobachtete er, wie sein Gegenüber nun versuchte, seinen Nachbarn auf der Holzbank in ein Gespräch zu verwickeln. „Wo kommt Ihr her, Dieb?“ Der kleine, schmächtige Mann zuckte zusammen und begann, zu jammern. Er gehöre nicht hierher, die Kaiserlichen haben es auf die Rebellen abgesehen, er sei nur zufällig hier hineingeraten. Er antwortete jedoch und erzählte, dass er aus Falkenring stamme. Er habe ja nur eine Flasche Wein mitgehen lassen in der Taverne, dafür könne man ihn doch nicht hinrichten, oder?

„Diese Fahrt ist unsere letzte, Dieb. Die bringen uns nach Helgen, und dort ist Schluss, findet Euch damit ab, unser Leben geht in der Festung zu Ende.“ „Nein, nein, das kann nicht sein, ich gehöre nicht zu Euch! Und der da, warum hat man ihn geknebelt, häh? Was ist das für einer?“ Selbst jetzt noch, dachte Brynjar still, im Angesicht des Todes, noch frech wie Rotz, der dürre Kerl. Der blonde Rebell, der sich seinen Mitgefangenen als Ralof vorgestellt hatte, wies den kleinen Mann zurecht. „Zeigt etwas mehr Respekt, Dieb. Das ist Ulfric Sturmmantel, unser Grosskönig!“ Und tatsächlich verstummte hier das weinerliche Gejammer, der Kutscher hatte jegliche Unterhaltungen verboten und seine lange Peitsche nach hinten schwingen lassen, um seiner Anordnung mehr Gewicht zu verleihen. Ausgerechnet Brynjar traf er mit seinem Schlag, auf die Wange, wo die Verletzung, die er sich bei einem Kampf zugezogen hatte, gerade zu heilen begonnen hatte. Er zog erschrocken den Kopf ein, doch schliesslich war es gleich, er war auf dem Weg zu seiner Hinrichtung, wen kümmerte es, dass er eine noch recht frische Wunde trug, die zudem von dem Schmutz seiner Kerkerhaft verunreinigt und entzündet war? Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie Helgen erreicht hatten, und dort, auf dem Weg zum Richtblock, würden alle seine Sorgen ein jähes und unwiderrufliches Ende finden.

Das Rumpeln des Gefährts und seine Müdigkeit liessen Brynjar nach einer Weile in eine Art Dämmerzustand versinken. Nicht Wachen, nicht Schlafen, irgendwo dazwischen, ein Traum von Sovngarde. Würde man ihn überhaupt einlassen dort? Er hatte nichts geleistet, nichts zustande gebracht, als ein Leben in Armut und Starrsinn geführt, um nun, in seiner Heimat, einen Kopf kürzer gemacht zu werden. Wahrhaft ein ruhmreiches Leben, dachte er verbittert. In Sovngarde brauchte er erst gar nicht anzukopfen – mit Schimpf und Schande würde man ihn davonjagen, wie so oft in der Vergangenheit, als er noch unter den Lebenden geweilt hatte.

Brynjar hatte jegliches Zeitgefühl verloren, schreckte auf, als sich Ralof wieder zu Wort meldete. „Wir nähern uns Helgen. Es gab hier mal ein Mädchen, sie war Schankmaid in der Taverne, und ich mochte sie sehr gerne. Ich wollte sogar um sie werben, aber dann kam der Krieg dazwischen. Was wohl aus ihr geworden ist? Ob sie noch immer dort die Gäste bedient, oder ob sie vielleicht sogar geheiratet hat? Ich werde es nicht mehr erfahren, aber ich hoffe, sie ist glücklich.“

Dann fuhren die Wagen in den Hof der Festung hinein und kamen, einer nach dem anderen, zum Stehen. Die Gefangenen wurden unter Peitschenhieben dazu aufgefordert, abzusteigen und sich in einer Reihe aufzustellen. Ein älterer Mann, der eine elegante Rüstung trug, sprach den geknebelten Mann an und beschimpfte ihn, das Land in den Krieg und ins Chaos gestürzt zu haben, während ein weiblicher Offizier den ersten Mann zum Richtblock rief. Die Priesterin, die bei der Hinrichtung zugegen war und ihren Segen sprechen wollte, wurde kurzerhand von einem der Todgeweihten zum Schweigen gebracht, dann wandte der sich ohne wenn und aber tapfer seinem Schicksal zu. Er ging in die Knie und legte seinen Kopf auf den Block, der Henker schien diesen Beruf schon sehr lange auszuüben, ein Schlag mit dem Beil genügte, um dem Rebellen, der so mutig für sein Land gekämpft hatte, den Lebensfaden zu durchtrennen, dieser Tote würde in Sovngarde ganz gewiss willkommen sein.

Ein anderer Offizier sprach nun Brynjar an und fragte ihn nach seinem Namen. „Brynjar Sturm-Geborener,“ antwortete die zerlumpte Gestalt wahrheitsgemäss. „Wir haben hier keinen Sturm-Geborenen auf unserer Liste, Hauptmann,“ wandte sich der Offizier an seinen Hauptmann. Die Frau sprach nun den älteren Mann an, der neben ihr stand. „General Tullius, dieser Mann dort steht nicht auf der Liste, was sollen wir mit ihm tun?“ „Er ist zwar kein Rebell, aber auch er kommt auf den Block, Diebe können wir in Zeiten wie diesen ebensowenig gebrauchen!“ „Aber General,“ mischte sich nun der andere Soldat ein, „Dieben hacken wir in Himmelsrand die Hände ab, aber nicht den Kopf!“ Der General lachte spöttisch. „Was soll er denn wohl ohne seine Hände anstellen? Er würde elend zugrundegehen, da er nicht mehr arbeiten kann, er könnte nicht einmal ein paar Almosen aufsammeln, die ihm irgendeine mitleidige Seele vor die Füsse wirft. Schenken wir ihm grosszügig - einen Gnadentod!“

Plötzlich ein Schrei in der Luft, dann ein Brüllen, ein ohrenbetäubendes, wütendes Fauchen, das direkt über ihren Köpfen ertönte, doch es war nichts zu sehen. „Weiter, da war nichts, Ihr da, zerlumpter Nord, Ihr seid der Nächste!“ Langsam, aber mit festen Schritten, bewegte sich Brynjar zum Richtblock. Er war niemand, er hatte niemanden, und er besass nichts, nicht einmal die fleckigen, feuchten Lumpen, die er auf dem vor Kälte schlotternden Leib trug, gehörten ihm. Vielleicht war dieser letzte Hieb wirklich eine Erlösung für ihn. Er hatte nichts und niemanden, zu dem er gehen konnte, so sollte also ein armseliges, von Entbehrungen geprägtes Leben hier zu Ende gehen. Wie es wohl sein mochte, das Jenseits, weitab von Sovngarde? Nicht schlimmer, als das Leben, das er auf Erden geführt hatte. Brynar ergab sich in sein Schicksal und ging vor dem Klotz in die Knie. In Blickrichtung, genau gegenüber, stand ein braunes Pferd und sah ihn an. Ja, den Anblick eines treuen Tieres, das war es, was er in den Tod mitnehmen wollte, nicht die hässliche Fratze des Henkers. Er schloss ergeben die Augen und wartete.

Der Bulle in Menschengestalt hob bereits sein blutiges Mordwerkzeug, da erbebte plötzlich die Erde, und das Chaos brach aus. Brynjar fiel zur Seite und richtete seinen Blick nach oben. Ein Drache sass auf dem Turm der Festung! Ein grosser, schwarzer Kerl mit rot-glühenden Augen, die einen Hass verströmten, dass es fast körperlich zu spüren war. Brynjar starrte wie gebannt auf die riesige Kreatur, die ein lautes, boshaftes Brüllen ausstiess, das beinahe seine Trommelfelle zum Platzen brachte. Da war dann auf einmal Ralof an seiner Seite und zerrte ihn auf die Füsse. „Kommt, schnell! Vielleicht können wir ihnen entwischen! Die Soldaten sind jetzt anderweitig beschäftigt!“

Die beiden Männer rannten über den Hof, schon brannten einige Häuser, der Drache spie Rauch und Feuer aus, als wolle er den Weltuntergang herbeiführen. „Bleibt dicht an meiner Seite!“ forderte der blonde Rebell seinen noch immer gefesselten Begleiter auf. Um ein paar Ecken ging es, da kam plötzlich der Drache zu Boden und spie eine riesige Feuerwolke in Richtung der Soldaten, die mit ihren kleinen Pfeilen, die sie auf das schwarze Ungeheuer abschossen, mehr an Spielzeug-Soldaten erinnerten. „Kommt, hier hinein!“ rief Ralof und rannte in einen kleineren Turm hinein, schloss schnell die Tür hinter sich, vorerst waren sie sicher. Doch nun musste auch Ralof erst einmal wieder seinen Verstand wiederfinden. „Das war ein Drache! Ein Wesen aus uralten Zeiten, als gerade die Menschen geboren wurden! Die Nord dachten, sie seien längst tot, aber das sind sie nicht! Wo kommt dieser schwarze Kerl her? Und gibt es noch mehr davon?“

Die furchteinflössende Kreatur liess den beiden Flüchtlingen nicht viel Zeit, um Luft zu schöpfen und sich von ihrem Schrecken zu erholen. Mit einer urtümlichen Wut, die an Besessenheit grenzte, wütete der Drache in der Festung und legte sie in Schutt und Asche. Sein zorniges Gebrüll und das unheilverkündende Fauchen seines Feueratems trieb die beiden Männer weiter. „Kommt,“ rief Ralof Brynjar zu sich, „lasst mich Euch von den Fesseln befreien. Nehmt Euch die Sachen meinens toten Kameraden hier. Ich bin sicher, er überlässt sie Euch gerne.“ Dann ging der Blonde neben dem gefallenen Sturmmantel in die Hocke, strich zärtlich über seine Stirn und versprach ihm, sich in Sovngarde mit ihm zu treffen.

„Weiter, weiter, den Turm hinauf!“ Brynjar hastete die zum Teil zerstörten Stufen hinauf, bis ihn ein herabgestürzter Balken am Vorwärtskommen hinderte. Ein grosses Loch war in der Mauer des Turmes entstanden, und plötzlich war der Drache da! Er steckte seinen riesigen Schädel durch die Öffnung und blies den beiden Flüchtenden seine Flammen entgegen, doch sie gingen schnell in Deckung und entgingen so seinem Angriff. Schon war das Tier wieder verschwunden und wütete unten auf dem Hof weiter. „Seht Ihr das Gasthaus dort auf der anderen Seite?“ sprach ihn der Rebell an. „Springt hinüber und lauft, so schnell Ihr könnt! Ich werde versuchen, Euch auf einem anderen Weg zu folgen!“

Brynjar fühlte sich so schwach, dass er kaum geradeaus gehen konnte. Ein Sprung – über diese Distanz? Ihm wurde schwindlig, und er zitterte. Doch dann drang Ralofs Warnschrei an seine Ohren, und mit einemmal war der Drache wieder da, liess sich mit einem mächtigen Poltern auf der Spitze des Turmes nieder und brachte dabei weitere Balken und Verstrebungen zum Einsturz. „Springt!“ schrie der Rebell, „Oder Helgen wird heute doch noch zu Eurem Grab werden!“ Nun endlich erwachte der ausgehungerte Nord aus seiner Lethargie, nahm einen kleinen Anlauf und streckte sich, so gut er konnte. Für eine fürchterlichen Augenblick sah es so aus, als würde er den Holz-Dachboden der Taverne verfehlen und in die Tiefe stürzen, aber er schaffte es, rollte sich auf dem Bretterboden zusammen und keuchte nach Luft. Wieder dröhnte das Gebrüll des Drachen in seine Ohren und liess ihm keine Pause. Wie von Trollen gehetzt, rappelte er sich auf und sprang durch ein Loch im Boden ins Erdgeschoss hinunter. Gehetzt sah er sich um. Wohin jetzt? Da fiel sein Blick auf eine vergessene Flasche Holunderbeer-Met. Alle Gefahr vergessend, griff er nach der Flasche, schlug ihr an der Kante eines Tisches den Hals ab und liess das bittere Gebräu seine Kehle hinabrinnen, es schmeckte köstlich!

Doch er musste weiter, stahl sich nach draussen, Tote und Verletzte bedeckten den grossen Innenhof, und noch immer war das lederne Flattern der riesigen Schwingen zu hören. Da war plötzlich Ralof an seiner Seite, packte ihn am Arm und zog ihn mit sich. So schnell sie ihre Füsse trugen, betraten sie einen Gebäudeteil, der noch relativ intakt war und sahen sich um. Es gab eine Tür, die aber verschlossen war. Hier würden sie nicht weiterkommen. Auch hier lagen Leichen herum, Soldaten, Sturmmäntel, und sogar der kleine Dieb aus Falkenring hatte es bis hierher geschafft, aber in seiner Brust steckte ein kaiserliches Schwert, er brauchte sich um den Verlust seines Kopfes oder seiner Hände keine Sorgen mehr zu machen. Mit geübtem Griff durchsuchte Ralof die Taschen des Toten und holte triumphierend zwei Dietriche heraus. „Hier,“ sprach er Brynjar an, „nehmt das und versucht, dieses Schloss zu knacken!“

Mit Schlössern kannte sich der Angesprochene gut aus, in Sekundenbruchteilen knackte es in der Verzahnung, und die Tür sprang auf. Ralof sah sich kurz um und wies seinen Begleiter an, alles Brauchbare mitzunehmen, drängte dann jedoch zur Eile. Die beiden Männer folgten dem einzig möglichen Weg, einem Gang, der in die Tiefe führte und stiessen nach einigen Metern auf eine Folterkammer, in der es sich mehrere Soldaten gemütlich gemacht hatten. Mit Schaudern betrachtete Brynjolf die metallenen, verrosteten Käfige, in denen Leichen in allen Stadien des Verfalls eingeklemmt lagen. Unvorstellbar die Qualen, die sie hatten erdulden müssen, bis der Tod sie endlich erlöst hatte. Da griff ihn einer der Kerkermeister mit einem rot-glühenden Haken an. Nur zu gut erinnerte sich Brynjolf an die fürchterlichen Schmerzen, die ein solches Gerät verursachen konnte, und mit einer rasenden Wut ging er auf den bulligen Mann los. Normalerweise hätte er in seinem geschwächten Zustand keine Chance gegen den Angreifer gehabt, aber sein Hass war so gross, dass er nur zwei Hiebe mit der Axt brauchte, um den Mann für immer zum Schweigen zu bringen.

Die beiden Flüchtlinge waren in der Unterzahl, aber sie hatten nichts zu verlieren, sie kämpften um ihr Leben und hatten nach kurzer Zeit alle fünf Gegner besiegt. Erschöpft sank Brynjar zu Boden, auch der blonde Rebell war am Ende, lehnte sich kurz an eine der feuchten Mauern und keuchte. Doch schon mahnte er erneut zur Eile. Eine hochgelassene Brücke wollte ihnen den Wg versperren, aber Ralof legte kurz entschlossen den Hebel um. Was blieb ihnen anderes übrig? Es gab keinen anderen Weg für sie. Noch einmal ging es eine kleine Treppe hinab, dann veränderte sich das gemauerte Gestein der Festung, und sie betraten eine natürliche Höhle. „Achtung!“ schrie der Rebell plötzlich, als sie von einigen riesigen, zischenden Frostbiss-Spinnen umzingelt wurden, die die beiden Eindringlinge sofort mit ihrem säureähnlichen Gift besprühten. Dann war es so schnell vorbei, dass sich Brynjar verblüfft umsah, tatsächlich, keines der giftigen Biester regte sich mehr. „Los, weiter!“ mahnte sein Begleiter und verschwand um eine Biegung. Der Weg nach draussen schien endlos, die beiden Männer folgten dem schmalen Pfad nach oben, nach unten, nach rechts und nach links, bis sie in einiger Entfernung eine schmale Öffnung erkennen konnten, die grelles Tageslicht einzulassen schien.

Ralof war ausser sich vor Freude und rief: „Ebdlich! Das ist der Weg in die Freiheit! Ich wusste, wir würden es schaffen!“ Auch Bryn war erleichtert. Die kleine Flasche Met in der brennenden Schänke in Helgen war weit davon entfernt gewesen, seine erschöpften und ausgelaugten Lebensgeister wieder zum Leben zu erwecken, und die Kämpfe und der lange Weg hatten noch weiter an seinen wenigen Kraftreserven gezehrt.

Endlich, der letze Schritt hinaus aus dem ewigen Zwielicht – hinaus in den Tag und in die Freiheit!!! Immer noch stand die Sonne hoch am Himmel und schickte ihr gleissendes Licht in einer solchen Fülle zur Erde hinab, als sei nichts geschehen. Als sei die stolze Festung Helgen nicht gefallen, als habe nicht ein Drache Tod und Verderben gebracht, Menschen das Leben geraubt und nichts als Zerstörung zurückgelassen. Aber doch – so paradox es auch klingen mochte – das Erscheinen und der Angriff des Drachen hatte ihm das Leben gerettet, ihm und seinem neuen Freund, es war wie eine Wiedergeburt, und Brynjar, der Heimatlose, der Gebrochene an Leib und Seele, beschloss, ein neues Leben zu beginnen.

Rainbowdemon
20.07.2013, 11:57
Kapitel 02 – Hinaus in die Welt


„Ihr solltet mit mir nach Windhelm kommen, Brynjar, und Euch dem Kampf um die Befreiung Himmelsrands anschliessen, vom Kaiserreich haben wir Nord nichts Gutes zu erwarten!“ Doch Ralofs Begleiter schwieg. Er hegte keine Sympathien für und keine Antipathien gegen irgendjemanden. Er versuchte seit seiner Kindheit, irgendwie am Leben zu bleiben, war es nun lebenswert, dieses Herumkriechen auf der Erde und nach Nahrung suchen, oder nicht. Ihn kümmerte nicht, wer in Himmelsrand das Sagen hatte, ihn kümmerte es nicht, ob er heute oder erst morgen starb. Einzig sein Lebenserhaltungstrieb, der sogar im kleinsten Lebewesen unzerstörbar war, gewann die Oberhand, wenn es brenzlig wurde, zwang ihn dazu, sich wieder aufzurichten und einen weiteren Schritt zu tun.

„Wir sind hier nicht weit von Flusswald entfernt,“ redete Ralof ungeniert weiter. „Meine Schwester lebt dort mit ihrer Familie. Sie leitet das Sägewerk und wird uns bestimmt weiterhelfen.“ Sein stummer Begleiter begann, abzuwägen, ob es klüger sei, dem blonden Rebellen in sein Dorf zu folgen, oder ob er sich lieber schon vorher absetzen und seinen Weg alleine suchen sollte. Doch in seinem erschöpften Zustand würde er nicht weit kommen, selbst das Jagen würde ihn vor eine Kraftprobe stellen, der er sich so nicht gewachsen fühlte. Ausserdem war er hungrig, er war durstig, und er fror. Ralof war freundlich zu ihm gewesen, aber wie würde ihn seine Familie empfangen? Er misstraute allen und jedem.

Der Blonde machte seinen Weggefährten auf ein gewaltiges Steingebäude aufmerksam, das von einem Berghang auf der anderen Seite des Flusses wie drohend auf sie herniedersah. „Das ist das Ödsturzhügelgrab,“ erfuhr Brynjar. „Als Kinder haben wir es als eine Art Mutprobe betrachtet, so nahe wie möglich dort hinzugehen. Und wer weiss, wären wir nicht immer wieder von Banditen verjagt worden, die sich dort niedergelassen hatten, vielleicht wäre ich sogar einmal hineingegangen.“ „Dieses riesige Bauwerk ist ein Grab?“ wunderte sich Brynjar. „Ein so grosses Grab für nur einen Menschen? War er ein Herrscher?“ Ralof wollte schon lachen über so viel Naivität bei einem erwachsenen Mann, der offenbar keine Ahnung hatte, was ein altes nordisches Hügelgrab war. Doch er spürte, das war keine Naivität, das war einfach nur Unwissen, dieser seltsame Mensch, dem er in Helgen begegnet war, und der ihn nun nach Hause begleitete, wusste es einfach nicht. Hatten ihm seine Eltern nicht erzählt, was es mit diesen Gräbern auf sich hatte? Hatte er überhaupt Verwandte? War er denn als Kind nicht eine gewisse Zeitlang unterrichtet worden? Gab es niemanden, der sich um ihn sorgte?

Die scheuen Blicke, die ihm sein stiller Begleiter hin und wieder zuwarf, liessen eine Ahnung in Ralof aufkeimen, eine Ahnung, die ihn erschreckte und zugleich tief berührte. Dieser Mann schien völlig allein auf der Welt. Niemanden kümmerte es, ob er lebte oder starb. Die Art und Weise, in der er sich bewegte, wie er sprach, machten auf ihn den Eindruck eines Fremden in einer fremden Welt, so, als sei er gerade aus einer Höhle, tief im Wald herausgekrochen, die er seit Jahren nicht verlassen hatte. Dieser Mann hatte weder Heim, noch Familie, kein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnte, oder zu sterben, so wie er eines hatte mit der Befreiung von Himmelsrand.

Ralof konnte nicht ahnen, wie nahe seine Ahnung der Realität kam.

Gleich nach der nächsten Biegung konnte man bereits die Stadttore von Flusswald ausmachen, da stürzten plötzlich zwei hungrige Wölfe den Hang neben der Strasse hinab auf die beiden Reisenden. Ralof griff sofort zur Axt und wehrte sich gegen eines der Tiere. Brynjar benötigte eine Sekunde länger, um zu reagieren und zog dann das Schwert, das er einem der kaiserlichen Soldaten in Helgen abgenommen hatte. Er konnte nicht besonders gut damit umgehen, aber er schaffte es, das angreifende Tier mit ein paar Heben zu erledigen. Mit der Axt von Ralofs totem Kameraden hatte er einfach blindlings auf seine Gegener eingeschlagen, mit dem Schwert in der Hand fühlte er sich etwas sicherer, eine solche Waffe war ihm aus der Vergangenheit vertrauter. Ja, er hatte mal ein gutes Schwert besessen, bis er dazu gezwungen gewesen war, es gegen etwas Essbares einzutauschen.

Ralof steckte seine Waffe weg, holte einen Dolch hervor, setzte ein paar gekonnte Schnitte an den Fersen der getöteten Tiere und zog ihnen fachmännisch das Fell über die Ohren. „Felle sind sehr wertvoll, Brynjar. Man kann aus ihnen Kleidung und warme Decken herstellen. Wann immer Ihr ein Tier töten müsst, nehmt auf jeden Fall stets sein Fell mit Euch.“ Der Rebell kam sich im Stillen wie ein Lehrmeister vor, der vor einem kleinen Jungen stand, der ein guter Jäger werden wollte. Brynjar schien ihm aufmerksam zuzusehen und zu -hören, und nun lächelte Ralof. Dieser arme Kerl musste wohl wirklich eine Menge lernen vom Leben, und wenn sie für ein Weilchen bei Gerdur in Flusswald bleiben konnten, würde er seinem schweigsamen Begleiter alles beibringen, was er wusste, dieser seltsame Mensch faszinierte ihn irgendwie.

Die Abenddämmerung begann, sich herabzusenken, als sie Flusswald betraten. Niemand hielt sie auf, niemand schien sich für sie zu interessieren. Ralof schlug einen Weg nach links ein, gleich hinter den Stadttoren und ging ein Stück voraus, er vermutete seine Schwester bei der Arbeit im Sägewerk. Brynjar folgte ihm zögernd, warf einen scheuen Blick nach oben auf die Rampe, wo ein kräftiger Nord die riesige Säge überwachte, die vom Fluss, nur wenige Meter entfernt, angetrieben wurde. Fasziniert beobachtete er einige Lachse, die aus dem Fluss sprangen, um gleich darauf wieder in den eisigen Fluten unterzutauchen. Hier wäre einmal ein wirklich guter Platz zum Angeln.

Schliesslich sah er Ralof auf eine blonde Frau zugehen, die er mit Gerdur ansprach. „Bruder,“ hörte er sie rufen, „es ist schön, Euch zu sehen!“ Die Geschwister umarmten sich herzlich, und Brynjar fühlte sich wie ein Störenfried bei diesem kleinen Familientreffen. Wie nicht anders zu erwarten, betrachtete Gerdur den Begleiter ihres Bruders zunächst mit Skepsis. „Und wer ist das hier?“ fragte sie Ralof ernst. Brynjar kam sich vor wie ein Stück Fleisch in der Auslage eines Metzgers, als er von Gerdur und ihrem Mann Hod, der sich inzwischen zu ihnen gesellt hatte, eindringlich gemustert wurde. „Wo soll ich anfangen? Ach, ich weiss gar nicht mehr, wann ich zuletzt gegessen oder geschlafen habe.“ „Kommt, Bruder, lasst uns ins Haus gehen, Eure Begleitung ist uns willkommen, ruht Euch erst einmal aus.“

Hod kehrte zu seiner Arbeit zurück, während Gerdur die beiden Männer zu ihrem Haus brachte. Müde liess sich Ralof auf einen Stuhl fallen und nahm dankbar die Flasche Met entgegen, die ihm seine Schwester reichte. „Nun setzt Euch schon.......wie ist eigentlich Euer Name, Fremdling?“ „Ich heisse Brynjar.“ Unsicher sah er sich um, als die junge Frau im hinteren Teil des Häuschens verschwand, doch kurze Zeit später kam sie mit zwei grossen Schüsseln eines herrlich duftenden Fleisch-Ragouts zurück, das sie vor den beiden Männern abstellte. „Nun esst schon, Brynjar, Ihr seht aus, als könntet ihr es gebrauchen.“ Nach einem letzten, fragenden Blick und einem freundlichen Nicken der jungen Frau griff der Fremde nach dem Löffel und genoss die dampfende, gut gewürzte Mahlzeit.

Ralof war erschöpft, wie er, aber der war hier zu Hause, hatte eine vertraute Umgebung und seine Familie um sich, konnte sich frei bewegen. Oder war es einfach nur schwierig, ihn für lediglich fünf Minuten zum Schweigen zu bringen? Ob er immer so gesprächig war? Brynjar, der Stille, überlegte insgeheim, ob man einen Menschen zu Tode erzählen könne. Wenn ja, dann hatte Ralof eine echte Chance auf den Meistertitel. Und gleich darauf begann er auch schon damit, mit vollem Mund, zu erzählen, wie sie sich auf dem Karren der Todgeweihten begegnet seien. Wie sie im Hof der Festung aufgereiht worden waren, fertig und bereit für den Richtblock, und wie dann aus heiterem Himmel dieser riesige schwarze Drache angegriffen hatte, der ihnen, so unglaublich es auch klingen mochte, das Leben gerettet hatte. Von dem beschwerlichen Weg durch die unterirdischen Tunnel von Helgen, den Kampf gegen die Spinnen, und von dem schwarzen Ungeheuer, das sie dabei beobachtet hatten, als es sich wieder davonmachte, nachdem es Helgen in Schutt und Asche gelegt hatte. Und dass der Drache in ihre Richtung geflogen war!

Gerdur war aufs Äusserste besorgt, Flusswald besass keine Mauer, hinter der sich die Menschen ein wenig sicherer hätten fühlen können, aber selbst wenn, was nutzte die stärkste Mauer gegen einen Angriff aus der Luft? Was hatten Helgen seine teilweise 3m dicken Mauern genutzt? All die Soldaten, die dort stationiert gewesen waren – Helgen war Ruine, und wieviele Menschen dem Angriff zum Opfer gefallen waren, wusste niemand. Was von den Gebäuden nicht eingstürzt war, war ein Raub der Flammen geworden, hatte Mensch und Tier unter sich begraben. Wie sollte eine so kleine Siedlung wie Flusswald, die keinerlei Schutz bot, der rasenden Wut eines Drachen widerstehen können?

Da ging plötzlich die Tür auf, ein kleiner Junge von vielleicht acht Jahren betrat das Haus und lief sofort freudestrahlend auf Ralof zu. „Onkel Ralof! Ich freue mich so, dass Ihr hier seid!“ Er kletterte ungestüm auf den Schoss des blonden Mannes und umarmte ihn, doch dann bemerkte er den Fremden, der mit einem undefinierbaren Blick in den blauen Augen am Tisch sass und schweigend seine Mahlzeit in sich hineinschaufelte. „Wer ist das, Onkel Ralof?“ Endlich kam Gerdur dazu und sprach mit ihrem Sohn. „Frodnar, Euer Onkel ist sehr müde und braucht eine Weile Ruhe. Und der andere Mann ist ein Freund von ihm. Geht, seht nach, ob zufällig ein Kurier zu Gast in der Taverne ist!“ „Och, Mama, ich möchte aber hierbleiben und mich mit meinem Onkel unterhalten,“ quengelte der Kleine. „Später, Frodnar,“ versprach der Rebell und strich dem Jungen über den Kopf, der sich endlich, unter Murren, auf den Weg zum Gasthaus machte. „Wir müssen Weisslauf benachrichtigen, dass wir alle in Gefahr sind. Der Kommandant der Stadtwache wird wissen, was zu tun ist.“

Brynjar fühlte sich nach der reichhaltigen und nahrhaften Mahlzeit müde wie ein Stein und hätte gleich dort, auf dem Stuhl, einschlafen können. Doch da ging erneut die Tür auf, und Gerdurs Mann, Hod, kam herein. Er nickte seiner Frau nur kurz zu und verschwand dann nach hinten, von wo man kurz darauf hören konnte, wie eine Flasche Met geöffnet wurde. Schliesslich wandte sich wieder die junge Sägewerks-Besitzerin an ihre beiden Besucher. „Ihr könnt natürlich hierbleiben, solange Ihr wollt, aber wir haben in diesem Haus nicht genug Platz für Euch beide. Delphine, die Besitzerin der Taverne, ist eine Freundin von uns. Sie wird Euch für ein paar Tage ein Zimmer überlassen, kostenlos natürlich, bis Ihr Euch etwas erholt habt.“ „In Ordnung, Schwester, ich bin schrecklich müde. Was ist mit Euch, Brynjar?“ Der Fremde hob seinen Kopf, ein Schleier, wie aus dichtem Nebel, verdüsterte seine kornblumenblauen Augen. „Habt Dank, ein paar Stunden Schlaf würden auch mir sicher gut tun “

Delphine war, wie sich herausstellte, eine etwas ältlich wirkende, mürrisch dreinblickende Bretonin, die den beiden Gästen ein kleines Zimmer mit zwei separaten Betten zuwies, ohne irgendwelche Fragen zu stellen. Mit einem Seufzer liess sich Ralof auf eines der Betten fallen und begann damit, sich auszuziehen. „Ah, herrlich, endlich die Stiefel von den Füssen ziehen zu können......in ein paar Tagen werde ich mich auf den Weg nach Windhelm machen, um mich wieder Ulfrics Truppen anzuschliessen. Welche Pläne habt Ihr, Brynjar? Warum begleitet Ihr mich nicht einfach?“ „Ich bin Euch dankbar, dass ich mit Euch kommen durfte, Ralof,“ äusserte sich der Fremde endlich. „Doch dieser Kampf, den Ihr führt, ist nicht mein Kampf. Ich stehe auf niemandes Seite, nicht einmal auf meiner eigenen. Mir ist es gleich, ob ich lebe oder sterbe, oder wie dieser Krieg ausgehen mag. Immer, wenn es den Anschein hat, dass mein Ende gekommen ist, geschieht irgendetwas Unvorhersehbares, und ich stehe wieder auf und lebe weiter. Ich weiss nicht, wohin mein Weg mich führt, und ich will es auch gar nicht wissen........“ „Nun, Brynjar, Ihr tut so, als sei Euer Leben keinen Pfifferling wert, und als sei es völlig gleich, ob es Euch gibt, oder nicht. Habt Ihr Euch denn noch niemals Gedanken darüber gemacht, warum das alles passiert? Dass es nicht bloss Zufälle sind, die Euch am Leben erhalten? Das es so gewollt ist, Euer Weg? Dass die Götter etwas ganz Bestimmtes mit Euch vorhaben? Ihr habt mir erzählt, dass Ihr völlig allein auf der Welt seid. Vielleicht haben die Götter Euch ein ganz besonderes Schicksal zugedacht, einen ganz besonderen Menschen vielleicht, der eine wichtige Rolle spielen wird für Euch? Findet Ihr es nicht auch äusserst bemerkenswert, dass ausgerechnet jetzt ein Wesen aus uralten Legenden auftaucht, um Euch buchstäblich im letzten Moment das Leben zu retten?“

„Ich glaube nicht an die Götter!“ Brynjar erhob sich plötzlich und schrie seinen Begleiter an: „Wo waren die Götter, als ich damals.........“ „So beruhigt Euch doch, Brynjar. Was ist Euch zugestossen – damals?“ „Nichts.......ich.......es tut mir leid, ich hätte Euch nicht anschreien sollen, vergebt mir. Aber ich habe mit Euren Göttern nichts zu schaffen.“ „Also gut, wenn Ihr nicht darüber reden wollt, dann ist das eben so. Aber Ihr habt Unrecht, wenn Ihr sagt, dass unser Kampf nicht der Eure sei. Ihr seid ein Nord, so, wie die meisten Menschen in Himmelsrand. Die Nord waren und sind ein stolzes Volk, das seine althergebrachten Traditionen ehrt und feiert. Wir werden nicht zulassen, dass uns fremde Eindringlinge vorschreiben, an wen wir glauben dürfen, und an wen nicht. Aber jetzt sollten wir uns wirklich ein wenig ausruhen, morgen sehen wir weiter.“

Fünf Tage noch blieben die beiden so unterschiedlichen Männer in Flusswald. Ralof schenkte seinem Begleiter einen Bogen und unternahm mit ihm lange Streifzüge durch den Wald. Er verriet ihm so manchen Trick, wo er welches Wild finden könne, wie er sich ihm am besten näherte, ohne dass die Tiere seinen Geruch witterten, und er ermahnte ihn, nur dann ein Tier zu töten, wenn er hungrig war. In den grösseren Städten in Cyrodiil, so hatte er von einem Reisenden erfahren, gab es reiche adlige Herren, die Jäger dafür bezahlten, sie zu Gebieten zu führen, wo es viele Hirsche gab, um diese aus purer Lust am Töten abzuschlachten. Er schüttelte sich bei dem Gedanken und fügte hinzu, ein schwer verletztes Tier zu töten, sei allerdings ein Akt der Barmherzigkeit und ein ungeschriebenes Gesetz für einen wahren Nord. Auch Hirsche, Rehe und Hasen hatten eine Seele und empfänden Schmerzen, sie davon zu erlösen sei für ihn selbst immer ein trauriges, aber zugleich beglückendes Erlebnis gewesen. Für die grausamen Spiele dieser dekadenten Stadtmenschen allerdings habe er kein Verständnis.

Brynjar Sturm-Geborener, der sich selbst Splitterseele nannte, kannte den Schmerz, er war sein ständiger Begleiter. Er kannte Bosheit, Schuld und Habgier, aber Gefühle wie Mitleid, Liebe oder Selbstlosigkeit, Güte oder Warmherzigkeit waren ihm fremd. Für den freundlichen Ralof empfand er nichts als Gleichgültigkeit, und als dieser sich schliesslich von seinem neuen Freund verabschiedete und ihn umarmte, lagen Brynjars Arme schlaff an seinem Körper herunter, er empfand - nichts. Ralof, dem nicht entgangen war, wie tot diese Seele zu sein schien, erschrak, als er den eisigen Blick in den Augen des Anderen sah. Wollte er einen solchen Mann zum Freund haben, als Kameraden? Oder sollte er ihn am besten so schnell wie möglich vergessen? Ein Mensch wie Brynjar war ihm noch nie vorher begegnet, und ihn schauderte, als ihm bewusst wurde, dass sein Gegenüber ihn nicht einmal ansah, er sah an seinem Gesicht vorbei – ins Leere.

Und dann machte sich auch Brynjar, der Seelenlose, auf den Weg, ohne festes Ziel, ohne sich Gedanken zu machen über eine Zukunft. Er verliess das Städtchen, ohne irgendjemandem Lebewohl zu sagen, die einzigen Habseligkeiten waren die Kleider des getöteten Sturmmantel-Soldaten, die er auf dem Leibe trug, und der Bogen des Weggefährten. Ralof hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, dass dies hier kein Sturmmantel-Gebiet war. War er schon von irgendeiner ihm unbekannten Macht dazu gezwungen, am Leben zu bleiben, so wollte er dieses wenigstens in Freiheit tun. Und dazu, das wurde ihm nun klar, sollte er sich andere Kleidung besorgen, wollte er nicht Gefahr laufen, gleich wieder verhaftet und in den nächsten Kerker geschleift zu werden.

Er ging langsam über die Brücke, sah links von sich einen Weg nach oben, der wohl in die Berge und hinauf zu diesem riesigen Grab führte. Aber er hatte dort nichts zu schaffen, wozu den mühsamen Aufstieg auf sich nehmen? Also wählte er den Weg nach rechts, der, wie ein durch Wind und Regen verwitterter Wegweiser verkündete, nach Weisslauf führte. Ohne Eile folgte er dem mit Bruchsteinen gepflasterten Weg und traf auf eine kleine Eskorte, die aus drei kaiserlichen Soldaten und einem gefangenen Nord bestand. „Der arme Teufel,“ dachte Brynjar zynisch, „hat sich wohl dazu erdreistet, sich in der Öffentlichkeit zu seinem Heldengott Talos zu bekennen. Und jetzt wanderst Du dafür in den Kerker.“ Einer der Soldaten blaffte ihn an: „Das hier geht Euch nichts an, Bürger, geht weiter!“ Der einsame Wanderer hatte nicht im Geringsten vor, sich irgendwo einzumischen und dafür womöglich wieder hinter kalten und feuchten Mauern zu landen, so ging er stumm weiter,
ohne ein Wort zu sagen.

Es war ein herrlicher Spätsommertag, die Luft war erfüllt vom Gezwitscher der Vögel, vom Summen der Bienen und vom Rauschen des Flusses, doch Brynjar hatte keinen Sinn für das, was ihn umgab. Seine einzige Sorge bestand darin, wo seine nächste Mahlzeit herkam, und als er der gekrümmten Strasse weiter folgte, fand er sich mit einemmal auf einer grossen Ebene wieder. Links und rechts des Weges befanden sich mehrere Bauernhöfe, auf deren Feldern Weizen, Kohl, Lauch und Kartoffeln angebaut wurden. Riesige Mühlen, vom Wind angetrieben, mahlten unter ohrenbetäubendem Lärm den Weizen zu nahrhaftem Korn, aus dem das duftende Brot der Region gebacken wurde. Und in der Tat war es der Duft frisch gebackenen Brotes, der Brynjar dazu veranlasste, seine Schritte zum nächst gelegenen Bauernhaus zu lenken.

Ein Nord in mittleren Jahren arbeitete auf einem der Felder, und eine kleine Waldelfe erschien bald darauf in der Tür des Hauses, rief den Bauern zum Mittagsmahl. Der Mann liess seinen Rechen fallen und beäugte misstrauisch den hochgewachsenen Fremden, der sich ihm näherte. „Ein Fremder auf meinem Hof! Ich kenne Euch nicht, wer seid Ihr und woher kommt Ihr?“ „Mein Name isr Brynjar Splitterseele und ich komme aus Flusswald. Ich suche Arbeit,“ antwortete der Rothaarige ruhig. Der Bauer entspannte sich sichtlich, denn der Fremde trug ein Schwert an der Seite, während er waffenlos war. In diesen Zeiten war ihm jeder Mensch, den er nicht kannte, eine potentielle Gefahr, und sei es nur, um zu plündern oder ihn auszurauben.

„Splitterseele?“ Da der Fremde keinerlei Anstalten machte, weitere Erklärungen abzugeben, konzentrierte sich der Bauer auf das Naheliegende. „Verzeiht meinen etwas barschen Ton, aber wir leben in gefährlichen Zeiten. Erst letzte Woche wurden wir von einem Riesen überfallen, der sich an unserer Ernte vergreifen wollte. Glücklicherweise kamen gerade einige der Gefähten von einem Auftrag zurück und konnten uns beistehen. Ohne ihre Hilfe hätte ich alles verloren. Die Spuren, wo der dreiste Kerl alles niedergetrampelt hat, sind selbst jetzt noch zu sehen. Ich bin Severio Pelagia. Ich bin der Besitzer dieses Stück Landes. Nimriel dort,“ und er deutete auf die kleine Bosmer, die neugierig nähergekommen war, „ist meine Gehilfin und lebt hier. Ihr könnt hier arbeiten und Euch um das Kohlfeld ein wenig weiter die Strasse hinunter kümmern. Ich zahle Euch zehn Goldstücke die Woche bei freier Kost und Unterkunft. Ich selbst besitze ein Haus in der Stadt, sodass Ihr hier unterkommen könnt. Nun, was sagt Ihr?“

„Ich bin einverstanden.“

Rainbowdemon
20.07.2013, 12:02
Kapitel 03 – Zurück ins Leben


Pelagia brachte seinen neuen Gehilfen selbst ins Haus, das sparsam eingerichtet, aber sehr sauber war, eine Holzstiege im hinteren Teil des Gebäudes führte in ein oberes Stockwerk. „Oben gibt es ein kleines Arbeitszimmer und ausserdem befindet sich Nimriels Schlafzimmer dort, Ihr könnt das Bett hier unten benutzen. Hier steht auch eine Truhe, in der Ihr Eure Habseligkeiten unterbringen könnt. Zum Frühstück könnt Ihr Euch aus der Vorratskammer drüben nehmen, was Ihr wollt, Nimriel kümmert sich um das Mittagessen, das wir hier alle vier gemeinsam einnehmen werden. Zu Abend gibt es einen halben Laib Brot und ein Stück Käse, oder auch ein Stück Fleisch, an Loredas und Sundas zusätzlich einen Krug Met.“ Nun, das konnte sich hören lassen.

Brynjar sah sich kurz um. Er hatte schon schlechter gelebt, viel schlechter. Den kleinen Beutel, den die freundlichen Leute aus Flusswald ihm mitgegeben hatten und der einige Vorräte wie gepökeltes Fleisch, ein paar Kartoffeln, Karotten, Tomaten und etwas Ziegenkäse enthielt, warf er zunächst achtlos auf das Bett. „In dieser Kleidung könnt Ihr nicht auf dem Feld arbeiten, Brynjar. Lasst mich nachsehen, was ich noch an Arbeiterkleidung da habe.“ Der Bauer liess seinen neuen Angestellten stehen und stapfte die Stiege hinauf. Oben hörte man ihn eine Weile rumoren, wie er in Schränken suchte, eine Kommode öffnete und wieder schloss. Nach ein paar Minuten kam er zurück und drückte seinem Arbeiter ein einfaches Hemd und eine Hose in die Hand. „Nimriel!“ Die neugierige, kleine Bosmer war allen Aktivitäten um sie herum aufmerksam gefolgt.

„Es ist Zeit, stell das Essen auf den Tisch. Wo steckt denn Gloth schon wieder, dieser nichtsnutzige Faulpelz?“ Die Waldelfe zuckte nur mit den Schultern. Sie kannte den älteren Nord, der mit ihr zusammen auf dem Hof arbeitete, schon sehr lange. Er machte seine Arbeit und redete nicht viel, sie hatte nichts über ihn zu sagen und war sich sicher, dass er irgendwo auf dem Feld entweder Heu aufschichtete oder die Hühner fütterte. Während sich der Neuankömmling in sein kleines Zimmerchen zurückzog, um sich umzuziehen, hörte er, wie von draussen jemand das Haus betrat und sofort vom Bauern zurechtgewiesen wurde, aber was kümmerten ihn die Streitigkeiten anderer Leute? Er würde fürs Erste hierbleiben, bis er etwas Geld zusammen hatte und sich dann treiben lassen, er hatte weder Weg, noch Ziel. Der winzige Raum, der ihm zugewiesen worden war, bot zwar gerade mal Platz für ein Bett, einen kleinen Tisch, eine Kommode und einen Stuhl, aber es war definitiv ein Bett, und kein nach Kot und Urin stinkender Strohhaufen, der zudem vor Ungeziefer wimmelte, hier liess es sich wohl eine Weile aushalten.

Nachdem Brynjar die Rüstung des toten Sturmmantel-Soldaten und seine bescheidenen Vorräte verstaut hatte, setzte er sich schliesslich zu den drei anderen Personen an den Tisch. Er spürte fragende Blicke auf sich ruhen, tat aber so, als wäre er sich ihrer völlig unbewusst, stattdessen löffelte er den kräftigen Eintopf in sich hinein und liess sich das frisch gebackene Brot schmecken. „Brynjar,“ wandte sich schliesslich Pelagia an seinen neuen Helfer, der sofort von seiner Schüssel aufsah. „Ich möchte, dass Ihr Euch zuerst um das Kartoffelfeld kümmert. Die Biester müssen aus der Erde. Es hat so viel geregnet die letzten Tage, sonst verfault mir noch alles und mir gehen eine Menge Septime verloren!“ Kalte, leblose Augen sahen den Bauern an, doch der Eigentümer dieser Augen nickte stumm mit dem Kopf, bestätigte die Anordnung seines Arbeitgebers und widmete sich wieder seiner Mahlzeit. Ein seltsamer Mensch, dieser grosse Nord, überlegte der Kaiserliche, redet wohl nicht viel. Auch gut, dann macht er auch keinen Ärger, hoffentlich lässt er die Finger von Nimriel, die Kleine hat es faustdick hinter den Ohren und versucht fast bei jedem früher oder später ihr Glück.

Nach dem Essen fühlte sich Brynjar gut und erholt und folgte dem Bauern hinaus auf die Felder. Das von dem Kaiserlichen erwähnte Kartoffelfeld lag etwas abseits der grösseren Felder, auf denen Kohl und Lauch angebaut wurde. Pelagia wies den Neuling noch kurz in seine Arbeit ein, was zu tun sei, wie es zu tun sei, wo die Kartoffeln dann in Säcke gepackt und wo diese gelagert wurden, bevor man sie zur Stadt transportieren würde. Dann liess er den Fremden stehen und wandte sich einmal mehr Gloth zu, um ihn zu beschimpfen, da er scheinbar nicht ganz nüchtern war.
Während er mechanisch seine Arbeit verrichtete, gingen dem neuen Landarbeiter allerlei fremdartige Gedanken durch den Kopf. Viel war auf ihn eingeströmt während der letzten Tage.

Was ist das für ein Leben, dieses Leben, überlegte Brynjar. Die Menschen arbeiten und schuften Tag und Nacht, um sich jeden Tag den Wanst füllen zu können. Wozu? Banditen durchstreiften das Land, plünderten die Höfe und ermordeten jeden, der sich zur Wehr setzte, um sein Hab und Gut zu schützen. Nord kämpften gegen Nord und führten Krieg, wegen eines Glaubens, der niemandem zum Vor- oder zum Nachteil gereichte, sondern nur Tod und Elend brachte. Gefährliche Raubtiere und unheimliche Kreaturen schlichen durch die Nacht, bereit, über alles und jeden herzufallen, um sich selbst am Leben zu erhalten, und nun war auch noch ein Drache aufgetaucht!

