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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : [Kurzgeschichte] Die Sage der drei Künste



Lakos
04.06.2006, 19:53
Einst wanderten die drei befreundete Männer auf dem Weg zur Stadt Lezan, der Hauptstadt des Reiches der Lezanen, in welcher der Herrscher des blühenden Reiches lebte. Wohl war, es war ein blühendes Reich, und wohlhabend dazu. Doch eines fehlte ihm: Die Künste. Man hatte in Lezan zwar mehr als genügend Geld, doch waren Tätigkeiten außerhalb des Arbeitens den Lezanen fremd.

Diese drei Männer, die also nach Lezan wanderten, hatten eigentümliche Namen, welche sie gleich als Fremde verrieten. Der eine, der scharfe, durchdringende Augen und flinke Finger hatte, hieß Malerei. Der andere, der auf Grund seines feinen Gehörs aus jedem Ton eine Melodie zu erschaffen vermag, hieß Musik. Und der letzte der dreien hatte ein ausgeprägtes Gespür für Wörter, womit er gerne die örtlichen Mädchen betörte. Er nannte sich Poesie.

Als sie nach einer tagelangen Reise endlich in der Stadt ankamen, waren sie von den Menschenmassen, die sich auf den Straßen von Lezan tummelten überwältigt. Noch verwunderter waren sie allerdings über die Tatsache, dass sie kein Lachen oder Scherzen, nein, nicht mal ein Grinsen auf den Gesichtern der Leute, vernehmen konnten. Es gab nur sie, die Leute und deren Arbeit.

Müde von der langen Reise suchten sie zunächst den nächsten Gasthof auf, um sich dort auszuruhen. Sie gingen also hinein und baten den Gastwirt um ein Zimmer für eine Nacht. „Guten Abend, mein lieber Herr Wirt. Wärt Ihr wohl so freundlich drei müden Reisenden Obdach für eine Nacht zu gewähren“, fragte Poesie. „Wenn Ihr sie bezahlen könnt. Ein Zimmer kostet 15 Goldstücke pro Nacht.“, antwortete der alte Wirt, in dessen Augen man deutlich den harten, auf Profit ausgerichteten Kern des alten, von der Zeit gezeichneten, Mannes sehen konnte. „Es tut mir unendlich Leid, aber wir sind arm und haben keine 15 Goldstücke. Wir könnten Euch leider nur fünf Goldstücke geben; allerdings würden wir Euch und Eure Gäste mit unseren Künsten unterhalten, wenn Ihr wollt.“, schlug Poesie vor. Verdutzt fragte der Wirt zurück: „Kunst? Was soll das sein?“ Poesie hörte, wie Malerei nur schwer ein keuchendes Geräusch unterdrücken konnte. „Ihr kennt die Künste nicht?“, warf Musik ein. „Nein, ich habe noch nie davon gehört. Aber warum führt ihr eure Kunst nicht mal vor. Vielleicht überlasse ich euch dann ja ein Zimmer.“

Da die drei nichts dagegen einzuwenden hatten, gaben sie also ihr möglichstes und zogen alle Register um dem Wirt und seinen Gästen zu gefallen. Bald war der gesamte Gasthof ausgefüllt mit bunten Farben, wohligen Klängen und geistreichen Versen. Wie in Trance malten, musizierten und dichteten sie eine Weile lang, ohne auf die Gesichter der Umstehenden zu achten. Nachdem sie alles getan hatten, was sie konnten gingen sie zum Wirt zurück, um ihr wohlverdientes Zimmer zu beziehen. Doch der Wirt sagte nur: „Mir gefällt nicht, was ihr da gerade vorgeführt habt. Das hat doch keinen Nutzen!“ Und bevor einer der dreien etwas erwidern konnte, fuhr er fort: „Aber hört zu: Ich habe bei meinem Spaziergang durch die Stadt einige Stellen für euch gesehen. Die sind wie geschaffen für euch.“ Er deutete auf Malerei: „Du da! Meister Xing, der Besitzer des Malerei-Betriebs, sucht noch fähige Maler. Melde dich dort.“ Malerei nickte und ging. „Und du“ - er deutete auf Musik - „Meister Wang braucht noch Leute, die ihm dabei helfen seine Instrumente zu bauen.“ Er erklärte Musik noch schnell den Weg und schickte ihn von dannen. „So, und nun zu dir: Die Lokalzeitung braucht noch Schreiberlinge. Frag am besten Herrn Ling, den Chefredakteur.“