Auch wenn er es sich nicht hatte anmerken lassen, ihm war der begehrliche Blick der Frau nicht entgangen, mit der er am Tisch gesessen hatte. Er kannte diese Art von Blick, er machte auf ihn fast den Eindruck von dem eines hungrigen Raubtieres. Er selbst hatte wenig Erfahrung mit dem, was er die „Sache“ zwischen Männern und Frauen nannte – er konnte nicht nachvollziehen, warum so vielen Menschen dieser kurze Akt so wichtig schien. Eine Art, sich zu entspannen, ein kurzer Rausch, der ebenso schnell verging, wie er kam. Was war daran so besonders, dass manche Männer diesen Akt sogar unter Anwendung von Gewalt begingen? Wieso gab es so viele Frauen, die ihre Körper gegen Geld feilboten, um eben jene Dienste zu leisten, die sich offenbar bei der männlichen Bevölkerung so grosser Beliebtheit erfreuten? Für ihn selbst hatte diese Beschäftigung nicht mehr und nicht weniger Reiz als den, sich den Bauch zu füllen, wenn er hungrig war, oder zu schlafen, wenn er müde war.

Es gab sogar Leute, die ein festes Bündnis eingingen, um sich jederzeit und bequem diesem „Vergnügen“ hingeben zu können, sie heirateten. Was für eine Belastung, für ein ganzes Leben an einen anderen Menschen gebunden zu sein, den man nicht kennt, dem man nicht vertraut, mit dem man sonst überhaupt nichts anfangen konnte, dem man nichts zu sagen hatte. Oh, ja, dann war da noch diese Sache mit der Liebe, auch davon hatte er gehört, aber er kannte sie nicht, diese Liebe, und er wollte nichts darüber wissen. Im Namen dieser Liebe waren iauch n der Geschichte Himmelsrands die schlimmsten und grausamsten Verbrechen begangen worden. Männer hatten andere Männer getötet, weil sie ihre Frauen ansahen. Frauen töteten ihre Männer, weil sie sie dabei erwischt hatten, wie ihre Kerle im Bett einer Anderen lagen. Und es waren sogar Morde begangen worden, um einen Menschen für sich zu gewinnen, einen lästigen Mitbewerber auszuschalten, oder aber Väter wurden erpresst, um an eine Frau heranzukommen, die eigentlich aufgrund des eigenen Standes unerreichbar gewesen wäre. Nein, mit dieser „Liebe“ wollte Brynjar Sturm-Geborener nichts zu tun haben.

Aber Brynjar hatte auch andere Bücher gelesen. Bücher, in denen von der grossen Liebe erzählt wurde. Von einer Liebe, die bedingungslos war, die durch dick und dünn ging, ja die sogar bereit war, für die geliebte Person das eigene Leben zu geben. Eine Liebe, die eine tiefe und innige Verbundenheit schuf, aus zwei Seelen eine machte, die fest zusammenhielt durch alle Irrungen und Wirrungen des Lebens, und die Bestand hatte, selbst über den Tod hinaus.

Brynjar Splitterseele besass keine Seele, die er mit einem anderen Menschen hätte teilen können. Das formlose, kalte Etwas, das in ihm wohnte, das man als Seele hätte bezeichnen können, war zerrissen, zerstört. Es war zerbrochen, seine Splitter im ganzen Körper verteilt, eine jede der tausend Scherben hatte ihren festen Platz in diesem Körper. Zwei steckten in den Nieren, eine im Magen, eine in der Milz, eine hatte es sich in der Leber, bequem gemacht, zwei in der Lunge, eine besonders grosse im Herzen. Und ja, auch die Augen waren nicht verschont geblieben, auch dort sassen zwei der frostigen Gebilde und liessen jeden, der ihm zu tief in die Augen schaute oder ihm zu nahe kam, frösteln. Liebe hatte keine Bedeutung für ihn. Was für ihn zählte, war ein voller Bauch, weiter herumkriechen, mehr gab es nicht.

Über seine weitschweifenden Gedankengänge hatte der neue Feldarbeiter gar nicht bemerkt, wie sich irgendwann das Grün und Braun der Landschaft in die verschiedensten Grautöne verwandelte, die Schwalben tiefer flogen und zum Ausklang des Tages ihr trauriges Lied anstimmten. Der schimmernde, goldene Glanz, den die im Sinken begriffene Sonne über das Land schickte, bedeutete ihm nichts. Er besass keinen Sinn für schön oder hässlich, für ihn gab es nur feindliche Natur und nicht feindliche Natur, nicht mehr und nicht weniger. Die freundliche Natur stillte seinen Hunger, die feindliche verletzte, es war ganz einfach.

Gerade ging ihm der Gedanke durch den Kopf, ob er wohl die eine Reihe der Kartoffelpflanzen noch vom Unkraut befreien sollte, da gewahrte er Schritte hinter sich und spannte sich, jederzeit auf einen Angriff gefasst. „Langsam, langsam, Kollege,“ vernahm er eine fremde Stimme hinter sich, drehte sich um und erkannte den anderen Angestellten von Pelagia, den Nord Gloth, der ihn ein wenig dümmlich angrinste. Ein leichter Hauch nach Met umgab den Mann, und er schien nicht ganz sicher auf den Beinen. „Genug gearbeitet für heute, mein Freund. Lasst uns essen gehen!“ Ohne zu antworten, liess Brynjar seine Hacke fallen, wusch sich am Brunnen die Hände und ging ins Haus, wo Pelagia und die Bosmer bereits am Tisch sassen.

„Ich hoffe, Ihr bleibt eine Weile,“ äusserte Nimriel mit einschmeichelnder Stimme. „Wir können ein zusätzliches Paar Hände hier auf dem Hof gut gebrauchen.“ Der veränderte Unterton in ihrer Stimme, der den Bauern dazu veranlasste, ungläubig von seinem Teller aufzusehen, hatte auf den Fremden keinerlei Wirkung. Er starrte teilnahmslos auf das Stück Brot, von dem er gerade ein Stück abgebissen hatte und sagte: „Ich weiss nicht, wie lange ich hierbleiben werde. Vielleicht eine Woche, vielleicht einen Monat. Wenn ich gehen möchte, dann werde ich es tun.“ Die Waldelfe zog einen Schmollmund und zuckte zurück vor dem eisigen Blick, den ihr Gegenüber ihr zuwarf. Ja, diese Kälte – sie war nicht nur in den Augen dieses Mannes präsent, der ganze Kerl schien aus nichts anderem als Kälte zu bestehen.

„Vorsicht, kleine Nimriel,“ lachte Gloth und versuchte, seine Kollegin ein wenig zu reizen. „Nicht jeder erliegt Eurem Charme so schnell wie........“ Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden, denn plötzlich packte die Bosmer einen Teller und schlug ihn dem armen Mann über den Schädel. Dieser Schädel schien jedoch aus Holz oder einem ähnlich widerstandsfähigen Material zu bestehen, denn Gloth schüttelte sich nur und lachte verschmitzt. Pelagia, der Bauer, war zwar nicht verheiratet, aber in der Stadt machten sich viele Leute über ihn lustig. In betrunkenem Zustand hatte er einmal im „Trunkenen Jägersmann“ davon erzählt, wie Nimriel versucht hatte, ihn zu verführen, und dass sie damit durchaus erfolgreich gewesen war. Natürlich war er damals auch betrunken gewesen und nicht Herr seiner Sinne, sonst hätte er sich niemals darauf eingelassen. Seit dieser Zeit herrschte zwischen dem Bauern und seiner Angestellten ein recht frostiges Klima, aber da die Elfe hier in Himmelsrand niemanden hatte, zu dem sie hätte gehen können, wollte er sie nicht fortschicken, einem ungewissen Schicksal entgegen. Das „Schäferstündchen“ war zum Glück ohne Folgen geblieben, so zogen es die beiden Beteiligten vor, über die Sache Stillschweigen zu wahren und sie so langsam, aber sicher, in Vergessenheit geraten zu lassen.

Nachdem sich die Gemüter wieder beruhigt hatten, verabschiedete sich der Kaiserliche von seinen Arbeitern, Nimriel wusch das Geschirr ab, und Gloth ging nach draussen, mit einer riesigen Decke aus dichtem Mammutfell über der Schulter. Brynjar sah ihm noch nach, der ältere Nord schloss die Tür hinter sich und begann, draussen ziemlich lautstark und ziemlich falsch, das Lied von Ragnar, dem Roten, zu intonieren. „Nimriel?“ wandte er sich an seine Mitbewohnerin. Die sah ihn nur kurz an, ihr Blick war wie in weite Ferne gerichtet „Wo schläft Gloth? In diesem Haus gibt es nur zwei Betten, und das, in dem ich heute Nacht schlafen werde, sieht aus, als sei es seit längerer Zeit nicht benutzt worden.“ „Ach, macht Euch um den alten Trottel keine Sorgen. Der hat sie nicht mehr alle. Er zieht es vor, im Freien zu schlafen, weil er Angst hat, in einem Gebäude könnte ihm des Nachts das Dach auf den Kopf fallen, oder eine Wand könnte einstürzen und ihn unter sich begraben. Ich glaube, der hat den grössten Teil seines Verstandes in Alkohol eingelegt, wo er jetzt friedlich und in aller Ruhe vor sich hinschlummert. Der wird nur dann bemüht, wenn es darum geht, morgens festzustellen, ob noch alle Hühner da sind, oder wo er hier auf dem Land noch irgendwo eine Flasche Met versteckt hat!“

„Ich habe viel zu lange fernab von den Menschen gelebt,“ überlegte Brynjar im Stillen. „Wer hätte gedacht, was für interessante Exemplare es doch gibt........“ „Und wo schläft er, wenn es regnet?“ fragte er weiter. „Habt ihr diesen riesigen, stinkenden Lumpen gesehen, den er bei sich trug? Das Ding hat ihm ein Khajiit-Händler angedreht, soll von einem Mammut stammen, warmhalten und wasserdicht sein. Er hängt an diesem Fell, wie andere an ihrem Geldbeutel, und ich frage mich manchmal nachts vor dem Einschlafen, ob er nicht vielleicht sogar mit diesem Ding redet.“ Ob nun Gloth mit seinem Mammutfell redete oder nicht, Brynjar zog sich in seinen kleinen Raum zurück, zog sich die Kleider aus und legte sich in sein Bett, wo er sofort tief und fest einschlief. Und dann kamen die Träume.

Flashback

„Nein, Herr, bitte, nicht schlagen, es war keine Absicht, bitte!“ Der schmächtige, kleine Junge, der bei dem Versuch, seinem Herrn das Frühstück zu servieren, das viel zu schwere Tablett hatte fallen lassen, versuchte, sich in einer Ecke des luxuriös eingerichteten Raumes zu verstecken und hielt sich die Hände vor das Gesicht. „Na warte, Du Bastard!“ rief der elegant gekleidete, füllige Mann und zog seinen Gürtel aus der Hose. Ohne zu zögern, ging er stampfenden Schrittes und mit einem wütenden Glitzern in den Augen auf das etwa zehnjährige Kind zu, riss ihm die Ärmchen herunter und begann, wie ein Wilder auf den kleinen Körper einzuschlagen.

Das Kind begann, zu weinen, versuchte, den Schlägen auszuweichen, so gut es konnte, bettelte um Erbarmen, aber der kräftige Mann hielt ihn an den Armen fest, prügelte wie ein Irrer weiter auf den Jungen ein. Da öffnete sich die Tür und eine ältere, gut gekleidete Dame kam ins Zimmer. „Rhobart!“ blaffte sie ihren Mann an. „Was macht diese kleine Missgeburt hier oben? Sein Platz ist unten, in der Küche, im Stall, in den Dreck gehört er. Ich will ihn hier nicht sehen!“ Sie zog den massigen Mann von dem Kind weg, griff in das dichte, rötlichen Haar, des Kleinen, riss ihn nach oben und schleifte ihn aus dem Raum hinaus. Dort verpasste sie der gequälten Kreatur einen Tritt, der den Jungen viele steinerne Stufen in die Tiefe schleuderte, wo er irgendwann, verkrümmt und ohne Bewusstsein, mit Blutergüssen und einem gebrochenen Arm, liegenblieb.

Ende Flashback

Mit einem lauten Aufschrei setzte sich Brynjar in seinem Bett auf. Sein gesamter Körper war in Schweiss gebadet. Die Dinge, die ihn umgaben, berührten ihn nicht, aber das Kind, das er einmal gewesen war, war noch immer präsent, warnte ihn davor, sich mit anderen Menschen einzulassen. Menschen waren falsch, grausam und egoistisch. Aber selbst eine gebrochene Seele konnte nicht für immer und alle Zeiten in der Wildnis überleben. Das Schicksal hatte ihn hierhergeführt, es war nicht seine Wahl gewesen. Aber er musste, musste leben. Der Grund war ihm nicht klar, und mehr als einmal hatte er sich gewünscht, niemals wieder aufzuwachen, doch selbst wenn er über längere Zeit kaum Nahrung zu sich genommen, im Gefängnis der Kaiserlichen bis fast auf die Knochen abgemagert war – er starb nicht, er starb einfach nicht. Was immer man seinem Körper antat, sein Herz schlug stets kräftig und regelmässig, als würde eine unsichtbare Wesenheit ständig darüber wachen. Brynjar gingen die Worte seines einstigen Mitgefangenen Ralof durch den Sinn. Ihm wurde bewusst, dass sein Hirn anfing, zu arbeiten, sich ernsthaft mit dem Gedanken zu beschäftigen, dass ihm vielleicht wirklich ein ganz besonderes Schicksal zugedacht war. Welches, und von wem, wusste er nicht. Aber er beschloss, am Sundas, wenn die Arbeit ab Mittag ruhte, in die Stadt zu gehen und sich ein paar Bücher anzusehen. Vielleicht fand er dort einen wie auch immer gearteten Hinweis.

An Schlaf war nicht mehr zu denken. Er warf die Decke von sich, stand auf und horchte nach irgendwelchen Geräuschen, doch bis auf die Laute einiger Tiere draussen, die scheinbar auch keinen Schlaf finden konnten, war alles ruhig. Nur mit dem Lendenschurz bekleidet, aber mit seinem Dolch bewaffnet, verliess er still das Bauernhaus und wandte sich dem Fluss zu, der nur wenige Meter entfernt an den Feldern vorbei und in Richtung Weisslauf rauschte. Die Monde beiden standen gut sichtbar am Nachthimmel und spendeten dem einsamen Spaziergänger genug Licht, um nicht zu stolpern oder sich an einem der aus dem Wasser ragenden spitzen Steine zu verletzen. Kaum hatte Brynjar eine trittsichere Stelle im schäumenden Wasser gefunden, hörte er ein merkwürdig schnarrendes Geräusch hinter sich – eine Schlammkrabbe!!!

Die Tiere waren an sich nicht gefährlich, aber ihre grossen Scheren waren messerscharf und hätten ihn beinahe einmal einen Finger gekostet. Während er sich vorsichtig und langsam von dem Tier entfernte, beschrieb sein Arm mit dem Dolch einen grossen Bogen in der Luft, und mit einem blitzschnellen, gekonnten Stich zwischen die knopfartigen Augen räumte er die nächtliche Gefahr aus dem Weg. Bevor das Schalentier ins Wasser zurückfallen und von der Strömung davongetragen werden konnte, packte Brynjar die tote Kreatur und warf sie mit weit ausholendem Arm ans Ufer. Mochten Schlammkrabben auch nicht sonderlich nett oder appetitlich aussehen, ihr Fleisch schmeckte köstlich, wenn man wusste, wie es zubereitet wurde.

In diesem Moment erschien in einem der Fenster des Hauses ein Kopf, der das Geschehen draussen aufmerksam beobachtete. Nimriel war von Brynjars Schrei wachgeworden, aus Angst aber in ihrem Bett geblieben. Doch als sie die Tür sich öffnen und wieder schliessen gehört hatte, gewann ihre Neugierde die Oberhand. Sie ging nach unten, stellte fest, dass ihr Mitbewohner nicht in seinem Bett lag und sah nach draussen. Sie gab einen Seufzer von sich. Ihr gefiel, was sie sah. Der seltsame, stille Nord, der auf ihren Hof gekommen war, hatte eine gute Figur, kräftige Arme und Beine, halblanges, rötlich schimmerndes Haar und eine schmale Taille, die kaum vermuten liess, welche Kraft in diesem Körper steckte. Ein recht ansehnlicher Bursche, sinnierte Nimriel vor sich hin, aber dann......diese Augen.....wenn Brynjar sie ansah, was eher selten der Fall war, war es ihr, als sässen kleine Eiskristalle in diesem Schädel. Sie hatte einmal jemanden sagen hören, die Augen seien der Spegel der Seele, und ging man nach dieser alten Weisheit, dann besass dieser Mann keine Seele. Sein Blick war stets leer und bar jeglicher Emotionen. Gut aussehend oder nicht, der Fremde war ihr unheimlich. Sie sah ihm wohl noch eine Weile zu, wie er sich den erhitzten Körper abwusch, doch dann fröstelte ihr plötzlich und sie schüttelte sich. Sie zog sich die Decke enger um die Schultern und ging in ihr Bett zurück.

Rainbowdemon
20.07.2013, 21:59
Kapitel 04 – Begegnung mit Folgen


Die Monate gingen ins Land, auf das Frühjahr folgte der Sommer, auf den Sommer der Herbst, wo es auf dem Hof von Pelagia besonders viel zu tun gab. Brynjar kümmerte sich um die Kartoffeln, um den Kohl und um alles andere, was der Bauer ihm auftrug. Es gab nicht viel, was das alltägliche Einerlei störte, ausser den regelmässigen, verzweifelten Annäherungs-Versuchen der Waldelfe. Wann immer sie sich ihm nachts näherte, wies er sie ab, und bei jedem Mal wurde sein Ton schärfer. Warum begriff diese Frau einfach nicht, dass er, Brynjar Sturm-Geborener, kein Mann war, den man mit normalen Masstäben messen konnte? Das Leben bei Pelagia war recht angenehm, die harte Arbeit machte ihm nichts aus, aber die Zudringlichkeit dieser Frau wurde ihm so nach und nach zur Qual, und immer öfter ertappte er sich dabei, wie er darüber nachdachte, weiterzuziehen.

Es war ein Turdas, als er, erschöpft, und vom Regen durchnässt, aus der Stadt zurückkehrte, wo er einige Geschäfte mit frischem Gemüse beliefert hatte. Die Händler murrten über die immer weiter ansteigenden Preise, aber in den letzten vier Wochen waren sie dreimal von Banditen angegriffen worden, die irgendwo in der Nähe ihren Unterschlupf haben mussten. Bisher hatten die drei Männer das Gesindel immer wieder vertreiben können, aber trotzdem hatten die Banditen viel gestohlen und weggeschleppt, und das Schlimmste war, sie hatten viel von dem guten, fruchtbaren Boden verwüstet. Brynjar selbst war dabei am Unterarm verletzt worden und trug nun einen Verband, aber Schmerzen waren seit frühester Kindheit ein fester Bestandteil seines Lebens, sie kümmerten ihn nicht oder behinderten ihn bei seiner Arbeit. Pelagia sah seinem mysteriösen Angestellten oftmals entgeistert dabei zu, wie er selbst schwerste Lasten schulterte, ohne auf den verletzten Arm zu achten. Er schien die Schmerzen, die ihm die noch frische Wunde verursachen musste, nicht zu spüren, denn nie verzog er seine Miene. Sein ernstes Gesicht zeigte stets den selben, stoischen, gleichgültigen Ausdruck eines Mannes, dem alles gleich war, und für den nichts eine Bedeutung hatte.

Für die Tiere sorgte Brynjar stets mit Hingabe. Die meisten der Vierbeiner auf dem Land arbeiteten fast ebenso schwer wie er selbst, und er achtete ihre Mühen und ihre Bedürfnisse. Nachdem er ihr das Geschirr für den Karren abgenommen hatte, brachte er die braune Stute in den Stall, rieb sie sorgfältig ab, stellte ihr frisches Wasser hin und füllte ihre Traufe mit frischem Heu. Das treue Tier rieb aus Dankbarkeit seine Nase an der behaarten Wange des Menschen, und ein scheues Lächeln breitete sich auf dem harten, ernsten Gesicht des Mannes aus. Tiere waren die besseren Menschen, überlegte er. Sie waren nicht falsch, egoistisch, oder grausam. Sie zeigten Zuneigung, als auch Abneigung vollkommen unbefangen, ganz gleich, welche Konsequenzen es haben mochte. Schliesslich zog er einen schönen, roten Apfel aus der Hosentasche, den er bei der Händlerin Carlotta extra für die Stute gekauft hatte, schnitt ihn in zwei Hälften und legte eine nach der anderen auf die ausgestreckte, flache Handfläche. Mit einem tiefen Gefühl von Zufriedenheit beobachtete er, wie das Tier das saftige Obst ganz vorsichtig mit den Zähnen aufnahm, um dem freundlichen Menschen nicht weh zu tun. Nach einem letzten, freundschaftlichen Klaps auf den Hals der Stute verliess er den Stall, um sich seiner nassen Kleider zu entledigen.

Kaum hatte er das kleine Farmhaus betreten, witterte das gejagte Tier in ihm fremde Menschen, fremde Gerüche, und instinktiv spannte er sich, bereit, auf jedwede Gefahr zu reagieren. Zwei fremde Männer sassen am Tisch und hielten jeder eine Flasche Met in den Händen. Pelagia unterhielt sich aufgeregt mit ihnen, die Lautstärke, in der das Gespräch geführt wurde, informierte den durchnässten Mann, der soeben eingetreten war, über den Grund ihres Hierseins, die Banditen. Er sah, wie sich einer der Männer, der sehr viel kräftiger aussah als sein Begleiter, nach ihm umdrehte und ihn anlächelte. Er trug eine Art Kriegsbemalung, wie sie viele Nord in Himmelsrand trugen, und sie flösste Brynjar Schauder ein. Die Augen waren rund um die wasserblauen Pupillen herum geschwärzt, sodass sie einen fast gespenstischen Anblick boten. Das Lächeln jedoch, das ihm der Fremde zuwarf, wirkte freundlich und warm.

„Das ist einer meiner Landarbeiter, er ist erst seit Kurzem hier, aber er ist tüchtig, und ich bin sehr zufrieden mit ihm. Beim letzten Überfall der Banditen hat er sich wacker geschlagen, um den Hof zu verteidigen und wurde verletzt. Ihr seid ja völlig durchnässt, mein Freund! Geht Euch erst einmal umziehen, bevor Ihr Euch eine Erkältung holt!!“

Brynjar nickte und zog sich in sein Zimmerchen zurück, schälte die muffig-feuchten Kleider vom Körper und wusch sich sorgfältig ab. Nachdem er ein frisches Hemd und eine saubere Hose übergestreift hatte, ging er wieder nach draussen, um seinem Arbeitgeber Bericht zu erstatten. Die beiden Fremden waren noch da und musterten ihn neugierig, als er sich an der Kopfseite, gegenüber von Pelagia, am Tisch niederliess. Ohne ein Wort zu verlieren, aber mit einer Geste, die Ärger, ja Wut ausdrückte, stellte die Elfe mit einem regelrechten Knall eine Schüssel mit Eintopf vor ihm hin. Gerade noch rechtzeitig konnte Brynjar der aufspritzenden Masse ausweichen, die sein frisches Hemd verschmutzt hätte. Dann warf sie ein Stück Brot nach ihm, das er gelassen, aber geschickt, auffing und schweigend neben die Schüssel legte. Er warf der unverschämten Köchin einen bösen Blick zu, machte sich dann aber gierig über die warme Mahlzeit her. Als er jedoch den ersten Löffel in den Mund schob, verdrehte er plötzlich die Augen, begann, zu würgen und spuckte die Nahrung wieder zurück in den Behälter. Schockiert sahen ihn die drei Männer an. Pelagia hatte das Geschehen mit wachsendem Entsetzen beobachtet. Was, in aller Welt ging hier vor? Was sollten denn seine Gäste von ihm denken, wenn sich seine Arbeiter dermassen unzivilisiert verhielten? Ohne ein Wort zu sagen, stand Brynjar auf, ging auf Nimriel zu und packte sie unsanft am Arm. „Vielen Dank für die Extra-Prise Salz, mit der Ihr mein Essen verfeinert habt und für das trockene Brot, das wäre wirklich nicht nötig gewesen! Auch wenn es Euch nicht gefällt, Elfe - ich will Euch nicht, und ich hasse es, wenn Ihr des Nachts in meine Kammer schleicht. Mir aber mein wohlverdientes Mahl zu versalzen, zeugt von einer Unreife, die ich bei einer Frau Eures Alters nicht erwartet hätte!“

Die Elfe wich zurück, wurde blass wie ein Leichentuch und lief schliesslich ohne ein Wort die Stiege hinauf in ihr Zimmer. Brynjar setzte sich wieder an den Tisch, nachdem er sich ein Stück Käse aus der Speisekammer geholt hatte und begann, lustlos daran herumzukauen. Pelagia hatte die Szene mit wachsendem Entsetzen verfolgt und blickte der flüchtenden Frau mit offenstehendem Munde nach. Es schien ihn einige Anstrengung zu kosten, vorerst nicht auf die Angelegenheit einzugehen, denn er wandte sich zunächst wieder an seine Gäste, aber er war aufgebracht und atmete schwer. „Ich habe die Gefährten angeheuert, Brynjar. Sie sind erfahrene Kämpfer, und sie werden uns die Plage aus den Bergen vom Halse schaffen, gegen gutes Geld natürlich." Natürlich, überlegte Bryn, wer tat heutzutage schon etwas für jemanden, ohne sich nicht auch dafür bezahlen zu lassen. Sogar die Priester in den Tempeln erwarteten eine Spende, wenn man sich dort einen Segen oder Trost holte. Auch wenn er nicht zu diesen Verblendeten, wie er die Gläubigen nannte, gehörte, so ging er doch offenen Auges durch sein Leben.

„Mein Name ist Farkas,“ meldete sich einer der Besucher zu Wort, „und dies hier ist mein Bruder Vilkas. Wir werden uns um Euer Problem kümmern. Ihr seid Brynjar? Woher kommt Ihr?“ Auch wenn er freundlich angesprochen worden war, so beabsichtigte Brynjar nicht, sich irgendjemandem zu öffnen, so hielt er sich kurz und antwortete: „Aus Helgen.“ „Aus Helgen?“ rief der andere Nord erstaunt. „Aber Helgen ist zerstört! Wie lange seid Ihr hier? Sechs Monate? Das würde passen, dann wart Ihr bei dem Angriff des Drachen dabei?“ „Ja,“ war alles, was Vilkas zur Antwort bekam, und schliesslich besann er sich auf das, weshalb er hergekommen war. „Nun, Bauer, wir wissen nicht, mit wievielen Leuten wir es dort oben zu tun bekommen werden. Wir werden aus Jorrvaskr noch einen oder zwei Männer holen, dann sehen wir uns dieses Dreckloch einmal an, wo die Kerle hausen.“

Er stand auf, um das Haus zu verlassen, und als sich auch der andere Krieger erhob, konnte man sehr gut sehen, welchen Kontrast diese beiden Männer bildeten. Auch wenn ihre Gesichter geschminkt waren, so war doch unverkennbar eine grosse Ähnlichkeit zwischen ihnen zu erkennen. Ob es sich hier gar um Zwillingsbrüder handelte? Derjenige, der sich als Farkas vorgestellt hatte, war ein Kraftpaket, wie Brynjar selten eines gesehen hatte, doch waren seine Bewegungen geschmeidig und elegant. Der andere Nord, Vilkas, war sehr viel schmächtiger und trug sein Haar kürzer. Während der Schmalere bereits auf die Tür zuging, blieb Farkas noch einen Moment neben Brynjar stehen. „Ich habe gehört, dass Ihr tapfer gekämpft habt, um dieses Land zu verteidigen, und Ihr sehr kräftig aus. Kommt zu uns nach Jorrvaskr und werdet ein Schildbruder. Wir können gute Leute immer gebrauchen, und wir zahlen gut.“ Wieder dieses Lächeln, das Brynjar faszinierte, aber auch irritierte. Der einzige Mensch, der ihn einmal angelächelt hatte, war seine Mutter gewesen, seine Mutter, die er als ganz kleiner Junge schon verloren hatte. Seither war sein Leben Einsamkeit und Schmerz gewesen. „Ich werde darüber nachdenken,“ antwortete er, nickte zum Gruss und sah den beiden Männern nach, wie sie das Haus verliessen.

"So, Brynjar, kommt, ich wollte dieses peinliche Thema nicht vor fremden Menschen besprechen. Aber was, um Talos Willen, ist da vorgefallen zwischen Euch und Nimriel?“ Der rothaarige Nord zuckte mit den Achseln. "Nun - gar nichts ist vorgefallen, und ich vermute, dass genau das ihr Problem ist. Immer wieder schleicht sie sich nachts in meine Kammer und versucht, in mein Bett zu klettern, um mich zu verführen. Ich habe ihr wie oft gesagt, dass ich nicht interessiert bin und habe sie weggeschickt. Aber sie versucht es immer wieder, beim letzten Mal, das ist jetzt…….drei Tage her, war sie sogar nackt!!!
Das versalzene Essen sollte wohl so etwas wie einen Racheakt darstellen.“ Ausser sich vor Wut, liess Pelagia seine Faust auf den Tisch knallen. „Das ist ja unerhört! Ich werde mit der Dame sprechen! In Anbetracht des ganzen Ärgers beim Essen nehmt Euch für den Rest des Tages frei. Ich habe gesehen, dass Ihr Eure freie Zeit recht gerne mit Büchern verbringt.“

Nachdem er seinem Arbeitgeber das Geld für die verkauften Waren ausgehändigt hatte, zog sich Brynjar in sein Zimmer zurück und nahm sich ein Buch zur Hand. Er hörte noch, wie Pelagia in zornigem Ton nach Nimriel rief, doch dann wurden die Stimmen leiser, und man konnte hören, wie die Tür des Hauses sich öffnete und wieder schloss.

Der genervte Bauer stapfte wütend ein paar Schritte vom Haus weg in Richtung des Waldes, es war ihm unangenehm, dieses Gespräch führen zu müssen, aber die Elfe war zu einer echten Pest geworden. Schliesslich blieb er stehen und liess sich müde auf einen Baumstumpf fallen. „Sag mal, Nimriel, was denkst Du Dir eigentlich? Seit Jahren habe ich mal einen Arbeiter, der verlässlich und fleissig ist, da fängst Du an, ihm nachzulaufen und ihn zu belästigen? Du solltest froh sein, dass er hier ist und uns viel von der schweren Arbeit abnimmt! Gloth ist schliesslich auch nicht mehr der Jüngste“. „Ich bin ja froh, dass er hier ist,“ begehrte die Frau trotzig auf. „Ja, ich weiss,“ bemerkte Pelagia mit einer Grimasse. „Hör auf damit, ich warne Dich. Du weisst, dass ich Dich nur aus Gutmütigkeit nicht wegschicke, aber nutze meine Geduld nicht noch weiter aus.“ „Aber, Bauer, was soll ich denn machen? Ich bin nicht mehr die Jüngste, wie soll ich denn an einen Mann kommen?“ „Jedenfalls nicht, indem Du sämtliche Männer in der Umgebung zu verführen versuchst. Es hat bei mir nicht geklappt und auch beim alten Gloth nicht. Warum ziehst Du Dir nicht am Sundas ein hübsches Kleid an, wir fahren alle zusammen in die Stadt, und während die Männer bei Hulda einen Schoppen trinken, suchst Du Dir einen…….netten Ork? Ich habe gehört, die Orks sind bezüglich der Auswahl ihrer Gefährtinnen nicht besonders…….wählerisch.“

Ein schadenfrohes Grinsen war mit einemmal auf Pelagias Gesicht gepflastert, es hatte ihm wohl getan, der frechen Elfe Paroli geboten zu haben. Wie oft hatte er sie gewarnt, die Männer in Frieden zu lassen und sich mehr auf ihre Pflichten zu konzentrieren. Ausser Kochen machte sie auf dem Hof nicht viel, und das, was sie den schwer arbeitenden Männern vorsetzte, war auch nicht immer dazu geeignet, ein zufriedenes Lächeln auf ihre Gesichter zu zaubern. Pelagia selbst zog es jedenfalls vor, zu Mittag nur eine Kleinigkeit aus der „Kalten Küche“ zu sich zu nehmen, um dann abends in der Stadt bei Elrindir eine deftige, warme Mahlzeit zu sich zu nehmen. Der „Neue“, wie er Brynjar noch immer nannte, schien in dieser Hinsicht genügsamer zu sein, denn ausser den Gelegenheiten, wo er die Händler in der Stadt belieferte, verliess er das Grundstück nur zum Baden im Fluss.

Die Elfe war bei der Erwähnung eines Orks als einem potentiellen Partner puterrot geworden. Sie mochte diese Rasse nicht und fürchtete sich vor den grossen, stämmigen Männern mit den spitzen Hauern im Gesicht. Ihr ein solches Monstrum als Mann vorzuschlagen war……war…..sie kochte vor Wut, als sie den Bauern sitzenliess und zum Haus zurückging.

Die Belästigungen seitens der einzigen Frau auf dem Hof hörten auf, doch Brynjar fühlte sich nicht mehr wohl dort, er wollte fort. Es würde eine Reise ins Ungewisse, er hatte nichts und kannte niemanden. Nun, das war wohl nicht so ganz richtig, er kannte zwei der berühmten Gefährten aus Weisslauf, einem losen Verbund von Kriegern, die als Söldner arbeiteten und scheinbar jedermanns Probleme gegen bare Münze lösen konnten. Die riesigen Zweihänder, die beide Männer auf dem Rücken trugen, hatten ihm ungeheuer imponiert, und insgeheim wünschte sich der Landarbeiter, mit einer solchen Waffe umgehen zu können. Ob er Farkas Einladung annehmen und sich den Gefährten anschliessen sollte? Doch er verwarf den Gedanken, so schnell, wie er gekommen war. Er würde sich nur von einer in die andere Abhängigkeit begeben.

Zwei Tage später meldeten sich Farkas und Vilkas zurück, berichteten dem Bauern, dass sein Problem gelöst sei und kassierten dafür 200 Septime ein. Als Vilkas auf dem Feld an ihm vorbeiging, würdigte ihn dieser keines Blickes, aber Farkas hatte wieder dieses undefinierbare, warmherzige Lächeln auf den Lippen. Bryn fühlte sich befangen von dieser ständig zur Schau getragenen Freundlichkeit und senkte scheu seinen Blick.

Nur einen Tag später fiel endlich die Entscheidung. Brynjar hielt sich in Weisslauf auf, er lieferte ein paar Kisten mit Gemüse an den Elfen Elrindir aus, der gemeinsam mit seinem Bruder Anoriath den Laden „Zum Trunkenen Jägersmann“ betrieb. Der Bosmer verkaufte dort aber nicht nur Jagd-Ausrüstung, sondern betrieb auch ein kleines Lokal nebenbei, das von allen Stadtbewohnern gern und oft besucht wurde, da es hier wesentlich gemütlicher und ruhiger zuging als in der Schenke der Stadt, der „Beflaggten Mähre“, wo kaum ein Tag verging, ohne, dass es zu einer Schlägerei unter Betrunkenen kam.

Als er die Stufen zur Strasse wieder hinabstieg, fiel ihm der freundliche Nord von den Gefährten ein, der Kräftigere der beiden, Farkas. Für den kommenden Sundas hatte der Bauer für alle, die auf seinem Hof arbeiteten, einen freien Tag angekündigt, wo jeder machen könne, was er wolle. Und er hatte gleichzeitig angekündigt, dass er jeden seiner Arbeiter, der den Wunsch habe, mit in die Stadt nehmen würde, da auch Nimriel dort etwas zu erledigen habe.

Brynjar wollte fort, und Weisslauf war so gut wie jede andere Stadt, um ein Leben fern dieser aufdringlichen Elfe zu führen. Er beschloss, sich dem kleinen Trupp anzuschliessen und sass am Morgen des darauffolgenden Sundas neben dem Bauern auf dem Kutschbock, er zog es vor, so viel Abstand wie möglich zwischen sich selbst und der Bosmer zu halten. Nimriel sass hinten, mit dem alten Gloth zusammen. Sie hatte sich ihr bestes Kleid angezogen und ihre Haare hübsch frisiert, was den alten Knecht, der scheinbar immer halbwegs im Delirium war, zu der Vermutung veranlasste, ob die kleine Frau auf Brautschau ginge. Die Elfe schien seit dem Gespräch mit Pelagia hochgradig empfindlich und nervös zu sein und versetzte dem alten Mann eine schallende Ohrfeige, was diesen wiederum zu einem brüllenden Lachen veranlasste. In Weisslauf trennte sich die kleine Gruppe. Pelagia ging in seine Stammkneipe zu Elrindir, Gloth zur „Beflaggten Mähre“, die auch Nimriels Ziel war. Die dunkelhäutige Bedienung dort, Saadia, war eine Freundin von ihr.

Brynjar hatte in der vergangenen Nacht eine Idee ausgebrütet. Er wollte zu den Gefährten gehen und dort nachfragen, ob er für einen begrenzten Zeitraum Unterricht im zweihändigen Kampf erhalten konnte. Er war sich über seine mangelnden Fähigkeiten im Schwertkampf vollkommen bewusst. War es göttliche Fügung oder ein Winkelzug des Schcksals, das ihn unbedingt am Leben erhalten wollte, er wusste es nicht, und er wollte es auch gar nicht wissen. Was er jedoch ganz genau wusste, war die Tatsache, dass Himmelsrand ein gefährliches Land war, und ganz gleich, wo es ihn hin verschlagen mochte, ohne wenigstens eine Waffenart gut zu beherrschen, würde er nicht weit kommen. Pfeil und Bogen schloss er von Vorneherein aus, Fernkampf war etwas für Schwächlinge, die es vorzogen, ihre Gegner aus sicherer Entfernung anzugreifen. War Brynjar Sturm-Geborener auch kein Krieger in dem Sinne wie vielleicht die Gefährten, so war er doch durch und durch ein wahrer Nord, der es vorzog, seinem Feind Auge in Auge gegenüber zu treten und sein Blut zu sehen. Die schweren Waffen, die er bei Farkas und Vilkas gesehen hatte, hatten ihn in ihren Bann gezogen, ein so imposantes Schwert wollte er beherrschen lernen, egal, wie lange es dauern mochte.

Rainbowdemon
20.07.2013, 22:00
Kapitel 05 – Farkas


Nachdem vereinbart worden war, sich bei Sonnenuntergang am Brunnen auf dem Marktplatz zu treffen, ging jeder seines Weges, und Brynjar fragte Anoriath, den Bruder von Elrindir, wo er die Gefährten finden konnte. Der freundliche Bosmer wies ihm den Weg zum Windbezirk, sozusagen, der zweiten von drei Etagen, die das Städtchen Weisslauf bildeten. Noch weiter oben, der Bereich mit dem Palast des Jarl, der Drachenfeste, das war der Wolkenbezirk, und der Name passte ausgezeichnet. Von vielen Gegenden und Standorten rund um den Bezirk Weisslauf herum konnte man in der Ferne die hoch über der Stadt thronende Festung ausmachen.

Brynjar eilte die Treppe hinauf, die in den Windbezirk führte. Hier befanden sich, neben der Methalle der Söldner, noch der Tempel der Göttin Kynareth und die Wohnhäuser der wohlhabenderen Bürger der Stadt. Jorrvaskr war nicht zu übersehen - ein beeindruckender, in einem riesigen Oval errichteter Bau aus Holzbalken, mit Schilden und schönen Schnitzereien geschmückt. Ein imposanter Bau, der sich an Grossartigkeit, als auch durch Einzigartigkeit nicht hinter der Drachenfeste zu verstecken brauchte. Man erzählte sich, dass dieses Gebäude das älteste von ganz Weisslauf sei, und dass die Stadt praktisch darum herum errichtet worden war.

Gemessenen Schrittes stieg Brynjar die breite Treppe hinauf, die zum Eingang des Gebäudes mit den beiden Türen führte und ging kurzentschlossen hinein. Im Inneren herrschte diffuses Dunkel, denn es fiel kaum Tageslicht in die grosse Halle. Doch standen überall zahllose Kerzen, die die mit Wandteppichen, Fahnen und Wimpeln geschmückten Wände majestätisch zur Geltung brachten. Mehrere Tische, in einer Art U-Form um ein grosses, rotglühendes Kohlebecken angeordnet, bot mindestens zehn Menschen Platz, und das prasselnde Feuer verbreitete eine wohlige, anheimelnde Atmosphäre. Die Halle war leer, und da er sich als Fremder nicht erlauben wollte, weiter in das Haus vorzudringen, setzte sich Brynjar auf eine der vielen Bänke, die rundherum an den Wänden standen und sah sich weiter um.

Der grosse Raum wirkte in keiner Weise leer auf den Besucher, auch wenn keiner der Bewohner anwesend schien. Die Tische waren mit Speisen beladen, abseits der grossen Tafel waren überall kleine Sitzecken eingerichtet, auch dort fanden sich Sahnetörtchen, Honig-Nuss-Schnitten und andere Leckereien. Und, in einer Gegend wie Himmelsrand unverzichtbar, fanden sich überall Flaschen mit Met, auch an Wein herrschte kein Mangel. Schliesslich wurde er durch Schritte aus seinen Überlegungen herausgerissen. Genau gegenüber der Eingangstüren gab es eine weitere dieser doppelten Flügeltüren, die sich plötzlich öffneten und zwei Frauen eintreten liessen, die einen seltsamen Eindruck auf den Gast machten. Eine von ihnen trug einen Helm, hier, mitten in ihrem Zuhause, denn dass sie hier zu Hause war, daran gab es keinen Zweifel, verhielt sie sich doch frei und ungezwungen. Die Andere versetzte Brynjar fast einen Schreck. Auch sie trug, ähnlich wie die Gefährten, die er bereits kannte, eine Art Kriegsbemalung, jedoch eine, die ihm von Beginn an Abscheu einflösste. Quer über ihr Gesicht schien eine Raubkatze ihre Pranke gezogen zu haben, ein abscheulicher Anblick. Der Gast schauderte.

Als sie des Fremdlings gewahr wurde, ging die Frau schnurstracks auf ihn zu, musterte ihn wortlos von oben bis unten und sah ihn dann geringschätzig an. „Guten Tag, die Damen. Mein Name ist Brynjar Sturm-Geborener, und ich suche den Gefährten Farkas. Könnt Ihr mir sagen, wo er sich gerade aufhält?“ Die Rothaarige würdigte ihn keiner Antwort, trat wieder einen Schritt zurück und sprach dann leise auf ihre Begleiterin ein, um anschliessend ihre abschätzige Haltung dem Fremden gegenüber wieder einzunehmen. Auch, wenn er hier fremd war, ein solcher Empfang kam einer Beleidigung gleich. „Wenn Ihr gütigst mit der Musterung meiner Person zum Ende kommen wollt, so verratet mir doch bitte, wo ich ihn finden kann.“ „Impertinenz steht einem Bittsteller wie Euch kaum zu, Sturm-Geborener, und sie verleitet mich nicht gerade dazu, Eurem Anliegen zu entsprechen,“ antwortete die Frau hochmütig. „Ich bin kein Bittsteller, sondern brauche eine Auskunft, und meine Impertinenz, wie Ihr mein Auftreten zu bezeichnen geneigt seid, wird um ein Vielfaches von der Euren übertroffen, denn Ihr habt es nicht einmal für notwendig befunden, einem Gast den kleinsten Akt an Höflichkeit zu zollen und mir Euren Namen zu nennen.“ Das Gesicht unter der hässlichen Raubtierpranke wurde rot vor Wut, aber das sah der Fragesteller nicht mehr, denn er hatte sich bereits an die andere Frau gewandt. „Dürfte ich also Euch meine Frage stellen, meine Dame?“ Die Angesprochene kicherte. „Hmm, oh…ja…..natürlich, selbstverständlich. Mein Name ist Njada Stein-Arm, und Ihr könnt Farkas draussen im Hof finden, er trainiert gerade mit seinem Bruder.“ Brynjar deutete eine höfliche Verbeugung an, um sich zu bedanken und verliess dann die Halle durch die Tür, durch die soeben die beiden Frauen eingetreten waren.

„Wie könnt Ihr Euch anmassen, diesem frechen Kerl gegenüber meine Anwesenheit einfach zu ignorieren und so freundlich zu ihm zu sein, Frischling?“ „Nein, Aela,“ antwortete die kleinere der beiden Frauen, "Ihr wart unhöflich ihm gegenüber. Er hat ganz freundlich nach Farkas gefragt, und Ihr hattet nichts als Hohn und Spott für ihn. Ich wundere mich nur, dass er so gleichgültig darauf reagiert hat. Wir sind Eure……Eigenarten mittlerweile gewöhnt und wissen, wie wir damit umgehen müssen, aber einem Fremden gegenüber kommt Eure Überheblichkeit nicht gut an, und das ist nicht unbedingt ein Aushängeschild für die Gefährten.“ „Was wisst Ihr denn schon, Rekrut?“ fuhr Aela die jüngere Frau an. „Die Leute bezahlen uns, damit wir ihre Problemem lösen, und nicht, um gepflegte Konversation zu machen!“ Sprach's und lief davon, nach unten, in die Quartiere der Gefährten.

Nachdem Brynjar auf den Hof hinausgetreten war, hörte er sofort das metallische Klirren von Metall auf Metall. Zwischen dem Ausgang und dem eigentlichen Hof, der offenbar als Trainingsplatz genutzt wurde, war eine kleine Terrasse eingerichtet. Auch hier gab es Tische, die mit allerlei Essbarem und Weinflaschen ausgestattet waren, und man konnte hier jederzeit ein schattiges Plätzchen finden. Ohne die beiden Männer zu stören, setzte sich der Ankömmling auf einen der Stühle und beobachtete die Krieger voller Neugierde und Faszination.

Während des Kampfes trat der Unterschied zwischen den Brüdern noch deutlicher zutage. Vilkas war ohne Zweifel der Beweglichere und Geschicktere von den Beiden. Er wich nahezu jedem Schlag seines Bruders aus und tänzelte elegant um diesen herum. Farkas hingegen schien fast doppelt so schwer, Muskeln zeigten sich an fast jeder Stelle seines kraftvollen Körpers. Wann immer sein Schwert den Schild seines Gegners oder gar den Boden berührte, sprühten Funken durch die Luft, und als er schliesslich den Bruder traf, war sein Schlag mit einer solchen Wucht geführt worden, dass Vilkas der Schild aus der Hand geschleudert wurde und mit einem lauten Scheppern zu Boden fiel. Vilkas selbst wankte von dem mörderischen Hieb, versuchte, sein Gleichgewicht wiederzufinden und fluchte wie ein Rohrspatz. Was Farkas an Beweglichkeit fehlte, machte er durch seine fast übermenschliche Kraft locker wieder wett. Wo dieser Mann im Ernstfall hinschlug, würde kein echter Gegner sich jemals wieder erheben.

Zuerst lachte Farkas, es war ein tiefes Brummen, jedoch voller Wärme und Zuneigung. Als er jedoch bemerkte, dass Vilkas Probleme damit hatte, auf den Beinen zu bleiben, steckte er sofort seine Waffe weg und lief auf seinen Bruder zu. Voller Sorge packte er ihn an der Schulter und hielt ihn fest, doch der sture Zwilling setzte eine beleidigte Miene auf und machte sich grummelnd von Farkas los. Es schien ihm nicht zu gefallen, diesen Kampf verloren zu haben, auch wenn es sich nur um eine Trainingsstunde gehandelt hatte. Ohne ein Wort wandte er sich dem Haus zu und stapfte von dannen.

Zurück blieb ein zerknirscht wirkender Krieger, der seinem Bruder traurig nachblickte und sich dann, ein ganzes Stück weiter weg vom Haus, im Schneidersitz auf den Boden sinken liess. Brynjar zögerte zuerst, den Gefährten in einem so gefühlsbetonten Moment zu stören und blieb still an seinem Platz sitzen, beobachtete dabei aber jede Bewegung, die Farkas erkennen liess. Es schien eine ganze Weile zu dauern, bis sich der Krieger wieder gesammelt hatte, und der Gast hatte sich erlaubt, sich einen Becher Met einzuschenken und ein Stück Brot mit Käse zu essen. Die Sonne war bereits ein ganzes Stück weitergewandert, als sich Farkas endlich wieder erhob und auf das Gebäude zuging.

Das war das Zeichen, auf das Brynjar gewartet hatte. Geduldig wartete er ab, bis der Krieger sich ihm genähert hatte und stand dann auf. „Guten Tag, Farkas, erinnert Ihr Euch an mich? Wir haben uns auf dem Hof des Bauern Pelagia kennengelernt.“ „Oh ja,“ erwiderte der Gefährte und lächelte, als er den Fremden erkannte. „Ich erinnere mich an Euch, der fleissige Landarbeiter. Was führt Euch zu uns? Habt Ihr Euch mein Angebot durch den Kopf gehen lassen? Kommt, setzt Euch wieder und trinkt einen Becher Met mit mir.“ Selten hatte Brynjar einen so freundlichen und zugänglichen Menschen kennengelernt, und die Aussicht, eine Zeitlang unter diesem Dach zu verbringen, verbreitete ein wohliges Gefühl in seinem Inneren.

„Nun, Farkas, um ganz ehrlich zu sein, ich möchte mich jetzt noch keiner bestimmten Gruppierung anschliessen, was nicht heisst, dass ich mich nicht vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt dafür entschliessen könnte. Aber mein heutiger Besuch bei Euch hat einen anderen Grund. Ich möchte weg von Pelagia, es ist an der Zeit für mich, weiterzuziehen. Die grossen Schwerter, die Ihr und Euer Bruder benutzen, haben mich sehr beeindruckt, und mein Entschluss hat sich jetzt und hier, wo ich das Vergügen hatte, Euch im Kampf zu beobachten, nur noch bestärkt. Ich würde gerne für eine Weile hierbleiben und den Kampf mit dem zweihändigen Schwert erlernen, ich zahle selbstverständlich dafür.“

Farkas neigte den Kopf zur Seite, sah den Besucher an und schien einen Moment lang in Gedanken versunken. „Ein solches Ansinnen ist uns, meines Wissens nach, noch nie vorgetragen worden. Die Leute, die zu uns kommen, wollen Gefährten werden und bei uns bleiben. Bedeutet das, dass Ihr nur für einen begrenzten Zeitraum hierbleiben wollt?“ „Ja, das heisst es. Wenigstens so lange, bis ich einigermassen mit dieser Waffe umgehen kann. Bis ich sie so perfekt beherrsche, wie Ihr das tut, brauche ich sicher Jahre!“ Nun lächelte Farkas wieder. „Das ist wahr, es braucht jahrelanges Training, um so geschickt damit umgehen zu können, damit Ihr mit nur einem einzigen Schlag Euren Gegner enthaupten könnt!“ Diese kühne Behauptung wurde von einem lauten, fröhlichen Lachen des Kriegers begleitet, der genau zu wissen schien, wovon er sprach. Brynjar zweifelte keine Sekunde daran, dass Farkas in seinem Leben schon viele Köpfe hatte rollen sehen, und plötzlich wurde ihm schmerzhaft bewusst, dass sein eigener Kopf vor nicht allzu langer Zeit ebenfalls in der gleichen Gefahr geschwebt hatte, wenn auch unter anderen Voraussetzungen.

„Ich selbst würde Euch Eure Bitte gerne gewähren, doch das steht mir nicht zu. Ihr solltet mit Kodlak, unserem Herold, reden. Er ist nicht direkt ein Anführer, aber eine Art Berater für die Gefährten, und ich für meine Person sehe sogar eine Art Vater-Ersatz in ihm. Als Vilkas und ich als Kinder hierherkamen, war Kodlak schon alt.“ Nun lachte Farkas, laut und dröhnend, fasste sich aber schnell wieder. „Versteht mich bitte nicht falsch, Brynjar, wir alle lieben den alten Mann. Aber bereits damals trug er diesen langen, struppigen Bart, ich habe nie etwas anderes in ihm gesehen, als einen liebenswerten, alten Mann, bis heute.“ „Ihr müsst Euch vor mir nicht rechtfertigen, Farkas. Ich bin sicher, dass Ihr ihm den Respekt entgegenbringt, der ihm gebührt. Wann, glaubt Ihr, können wir zu ihm gehen?“

Farkas überlegte kurz und erhob sich dann. „Er wird um diese Zeit unten in den Quartieren sein und lesen. Kommt, jetzt ist genauso gut, wie später.“ Auch der Gast stand auf, sah sich kurz um und folgte dann dem Gefährten nach unten, in die Wohnräume der Krieger.

Nachdem sie eine weitere Tür hinter sich gelassen hatten, fanden sich die beiden Männer in einem langen Gang wieder. Langsamen, aber sicheren Schrittes, hier, in seinem Zuhause, ging Farkas den gemusterten Teppich entlang und redete und redete. Brynjar hörte ihm zu und bestaunte die üppige Ausstattung. Tische, Schränke und Kommoden zu beiden Seiten des Ganges sprachen von einem gewissen Wohlstand, auch hier fanden sich Speisen und Getränke im Überfluss. „Ich würde mich freuen, wenn Ihr eine Weile hier bleiben würdet, Brynjar. Es ist schön, einmal ein neues Gesicht zu sehen, eine andere Stimme zu hören. Es geht uns zwar finaziell nicht schlecht, aber nicht immer sind die Auftragsbücher so gut gefüllt, dass wir ständig unterwegs wären. Oft genug sitzen wir mehr oder weniger nur herum und warten, auch die Trainingsstunden haben mal ein Ende, und so kann es ab und zu ein wenig langweilig werden.“

Dann war irgendwann das Ende des Ganges in Sicht, und Brynjar sah an der Stirnwand einen runden Tisch mit zwei Stühlen stehen, wovon einer von einem älteren Mann besetzt war, offensichtlich der Berater, von dem sein Begleiter erzählt hatte. Als der die Schritte vernommen hatte, die sich ihm näherten, hob er den Kopf, lächelte und legte das Buch beiseite, in das er gerade noch vertieft gewesen war. „Farkas, mein Junge, wen bringt Ihr mir da? Einen Besucher? Oder einen neuen Rekruten?“ Der Krieger nickte dem Neuling aufmunternd zu und suchte sich dann einen Platz in einem Eckchen, von dem aus er alles mitbekommen würde, was hier gesprochen wurde. Brynjar sah dem alten Mann fest in die Augen, verneigte sich höflich, um seinen Respekt zu zeigen und begann, zu sprechen.

„Ich grüsse Euch, Kodlak Weissmähne. Mein Name ist Brynjar Sturm-Geborener. Ich habe Farkas und seinen Bruder kürzlich kennengelernt und eine Einladung erhalten, hierher zu kommen. Um ganz ehrlich zu sein – ich bin nicht hier, um ein Gefährte zu werden, nicht jetzt. Ich möchte den Kampf mit dem zweihändigen Schwert erlernen, das die beiden Brüder so meisterhaft beherrschen. Ich muss leider gestehen, dass ich mich bis jetzt in keiner der Waffengattungen besonders hervorgetan habe, aber diese Schwerter faszinieren mich. Ich bitte Euch darum, in dieser Kunst Unterricht nehmen zu dürfen, ich werde selbstverständlich dafür bezahlen.“

Schon lange hatte Brynjar nicht mehr so viel geredet, aber die Höflichkeit gebot, seine Bitte ausführlich und mit Respekt vorzutragen. „Setzt Euch doch, Brynjar Sturm-Geborener. Wer seid Ihr und wo kommt Ihr her?“ Der alte Mann musterte den Fremden argwöhnisch, irgendetwas an diesem Jungen kam ihm seltsam vor. „Ich komme aus Helgen und habe eine Weile auf dem Hof des Bauern Pelagia gearbeitet, doch ich möchte nun weiterziehen, und ich habe die Notwendigkeit erkannt, mich verteidigen zu können. Die Magie liegt mir nicht, und einen Bogen habe ich kaum angefasst, das bringt nur Probleme mit sich, denn ich kann nicht damit umgehen und werde es auch nie lernen. Ein Schwert hatte ich schon des Öfteren in den Händen, aber nun ist es mein grösster Wunsch, den Kampf mit dem Zweihänder zu erlernen, das ist mein nächstes grosses Ziel.“ Über seine Geschichte vor und in Helgen brauchte sein Gastgeber nichts zu wissen.

„Nun gut, wir wollen es mit Euch versuchen. Farkas, was haltet Ihr davon? Denkt Ihr, er könnte es schaffen?“ Der Zwilling war dem Gespräch der beiden Männer aufmerksam gefolgt. „Nichts für ungut, Brynjar, aber besitzt Ihr denn genügend Kraft, um eine solche Waffe zu halten?“ Ein kleines, schelmisches Grinsen begleitete seine Frage, und er war mehr als gespannt auf die Antwort ihres Gastes. „Warum lasst Ihr es mich nicht einmal versuchen?“ entgegnete Brynjar und stand auf. Farkas trat neben ihn, holte mühelos die schwere Waffe von seinem Rücken und legte sie in zwei ausgebreitete Hände. „Uff......“ keuchte der Rothaarige, umklammerte den kiloschweren Stahl und ging in die Knie.

Farkas lachte, aber es war kein Spott und keine Arroganz darin, sondern eigentlich nur Freude und gute Laune. Der Fremde gefiel ihm, er schien belesen und hatte gute Manieren. Vielleicht konnte er, über die Arbeit hinaus, eine Art Freundschaft mit ihm knüpfen, denn nichts faszinierte ihn, den gestandenen Krieger, mehr, als Bücher und das Wissen, das sie vermitteln konnten. Der alte Mann hingegen machte ein nachdenkliches Gesicht, es lag ihm fern, sich an einem hoffnungslosen Fall zu bereichern, und er hegte grösste Zweifel, dass es einen Sinn machte, auf die Bitte des Fremden einzugehen. „Nun,“ sprach er Brynjar ruhig an, „Habt Ihr noch immer den Wunsch, mit dieser Waffe umgehen zu lernen? Vielleicht läge Euch ja.........ein normals Einhand-Schwert eher?“ „Bei allem Respekt, Herold, aber ich habe es mir in den Kopf gesetzt, eines fernen Tages diese Waffe so leichthändig und sicher führen zu können wie die beiden Zwillinge. Ohne einen guten Lehrer jedoch, habe ich keine Möglichkeit, und ich könnte mir keine besseren und geschickteren Kämpfer wünschen, als diese beiden Gefährten. Harte Arbeit macht mir nichts aus, aber ich bin stur und dickköpfig, und wenn ich mir ein Ziel gesetzt habe, tue ich alles, um es auch zu erreichen. Darf ich bleiben?“

Nun lachte Kodlak Weissmähne. Dieser Junge erinnerte ihn ein wenig an seinen eigenen Ungestüm, schon als kleiner Rabauke, der eben gerade laufen konnte, mit einem Schwert irgendwo draufschlagen zu wollen. „Was kostet ein Zimmer in der Beflaggten Mähre für eine Nacht?“ „Hmmm, zehn Septime, soviel ich weiss,“ meldete sich nun Farkas zu Wort und wunderte sich insgeheim über den Zweck dieser Frage. „Bis Ihr auch nur halbwegs genug Kraft entwickelt habt, um ein solches Schwert zu halten und zu führen, ohne dabei aus dem Gleichgewicht zu kommen, werdet Ihr viele Wochen benötigen. Habt Ihr darüber hinaus im Sinn, damit auch noch Euer anvisiertes Ziel zu treffen, braucht es weitere Monate. Ich schlage also vor, dass Ihr Euch für die Zeit Eures Aufenthaltes hier bei uns einquartiert. Ein Monat in der Taverne würde Euch 300 Septime kosten, ich biete Euch ein Bett im Schlafraum unserer Rekruten an, für 50 Septime im Monat, bei freier Verpflegung. Auch die Trainingsstunden sind hier mit eingerechnet. Im Gegenzug erwarte ich von Euch, dass Ihr hin und wieder einen der Gefährten auf einer Mission begleitet, die nicht allzu grosse Anforderungen an Eure jeweiligen Fähigkeiten stellt. Mir missfällt schon seit Langem, dass die Leute fast immer alleine losziehen, und für Euch wäre es eine gute Gelegenheit, zusätzliche Erfahrung zu sammeln. Was sagt Ihr?“

„Das ist ein sehr grosszügiges Angebot, Herold, und ich nehme es gerne an. Doch werden meine Geldreserven trotzdem schrumpfen, und nach spätestens einem halben Jahr werde ich pleite sein. Denn hin und wieder werde ich, trotz freier Kost, auch einmal neue Kleidung oder Ähnliches benötigen.“ „Nun,“ erwiderte der alte Mann, „es gibt in einer Stadt wie Weisslauf immer Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Die Händler benötigen öfter Boten, die Waren an Kunden ausliefern. Ihr könnt Euer Glück bei der Jagd versuchen und Anoriath frisches Fleisch besorgen. Oder Ihr sprecht direkt bei Jarl Balgruuf vor, er hat immer Bedarf an den verschiedensten Leuten, die in seinem Hause Dienst tun.“

„Und wie verträgt sich das mit meinem Training hier bei Euch?“ Wieder liess der alte Mann ein fröhliches Lachen hören. „Was denkt Ihr Euch denn, Brynjar Sturm-Geborener? Dass Ihr hier Tag und Nacht auf etwas oder jemanden einschlagen werdet? Die Unterrichtsstunden für alle, die hier lernen wollen, sind auf den Vormittag beschränkt. Nach dem Mittagessen geht jeder seines eigenen Weges. Manche verabschieden sich, um einen Auftrag auszuführen, andere gehen anderen Beschäftigungen nach. Die Nachmittage stehen Euch frei, sofern Ihr keine Aufträge erhaltet, und bis Ihr soweit seid, wird es noch eine ganze Weile dauern, also könnt Ihr Euch ruhig schon einmal nach einer einträglichen Geldquelle umschauen!“

Das hörte sich in der Tat gut an und lief besser, als Brynjar es sich vorgestellt hatte. Der alte Mann war ihm sympathisch, und Farkas hatte recht: er strahlte etwas Väterliches aus, wenngleich er selbst an seinen eigenen Vater nur mit Schrecken zurückdenken konnte. Mochte das Schicksal ihn davor bewahren, diesem Teufel in Menschengestalt noch einmal zu begegnen. Fähig, oder nicht, ob mit dem Schwert oder mit einem Holzknüppel, diese Begegnung, das hatte er sich geschworen, würde nur ein Mann überleben, und dieser Mann würde er selbst sein!

„Ich bin einverstanden,“ antwortete er fest und ohne zu zögern, stand auf, wandte sich Farkas zu und fragte: „Wann wird es losgehen, Farkas? Wann ist meine erste Unterrichtsstunde?“ „Ich – werde Euer Lehrer sein, nicht Farkas!“ dröhnte eine Stimme hinter seinem Rücken.

Rainbowdemon
20.07.2013, 22:02
Kapitel 06 – Die Gefährten


Erstaunt, aber nicht im Mindesten erschrocken, drehte sich Brynjar nach der Stimme um, die ihn von hinten angesprochen hatte. Sie gehörte Vilkas, und seinem Gesichtsausdruck war zu entnehmen, dass er entweder mit Kodlaks Entscheidung nicht einverstanden, oder zumindest nicht sonderlich erfreut darüber war.

„Gebieter, was sollen wir denn mit einem Mann anfangen, der noch nicht einmal die einfachsten Grundzüge des zweihändigen Kampfes beherrscht? Wir haben so schon zu wenig Leute, die sich um die anstehenden Aufträge kümmern können, so fiele noch jemand weg, der seinen Unterricht übernehmen müsste!“ „Ich bin niemandes Meister, Vilkas!“ reagierte der Ältere ungehalten. „Der Junge wird für seine Ausbildung bezahlen, keine Sorge, er wird uns nicht auf der Tasche liegen. Und was ist an dieser Art, den Unterhalt der Gefährten zu gewährleisten, so verwerflich? Wenn er ein wenig Übung hat, kann er jemanden begleiten und ein gewisses Mass an Rückendeckung geben.“ „Aber, Herold........,“ versuchte Vilkas, aufzubegehren, doch Kodlak schnitt ihm mit einer hastigen Handbewegung das Wort ab. „Meine Entscheidung steht fest, morgen bei Sonnenaufgang, Brynjar, wird Eure erste Unterrichtsstunde beginnen. Ihr werdet bis zur Mittagsstunde mit Vilkas dort arbeiten. Der Nachmittag steht Euch dann anschliessend zur freien Verfügung. Findet Euch rechtzeitig im Innenhof ein.“

„Farkas, zeige dem Neuling, wo er schlafen kann. Im Quartier der Rekruten sollten noch ein oder zwei Betten frei sein,“ gab der brummige Gefährte zur Antwort und stapfte schlechtgelaunt davon. „Vergebt mir, Ihr Herren, aber – ist der immer so?“ Brynjar konnte nicht anders, als sich zu fragen, was dem entschwundenen Zwilling wohl über die Leber gelaufen sein mochte, konzentrierte sich dann jedoch auf den anwesenden Zwilling, der völlig anders zu sein schien. Farkas wandte sich wieder in die andere Richtung, und nachdem sich der Neue bei Kodlak bedankt hatte, traten die beiden Männer den Weg in die entgegengesetzte Richtung an. „Nehmt es meinem Bruder nicht übel, Brynjar. Er trägt schwer an der Bürde, die ihm hier auferlegt ist. Kodlak ist alt, und auch wenn er geistig noch vollkommen auf der Höhe ist und von uns allen respektiert wird, so liegt doch die Hauptlast dessen, was die Tätigkeiten der Krieger hier angeht, überwiegend auf seinen Schultern.“

„Ich wollte Euren Bruder nicht beleidigen, das war nicht meine Absicht, vergebt mir bitte.“ „Ach, schon gut,“ antwortete Farkas mit einem Lächeln. „Ihr werdet Euch schnell hier eingewöhnen, hoffe ich. Dann werdet Ihr auch verstehen lernen, wie die Gefährten funktionieren. So,“ Farkas machte vor einer offenstehenden Tür halt und erklärte, dass dies das Quartier der Neulinge sei. „Sucht Euch einfach ein Bett aus und legt Euch hin, wenn Ihr müde seid.“ „Ähem.......Farkas?“ „Ja, stimmt etwas nicht?“ „Äh, schlafen hier Männer und Frauen in einem Raum?“ Brynjar hatte auf einem der Betten eine schlafende Frau erkannt, während man aus einer nicht einsehbaren Ecke des Raumes deutlich das Schnarchen eines Mannes vernehmen konnte.

Diese in aller Unschuld gestellte Frage veranlasste Farkas zu einem dröhnenden Lachen, das die beiden Schlafenden umgehend und unsanft aus ihren Träumen holte. „Nur keine Bange, Brynjar, hier kümmert sich jeder um sich selbst. Niemand wird Euch etwas antun.“ Auch wenn seine Frage einen anderen Hintergrund gehabt hatte, nämlich seine lebhafte Erinnerung an eine gewisse Waldelfe, schwieg Brynjar. Die Frau auf dem Bett drehte sich nun mit dem Gesicht zur Tür, stand dann etwas schwerfällig auf und rieb sich die Augen. „Farkas, Ihr schon wieder! Kann eine erschöpfte Frau nicht mal ein paar Stunden in Ruhe schlafen?“ Der Angesprochene machte zwar ein betretenes Gewsicht, als würde es ihm leid tun, aber in seinen Augen blitzte ein schelmisches Grinsen, und um die Situation zu entspannen, stellte er die beiden Personen einander vor. „Nun beruhigt Euch doch wieder, Ria. Ich möchte Euch Euren neuen Mitbewohner vorstellen. Das ist Brynjar Sturm-Geborener, er wird eine Weile bei uns bleiben, um den Kampf mit dem Zweihänder zu erlernen. Brynjar, diese Dame ist Ria, sie ist eine Kaiserliche und war vor Euch unser Neuzugang.“ Der Rothaarige deutete zum Gruss eine höfliche Verbeugung an, doch auch hier schien er nicht sonderlich willkommen.

„Was? Ihr wollt uns noch einen weiteren Kerl hier hineinlegen, Farkas? Ich dachte, nach meiner Aufnahme seien die Gefährten komplett, ich bin das neueste Mitglied!“ Die junge Frau kam Brynjar wie ein halsstarriges Gör vor, das den von ihr eingenommenen Rang in Gefahr sah. Ausser Farkas und dem alten Mann schien es in diesem Haus nur knurrige und unzufriedene Menschen zu geben. „Seid unbesorgt, Ria,“ beeilte er sich, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Ich bin nicht hier, um ein Gefährte zu werden. Wenn meine Ausbildung so gute Fortschritte macht, wie sich hier alle Mühe geben, mich wieder loszuwerden, bin ich schneller wieder verschwunden, als Ihr Eure Waffe ziehen könnt!“

Das Gesicht der jungen Frau verzerrte sich zu einer hässlichen Grimasse und sie stampfte mit dem Fuss auf. „Ich ertrage nicht noch einen weiteren Kerl hier drin, Farkas! Mir reicht das ohrenbetäubende Dröhnen von Torvars Schnarchen völlig aus, um jeden Morgen wie gerädert aus dem Bett zu kriechen! Und dieser verdammte Dunmer redet im Schlaf! Ausserdem wissen wir gar nichts über diesen.......diesen......“ Farkas sah etwas verdattert drein, er war sich nicht sicher, wie er auf den Ausbruch der Rekrutin reagieren sollte, doch Brynjar, sich seiner selbst vollständig sicher, ergriff das Wort. „Auch in diesem Punkt kann ich Euch beruhigen, Ria. Ich schnarche nicht, und was den anderen, wenn auch versteckten Vorwurf betrifft – ich hege keinerlei Interesse an Eurer Person, weder in körperlicher Hinsicht, noch auf eine andere Art und Weise.“ Diese offen zur Schau gestellte Ablehnung ihrer Weiblichkeit war zuviel für die Kaiserliche. „Wir werden ja sehen, wer hier der Neuzugang ist!“ Wütend stapfte sie in Richtung von Kodlaks Quartier davon.

„Farkas, was ist denn hier eigentlich los? Ich kann ja verstehen, dass man einem Fremden gegenüber erst einmal etwas misstrauisch reagiert, aber ausser Euch und Kodlak ist mir hier noch keine freundliche Seele begegnet.“ Noch bevor der Zwilling antworten konnte, erklang ein heftiger, lauter Rülpser aus einer der Ecken, die sich im toten Winkel zu den beiden Männern befand. „Und was iss....mit mir?“ Farkas stöhnte auf und erntete einen verständnislosen Blick von seinem Begleiter. „Wer ist das? Noch jemand, der mich am liebsten gleich wieder loswerden möchte?“

Schliesslich kam ein völlig zerzauster, übernächtigter Mann ins Blickfeld, der die beiden Männer zwar freundlich anlächelte, aber im nächsten Moment erneut lautschallend rülpste. „Torvar! Ihr seid schon wieder betrunken! Ist das eine Art, einen neuen Mitbewohner zu begrüssen?“ Brynjar staunte nicht schlecht. Farkas konnte auch böse sein, der Ausdruck, den sein Gesicht zur Schau trug, als er den auf sich zutaumelnden Schildbruder auffing, wirkte, als habe er soeben in eine Zitrone gebissen. Und das menschliche Bündel, das er gerade noch hatte halten können, bevor der Mann in sich zusammenfiel, umgab eine Fahne, dass Brynjar fast übel wurde davon. Er trank auch gerne seinen Met, aber er bezweifelte stark, dass dieser Kerl hier es bei einem oder zwei Bechern beliess.

Ohne ersichtliche Anstrengung hievte sich Farkas den völlig Betrunkenen über die Schulter und ging in Richtung Methalle davon. „Kommt nur mit, Brynjar. Wir wollen doch mal sehen, ob wir dieses Häufchen Elend wieder nüchtern kriegen. Wenn Skjor das sieht, gibt es ein Donnerwetter, dass das ganze Haus wackelt!“ Sein Begleiter konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Auch er hatte schonmal einen über den Durst getrunken, aber bis fast zur Bewusstlosigkeit – nein, daran konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern.

„Wer ist Skjor?“ Farkas bekam keine Gelegenheit, die Frage zu beantworten, denn gerade, als er die Tür zur Treppe nach oben öffnen wollte, kam dem Trio ein grosser, bulliger Krieger mit nur einem Auge entgegen, vor dem sogar ein Kraftpaket wie Farkas zurückwich. „Was ist denn hier los? Ist Torvar schon wieder weggetreten? Ich hatte ihn gewarnt! Und wer, in Ysgramor's Namen, ist das?“

„Es tut mir leid, Farkas, ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber jetzt platzt mir so langsam der Kragen!“ Brynjar hatte bereits einiges geschluckt heute, als Neuling wollte er keinen schlechten Eindruck machen, aber genug war genug, auch seine Geduld hatte Grenzen. „Mein Bedarf an unhöflichem Auftreten, Ablehnung und beleidigenden Fragen ist für`s Erste gedeckt. Wenn Ihr erlaubt, suche ich mir jetzt ein Bett aus und lege mich eine Stunde hin.“ „Ja, ja.......natürlich. Es......tut mir leid.“ Der arme Farkas wusste gar nicht, wie ihm geschah. Der neue Bewohner, dem er Jorrvaskr näherbringen wollte, der betrunkene Schildbruder, der, schwer wie ein nasser Sack, noch immer über seiner Schulter lag, und das von Zorn verzerrte Gesicht des Bruders vor sich, den er über alles verehrte. „Ich....ähem.....wollte.....,“ begann Farkas zu stottern. „Es ist mir egal, was Ihr wolltet. Diesen Saufbruder hier bringt Ihr jetzt sofort nach oben, da kann ich mich um ihn kümmern!“ Farkas nickte nur und sah Brynjar ein wenig unglücklich an, beeilte sich dann jedoch, der Anordnung des älteren Kriegers Folge zu leisten und verschwand durch die Tür.

„Ich stelle meine Frage nur noch ein einziges Mal: Wer seid Ihr und was macht Ihr hier unten?“ Mochte dieser Mann vor ihm auch gross, breit und einschüchternd wirken, auf den Neuling machte er keinen furchteinflössenden Eindruck, auch mit seinem einen verbliebenen Auge nicht, das ihn unverhohlen und voller Abneigung anstarrte. „Mit Verlaub, mein Herr, Ihr habt Eure Frage beim ersten Mal nicht an mich gerichtet, sondern an Farkas. Da Ihr es versäumt habt, ihm Zeit für eine Antwort zu geben, möchte ich nun Eure Neugierde befriedigen. Meine Name ist Brynjar Sturm-Geborener, und Kodlak Weissmähne hat mich hier aufgenommen, damit ich gegen Entgelt den zweihändigen Kampf erlerne.“ „Ein so rotzfreches Auftreten steht einem Neuling nicht zu, Sturm-Geborener. Und Ihr wollt den Kampf mit dem Zweihänder erlernen? Ich lach mich tot! Ihr brecht doch zusammen, kaum, dass Ihr eine solche Waffe in die Hände bekommt!“ Brynjar war nicht entgangen, dass der Krieger ein normales Einhand-Schwert trug. „Nun, Skjor, da habt Ihr vermutlich recht. Ich sehe, dass Ihr keinen Zweihänder tragt. Glaubt Ihr also im Ernst, dass Ihr das zu beurteilen imstande seid? Euch selbst liegt wohl eine leichtere Waffe eher?“

Auch, wenn Brynjar verständlicherweise verärgert war über den Empfang, den die meisten der Gefährten ihm hier boten, hatte er sich in der kurzen Zeit, in der er hier war, durch seine offenen und zum Teil auch etwas anmassenden Worte keine neuen Freunde geschaffen. Und sich mit Skjor anzulegen, war sogar in höchstem Masse unklug, denn er war nach Kodlak der Älteste hier, und jedermann und jede Frau achtete ihn und stellte niemals irgendeine seiner Anweisungen in Frage. Der grosse, kräftige Gefährte kam Brynjar so nahe, dass sich fast ihre Nasenspitzen berührten und flüsterte in einem gefährlichen Ton: „Wenn Ihr denkt, Ihr könnt mit Skjor Spielchen spielen, dann können wir ja gleich morgen damit beginnen. Ich werde Euch Mores lehren, mein Junge, wir sehen uns morgen früh bei Sonnenaufgang im Innenhof – mit Eurer......Waffe.“ „Aber Vilkas wird mich unterrichten!“ „Vergesst Vilkas, morgen werde ich Euch beibringen, was es bedeutet, sich mit mir anzulegen!“ „Ich bedaure,“ antwortete Brynjar kühl und entspannt und nicht im Mindesten beeindruckt oder gar ängstlich bei diesen geknurrten Worten. „In meinem Trainingsplan ist keine Stunde vorgesehen, die mich dazu zwingt, irgendetwas von oder über Euch zu lernen.“

Das war zuviel. Skjor war kein Rekrut, er war einer der ranghöheren Mitglieder der Gefährten, vielleicht der höchste nach Kodlak. Auch, wenn der Neue Recht hatte, mit dem, was er sagte, sein Temperament konnte diese Zurückweisung weder ertragen, noch einfach so hinnehmen. Ohne, dass der Rothaarige eine Gelegenheit dazu bekam, zurückzuweichen, holte der Ältere aus und schlug dem überraschten Brynjar seine Faust ins Gesicht. Bryn ging zu Boden, rappelte sich sofort wieder auf und spürte, dass etwas aus seiner Nase lief, er blutete. Voller Hass sah er den hämisch grinsenden Krieger an. „Ich habe viel an Beleidigungen schlucken müssen heute, Skjor, aber Ihr seid eindeutig zu weit gegangen! Mir war bis jetzt nicht bekannt, ob ich Feinde habe auf dieser Welt, aber jetzt habe ich einen. Ich will mit Euch nichts zu tun haben, und ich werde Euch aus dem Weg gehen, so gut ich kann. Und sollte man von mir verlangen, mit Euch zu trainieren, oder etwa einen Becher Met zu trinken, werde ich Jorrvaskr verlassen und niemals hierher zurückkehren! Eines Tages werdet Ihr für diesen Schlag bezahlen, das schwöre ich Euch!“

Der Neuling liess den älteren Krieger einfach stehen und ging zu den Quartieren der Rekruten zurück, nahm ein freies Bett in einer der Ecken in Beschlag, zog sich die Stiefel von den Füssen und liess sich in voller Montur darauffallen. Er schloss die Augen und atmete tief durch. Vor seinem geistigen Auge ging er noch einmal alle Personen durch, die er heute kennengelernt hatte. Die Frau mit der grässlichen Kriegsbemalung und ihre Begleiterin, die eine ein Aas, die andere ein noch recht junges, ein wenig unreifes Ding. Kodlak Weissmähne, den alten Herold der Gruppe, klug, in Ehren ergraut, gerecht und bestimmt in seinem Auftreten. Ria, die schnippische junge Frau, die ihm seinen zweifelhaften Rang als die neueste Person in Jorrvaskr neidete, und Torvar, der scheinbar ein Problem mit Alkohol hatte, von dem er allerdings noch nicht viel gesehen hatte. Und dann war da dieses Monstrum mit dem einen Auge, das sich Skjor nannte. All die kleinen Biestereien und Unfreundlichkeiten der Anderen kümmerten ihn nicht, ob sie ihn mochten, oder nicht, war ihm gleichgültig, für ihn zählte nur seine Ausbildung. Aber der Einäugige war ein gänzlich anderer Fall. In ihm hatte er sich einen Feind gemacht, aber der Krieger hatte ihm keine Wahl gelassen, ihm gegenüber musste er oberste Vorsicht walten lassen, mit diesem Kerl war nicht zu spassen. Erschöpft liess er seine Gedanken schweifen, war ihm das Schicksal gnädig gesinnt, würde er es überwiegend mit den Zwillingen zu tun haben, und wenigstens Farkas war ein netter und umgänglicher Zeitgenosse.

Während Brynjar sich von den ersten Schrecken in Jorrvaskr erholte, erlebte Torvar ein böses Erwachen. Farkas hatte ihn, wie Skjor ihn angewiesen hatte, nach oben gebracht und nicht mitbekommen, dass sein Schildbruder und grosses Vorbild den Neuen geschlagen hatte. Dieser Ausrutscher war ein böser Fehler gewesen, es war ein ungeschriebenes Gesetz unter den Gefährten, dass niemals ein Stärkerer auf einen Schwächeren losging, es sei denn, man wurde angegriffen und musste sich zur Wehr setzen. Farkas wäre ausser sich gewesen, denn das in ihm wohnende Ehrgefühl war sehr stark ausgeprägt, und vielleicht hätte es eine regelrechte Schlägerei gegeben.

Der Gefährte Torvar hing, mehr, als er sass, in einem der Stühle, die um den grossen Tisch verteilt waren und brabbelte unverständliches Zeug vor sich hin. Seine Schildbrüder und -schwestern standen ratlos und wütend um ihn herum, als plötzlich, wie eine Urgewalt, Skjor die Treppe nach oben kam. Er schnaubte vor Wut, ging mit schweren, weit ausholenden Schritten auf das armselige, zusammengefallene Bündel Mensch am Tisch zu und packte den Mann am Kragen. Ehrfürchtig und auch ein wenig erschrocken über den Gemütszustand des Älteren, machten die Umstehenden Platz und sahen völlig entgeistert zu, wie der Riese den nahezu Bewusstlosen nach draussen auf die grosse Treppe schleifte. Skjor war ausser sich. Der Streit mit dem Neuen, der dazu geführt hatte, dass er sich dermassen hatte gehenlassen, einem Schwächeren gegenüber die Hand zu erheben, das war unverzeihlich, und er hasste Brynjar dafür. Und dann Torvar, dieser verdammte Suffkopp, der schon wieviele Ermahnungen erhalten hatte, seinen Alkoholkonsum in den Griff zu bekommen. Sein Geduldsfaden war für heute nicht nur gerissen, sondern hatte sich in Tausende kleiner Fasern aufgelöst, seine Nerven lagen blank.

Er schleppte den armen Torvar, der durch diese rohe Behandlung langsam zur Besinnung kam, ganz nach unten zum Fuss der Treppe, weiter in die Richtung der Treppen, die zum Jarl und zur Drachenfeste führten, liess sein verbliebenes Auge über die Wasserbecken schweifen und hob den betrunkenen Mann mühelos hoch, um ihn aus einer gewissen Höhe einfach in die nassen Fluten fallenzulassen. Einige Stadtbewohner, die sich gerade im Windbezirk aufhielten, begannen, zu lachen, nicht wenige gönnten dem armen Kerl das kühle Bad, denn wenn Torvar so voll war, dass er kaum noch gehen konnte, hatte er für fast jeden Einwohner einige recht unflätige Worte übrig. Niemand nahm seine Beschimpfungen so recht ernst, schliesslich waren sie das Gelalle eines hoffnungslosen Säufers, aber so mancher Betroffene, der dem Mann gerne selbst das Maul gestopft hätte, sah nun mit diebischer Schadenfreude und mit einiger Befriedigung dabei zu, wie sich Torvar, hustend und Wasser spuckend, an die Oberfläche zu kämpfen versuchte.

Zwar waren die Becken und das Wasser, das sie führten, gerade mal knietief, aber er hatte doch ein wenig zu kämpfen, sein Gleichgewicht zu halten, nachdem er endlich auf seinen Füssen stand. „Das wäre nicht nötig gewesen, Skjor.“ Die Stimme des plötzlich völlig nüchternen Mannes klang traurig, aber auch trotzig. Einige barmherzige Seelen halfen ihm aus dem Becken heraus und liessen ihn dann am Rand stehen, neugierig darauf, was nun folgen mochte. Doch wenn die Gaffer sich auf eine verbale Abreibung gefreut hatten, wurden sie enttäuscht. Das Bad war nötig gewesen, um den Säufer halbwegs wieder kar im Kopf zu machen, entschied Skjor, aber interne Angelegenheit vor aller Welt auszutragen, war nicht sein Wunsch und würde auch von Kodlak nicht gutgeheissen werden, das würde unter den Gefährten erörtert und geregelt werden.

Brynjar war zu unruhig, um einzuschlafen und hörte plötzlich Schritte, die sich ihm näherten. Er hob den Kopf und entdeckte einen kleinen Dunmer, der eben das Zimmer betrat. „Oh, ein Neuling? Seid mir gegrüsst, Freund. Mein Name ist Athis, und wer seid Ihr?“ Brynjar erhob sich und setzte sich auf die Kante seines Bettes. Endlich einmal eine freundliche Begrüssung! Er hatte sich in Gedanken bereits auf eine erneute Abfuhr eingerichtet.

„Ich grüsse Euch, Athis, und ich danke Euch für die nette Begrüssung. Mein Name ist Brynjar Sturm-Geborener und ich bin eigentlich nur Gast hier. Ich möchte die Kunst des zweihändigen Kampfes erlernen, und ich könnte mir keine besseren Lehrer als Farkas und Vilkas vorstellen.“
„Sie sind die besten, das kann ich Euch versichern, Ihr habt eine gute Wahl getroffen. Aber diese schweren Waffen zu meistern, ist keine leichte Aufgabe, Brynjar. Dazu bedarf es langen und intensiven Trainings. Hey, Ihr habt da Blut an der Nase, was ist passiert?“ Besorgt zog sich der Dunkelelf einen Stuhl heran und betrachtete die Wunde. Brynjar setzte ein schiefes Grinsen auf. „Skjor ist passiert.“ „Skjor hat Euch geschlagen? Das ist gegen alle Regeln, die in diesem Hause gelten, ich muss das Kodlak berichten!“ „Besser nicht, Athis, den nächsten Streit mit diesem Kerl überlebe ich sonst nicht, ich mache mir keine Illusionen, ich kann es noch lange nicht mit ihm aufnehmen, aber eines Tages.......“

Der nette Dunmer holte eine Schüssel Wasser, setzte sich wieder und begann, mit einem weichen Tuch das inzwischen eingetrocknete Blut abzuwaschen. „Wie habt Ihr es bloss geschafft, Euch an Eurem ersten Tag hier ausgerechnet mit Skjor anzulegen?“ Brynjar lachte, aber es war ein freudloses Lachen. „Ich habe mich an meinem ersten Tag hier mit fast jedem und jeder hier angelegt. Auch, wenn ich der Neue bin, einige Eurer Mitbewohner lassen es für mein Empfinden ein wenig zu sehr an gutem Benehmen fehlen. Ausser Farkas und Kodlak seid Ihr die erste freundliche Seele hier.“

Athis beendete seine Arbeit und stellte die Schüssel beiseite. „Ich muss das melden, Brynjar, unsere Regeln gelten für alle, es gibt keine Ausnahmen, sonst brauchen wir keine Regeln. Sorgt Euch nicht, aber Skjor ist ein Einhand-Kämpfer, als Lehrer für Euch wird er wohl kaum in Frage kommen. Geht ihm halt aus dem Weg, so gut Ihr könnt.“ Brynjar nickte und wollte sich gerade wieder hinlegen, als plötzlich Farkas den Raum betrat. Er sah die Schüssel mit dem Tuch, an dem noch ein wenig Blut haftete. Echter Schrecken stand ihm in den Augen. „Was ist denn geschehen?“ „Eine kleine Meinungsverschiedenheit zwischen Skjor und mir,“ antwortete Bryn wie beiläufig. Noch bevor Farkas etwas sagen konnte, erklärte Athis: „Ich gehe zu Kodlak und berichte ihm von dem Vorfall.“ Farkas nickte und setzte sich neben den Neuen auf sein Bett. „Alles in Ordnung? Geht es Euch gut?“ Brynjar winkte ab. „Nur ein Kratzer, ich bin in Ordnung, macht Euch bitte keine Sorgen.“ Dieser freundliche Nord, der da neben ihm auf dem Bett sass, erzeugte fast so etwas wie Frieden in ihm, nach all dem Hader und dem Ärger, den er hatte erleben müssen.

„Na fein,“ lächelte Farkas. „Bis zum Essen ist noch Zeit. Ich bin heute an der Reihe, das Wild für unser Abendessen zu besorgen, ich freue mich schon darauf, mal wieder frisches Fleisch zwischen die Zähne zu bekommen. Tilma hat uns in den letzten Tagen nur noch Hoppelpoppel vorgesetzt. Mir reicht es jetzt.“ „Hoppelpoppel? Was, um alles in der Welt ist das denn?“ fragte der Rothaarige bestürzt. Farkas lachte. „Es schmeckt nicht so schlimm, wie es sich anhört. Hoppelpoppel nennt sie ein Gericht, das aus Resten der vorangegangenen Mahlzeiten zusammengestellt wurde. Und sie kocht oft viel zu viel für die Leute, die hier leben, also kommt es auch immer mal wieder vor, dass wir ihren Hoppelpoppel vorgesetzt bekommen. Sie isst für ihr Leben gerne Kohl und kocht dann solche Mengen, dass wir ihn anschliessend tagelang kredenzt bekommen. Kohl mit Kartoffeln, Kohl mit Eiern, Kohl-Eintopf, ich kann das grüne Zeug langsam nicht mehr sehen! Wollt Ihr mich nicht begleiten? Auf den Ebenen vor Weisslauf wimmelt es nur so vor Wild.“ „Ja, gerne, aber ich muss spätestens bei Sonnenuntergang unten beim Brunnen sein. Pelagia und die Anderen vom Hof wollen sich dort treffen und dann zusammen zurückfahren. Ich muss ihm sagen, dass ich nicht mitkommen werde.“ „Kein Problem, los, kommt!“

Rainbowdemon
21.07.2013, 19:35
Kapitel 07 – Erste Schritte


„Keine Sorge, Brynjar, wir werden pünktlich zurücksein. Kommt, ich möchte Vilkas Bescheid sagen, dass ich Euch mitnehme.“

Farkas stieg erneut die Treppe nach oben in die Halle, sah sich in dem grossen Raum um und entdeckte seinen Bruder am anderen Ende mit einem älteren Mann reden. Zielstrebig ging er auf die beiden Männer zu. Brynjar bemerkte, dass es dort, am anderen Ende der Treppe zu den Quartieren, ein weiteres Zimmer gab. Vilkas drehte sich um, als er die Schritte hinter seinem Rücken vernommen hatte. „Farkas, gehst Du jetzt los?“ „Ja, Bruder, ich will mal sehen, was wir heute Abend auf den Tisch bekommen können.“ Der ältere Mann, der im Türrahmen des hellen Zimmers lehnte, in das offensichtlich Tageslicht fiel, betrachtete den Fremden mit unverhohlener Neugier. „Oh, Ihr kennt Euch ja noch nicht!“ rief Farkas aus. „Das ist Vignar Grau-Mähne, Vignar, das ist unser neuester Mitbewohner, Brynjar Sturm-Geborener. Er will aber vorläufig nur Unterricht nehmen, ohne sich uns direkt anzuschliessen.“ Der Neue verbeugte sich höflich. „Es freut mich, Euch kennenzulernen, Vignar Grau-Mähne.“ Auch der ältere Mann verneigte sich leicht, runzelte dann aber die Stirn. „Sturm-Geborener? Das ist der Name Eurer Familie? „Ja, mein Herr, warum fragt Ihr?“ „Dieser Name kommt mir irgendwie bekannt vor, ich kann ihn nur im Moment nicht zuordnen. Wo lebt Eure Familie?“

Brynjars gute Laune verflog im Augenblick. Er sprach nicht gerne über private Dinge. Und eine Familie hatte er nie wirklich besessen. „Das weiss ich nicht, und ich möchte auch nicht darüber reden, bitte vergebt mir, Vignar.“ „Oh, eh.......ja, natürlich, kein Problem. Wir unterhalten uns später.“ Brynjar wusste sofort, dass dieses später niemals kommen würde. So weit würde er sich niemals niemandem gegenüber öffnen, diese Wunde sass zu tief. Dann wandte sich der Grauhaarige an Farkas: „Ihr geht auf die Jagd? Seid doch so nett, mein Junge und haltet Ausschau nach einer besonders schönen Feder, die ich zum Schreiben benutzen kann. Meine derzeitige ist mittlerweile so kurz, dass ich sie nicht mehr lange werde benutzen können.“ „Ja, gerne,“ gab Farkas strahlend zur Antwort. Nichts und niemand schien seine Fröhlichkeit vertreiben zu können.

„Oh, bei der Gelegenheit möchte ich Euch noch etwas zeigen, Brynjar, das ist sehr wichtig. Kommt.“ Der Gefährte deutete auf einen kleinen Tisch, der neben der Tür zu besagtem Zimmer stand. Auf diesem lag ein grosses Buch, in dem handschriftliche Eintragungehn zu erkennen waren. Brynjar trat an den Tisch heran und erhielt so die Gelegenheit, einen Blick in das freundliche Zimmer zu werfen. Er sah, dass es gleich zwei Betten beherbergte, hier wohnten also zwei Personen, „Wem gehört das andere Bett? Gibt es noch jemanden, den ich nicht kenne?“ „Ja, es gehört Brill. Er ist eine Art Diener des Alten. Vignar ist der Älteste hier, er ist sogar noch älter als Kodlak und war früher einmal ein tapferer und starker Gefährte. Jetzt, wo er nicht mehr kämpfen kann, ist er für die allgemeine Verwaltung zuständig. Er stimmt zum Beispiel mit Tilma die Mahlzeiten ab, entscheidet, was eingekauft werden muss und kümmert sich um alle anderen Belange der Gefährten. Seien es eventuell Instandsetzungs-Arbeiten am Haus, grössere Anschaffungen, hin und wieder ist es auch eine Ermahnung, sollte einmal jemand von uns über die Stränge schlagen.“

Brynjar konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „So wie.......Trunkenheit im Dienst zum Beispiel?“ Farkas lachte schallend. „Lasst das bloss nicht Brill hören!“ „Warum nicht? Was sollte ich über diesen Brill wissen?“ „Er kam vor einigen Jahren her, ein völliges Wrack, ein Säufer, schlimmer noch als Torvar. Vignar hat ihn aufgenommen und sich um ihn gekümmert. Heute ist er so eine Art Diener für den Alten und hängt an ihm wie an einem Vater. Es gehen allerdings Gerüchte um, dass die Beiden......ähem......Ihr wisst, was ich meine?“ „Nein, was meint Ihr denn?“ „Nun ja,“ Farkas nährte sich Brynjar und flüsterte ihm in verschwörerischen Flüsterton etwas in's Ohr. „Nein! Das kann doch nicht Euer Ernst sein!“ Der muskelbepackte Gefährte nickte eifrig und grinste von einem Ohr bis zum anderen. „Ein Mann und ein Mann......zusammen.....im Bett?“
Der Neuling schüttelte verständnislos den Kopf.