Am Ausgang des Gasthofes sprachen sich die drei nochmals ab, und vereinbarten, dass sie sich in einer Woche an derselben Stelle wiedertreffen würden, und, dass bis dahin jeder von ihnen genug Geld für eine Wochenmiete haben muss.

So gingen sie getrennte Wege und jeder nahm sich vor, sein bestes zu geben, um das Versprechen, das er seinen Freunden gegeben hatte, einzuhalten. Malerei ging also am nächsten Morgen und nach einer relativ ungemütlichen Nacht sofort zu Meister Xing und sagte, dass ihn der Wirt, der anscheinend einen gewissen Ruf in der Stadt besaß, zum ihm geschickt hat. Schnell war eine Arbeit für den Willigen gefunden, und so strich Malerei für den Rest des Tages die Wand eines mehrstöckigen Wohnhauses. Musik hatte ebenfalls schnell den vom Wirt gezeigten Meister aufgesucht, und auch sogleich eine Arbeit gekriegt: Er baut jetzt Harfen für die Kunden von Meister Wang. Und während die anderen beiden fleißig ihrem Handwerk nachgehen, verarbeitet Poesie die neuesten Neuigkeiten, die jeden Tag eintrudeln, zu Nachrichten, um sich die Wochenmiete zu verdienen.

Sie alle arbeiteten fleißig und ausdauernd, aber dennoch reichte es fünften von sieben Tagen noch nicht für eine Wochenmiete. Nein, sie hatten sogar weniger als die Hälfte zusammen. Glücklicherweise jedoch hatte sich ihr Auftritt im Gasthof des Wirtes herumgesprochen, so dass die Frau des Herrschers, die zufällig von ihren Dienerinnen von diesem Auftritt gehört hatte, einen Wettbewerb ausrufen ließ, bei dem alle Möchtegern-Künstler aufgerufen werden, dem Kaiser ihre Kunst vorzuführen. Und sollte dies dem Kaiser gefallen, würde derjenige auch noch eine hohe Geldsumme als Preis erhalten.

Die drei Freunde, die natürlich ebenfalls von dieser einmaligen Gelegenheit erfahren hatten, haben natürlich ihre Chance gesehen, die Miete doch noch vor Ende der Woche zusammenzubringen, und meldeten sich sofort für den Wettbewerb an, in der Hoffnung etwas zu gewinnen. Durch die wohlbekannte Ironie des Schicksals jedoch, wussten die drei nicht, dass sich der jeweils andere angemeldet hat.

Und es kam der Tag der Entscheidung. Ein Bote führte Malerei und seine wundervollen Gemälde durch die Stadt zum Palast, um seine Werke dem Herrscher zu zeigen. Im großen Thronsaal angekommen, stellte Malerei seine farbenfrohen Bilder aus. Auf einem der Bilder war mit Öl ein brausender Wasserfall gemalt, der eine hohe Klippe hinunter stürzt, die mit Moos und anderen Pflanzen bewachsen ist, und den kahlen, nackten Stein darunter äußerst gelungen verdeckte. Vögel flogen über den Wasserfall hinweg, und man konnte schon fast ihr Gezwitscher durch das Getöse des Wasserfalls hören. Alles war so perfekt, wie es nur sein konnte. Und doch fehlte dem Kaiser etwas. Er wusste nicht, was, aber er wusste, dass es nicht da war. Und ohne „es“ war es nicht komplett. Deswegen schickte er Malerei wieder nach Hause.