„Aber das nur am Rande. Kommt einmal her. Seht Ihr dieses Buch hier? Hier trägt jeder von uns ein, wenn, wann und wohin er das Haus verlässt, damit die anderen Gefährten in etwa wissen, wo sich derjenige aufhält und wann voraussichtlich mit seiner Rückkehr zu rechnen ist.“ „Das ist eine gute Idee!“ „Das war meine Idee!“ informierte Farkas seinen Begleiter, stolz auf das Lob des neuen Bewohners. „Seht hier, die letzten Eintragungen: Ria war gestern den ganzen Vormittag über draussen und hat Kräuter gesammelt. In ihrer Freizeit versucht sie sich in der Alchemie. Zum Mittagessen war sie wieder zurück. Nachmittags hat Athis einen Besuch bei seinen Freunden Elrindir und Anoriath im „Trunkenen Jägersmann“ gemacht und war gegen Mitternacht wieder hier. Vilkas wird morgen nach dem Mittagessen nach Flusswald aufbrechen. Es gibt dort einen Streit zwischen dem Besitzer des Handelskontors und einem anderen Einwohner des Ortes. Auch er wird seine Abwesenheit hier vermerken, wenn er das Haus verlässt und sich schriftlich zurückmelden, sobald der Auftrag erledigt und er wieder in Weisslauf ist.“ „Oh ja, Lucan Valerius, ich kenne ihn, er hat eine Schwester.“

„Gut, nun werden wir auch einen Eintrag machen. Da es sich um Eure erste Abwesenheit handelt, solltet Ihr ihn schreiben.“ Brynjar sah den Gefährten nur kurz an, nahm dann die Feder in die Hand und notierte, nach dem Beispiel der vorhergehenden Notizen: 12. der Ersten Saat - Früher Nachmittag - Farkas/ Brynjar – Zur Jagd auf den Ebenen vor Weisslauf. „Wie Ihr seht, tragen wir auch den Zeitpunkt unserer Rückkehr ein. So ist immer gewährleistet, dass Kodlak und Vignar wissen, wieviele Personen sich im Haus aufhalten.“ „Warum ist das so wichtig?“ fragte Bryn neugierig. „Unsere Küche ist in einem kleinen Anbau hinten im Hof untergebracht. Nun stellt Euch einmal vor, es passiert ein Missgeschick an der Kochstelle und das Feuer greift auf das Haus über. Einer der Älteren würde sofort nachsehen, wer sich zu dem betreffenden Zeitpunkt in Jorrvaskr aufhält. Einerseits, um die Lösch- und Rettungsarbeiten koordinieren zu können, aber anderseits, um sich zu vergewissern, dass nicht vielleicht jemand von einem Einsatz zurückgekommen ist, zu müde war, um sich auszutragen und nun schlafend in seiner Kammer liegt, ohne von dem Feuer etwas zu bemerken. Er könnte verbrennen oder am Rauch ersticken! Niemand dächte daran, dass er dort unten liegt und vielleicht Hilfe braucht, das wäre eine schreckliche Tragödie!“

„Ja, das ist wahr, Farkas. Da habt Ihr wirklich eine kluge und vorausschauende Entscheidung getroffen, dieses Buch anzulegen, ich bin beeindruckt.“ Der Gefährte strahlte vor Freude und bewegte sich dann rasch Richtung Ausgang. Doch erneut wurden sie aufgehalten, es war Vilkas. „Wohin geht Ihr, Bruder?“ „Wir gehen draussen vor der Stadt ein wenig jagen, und wir haben ordnungsgemäss alles eingetragen.“ „Nun gut, also dann, Waidmanns Heil!“ „Waidmanns Dank,“ erwiderte Brynjar, dem es allmählich ziemlich auf die Nerven ging, so geflissentlich übersehen zu werden. Aber er hatte sich vorgenommen, hart und fleissig zu trainieren, vielleicht konnte er sich später irgendwann einmal doch noch ein wenig Respekt verschaffen.

Die Sonne stand hoch am Himmel, als die beiden Männer auf die grosse Treppe hinaustraten. „Ein wunderbarer Tag für die Jagd, kommt!“ Auf ihrem Weg zum Stadttor wurde sein Begleiter von vielen Leuten freundlich gegrüsst, offenbar war Farkas recht beliebt bei den Einwohnern von Weisslauf. Auf dem Marktplatz machten sie kurz halt, und der Gefährte wandte sich an den Elfen an seinem Fleisch-Stand. „Euer Geschäft läuft gut heute, mein Freund,“ stellte Farkas lächelnd fest, die Auslage des Waldelfen war bis auf ein paar Ziegenbeine leer. „Ach, da sagt Ihr was, Farkas. Wenn ich daran denke, was ich noch alles an den Mann bringen könnte.......gerade eben hat mich die Wirtin der Beflaggten Mähre fragen lassen ob ich noch etwas Wildbret habe, ein Kaninchen oder einen Fasan, aber Ihr seht ja, alles weg!“ „Wir sind auf dem Weg nach draussen, Anoriath. Wir wollen auf die Jagd gehen, vielleicht haben wir Glück und können Euch einen Teil der Beute überlassen, bot Brynjar freundlich an. „Ach, das wäre wunderbar, lieber Freund. Ich kann jetzt hier nicht weg, und meinen Bruder fragen möchte ich auch nicht. Na dann, viel Glück!“

Nach diesem kleinen Gespräch setzten die Beiden ihren Weg zum Stadttor fort. „Ich hoffe, es war nicht ungebührlich von mir, dem Elfen einen Teil unserer Beute anzubieten, Farkas. Das steht mir eigentlich nicht zu.“ „Oh, macht Euch da keine Sorgen, Brynjar. Ich fand Euer Angebot dem Elfen gegenüber sehr freundlich, und die Gefährten helfen, wo immer sie können. Manchmal sogar ohne Bezahlung.“ Schliesslich kamen die Tore von Weisslauf in ihr Blickfeld und Farkas stiess ganz plötzlich einen Pfiff aus. „Was ist denn los, Farkas? Simmt etwas nicht? Habt Ihr etwas vergessen?“ „Nein,“ lachte dieser, „aber mir scheint, Ihr habt etwas vergessen, und zwar etwas ziemlich Wichtiges.“ „Ihr sprecht in Rätseln, Farkas. Was habe ich vergessen?“

Der stämmige Gefährte lachte erneut laut auf. „Nun seht Euch doch einmal an, lieber Freund! Ihr wollt lernen, das zweihändige Schwert zu beherrschen und kommt in Bauernkleidung daher und mit einem Brotmesser an Eurer Hüfte. Nein, nein, so geht das nicht. Kommt einmal mit mir.“ Farkas hatte ihn Freund genannt, das war Brynjar, der in seinem Leben niemals Freunde besessen hatte, nicht entgangen. Einen Freund zu haben, so wusste er aus Büchern, war für die meisten Menschen etwas sehr Existenzielles und Kostbares. Es gab aber auch die Unterart „Falscher Freund“, die einem gutgläubigen Menschen Hab und Gut, ja, sogar die Freiheit nehmen konnten. Er legte keinen Wert auf Freunde, aber Farkas, das wurde ihm immer mehr bewusst, war kein Mensch wie die anderen. War er auch keine ausgestossene Seele, so wie er selbst und hatte alles, was man zum Leben brauchte, ja sogar in gewisser Weise eine Familie, dieser eine der beiden Brüder von Jorrvaskr, das fühlte er, war etwas ganz Besonderes, und er beschloss, sich dieses für ihn völlig neuen Abenteuers, einer Freundschaft, zu stellen.

Farkas nahm ihn am Arm und zog ihn in Richtung Schmiede, wo die kaiserliche Adrianne Avenicci gerade am Schleifstein arbeitete. „Guten Tag, Adrianne. Wir brauchen eine Rüstung für meinen Freund hier, und eine Waffe, einen Zweihänder. Was könnt Ihr uns anbieten?“ „Guten Tag, meine Herren. Hat denn Eorlund nichts Passendes für Euch?“ „Ihr wisst doch, Adrianne, dass Eorlund seine Erzeugnisse nur an die Gefährten verkauft. Brynjar ist zu Gast bei uns, er ist kein Rekrut.“ „Ah, so ist das. Nun, dann lasst uns einmal sehen, was ich hier habe.“ Ein Schwert war schnell gefunden, ein Zweihänder aus Eisen, der mindestens so schwer wog wie das aus Himmelsschmiedenstahl, das Vilkas ihm in die Hände gelegt hatte. Doch bei den Rüstungen ging es weniger flott voran. Farkas empfahl ihm, zu Anfang besser leichte Rüstung zu tragen, bis er sich wenigstens an das Gewicht der Waffe gewöhnt hatte. Schliesslich beschlossen die Beiden, in den Laden des Schmiedes hineinzugehen, der überwiegend von Ulfberth Kriegs-Bär geführt wurde, dem Ehemann von Adrianne. Der bullige Nord hinter der Ladentheke trug einen wilden, schwarzen Bart, in dem man kaum die Lippen ausmachen konnte. Noch, bevor sie in Hörweite waren, flüsterte Brynjar seinem Begleiter zu: „Ob sich seine Frau wohl gerne von ihm küssen lässt?“

Diese in aller Unschuld gestellte Frage beim Anblick des mächtigen Gestrüpps im Gesicht des Mannes veranlasste Farkas zu einem brüllenden Gelächter. Er lachte so sehr, dass er sich an der Theke festhalten musste, als sie dem Verkäufer endlich gegenüberstanden. „Alles in Ordnung mit Euch, Farkas?“ erkundigte sich der andere Nord und beäugte den Fremden misstrauisch. „Oh ja, vielen Dank, es geht mir gut, Meister Ulfberth.“ Es schien ihm in der Tat ganz besonders gut zu gehen, denn Brynjar beobachtete, wie sich sein neuer Freund die Lachtränen aus den Augenwinkeln wischte. Ob er auch einmal so etwas erleben würde? Lachen, herzlich lachen, glücklich sein, so sehr, dass die Gefühle ausser Kontrolle gerieten, sich selbständig machten und das ganze Selbst in Beschlag nahmen? All diese Dinge kannte er nur aus Büchern, und bisher waren sie ihm als nutzlos und langweilig erschienen. Aber nun, wo er Farkas so unbeschwert und fröhlich sah, empfand er selbst so etwas wie Freude, oder war es Zufriedenheit - darüber, dass es seinem Freund gut ging.

„Nun, meine Herren, was kann der alte Kriegs-Bär für Euch tun?“ wandte sich Ulfberth freundlich an seine beiden Kunden. „Wir brauchen eine Rüstung für ihn hier,“ deutete Farkas auf seinen Begleiter. „Es sollte etwas Leichtes sein, denke ich, für schwere Rüstung braucht ihr erst noch ein paar mehr Muskeln.“ Sorgfältig gingen sie das Sortiment des Schmiedes durch, aber entweder waren die Gegenstände zu schwer, oder aber sie waren schlicht und einfach zu gross und zu weit. „Mein Freund, für einen Mann habt Ihr wirklich eine sehr schmale Taille, sowas sieht man nicht oft bei einem Nord, die sind in der Regel sehr viel kräftiger als Ihr.“ Wie beiläufig, antwortete der Rothaarige: „Ergebnis von schlechter Ernährung.“ Ulfberth nahm es als Witz und lachte dröhnend, Farkas jedoch spürte den verdrängten Schmerz hinter diesen wenigen Worten und war sich sicher, dass dieser Satz aus der eigenen Erfahrung Bryns herrührte. Seine gute Laune verdüsterte sich etwas, aber er wollte sich nichts anmerken lassen und zog schliesslich, mit einem triumphierenden Schrei, eine Art Fellbündel aus dem Packen heraus. „Ah! Das hier ist genau das Richtige für Euch, mein Freund. Leicht, warm, und dazu noch praktisch, denn sie bedeckt nur Euren Unterleib. Die wird Euch perfekt passen, auch um die Taille herum!“

„Was? Ich soll obenherum nackt herumlaufen? Das kommt überhaupt nicht in Frage!“ Brynjar war über den Vorschlag seines Freundes entsetzt. „Aber Bryn,“ versuchte Farkas, ihn zu beruhigen, „viele Nord laufen so herum. Das Teil ist immens praktisch, weil einfach an- und auszuziehen, und erst im Sommer – so eine Stahlrüstung, wie ich sie trage, kann da manchmal ganz schön hinderlich werden.“ „Ach ja,“ zeigte sich Brynjar nun bissig. „Und warum, mein Freund, tragt Ihr dann nicht selbst so ein........so ein.......Fellbündel, bei dem man alles sofort sehen kann?“ „Lieber Freund,“ mischte sich nun Ulfberth wieder ein. „Man sieht Euren Oberkörper, nicht alles. Und was ist dabei? Viele Nord mögen diese Rüstung, es mag wohl auch ein wenig Eitelkeit mit im Spiel sein, denn es gibt nicht wenige, die gerne auch ihre Muskeln zur Schau stellen, wenn Ihr.......wisst, was ich meine.“ Ulfberth zog die buschigen Brauen in die Höhe und zwinkerte ein paarmal. Bisher hatte Brynjar es nicht für möglich gehalten, dass man seine Augenbrauen bis fast an die Stirn bewegen konnte.

„Nein, ich habe keine Ahnung, wovon Ihr redet, Meister Schmied, und ich will es auch gar nicht wissen, ausserdem habe ich keinerlei Interesse daran, meine Muskeln zur Schau zu stellen. Aber leider scheint dies hier das einzige an Rüstung zu sein, das mir im Moment passt, und es ist immer noch besser als die dünne Kleidung, die ich jetzt auf dem Leib trage. Wo kann ich das Ding anprobieren?“ Brynjar seufzte resigniert. „Anprobieren?“ Die beiden anderen Nord sahen sich verständnislos an. „Na hier, wir werden Euch nichts abgucken. Alles, was Ihr habt, haben wir auch.“
Ulfberth machte dieser Kunde wirklich Spass, so etwas hatte er noch nicht erlebt. „Hier unten? Vor Euch? Und wenn jemand zur Tür hereinkommt?“ „Um Talos willen, geht dort die Stiege hinauf. Da ist unser Schlafzimmer, dort seid Ihr ungestört.“ Noch einmal beäugte Brynjar das Fell in seiner Hand, drehte sich dann jedoch um und kletterte in das Obergeschoss hinauf.

„Sagt mir mal, Farkas, was ist denn das für ein komischer Kauz, den Ihr da bei Euch habt?“ „Das, Herr Schmied, ist kein komischer Kauz, sondern ein Freund von mir. Er ist erst seit kurzer Zeit bei uns und wohl noch etwas scheu im Umgang mit anderen Menschen. Aber er ist eine ehrliche Haut und ein anständiger Kerl. Und ich möchte es nicht noch einmal hören, dass Ihr ihm ungebührliche Bezeichnungen gebt. Ist das klar?“ Farkas war eine Seele von Mensch, und jeder in der Stadt wusste das. Aber wenn man ihn reizte oder ungerecht behandelte, konnte er auch anders. Nur zu gut konnte sich Ulfberth Kriegs-Bär an die Tracht Prügel erinnern, die er vor zwei Jahren am Feiertag zu Ehren von Akatosh bezogen hatte. Farkas war ein fröhlicher Zecher, wenn gefeiert wurde, und selbst, wenn er sehr betrunken war, blieb er ein lustiger Saufkumpan und erzählte Witze, bei der die Methalle vor Gelächter erbebte.

In jenem Jahr war das schier Unglaubliche passiert, der Met war den Gefährten ausgegangen, und der gutmütige Farkas, schon etwas angesäuselt, hatte sich dazu bereit erklärt, von der „Beflaggten Mähre“ Nachschub zu besorgen. Ulfberth war dort Gast gewesen und hatte belustigt zugesehen, wie der arme Farkas, mit etlichen Flaschen beladen, etwas unsicher durch den Schankraum in Richtung Ausgang wankte. Der freche Kerl hatte sich dann über den Gefährten lustiggemacht und ihm ein Bein gestellt, sodass Farkas zu Boden fiel, mit ihm sämtliche Flaschen, die auch alle prompt zerbrachen. Die Gäste lachten, auch dann noch, als Farkas sich hochgerappelt hatte und erkennbar wurde, dass er sich an einer Scherbe das Handgelenk verletzt hatte und blutete. Hulda, die Wirtin, war auf ihn zugestürzt, um ihm zu helfen, doch sie war sanft, aber bestimmt zur Seite gedrängt worden. Ulfberth lachte noch immer schallend und verhöhnte Farkas. Der sonst so freundliche und sanftmütige Mann war so wütend geworden, dass er sich mit seiner geballten Kraft auf den Schmied gestürzt und ihm die Prügel seines Lebens verabreicht hatte. Farkas war schnell wieder auf den beinen gewesen, Ulfberth jedoch war völlig weggetreten und musste nach Hause getragen werden. Nachdem Hulda den Gefährten notdürftig verarztet hatte, spendierte sie ihm zehn Flaschen Met als Geschenk, von dem grossmäuligen Schmied hatte sie schon lange die Nase voll, aber er war ein guter Kunde. Die Tracht Prügel jedoch, die gönnte sie dem bärtigen Kerl.

Diesen denkwürdigen Tag würde Ulfberth sein Leben lang nicht vergessen, und, wie er sich damals bei Farkas entschuldigt hatte, so hatte er es auch heute sehr eilig damit. „Ich wollte Euren Freund nicht beleidigen, vergebt mir.“ In dem Moment hörten sie Schritte und blickten zu der Holzstiege, die nach oben führte. Brynjar trug die Fellrüstung und sah wirklich gut darin aus. Farkas ertappte sich bei einer über das normale Mass hinausgehenden Musterung des Rothaarigen. Er sah feste, kräftige Oberschenkel, eine breite Brust mit zart-rosa Brustwarzen, muskulöse Oberarme und eine Taille, die er, hätte er es versucht, beinahe mit seinen beiden riesigen Pranken hätte umfassen können. Brynjar fühlte sich offensichtlich unwohl unter den vier ihn abschätzenden, neugierigen Augen und verliess die Stiege, blieb unschlüssig vor den beiden Männern stehen. Farkas schüttelte seinen Kopf, wie, um einen Nebel zu verscheuchen, der ihn plötzlich eingehüllt hatte. Was, um Talos Willen, ging ihm da im Schädel herum? Dann sah er in Brynjars Augen, ein seltsamer Audruck war dort abzulesen. War es Angst, war es Scham, war es eine Art Erkenntnis? Farkas konnte ihn nicht deuten, aber er wusste in diesem Augenblick, dass sein neuer Freund mehr für ihn sein würde, als nur ein Freund. In diesem Moment der Unsicherheit, als der Rothaarige mit nacktem Oberkörper vor ihm stand und nicht wusste, wie ihm geschah, hatte etwas sein Herz berührt, das ihn plötzlich in Bewegung setzte, sich dem Freund Schritt für Schritt nähern liess, ohne, dass er sich dessen bewusst wurde.

Erst, als Brynjar benommen zurückwich, kam Farkas zu sich und bemerkte, dass sein Freund vor ihm flüchtete. Verlegen räusperte er sich und sagte dann etwas heiser: „Das Teil steht Euch nicht schlecht, Brynjar, und Ihr habt nichts, dessen Ihr Euch schämen müsstet. Zudem belastet die Anschaffung dieser Rüstung Euren Geldbeutel nicht allzu sehr.“ „Also gut, ich nehme sie,“ lenkte der Rothaarige ein, „auch wenn ich mich.......untenherum nackt fühle,“ und wandte sich wieder um, der Stiege zu, um sich erneut umzuziehen. „Das ist ja das Angenehme,“ meldete sich Ulfberth zu Wort. „Auch bei grosser Hitze habt Ihr es immer angenehm luftig!“ Bryn setzte eine Mine auf, über die Farkas hätte lachen können, aber er unterliess es. Er wusste, wie schmerzhaft so etwas sein konnte, und sein neuer Freund war, was den Umgang mit anderen Menschen betraf, noch recht unsicher. So wirkte er jedenfalls auf den erfahrenen Krieger. „Wohin?“ fragte er. „Na, umziehen,“ antwortete der verblüffte Neuling. „Nichts ist mit Umziehen, mein Freund. Wir gehen auf die Jagd, eine prima Gelegenheit, sich gleich an das neue Teil zu gewöhnen,“ beschloss Farkas. Als es ans Bezahlen ging und Ulfberth seinem Freund den Preis für das neue Kleidungsstück nannte, musste Farkas grinsen, der Preis dafür war in den letzten paar Minuten auf wunderbare Weise um zehn Septime gefallen.

Die beiden Einwohner von Weisslauf tauschten einen vielsagenden Blick aus, während Brynjar brav seine Septime abzählte und auf den Verkaufstisch legte. „Seid doch bitte so freundlich und lasst seine alten Sachen nach Jorrvaskr bringen, Ulfberth. Wir wollen jagen gehen und da möchten wir das Zeug nicht mit uns herumschleppen.“ „Wird erledigt, Farkas, kein Problem.“

Endlich durchschritten die beiden Männer die Stadttore und gingen hinunter zu den Ställen, wo man nicht nur Pferde kaufen konnte: Es gab eine Art Fuhrunternehmen, das aus einer einzelnen Kutsche bestand, die einen zahlungskräftigen Kunden in jede Hauptstadt der Fürstentümer bringen konnte. Nun, das Wort „Kutsche“ traf es wohl nicht ganz, um das klapprige Gefährt zu beschreiben, es glich auf beunruhigende Art und Weise jenem Karren, auf dem Brynjar zu seiner verunglückten Hinrichtung gebracht worden war.

Farkas riss ihn aus seinen Gedanken. „Nun, wie fühlt Ihr Euch in Eurem neuen Prachtstück? Nun sagt mir bloss nicht, dass Euch kalt ist!“ „Euer Spott ist fehl am Platze, Farkas. Ich bin es nicht gewöhnt, so herumzulaufen, aber schliesslich bin ich hier unter Barbaren, wen sollte es schon stören?“ Sofort bereute der Krieger seine Worte, die in keiner Weise als Spott gedacht gewesen waren. Und sein Begleiter hatte direkt mit der Waffe zurückgeschlagen, die er beherrschte, und zwar meisterhaft – mit dem Wort. Die Nord waren ein stolzes Volk, stolz auf ihre Kultur und auf ihre Traditionen, und wenn man sie als Barbaren bezeichnete, glich das einer Beleidigung.

„Es tut mir leid, Brynjar, ich wollte Euch nicht verspotten, bitte vegebt mir.“ Als Friedenangebot reichte er seinem Freund den Unterarm, den Brynjar packte und in der Art der Krieger mit seinem eigenen Unterarm umschloss. Und schon war alles vergessen, und Farkas fröhliches Geschnatter ging weiter. „Ihr wolltet noch ein wenig mehr über den alten Vignar erfahren?“

Rainbowdemon
21.07.2013, 19:36
Kapitel 07 – Erste Schritte


„Keine Sorge, Brynjar, wir werden pünktlich zurücksein. Kommt, ich möchte Vilkas Bescheid sagen, dass ich Euch mitnehme.“

Farkas stieg erneut die Treppe nach oben in die Halle, sah sich in dem grossen Raum um und entdeckte seinen Bruder am anderen Ende mit einem älteren Mann reden. Zielstrebig ging er auf die beiden Männer zu. Brynjar bemerkte, dass es dort, am anderen Ende der Treppe zu den Quartieren, ein weiteres Zimmer gab. Vilkas drehte sich um, als er die Schritte hinter seinem Rücken vernommen hatte. „Farkas, gehst Du jetzt los?“ „Ja, Bruder, ich will mal sehen, was wir heute Abend auf den Tisch bekommen können.“ Der ältere Mann, der im Türrahmen des hellen Zimmers lehnte, in das offensichtlich Tageslicht fiel, betrachtete den Fremden mit unverhohlener Neugier. „Oh, Ihr kennt Euch ja noch nicht!“ rief Farkas aus. „Das ist Vignar Grau-Mähne, Vignar, das ist unser neuester Mitbewohner, Brynjar Sturm-Geborener. Er will aber vorläufig nur Unterricht nehmen, ohne sich uns direkt anzuschliessen.“ Der Neue verbeugte sich höflich. „Es freut mich, Euch kennenzulernen, Vignar Grau-Mähne.“ Auch der ältere Mann verneigte sich leicht, runzelte dann aber die Stirn. „Sturm-Geborener? Das ist der Name Eurer Familie? „Ja, mein Herr, warum fragt Ihr?“ „Dieser Name kommt mir irgendwie bekannt vor, ich kann ihn nur im Moment nicht zuordnen. Wo lebt Eure Familie?“

Brynjars gute Laune verflog im Augenblick. Er sprach nicht gerne über private Dinge. Und eine Familie hatte er nie wirklich besessen. „Das weiss ich nicht, und ich möchte auch nicht darüber reden, bitte vergebt mir, Vignar.“ „Oh, eh.......ja, natürlich, kein Problem. Wir unterhalten uns später.“ Brynjar wusste sofort, dass dieses später niemals kommen würde. So weit würde er sich niemals niemandem gegenüber öffnen, diese Wunde sass zu tief. Dann wandte sich der Grauhaarige an Farkas: „Ihr geht auf die Jagd? Seid doch so nett, mein Junge und haltet Ausschau nach einer besonders schönen Feder, die ich zum Schreiben benutzen kann. Meine derzeitige ist mittlerweile so kurz, dass ich sie nicht mehr lange werde benutzen können.“ „Ja, gerne,“ gab Farkas strahlend zur Antwort. Nichts und niemand schien seine Fröhlichkeit vertreiben zu können.

„Oh, bei der Gelegenheit möchte ich Euch noch etwas zeigen, Brynjar, das ist sehr wichtig. Kommt.“ Der Gefährte deutete auf einen kleinen Tisch, der neben der Tür zu besagtem Zimmer stand. Auf diesem lag ein grosses Buch, in dem handschriftliche Eintragungehn zu erkennen waren. Brynjar trat an den Tisch heran und erhielt so die Gelegenheit, einen Blick in das freundliche Zimmer zu werfen. Er sah, dass es gleich zwei Betten beherbergte, hier wohnten also zwei Personen, „Wem gehört das andere Bett? Gibt es noch jemanden, den ich nicht kenne?“ „Ja, es gehört Brill. Er ist eine Art Diener des Alten. Vignar ist der Älteste hier, er ist sogar noch älter als Kodlak und war früher einmal ein tapferer und starker Gefährte. Jetzt, wo er nicht mehr kämpfen kann, ist er für die allgemeine Verwaltung zuständig. Er stimmt zum Beispiel mit Tilma die Mahlzeiten ab, entscheidet, was eingekauft werden muss und kümmert sich um alle anderen Belange der Gefährten. Seien es eventuell Instandsetzungs-Arbeiten am Haus, grössere Anschaffungen, hin und wieder ist es auch eine Ermahnung, sollte einmal jemand von uns über die Stränge schlagen.“

Brynjar konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „So wie.......Trunkenheit im Dienst zum Beispiel?“ Farkas lachte schallend. „Lasst das bloss nicht Brill hören!“ „Warum nicht? Was sollte ich über diesen Brill wissen?“ „Er kam vor einigen Jahren her, ein völliges Wrack, ein Säufer, schlimmer noch als Torvar. Vignar hat ihn aufgenommen und sich um ihn gekümmert. Heute ist er so eine Art Diener für den Alten und hängt an ihm wie an einem Vater. Es gehen allerdings Gerüchte um, dass die Beiden......ähem......Ihr wisst, was ich meine?“ „Nein, was meint Ihr denn?“ „Nun ja,“ Farkas nährte sich Brynjar und flüsterte ihm in verschwörerischen Flüsterton etwas in's Ohr. „Nein! Das kann doch nicht Euer Ernst sein!“ Der muskelbepackte Gefährte nickte eifrig und grinste von einem Ohr bis zum anderen. „Ein Mann und ein Mann......zusammen.....im Bett?“ Der Neuling schüttelte verständnislos den Kopf.

„Aber das nur am Rande. Kommt einmal her. Seht Ihr dieses Buch hier? Hier trägt jeder von uns ein, wenn, wann und wohin er das Haus verlässt, damit die anderen Gefährten in etwa wissen, wo sich derjenige aufhält und wann voraussichtlich mit seiner Rückkehr zu rechnen ist.“ „Das ist eine gute Idee!“ „Das war meine Idee!“ informierte Farkas seinen Begleiter, stolz auf das Lob des neuen Bewohners. „Seht hier, die letzten Eintragungen: Ria war gestern den ganzen Vormittag über draussen und hat Kräuter gesammelt. In ihrer Freizeit versucht sie sich in der Alchemie. Zum Mittagessen war sie wieder zurück. Nachmittags hat Athis einen Besuch bei seinen Freunden Elrindir und Anoriath im „Trunkenen Jägersmann“ gemacht und war gegen Mitternacht wieder hier. Vilkas wird morgen nach dem Mittagessen nach Flusswald aufbrechen. Es gibt dort einen Streit zwischen dem Besitzer des Handelskontors und einem anderen Einwohner des Ortes. Auch er wird seine Abwesenheit hier vermerken, wenn er das Haus verlässt und sich schriftlich zurückmelden, sobald der Auftrag erledigt und er wieder in Weisslauf ist.“ „Oh ja, Lucan Valerius, ich kenne ihn, er hat eine Schwester.“

„Gut, nun werden wir auch einen Eintrag machen. Da es sich um Eure erste Abwesenheit handelt, solltet Ihr ihn schreiben.“ Brynjar sah den Gefährten nur kurz an, nahm dann die Feder in die Hand und notierte, nach dem Beispiel der vorhergehenden Notizen: 12. der Ersten Saat - Früher Nachmittag - Farkas/ Brynjar – Zur Jagd auf den Ebenen vor Weisslauf. „Wie Ihr seht, tragen wir auch den Zeitpunkt unserer Rückkehr ein. So ist immer gewährleistet, dass Kodlak und Vignar wissen, wieviele Personen sich im Haus aufhalten.“ „Warum ist das so wichtig?“ fragte Bryn neugierig. „Unsere Küche ist in einem kleinen Anbau hinten im Hof untergebracht. Nun stellt Euch einmal vor, es passiert ein Missgeschick an der Kochstelle und das Feuer greift auf das Haus über. Einer der Älteren würde sofort nachsehen, wer sich zu dem betreffenden Zeitpunkt in Jorrvaskr aufhält. Einerseits, um die Lösch- und Rettungsarbeiten koordinieren zu können, aber anderseits, um sich zu vergewissern, dass nicht vielleicht jemand von einem Einsatz zurückgekommen ist, zu müde war, um sich auszutragen und nun schlafend in seiner Kammer liegt, ohne von dem Feuer etwas zu bemerken. Er könnte verbrennen oder am Rauch ersticken! Niemand dächte daran, dass er dort unten liegt und vielleicht Hilfe braucht, das wäre eine schreckliche Tragödie!“

„Ja, das ist wahr, Farkas. Da habt Ihr wirklich eine kluge und vorausschauende Entscheidung getroffen, dieses Buch anzulegen, ich bin beeindruckt.“ Der Gefährte strahlte vor Freude und bewegte sich dann rasch Richtung Ausgang. Doch erneut wurden sie aufgehalten, es war Vilkas. „Wohin geht Ihr, Bruder?“ „Wir gehen draussen vor der Stadt ein wenig jagen, und wir haben ordnungsgemäss alles eingetragen.“ „Nun gut, also dann, Waidmanns Heil!“ „Waidmanns Dank,“ erwiderte Brynjar, dem es allmählich ziemlich auf die Nerven ging, so geflissentlich übersehen zu werden. Aber er hatte sich vorgenommen, hart und fleissig zu trainieren, vielleicht konnte er sich später irgendwann einmal doch noch ein wenig Respekt verschaffen.

Die Sonne stand hoch am Himmel, als die beiden Männer auf die grosse Treppe hinaustraten. „Ein wunderbarer Tag für die Jagd, kommt!“ Auf ihrem Weg zum Stadttor wurde sein Begleiter von vielen Leuten freundlich gegrüsst, offenbar war Farkas recht beliebt bei den Einwohnern von Weisslauf. Auf dem Marktplatz machten sie kurz halt, und der Gefährte wandte sich an den Elfen an seinem Fleisch-Stand. „Euer Geschäft läuft gut heute, mein Freund,“ stellte Farkas lächelnd fest, die Auslage des Waldelfen war bis auf ein paar Ziegenbeine leer. „Ach, da sagt Ihr was, Farkas. Wenn ich daran denke, was ich noch alles an den Mann bringen könnte.......gerade eben hat mich die Wirtin der Beflaggten Mähre fragen lassen ob ich noch etwas Wildbret habe, ein Kaninchen oder einen Fasan, aber Ihr seht ja, alles weg!“ „Wir sind auf dem Weg nach draussen, Anoriath. Wir wollen auf die Jagd gehen, vielleicht haben wir Glück und können Euch einen Teil der Beute überlassen, bot Brynjar freundlich an. „Ach, das wäre wunderbar, lieber Freund. Ich kann jetzt hier nicht weg, und meinen Bruder fragen möchte ich auch nicht. Na dann, viel Glück!“

Nach diesem kleinen Gespräch setzten die Beiden ihren Weg zum Stadttor fort. „Ich hoffe, es war nicht ungebührlich von mir, dem Elfen einen Teil unserer Beute anzubieten, Farkas. Das steht mir eigentlich nicht zu.“ „Oh, macht Euch da keine Sorgen, Brynjar. Ich fand Euer Angebot dem Elfen gegenüber sehr freundlich, und die Gefährten helfen, wo immer sie können. Manchmal sogar ohne Bezahlung.“ Schliesslich kamen die Tore von Weisslauf in ihr Blickfeld und Farkas stiess ganz plötzlich einen Pfiff aus. „Was ist denn los, Farkas? Simmt etwas nicht? Habt Ihr etwas vergessen?“ „Nein,“ lachte dieser, „aber mir scheint, Ihr habt etwas vergessen, und zwar etwas ziemlich Wichtiges.“ „Ihr sprecht in Rätseln, Farkas. Was habe ich vergessen?“

Der stämmige Gefährte lachte erneut laut auf. „Nun seht Euch doch einmal an, lieber Freund! Ihr wollt lernen, das zweihändige Schwert zu beherrschen und kommt in Bauernkleidung daher und mit einem Brotmesser an Eurer Hüfte. Nein, nein, so geht das nicht. Kommt einmal mit mir.“ Farkas hatte ihn Freund genannt, das war Brynjar, der in seinem Leben niemals Freunde besessen hatte, nicht entgangen. Einen Freund zu haben, so wusste er aus Büchern, war für die meisten Menschen etwas sehr Existenzielles und Kostbares. Es gab aber auch die Unterart „Falscher Freund“, die einem gutgläubigen Menschen Hab und Gut, ja, sogar die Freiheit nehmen konnten. Er legte keinen Wert auf Freunde, aber Farkas, das wurde ihm immer mehr bewusst, war kein Mensch wie die anderen. War er auch keine ausgestossene Seele, so wie er selbst und hatte alles, was man zum Leben brauchte, ja sogar in gewisser Weise eine Familie, dieser eine der beiden Brüder von Jorrvaskr, das fühlte er, war etwas ganz Besonderes, und er beschloss, sich dieses für ihn völlig neuen Abenteuers, einer Freundschaft, zu stellen.

Farkas nahm ihn am Arm und zog ihn in Richtung Schmiede, wo die kaiserliche Adrianne Avenicci gerade am Schleifstein arbeitete. „Guten Tag, Adrianne. Wir brauchen eine Rüstung für meinen Freund hier, und eine Waffe, einen Zweihänder. Was könnt Ihr uns anbieten?“ „Guten Tag, meine Herren. Hat denn Eorlund nichts Passendes für Euch?“ „Ihr wisst doch, Adrianne, dass Eorlund seine Erzeugnisse nur an die Gefährten verkauft. Brynjar ist zu Gast bei uns, er ist kein Rekrut.“ „Ah, so ist das. Nun, dann lasst uns einmal sehen, was ich hier habe.“ Ein Schwert war schnell gefunden, ein Zweihänder aus Eisen, der mindestens so schwer wog wie das aus Himmelsschmiedenstahl, das Vilkas ihm in die Hände gelegt hatte. Doch bei den Rüstungen ging es weniger flott voran. Farkas empfahl ihm, zu Anfang besser leichte Rüstung zu tragen, bis er sich wenigstens an das Gewicht der Waffe gewöhnt hatte. Schliesslich beschlossen die Beiden, in den Laden des Schmiedes hineinzugehen, der überwiegend von Ulfberth Kriegs-Bär geführt wurde, dem Ehemann von Adrianne. Der bullige Nord hinter der Ladentheke trug einen wilden, schwarzen Bart, in dem man kaum die Lippen ausmachen konnte. Noch, bevor sie in Hörweite waren, flüsterte Brynjar seinem Begleiter zu: „Ob sich seine Frau wohl gerne von ihm küssen lässt?“

Diese in aller Unschuld gestellte Frage beim Anblick des mächtigen Gestrüpps im Gesicht des Mannes veranlasste Farkas zu einem brüllenden Gelächter. Er lachte so sehr, dass er sich an der Theke festhalten musste, als sie dem Verkäufer endlich gegenüberstanden. „Alles in Ordnung mit Euch, Farkas?“ erkundigte sich der andere Nord und beäugte den Fremden misstrauisch. „Oh ja, vielen Dank, es geht mir gut, Meister Ulfberth.“ Es schien ihm in der Tat ganz besonders gut zu gehen, denn Brynjar beobachtete, wie sich sein neuer Freund die Lachtränen aus den Augenwinkeln wischte. Ob er auch einmal so etwas erleben würde? Lachen, herzlich lachen, glücklich sein, so sehr, dass die Gefühle ausser Kontrolle gerieten, sich selbständig machten und das ganze Selbst in Beschlag nahmen? All diese Dinge kannte er nur aus Büchern, und bisher waren sie ihm als nutzlos und langweilig erschienen. Aber nun, wo er Farkas so unbeschwert und fröhlich sah, empfand er selbst so etwas wie Freude, oder war es Zufriedenheit - darüber, dass es seinem Freund gut ging.

„Nun, meine Herren, was kann der alte Kriegs-Bär für Euch tun?“ wandte sich Ulfberth freundlich an seine beiden Kunden. „Wir brauchen eine Rüstung für ihn hier,“ deutete Farkas auf seinen Begleiter. „Es sollte etwas Leichtes sein, denke ich, für schwere Rüstung braucht ihr erst noch ein paar mehr Muskeln.“ Sorgfältig gingen sie das Sortiment des Schmiedes durch, aber entweder waren die Gegenstände zu schwer, oder aber sie waren schlicht und einfach zu gross und zu weit. „Mein Freund, für einen Mann habt Ihr wirklich eine sehr schmale Taille, sowas sieht man nicht oft bei einem Nord, die sind in der Regel sehr viel kräftiger als Ihr.“ Wie beiläufig, antwortete der Rothaarige: „Ergebnis von schlechter Ernährung.“ Ulfberth nahm es als Witz und lachte dröhnend, Farkas jedoch spürte den verdrängten Schmerz hinter diesen wenigen Worten und war sich sicher, dass dieser Satz aus der eigenen Erfahrung Bryns herrührte. Seine gute Laune verdüsterte sich etwas, aber er wollte sich nichts anmerken lassen und zog schliesslich, mit einem triumphierenden Schrei, eine Art Fellbündel aus dem Packen heraus. „Ah! Das hier ist genau das Richtige für Euch, mein Freund. Leicht, warm, und dazu noch praktisch, denn sie bedeckt nur Euren Unterleib. Die wird Euch perfekt passen, auch um die Taille herum!“

„Was? Ich soll obenherum nackt herumlaufen? Das kommt überhaupt nicht in Frage!“ Brynjar war über den Vorschlag seines Freundes entsetzt. „Aber Bryn,“ versuchte Farkas, ihn zu beruhigen, „viele Nord laufen so herum. Das Teil ist immens praktisch, weil einfach an- und auszuziehen, und erst im Sommer – so eine Stahlrüstung, wie ich sie trage, kann da manchmal ganz schön hinderlich werden.“ „Ach ja,“ zeigte sich Brynjar nun bissig. „Und warum, mein Freund, tragt Ihr dann nicht selbst so ein........so ein.......Fellbündel, bei dem man alles sofort sehen kann?“ „Lieber Freund,“ mischte sich nun Ulfberth wieder ein. „Man sieht Euren Oberkörper, nicht alles. Und was ist dabei? Viele Nord mögen diese Rüstung, es mag wohl auch ein wenig Eitelkeit mit im Spiel sein, denn es gibt nicht wenige, die gerne auch ihre Muskeln zur Schau stellen, wenn Ihr.......wisst, was ich meine.“ Ulfberth zog die buschigen Brauen in die Höhe und zwinkerte ein paarmal. Bisher hatte Brynjar es nicht für möglich gehalten, dass man seine Augenbrauen bis fast an die Stirn bewegen konnte.

„Nein, ich habe keine Ahnung, wovon Ihr redet, Meister Schmied, und ich will es auch gar nicht wissen, ausserdem habe ich keinerlei Interesse daran, meine Muskeln zur Schau zu stellen. Aber leider scheint dies hier das einzige an Rüstung zu sein, das mir im Moment passt, und es ist immer noch besser als die dünne Kleidung, die ich jetzt auf dem Leib trage. Wo kann ich das Ding anprobieren?“ Brynjar seufzte resigniert. „Anprobieren?“ Die beiden anderen Nord sahen sich verständnislos an. „Na hier, wir werden Euch nichts abgucken. Alles, was Ihr habt, haben wir auch.“
Ulfberth machte dieser Kunde wirklich Spass, so etwas hatte er noch nicht erlebt. „Hier unten? Vor Euch? Und wenn jemand zur Tür hereinkommt?“ „Um Talos willen, geht dort die Stiege hinauf. Da ist unser Schlafzimmer, dort seid Ihr ungestört.“ Noch einmal beäugte Brynjar das Fell in seiner Hand, drehte sich dann jedoch um und kletterte in das Obergeschoss hinauf.

„Sagt mir mal, Farkas, was ist denn das für ein komischer Kauz, den Ihr da bei Euch habt?“ „Das, Herr Schmied, ist kein komischer Kauz, sondern ein Freund von mir. Er ist erst seit kurzer Zeit bei uns und wohl noch etwas scheu im Umgang mit anderen Menschen. Aber er ist eine ehrliche Haut und ein anständiger Kerl. Und ich möchte es nicht noch einmal hören, dass Ihr ihm ungebührliche Bezeichnungen gebt. Ist das klar?“ Farkas war eine Seele von Mensch, und jeder in der Stadt wusste das. Aber wenn man ihn reizte oder ungerecht behandelte, konnte er auch anders. Nur zu gut konnte sich Ulfberth Kriegs-Bär an die Tracht Prügel erinnern, die er vor zwei Jahren am Feiertag zu Ehren von Akatosh bezogen hatte. Farkas war ein fröhlicher Zecher, wenn gefeiert wurde, und selbst, wenn er sehr betrunken war, blieb er ein lustiger Saufkumpan und erzählte Witze, bei der die Methalle vor Gelächter erbebte.

In jenem Jahr war das schier Unglaubliche passiert, der Met war den Gefährten ausgegangen, und der gutmütige Farkas, schon etwas angesäuselt, hatte sich dazu bereit erklärt, von der „Beflaggten Mähre“ Nachschub zu besorgen. Ulfberth war dort Gast gewesen und hatte belustigt zugesehen, wie der arme Farkas, mit etlichen Flaschen beladen, etwas unsicher durch den Schankraum in Richtung Ausgang wankte. Der freche Kerl hatte sich dann über den Gefährten lustiggemacht und ihm ein Bein gestellt, sodass Farkas zu Boden fiel, mit ihm sämtliche Flaschen, die auch alle prompt zerbrachen. Die Gäste lachten, auch dann noch, als Farkas sich hochgerappelt hatte und erkennbar wurde, dass er sich an einer Scherbe das Handgelenk verletzt hatte und blutete. Hulda, die Wirtin, war auf ihn zugestürzt, um ihm zu helfen, doch sie war sanft, aber bestimmt zur Seite gedrängt worden. Ulfberth lachte noch immer schallend und verhöhnte Farkas. Der sonst so freundliche und sanftmütige Mann war so wütend geworden, dass er sich mit seiner geballten Kraft auf den Schmied gestürzt und ihm die Prügel seines Lebens verabreicht hatte. Farkas war schnell wieder auf den beinen gewesen, Ulfberth jedoch war völlig weggetreten und musste nach Hause getragen werden. Nachdem Hulda den Gefährten notdürftig verarztet hatte, spendierte sie ihm zehn Flaschen Met als Geschenk, von dem grossmäuligen Schmied hatte sie schon lange die Nase voll, aber er war ein guter Kunde. Die Tracht Prügel jedoch, die gönnte sie dem bärtigen Kerl.

Diesen denkwürdigen Tag würde Ulfberth sein Leben lang nicht vergessen, und, wie er sich damals bei Farkas entschuldigt hatte, so hatte er es auch heute sehr eilig damit. „Ich wollte Euren Freund nicht beleidigen, vergebt mir.“ In dem Moment hörten sie Schritte und blickten zu der Holzstiege, die nach oben führte. Brynjar trug die Fellrüstung und sah wirklich gut darin aus. Farkas ertappte sich bei einer über das normale Mass hinausgehenden Musterung des Rothaarigen. Er sah feste, kräftige Oberschenkel, eine breite Brust mit zart-rosa Brustwarzen, muskulöse Oberarme und eine Taille, die er, hätte er es versucht, beinahe mit seinen beiden riesigen Pranken hätte umfassen können. Brynjar fühlte sich offensichtlich unwohl unter den vier ihn abschätzenden, neugierigen Augen und verliess die Stiege, blieb unschlüssig vor den beiden Männern stehen. Farkas schüttelte seinen Kopf, wie, um einen Nebel zu verscheuchen, der ihn plötzlich eingehüllt hatte. Was, um Talos Willen, ging ihm da im Schädel herum? Dann sah er in Brynjars Augen, ein seltsamer Audruck war dort abzulesen. War es Angst, war es Scham, war es eine Art Erkenntnis? Farkas konnte ihn nicht deuten, aber er wusste in diesem Augenblick, dass sein neuer Freund mehr für ihn sein würde, als nur ein Freund. In diesem Moment der Unsicherheit, als der Rothaarige mit nacktem Oberkörper vor ihm stand und nicht wusste, wie ihm geschah, hatte etwas sein Herz berührt, das ihn plötzlich in Bewegung setzte, sich dem Freund Schritt für Schritt nähern liess, ohne, dass er sich dessen bewusst wurde.

Erst, als Brynjar benommen zurückwich, kam Farkas zu sich und bemerkte, dass sein Freund vor ihm flüchtete. Verlegen räusperte er sich und sagte dann etwas heiser: „Das Teil steht Euch nicht schlecht, Brynjar, und Ihr habt nichts, dessen Ihr Euch schämen müsstet. Zudem belastet die Anschaffung dieser Rüstung Euren Geldbeutel nicht allzu sehr.“ „Also gut, ich nehme sie,“ lenkte der Rothaarige ein, „auch wenn ich mich.......untenherum nackt fühle,“ und wandte sich wieder um, der Stiege zu, um sich erneut umzuziehen. „Das ist ja das Angenehme,“ meldete sich Ulfberth zu Wort. „Auch bei grosser Hitze habt Ihr es immer angenehm luftig!“ Bryn setzte eine Mine auf, über die Farkas hätte lachen können, aber er unterliess es. Er wusste, wie schmerzhaft so etwas sein konnte, und sein neuer Freund war, was den Umgang mit anderen Menschen betraf, noch recht unsicher. So wirkte er jedenfalls auf den erfahrenen Krieger. „Wohin?“ fragte er. „Na, umziehen,“ antwortete der verblüffte Neuling. „Nichts ist mit Umziehen, mein Freund. Wir gehen auf die Jagd, eine prima Gelegenheit, sich gleich an das neue Teil zu gewöhnen,“ beschloss Farkas. Als es ans Bezahlen ging und Ulfberth seinem Freund den Preis für das neue Kleidungsstück nannte, musste Farkas grinsen, der Preis dafür war in den letzten paar Minuten auf wunderbare Weise um zehn Septime gefallen.

Die beiden Einwohner von Weisslauf tauschten einen vielsagenden Blick aus, während Brynjar brav seine Septime abzählte und auf den Verkaufstisch legte. „Seid doch bitte so freundlich und lasst seine alten Sachen nach Jorrvaskr bringen, Ulfberth. Wir wollen jagen gehen und da möchten wir das Zeug nicht mit uns herumschleppen.“ „Wird erledigt, Farkas, kein Problem.“

Endlich durchschritten die beiden Männer die Stadttore und gingen hinunter zu den Ställen, wo man nicht nur Pferde kaufen konnte: Es gab eine Art Fuhrunternehmen, das aus einer einzelnen Kutsche bestand, die einen zahlungskräftigen Kunden in jede Hauptstadt der Fürstentümer bringen konnte. Nun, das Wort „Kutsche“ traf es wohl nicht ganz, um das klapprige Gefährt zu beschreiben, es glich auf beunruhigende Art und Weise jenem Karren, auf dem Brynjar zu seiner verunglückten Hinrichtung gebracht worden war.

Farkas riss ihn aus seinen Gedanken. „Nun, wie fühlt Ihr Euch in Eurem neuen Prachtstück? Nun sagt mir bloss nicht, dass Euch kalt ist!“ „Euer Spott ist fehl am Platze, Farkas. Ich bin es nicht gewöhnt, so herumzulaufen, aber schliesslich bin ich hier unter Barbaren, wen sollte es schon stören?“ Sofort bereute der Krieger seine Worte, die in keiner Weise als Spott gedacht gewesen waren. Und sein Begleiter hatte direkt mit der Waffe zurückgeschlagen, die er beherrschte, und zwar meisterhaft – mit dem Wort. Die Nord waren ein stolzes Volk, stolz auf ihre Kultur und auf ihre Traditionen, und wenn man sie als Barbaren bezeichnete, glich das einer Beleidigung.

„Es tut mir leid, Brynjar, ich wollte Euch nicht verspotten, bitte vegebt mir.“ Als Friedenangebot reichte er seinem Freund den Unterarm, den Brynjar packte und in der Art der Krieger mit seinem eigenen Unterarm umschloss. Und schon war alles vergessen, und Farkas fröhliches Geschnatter ging weiter. „Ihr wolltet noch ein wenig mehr über den alten Vignar erfahren?“

Rainbowdemon
24.07.2013, 14:28
Kapitel 08 – Erfahrungen


„Meint Ihr wirklich, dass die Beiden......ich meine.........Sex miteinander haben?“ Farkas zuckte mit den Schultern. „Genau weiss das keiner von uns. In einer so kleinen Gemeinschaft machen immer irgendwelche Gerüchte die Runde. Stellt Euch vor, unser Spassvogel Torvar hat sich sogar einmal nachts vor der Zimmertür der beiden Männer auf die Lauer gelegt, ob er.........ähem......verdächtige Geräusche hören würde.“ „Und? Hat er etwas gehört?“ wollte Brynjar neugierig wissen. Die Techniken waren ihm soweit vertraut, aber ihm leuchtete es nicht ein, wie das mit zwei Männern funktionieren sollte, und dieser Gedanke liess ihn seltsamerweise nicht los.

„Wir fanden ihn morgens vor der Tür, schlafend. Zum Glück war noch keiner der beiden Bewohner herausgekommen, sonst hätte Torvar bestimmt eine Abfuhr von Vignar bekommen. Er ist übrigens das Oberhaupt einer der ältesten und angesehensten Familien hier in Weisslauf, des Clans Grau-Mähne. Unser Schmied, Eorlund, ist sein Bruder, und er ist der Onkel von dessen Kindern, Avulstein, Thorald und Olfina.“ „Und die andere Familie?“ „Der andere Clan, das sind die Kampf-Geborenen. Es hat mal eine Zeit gegeben, da waren die Familien gute Freunde, aber seit dem Bürgerkrieg hat sich das geändert.“ Farkas Gesicht wurde traurig. Er verehrte Eorlund Grau-Mähne, den Schmied der Gefährten, sehr und konnte spüren, wie er unter dem Verlust der einstigen Freunde litt.. „Was hat sie entzweit?“ fragte Brynjar interessiert. „Die Familie der Grau-Mähnen unterstützte von Anfang an Ulfric und die Sturmmäntel. Sie sind stolze Nord und mit den Rebellen der Meinung, dass Himmeslrand den Einheimischen gehört. Sie möchten alle Kaiserlichen aus unserem Land vertreiben.“

„Und die Kampf-Geborenen haben sich auf die Seite der Kaiserlichen geschlagen?“ „Ja, leider. Vor etwa einem Jahr waren einige hohe kaiserliche Beamte hier, um mit dem Jarl über die Lage zu diskutieren. Sie wollten sich so vieler Fürstentümer, wie möglich, versichern, und um deren Unterstützung im Kampf gegen die Rebellen. Balgruuf, der Ältere, schert sich nicht gross um die Politik. Ihm kommt es in erster Linie darauf an, dass es seinen Leuten und seinen Städten gut geht. Er ist weise und gerecht, und wäre vor den Kaiserlichen eine Abordnung von Ulfric Sturmmantel bei ihm gewesen, wer weiss, vielleicht hätte er sich dann für deren Seite entschieden. Die kaiserlichen Abgeordneten versprachen ihm wohl etliche Privilegien, wenn er sich dafür auf ihre Seite schlägt, und da Idolaf Kampf-Geborener, einer der Berater des Jarls ist, hat er sich dem gleich angeschlossen und schimpft den ganzen, langen Tag auf die Sturmmäntel.“

„Und auf wessen Seite steht Ihr, Farkas? Und die Gefährten?“ „Ach, wisst Ihr – Talos, Sturmmäntel, Thalmor, das ist mir alles viel zu kompliziert. Sagt mir einfach, wen ich verprügeln soll!“ Farkas lachte über seinen letzten Satz, und hätte sein Begleiter einen Sinn für Humor besessen, hätte er sicher eingestimmt. So wandten sich die beiden Jäger nach Westen und hielten nach Beute Ausschau. Ein paar Kaninchen und Fasane waren schnell erlegt, und der Sack, den sie mitgenommen hatte, füllte sich.

Da lief ihnen in einiger Entfernung, sie hatten bereits die Schneefall-Grenze passiert, ein grosser, kräftiger Elchbulle über den Weg. „Den werde ich mir holen! Sein Geweih wird über meinem Bett bestimmt toll aussehen!“ Farkas war völlig aus dem Häuschen, schlich dem äsenden Tier entgegen und liess es nicht aus den Augen. Brynjolf folgte ihm, bis er neben ihm im Gras kauerte und sah dem arglosen Geschöpf beim Kauen zu. Eine kaum hörbare Stimme erklang plötzlich in seinem Inneren, die er zuerst gar nicht bewusst wahrnahm. Es war wie ein Hauch, sublim, nicht stofflich, kein Ohr hätte sie hören können. Doch die Stimme war da und liess sich nicht vertreiben, in sämtlichen Sinnen fand sie ihren Widerhall, liess sich nicht abschütteln. Zuerst war es wie das Rauschen des Windes in den vielen Blättern einer mächtigen Baumkrone, dann wieder wie das leise Plätschern von weichen Wellen über weiches Moos. Und es war ein Flehen in dieser Stimme, als sie schliesslich deutlich vernehmbar flüsterte: „Nein, bitte, tu es nicht!“

Plötzlich riss Brynjar die Augen auf, als würde er aus einem tiefen Traum erwachen. Er sah, wie Farkas den Bogen spannte, anhob und auf das friedlich grasende Tier zielte. Der Krieger war hochkonzentriert, jeder Muskel in seinem durchtrainierten Körper so gespannt wie die Sehne seines Bogens, schon wollte er den Pfeil loslassen, damit er sich in die Brust des Elches hineinbohrte......da spürte er plötzlich, wie sich, ganz sachte, leicht wie ein Schmetterling, eine Hand auf den Arm legte, der den Bogen hielt.

Überrascht liess er den Bogen sinken und keuchte, was den stets aufmerksamen Säuger zu einer raschen Flucht veranlasste. Fort, nur fort von hier! „Brynjar, warum habt Ihr das getan? Das wäre eine schöne Jagd-Trophäe gewesen!“ Farkas schien verstimmt und fühlte sich um einen schönen Erfolg betrogen. Wortlos verstaute er Pfeil und Bogen, schnappte sich den schweren Sack und marschierte los, in Richtung Weisslauf.

„Farkas,“ begann Brynjar zaghaft, „ich.......ich konnte nicht anders. Verzeiht mir.“ „Warum konntet Ihr nicht anders? War das vielleicht ein Bekannter von Euch, mit dem Ihr nachher noch eine Verabredung habt?“ Sein Begleiter schien ernstlich verärgert, und Bryn, der seinen Freund so noch nicht erlebt hatte, war betroffen, aber er wusste, er hatte nicht anders handeln können. Stumm und wie zwei Fremde setzten die beiden Männer ihren Heimweg fort, während am Horizont die Sonne den Abend in ein goldenes Licht tauchte. Auch in der Stadt wechselten sie kein Wort miteinander, gingen beim Stand von Anoriath vorbei, um ihm etwas von der Beute abzugeben, wie versprochen, und gingen dann weiter nach Jorrvaskr. Die zwei Fasane weniger waren kein Verlust, und der Bosmer, das wusste Farkas, würde sich irgendwann und irgendwie dafür erkenntlich zeigen.

Tilma freute sich über die gute Beute, die die beiden Männer nach Hause brachten und verschwand gleich mit dem schweren Sack in der Küche. Farkas liess den Freund einfach mitten im Raum stehen und ging nach unten, um sich vor dem Essen ein wenig frisch zu machen. Tief in Gedanken versunken trat auch Brynjar seinen Weg in Richtung Quartiere an, als er plötzlich hinter sich einen schrillen Pfiff hörte. Der Laut schmerzte in seinen Ohren, er drehte sich um und sah dort Njada Stein-Arm und Ria stehen, die sich vor Lachen kaum halten konnten. Brynjar ignorierte ihr albernes Benehmen und setzte seinen Weg fort, aber er kam nicht weit.

„Hey, Neuer!“ Das war die provozierende, keifende Stimme einer Person, die nicht gut auf ihn zu sprechen war. Njada war freundlich zu ihm gewesen, als er ihr und den anderen Frau mit der widerlichen Kriegsbemalung gegenübergestanden hatte, es konnte sich also hier nur um die Kaiserliche handeln. Die kleinen Streitereien und Intrigen unter diesem Dach interessierten Brynjar nicht, das ging ihn nichts an, Beleidigungen ihm gegenüber konnte er allerdings nicht einfach so hinnehmen. Er machte auf dem Absatz kehrt, rührte sich aber keinen Zentimeter vom Fleck. „Mein Name ist Brynjar, falls Euch Euer Gedächtnis im Stich gelassen hat, Ria. Was wollt Ihr von mir?“ Von der nicht weniger beleidigenden Antwort des „Neuen“ nicht im mindesten beeindruckt, fuhr sie fort. „Nun, wenn ich Euch in Eurer neuen Rüstung sehe, Brynjar Sturm-Geborener, dann fielen mir da schon so ein paar Dinge ein, die ich von......ähem......mit Euch tun wollte, aber lassen wir das jetzt. Was, um alles in der Welt, habt Ihr da draussen mit Farkas angestellt? Mit einer so sauertöpfischen Miene habe ich ihn schon lange nicht mehr gesehen.“

„Wie ich bereits erwähnt hatte, Ria, ich hege nicht das geringste Interesse an Eurer Person, und es liegt mir fern, irgendetwas mit Euch zu tun oder mit mir tun zu lassen. Ich würde mich weigern, Euch auf einer Mission zu begleiten, und ich würde es ebenfalls ablehnen, mit Euch einen Becher zu heben. Ab heute weigere ich mich auch, mit einem Menschen wie Euch an einem Tisch zu sitzen, der nichts als Hohn und Spott für einen Neuling übrig hat. Ich hatte viel Gutes über die Gefährten gehört, bevor ich nach Weisslauf kam, aber dem Bild, das ich mir von ihnen gemacht hatte, entspricht einzig und alleine Farkas!“ Über den Vorfall während der Jagd wollte er nicht sprechen, das ging nur ihn und seinen Freund etwas an, sofern er sich noch als seinen Freund bezeichnen durfte. Entschlossen stieg er die Treppe nach unten und bereitete sich darauf vor, den Krieger in seinem Quartier aufzusuchen.

„Das geschah Euch ganz recht, Ria!“ schalt unterdessen die junge Njada mit der älteren Rekrutin. „Warum seid Ihr alle so gemein zu Brynjar? Er war stets höflich und fällt niemandem zur Last. Was habt Ihr bloss alle gegen ihn?“ „Ja, merkt Ihr das denn nicht, Ihr einfältiges Küken?“ gab die Kiserliche erbost zurück „Da ist etwas an diesem Mann......etwas, das mir Angst macht. Ihn umgibt eine Kälte, die ich noch bei keinem Menschen bemerkt habe, und habt Ihr seine Augen gesehen?“ „Ja, warum fragt Ihr?“ „Ich glaube nicht, dass Ihr sie Euch genau angesehen habt. Sie sind leer und so tot wie die Kaninchen, die er von der Jagd mitgebracht hat. Keinerlei menschliche Regung ist darin zu entdecken. Und habt Ihr ihn schon einmal lachen gesehen, oder lächeln? Ich nicht! Mit diesem Kerl stimmt irgendetwas nicht, der ist mir unheimlich!“ „Ihr alle hier habt ihm bisher wenig Grund gegeben, sich über etwas zu freuen, Ria. Nicht nur Aela, auch Vilkas, Skjor und Ihr selbst habt ihm einen so eisigen Empfang beschert, dass ich mich wundere, dass der arme Kerl keine Frostbeulen davongetragen hat.“

Unterdessen ging Brynjar ein weiteres Mal den langen, gemusterten Teppich entlang, der den Gang bedeckte, der zu den Räumen der ranghöheren Mitglieder der Gefährten führte. Er kannte den Weg zu Kodlak's Quartier, aber wo lebte Farkas? Da kam ihm, glücklicherweise, auf halbem Weg Torvar entgegen, der stets durstige Nord, der ein so unangenehmes Bad genommen hatte. „Hallo, mein Freund, Ihr müsst der Neue sein!“ begrüsste er Brynjar gutgelaunt. „Guten Tag,“ antwortete der Neue freundlich. „Ja, ich bin Brynjar Sturm-Geborener, und Ihr seid.......Torvar?“ „Torvar, der ewig Durstige, in der Tat. Suffkopp von Jorrvaskr und ewiger Dorn im Fleische von Vilkas und Skjor. Habt Ihr mal ne Flasche Met für mich, Brynjar?“ „Ich bedaure, ich habe keinen bei mir, aber hier stehen überall welche herum. Warum bedient Ihr Euch nicht einfach, Ihr seid doch hier zu Hause.“ „Oh, nein. Nein, nein, das geht nicht, das gibt Ärger. Wenn ich erwischt werde, wird der gute Onkel Skjor mich in der Luft zerreissen. Na gut, dann gehe ich eben durstig wieder ins Bett.“ Auch wenn es bald Zeit zum Abendessen war, Bryn fühlte sich nicht dazu berechtigt, dem Manne Vorhaltungen zu machen, er war schliesslich nur Gast hier. „Oh, ähem, Torvar!“ rief er dem Gefährten nach. „Habt Ihr doch noch ne Flasche für mich?“ „Nein, ich habe wirklich keine. Aber könntet Ihr mir trotzdem zeigen, wo sich das Quartier von Farkas befindet?“ „Natürlich, mein Freund, natürlich, kommt, ich zeige es Euch.“

Einige Meter hinter dem Raum der Rekruten führte ein kleiner Quergang kreuzweise über den langen und bildete sowohl links, als auch rechts, kleine Einbuchtungen, in denen man jeweils zwei Türen erkennen konnte. Zuerst deutete Torvar nach links. „Dort wohnen Aela und Skjor. Ich meine, hier wohnt Aela, und auf der anderen Seite wohnt Skjor. Ich meine, sie........liegen nicht immer jede Nacht in ihrem eigenen Bett, wenn Ihr versteht, was ich meine.“ Er grinste und zwinkerte mit dem Auge, aber Brynjar hatte kein Interesse an den Bettgeschichten dieser Leute, auch wenn diese Sache mit Vignar und Brill ihn mehr beschäftigte, als er sich selbst eingestehen wollte. „Und hier, auf dieser Seite, wohnen die beiden Zwillinge,“ erfuhr er, dann deutete Torvar auf die Tür auf der linken Seite und sagte: „Das ist Farkas Zimmer.“ „Ich danke Euch, Torvar, aber vergesst nicht, dass bald das Abendessen auf dem Tisch stehen wird.“

„Ach, Abendessen,“ stöhnte der Mann in der Lederrüstung, „ich kann den ewigen Kohl nicht mehr sehen, den Tilma uns seit Tagen vorsetzt, ich trinke mein Essen!“ „Farkas und ich, wir waren auf der Jagd heute Nachmittag, es wird ein feines Fleischgericht geben heute Abend!“ „Oh! Na, das ist etwas anderes, das höre ich doch gerne! Ich werde mir eben ein wenig Wasser ins Gesicht werfen und dann nach oben gehen.“ Brynjar wartete ab, bis der Mann ausser Hörweite war und klopfte dann an Farkas Zimmertür. Keine Antwort. Er klopfte erneut. „Farkas? Ich bin es, Brynjar. Bitte, ich möchte mit Euch reden.“ „Ich will aber nicht mit Euch reden,“ kam es von drinnen trotzig zurück.
Der Rothaarige überlegte fieberhaft, wie er Farkas dazu überreden konnte, seine Meinung zu ändern. „Farkas?“ versuchte er ein weiteres mal sein Glück. „Wir sind Freunde, oder nicht?“ Als niemand antwortete, wagte Brynjar einen Schuss ins Blaue. „Ich muss zugeben, ich weiss nicht viel über Freundschaft, aber ich habe gelesen, dass Freunde einander vertrauen und über alles reden, was sie bedrückt. Bitte, Ihr könnt mir vertrauen, es ist wichtig.“

Nun endlich hörte man Geräusche aus dem Zimmer, Schritte, die sich der Tür näherten, einen Schlüssel, der in einem Schloss herumgedreht wurde. Schliesslich wurde die Tür geöffnet, Farkas machte einen Schritt nach hinten, um seinen Besucher hereinzulassen und schloss die Tür wieder hinter sich. Ohne ein Wort setzte er sich auf sein Bett und wartete ab, bis sich sein Gast auf dem Stuhl gegenüber niedergelassen hatte. Er scheute sich davor, seinem Freund in die Augen zu sehen, er war echt enttäuscht darüber, dass ausgerechnet der ihm diesen Triumph nicht gegönnt hatte.

„Farkas, mein Freund,“ begann Brynjar schliesslich. Da erst hob der Gefährte seinen Kopf und blickte den Neuling traurig an. „Farkas,“ fuhr Brynjar fort, „ich.... ich weiss nicht, wie ich es Euch erklären soll. Ich konnte es einfach nicht zulassen, dass Ihr dieses Tier tötet!“ „Ach, und warum nicht? Es gibt Tausende von ihnen da draussen, ein Elch mehr oder weniger, was macht das schon? Alle hier halten mich für ein wenig beschränkt und ungeschickt. Mit dieser Trophäe hätte ich mir vielleicht ein wenig Respekt verschaffehn können, aber Ihr habt mir alles kaputtgemacht!“ Zornig stand Farkas nun auf und begann, in dem winzigen Raum auf- und abzugehen. Auch Bryn erhob sich, ging auf den Freund zu und griff nach dessen Armen.

„Bitte Farkas, seht mich an und hört mir zu.“ Widerwillig blieb der Krieger auf der Stelle stehen, erhob aber seine Augen und sah den Freund durchdringend an. „Ich weiss nicht, ob Ihr es verstehen könnt, ich verstehe es selbst kaum, aber ich sage die Wahrheit. Als Ihr schon im Begriff wart, den Pfeil abzuschiessen, nahm ich eine sanft flüsternde Stimme wahr, aber nicht meine Ohren vernahmen das Flehen des Tieres, die Stimme war in meinem Kopf. Und sie flehte um ihr Leben, Farkas. Dieses stolze Tier, dem Ihr das Leben nehmen wolltet, flehte mich an, ihm dieses kostbare Gut nicht zu nehmen. Bitte, Ihr müsst mir glauben!“ Farkas machte sich los und trat einen Schritt zurück. „Und das soll ich Euch glauben? Kein Mensch kann mit Tieren reden! Nicht mal ein Magier!“

„Ich habe nicht mit ihm gesprochen, Farkas, ich habe lediglich seine Stimme gehört. Denkt doch einmal nach, mein Freund. Es war ein imposantes, grosses, kräftiges Tier, vielleicht der Anführer seiner Herde. Als Leitbulle trägt er eine grosse Verantwortung, ohne seine Klugheit und Erfahrung im Umgang mit möglichen Gefahren wären seine Schutzbefohlenen völlig hilflos. Er passt auf sie auf, kümmert sich um den Nachwuchs und führt seine Herde zu guten Weideplätzen und sicheren Wasserstellen, sie brauchen ihn.“ Brynjar hatte Mitgefühl für Tiere, doch bei Menschen versagte diese innere Regung völlig, wenngleich ihm Farkas Freundschaft wirklich etwas bedeutete.

Innerlich aufgewühlt, ging der Gefährte an ein Regal hinter dem grossen Tisch in seinem Raum, der fast wie der Tresen in einer Taverne wirkte, und holte sich eine Flasche Met herunter. Schon schlug er wieder die Richtung zu seinem Bett ein, da drehte er sich wieder um, nahm eine weitere Flasche vom Brett herunter und reichte sie lächelnd seinem Freund. „Also gut, versuchen wir doch einfach, beim nächsten Mal einen netten Troll zu erwischen, der hat garantiert keine Herde zu versorgen, denn die Kerle sind Einzelgänger!“ „Einverstanden!“ pflichtete Brynjar ihm bei, und zum erstenMal sah Farkas auf dem stets ernsten Gesicht seines Freundes ein zaghaftes Lächeln.

Nachdem beide Flaschen in nun wieder entspannter Atmosphäre geleert worden waren, besann sich Brynjar auf ein wichtiges Treffen, das er auf keinen Fall versäumen durfte. „Verflixt und zugenäht,“ fluchte er und sprang auf. „Was ist denn los?“ fragte Farkas ein wenig erschrocken. „Wann wird das Abendessen aufgetragen?“ „In etwa zehn Minuten, denke ich,“ informierte der Gefährte den Neuling. „Perfekt, ich muss schnell hinunterspringen zum Brunnen und mich von Pelagia verabschieden!“ „Hättet Ihr etwas dagegen, wenn ich Euch begleite?“ erkundigte sich Farkas vorsichtig. „Nein, keineswegs, kommt nur mit!“

Als die beiden Männer durch die Methalle in Richtung Ausgang liefen, sahen sie, dass schon einige der Leute hier am Esstisch sassen und sich miteinander unterhielten. Brynjar kümmerte sich nicht weiter um sie, vergewisserte sich nur, dass Farkas an seiner Seite war und sprang dann, zwei Stufen auf einmal nehmend, die breite Treppe zu dem grossen, toten Baum hinunter, der mitten im Windbezirk klagend seine kahlen, abgestorbenen Äste und Zweige gen Himmel streckte. „Was ist eigentlich mit diesem Baum passiert, Farkas?“ „ Vor vielen Jahren wurde er bei einem schlimmen Gewitter von einem Blitz getroffen. Obwohl das Wasser in Strömen vom Himmel fiel, schaffte es der Regen erst, die Flammen zu löschen, als der Baum bereits kahl und tot war. Seitdem steht er so da, aber niemand wagt es, Hand an ihn zu legen, und Danica Reine-Quelle, die Priesterin des Kynareth, die die Kranken behandelt und über diesen Baum wacht, ist der festen Überzeugung, dass er nur schläft. Ich habe keine Ahnung, was sie damit meint.“

Wie zwei kleine Jungen, die einem Hund hinterherlaufen, rannten die beiden Männer am Baum vorbei und die Treppe zum Marktplatz hinunter, wo bereits der Bauer, der alte Gloth und die Elfe auf ihn warteten. „Nun sieh mal einer an,“ gab die ewig unzufriedene Bosmer von sich. „Geruht der Herr endlich, uns von unserer Wache hier am Brunnen abzulösen?“ Brynjar beachtete sie gar nicht, sondern wandte sich direkt an an Pelagia. „Ich werde nicht mit Euch mitkommen, Bauer. Ich werde für eine Weile bei den Gefährten bleiben und das Kämpfen lernen. Habt Dank für alles, ich werde an einem der nächsten Tage noch einmal vorbeikommen und meine Sachen abholen.“ „Nun,“ erwiderte Pelagia, „einen so tüchtigen und problemlosen Arbeiter verliere ich nicht gerne, aber es war abzusehen. Ihr seid nicht der Typ von Mann, der ein Leben lang auf irgendeinem staubigen Acker schuftet und Gemüse anbaut. Falls ich nicht da sein sollte, wenn Ihr Eure Bücher abholt, Ihr habt noch für drei Tage Lohn zu bekommen, hier. Und alles Gute, vielleicht treffen wir uns ja einmal wieder, irgendwann.“ „Behaltet das Geld, Pelagia. Tut mir einen persönlichen Gefallen und sorgt dafür, dass dieses freundliche Tier hier immer auch ein wenig Hafer bekommt. Und lasst sie nicht mehr so schwer arbeiten, sie ist nicht mehr die Jüngste.“

Gerührt von seiner Bitte griff der Bauer nach Brynjars Hand und legte die Münzen hinein. „Das Geld steht Euch zu, mein Freund. Nehmt es. Ich verspreche Euch, dass es Valentina immer gut haben wird, und dass es ihr an nichts fehlen soll.“

Dann scheuchte der freundliche Mann seine Leute auf den Wagen und gab dem Pferd das Kommando zum Losgehen. Sanft strich Brynjar der Stute noch einmal über's Maul. „Lebe wohl, altes Mädchen, der Bauer wird gut zu Dir sein.“ Zärtlich rieb das Tier seine Nase an der warmen Hand, wieherte leise, wie, um sich zu verabschieden und trabte dann gemütlich los.

„Ihr habt ein Händchen für Tiere, nicht wahr?“ stellte Farkas fasziniert fest und lächelte seinen Freund an. „Ich weiss nicht so recht. Mit Tieren umzugehen, fällt mir oft sehr viel leichter, als mit Menschen.“ „Ich denke, ich kann Euch verstehen, Menschen können manchmal verdammt kompliziert sein! Und nun kommt, mein Magen knurrt.“ „Farkas?“ Der Gefährte war bereits wieder auf die grosse Treppe in Richutng Windbezirk zugelaufen, als er wieder anhielt und sich umdrehte. „Ja?“ „Vielleicht könnten wir......nach dem Essen.......gemeinsam in der Beflaggten Mähre einen leckeren Honigbräu-Met trinken? Ich werde Euch einladen.“ „Oh, ja, fein“ Es gibt nichts Besseres, um die Verdauung anzuregen, als einen kühlen Schluck dieses herrlich süssen Saftes, abgemacht!“

Farkas strahlte, und mit diesem Strahlen senkte sich ein angenehmes Gefühl von Wohlbehagen und Zufriedenheit über den gesamten Bezirk.

Rainbowdemon
24.07.2013, 14:30
Kapitel 08 – Erfahrungen


„Meint Ihr wirklich, dass die Beiden......ich meine.........Sex miteinander haben?“ Farkas zuckte mit den Schultern. „Genau weiss das keiner von uns. In einer so kleinen Gemeinschaft machen immer irgendwelche Gerüchte die Runde. Stellt Euch vor, unser Spassvogel Torvar hat sich sogar einmal nachts vor der Zimmertür der beiden Männer auf die Lauer gelegt, ob er.........ähem......verdächtige Geräusche hören würde.“ „Und? Hat er etwas gehört?“ wollte Brynjar neugierig wissen. Die Techniken waren ihm soweit vertraut, aber ihm leuchtete es nicht ein, wie das mit zwei Männern funktionieren sollte, und dieser Gedanke liess ihn seltsamerweise nicht los.

„Wir fanden ihn morgens vor der Tür, schlafend. Zum Glück war noch keiner der beiden Bewohner herausgekommen, sonst hätte Torvar bestimmt eine Abfuhr von Vignar bekommen. Er ist übrigens das Oberhaupt einer der ältesten und angesehensten Familien hier in Weisslauf, des Clans Grau-Mähne. Unser Schmied, Eorlund, ist sein Bruder, und er ist der Onkel von dessen Kindern, Avulstein, Thorald und Olfina.“ „Und die andere Familie?“ „Der andere Clan, das sind die Kampf-Geborenen. Es hat mal eine Zeit gegeben, da waren die Familien gute Freunde, aber seit dem Bürgerkrieg hat sich das geändert.“ Farkas Gesicht wurde traurig. Er verehrte Eorlund Grau-Mähne, den Schmied der Gefährten, sehr und konnte spüren, wie er unter dem Verlust der einstigen Freunde litt. „Was hat sie entzweit?“ fragte Brynjar interessiert. „Die Familie der Grau-Mähnen unterstützte von Anfang an Ulfric und die Sturmmäntel. Sie sind stolze Nord und mit den Rebellen der Meinung, dass Himmeslrand den Einheimischen gehört. Sie möchten alle Kaiserlichen aus unserem Land vertreiben.“

„Und die Kampf-Geborenen haben sich auf die Seite der Kaiserlichen geschlagen?“ „Ja, leider. Vor etwa einem Jahr waren einige hohe kaiserliche Beamte hier, um mit dem Jarl über die Lage zu diskutieren. Sie wollten sich so vieler Fürstentümer, wie möglich, versichern, und um deren Unterstützung im Kampf gegen die Rebellen. Balgruuf, der Ältere, schert sich nicht gross um die Politik. Ihm kommt es in erster Linie darauf an, dass es seinen Leuten und seinen Städten gut geht. Er ist weise und gerecht, und wäre vor den Kaiserlichen eine Abordnung von Ulfric Sturmmantel bei ihm gewesen, wer weiss, vielleicht hätte er sich dann für deren Seite entschieden. Die kaiserlichen Abgeordneten versprachen ihm wohl etliche Privilegien, wenn er sich dafür auf ihre Seite schlägt, und da Idolaf Kampf-Geborener, einer der Berater des Jarls ist, hat er sich dem gleich angeschlossen und schimpft den ganzen, langen Tag auf die Sturmmäntel.“

„Und auf wessen Seite steht Ihr, Farkas? Und die Gefährten?“ „Ach, wisst Ihr – Talos, Sturmmäntel, Thalmor, das ist mir alles viel zu kompliziert. Sagt mir einfach, wen ich verprügeln soll!“ Farkas lachte über seinen letzten Satz, und hätte sein Begleiter einen Sinn für Humor besessen, hätte er sicher eingestimmt. So wandten sich die beiden Jäger nach Westen und hielten nach Beute Ausschau. Ein paar Kaninchen und Fasane waren schnell erlegt, und der Sack, den sie mitgenommen hatten, füllte sich.

Da lief ihnen in einiger Entfernung, sie hatten bereits die Schneefall-Grenze passiert, ein grosser, kräftiger Elchbulle über den Weg. „Den werde ich mir holen! Sein Geweih wird über meinem Bett bestimmt toll aussehen!“ Farkas war völlig aus dem Häuschen, schlich dem äsenden Tier entgegen und liess es nicht aus den Augen. Brynjolf folgte ihm, bis er neben ihm im Gras kauerte und sah dem arglosen Geschöpf beim Kauen zu. Eine kaum hörbare Stimme erklang plötzlich in seinem Inneren, die er zuerst gar nicht bewusst wahrnahm. Es war wie ein Hauch, sublim, nicht stofflich, kein Ohr hätte sie hören können. Doch die Stimme war da und liess sich nicht vertreiben, in sämtlichen Sinnen fand sie ihren Widerhall, liess sich nicht abschütteln. Zuerst war es wie das Rauschen des Windes in den unzähligen Blättern einer mächtigen Baumkrone, dann wieder wie das leise Plätschern von weichen Wellen über weiches Moos. Und es war ein Flehen in dieser Stimme, als sie schliesslich deutlich vernehmbar flüsterte: „Nein, bitte, tu es nicht!“

Plötzlich riss Brynjar die Augen auf, als würde er aus einem tiefen Traum erwachen. Er sah, wie Farkas den Bogen spannte, anhob und auf das friedlich grasende Tier zielte. Der Krieger war hochkonzentriert, jeder Muskel in seinem durchtrainierten Körper so gespannt wie die Sehne seines Bogens, schon wollte er den Pfeil loslassen, damit er sich in die Brust des Elches hineinbohrte......da spürte er plötzlich, wie sich, ganz sachte, leicht wie ein Schmetterling, eine Hand auf den Arm legte, der den Bogen hielt.

Überrascht liess er den Bogen sinken und keuchte, was den stets aufmerksamen Säuger zu einer raschen Flucht veranlasste. Fort, nur fort von hier! „Brynjar, warum habt Ihr das getan? Das wäre eine schöne Jagd-Trophäe gewesen!“ Farkas war verstimmt und fühlte sich um einen schönen Erfolg betrogen. Wortlos verstaute er Pfeil und Bogen, schnappte sich den schweren Sack und marschierte los, in Richtung Weisslauf.

„Farkas,“ begann Brynjar zaghaft, „ich.......ich konnte nicht anders. Verzeiht mir.“ „Warum konntet Ihr nicht anders? War das vielleicht ein Bekannter von Euch, mit dem Ihr nachher noch eine Verabredung habt?“ Sein Begleiter schien ernstlich verärgert, und Bryn, der seinen Freund so noch nicht erlebt hatte, war betroffen, aber er wusste, er hatte nicht anders handeln können. Stumm und wie zwei Fremde setzten die beiden Männer ihren Heimweg fort, während am Horizont die Sonne den Abend in ein goldenes Licht tauchte. Auch in der Stadt wechselten sie kein Wort miteinander, gingen beim Stand von Anoriath vorbei, um ihm etwas von der Beute abzugeben, wie versprochen, und schlugen dann en Weg nach Jorrvaskr ein. Die zwei Fasane weniger waren kein Verlust, und der Bosmer, das wusste Farkas, würde sich irgendwann und irgendwie dafür erkenntlich zeigen.

Tilma freute sich über die gute Beute, die die beiden Männer nach Hause brachten und verschwand gleich mit dem schweren Sack in der Küche. Farkas liess den Freund einfach mitten im Raum stehen und ging nach unten, um sich vor dem Essen ein wenig frisch zu machen. Tief in Gedanken versunken trat auch Brynjar seinen Weg in Richtung Quartiere an, als er plötzlich hinter sich einen schrillen Pfiff hörte. Der Laut schmerzte in seinen Ohren, er drehte sich um und sah dort Njada Stein-Arm und Ria stehen, die sich vor Lachen kaum halten konnten. Brynjar ignorierte ihr albernes Benehmen und setzte seinen Weg fort, aber er kam nicht weit.

„Hey, Neuer!“ Das war die provozierende, keifende Stimme einer Person, die nicht gut auf ihn zu sprechen war. Njada war freundlich zu ihm gewesen, als er ihr und den anderen Frau mit der widerlichen Kriegsbemalung gegenübergestanden hatte, es konnte sich also hier nur um die Kaiserliche handeln. Die kleinen Streitereien und Intrigen unter diesem Dach interessierten Brynjar nicht, das ging ihn nichts an, Beleidigungen ihm gegenüber konnte er allerdings nicht einfach so hinnehmen. Er machte auf dem Absatz kehrt, rührte sich aber keinen Zentimeter vom Fleck. „Mein Name ist Brynjar, falls Euch Euer Gedächtnis im Stich gelassen hat, Ria. Was wollt Ihr von mir?“ Von der nicht weniger beleidigenden Antwort des „Neuen“ nicht im mindesten beeindruckt, fuhr sie fort. „Nun, wenn ich Euch in Eurer neuen Rüstung sehe, Brynjar Sturm-Geborener, dann fielen mir da schon so ein paar Dinge ein, die ich von......ähem......mit Euch tun wollte, aber lassen wir das jetzt. Was, um alles in der Welt, habt Ihr da draussen mit Farkas angestellt? Mit einer so sauertöpfischen Miene habe ich ihn schon lange nicht mehr gesehen.“

„Wie ich bereits erwähnt hatte, Ria, ich hege nicht das geringste Interesse an Eurer Person, und es liegt mir fern, irgendetwas mit Euch zu tun oder mit mir tun zu lassen. Ich würde mich weigern, Euch auf einer Mission zu begleiten, und ich würde es ebenfalls ablehnen, mit Euch einen Becher zu heben. Ab heute weigere ich mich auch, mit einem Menschen wie Euch an einem Tisch zu sitzen, der nichts als Hohn und Spott für einen Neuling übrig hat. Ich hatte viel Gutes über die Gefährten gehört, bevor ich nach Weisslauf kam, aber dem Bild, das ich mir von ihnen gemacht hatte, entspricht einzig und alleine Farkas!“ Über den Vorfall während der Jagd wollte er nicht sprechen, das ging nur ihn und seinen Freund etwas an, sofern er sich noch als seinen Freund bezeichnen durfte. Entschlossen stieg er die Treppe nach unten und bereitete sich darauf vor, den Krieger in seinem Quartier aufzusuchen.

„Das geschah Euch ganz recht, Ria!“ schalt unterdessen die junge Njada mit der älteren Rekrutin. „Warum seid Ihr alle so gemein zu Brynjar? Er war stets höflich und fällt niemandem zur Last. Was habt Ihr bloss alle gegen ihn?“ „Ja, merkt Ihr das denn nicht, Ihr einfältiges Küken?“ gab die Kiserliche erbost zurück „Da ist etwas an diesem Mann......etwas, das mir Angst macht. Ihn umgibt eine Kälte, die ich noch bei keinem Menschen bemerkt habe, und habt Ihr seine Augen gesehen?“ „Ja, warum fragt Ihr?“ „Ich glaube nicht, dass Ihr sie Euch genau angesehen habt. Sie sind leer und so tot wie die Kaninchen, die er von der Jagd mitgebracht hat. Keinerlei menschliche Regung ist darin zu entdecken. Und habt Ihr ihn schon einmal lachen gesehen, oder lächeln? Ich nicht! Mit diesem Kerl stimmt irgendetwas nicht, der ist mir unheimlich!“ „Ihr alle hier habt ihm bisher wenig Grund gegeben, sich über etwas zu freuen, Ria. Nicht nur Aela, auch Vilkas, Skjor und Ihr selbst habt ihm einen so eisigen Empfang beschert, dass ich mich wundere, dass der arme Kerl keine Frostbeulen davongetragen hat.“

Unterdessen ging Brynjar ein weiteres Mal den langen, gemusterten Teppich entlang, der den Gang bedeckte, der zu den Räumen der ranghöheren Mitglieder der Gefährten führte. Er kannte den Weg zu Kodlak's Quartier, aber wo lebte Farkas? Da kam ihm, glücklicherweise, auf halbem Weg Torvar entgegen, der stets durstige Nord, der ein so unangenehmes Bad genommen hatte. „Hallo, mein Freund, Ihr müsst der Neue sein!“ begrüsste er Brynjar gutgelaunt. „Guten Tag,“ antwortete der Neue freundlich. „Ja, ich bin Brynjar Sturm-Geborener, und Ihr seid.......Torvar?“ „Torvar, der ewig Durstige, in der Tat. Suffkopp von Jorrvaskr und ewiger Dorn im Fleische von Vilkas und Skjor. Habt Ihr mal ne Flasche Met für mich, Brynjar?“ „Ich bedaure, ich habe keinen bei mir, aber hier stehen überall welche herum. Warum bedient Ihr Euch nicht einfach, Ihr seid doch hier zu Hause.“ „Oh, nein. Nein, nein, das geht nicht, das gibt Ärger. Wenn ich erwischt werde, wird der gute Onkel Skjor mich in der Luft zerreissen. Na gut, dann gehe ich eben durstig wieder ins Bett.“ Auch wenn es bald Zeit zum Abendessen war, Bryn fühlte sich nicht dazu berechtigt, dem Manne Vorhaltungen zu machen, er war schliesslich nur Gast hier. „Oh, ähem, Torvar!“ rief er dem Gefährten nach. „Habt Ihr doch noch ne Flasche für mich?“ „Nein, ich habe wirklich keine. Aber könntet Ihr mir trotzdem zeigen, wo sich das Quartier von Farkas befindet?“ „Natürlich, mein Freund, natürlich, kommt, ich zeige es Euch.“

Einige Meter hinter dem Raum der Rekruten führte ein kleiner Quergang kreuzweise über den langen und bildete sowohl links, als auch rechts, kleine Einbuchtungen, in denen man jeweils zwei Türen erkennen konnte. Zuerst deutete Torvar nach links. „Dort wohnen Aela und Skjor. Ich meine, hier wohnt Aela, und auf der anderen Seite wohnt Skjor. Ich meine, sie........liegen nicht immer jede Nacht in ihrem eigenen Bett, wenn Ihr versteht, was ich meine.“ Er grinste und zwinkerte mit dem Auge, aber Brynjar hatte kein Interesse an den Bettgeschichten dieser Leute, auch wenn die Sache mit Vignar und Brill ihn mehr beschäftigte, als er sich selbst eingestehen wollte. „Und hier, auf dieser Seite, wohnen die beiden Zwillinge,“ erfuhr er, dann deutete Torvar auf die Tür auf der linken Seite und sagte: „Das ist Farkas Zimmer.“ „Ich danke Euch, Torvar, aber vergesst nicht, dass bald das Abendessen auf dem Tisch stehen wird.“

„Ach, Abendessen,“ stöhnte der Mann in der Lederrüstung, „ich kann den ewigen Kohl nicht mehr sehen, den Tilma uns seit Tagen vorsetzt, ich trinke mein Essen!“ „Farkas und ich, wir waren auf der Jagd heute Nachmittag, es wird ein feines Fleischgericht geben heute Abend!“ „Oh! Na, das ist etwas anderes, das höre ich doch gerne! Ich werde mir eben ein wenig Wasser ins Gesicht werfen und dann nach oben gehen.“ Brynjar wartete ab, bis der Mann ausser Hörweite war und klopfte dann an Farkas Zimmertür. Keine Antwort. Er klopfte erneut. „Farkas? Ich bin es, Brynjar. Bitte, ich möchte mit Euch reden.“ „Ich will aber nicht mit Euch reden,“ kam es von drinnen trotzig zurück.
Der Rothaarige überlegte fieberhaft, wie er Farkas dazu überreden konnte, seine Meinung zu ändern. „Farkas?“ versuchte er ein weiteres mal sein Glück. „Wir sind Freunde, oder nicht?“ Als niemand antwortete, wagte Brynjar einen Schuss ins Blaue. „Ich muss zugeben, ich weiss nicht viel über Freundschaft, aber ich habe gelesen, dass Freunde einander vertrauen und über alles reden, was sie bedrückt. Bitte, Ihr könnt mir vertrauen, es ist wichtig.“

Nun endlich hörte man Geräusche aus dem Zimmer, Schritte, die sich der Tür näherten, einen Schlüssel, der in einem Schloss herumgedreht wurde. Schliesslich wurde die Tür geöffnet, Farkas machte einen Schritt nach hinten, um seinen Besucher hereinzulassen und schloss die Tür wieder hinter sich. Ohne ein Wort setzte er sich auf sein Bett und wartete ab, bis sich sein Gast auf dem Stuhl gegenüber niedergelassen hatte. Er scheute sich davor, seinem Freund in die Augen zu sehen, er war in der Tat enttäuscht darüber, dass ausgerechnet der ihm diesen Triumph nicht gegönnt hatte.

„Farkas, mein Freund,“ begann Brynjar schliesslich. Da erst hob der Gefährte seinen Kopf und blickte den Neuling traurig an. „Farkas,“ fuhr Brynjar fort, „ich.... ich weiss nicht, wie ich es Euch erklären soll. Ich konnte es einfach nicht zulassen, dass Ihr dieses Tier tötet!“ „Ach, und warum nicht? Es gibt Tausende von ihnen da draussen, ein Elch mehr oder weniger, was macht das schon? Alle hier halten mich für ein wenig beschränkt und ungeschickt. Mit dieser Trophäe hätte ich mir vielleicht ein wenig Respekt verschaffehn können, aber Ihr habt mir alles kaputtgemacht!“ Zornig stand Farkas nun auf und begann, in dem winzigen Raum auf- und abzugehen. Auch Bryn erhob sich, ging auf den Freund zu und griff nach dessen Armen.