Nun war Musik an der Reihe: Er griff für diese Vorstellung tief in sein Repertoire und zauberte so viele wunderbare Melodien hervor, dass es nur noch eine Freude war. Der Herrscher spürte, wie sich sein Geist von der Sanftheit der Musik in eine wohlige Entspanntheit wiegeln ließ. Er sah, wie die Noten sich durch den ganzen Thronsaal ausbreiteten, und die Luft vor Melodik übersprühte. Dennoch war es auch diesmal kein perfektes Erlebnis - er wusste wieder nicht, was fehlte. Aber ohne „es“ war der Genuss nicht vollständig.

Als Letzter wurde Poesie in den Thronsaal gerufen: Mit seiner Ballade zog er den Herrscher sofort in den Bann seiner Syntax. Die Jamben und Trochäen umflossen den Herrscher geradezu und ließen seinen Geist in andere Sphären der Wahrnehmung gleiten. Er sah, wie sich das eine ohne Stocken in das andere verwandelte, und er hörte dabei eine leise aber angenehme Melodie. Wie es das Schicksal so will, fehlte es wieder etwas. Es war für den Herrscher nicht möglich konkret zu sagen, was nicht da war, aber ohne „es“ war auch dieses Meisterwerk nicht komplett.

Nach der Vorstellung der Poesie blieb der Herrscher eine Zeit lang stumm in seinem Thron sitzen. Er überlegte lange, bis ihm endlich die Erleuchtung kam. Er ließ Malerei, Musik und Poesie wieder in den Thronsaal rufen, welche sehr erstaunt darüber waren, die anderen zu sehen. „Meine Freunde!“, begann der Herrscher. „Ihr habt mir heute gezeigt, dass es etwas Größeres gibt, als nur den ständigen Profit. Ihr beherrscht eure Künste wie keine anderen, und eure Vorstellungen waren mehr als nur mitreißend. Aber dennoch fehlte bei jedem ein gewisses Etwas. Nun möchte ich euch bitten, dass ihr zusammen etwas für mich aufführt. Bitte, tut es für einen alten Mann. Um meinet- und um euretwillen.

Und sie spielten. Sie spielten nicht nur. Nein, ihre Hände, von den Göttern geführt, flogen über die Leinwand, die Saiten und das Papier, geleitet von dem Feuer in ihren Herzen und gefestigt von ihrem Glauben an die Kunst. Sie boten eine Show dar, wie man sie noch nie gesehen hatte: Die Farben waren kräftiger als die beste Rose, die Töne klarer als ein Flussbach und die Schriften weiser als die Götter selbst. Sie alle waren so verschieden, wie es nur ging, und doch schafften sie es ihren Kontrast zu einem perfekten Gesamtbild zu vereinen, dass die Götter selbst vom Himmel hinabstiegen, um ihnen ihr Lob auszusprechen und ihnen den Lohn für diese vortreffliche Unterhaltung zu geben. „Was auch immer ihr euch wünscht, wir werden es euch gewähren“, sprachen die Götter. „Sei es Gold oder Macht, ihr könnt alles haben.“

Nach kurzer Beratung mit seinen Freunden, antwortete Poesie den Göttern: „Oh ihr Götter, meine Begleiter und ich wünschen uns nichts sehnlicher, als dass jeder Mensch an unseren Künsten teilhaben kann. Einjeder soll die Kunst spüren, wie wir es tun!“ „Dies gewähren wir euch nur zu gerne“, erklärten die Götter und wirkten ihre mächtigen Zauber, so dass fortan alle, die Künste wahrnehmen konnten. Sie gaben sogar ihren ganz speziellen Segen dazu, damit alle einen Funken des Talentes der drei haben, der nur darauf wartet entfacht zu werden. Außerdem wurden die drei zu den Sternen erhoben, was ihnen die ewige Suche nach einem Zuhause ersparte. Und selbst heute – lange Zeit später – kann man, wenn man in einem ruhigen Moment in die Sterne blickt, noch immer den Widerhall der Vorstellung im Thronsaal spüren.