„Bitte Farkas, seht mich an und hört mir zu.“ Widerwillig blieb der Krieger auf der Stelle stehen, erhob aber seine Augen und sah den Freund durchdringend an. „Ich weiss nicht, ob Ihr es verstehen könnt, ich verstehe es selbst kaum, aber ich sage die Wahrheit. Als Ihr schon im Begriff wart, den Pfeil loszulasssen, nahm ich eine sanft flüsternde Stimme wahr, aber nicht meine Ohren vernahmen das Flehen des Tieres, die Stimme war in meinem Kopf. Und sie flehte um ihr Leben, Farkas. Dieses stolze Tier, dem Ihr das Leben nehmen wolltet, flehte mich an, ihm dieses kostbare Gut nicht zu nehmen. Bitte, Ihr müsst mir glauben!“ Farkas machte sich los und trat einen Schritt zurück. „Und das soll ich Euch glauben? Kein Mensch kann mit Tieren reden! Nicht mal ein Magier!“

„Ich habe nicht mit ihm gesprochen, Farkas, ich habe lediglich seine Stimme gehört. Denkt doch einmal nach, mein Freund. Es war ein imposantes, grosses, kräftiges Tier, vielleicht der Anführer seiner Herde. Als Leitbulle trägt er eine grosse Verantwortung, ohne seine Klugheit und Erfahrung im Umgang mit möglichen Gefahren wären seine Schutzbefohlenen völlig hilflos. Er passt auf sie auf, kümmert sich um den Nachwuchs und führt seine Herde zu guten Weideplätzen und sicheren Wasserstellen, sie brauchen ihn.“ Brynjar hatte Mitgefühl für Tiere, doch bei Menschen versagte diese innere Regung völlig, wenngleich ihm Farkas Freundschaft wirklich etwas bedeutete.

Innerlich aufgewühlt, ging der Gefährte an ein Regal hinter dem grossen Tisch in seinem Raum, der fast wie der Tresen in einer Taverne wirkte, und holte sich eine Flasche Met herunter. Schon schlug er wieder die Richtung zu seinem Bett ein, da drehte er sich wieder um, nahm eine weitere Flasche vom Brett herunter und reichte sie lächelnd seinem Freund. „Also gut, versuchen wir doch einfach, beim nächsten Mal einen netten Troll zu erwischen, der hat garantiert keine Herde zu versorgen, denn die Kerle sind Einzelgänger!“ „Einverstanden!“ pflichtete Brynjar ihm bei, und zum erstenMal sah Farkas auf dem stets ernsten Gesicht seines Freundes ein zaghaftes Lächeln.

Nachdem beide Flaschen in nun wieder entspannter Atmosphäre geleert worden waren, besann sich Brynjar auf ein wichtiges Treffen, das er auf keinen Fall versäumen durfte. „Verflixt und zugenäht,“ fluchte er und sprang auf. „Was ist denn los?“ fragte Farkas ein wenig erschrocken. „Wann wird das Abendessen aufgetragen?“ „In etwa zehn Minuten, denke ich,“ informierte der Gefährte den Neuling. „Perfekt, ich muss schnell hinunterspringen zum Brunnen und mich von Pelagia verabschieden!“ „Hättet Ihr etwas dagegen, wenn ich Euch begleite?“ erkundigte sich Farkas vorsichtig. „Nein, keineswegs, kommt nur mit!“

Als die beiden Männer durch die Methalle in Richtung Ausgang liefen, sahen sie, dass schon einige der Leute hier am Esstisch sassen und sich miteinander unterhielten. Brynjar kümmerte sich nicht weiter um sie, vergewisserte sich nur, dass Farkas an seiner Seite war und sprang dann, zwei Stufen auf einmal nehmend, die breite Treppe zu dem grossen, toten Baum hinunter, der mitten im Windbezirk klagend seine kahlen, abgestorbenen Äste und Zweige gen Himmel streckte. „Was ist eigentlich mit diesem Baum passiert, Farkas?“ „Vor vielen Jahren wurde er bei einem schlimmen Gewitter von einem Blitz getroffen. Obwohl das Wasser in Strömen vom Himmel fiel, schaffte es der Regen erst, die Flammen zu löschen, als der Baum bereits kahl und tot war. Seitdem steht er so da, aber niemand wagt es, Hand an ihn zu legen, und Danica Reine-Quelle, die Priesterin des Kynareth, die die Kranken behandelt und über diesen Baum wacht, ist der festen Überzeugung, dass er nur schläft. Ich habe keine Ahnung, was sie damit meint.“

Wie zwei kleine Jungen, die einem Hund hinterherlaufen, rannten die beiden Männer am Baum vorbei und die Treppe zum Marktplatz hinunter, wo bereits der Bauer, der alte Gloth und die Elfe auf ihn warteten. „Nun sieh mal einer an,“ gab die ewig unzufriedene Bosmer von sich. „Geruht der Herr endlich, uns von unserer Wache hier am Brunnen abzulösen?“ Brynjar beachtete sie gar nicht, sondern wandte sich direkt an Pelagia. „Ich werde nicht mit Euch mitkommen, Bauer. Ich werde für eine Weile bei den Gefährten bleiben und das Kämpfen lernen. Habt Dank für alles, ich werde an einem der nächsten Tage noch einmal vorbeikommen und meine Sachen abholen.“ „Nun,“ erwiderte Pelagia, „einen so tüchtigen und problemlosen Arbeiter verliere ich nicht gerne, aber es war abzusehen. Ihr seid nicht der Typ von Mann, der ein Leben lang auf irgendeinem staubigen Acker schuftet und Gemüse anbaut. Falls ich nicht da sein sollte, wenn Ihr Eure Bücher abholt, Ihr habt noch für drei Tage Lohn zu bekommen, hier. Und alles Gute, vielleicht treffen wir uns ja einmal wieder, irgendwann.“ „Behaltet das Geld, Pelagia. Tut mir einen persönlichen Gefallen und sorgt dafür, dass dieses freundliche Tier hier immer auch ein wenig Hafer bekommt. Und lasst sie nicht mehr so schwer arbeiten, sie ist nicht mehr die Jüngste.“

Gerührt von seiner Bitte griff der Bauer nach Brynjars Hand und legte die Münzen hinein. „Das Geld steht Euch zu, mein Freund. Nehmt es. Ich verspreche Euch, dass es Valentina immer gut haben wird, und dass es ihr an nichts fehlen soll.“

Dann scheuchte der freundliche Mann seine Leute auf den Wagen und gab dem Pferd das Kommando zum Losgehen. Sanft strich Brynjar der Stute noch einmal über's Maul. „Lebe wohl, altes Mädchen, der Bauer wird gut zu Dir sein.“ Zärtlich rieb das Tier seine Nase an der warmen Hand, wieherte leise, wie, um sich zu verabschieden und trabte dann gemütlich los.

„Ihr habt ein Händchen für Tiere, nicht wahr?“ stellte Farkas fasziniert fest und lächelte seinen Freund an. „Ich weiss nicht so recht. Mit Tieren umzugehen, fällt mir oft sehr viel leichter, als mit Menschen.“ „Ich denke, ich kann Euch verstehen, Menschen können manchmal verdammt kompliziert sein! Und nun kommt, mein Magen knurrt.“ „Farkas?“ Der Gefährte war bereits wieder auf die grosse Treppe in Richtung Windbezirk zugelaufen, als er wieder anhielt und sich umdrehte. „Ja?“ „Vielleicht könnten wir......nach dem Essen.......gemeinsam in der Beflaggten Mähre einen leckeren Honigbräu-Met trinken? Ich möchte Euch einladen.“ „Oh, ja, fein“ Es gibt nichts Besseres, um die Verdauung anzuregen, als einen kühlen Schluck dieses herrlich süssen Saftes, abgemacht!“

Farkas strahlte, und mit diesem Strahlen senkte sich ein angenehmes Gefühl von Wohlbehagen und Zufriedenheit über den gesamten Bezirk.

Rainbowdemon
24.07.2013, 14:35
Kapitel 08 – Erfahrungen


„Meint Ihr wirklich, dass die Beiden......ich meine.........Sex miteinander haben?“ Farkas zuckte mit den Schultern. „Genau weiss das keiner von uns. In einer so kleinen Gemeinschaft machen immer irgendwelche Gerüchte die Runde. Stellt Euch vor, unser Spassvogel Torvar hat sich sogar einmal nachts vor der Zimmertür der beiden Männer auf die Lauer gelegt, ob er.........ähem......verdächtige Geräusche hören würde.“ „Und? Hat er etwas gehört?“ wollte Brynjar neugierig wissen. Die Techniken waren ihm soweit vertraut, aber ihm leuchtete es nicht ein, wie das mit zwei Männern funktionieren sollte, und dieser Gedanke liess ihn seltsamerweise nicht los.

„Wir fanden ihn morgens vor der Tür, schlafend. Zum Glück war noch keiner der beiden Bewohner herausgekommen, sonst hätte Torvar bestimmt eine Abfuhr von Vignar bekommen. Er ist übrigens das Oberhaupt einer der ältesten und angesehensten Familien hier in Weisslauf, des Clans Grau-Mähne. Unser Schmied, Eorlund, ist sein Bruder, und er ist der Onkel von dessen Kindern, Avulstein, Thorald und Olfina.“ „Und die andere Familie?“ „Der andere Clan, das sind die Kampf-Geborenen. Es hat mal eine Zeit gegeben, da waren die Familien gute Freunde, aber seit dem Bürgerkrieg hat sich das geändert.“ Farkas Gesicht wurde traurig. Er verehrte Eorlund Grau-Mähne, den Schmied der Gefährten, sehr und konnte spüren, wie er unter dem Verlust der einstigen Freunde litt. „Was hat sie entzweit?“ fragte Brynjar interessiert. „Die Familie der Grau-Mähnen unterstützte von Anfang an Ulfric und die Sturmmäntel. Sie sind stolze Nord und mit den Rebellen der Meinung, dass Himmeslrand den Einheimischen gehört. Sie möchten alle Kaiserlichen aus unserem Land vertreiben.“

„Und die Kampf-Geborenen haben sich auf die Seite der Kaiserlichen geschlagen?“ „Ja, leider. Vor etwa einem Jahr waren einige hohe kaiserliche Beamte hier, um mit dem Jarl über die Lage zu diskutieren. Sie wollten sich so vieler Fürstentümer, wie möglich, versichern, und um deren Unterstützung im Kampf gegen die Rebellen. Balgruuf, der Ältere, schert sich nicht gross um die Politik. Ihm kommt es in erster Linie darauf an, dass es seinen Leuten und seinen Städten gut geht. Er ist weise und gerecht, und wäre vor den Kaiserlichen eine Abordnung von Ulfric Sturmmantel bei ihm gewesen, wer weiss, vielleicht hätte er sich dann für deren Seite entschieden. Die kaiserlichen Abgeordneten versprachen ihm wohl etliche Privilegien, wenn er sich dafür auf ihre Seite schlägt, und da Idolaf Kampf-Geborener, einer der Berater des Jarls ist, hat er sich dem gleich angeschlossen und schimpft den ganzen, langen Tag auf die Sturmmäntel.“

„Und auf wessen Seite steht Ihr, Farkas? Und die Gefährten?“ „Ach, wisst Ihr – Talos, Sturmmäntel, Thalmor, das ist mir alles viel zu kompliziert. Sagt mir einfach, wen ich verprügeln soll!“ Farkas lachte über seinen letzten Satz, und hätte sein Begleiter einen Sinn für Humor besessen, hätte er sicher eingestimmt. So wandten sich die beiden Jäger nach Westen und hielten nach Beute Ausschau. Ein paar Kaninchen und Fasane waren schnell erlegt, und der Sack, den sie mitgenommen hatten, füllte sich.

Da lief ihnen in einiger Entfernung, sie hatten bereits die Schneefall-Grenze passiert, ein grosser, kräftiger Elchbulle über den Weg. „Den werde ich mir holen! Sein Geweih wird über meinem Bett bestimmt toll aussehen!“ Farkas war völlig aus dem Häuschen, schlich dem äsenden Tier entgegen und liess es nicht aus den Augen. Brynjolf folgte ihm, bis er neben ihm im Gras kauerte und sah dem arglosen Geschöpf beim Kauen zu. Eine kaum hörbare Stimme erklang plötzlich in seinem Inneren, die er zuerst gar nicht bewusst wahrnahm. Es war wie ein Hauch, sublim, nicht stofflich, kein Ohr hätte sie hören können. Doch die Stimme war da und liess sich nicht vertreiben, in sämtlichen Sinnen fand sie ihren Widerhall, liess sich nicht abschütteln. Zuerst war es wie das Rauschen des Windes in den unzähligen Blättern einer mächtigen Baumkrone, dann wieder wie das leise Plätschern von weichen Wellen über weiches Moos. Und es war ein Flehen in dieser Stimme, als sie schliesslich deutlich vernehmbar flüsterte: „Nein, bitte, tu es nicht!“

Plötzlich riss Brynjar die Augen auf, als würde er aus einem tiefen Traum erwachen. Er sah, wie Farkas den Bogen spannte, anhob und auf das friedlich grasende Tier zielte. Der Krieger war hochkonzentriert, jeder Muskel in seinem durchtrainierten Körper so gespannt wie die Sehne seines Bogens, schon wollte er den Pfeil loslassen, damit er sich in die Brust des Elches hineinbohrte......da spürte er plötzlich, wie sich, ganz sachte, leicht wie ein Schmetterling, eine Hand auf den Arm legte, der den Bogen hielt.

Überrascht liess er den Bogen sinken und keuchte, was den stets aufmerksamen Säuger zu einer raschen Flucht veranlasste. Fort, nur fort von hier! „Brynjar, warum habt Ihr das getan? Das wäre eine schöne Jagd-Trophäe gewesen!“ Farkas war verstimmt und fühlte sich um einen schönen Erfolg betrogen. Wortlos verstaute er Pfeil und Bogen, schnappte sich den schweren Sack und marschierte los, in Richtung Weisslauf.

„Farkas,“ begann Brynjar zaghaft, „ich.......ich konnte nicht anders. Verzeiht mir.“ „Warum konntet Ihr nicht anders? War das vielleicht ein Bekannter von Euch, mit dem Ihr nachher noch eine Verabredung habt?“ Sein Begleiter schien ernstlich verärgert, und Bryn, der seinen Freund so noch nicht erlebt hatte, war betroffen, aber er wusste, er hatte nicht anders handeln können. Stumm und wie zwei Fremde setzten die beiden Männer ihren Heimweg fort, während am Horizont die Sonne den Abend in ein goldenes Licht tauchte. Auch in der Stadt wechselten sie kein Wort miteinander, gingen beim Stand von Anoriath vorbei, um ihm etwas von der Beute abzugeben, wie versprochen, und schlugen dann en Weg nach Jorrvaskr ein. Die zwei Fasane weniger waren kein Verlust, und der Bosmer, das wusste Farkas, würde sich irgendwann und irgendwie dafür erkenntlich zeigen.

Tilma freute sich über die gute Beute, die die beiden Männer nach Hause brachten und verschwand gleich mit dem schweren Sack in der Küche. Farkas liess den Freund einfach mitten im Raum stehen und ging nach unten, um sich vor dem Essen ein wenig frisch zu machen. Tief in Gedanken versunken trat auch Brynjar seinen Weg in Richtung Quartiere an, als er plötzlich hinter sich einen schrillen Pfiff hörte. Der Laut schmerzte in seinen Ohren, er drehte sich um und sah dort Njada Stein-Arm und Ria stehen, die sich vor Lachen kaum halten konnten. Brynjar ignorierte ihr albernes Benehmen und setzte seinen Weg fort, aber er kam nicht weit.

„Hey, Neuer!“ Das war die provozierende, keifende Stimme einer Person, die nicht gut auf ihn zu sprechen war. Njada war freundlich zu ihm gewesen, als er ihr und den anderen Frau mit der widerlichen Kriegsbemalung gegenübergestanden hatte, es konnte sich also hier nur um die Kaiserliche handeln. Die kleinen Streitereien und Intrigen unter diesem Dach interessierten Brynjar nicht, das ging ihn nichts an, Beleidigungen ihm gegenüber konnte er allerdings nicht einfach so hinnehmen. Er machte auf dem Absatz kehrt, rührte sich aber keinen Zentimeter vom Fleck. „Mein Name ist Brynjar, falls Euch Euer Gedächtnis im Stich gelassen hat, Ria. Was wollt Ihr von mir?“ Von der nicht weniger beleidigenden Antwort des „Neuen“ nicht im mindesten beeindruckt, fuhr sie fort. „Nun, wenn ich Euch in Eurer neuen Rüstung sehe, Brynjar Sturm-Geborener, dann fielen mir da schon so ein paar Dinge ein, die ich von......ähem......mit Euch tun wollte, aber lassen wir das jetzt. Was, um alles in der Welt, habt Ihr da draussen mit Farkas angestellt? Mit einer so sauertöpfischen Miene habe ich ihn schon lange nicht mehr gesehen.“

„Wie ich bereits erwähnt hatte, Ria, ich hege nicht das geringste Interesse an Eurer Person, und es liegt mir fern, irgendetwas mit Euch zu tun oder mit mir tun zu lassen. Ich würde mich weigern, Euch auf einer Mission zu begleiten, und ich würde es ebenfalls ablehnen, mit Euch einen Becher zu heben. Ab heute weigere ich mich auch, mit einem Menschen wie Euch an einem Tisch zu sitzen, der nichts als Hohn und Spott für einen Neuling übrig hat. Ich hatte viel Gutes über die Gefährten gehört, bevor ich nach Weisslauf kam, aber dem Bild, das ich mir von ihnen gemacht hatte, entspricht einzig und alleine Farkas!“ Über den Vorfall während der Jagd wollte er nicht sprechen, das ging nur ihn und seinen Freund etwas an, sofern er sich noch als seinen Freund bezeichnen durfte. Entschlossen stieg er die Treppe nach unten und bereitete sich darauf vor, den Krieger in seinem Quartier aufzusuchen.

„Das geschah Euch ganz recht, Ria!“ schalt unterdessen die junge Njada mit der älteren Rekrutin. „Warum seid Ihr alle so gemein zu Brynjar? Er war stets höflich und fällt niemandem zur Last. Was habt Ihr bloss alle gegen ihn?“ „Ja, merkt Ihr das denn nicht, Ihr einfältiges Küken?“ gab die Kiserliche erbost zurück „Da ist etwas an diesem Mann......etwas, das mir Angst macht. Ihn umgibt eine Kälte, die ich noch bei keinem Menschen bemerkt habe, und habt Ihr seine Augen gesehen?“ „Ja, warum fragt Ihr?“ „Ich glaube nicht, dass Ihr sie Euch genau angesehen habt. Sie sind leer und so tot wie die Kaninchen, die er von der Jagd mitgebracht hat. Keinerlei menschliche Regung ist darin zu entdecken. Und habt Ihr ihn schon einmal lachen gesehen, oder lächeln? Ich nicht! Mit diesem Kerl stimmt irgendetwas nicht, der ist mir unheimlich!“ „Ihr alle hier habt ihm bisher wenig Grund gegeben, sich über etwas zu freuen, Ria. Nicht nur Aela, auch Vilkas, Skjor und Ihr selbst habt ihm einen so eisigen Empfang beschert, dass ich mich wundere, dass der arme Kerl keine Frostbeulen davongetragen hat.“

Unterdessen ging Brynjar ein weiteres Mal den langen, gemusterten Teppich entlang, der den Gang bedeckte, der zu den Räumen der ranghöheren Mitglieder der Gefährten führte. Er kannte den Weg zu Kodlak's Quartier, aber wo lebte Farkas? Da kam ihm, glücklicherweise, auf halbem Weg Torvar entgegen, der stets durstige Nord, der ein so unangenehmes Bad genommen hatte. „Hallo, mein Freund, Ihr müsst der Neue sein!“ begrüsste er Brynjar gutgelaunt. „Guten Tag,“ antwortete der Neue freundlich. „Ja, ich bin Brynjar Sturm-Geborener, und Ihr seid.......Torvar?“ „Torvar, der ewig Durstige, in der Tat. Suffkopp von Jorrvaskr und ewiger Dorn im Fleische von Vilkas und Skjor. Habt Ihr mal ne Flasche Met für mich, Brynjar?“ „Ich bedaure, ich habe keinen bei mir, aber hier stehen überall welche herum. Warum bedient Ihr Euch nicht einfach, Ihr seid doch hier zu Hause.“ „Oh, nein. Nein, nein, das geht nicht, das gibt Ärger. Wenn ich erwischt werde, wird der gute Onkel Skjor mich in der Luft zerreissen. Na gut, dann gehe ich eben durstig wieder ins Bett.“ Auch wenn es bald Zeit zum Abendessen war, Bryn fühlte sich nicht dazu berechtigt, dem Manne Vorhaltungen zu machen, er war schliesslich nur Gast hier. „Oh, ähem, Torvar!“ rief er dem Gefährten nach. „Habt Ihr doch noch ne Flasche für mich?“ „Nein, ich habe wirklich keine. Aber könntet Ihr mir trotzdem zeigen, wo sich das Quartier von Farkas befindet?“ „Natürlich, mein Freund, natürlich, kommt, ich zeige es Euch.“

Einige Meter hinter dem Raum der Rekruten führte ein kleiner Quergang kreuzweise über den langen und bildete sowohl links, als auch rechts, kleine Einbuchtungen, in denen man jeweils zwei Türen erkennen konnte. Zuerst deutete Torvar nach links. „Dort wohnen Aela und Skjor. Ich meine, hier wohnt Aela, und auf der anderen Seite wohnt Skjor. Ich meine, sie........liegen nicht immer jede Nacht in ihrem eigenen Bett, wenn Ihr versteht, was ich meine.“ Er grinste und zwinkerte mit dem Auge, aber Brynjar hatte kein Interesse an den Bettgeschichten dieser Leute, auch wenn die Sache mit Vignar und Brill ihn mehr beschäftigte, als er sich selbst eingestehen wollte. „Und hier, auf dieser Seite, wohnen die beiden Zwillinge,“ erfuhr er, dann deutete Torvar auf die Tür auf der linken Seite und sagte: „Das ist Farkas Zimmer.“ „Ich danke Euch, Torvar, aber vergesst nicht, dass bald das Abendessen auf dem Tisch stehen wird.“

„Ach, Abendessen,“ stöhnte der Mann in der Lederrüstung, „ich kann den ewigen Kohl nicht mehr sehen, den Tilma uns seit Tagen vorsetzt, ich trinke mein Essen!“ „Farkas und ich, wir waren auf der Jagd heute Nachmittag, es wird ein feines Fleischgericht geben heute Abend!“ „Oh! Na, das ist etwas anderes, das höre ich doch gerne! Ich werde mir eben ein wenig Wasser ins Gesicht werfen und dann nach oben gehen.“ Brynjar wartete ab, bis der Mann ausser Hörweite war und klopfte dann an Farkas Zimmertür. Keine Antwort. Er klopfte erneut. „Farkas? Ich bin es, Brynjar. Bitte, ich möchte mit Euch reden.“ „Ich will aber nicht mit Euch reden,“ kam es von drinnen trotzig zurück.
Der Rothaarige überlegte fieberhaft, wie er Farkas dazu überreden konnte, seine Meinung zu ändern. „Farkas?“ versuchte er ein weiteres mal sein Glück. „Wir sind Freunde, oder nicht?“ Als niemand antwortete, wagte Brynjar einen Schuss ins Blaue. „Ich muss zugeben, ich weiss nicht viel über Freundschaft, aber ich habe gelesen, dass Freunde einander vertrauen und über alles reden, was sie bedrückt. Bitte, Ihr könnt mir vertrauen, es ist wichtig.“

Nun endlich hörte man Geräusche aus dem Zimmer, Schritte, die sich der Tür näherten, einen Schlüssel, der in einem Schloss herumgedreht wurde. Schliesslich wurde die Tür geöffnet, Farkas machte einen Schritt nach hinten, um seinen Besucher hereinzulassen und schloss die Tür wieder hinter sich. Ohne ein Wort setzte er sich auf sein Bett und wartete ab, bis sich sein Gast auf dem Stuhl gegenüber niedergelassen hatte. Er scheute sich davor, seinem Freund in die Augen zu sehen, er war in der Tat enttäuscht darüber, dass ausgerechnet der ihm diesen Triumph nicht gegönnt hatte.

„Farkas, mein Freund,“ begann Brynjar schliesslich. Da erst hob der Gefährte seinen Kopf und blickte den Neuling traurig an. „Farkas,“ fuhr Brynjar fort, „ich.... ich weiss nicht, wie ich es Euch erklären soll. Ich konnte es einfach nicht zulassen, dass Ihr dieses Tier tötet!“ „Ach, und warum nicht? Es gibt Tausende von ihnen da draussen, ein Elch mehr oder weniger, was macht das schon? Alle hier halten mich für ein wenig beschränkt und ungeschickt. Mit dieser Trophäe hätte ich mir vielleicht ein wenig Respekt verschaffehn können, aber Ihr habt mir alles kaputtgemacht!“ Zornig stand Farkas nun auf und begann, in dem winzigen Raum auf- und abzugehen. Auch Bryn erhob sich, ging auf den Freund zu und griff nach dessen Armen.

„Bitte Farkas, seht mich an und hört mir zu.“ Widerwillig blieb der Krieger auf der Stelle stehen, erhob aber seine Augen und sah den Freund durchdringend an. „Ich weiss nicht, ob Ihr es verstehen könnt, ich verstehe es selbst kaum, aber ich sage die Wahrheit. Als Ihr schon im Begriff wart, den Pfeil loszulasssen, nahm ich eine sanft flüsternde Stimme wahr, aber nicht meine Ohren vernahmen das Flehen des Tieres, die Stimme war in meinem Kopf. Und sie flehte um ihr Leben, Farkas. Dieses stolze Tier, dem Ihr das Leben nehmen wolltet, flehte mich an, ihm dieses kostbare Gut nicht zu nehmen. Bitte, Ihr müsst mir glauben!“ Farkas machte sich los und trat einen Schritt zurück. „Und das soll ich Euch glauben? Kein Mensch kann mit Tieren reden! Nicht mal ein Magier!“

„Ich habe nicht mit ihm gesprochen, Farkas, ich habe lediglich seine Stimme gehört. Denkt doch einmal nach, mein Freund. Es war ein imposantes, grosses, kräftiges Tier, vielleicht der Anführer seiner Herde. Als Leitbulle trägt er eine grosse Verantwortung, ohne seine Klugheit und Erfahrung im Umgang mit möglichen Gefahren wären seine Schutzbefohlenen völlig hilflos. Er passt auf sie auf, kümmert sich um den Nachwuchs und führt seine Herde zu guten Weideplätzen und sicheren Wasserstellen, sie brauchen ihn.“ Brynjar hatte Mitgefühl für Tiere, doch bei Menschen versagte diese innere Regung völlig, wenngleich ihm Farkas Freundschaft wirklich etwas bedeutete.

Innerlich aufgewühlt, ging der Gefährte an ein Regal hinter dem grossen Tisch in seinem Raum, der fast wie der Tresen in einer Taverne wirkte, und holte sich eine Flasche Met herunter. Schon schlug er wieder die Richtung zu seinem Bett ein, da drehte er sich wieder um, nahm eine weitere Flasche vom Brett herunter und reichte sie lächelnd seinem Freund. „Also gut, versuchen wir doch einfach, beim nächsten Mal einen netten Troll zu erwischen, der hat garantiert keine Herde zu versorgen, denn die Kerle sind Einzelgänger!“ „Einverstanden!“ pflichtete Brynjar ihm bei, und zum erstenMal sah Farkas auf dem stets ernsten Gesicht seines Freundes ein zaghaftes Lächeln.

Nachdem beide Flaschen in nun wieder entspannter Atmosphäre geleert worden waren, besann sich Brynjar auf ein wichtiges Treffen, das er auf keinen Fall versäumen durfte. „Verflixt und zugenäht,“ fluchte er und sprang auf. „Was ist denn los?“ fragte Farkas ein wenig erschrocken. „Wann wird das Abendessen aufgetragen?“ „In etwa zehn Minuten, denke ich,“ informierte der Gefährte den Neuling. „Perfekt, ich muss schnell hinunterspringen zum Brunnen und mich von Pelagia verabschieden!“ „Hättet Ihr etwas dagegen, wenn ich Euch begleite?“ erkundigte sich Farkas vorsichtig. „Nein, keineswegs, kommt nur mit!“

Als die beiden Männer durch die Methalle in Richtung Ausgang liefen, sahen sie, dass schon einige der Leute hier am Esstisch sassen und sich miteinander unterhielten. Brynjar kümmerte sich nicht weiter um sie, vergewisserte sich nur, dass Farkas an seiner Seite war und sprang dann, zwei Stufen auf einmal nehmend, die breite Treppe zu dem grossen, toten Baum hinunter, der mitten im Windbezirk klagend seine kahlen, abgestorbenen Äste und Zweige gen Himmel streckte. „Was ist eigentlich mit diesem Baum passiert, Farkas?“ „Vor vielen Jahren wurde er bei einem schlimmen Gewitter von einem Blitz getroffen. Obwohl das Wasser in Strömen vom Himmel fiel, schaffte es der Regen erst, die Flammen zu löschen, als der Baum bereits kahl und tot war. Seitdem steht er so da, aber niemand wagt es, Hand an ihn zu legen, und Danica Reine-Quelle, die Priesterin des Kynareth, die die Kranken behandelt und über diesen Baum wacht, ist der festen Überzeugung, dass er nur schläft. Ich habe keine Ahnung, was sie damit meint.“

Wie zwei kleine Jungen, die einem Hund hinterherlaufen, rannten die beiden Männer am Baum vorbei und die Treppe zum Marktplatz hinunter, wo bereits der Bauer, der alte Gloth und die Elfe auf ihn warteten. „Nun sieh mal einer an,“ gab die ewig unzufriedene Bosmer von sich. „Geruht der Herr endlich, uns von unserer Wache hier am Brunnen abzulösen?“ Brynjar beachtete sie gar nicht, sondern wandte sich direkt an Pelagia. „Ich werde nicht mit Euch mitkommen, Bauer. Ich werde für eine Weile bei den Gefährten bleiben und das Kämpfen lernen. Habt Dank für alles, ich werde an einem der nächsten Tage noch einmal vorbeikommen und meine Sachen abholen.“ „Nun,“ erwiderte Pelagia, „einen so tüchtigen und problemlosen Arbeiter verliere ich nicht gerne, aber es war abzusehen. Ihr seid nicht der Typ von Mann, der ein Leben lang auf irgendeinem staubigen Acker schuftet und Gemüse anbaut. Falls ich nicht da sein sollte, wenn Ihr Eure Bücher abholt, Ihr habt noch für drei Tage Lohn zu bekommen, hier. Und alles Gute, vielleicht treffen wir uns ja einmal wieder, irgendwann.“ „Behaltet das Geld, Pelagia. Tut mir einen persönlichen Gefallen und sorgt dafür, dass dieses freundliche Tier hier immer auch ein wenig Hafer bekommt. Und lasst sie nicht mehr so schwer arbeiten, sie ist nicht mehr die Jüngste.“

Gerührt von seiner Bitte griff der Bauer nach Brynjars Hand und legte die Münzen hinein. „Das Geld steht Euch zu, mein Freund. Nehmt es. Ich verspreche Euch, dass es Valentina immer gut haben wird, und dass es ihr an nichts fehlen soll.“

Dann scheuchte der freundliche Mann seine Leute auf den Wagen und gab dem Pferd das Kommando zum Losgehen. Sanft strich Brynjar der Stute noch einmal über's Maul. „Lebe wohl, altes Mädchen, der Bauer wird gut zu Dir sein.“ Zärtlich rieb das Tier seine Nase an der warmen Hand, wieherte leise, wie, um sich zu verabschieden und trabte dann gemütlich los.

„Ihr habt ein Händchen für Tiere, nicht wahr?“ stellte Farkas fasziniert fest und lächelte seinen Freund an. „Ich weiss nicht so recht. Mit Tieren umzugehen, fällt mir oft sehr viel leichter, als mit Menschen.“ „Ich denke, ich kann Euch verstehen, Menschen können manchmal verdammt kompliziert sein! Und nun kommt, mein Magen knurrt.“ „Farkas?“ Der Gefährte war bereits wieder auf die grosse Treppe in Richtung Windbezirk zugelaufen, als er wieder anhielt und sich umdrehte. „Ja?“ „Vielleicht könnten wir......nach dem Essen.......gemeinsam in der Beflaggten Mähre einen leckeren Honigbräu-Met trinken? Ich möchte Euch einladen.“ „Oh, ja, fein“ Es gibt nichts Besseres, um die Verdauung anzuregen, als einen kühlen Schluck dieses herrlich süssen Saftes, abgemacht!“

Farkas strahlte, und mit diesem Strahlen senkte sich ein angenehmes Gefühl von Wohlbehagen und Zufriedenheit über den gesamten Bezirk.

Rainbowdemon
27.07.2013, 13:38
Kapitel 09 – An die Arbeit!


Als die beiden Männer durch den grossen Eingang die Methalle betraten, waren am Tisch bereits alle versammelt. „Nun, die Herren, bequemt Ihr Euch endlich, uns beim Essen Gesellschaft zu leisten?“ Aela konnte nicht anders, als ihre schlechte Laune deutlich kundzumachen. Aber Brynjar zog es vor, zu schweigen, diese rothaarige Hexe, die scheinbar ständig auf Streit aus war, sollte ihm das wohl verdiente Abendessen nicht verderben. Neben ihr sass ein dumpf vor sich hinbrütender Skjor, der sein eines Auge ganz kurz auf ihn richtete, als wolle er ihm damit einen tödlichen Stich versetzen. Ihm zur Linken sass Vilkas, der nur stumm auf seinen noch leeren Teller starrte, und neben ihm schliesslich Ria, die aus ihrer Abneigung gegen den Neuen ebenfalls keinen Hehl machte.

Dann entdeckte er Athis, der neben Njada Platz genommen hatte. Als die beiden Ankömmlinge sich gesetzt hatten, sah der Dunmer kurz auf und nickte zum Gruss. Auch die junge Frau sah auf und winkte lächelnd zu ihnen hinüber, dann nahm sie ihre Unterhaltung mit dem Dunkelelfen wieder auf. Kodlak speiste meist unten, in seinem Quartier, Tilma, der gute Geist des Hauses, setzte sich an einen kleinen Tisch an der Seite, nachdem sie das Essen aufgetragen hatte, von Torvar jedoch war keine Spur zu entdecken. Die Mahlzeit duftete köstlich, es gab gebratene Fasanenbrust mit Kartoffeln und Lauchgemüse – Talos sei Dank, dachte Farkas im Stillen, der Kohl war ihr scheinbar endlich ausgegangen!

„Werde ich nur mit Vilkas arbeiten, was meint Ihr?“ fragte Brynjar seinen Nachbarn und beugte sich ein wenig zu ihm hinüber. „Hmm, die erste Zeit schon, denke ich. Er ist Meister in der Kunst, die Ihr zu erlernen wünscht, aber das schliesst nicht aus, dass Ihr auch einmal an mich geraten werdet!“ Farkas lachte schallend, und da er nicht daran gedacht hatte, dass sein Mund noch nicht leergegessen war, flog plötzlich mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit ein kleines Stückchen Lauch über den Tisch, und es landete, wie konnte es anders sein, genau neben Aelas Teller. Sofort erstarrte alles Leben in der grossen Halle, niemand bewegte sich, niemand sagte etwas, die Personen schienen zu Salzsäulen erstarrt. Für einen unangenehm langen Zeitraum, der in Wirklichkeit nur Sekunden dauerte, war alles Leben in der Methalle erstorben, alle hier kannten und fürchteten die Wutausbrüche der rothaarigen Jägerin. Doch schliesslich platzte die alte Tilma mit einem herhaften Lachen heraus, das in kürzester Zeit alle anderen Anwesenden ansteckte und wieder in's Leben zurückrief, nun, jedenfalls fast alle.

Die Gefährtin mit der aufgemalten Pranke im Gesicht starrte zuerst ungläubig auf das kleine, grüne Stückchen Gemüse, dann schob sie ihren Teller weg und stand auf. „Ich bin ja einiges an Unverfrorenheiten von Euch gewöhnt, Eishirn,“ rief sie aufgebracht durch den Raum, „aber das war wirklich der Gipfel der Frechheit!“ „Es tut mir leid, Aela, wirklich! Das war keine Absicht, es ist......beim Lachen passiert....“ Der schwarzhaarige Krieger wirkte ehrlich zerknirscht, aber Aela warf ihm einen Blick zu, der selbst den Roten Berg auf Vvardenfell in einen eiskalten Gletscher verwandelt hätte. Mit vor Wut verzerrtem Gesicht rauschte sie an ihm vorbei in Richtung der Quartiere und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu sagen.

„Au, Backe,“ murmelte Farkas,“ „wie ich Aela kenne, wird das noch ein Nachspiel haben......“
Die restliche Zeit, die man für das Abendessen benötigte, ging relativ unbeschwert zu Ende, aber Brynjar war sich, ohne von seinem Teller aufzublicken, jederzeit bewusst, dass die Blicke aller Anwesenden auf ihm ruhten. Neugierige Blicke, boshafte Blicke, zweifelnde Bilcke, aber auch wohlwollende. Er legte keinen Wert darauf, dass die Leute hier ihn mochten, er war, konnte man sagen, eine Art Zweck-Gemeinschaft mit ihnen eingegangen, mit dem Unterschied, dass diesmal er der Arbeitgeber war, und die Gefährten ihm dafür ihre Dienste zuteilkommen liessen.

Endlich standen die meisten der Bewohner auf, um sich auf ihre abendlichen Beschäftigungen vorzubereiten. Auch Farkas schob seinen Teller von sich, der so blitzeblank war, dass man ihn kaum noch hätte spülen müssen. Er lehnte sich nach hinten, atmete zufrieden tief ein, und, ganz plötzlich, mit einem Dröhnen, dass selbst Brynjar zusammenfuhr, ertönte ein Rülpser neben ihm. „Farkas!“ erklang die scharfe Stimme von Vilkas, der schräg gegenüber sass.“ „Verzeihung,“ murmelte der kräftigere der Zwillinge und wurde ein wenig rot. Er schien vor seinem Bruder grossen Respekt zu haben, aber etwas weiter weg von den Brüdern war am anderen Ende des Tisches ein unterdrücktes Kichern zu hören.

„Und, gilt Euer Angebot noch?“ stellte er gleich anschliessend die Frage an seinen neuen Freund, die ihn schon das ganze Essen über beschäftigt hatte. „Mein Angebot?“ überlegte der Neue. „Oh ja, dass ich Euch zu einem Honig-Met einladen würde? Aber natürlich!“ „Fein, lasst uns gehen!“ Doch Brynjar zögerte, als er sah, wie die alte Dame, die sich um den Haushalt der Gruppe kümmerte, damit begann, den Tisch abzuräumen. „Ich möchte vorher noch Tilma etwas zur Hand gehen, Farkas. Kommt, helft doch auch eben mit, das Geschirr nach draussen zu tragen, nach diesem leckeren Essen könnten wir ihr doch ein klein wenig zur Hand gehen. Was meint Ihr?“ „Aber sicher, warum nicht?“ gab Farkas lächelnd zurück und stapelte einige leere Teller auf einen Haufen. Tilma, die sich natürlich über die Hilfsbereitschaft der beiden Männer freute, sah sich trotz allem voller Unbehagen den wackligen Turm an, den Farkas nun anhob und an sich drückte, um ihn in die Küche zu transportieren. Sie liebte diesen Jungen ganz besonders. Er wurde immer wieder das Ziel von mehr oder weniger verstecktem Spott, besonders von Aela und Skjor. Sie seufzte. Was ihr besonders wehtat, sogar sein eigener Bruder beteiligte sich hin und wieder an diesem Spiel, und er war äusserst streng und oftmals sogar lieblos zu seinem Bruder.

Farkas war, obwohl sie ihn schon seit seiner Kinderzeit kannte, ein Rätsel für sie. Er war gutmütig, warmherzig und immer gutgelaunt. Sicher, er war vielleicht nicht so intelligent wie sein Bruder, und nicht so überheblich wie Skjor, aber er war eine Frohnatur, die zu allen und jedem freundlich war, und vielleicht war es ja gerade das, was man ihm neidete: in Weisslauf war er bei allen beliebt. Geachtet wurden die Gefährten natürlich alle, man hatte Respekt vor ihnen, man war froh, sie in der Stadt zu haben, denn in Zeiten wie diesen waren Kämpfer immer gern gesehen. Doch dass die Kinder hinter einem von ihnen herliefen, dass sich jemand in der Taverne mit ihnen unterhielt oder gar den einen oder anderen Becher Met trank, kam eher selten vor, und wenn, dann war das Farkas. Seine freundliche und unbeschwerte Art hatte ihm in der Stadt viele Freunde gemacht, während man seinen Bruder mied und Skjor fürchtete.

Zu allen ihr bekannten Göttern betend, lief Tilma hinter Farkas her in die Küche, während der Turm aus schmutzigem Geschirr, den Farkas schützend an sich drückte, gefährlich schwankte. Brynjar war vorausgegangen und hielt die Türen auf, und schliesslich war das gesamte Geschirr heil und ganz dort angekommen, wo es hingehörte. Erleichtert betrachtete Tilma den Berg von Tellern und Schüsseln, der jetzt zum Abwasch bereit war. „Ich danke Euch, Brynjar, Ihr seid sehr freundlich, einer alten Frau beizustehen. Und auch Du, mein Junge. Komm mal her!“ Sie kramte in einer Schublade des grossen Schrankes, in dem das Geschirr verstaut wurde und zauberte schliesslich einen schönen, roten Karamel-Bonbon hervor. „Hier, mein Junge, ich weiss doch, wie gerne Du sie isst.“ Farkas Augen leuchteten. Er nahm der alten Dame die Süssigkeit aus der Hand, umarmte sie kurz und küsste sie auf die Wange. „Danke, Tilma.“

Dann drehte er sich zu seinem Freund um. „Mögt Ihr auch ein Stück?“ „Oh, nein, vielen Dank. Das ist nichts für mich. Können wir gehen?“ „Ihr wollt noch ausgehen?“ erkundigte sich Tilma. „Ja, Brynjar hat mich zu einer Flasche Honigbräu eingeladen.“ „Na dann lasst es Euch schmecken, Kinder. Aber denkt daran, dass Brynjar morgen früh seine erste Unterrichtsstunde haben wird. Bleibt nicht so lange, und lasst aus dieser einen Flasche nicht gleich mehrere werden.“ Dann krempelte sie die Ärmel ihrer dunklen Bluse hoch und wandte sich ihrer Arbeit zu. Während die Männer sich gemächlich in Richtung Ausgang bewegten, fragte Brynjar nach. „Sie sagt DU zu Euch, und sie nennt uns Kinder?“ Farkas lachte. „Ach, wisst Ihr, Vilkas und ich sind schon so lange hier, sie kennt uns schon, seit wir beide noch ganz klein waren. Würdet Ihr zu einem Fünfjährigen Ihr sagen?“ „Hmm, ich kenne jemanden, der das tut.“ „Was jetzt? Ehrlich?“ „Ja. In Flusswald. Die Besitzerin der Sägemühle dort, Gerdur, tut das. Sie hat einen Sohn, der etwa acht oder neun Jahre alt ist, sie sagt Ihr und Euch zu ihm, ich habe es selbst gehört.“ Farkas schüttelte verständnislos den Kopf. Wieder mal so eine Merkwürdigkeit, die er nicht verstehen konnte, egal, es war nicht wichtig. „Die alte Dame hat nie gross von ihrer Vergangenheit erzählt, auch dann nicht, als wir alt genug waren, um es zu begreifen. Und ich dachte mir, es sei unhöflich, nachzufragen, wenn sie es nicht von sich aus tut. Aber ich glaube, sie sieht uns so ziemlich alle als ihre Kinder an.“

Während sie die Schenke betraten, schwiegen sie kurz, suchten sich einen Tisch in der Nähe des Feuers und setzten sich. Nachdem Hulda, die Wirtin, ihnen das Gewünschte gebracht hatte, nahm Brynjar den Faden wieder auf. „Hmm, es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass Tilma Leute wie Skjor oder Vignar als ihre Kinder ansieht.“ „Oh, nein,“ bestätigte ihm der Freund mit einem breiten Grinsen, nachdem er einen kräftigen Schkuck zu sich genommen hatte. „Skjor ist.........eben Skjor, und der alte Vignar ist sogar, glaube ich, noch älter als sie selbst.“ „Und ich wette, dass sie Euren Bruder ebenfalls mit Ihr und Euch anredet, nicht mit dem vertraulichen Du, so wie sie das bei Euch tut.“ Farkas stellte seine Flasche hin und bestätigte dem Freund seine Vermutung. „Vilkas ist.......anders als ich. Er war schon immer ernster und nachdenklicher als ich. Wenn die Ähnlichkeit nicht wäre, hätte ich schon öfter den Verdacht gehabt, dass er gar nicht mein Bruder ist.“

„Ich wollte Euch die gute Laune nicht verderben, es tut mir leid.“ Doch der Gefährte winkte ab. „Alles in Ordnung, macht Euch keine Gedanken, mein Freund. Ich denke, er trauert noch immer dieser kleinen Schlampe nach, die vor zwei Jahren zu uns kam, das hat ihn arg mitgenommen.“
Brynjar war kein neugieriger Mensch. Wenn ihm sein Körper das Bedürfnis nach fleischlicher Vereinigung signalisierte, suchte er ein entsprechendes Haus auf oder erkundigte sich, wo er finden konnte, was er suchte. Die Irrungen und Wirrungen, die er aus den Büchern kannte, wo sich Menschen verliebten, zu himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt waren, kannte er nicht, und er wollte damit nichts zu tun haben. Die Bedürfnisse seines Körpers musste er stillen, er musste Nahrung zu sich nehmen, er musste ihm Flüssigkeit zuführen, und ab und an war auch die Vereinigung mit einem anderen Menschen notwendig, die er als ein notwendiges Übel betrachtete, genau wie die Nahrungszufuhr, nicht mehr und nicht weniger.

Nach der zweiten Flasche Met beschlossen die beiden Männer, aufzubrechen. Brynjar zahlte die Zeche, und obwohl Farkas von einem der Händler dazu aufgefordert wurde, noch einen Becher mit ihm zu trinken, lehnte der Gefährte freundlich ab. Er war mit seinem Freund hierhergekommen und würde das Haus auch wieder mit ihm gemeinsam verlassen. Den Aufenthalt wegen eines Bechers Met unnötig zu verlängern, kam für den ehrenhaften Krieger nicht in Frage, er wusste, dass dem Freund morgen ein schwerer Tag bevorstand. Als sie die Methalle betraten, war der grosse Raum bereits leer. „Oh, verdammt!“ rief Farkas plötzlich aus. „Was ist los? Stimmt etwas nicht?“ erkundigte sich sein Begleiter. „Wir haben die Feder für Vignar vergessen!“ „Oh, ja, Ihr habt recht, ich habe auch nicht mehr daran gedacht, als ich dieses seltsame Erlebnis mit dem Elch hatte. Was machen wir jetzt?“ „Jetzt werden wir erst einmal schlafen gehen,“ entschied der Gefährte sachlich. „Ich werde morgen mit Vignar sprechen und mich bei ihm entschuldigen. Wir könnten ja irgendwann die nächsten Tage noch einmal gemeinsam jagen gehen. Ich meine, wenn Ihr mögt.“
„Gerne,“ bejahte Brynjar die Frage, stieg mit Farkas die Treppe nach unten und trennte sich dann von ihm, um sein Quartier für die Nacht aufzusuchen.

Sah man von Torvars Versuchen ab, den gesamten Baumbestand von Himmelsrand in einer Nacht abzusägen, verbrachte der Gast eine relativ angenehme Nacht. Kein Ungeziefer, das ihn quälte, und niemand, der mit einer eindeutigen Absicht in sein Bett kriechen wollte. Doch in diesen unterirdischen Räumen ohne Luft und ohne Licht hatte sein Unterbewusstsein nichts, an dem es sich hätte orientieren können, wann es Zeit zum Aufstehen war. So wurde er erst wach, als ihn jemand, ziemlich unsanft, an der Schulter rüttelte. Direkt bei der ersten Berührung schlug er alarmiert die Augen auf und ballte die Faust, jederzeit auf der Hut, jederzeit bereit, sich zu verteidigen. Doch es war Farkas lächelndes Gesicht, in das er aufschaute; er hatte eine Kerze mitgebracht, die er nun auf Brynjars Nachttischchen stellte.

„Auf, es wird Zeit, Brynjar! Steigt in Eure neue Rüstung und dann raus mit Euch, mein Bruder wird sehr ungehalten, wenn man ihn warten lässt!“ Das verschmitzte Grinsen auf dem Gesicht seines Besuchers informierte den Rothaarigen darüber, dass dieser wohl aus Erfahrung sprach, und so, wie er die beiden Brüder kennengelernt hatte, war Farkas genauso spitzbübisch veranlagt, wie sein Bruder sauertöpfisch, was für ein Gespann. Unterschiedlicher als diese Beiden konnten Zwillinge wahrhaftig kaum sein! Bryn wusch sich hastig das Gesicht ab und kleidete sich dann in seine neue Rüstung, für mehr Hygiene war an diesem frühen Morgen keine Zeit mehr, er würde später, nach dem Training, im Fluss ein ausgedehntes Bad nehmen.

„Danke, dass Ihr mich geweckt habt, Farkas, ich möchte ungern gleich an meinem ersten Tag zu spät kommen!“ „Wozu hat man Freunde?“ erwiderte Farkas und begleitete den Neuen nach oben. „Ihr wollt doch nicht etwa zusehen?“ fragte der neue Schüler plötzlich. „Oh doch, das möchte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen!“ Brynjar schnaufte. Er konnte es einem Bewohner von Jorrvaskr schlecht verbieten, sich innerhalb seines Zuhauses frei zu bewegen, aber er wünschte sich, der Freund würde nicht dabei zuschauen, wie er sang- und klanglos vor Vilkas auf die Knie ging. Egal, er hatte den Wunsch geäussert, kämpfen zu lernen, und er bezahlte dafür, schliesslich war aller Anfang schwer, immer und überall.

Die beiden Männer traten auf den Hof hinaus, die Sonne war noch im Aufgehen begriffen und es herrschte ein diffuses Zwielicht. „Hey, wir haben Glück,“ flüsterte Farkas geheimnisvoll, „Vilkas ist noch nicht da, aber er wird bestimmt jeden Moment kommen!“ Kaum hatte er auf einem der Stühle auf der Terrasse Platz genommen, als sich jemand, der im Schatten gesessen hatte, von einem anderen Stuhl erhob. „Vilkas ist bereits da, und er ist es nicht gewohnt, dass man ihn warten lässt!“ „Ich bitte um Verzeihung. Ich muss erst noch lernen, mich in diesem Dunkel dort unten zurechtzufinden, man hat nichts, an dem man sich orientieren kann.“ Die Antwort seines Schülers machte Sinn, und so gab Vilkas nach und begann, Brynjar zuerst etwas über die Wichtigkeit seiner Körperhaltung zu erzählen.

Viel Theorie gab es vorerst noch nicht zu lernen, und so gab Vilkas dem Neuen die Anweisung, so heftig er konnte, auf ihn einzuschlagen. Brynjar bemühte sich nach Kräften und schlug mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, auf den düster dreinblickenden Mann ein, doch noch bevor er ihn mit seiner schweren Waffe hätte treffen können, hatte sein Gegner plötzlich seinen Schild vor sich, und die unbeholfenen Hiebe des Anfängers krachten hilflos auf das geschmiedete Metall. Der Schüler wollte sich keine Blösse geben, ging wieder und wieder auf seinen Lehrer los, doch das Gewicht der Waffe ermüdete ihn bald, und es kam, wie es kommen musste – ohne getroffen worden zu sein, ging Brynjar in die Knie und atmete schwer, dieses grosse Schwert zog ihm sämtliche Kraftreserven ab.. „Na, schon müde?“ höhnte Vilkas. „Komm, Bruder, gönne ihm eine kleine Pause. Er hat sich wacker geschlagen für seinen ersten Tag, Zeit für einen kleinen Imbiss. Hast Du denn schon etwas gegessen?“ Von dem beiden Kämpfern unbemerkt, hatte Farkas etwas Brot und Käse aus der Küche im Anbau geholt, sass nun an einem der Tische und hielt einen Becher in der Hand.

Vilkas legte Schwert und Schild beiseite und bedeutete seinem Schüler, der Aufforderung seines Bruders nachzukommen. Brynjar war sichtlich erschöpft und schleppte sich mehr, als dass er auf den Tisch auf der Terrasse zuging, weiter, während sein Lehrmeister frisch und ausgeruht schien wie der junger Morgen. Farkas lächelte ihm aufmunternd an, schob ihm einen Teller mit etwas Brot und Käse zu, nachdem sich der Rothaarige gesetzt hatte und wandte sich dann an seinen Bruder. „Vilkas, ich möchte Dir auf keinen Fall in Deinen Unterricht hineinreden, aber meinst Du nicht, dass Brynjar für seinen ersten Tag genug getan hat? Bis Mittag hält er sich ganz sicher nicht mehr auf den Beinen, wenn Du ihn weiterhin so hart rannimmst!“ „Ich bin sein Instruktor, Farkas, und Du tust wirklich besser daran, mir in dieser Hinsicht keine Vorschriften zu machen. Bis zum Mittagessen sind noch gut zwei Stunden Zeit, da können wir noch einiges schaffen, das heisst, sofern der Herr dort seine müden Knochen noch einmal hochbekommt!“

Vilkas schaute den Schüler herausfordernd an, als wolle er ihn verhöhnen und zu einer unbedachten Äusserung veranlassen. Doch Brynjar sah ihn nur wortlos an, sein Blick knisterte, als hätten sich in seinen Augen Eiskristalle gebildet, während er einen Schluck Wasser trank, und selbst der hartgesottene Krieger ihm gegenüber konnte nicht verhindern, dass sich ihm bei diesem Blick die Nackenhärchen aufstellten. In diesen eiskalten, blauen Augen stand eine stumme Botschaft geschrieben, und Vilkas war klug genug, um sie lesen und deuten zu können. Dieser Mann war nicht so wehrlos, wie er sich gab. Er mochte noch nicht mit herkömmlichen Waffen umgehen können, doch seine Macht lag woanders. In diesem Menschen wohnte eine alles überziehende Kälte, die deutlich aus ihm hervortrat und fast körperlich zu spüren war. So, wie in ihm selbst und seinem Zwilling ein hell loderndes Kriegerherz brannte, so kalt und tot waren diese Augen, die ihm nun unmissverständlich klarmachten, dass nicht nur Feuer, sondern auch Frost, tödlich sein konnte. Vor diesem Menschen musste man auf der Hut sein.

Als die beiden Kontrahenten sich wieder auf dem Übungsplatz zusammenfanden, stellte Vilkas fest, dass sich sein Schüler erstaunlich schnell erholt hatte. Er wusste selbst, dass es ein wenig unfair war, einen Neuling gleich mit der schweren Zweihandwaffe kämpfen zu lassen, es widersprach allen Regeln, die es bei den Gefährten für die Rekruten gab. Zu allererst sollten sie lernen, eine gewisse Abfolge von Hieben zu erlernen, Zuschlagen, Blocken, Parieren, um sich verteidigen zu können. Erst dann, und dieser Lernabschnitt nahm gewöhnlich mehrere Wochen, manchmal sogar Monate, in Anspruch, waren die meisten von ihnen daran gewöhnt, eine Waffe so zu handhaben, dass sie im Ernstfall nicht gleich erschlagen wurden. Und erst dann wurden sie langsam an das wesentlich höhere Gewicht des Zweihänders gewöhnt, sofern sie dies wünschten, denn mit dem Breitschwert funktionierten Zuschlagen und Parieren ein wenig anders.

Wieder ging Vilkas mit äusserster Härte und ohne jede Rücksicht auf seinen Schüler ein, Brynjar setzte sich zur Wehr, solange es ihm seine Kräfte erlaubten, konnte sogar einmal einen Treffer landen, der seinen Lehrer ins Wanken brachte. Doch der fiel nicht, eisern wie ein Mann aus Stahl hielt er sich hartnäckig auf seinen Beinen. „War das schon alles, Anfänger?“ Der Treffer hatte Vilkas ein wenig aus der Fassung gebracht, doch er durfte sich jetzt keine Blösse geben. Wenn er allerdings daran gedacht hatte, seinen Schüler zu reizen, dann hatte er sich geirrt. Brynjar rammte seine Waffe in den Boden, stütze sich schwer darauf und keuchte. Schon wollte Vilkas auf den erschöpften Mann zugehen, um ihm einen ordentlichen Hieb zu verpassen, da plötzlich hielt der sein Schwert wieder fest in beiden Händen und ging damit auf seinen überraschten Lehrer los. Mehrere, mit grosser Wucht geführte Hiebe brachten den geschulten Krieger in die Defensive, er schlug zurück, wehrte sich, als stünde ein leibhaftiger Gegner vor ihm. Schlag, Schritt nach vorne, noch ein Schlag, der krachend auf dem zum Parieren erhobenen Schwert des Gegners landete. Noch ein Schritt nach vorne, bis Brynjar beim Zurückweichen strauchelte und zu Boden ging.

Sofort war Vilkas über ihm und hob seine Waffe. Sekundenlang schwebte sie über dem Wehrlosen in der Luft, doch keine Angst war in den eisblauen Pupillen erkennbar, kein Schrecken, kein Flehen um Mitleid. Die eisige Kälte, die dem Zwilling entgegenschlug, liess ihn plötzlich frösteln. Als wären all seine Glieder erstarrt, liess er langsam den Arm sinken, der die tödliche Waffe hielt und bohrte sie dann, nur Zentimeter vom Kopf des Verlierers entfernt, in den weichen Boden.

Wütend und gleichzeitig beschämt, liess Vilkas den Mann liegen und entfernte sich eilig vom Ort seines Versagens. Mochte er seinen Schüler mit der Waffe besiegt haben, doch er hatte sich gehenlassen. Der ewig besonnene, vernünftige Vilkas, rechte Hand von Kodlak Weissmähne, dem die Gefährten blind vertrauten, hatte sich beinahe eines Mordes schuldig gemacht! Den erschrockenen Ausdruck in Farkas Gesicht, der das Geschehen mit Spannung verfolgt hatte, nahm er nicht mehr wahr. Mit hastigen Schritten lief er zwischen Bänken und Tischen vorbei, stiess gegen einen der Stühle und riss ihn um, aber er schien es gar nicht zu bemerken. Ohne auf seine Umgebung und die fragenden Blicke seiner Mitbewohner zu reagieren, stürmte er die Treppe zu den Quartieren hinunter, rannte zu seinem Zimmer und warf sich auf sein Bett. Was hatte er getan? Wer war dieser Mensch, und was geschah hier? Wo kam dieser brennende Hass her, den das fremde Gesicht in ihm verursachte?

Die Gefährten besassen einen sehr ausgefeilten Ehren-Kodex ud stellten an potentielle neue Schildbrüder und -schwestern hohe moralische Ansprüche. Ihm war bewusst, dass er mit der Wahl des Zweihänders für den Neuling gegen diesen Kodex verstossen hatte. Aber zum Einen war dieser Mensch kein Rekrut, er war lediglich als Schüler hier, und zum Anderen war ihm der Mann nicht geheuer. Es wirkte befremdlich auf ihn, dass sein Bruder scheinbar völlig immun gegen die Kälte war, die dieses seltsame Geschöpf ausstrahlte, während jeder andere hier sie spürte, als umgäbe den Fremdling eine Mauer aus Eis. Wann immer er die beiden Männer zusammen sah, hatte Farkas ein Lächeln auf den Lippen, während Brynjar auf ihn wirkte wie der wandelnde Tod, kalt und leer, ohne jegliche Gefühle in seinem Inneren. Er war überzeugt davon, dass der Neue ein Herz aus Eis in seiner Brust trug, so, wie er ihn noch kurz zuvor angestarrt hatte, während sein eigenes langsam und qualvoll in einem alles verzehrenden Feuer zu Asche zerfiel.

Rainbowdemon
27.07.2013, 16:21
Kapitel 09 – An die Arbeit!


Als die beiden Männer durch den grossen Eingang die Methalle betraten, waren am Tisch bereits alle versammelt. „Nun, die Herren, bequemt Ihr Euch endlich, uns beim Essen Gesellschaft zu leisten?“ Aela konnte nicht anders, als ihre schlechte Laune deutlich kundzumachen. Aber Brynjar zog es vor, zu schweigen, diese rothaarige Hexe, die scheinbar ständig auf Streit aus war, sollte ihm das wohl verdiente Abendessen nicht verderben. Neben ihr sass ein dumpf vor sich hinbrütender Skjor, der sein eines Auge ganz kurz auf ihn richtete, als wolle er ihm damit einen tödlichen Stich versetzen. Ihm zur Linken sass Vilkas, der nur stumm auf seinen noch leeren Teller starrte, und neben ihm schliesslich Ria, die aus ihrer Abneigung gegen den Neuen ebenfalls keinen Hehl machte.

Dann entdeckte er Athis, der neben Njada Platz genommen hatte. Als die beiden Ankömmlinge sich gesetzt hatten, sah der Dunmer kurz auf und nickte zum Gruss. Auch die junge Frau sah auf und winkte lächelnd zu ihnen hinüber, dann nahm sie ihre Unterhaltung mit dem Dunkelelfen wieder auf. Kodlak speiste meist unten, in seinem Quartier, Tilma, der gute Geist des Hauses, setzte sich an einen kleinen Tisch an der Seite, nachdem sie das Essen aufgetragen hatte, von Torvar jedoch war keine Spur zu entdecken. Die Mahlzeit duftete köstlich, es gab gebratene Fasanenbrust mit Kartoffeln und Lauchgemüse – Talos sei Dank, dachte Farkas im Stillen, der Kohl war ihr scheinbar endlich ausgegangen!

„Werde ich nur mit Vilkas arbeiten, was meint Ihr?“ fragte Brynjar seinen Nachbarn und beugte sich ein wenig zu ihm hinüber. „Hmm, die erste Zeit schon, denke ich. Er ist Meister in der Kunst, die Ihr zu erlernen wünscht, aber das schliesst nicht aus, dass Ihr auch einmal an mich geraten werdet!“ Farkas lachte schallend, und da er nicht daran gedacht hatte, dass sein Mund noch nicht leergegessen war, flog plötzlich mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit ein kleines Stückchen Lauch über den Tisch, und es landete, wie konnte es anders sein, genau neben Aelas Teller. Sofort erstarrte alles Leben in der grossen Halle, niemand bewegte sich, niemand sagte etwas, die Personen schienen zu Salzsäulen erstarrt. Für einen unangenehm langen Zeitraum, der in Wirklichkeit nur Sekunden dauerte, war alles Leben in der Methalle erstorben, alle hier kannten und fürchteten die Wutausbrüche der rothaarigen Jägerin. Doch schliesslich platzte die alte Tilma mit einem herhaften Lachen heraus, das in kürzester Zeit alle anderen Anwesenden ansteckte und wieder in's Leben zurückrief, nun, jedenfalls fast alle.

Die Gefährtin mit der aufgemalten Pranke im Gesicht starrte zuerst ungläubig auf das kleine, grüne Stückchen Gemüse, dann schob sie ihren Teller weg und stand auf. „Ich bin ja einiges an Unverfrorenheiten von Euch gewöhnt, Eishirn,“ rief sie aufgebracht durch den Raum, „aber das war wirklich der Gipfel der Frechheit!“ „Es tut mir leid, Aela, wirklich! Das war keine Absicht, es ist......beim Lachen passiert....“ Der schwarzhaarige Krieger wirkte ehrlich zerknirscht, aber Aela warf ihm einen Blick zu, der selbst den Roten Berg auf Vvardenfell in einen eiskalten Gletscher verwandelt hätte. Mit vor Wut verzerrtem Gesicht rauschte sie an ihm vorbei in Richtung der Quartiere und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu sagen.

„Au, Backe,“ murmelte Farkas,“ „wie ich Aela kenne, wird das noch ein Nachspiel haben......“
Die restliche Zeit, die man für das Abendessen benötigte, ging relativ unbeschwert zu Ende, aber Brynjar war sich, ohne von seinem Teller aufzublicken, jederzeit bewusst, dass die Blicke aller Anwesenden auf ihm ruhten. Neugierige Blicke, boshafte Blicke, zweifelnde Bilcke, aber auch wohlwollende. Er legte keinen Wert darauf, dass die Leute hier ihn mochten, er war, konnte man sagen, eine Art Zweck-Gemeinschaft mit ihnen eingegangen, mit dem Unterschied, dass diesmal er der Arbeitgeber war, und die Gefährten ihm dafür ihre Dienste zuteilkommen liessen.

Endlich standen die meisten der Bewohner auf, um sich auf ihre abendlichen Beschäftigungen vorzubereiten. Auch Farkas schob seinen Teller von sich, der so blitzeblank war, dass man ihn kaum noch hätte spülen müssen. Er lehnte sich nach hinten, atmete zufrieden tief ein, und, ganz plötzlich, mit einem Dröhnen, dass selbst Brynjar zusammenfuhr, ertönte ein Rülpser neben ihm. „Farkas!“ erklang die scharfe Stimme von Vilkas, der schräg gegenüber sass.“ „Verzeihung,“ murmelte der kräftigere der Zwillinge und wurde ein wenig rot. Er schien vor seinem Bruder grossen Respekt zu haben, aber etwas weiter weg von den Brüdern war am anderen Ende des Tisches ein unterdrücktes Kichern zu hören.

„Und, gilt Euer Angebot noch?“ stellte er gleich anschliessend die Frage an seinen neuen Freund, die ihn schon das ganze Essen über beschäftigt hatte. „Mein Angebot?“ überlegte der Neue. „Oh ja, dass ich Euch zu einem Honig-Met einladen würde? Aber natürlich!“ „Fein, lasst uns gehen!“ Doch Brynjar zögerte, als er sah, wie die alte Dame, die sich um den Haushalt der Gruppe kümmerte, damit begann, den Tisch abzuräumen. „Ich möchte vorher noch Tilma etwas zur Hand gehen, Farkas. Kommt, helft doch auch eben mit, das Geschirr nach draussen zu tragen, nach diesem leckeren Essen könnten wir ihr doch ein klein wenig zur Hand gehen. Was meint Ihr?“ „Aber sicher, warum nicht?“ gab Farkas lächelnd zurück und stapelte einige leere Teller auf einen Haufen. Tilma, die sich natürlich über die Hilfsbereitschaft der beiden Männer freute, sah sich trotz allem voller Unbehagen den wackligen Turm an, den Farkas nun anhob und an sich drückte, um ihn in die Küche zu transportieren. Sie liebte diesen Jungen ganz besonders. Er wurde immer wieder das Ziel von mehr oder weniger verstecktem Spott, besonders von Aela und Skjor. Sie seufzte. Was ihr besonders wehtat, sogar sein eigener Bruder beteiligte sich hin und wieder an diesem Spiel, und er war äusserst streng und oftmals sogar lieblos zu seinem Bruder.

Farkas war, obwohl sie ihn schon seit seiner Kinderzeit kannte, ein Rätsel für sie. Er war gutmütig, warmherzig und immer gutgelaunt. Sicher, er war vielleicht nicht so intelligent wie sein Bruder, und nicht so überheblich wie Skjor, aber er war eine Frohnatur, die zu allen und jedem freundlich war, und vielleicht war es ja gerade das, was man ihm neidete: in Weisslauf war er bei allen beliebt. Geachtet wurden die Gefährten natürlich alle, man hatte Respekt vor ihnen, man war froh, sie in der Stadt zu haben, denn in Zeiten wie diesen waren Kämpfer immer gern gesehen. Doch dass die Kinder hinter einem von ihnen herliefen, dass sich jemand in der Taverne mit ihnen unterhielt oder gar den einen oder anderen Becher Met trank, kam eher selten vor, und wenn, dann war das Farkas. Seine freundliche und unbeschwerte Art hatte ihm in der Stadt viele Freunde gemacht, während man seinen Bruder mied und Skjor fürchtete.

Zu allen ihr bekannten Göttern betend, lief Tilma hinter Farkas her in die Küche, während der Turm aus schmutzigem Geschirr, den Farkas schützend an sich drückte, gefährlich schwankte. Brynjar war vorausgegangen und hielt die Türen auf, und schliesslich war das gesamte Geschirr heil und ganz dort angekommen, wo es hingehörte. Erleichtert betrachtete Tilma den Berg von Tellern und Schüsseln, der jetzt zum Abwasch bereit war. „Ich danke Euch, Brynjar, Ihr seid sehr freundlich, einer alten Frau beizustehen. Und auch Du, mein Junge. Komm mal her!“ Sie kramte in einer Schublade des grossen Schrankes, in dem das Geschirr verstaut wurde und zauberte schliesslich einen schönen, roten Karamel-Bonbon hervor. „Hier, mein Junge, ich weiss doch, wie gerne Du sie isst.“ Farkas Augen leuchteten. Er nahm der alten Dame die Süssigkeit aus der Hand, umarmte sie kurz und küsste sie auf die Wange. „Danke, Tilma.“

Dann drehte er sich zu seinem Freund um. „Mögt Ihr auch ein Stück?“ „Oh, nein, vielen Dank. Das ist nichts für mich. Können wir gehen?“ „Ihr wollt noch ausgehen?“ erkundigte sich Tilma. „Ja, Brynjar hat mich zu einer Flasche Honigbräu eingeladen.“ „Na dann lasst es Euch schmecken, Kinder. Aber denkt daran, dass Brynjar morgen früh seine erste Unterrichtsstunde haben wird. Bleibt nicht so lange, und lasst aus dieser einen Flasche nicht gleich mehrere werden.“ Dann krempelte sie die Ärmel ihrer dunklen Bluse hoch und wandte sich ihrer Arbeit zu. Während die Männer sich gemächlich in Richtung Ausgang bewegten, fragte Brynjar nach. „Sie sagt DU zu Euch, und sie nennt uns Kinder?“ Farkas lachte. „Ach, wisst Ihr, Vilkas und ich sind schon so lange hier, sie kennt uns schon, seit wir beide noch ganz klein waren. Würdet Ihr zu einem Fünfjährigen Ihr sagen?“ „Hmm, ich kenne jemanden, der das tut.“ „Was jetzt? Ehrlich?“ „Ja. In Flusswald. Die Besitzerin der Sägemühle dort, Gerdur, tut das. Sie hat einen Sohn, der etwa acht oder neun Jahre alt ist, sie sagt Ihr und Euch zu ihm, ich habe es selbst gehört.“ Farkas schüttelte verständnislos den Kopf. Wieder mal so eine Merkwürdigkeit, die er nicht verstehen konnte, egal, es war nicht wichtig. „Die alte Dame hat nie gross von ihrer Vergangenheit erzählt, auch dann nicht, als wir alt genug waren, um es zu begreifen. Und ich dachte mir, es sei unhöflich, nachzufragen, wenn sie es nicht von sich aus tut. Aber ich glaube, sie sieht uns so ziemlich alle als ihre Kinder an.“

Während sie die Schenke betraten, schwiegen sie kurz, suchten sich einen Tisch in der Nähe des Feuers und setzten sich. Nachdem Hulda, die Wirtin, ihnen das Gewünschte gebracht hatte, nahm Brynjar den Faden wieder auf. „Hmm, es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass Tilma Leute wie Skjor oder Vignar als ihre Kinder ansieht.“ „Oh, nein,“ bestätigte ihm der Freund mit einem breiten Grinsen, nachdem er einen kräftigen Schkuck zu sich genommen hatte. „Skjor ist.........eben Skjor, und der alte Vignar ist sogar, glaube ich, noch älter als sie selbst.“ „Und ich wette, dass sie Euren Bruder ebenfalls mit Ihr und Euch anredet, nicht mit dem vertraulichen Du, so wie sie das bei Euch tut.“ Farkas stellte seine Flasche hin und bestätigte dem Freund seine Vermutung. „Vilkas ist.......anders als ich. Er war schon immer ernster und nachdenklicher als ich. Wenn die Ähnlichkeit nicht wäre, hätte ich schon öfter den Verdacht gehabt, dass er gar nicht mein Bruder ist.“

„Ich wollte Euch die gute Laune nicht verderben, es tut mir leid.“ Doch der Gefährte winkte ab. „Alles in Ordnung, macht Euch keine Gedanken, mein Freund. Ich denke, er trauert noch immer dieser kleinen Schlampe nach, die vor zwei Jahren zu uns kam, das hat ihn arg mitgenommen.“
Brynjar war kein neugieriger Mensch. Wenn ihm sein Körper das Bedürfnis nach fleischlicher Vereinigung signalisierte, suchte er ein entsprechendes Haus auf oder erkundigte sich, wo er finden konnte, was er suchte. Die Irrungen und Wirrungen, die er aus den Büchern kannte, wo sich Menschen verliebten, zu himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt waren, kannte er nicht, und er wollte damit nichts zu tun haben. Die Bedürfnisse seines Körpers musste er stillen, er musste Nahrung zu sich nehmen, er musste ihm Flüssigkeit zuführen, und ab und an war auch die Vereinigung mit einem anderen Menschen notwendig, die er als ein notwendiges Übel betrachtete, genau wie die Nahrungszufuhr, nicht mehr und nicht weniger.

Nach der zweiten Flasche Met beschlossen die beiden Männer, aufzubrechen. Brynjar zahlte die Zeche, und obwohl Farkas von einem der Händler dazu aufgefordert wurde, noch einen Becher mit ihm zu trinken, lehnte der Gefährte freundlich ab. Er war mit seinem Freund hierhergekommen und würde das Haus auch wieder mit ihm gemeinsam verlassen. Den Aufenthalt wegen eines Bechers Met unnötig zu verlängern, kam für den ehrenhaften Krieger nicht in Frage, er wusste, dass dem Freund morgen ein schwerer Tag bevorstand. Als sie die Methalle betraten, war der grosse Raum bereits leer. „Oh, verdammt!“ rief Farkas plötzlich aus. „Was ist los? Stimmt etwas nicht?“ erkundigte sich sein Begleiter. „Wir haben die Feder für Vignar vergessen!“ „Oh, ja, Ihr habt recht, ich habe auch nicht mehr daran gedacht, als ich dieses seltsame Erlebnis mit dem Elch hatte. Was machen wir jetzt?“ „Jetzt werden wir erst einmal schlafen gehen,“ entschied der Gefährte sachlich. „Ich werde morgen mit Vignar sprechen und mich bei ihm entschuldigen. Wir könnten ja irgendwann die nächsten Tage noch einmal gemeinsam jagen gehen. Ich meine, wenn Ihr mögt.“
„Gerne,“ bejahte Brynjar die Frage, stieg mit Farkas die Treppe nach unten und trennte sich dann von ihm, um sein Quartier für die Nacht aufzusuchen.

Sah man von Torvars Versuchen ab, den gesamten Baumbestand von Himmelsrand in einer Nacht abzusägen, verbrachte der Gast eine relativ angenehme Nacht. Kein Ungeziefer, das ihn quälte, und niemand, der mit einer eindeutigen Absicht in sein Bett kriechen wollte. Doch in diesen unterirdischen Räumen ohne Luft und ohne Licht hatte sein Unterbewusstsein nichts, an dem es sich hätte orientieren können, wann es Zeit zum Aufstehen war. So wurde er erst wach, als ihn jemand, ziemlich unsanft, an der Schulter rüttelte. Direkt bei der ersten Berührung schlug er alarmiert die Augen auf und ballte die Faust, jederzeit auf der Hut, jederzeit bereit, sich zu verteidigen. Doch es war Farkas lächelndes Gesicht, in das er aufschaute; er hatte eine Kerze mitgebracht, die er nun auf Brynjars Nachttischchen stellte.

„Auf, es wird Zeit, Brynjar! Steigt in Eure neue Rüstung und dann raus mit Euch, mein Bruder wird sehr ungehalten, wenn man ihn warten lässt!“ Das verschmitzte Grinsen auf dem Gesicht seines Besuchers informierte den Rothaarigen darüber, dass dieser wohl aus Erfahrung sprach, und so, wie er die beiden Brüder kennengelernt hatte, war Farkas genauso spitzbübisch veranlagt, wie sein Bruder sauertöpfisch, was für ein Gespann. Unterschiedlicher als diese Beiden konnten Zwillinge wahrhaftig kaum sein! Bryn wusch sich hastig das Gesicht ab und kleidete sich dann in seine neue Rüstung, für mehr Hygiene war an diesem frühen Morgen keine Zeit mehr, er würde später, nach dem Training, im Fluss ein ausgedehntes Bad nehmen.

„Danke, dass Ihr mich geweckt habt, Farkas, ich möchte ungern gleich an meinem ersten Tag zu spät kommen!“ „Wozu hat man Freunde?“ erwiderte Farkas und begleitete den Neuen nach oben. „Ihr wollt doch nicht etwa zusehen?“ fragte der neue Schüler plötzlich. „Oh doch, das möchte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen!“ Brynjar schnaufte. Er konnte es einem Bewohner von Jorrvaskr schlecht verbieten, sich innerhalb seines Zuhauses frei zu bewegen, aber er wünschte sich, der Freund würde nicht dabei zuschauen, wie er sang- und klanglos vor Vilkas auf die Knie ging. Egal, er hatte den Wunsch geäussert, kämpfen zu lernen, und er bezahlte dafür, schliesslich war aller Anfang schwer, immer und überall.

Die beiden Männer traten auf den Hof hinaus, die Sonne war noch im Aufgehen begriffen und es herrschte ein diffuses Zwielicht. „Hey, wir haben Glück,“ flüsterte Farkas geheimnisvoll, „Vilkas ist noch nicht da, aber er wird bestimmt jeden Moment kommen!“ Kaum hatte er auf einem der Stühle auf der Terrasse Platz genommen, als sich jemand, der im Schatten gesessen hatte, von einem anderen Stuhl erhob. „Vilkas ist bereits da, und er ist es nicht gewohnt, dass man ihn warten lässt!“ „Ich bitte um Verzeihung. Ich muss erst noch lernen, mich in diesem Dunkel dort unten zurechtzufinden, man hat nichts, an dem man sich orientieren kann.“ Die Antwort seines Schülers machte Sinn, und so gab Vilkas nach und begann, Brynjar zuerst etwas über die Wichtigkeit seiner Körperhaltung zu erzählen.

Viel Theorie gab es vorerst noch nicht zu lernen, und so gab Vilkas dem Neuen die Anweisung, so heftig er konnte, auf ihn einzuschlagen. Brynjar bemühte sich nach Kräften und schlug mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, auf den düster dreinblickenden Mann ein, doch noch bevor er ihn mit seiner schweren Waffe hätte treffen können, hatte sein Gegner plötzlich seinen Schild vor sich, und die unbeholfenen Hiebe des Anfängers krachten hilflos auf das geschmiedete Metall. Der Schüler wollte sich keine Blösse geben, ging wieder und wieder auf seinen Lehrer los, doch das Gewicht der Waffe ermüdete ihn bald, und es kam, wie es kommen musste – ohne getroffen worden zu sein, ging Brynjar in die Knie und atmete schwer, dieses grosse Schwert zog ihm sämtliche Kraftreserven ab.. „Na, schon müde?“ höhnte Vilkas. „Komm, Bruder, gönne ihm eine kleine Pause. Er hat sich wacker geschlagen für seinen ersten Tag, Zeit für einen kleinen Imbiss. Hast Du denn schon etwas gegessen?“ Von dem beiden Kämpfern unbemerkt, hatte Farkas etwas Brot und Käse aus der Küche im Anbau geholt, sass nun an einem der Tische und hielt einen Becher in der Hand.

Vilkas legte Schwert und Schild beiseite und bedeutete seinem Schüler, der Aufforderung seines Bruders nachzukommen. Brynjar war sichtlich erschöpft und schleppte sich mehr, als dass er auf den Tisch auf der Terrasse zuging, weiter, während sein Lehrmeister frisch und ausgeruht schien wie der junger Morgen. Farkas lächelte ihm aufmunternd an, schob ihm einen Teller mit etwas Brot und Käse zu, nachdem sich der Rothaarige gesetzt hatte und wandte sich dann an seinen Bruder. „Vilkas, ich möchte Dir auf keinen Fall in Deinen Unterricht hineinreden, aber meinst Du nicht, dass Brynjar für seinen ersten Tag genug getan hat? Bis Mittag hält er sich ganz sicher nicht mehr auf den Beinen, wenn Du ihn weiterhin so hart rannimmst!“ „Ich bin sein Instruktor, Farkas, und Du tust wirklich besser daran, mir in dieser Hinsicht keine Vorschriften zu machen. Bis zum Mittagessen sind noch gut zwei Stunden Zeit, da können wir noch einiges schaffen, das heisst, sofern der Herr dort seine müden Knochen noch einmal hochbekommt!“

Vilkas schaute den Schüler herausfordernd an, als wolle er ihn verhöhnen und zu einer unbedachten Äusserung veranlassen. Doch Brynjar sah ihn nur wortlos an, sein Blick knisterte, als hätten sich in seinen Augen Eiskristalle gebildet, während er einen Schluck Wasser trank, und selbst der hartgesottene Krieger ihm gegenüber konnte nicht verhindern, dass sich ihm bei diesem Blick die Nackenhärchen aufstellten. In diesen eiskalten, blauen Augen stand eine stumme Botschaft geschrieben, und Vilkas war klug genug, um sie lesen und deuten zu können. Dieser Mann war nicht so wehrlos, wie er sich gab. Er mochte noch nicht mit herkömmlichen Waffen umgehen können, doch seine Macht lag woanders. In diesem Menschen wohnte eine alles überziehende Kälte, die deutlich aus ihm hervortrat und fast körperlich zu spüren war. So, wie in ihm selbst und seinem Zwilling ein hell loderndes Kriegerherz brannte, so kalt und tot waren diese Augen, die ihm nun unmissverständlich klarmachten, dass nicht nur Feuer, sondern auch Frost, tödlich sein konnte. Vor diesem Menschen musste man auf der Hut sein.

Als die beiden Kontrahenten sich wieder auf dem Übungsplatz zusammenfanden, stellte Vilkas fest, dass sich sein Schüler erstaunlich schnell erholt hatte. Er wusste selbst, dass es ein wenig unfair war, einen Neuling gleich mit der schweren Zweihandwaffe kämpfen zu lassen, es widersprach allen Regeln, die es bei den Gefährten für die Rekruten gab. Zu allererst sollten sie lernen, eine gewisse Abfolge von Hieben zu erlernen, Zuschlagen, Blocken, Parieren, um sich verteidigen zu können. Erst dann, und dieser Lernabschnitt nahm gewöhnlich mehrere Wochen, manchmal sogar Monate, in Anspruch, waren die meisten von ihnen daran gewöhnt, eine Waffe so zu handhaben, dass sie im Ernstfall nicht gleich erschlagen wurden. Und erst dann wurden sie langsam an das wesentlich höhere Gewicht des Zweihänders gewöhnt, sofern sie dies wünschten, denn mit dem Breitschwert funktionierten Zuschlagen und Parieren ein wenig anders.

Wieder ging Vilkas mit äusserster Härte und ohne jede Rücksicht auf seinen Schüler ein, Brynjar setzte sich zur Wehr, solange es ihm seine Kräfte erlaubten, konnte sogar einmal einen Treffer landen, der seinen Lehrer ins Wanken brachte. Doch der fiel nicht, eisern wie ein Mann aus Stahl hielt er sich hartnäckig auf seinen Beinen. „War das schon alles, Anfänger?“ Der Treffer hatte Vilkas ein wenig aus der Fassung gebracht, doch er durfte sich jetzt keine Blösse geben. Wenn er allerdings daran gedacht hatte, seinen Schüler zu reizen, dann hatte er sich geirrt. Brynjar rammte seine Waffe in den Boden, stütze sich schwer darauf und keuchte. Schon wollte Vilkas auf den erschöpften Mann zugehen, um ihm einen ordentlichen Hieb zu verpassen, da plötzlich hielt der sein Schwert wieder fest in beiden Händen und ging damit auf seinen überraschten Lehrer los. Mehrere, mit grosser Wucht geführte Hiebe brachten den geschulten Krieger in die Defensive, er schlug zurück, wehrte sich, als stünde ein leibhaftiger Gegner vor ihm. Schlag, Schritt nach vorne, noch ein Schlag, der krachend auf dem zum Parieren erhobenen Schwert des Gegners landete. Noch ein Schritt nach vorne, bis Brynjar beim Zurückweichen strauchelte und zu Boden ging.

Sofort war Vilkas über ihm und hob seine Waffe. Sekundenlang schwebte sie über dem Wehrlosen in der Luft, doch keine Angst war in den eisblauen Pupillen erkennbar, kein Schrecken, kein Flehen um Mitleid. Die eisige Kälte, die dem Zwilling entgegenschlug, machte ihn plötzlich frösteln. Als wären all seine Glieder erstarrt, sank sein Arm, der die tödliche Waffe hielt, ganz langsam nach unten und bohrte sie dann, nur Zentimeter vom Kopf des Verlierers entfernt, in den weichen Boden.

Wütend und gleichzeitig beschämt, liess Vilkas den Mann liegen und entfernte sich eilig vom Ort seines Versagens. Mochte er seinen Schüler mit der Waffe besiegt haben, doch er hatte sich gehenlassen. Der ewig besonnene, vernünftige Vilkas, rechte Hand von Kodlak Weissmähne, dem die Gefährten blind vertrauten, hatte sich beinahe eines Mordes schuldig gemacht! Den erschrockenen Ausdruck in Farkas Gesicht, der das Geschehen mit Spannung verfolgt hatte, nahm er nicht mehr wahr. Mit hastigen Schritten lief er zwischen Bänken und Tischen vorbei, stiess gegen einen der Stühle und riss ihn um, aber er schien es gar nicht zu bemerken. Ohne auf seine Umgebung und die fragenden Blicke seiner Mitbewohner zu reagieren, stürmte er die Treppe zu den Quartieren hinunter, rannte zu seinem Zimmer und warf sich auf sein Bett. Was hatte er getan? Wer war dieser Mensch, und was geschah hier? Wo kam dieser brennende Hass her, den das fremde Gesicht in ihm verursachte?

Die Gefährten besassen einen sehr ausgefeilten Ehren-Kodex ud stellten an potentielle neue Schildbrüder und -schwestern hohe moralische Ansprüche. Ihm war bewusst, dass er mit der Wahl des Zweihänders für den Neuling gegen diesen Kodex verstossen hatte. Aber zum Einen war dieser Mensch kein Rekrut, er war lediglich als Schüler hier, und zum Anderen war ihm der Mann nicht geheuer. Es wirkte befremdlich auf ihn, dass sein Bruder scheinbar völlig immun gegen die Kälte war, die dieses seltsame Geschöpf ausstrahlte, während jeder andere hier sie spürte, als umgäbe den Fremdling eine Mauer aus Eis. Wann immer er die beiden Männer zusammen sah, hatte Farkas ein Lächeln auf den Lippen, während Brynjar auf ihn wirkte wie der wandelnde Tod, kalt und leer, ohne jegliche Gefühle in seinem Inneren. Er war überzeugt davon, dass der Neue ein Herz aus Eis in seiner Brust trug, so, wie er ihn noch kurz zuvor angestarrt hatte, während sein eigenes langsam und qualvoll in einem alles verzehrenden Feuer zu Asche zerfiel.

Rainbowdemon
03.08.2013, 22:16
Kapitel 10 – Zwistigkeiten


Schwer atmend erhob sich der Neuling und blieb für einen Moment stehen, wo er war. Ungläubig starrte er in die Richtung, in die vor wenigen Augenblicken sein Lehrer geflohen war, ja, es war eine Flucht gewesen, und Brynjar wusste das. Im nächsten Moment jedoch war Farkas an seiner Seite. „Alles in Ordnung mit Euch, mein Freund?“ Besorgt fasste der Krieger den Anderen um die Taille, um ihm Halt zu geben, und erneut wurde ihm bewusst, wie zierlich dieser Nord gebaut schien, was eigentlich eher unüblich war. Die Nord waren eine rauhe, stämmige und kräftige Rasse von Menschen, nur selten sah man, gerade bei den Männern unter ihnen, Vertreter mit einem so feinen Knochenbau. Die Neugierde frass an ihm wie eine Biene an einem überreifen Apfel, aber er scheute sich davor, den Freund zu fragen, ob vielleicht ein Bretone oder ein Kaiserlicher in seiner Ahnenreihe verteten gewesen war, der für diese kleine, körperliche Abweichung von der in Himmelsrand herrschenden Norm verantwortlich war. Er hatte nicht vergessen, wie Brynjar reagiert hatte, als der alte Vignar ihn auf seine Familie angesprochen hatte, das Thema schien ihm unangenehm, er respektierte das und schwieg.

„Es geht mir gut, ich danke Euch, Farkas.“ „Ich bin völlig ausser Fassung, Brynjar, so etwas hat Vilkas noch nie getan! Was ist bloss los mit ihm?“ „Euer Bruder hasst mich, Farkas, ich weiss nicht, warum, aber er war ganz kurz davor, mir seine Waffe in die Brust zu stossen. Ich habe hier kein Mitsprache-Recht, aber vielleicht wäre es besser, wenn ich ihm für ein paar Tage aus dem Weg ginge.“ „Ich werde mit ihm reden, Brynjar. Wir sind eine kleine Gemeinschaft hier, und es leben sehr verschiedene Charaktere in Jorrvaskr zusammen unter einem Dach. Es gibt immer mal Streit oder Meinungsverschiedenheiten, aber bis jetzt konnten wir diese jedesmal freundschaftlich beilegen.“

Farkas setzte den Freund, der von dem heftigen Kampf noch immer etwas ausser Atem war, auf einen der Stühle in den Schatten und reichte ihm einen Becher Wasser. Brynjar leerte den Krug in einem Zug, seufzte tief und lehnte sich dann im Stuhl zurück. „Ich hätte vielleicht da bleiben sollen, wo ich herkam. In den paar Wochen, die ich als freier Mensch in Himmelsrand unterwegs bin, habe ich mir mehr Feinde als Freunde gemacht.“ „Aber gute,“ entgegnete Farkas. „Was nützen Euch hundert Freunde, die nur so tun, als seien sie Eure Freunde, Euch aber bei der erstbesten Gelegenheit das Messer in den Rücken stossen? Dann lieber nur zwei oder drei wirkliche Freunde, auf die Ihr Euch überall und jederzeit verlassen könnt.“ Der Rothaarige sah den Krieger mit einem zweifelnden Blick an, ja, er hatte wohl recht mit seinen Worten, in Farkas sah er einen wirklichen Freund. War es auch bei Weitem angenehmer, mit Leuten zu tun zu haben, die freundlich waren, Freunde waren sie deswegen noch lange nicht. „Brynjar?“ unterbrach ihn Farkas in seinen Überlegungen. Fragend wandte er ihm seinen Blick zu und wartete. „Wo kommt Ihr her?“ Der Gefragte schlug die Augen nieder und deutete mit dem Kopf eine leise Verneinung an.

Wieder fügte sich der Krieger und liess das Thema fallen. Brynjar erhob sich, stellte den leeren Becher ab und schlug die Richtung zur Methalle ein. „Bis zum Essen ist noch eine gute halbe Stunde Zeit. Was machen wir in der Zwischenzeit?“ Farkas liess sich von der Schweigsamkeit des Freundes nicht abschrecken und wollte gerne mehr Zeit mit ihm verbringen. „Ich werde zum Fluss hinuntergehen und ein Bad nehmen, Farkas. Ich brauche jetzt ein wenig Zeit für mich.“ Der Krieger konnte seine Enttäuschung nur schlecht verbergen, aber dass ihr neuer Mitbewohner kein besonders geselliger Mensch war, das wussten mittlerweile alle hier. „Gut, dann sehen wir uns also beim Essen,“ antwortete er leise und hob dem Freund seine Augen entgegen. „Ja, Farkas, bis später.“

Tausend Gedanken schossen dem Rothaarigen durch den Kopf. Warum hasste Vilkas ihn so sehr, er hatte kaum zehn Worte mit ihm gewechselt. Warum sah Skjor einen Feind in ihm und griff ihn an? Und warum benahmen sich zwei der Frauen hier so offensichtlich feindselig ihm gegenüber, und das völlig grundlos? Und warum war Farkas so erpicht darauf, in seiner Nähe zu bleiben? Wollte er etwa den Beschützer spielen? Ihm war von Anfang an klar gewesen, dass es nicht leicht sein würde, sein von ihm selbst gestecktes Ziel zu erreichen und ein guter Kämpfer zu werden, aber dass die grössere Schwierigkeit darin bestand, mit all den unterschiedlichen Charakteren hier zurechtzukommen, daran hatte er niemals auch nur einen Gedanken verschwendet. Nun, er hatte sich darauf eingelassen, und ein Rückzieher kam für ihn nicht in Betracht. Er würde sein Ziel erreichen, so oder so.

Er eilte die Treppe zum Quartier der Rekruten hinunter, packte frische Sachen zusammen und wollte eben die Treppe wieder nach oben gehen, als ihm Torvar über den Weg lief. „Hey, Bruder, ich habe gehört, dass Ihr es Vilkas nicht gerade leicht gemacht habt......hick.....“ „Er hat den Kampf gewonnen, was nicht anders zu erwarten war. Entschuldigt mich bitte, ich habe nicht viel Zeit.“ „Oh jaaaa......natürlich. Geht nur, ich wünsche.......einen angenehmen Tag.“ Der Nord in der Lederrüstung verbreitete einen Geruch nach Alkohol um sich, dass Brynjar beinahe übel wurde davon, aber er schwieg, nickte kurz und setzte dann seinen Weg fort. In der Methalle begegnete ihm nur die alte Tilma, die eben dabei war, den Tisch zu decken. „Wo wollt Ihr denn jetzt noch hin, Junge? Das Essen ist bald fertig!“ „Ich möchte noch eben schnell ein Bad nehmen, ich werde pünktlich zurück sein.“ „Da tut Ihr auch gut daran, Brynjar, ich habe für heute Wild vorbereitet, und die Krieger von Jorrvaskr sind alle wild darauf!“

Tilma lachte über ihr kleines Wortspiel, und der Neuling lächelte aus Höflichkeit, machte sich dann aber schnell auf den Weg, viel Zeit blieb ihm wirklich nicht mehr. Im Laufschritt ging er die Hauptstrasse hinunter, passierte das Stadttor, lief an den Ställen vorbei und suchte sich die erstbeste Stelle, wo er in den Fluss hineinwaten konnte. Während er seine neue Rüstung ablegte, sah er sich um, ob irgendwelche Gefahren lauerten. In der Ferne sah er einen grossen Elchbullen grasen und fragte sich unwillkürlich, ob es der gleiche war, der auf so geheimnisvolle Weise mit ihm Kontakt aufgenommen hatte. Das Tier kümmerte sich nicht um ihn, trabte nach einer Weile gemächlich davon. Schliesslich zog sich Bryn die Stiefel von den Füssen. Zugegeben, schnell an- und ausgezogen war man mit dem Fellbündel. Seine Mundwinkel wanderten nach oben und liessen fast so etwas wie ein Lächeln in dem ernsten Gesicht entstehen. Alles im Leben hatte Vor- und Nachteile.

Noch den Lendenschurz ins Gras gelegt, dann endlich watete der durchgeschwitzte Nord ins flache Wasser. Die Waffe lag griffbereit neben seinen Sachen, vor den heimtückischen Schlammkrabben war man nirgendwo, wo es Wasser gab, sicher. Die Biester schlichen sich auch unter Wasser gerne an und überraschten ihre ahnungslosen Opfer, und Brynjar hatte das nächtliche Erlebnis mit einem dieser Tiere nicht vergessen, als er in der Nähe von Pelagias Hof gebadet hatte. Eine so unliebsame Überraschung wollte er kein zweites Mal erleben.

Doch sein Bad verlief ungestört. Sorgfältig wusch er sich den Körper ab, auch sein rotes Haar wurde gebadet, und als er schliesslich wieder aus dem Wasser stieg, fühlte er sich sehr viel besser, frischer, ausgeruht, sein langes Haar glänzte in der Sonne. Er zog die frische Alltags-Kleidung an, die er mitgebracht hatte und rollte das Fell, das ihm als Rüstung diente, ordentlich zusammen. In dem Moment, wo er nach seinen Stiefeln greifen wollte, fiel ihm ein silbrig-glänzender Gegenstand auf, der still und unbeweglich im hohen Gras lag. Brynar zog sich die Lederstiefel über und näherte sich der Stelle, die seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Dort ging er in die Hocke, um sich den Gegenstand näher anzusehen. Es war eine Feder, er konnte nicht zuordnen, welcher Vogel sie hier verloren haben mochte, aber sie war wunderschön. Lang und schmal, von edler Form, und sie leuchtete in allen Farben des Regenbogens. Ein ideales Mitbringsel für den alten Vignar!

Vorsichtig wickelte Bryn seinen kostbaren Fund in ein weiches Tuch, verstaute ihn in einer Tasche seines Hemdes und nahm dann seine anderen Sachen an sich. Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, würde er es gerade rechtzeitig schaffen nach Jorrvaskr, und so machte er sich ohne Umschweife auf den Weg zurück.

Endlich hatte er den Windbezirk erreicht und eilte, zwei Sufen auf einmal nehmend, die Treppe zur Methalle hinauf. Bislang sassen nur Vignar und sein Gefährte Brill am Esstisch, und Brynjar widerstand dem Drang, dem alten Mann die Feder zu überreichen. Er wollte die Neuigkeit über den wunderbaren Fund zuerst mit seinem Freund teilen.

„Was hast Du Dir eigentlich dabei gedacht, Vilkas? Bist Du denn vollkommen wahnsinnig geworden? Du hättest Brynjar beinahe umgebracht!“ Farkas war ausser sich und gleichzeitig erschrocken über sich selbst. So hatte er noch niemals mit seinem Bruder gesprochen, aber dies war eine ganz neue und für ihn untragbare Situation. Vilkas schwieg. Er trug schwer an dem, was geschehen war. Er wusste, dass er einen grossen Fehler gemacht hatte, aber die Abneigung, die er dem Fremden entgegenbrachte, war nach wie vor da und liess sich nicht vertreiben. „Hör auf, mir Vorhaltungen zu machen, Farkas! Ich weiss, es war nicht richtig, wie ich mich verhalten habe draussen auf dem Hof. Aber verdammt nochmal, siehst Du denn nicht, dass mit diesem Menschen etwas nicht stimmt? Diese eisige Kälte, die ihn umgibt, sie bringt alles in mir zum Erstarren, mir graut vor diesem Mann!“ „Ich weiss nichts von der Kälte, von der Du sprichst, Vilkas. Brynjar ist ein wenig still und zurückhaltend, vielleicht auch ein wenig empfindlich, wenn man ihn nicht mit dem gebotenen Respekt behandelt. Aber wundert Dich das? Niemand hier hat ihn wirklich freundlich aufgenommen, und ich schäme mich deswgen.“

„Du schämst Dich Deiner Brüder und Schwestern? Wegen dieses......Fremden?“ „Ja, das tue ich. Wir sind hier aufgewachsen, Vilkas, wir sind fast unser ganzes Leben lang hier. Wir wissen nicht, was er erlebt hat, bevor er zu uns kam und haben kein Recht, über ihn zu urteilen, nur weil uns seine Art vielleicht nicht gefällt. Er war immer höflich, zu jedem hier, und die meisten haben ihm das schlecht vergolten. Wenn Ihr Euch jetzt von ihm angegriffen oder beleidigt fühlt, dann war das seine Art, sich zu wehren, und jeder Mensch hat das Recht, sich zu verteidigen, wenn er angegriffen wird!“ „Ach, Bruder, ich kann nicht verstehen, warum Du Dich so vehement für ihn einsetzt, ich halte diesen Kerl für gefährlich, und ob während der Arbeit oder während der Freizeit, ich werde ihn im Auge behalten, so gut ich kann.“ „Tu das, wenn Du mit Deiner Freizeit nichts Besseres anzufangen weisst, aber ich erwarte, dass Du Dich bei Brynjar entschuldigst!“

„Bist Du verrückt geworden? Ich soll mich entschuldigen? Das kannst Du vergessen!“ Wütend stand Vilkas von seinem Stuhl auf und ging mit schweren Schritten an ein Regal in seinem Zimmer, in dem er immer einige Flaschen Met aufbewahrte. Ohne sich die Mühe zu machen, den Inhalt in einen Becher zu giessen, setzte er die kleine Flasche an die Lippen und trank sie in einem langen Zug vollständig aus. „Vilkas,“ begann Farkas erneut, auf seinen sturen Bruder einzureden, „mein ganzes Leben lang habe ich zu Dir aufgesehen und Dich bewundert. Ich habe immer alles getan, was Du von mir verlangt hast und stets mein Bestes gegeben, um Deinen Ansprüchen gerecht zu werden. Wenn Du Dich jetzt weigerst, zu tun, was rechtens und notwendig ist, dann ist mein Vertrauen in Dich und mein Respekt ein für allemal dahin. Tu uns das nicht an, bitte. Ich hatte so sehr gehofft, Du hast Dich von dem Schicksalsschlag mit A........“ „Nenne ihren Namen nicht, ich warne Dich, Farkas! Also gut, ich werde mit Brynjar reden, zufrieden?“ „Ja, Bruder, ich danke Dir.“ Blitzartig kehrte das Lächeln auf Farkas Gesicht zurück. Voller Wärme und Zuneigung umarmte er Vilkas und verliess den Raum, um nach oben zum Essen zu gehen. Doch er drehte sich noch einmal um. „Kommst Du nicht mit?“ „Geh nur, Farkas, ich komme gleich nach.“

Schnell sprang Brynjar die Treppe zu den Quartieren hinunter, legte sein Bündel mitsamt Waffe aufs Bett und schlug dann den Weg zu Farkas Zimmer ein. Er klopfte und wartete, aber niemand antwortete. Ob der Freund vor dem Essen noch ein Nickerchen gemacht hatte? Bryn klopfte erneut, lauter diesmal und rief Farkas Namen, aber nichts regte sich hinter der Tür. Nun, vielleicht war er draussen gewesen, dachte er sich, ich werde ihn oben am Tisch sehen. Wieder nahm er die Treppe nach oben, und richtig, Farkas sass bereits am Tisch und unterhielt sich angeregt mit Brill. Es gab keine feste Sitzordnung am Esstisch, jeder nahm Platz, wo er gerade wollte. Der Stuhl links von Farkas war frei, und den beanspruchte nun Brynjar, er brannte darauf, dem Freund von seinem Glücksfund zu erzählen.

Er hatte den Stuhl noch nicht erreicht, als ihm Vilkas in den Weg trat. „Das ist mein Platz!“ Hatte Brynjar bisher nur mit Verärgerung auf all die Unfreundlichkeitenn reagiert, die er hier erfahren hatte, so lag diesmal ein Blick in seinen eisblauen Augen, der Vilkas erschauern liess. Mit diesem Mann zu reden, sich bei ihm zu entschuldigen, erschien ihm mit einemmale schier unmöglich, aber er hatte es seinem Bruder versprochen. Und der hatte es ernst gemeint mit seinen Vorhaltungen, verdammt ernst. Farkas war sein Rettungsanker gewesen damals, der ihn aufgefangen hatte, nachdem er hatte feststellen müssen, dass er für die kleine Nord, die er für die Liebe seines Lebens gehalten hatte, in Wirklichkeit nur ein Spielzeug gewesen war, er war es ihm schuldig. Aber, Talos sei ihm gnädig, leicht würde er es dem aufmüpfigen Schüler nicht machen!

Brynjar empfand Wut, Ärger und, ja, Enttäuschung. Er hatte sich gewünscht, Farkas lächeln zu sehen, wenn er von seinem Fund erfuhr. Warum nur stellte sich ihm Vilkas ständig in die Quere? Was hatte er ihm angetan? Wieso dieser so offen zur Schau gestellte Hass gegen einen Fremden? Konnte das so etwas wie........Eifersucht sein? Brynjar verstand es nicht, schüttelte nur den Kopf, ohne Vilkas weiter zu beachten und suchte sich einen anderen Platz. Vielleicht ergab sich nach dem Essen eine Möglichkeit, mit Farkas zu reden.

Tilma jedenfalls hatte nicht übertrieben. Als sie von draussen das Tablett mit dem Fleisch hereinbrachte, während Torvar ihr galant die Tür aufhielt, ging ein erfreutes Raunen durch die Reihen der Gefährten, und kaum stand der Braten auf dem Tisch, stürzten sich alle wie die Wilden auf das köstlich duftende Fleisch. „Kinder, Kinder, langsam!“ versuchte sich die alte Dame, Gehör zu verschaffen, nahm ein riesiges Messer in die Hand und fuchtelte damit warnend vor Skjors Nase herum, der bereits seine Gabel in den Fleischberg hineingesteckt hatte. Schliesslich hatte jeder der Anwesenden ein schönes Stück Fleisch auf seinem Teller liegen, die Kartoffeln waren mit Petersilie angemacht worden, und als weitere Beilage standen zwei grosse Schüsseln Tomatensalat auf dem Tisch.

Heute war es Brynjar, der die Gefährten heimlich, unter gesenkten Augenlidern, beobachtete. Njada unterhielt sich, wie immer beim Essen, angeregt mit dem Dunkelelfen, der neben ihr sass, offenbar waren sie gut miteinander befreundet. Vielleicht war sogar mehr im Spiel? Egal, das war ihr Privatvergnügen. Skjor ass seinen Teller nicht leer, er frass. Seine Backen waren so geschwollen wie die eines Hamsters, der sich seinen Wintervorrat anlegte, und immer wieder schob er nach, ohne, dass sein Mund richtig leergeworden war. Skjors Gebaren erinnerte Brynjar zwangsläufig an das Verschlingen von Beute, wie er es einmal nachts bei einem Wolf gesehen hatte. Aela versuchte den neben ihr sitzenden Vilkas in ein Gespräch zu verwickeln, aber der starrte nur stumm auf seinen Teller und stocherte lustlos mit seiner Gabel in den Tomaten herum, schob sie von hier nach dort, ohne auch nur eine Scheibe davon zu essen. Einzig Farkas bot einen erfreulichen Anblick. Es war deutlich zu sehen, wie sehr es ihm schmeckte. Er genoss die Mahlzeit, nahm sich noch einmal Kartoffeln und bat seinen Freund um die Salatschüssel, die ein wenig ausserhalb seiner Reichweite stand. Brynjar erhob sich, griff nach der Schüssel und reichte sie dem Freund, was ihm ein dankbares Lächeln einbrachte.

Plötzlich ruckten, wie auf ein unhörbares Kommando, alle Köpfe nach oben, sogar der von Vilkas. Ein Poltern von der hinteren Treppe her lenkte ihre Aufmerksamkeit auf Torvar, der sich wohl ein wenig mit der Zeit vertan hatte und nun doch noch, etwas verspätet, zum Essen erschien. Der grosse Esstisch war bis auf den letzten Platz besetzt, so suchte sich der Gefährte einen Stuhl an einem der kleinen Tische an der Seite und fragte kleinlaut, ob er denn noch etwas zu essen bekommen könne. Die gute Tilma erhob sich seufzend, doch Skjor war damit nicht einverstanden. „Nein, Tilma! Ich sehe nicht ein, dass Ihr diesen faulen, unzuverlässigen Kerl auch noch bedient. Er weiss genau, wann bei uns Essenszeit ist. Wenn er sich nicht an die Regeln hält, hat er eben Pech gehabt!“

Aber die alte Dame war schon zu lange in Jorrvaskr, um sich von einem Jüngeren etwas sagen zu lassen, wobei dies nicht für Vignar und auch nicht für Kodlak galt, vor den beiden älteren Männern hatte sie den grössten Respekt. Sie ignorierte die bissige Bemerkung des einäugigen Kriegers, nahm einen Teller und häufte Kartoffeln und Tomaten darauf. „Es tut mir leid, Torvar, das Fleisch ist alles weg, darauf müsst Ihr heute leider verzichten,“ sagte sie mitfühlend, als sie dem nie ganz nüchternen Gefährten den Teller brachte. „Ihr seid eine gute Seele, Tilma. Ich danke Euch.“ Kaum hatte er seine erste Gabel in den Mund gesteckt, erhob sich Vilkas von seinem Stuhl, nahm seinen Teller in die Hand und näherte sich Torvar. Neben dem Gefährten blieb er stehen, stach mit seiner Gabel in das noch warme Fleisch und liess es auf den Teller des Anderen fallen. „Ihr könnt es ruhig nehmen, ich habe heute keinen Appetit!“

Der verblüffte Mann bedankte sich, und genauso verblüffte Blicke wurden am grossen Tisch gewechselt. Doch nach diesem kleinen Zwischenfall wurde das Mahl in Ruhe beendet, und nachdem sich Njada und Athis bereit erklärt hatten, das Geschirr abzuräumen, versuchte Brynjar, Farkas zu erwischen. „Brynjar?“ Nicht schon wieder Vilkas! Er sah Farkas auf der Treppe nach unten verschwinden und seufzte. Er musste die Mitteilung über seinen Glücksfund ein weiteres Mal verschieben. Nichts Gutes ahnend, wandte er sich nun dem Bruder des Freundes zu. „Ja, Vilkas?“ Seit er dieses Haus zum ersten Male betreten hatte, war er bemüht gewesen, höflich zu sein, doch hier und jetzt, bei diesem Menschen, fiel es ihm ausnehmend schwer. „Ich möchte mit Euch sprechen. Lasst uns für einen Moment nach draussen gehen.“ Brynjar fügte sich, schliesslich war er nur zu Gast hier. Vilkas ging hinaus in den Hof, setzte sich auf einen der Stühle und bedeutete seinem Begleiter, ebenfalls Platz zu nehmen.

Für einen langen Moment herrschte eisiges Schweigen zwischen den beiden Männern, doch dann begann Farkas Bruder, sich zu offenbaren. „Brynjar, das hier ist nicht einfach für mich, aber die Regeln der Gefährten gelten für alle. Und dabei spielt es keine Rolle, ob alle Beteiligten Gefährten sind, oder nicht, und ich bin ein Mann von Ehre. Ich habe Euch heute Vormittag unfair behandelt, und als ihr gestürzt seid, hätte ich mich beinahe vergessen und Euch.......“ Hier versagte seine Stimme, zu gross war die Scham, zu gross das Entsetzen über seine eigene Fähigkeit, so weit zu gehen. „Umzubringen? Wolltet Ihr das sagen, Vilkas?“ Der Krieger hob den Kopf und sah seinem Gegenüber fest in die Augen. Und sofort war wieder dieses Unbehagen in ihm, all seine Sinne schlugen Alarm, dieser Mann war kein Mensch wie die anderen. Einem normalen Menschen wäre Wut, Unverständnis, die Frage nach dem Warum abzulesen gewesen. Doch in den Augen Brynjars standen lediglich Kälte und Gleichgültigkeit.

„Wollt Ihr bitte auf den Punkt kommen, Vilkas, ich habe noch etwas vor, etwas sehr Wichtiges.“ Vilkas schüttelte sich und räusperte sich, dann straffte er seine Gestalt, blickte Brynjar in die Augen und brachte steif über die Lippen: „Ich möchte mich für mein Verhalten heute Morgen entschuldigen, Brynjar. Ich habe mich vergessen, so etwas hätte nie passieren dürfen. Farkas war genauso entsetzt wie ich, nachdem ich wieder klar denken konnte und hat sicherlich schon bei Kodlak Meldung gemacht, was völlig in Ordnung ist. Falls Ihr eine Wiedergutmachung, in welcher Form auch immer, für angemessen haltet, lasst es mich wissen. Für jetzt kann ich Euch jedenfalls versichern, dass so etwas nie wieder vorkommen wird.“

Wie in der Erwartung eines Urteils blieb Vilkas stumm auf seinem Stuhl sitzen und liess gedemütigt seinen Kopf hängen. „Ich verlange keine Wiedergutmachung, Vilkas. Mag Euch Euer Gewissen eine ständige Mahnung sein, Eure Gefühle unter Kontrolle zu halten. Und nun entschuldigt mich bitte.“ Ungläubig hob Vilkas den Kopf. Keine Rache? Keine Beschimpfungen? Dieser Mann war ein Rätsel. Jeder andere wäre mit Freuden auf ihn losgegangen, hätte Geld oder eine andere Entschädigung von ihm gefordert. Brynjar Sturm-Geborener verwies ihn auf sein eigenes Gewissen, das ihm, den ehrenhaften Krieger, dem Moral und Anstand über alles gingen, das wusste er, niemals Ruhe lassen und ihn sein Leben lang an dieses Geschehnis erinnern würde. Verdammt sollte er sein, dieser Kerl von wer-weiss-wo, wofür hielt der sich überhaupt?

Doch dann siegte die Vernunft. Vilkas beruhigte sich wieder, er war im Unrecht gewesen, und gemessen an dem, was er dem Neuen angetan hatte, war dieser fair und grosszügig zu ihm gewesen. Er goss sich einen Becher Met ein, machte es sich auf seinem Stuhl bequem und genoss die Strahlen der Mittagssonne.

Aber jetzt! Brynjar eilte durch die Methalle, hinunter zu den Quartieren, entschlossen, sich diesmal von niemandem mehr aufhalten zu lassen. Torvar sass noch immer an seinem kleinen Tischchen und lächelte ihn an. „Das war ein feines Essen, Bruder. Dieses Kaninchen war wirklich sehr delikat.“ Brynjar rollte mit den Augen. Im Vorbeigehen sprach er den Mann an. „Das war ein Fasan, Bruder, aber es ist schön, zu hören, dass er Euch geschmeckt hat.“ Torvar war ein Mann, der ihn ohne wenn und aber in ihrer Mitte akzeptiert hatte, so fiel ihm die vertraute Anrede nicht schwer.

Im Eilschritt lief er in sein Zimmer, holte vorsichtig seinen kleinen Schatz heraus und ging damit zielstrebig weiter in den Gang hinein, um Farkas aufzusuchen. Erst beim zweiten Klopfen wurde die Tür geöffnet, und Brynjar bot sich in der Tat ein höchst seltsamer Anblick: Farkas stand fast nackt vor ihm, er trug lediglich seinen Lendenschurz, und er rieb sich die Augen. „Ähem.....ich eh......ich denke, ich sollte........ehm......bitte verzeiht,“ stotterte der Besucher. „Kommt nur herein, Brynjar, jetzt bin ich wach.“

Rainbowdemon
11.08.2013, 12:27
Kapitel 11 – Ein Mysterium


Brynjar fühlte sich fast wie ein Eindringling in Farkas kleinem Reich. Unschlüssig stand er im Raum und wusste nicht, was er tun sollte. Farkas liess sich auf sein Bett fallen, gähnte herzhaft und sprach dann seinen Freund an. „Was gibt es denn, Bryn? Verzeiht meine Aufmachung, ich mache nach dem Essen gerne ein kleines Nickerchen, ich hatte nicht mit Besuch gerechnet. Nun setzt Euch schon!“ Brynjar nahm auf dem Stuhl Platz, der dem Bett gegenüber stand und betrachtete den Freund. Dass der Krieger kräftig und muskulös war, das sah man auch dann, wenn er eine Rüstung trug, aber nun, mit diesem kleinen Stückchen Stoff am Körper, sah man wesentlich mehr von ihm. Und das, was man sehen konnte, gefiel Brynjar. „Euer Aufzug stört mich nicht im Geringsten, Farkas. Ich muss mich entschuldigen, dass ich hier einfach so hereinplatze, aber ich habe eine Überraschung für Euch.“

„Eine Überraschung?“ freute sich Farkas, sprang auf und angelte sich den zweiten Stuhl in seinem Zimmer, stellte ihn neben seinen Besucher und sah ihn voller Spannung an. Vorsichtig zog Brynjar das kleine Paket aus seiner Tasche und legte es auf seine Oberschenkel. „Was ist das?“ Farkas war so neugierig, dass er vor Spannung auf seinem Stuhl hin- und herrutschte. „Ihr erinnert Euch an Vignars Bitte wegen einer neuen Feder? Und dass wir es völlig vergessen hatten?“ „Ja, ich weiss, ich war schon bei ihm deswegen und habe ihm versprochen, beim nächsten Mal daran zu denken.“ „Nicht, dass Ihr denkt, ich würde nicht gerne noch öfter mit Euch auf die Jagd gehen, aber seht mal her.“ Endlich fasste er das Tuch, in den sein kleiner Schatz eingewickelt war, ganz vorsichtig an einer Ecke und faltete es auseinander, bis, in ihrer ganzen Schönheit, die wundervolle, in allen Farben schillerne Feder vor ihnen lag. Farkas stiess einen überraschten Pfiff aus. „Die ist ja wunderschön, Brynjar! Wo habt ihr dieses Prachtstück her?“ „Es war ein glücklicher Zufall. Ich war unten am Fluss und habe gebadet. Als ich fertig war und eben nach meinen Stiefeln griff, sah ich plötzlich dieses Wunder vor mir im Gras liegen, und ich schwöre Euch, sie war noch nicht dort, als ich meine Kleider abgelegt habe.“

Ganz sachte, als habe er Angst, sie zu zerbrechen, nahm Farkas das filigrane Gebilde in zwei Finger, hielt sie dicht vor seine Augen und bewunderte das kostbare Stück. „Ich habe noch nie einen Vogel mit einem so prachtvollen Gefieder gesehen. Welches Tier mag sie dort zurückgelassen haben?“ „Ich weiss es nicht, Farkas, aber ich bin sicher, Vignar wird sich sehr darüber freuen.“ „Oh ja, das wird er, das ist ein wundervolles Geschenk.“ Ganz langsam legte er die Feder wieder zurück, stand auf und begann, sich anzuziehen. Brynjar verstaute seinen Fund und sah dem Freund zu, wie er eine leichte Fellrüstung, ähnlich seiner eigenen, überzog. „Fertig, wir können gehen!“ verkündete der schliesslich und stieg im Gehen in ein paar weiche Lederstiefel. „Habt Ihr es so eilig, Vignar aufzusuchen?“ „Natürlich, Bryn, er machte ein so enttäuschtes Gesicht, als ich ihm erzählte, dass wir seine Bitte vergessen hatten, er tat mir so leid. Und jetzt möchte ich sehen, wie er sich freuen wird.“ An der Tür drehte sich Farkas noch einmal zum Freund um. „Brynjar, ich danke Euch, dass Ihr dies mit mir teilt, Ihr hättet ja auch alleine gehen können, nachdem Ihr die Feder gefunden hattet.“ „Es ist ein weites und unbekanntes Land für mich, Farkas, aber ich bin dabei, das Phänomen Freundschaft zu erkunden, und dafür scheint mir niemand besser geeignet als Ihr.“

Die Antwort seines Besuchers brachte etwas in Farkas zum Klingen, und er fragte sich ein weiteres Mal, wie um alles in der Welt sein Bruder die Behauptung aufstellen konnte, den Neuen unter ihnen umgäbe eisige Kälte. Er selbst hatte davon nichts feststellen können. Brynjar mochte scheu und zurückhaltend sein, aber kalt und gefühllos, nein, das sah er völlig anders. Als die beiden Männer die Methalle betraten und Vignars und Brills Zimmer ansteuerten, begegneten sie Vilkas, der sich für seine Abreise nach Flusswald fertigmachte. Er hatte gerade die vorschriftmässigen Eintragungen im Buch beendet, als er sie kommen sah. „Hallo Farkas!“ Vilkas hatte sich scheinbar die Ermahnung seines „kleinen“ Bruders zu Herzen genommen, denn er nickte auch Brynjar zum Gruss kurz zu, der diese unerwartete Freundlichkeit prompt erwiderte. „Du machst Dich auf den Weg nach Flusswald?“ „Ja, Bruder. Mal sehen, was da unten vor sich geht.“ „Wann wirst Du zurücksein?“ „Nun, Farkas, das kommt ganz darauf an, mit welchen Problemen ich konfrontiert werde. Der kleiner Streit eines Ladenbesitzers sollte schnell zu klären sein. Sollte das heute nicht mehr möglich sein, rechnet spätestens morgen Abend mit meiner Rückkehr.“

„Gut, Vilkas. Solltest Du bis morgen zum Abendessen nicht wieder da sein, werden Brynjar und ich nach Flusswald gehen und nach Dir sehen.“ „Ach, das wird nicht nötig.......wieso Du und Brynjar?“ „Ganz einfach, Bruder, Brynjar ist mein Freund, und wir machen alles zusammen, sofern möglich.“
Vilkas schnaubte, es passte ihm nicht, dass sein Bruder so viel Zeit mit dem Fremden verbrachte, aber er war schliesslich ein erwachsener Mann und traf seine Entscheidungen für sich selbst. „Also dann, viel Glück, Vilkas, auf bald!“ Einmal mehr blickte der Krieger dem Rothaarigen in die Augen und sah nichts als Kälte und Ablehnung darin. Fast beschlich ihn so etwas wie Sorge, ob er seinen arglosen und vertrauensseligen Bruder in der Nähe dieses Menschen zurücklassen konnte. Aber dann siegte seine Vernunft und seine in vielen Jahren antrainierte Gelassenheit. „Gib auf Dich acht, kleiner Bruder, bis morgen!“ Dann griff Vilkas nach einem kleinen Beutel mit etwas Proviant und verliess Jorrvaskr, ohne sich noch einmal umzudrehen.

„So, der ist weg. Wollen wir doch mal sehen, wer für morgen als Trainer in Eurem Unterrichtsplan eingetragen ist.“ Eine Art Stundenplan war nur in aller Eile und ohne konkrete Vorstellungen erstellt worden. Bisher war noch niemand mit dem Wunsch nach Jorrvaskr gekommen, um lediglich Unterricht nehmen zu wollen. Brynjars Plan fand so lediglich auf einer losen Seite Papier Platz, auf dem der Ausbilder für die jeweiligen Tage verzeichnet war. Für die verbliebenen Tage der Ersten Saat war überall Vilkas vermerkt, aber für morgen war sein Name durchgestrichen worden, Farkas würde ihn ersetzen. „Ich werde morgen Euer Lehrer sein!“ Farkas freute sich wie ein kleiner Junge und klatschte in die Hände.

„Was ist denn das für ein infernalischer Lärm hier draussen?“ Die Tür zum angrenzenden Zimmer hatte sich plötzlich geöffnet, und der alte Vignar streckte seinen grauhaarigen Kopf heraus. „Oh, Vignar, zu Euch wollten wir gerade. Habt Ihr ein paar Minuten Zeit für uns? Dürfen wir hereinreinkommen?“ Farkas brannte darauf, dem alten Mann sein Geschenk zu übergeben und war ganz aufgeregt. „Ich habe dieser Tage viel zu viel Zeit, mein Junge. Kommt nur herein.“ Während Vignar die Tür ganz öffnete und sich dann weiter in sein Zimmer zurückzog, reichte Brynjar seinem Freund das kleine Päckchen und erntete dafür einen verblüfften Blick von Farkas. „Wieso ich, Brynjar? Ihr habt dieses wundervolle Stück gefunden. Ich frage mich schon die ganze Zeit, ob nicht vielleicht Ius, der Gott der Tiere, sie für Euch dort zurückgelassen hat, zum Dank dafür, dass ihr dem Elch das Leben gerettet habt.“

„Wer weiss, Farkas. Ich habe gelesen, dass es nach dem Glauben der Nord etliche Götter gibt, die sich sehr für die Sterblichen und ihre Angelegenheiten interessieren sollen. Vielleicht ist dieser Ius einer von ihnen.“ „Setzt Euch, setzt Euch, Männer. Nun, was kann der alte Vignar für Euch tun?“
Farkas, der sich einen Stuhl in die Nähe eines kleinen Tisches gezogen hatte, setzte ein geheimnisvolles Lächeln auf, griff in seine Tasche und zog langsam das Tuch heraus, in den der kleine Schatz eingewickelt war. Auch Vignar hatte nun seinen Stuhl an den Tisch geschoben und beobachtete Farkas, wie er nach und nach alle vier Enden des Tuches von dem glänzenden Gegenstand zog, bis dieser endlich in all seiner Pracht vor ihnen lag.

„Heiliger Talos, die Feder eines Phönix!“ „Phönix?“ fragte Farkas. „Dann wisst Ihr also, zu welchem Vogel diese Feder gehört?“ Der alte Mann stand auf, ging an eines seiner gut gefüllten Bücherregale und liess seinen Blick darüberschweifen. „Ah ja, hier haben wir es!“ Mit einiger Anstrengung zog er einen dicken Wälzer aus einer der Buchreihen und hielt ihn triumphierend in die Höhe. Nachdem er sich wieder gesetzt hatte, erklärte er: „Ius, Gott der Tiere. Vielen nordischen Gottheiten sind Tiere zugeordnet, wie Ihr wisst.“ Brynjar schwieg. Jetzt, in diesem freudigen Augenblick, den der alte Mann genoss, waren Bemerkungen über Götter und Glauben, wie er selbst sie sah, fehl am Platze.

„Akatosh wird oft als Drache dargestellt, Nocturnal hat immer Tauben oder Singvögel um sich geschart, Azura befehligt eine Armee von Harpyen, und Clavicus Vile ist bekannt für seine Schwäche gegenüber Hunden. Almalexia, die gemeinsam mit Vivec und Sotha Sil das Tribunal in Morrowind begründete, hatte stets einige Wölfe an ihrer Seite. Sie wird eigentlich überwiegend von den Dunmer verehrt, aber ich zähle sie auch mal mit auf. Ius ist der Gott aller Tiere überhaupt, sie alle stehen unter seinem Schutz, und es soll schon vorgekommen sein, dass es Streit gab zwischen ihm und den Göttlichen, wenn einem dieser Geschöpfe Leid zugefügt wurde.“

„Mit dem Phoenix nun hat es eine ganz besondere Bewandtnis. Oh, entschuldigt, ich habe Euch gar nichts zu trinken angeboten!“ Vignar erhob sich, holte eine Flasche Wein aus einer Kommode und schenkte jedem seiner Gäste einen Becher ein. „Der Phönix war ein sehr grosser Vogel und konnte nicht besonders gut fliegen, das lag wohl auch zum Teil an seinem schweren Gefieder, das ihn gut gegen alle Witterungen schützte. Hier, seht Euch das Bild an, so sahen die Phönix-Vögel aus.“

Vignar schob den beiden Männern das grosse Buch hinüber, das er, ziemlich in der Mitte, aufgeschlagen hatte. Es war in der Tat ein wundersames Tier, das dort abgebildet war. Gross, schön und Ehrfurcht-gebietend. „Ihr sprecht von diesem Tier in der Vergangenheit, Vignar. Gibt es denn heute keine Phönix mehr?“ Brynjar, dessen Interesse schon immer mehr den Tieren, als den Menschen gegolten hatte, war neugierig geworden. „Nun, es gab eigentlich immer nur dieses eine Tier,“ antwortete der alte Krieger geheimnisvoll. Sein Name war Liam, eine Kurzform des Namens Wilhelm, der auch bei uns in Himmelsrand gebräuchlich ist und setzt sich zusammen aus willio für Wille oder Entschlossenheit und aus helm für Helm oder Schutz. Dieser Vogel war der ständige Begleiter des Gottes Ius und seiner Schönheit wegen überall bekannt. Leider gab es auch unter den Göttern viele Neider, die ebenfalls einen so prachtvollen Vogel haben wollten, aber es gab eben nur diesen einen, Liam. Niemand wusste, wo er hergekommen war, und Ius hüllte sich in Schweigen. Manche vermuteten, der Gott selbst habe den Vogel erschaffen.“

Hier machte Vignar eine Pause und trank einen grossen Schluck Wein. Auch Farkas lauschte seiner Erzählung mit grossem Interesse. „Eines Morgens nun, als Ius nach seinem Freund und Begleiter sehen wollte, fand er ihn tot in seinem Korb liegen. Irgendjemand hatte ihn aus Neid vergiftet. Ius war ausser sich vor Kummer und weinte sieben Jahre lang. Schliesslich hatte Mara, die Göttin der Barmherzigkeit, Mitleid mit ihm und machte ihm ein ganz besonderes Geschenk: es gab keine Phönix-Vögel mehr, die Liam hätten ersetzen können, aber sie liess den Toten wiederauferstehen und verfügte, dass das Tier, wann immer ihm ein Leid angetan oder es gar getötet würde, immer wieder neu aus der Asche seiner Beisetzung neu geboren würde. Ius war überglücklich und dankte es der Göttin, indem er ihr eine der wunderschönen Federn seines Vogels darbrachte.“ „Das ist in der Tat eine wundersame Geschichte, Vignar,“ bemerkte Farkas beeindruckt. „Das ist sie, mein Freund. Und nun, Brynjar, erzählt mir doch einmal, wie Ihr an dieses kostbare und einmalige Exemplar herangekommen seid. Es ist äusserst ungewöhnlich und zudem höchst rätselhaft, eine wahrhaftige Phoenix-Feder in Händen zu halten, denn sie ist ohne jeden Zweifel echt.“

„Nur zu, Brynjar,“ ermunterte Farkas seinen zögernden Freund. „Erzählt es ihm ruhig. Vignar weiss viel über unsere Traditionen und ist sehr belesen, was unsere alten Mythen und Legenden betrifft.“ Und so begann Brynjar dem alten Mann von seinem denkwürdigen Fund unten am Fluss zu berichten, und dass das wertvolle Stück vor seinem Bad noch nicht neben seiner Kleidung gelegen hatte, dessen war er sich vollkommen sicher. Der alte Gefährte runzelte nachdenklich die Stirn, was mochte das zu bedeuten haben?

„Wir sollten vielleicht noch hinzufügen,“ meldete sich Farkas wieder zu Wort, „was während unseres Jagd-Ausfluges geschehen ist.“ „So? Was ist denn geschehen?“ Vignar beugte sich neugierig seinem jungen Schildbruder zu und lauschte gespannt. „Brynjar und ich waren also auf der Jagd. Wir hatten schon die Schneefall-Grenze überquert, als uns ein gewaltiger Elchbulle über den Weg lief. Ich nahm meinen Bogen und wollte mir sein prachtvolles Geweih sichern, zudem hätten wir Tage von seinem Fleisch essen können. Ich hatte also den Bogen gehoben, die Sehne gespannt und wollte eben den Pfeil loslassen, um das Tier zu töten, da legte sich mir, ganz sachte, eine Hand genau auf den Arm, der die Waffe trug.“

Noch immer machte ihm die Erinnerung an das Erlebte zu schaffen, Farkas nahm einen grossen Schluck Wein und fuhr dann fort. „Ich hatte damit natürlich nicht gerechnet, mein Arm wechselte bei meiner Überraschung über die unerwartete Berührung die Richtung, und mein Schuss ging ins Leere. Das aufmerksame Tier wusste natürlich sofort, dass ihm Gefahr drohte und floh. Ich war ziemlich verärgert, dass Brynjar mich um diese schöne Trophäe gebracht hatte, doch dann erzählte er mir......erzählt Ihr es doch bitte selbst,“ forderte er den Freund auf.

Brynjar senkte scheu den Kopf und begann. „Als Farkas sich zum Schuss bereit machte, vernahm ich ein merkwürdiges Wispern in meinem Kopf, ein Rauschen, dann ein Plätschern, ich konnte deutlich Worte vernehmen, aber in einer mir völlig unbekannten Sprache. Farkas zielte auf das Tier, ich sah, wie sich jeder Muskel in seinem Körper anspannte wie die Sehne seines Bogens, dann, plötzlich, sah ich es wie eine Flammenschrift vor meinem geistigen Auge stehen: Nein, bitte, tu es nicht! Ein höllischer Schmerz fuhr durch mich hindurch und ich schrie leise auf. Schon lockerten sich Farkas Finger, die den Pfeil hielten, da legte ich ihm, wie von einem anderen Willen gesteuert, meine Hand auf den Arm und verhalf dem Tier dadurch zur Flucht.“

„Das ist in der Tat eine höchst seltsame Geschichte, mein Freund,“, dachte Vignar laut. „Könnte es nicht sein,“ wollte Farkas wissen, „dass diese kostbare Feder eine Art Dank ist, weil Bryn dem Tier das Leben gerettet hat?“ „Das halte ich für durchaus möglich, mein Junge,“ erwiderte der Ältere. „Mir ist nicht bekannt, dass man – für alles Geld der Welt – nicht, an eine Phoenix-Feder herankommen kann. Dieser berühmte Vogel existiert nicht in unserer materiellen Welt, er ist ein Geschöpf der himmlischen Sphären und könnte durchaus von Ius gesandt worden sein, um sich bei Euch für die Rettung des Elches seinen Dank zu erweisen. So etwas habe ich noch nie erlebt. Brynjar, Ihr seid ein seltsamer Mensch. Euch umgibt ein Geheimnis, von dem niemand hier weiss. Vielleicht werden wir es irgendwann einmal ergründen, vielleicht niemals. Ich bin ein alter Mann und masse mir nicht an, Euch auszufragen, aber ich kann nun mit Sicherheit sagen, dass Euch, ohne dass Ihr Euch dessen bewusst wart, die Hand eines Gottes berührt hat.“

Brynjar war bestürzt. Die Hand eines Gottes? Was hatte das zu bedeuten? Warum hatte kein Gott ihn vor dem, was man gemeinhin Vater nannte, beschützt?

Mit verständnislos geweiteten Augen sah Brynjar den alten Mann an. „Diese Feder, meine Freunde, ist das Geschenk eines Gottes und viel zu schade, um damit zu schreiben. Einem so wertvollen Schatz wie diesem gebührt ein ganz besonderer Ehrenplatz. Sagt mir, Brynjar: wollt Ihr mir diese kleine Kostbarkeit wirklich überlassen?“ „Aber ja, selbstverständlich,“ erwiderte der Gast, ohne zu zögern. „Jetzt, wo ich den wahren Wert dieser Feder kenne, ist es mein ausdrücklicher Wunsch, dass sie in Eurer Obhut bleibt, niemand sonst hier wüsste ein Geschenk wie dieses zu schätzen und ihm die Fürsorge angedeihen lassen, die es verdient. Es genügt mir, wenn ich Euch damit unser Missgeschick vergessen lassen kann. Von der nächsten Jagd werden wir Euch eine Habichtsfeder oder etwas Ähnliches mitbringen, die besser zum Schreiben geeignet ist.“ Die beiden jüngeren Männer erhoben sich, um Pläne für den Nachmittag zu machen, doch Vignar hielt sie zurück. „Bitte, wartet noch einen Moment, Brynjar. Ich kann Euch nicht einfach so gehen lassen. Dieses wunderbare Stück ist mit keinem Geld der Welt zu bezahlen, und der Sold eines alten Kriegers im Ruhestand ist dazu wahrhaftig nicht geeignet.“

In diesem Moment öffnete sich die Tür, und Brill kam herein, eine Schale mit Obst in den Händen. „Oh, Ihr habt Besuch? Vergebt mir, ich wollte nicht stören.“ „Nein, nein, komm nur herein, mein Junge,“ beruhigte Vignar seinen Vertrauten. Brill stellte die Schüssel auf den Tisch und setzte sich auf sein Bett. „Sag mir doch einmal, mein Junge,“ begann der Alte und ging auf seinen Diener zu, „wo haben wir den zweihundert Jahre alten Wein der Surilies hingeschafft? Der, den wir in die nächste Ära hinüberretten wollten?“ „Aber Vignar, was wollt Ihr damit? Diese Flasche ist überaus wertvoll, Ihr habt sie in Euren Tresor eingeschlossen, lange, bevor ich nach Jorrvaskr kam, und Ihr habt sie mir nur einmal gezeigt.“ „Es ist meine Flasche, nicht wahr? Und ich kann damit tun und lassen, was ich will. Hier ist der Schlüssel zum Tresor, geh und bring sie mir.“

Brill war verärgert, was hatte der Alte bloss damit vor? Er wollte sie doch nicht jetzt auf einmal, aus einer blossen Laune heraus, mit seinen beiden Gästen austrinken, das wäre ja ein Verbrechen! Aber Vignar hatte recht: es war sein Eigentum. Kaiser Titus Mede II höchstpersönlich hatte sie ihm vor vielen Jahren zum Geschenk gemacht, für seinen Mut und seinen unermüdlichen Einsatz auf dem Schlachtfeld. Die Winzer-Familie der Surilies war zur Zeit der Oblivion-Krise weit über die Grenzen Cyrodiils hinaus berühmt gewesen für ihre erlesenen Weine, aber es gab keine Surilies mehr, alle umgekommen, und Tamika, die andere grosse Wein-Produzentin in Cyrodiil, hatte keine Nachkommen hinterlassen. Die Weinberge waren zerstört worden, und was man heute als Wein vorgesetzt bekam, war die Bezeichnung oft nicht wert.

Brill ging an eines der überfüllten Bücherregale, nahm einige der dicksten Ausgaben heraus, legte sie auf den Tisch und schloss den Tresor auf, der dahinter zum Vorschein gekommen war. Mit äusserster Vorsicht und fast andächtig nahm der Diener des Alten eine trübe, etwas staubige Flasche aus dem Behälter und reichte sie seinem Herrn. Dann schloss er den Tresor wieder sorgfältig ab, versteckte das Ganze erneut hinter den schweren Büchern und gab Vignar den Schlüssel zurück. „Diese beiden jungen Herren, Brill, haben mir heute ein ganz besonders wertvolles Geschenk gemacht, dem diese Flasche Wein kaum gerecht wird. Aber sie ist das Kostbarste, was ich besitze, ähem......besass, denn nun soll sie Euch gehören.“ Brynjar riss die Augen auf. „Aber das kann ich unmöglich annehmen!“ „Oh doch, Ihr könnt,“ lachte der alte Mann voller Fröhlichkeit. „Seht doch nur, all die Jahre lag sie dort in diesem Tresor eingeschlossen, und so viele Jahre, dass sie selbst dort staubig geworden ist!“ Dann schob er seinem Besucher die wertvolle Flasche zu. „Nehmt sie, Brynjar, sie gehört Euch, und keine Widerrede mehr! Und nun raus mit Euch, ich habe Briefe zu schreiben!“

Behutsam nahm Brynjar die Flasche an sich und drückte sie fest an seine Brust. „Ich danke Euch, Vignar, ich werde sie nur zu einem ganz besonderen Anlass öffnen.“ Schliesslich verliessen sie das Zimmer der beiden Männer und steuerten die Quartiere der Gefährten an. „An welchen Anlass hattet ihr gedacht, Brynjar?“ wollte Farkas neugierig wissen. „Das weiss ich jetzt noch nicht. Ich werde es wissen, wenn er da ist.“ Gemeinsam stiegen die beiden Freunde die Treppe hinab, dann blieb Brynjar auf dem Gang unten stehen. „Farkas, mein Freund, Ihr seid der einzige hier, dem ich vertraue. In meinem Quartier kann ich einen so kostbaren Schatz nicht wirklich sicher unterbringen. Nicht, dass ich den Anderen einen Diebstahl zutrauen würde, aber ein solches Geschenk ist mir zu wichtig, als es einfach herumstehen zu lassen, ich besitze nichts, wo ich die Flasche einschliessen könnte. Würdet Ihr sie bei Euch aufbewahren?“

„Ihr wollt dieses Schmuckstück von einem Wein wirklich mir anvertrauen? Seid Ihr sicher?“ Farkas war wirklich überrascht. „Ja, Farkas, Ihr seid für mich der Inbegriff von Ehre und Wahrhaftigkeit. Bitte nehmt sie in Eure Obhut. Wenn es an der Zeit ist, einen ganz besonderen Anlass zu feiern, werde ich Euch darum bitten, sie mir zurückzugeben.“ „Gut, wenn Ihr Euch sicher seid........kommt, Ihr solltet wenigstens wissen, wo ich sie verstaue.“

In aller Ruhe suchten die beiden Männer Farkas Quartier auf. „Setzt Euch doch, Bryn, ich muss mal schauen, wo ein solcher Schatz am besten aufgehoben ist.“ Sanft platzierte der Krieger die wertvolle Flasche auf dem langen, Tresen-ähnlichen Tisch und sah sich in seinem Raum um, während der Gast jede seiner Bewegungen aufmerksam verfolgte. „Ah ja!“ rief Farkas schliesslich erfreut aus. „Kommt doch einmal her bitte.“ Brynjar erhob sich und stellte sich neben den Freund, der eben gerade seinen Kleiderschrank geöffnet hatte. „Seht, dort unten, ganz hinten an der Wand, steht meine Bücherkiste. Niemand hier scheint mir zuzutrauen, mich in meiner Freizeit mit einem guten Buch zu beschäftigen. Niemand kennt diese Kiste, und an meinen Kleiderschrank geht niemand, mal ganz davon abgesehen, dass ohne Erlaubnis des Bewohners niemand das Zimmer eines anderen Gefährten betreten würde. Hier ist unser Schatz gut und sicher aufbewahrt.“

Brynjar wandte sich dem Freund zu und nickte. „Einverstanden. Legt sie dort hinein. Ähem.......Farkas?“ Der Krieger schloss den Schrank wieder und sah seinen Besucher erwartungsvoll an. „Ich muss gestehen, auch ich hätte nicht gedacht, dass Ihr so viel lest. Als ich von Pelagia fortging, hatte ich mir auch eine kleine Sammlung angelegt, ich hätte gerne gewusst, welche Themen Euch interessieren. Und falls etwas dabei sein sollte, das ich noch nicht kenne, würde ich mir auch gerne einmal einen Eurer Bände ausleihen.“ „Aber natürlich, gerne! Geht doch einfach in Euer Quartier und holt die Euren, dann sehen wir sie uns alle gemeinsam an!“