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Archiv verlassen und diese Seite im Standarddesign anzeigen : [Deutsch] Relevante Stilmittel in einem Leserbrief



Liquid H2o
11.01.2012, 08:41
Tag,
derzeit bereite ich mich aufs Abitur in Deutsch vor, welches wahrscheinlich Analyse von argumentativen Texten beinhalten wird unter Berücksichtigung rhetorischer Stilmittel. Häufig verwendete Textform bei uns waren da vor allem Leserbriefe. Ich nutze zum üben deswegen eben jene Leserbriefe, habe jedoch ein kleines Problem:
Ich finde recht selten relevante Stilmittel, die bewusst Kernaspekte eines Textes unterstützen sollen. Mag vielleicht sein weil nicht jeder Leserbriefverfasser Deutschstudent ist, aber ein paar sollten doch zu finden sein, weswegen ich mir da gerade stark Sorgen um meine Fähigkeiten diese zu registrieren mache.
Es wäre daher nett, ob mir jemand mein Urteil anhand dieses (http://www.zeit.de/2011/51/Strafjustiz) Leserbriefes bestätigen könnte, oder ob ich diese Stilmittel einfach nur übersehe.
Die rhetorischen Stilmitteln sind rhetorische Fragen, Anaphern, Vergleiche, Metaphern, Pleonasmen etc.

Zetubal
11.01.2012, 18:29
Ich mag zwar als Germanistikstudent etwas aus dem Raster fallen, aber einige Dinge kann man schon auf den ersten oder zweiten Blick entdecken. Das Zitat von Kant ist metaphorisch und enthält mit "Gerechtigkeit Genüge" eine Alliteration und dementsprechend abstrahierend finde ich auch "Diebe statt Mörder, Geldstrafe statt Hinrichtung"... Auf einer einfacheren Ebene, könnte man sagen, dass gleich zu Beginn "Wer über Breiviks Morde liest, wer die Bilder der Berliner Überwachungskamera sieht..." eine halbe Anapher ist... "Vergeltungsimperativ" ist m.E. eine Wortschöpfung (also ein Neologismus) mit der auf den kategorischen Imperativ, für den Kant ja hauptsächlich bekannt sein dürfte, angespielt wird...
Das ist das, was mir beim Überfliegen der ersten Hälfte auffällt - du merkst, dass es scheinbar schon einige Stilmittel im Text gibt. Wie groß deren Einfluss auf die letztendliche Wirkung des gesamten Artikels ist, bleibt halt subjektiv zu beurteilen.
Du kannst ja mal aufzählen, was dir so auffällt bzw. aufgefallen war und wo es vielleicht genau am Verständnis hakt.
Generell haben Leserbriefe eine Tendenz mit Metaphern und kurzen Parabeln zu arbeiten.. Manchmal sind in ihnen auch kleine Allegorien versteckt. Das liegt wohl daran, dass solche Verbildlichungen einem eher kurzen Text Leben einhauchen und ihn reicher machen.

P.s. : Ein Germanistikstudent würde mit Krachern wie Lakoff anrücken und behaupten, der Text sei zu 50% metaphorisch :P aber vergiss das besser schnell.

§wink

Liquid H2o
12.01.2012, 11:05
Erstmal vielen Dank für die Antwort! Wir beachten größtenteils nur bestimmte Stilmittel, ich schreib hier mal welche:
Rhetorische Fragen
Pleonasmen (wobei die mMn am schwersten zu sehen sind)
Alliterationen
Anaphern
Klimax
Antithesen
Captio benevolatiae
Euphemismen
Hyperbeln
Metaphern
Personifikationen
Vergleiche.

Ich bin den Artikel nochmal konsequent und konzentriert durchgegangen, wirklich "viel" habe ich aber auch nicht entdeckt.
Anaphern:
- "Wer über..", "Wer die..."
- "will...", "der will..."
Alliteration:
- Gerechtigkeit genüge
- gerechte Vergeltung (mit seeeeehr viel Wohlwollen würd ich das noch als Alliteration bezeichnen)
Antithesen:
- "..wenn sie Bestand haben will und nicht in anarchischer Selbstjustiz versinken soll"
- "Die Antwort muss Liebe sein, nicht noch mehr Hass"
- "Zwar ist das Einwerfen eines Schaufensters Unrecht, das man vergelten darf. Es wird aber nicht größer, wenn in einer anderen Stadt ebenfalls Steine fliegen" (hier bin ich mir weniger sicher)
Metaphern:
- "Selbst wenn ein Inselvolk beschlösse, auseinanderzugehen und sich in alle Winde zu zerstreuen, müsste zurvor..." (Ich seh nur den dicken Teil als Metapher, allgemein ist das doch eigentlich nur ein Gedankenexperiment, oder?)
- "... es mangelt also an empirischen Erkenntnissen darüber, welche Taten den Bürgern wie viel Strafe >>wert sind<<"
- "das Gesetz lässt dafür weite Spielräume, und sie werden..."
Personifikation:
- "Sie (Rache) befriedet die Gemeinschaft"
- " und dass die drei (Prävention, Vergeltung und Resozialisierung als Strafzwecke) miteinander konkurrieren können..."
- "Wenn nämlich die Vergeltung der Zweck der Strafe ist, kommt es darauf an, dass sie möglichst genau und gleichmäßig die Schulf aufwiegt, auf die sie reagiert

Ich hätte von einem drei Seiten langen Text (ok, große Schriftgröße, trotzdem ist das viel) ehrlich gesagt wesentlich mehr Stilmittel erwartet, deswegen war ich auch so überrascht. Auch mache, bis auf die Antithesen vielleicht, die meisten davon keinen wirklich großen Eindruck. Ich poste hier später mal einen Leserbrief von Jens Jessen, der macht das wesentlich gekonnter.
Erkennungsschwierigkeiten habe ich größtenteils bei Metaphern, Hyperbeln und Vergleichen, was man daran sehen kann, das ich zu den letzten beiden erst gar nichts gefunden habe.

Zetubal
12.01.2012, 15:26
Mit der Menge an Stilmitteln, die du hier bereits gefunden hast, ließe sich eig. bereits eine Abiturklausur füllen. Wenn es dir generell schwerfällt Metaphern zu finden, kannst du ja evtl. noch Metonymien dazunehmen? zB "Gerichte sehr wohl auch die Vergeltung als Strafzweck betrachten"? Natürlich nur, sofern Metonymien auch für euch relevant sind.
Wo siehst du denn in gerechte Vergeltung eine Alliteration?
Bei deiner Metapher hast du recht, dass die Konstruktion "sich in alle Winde zu zerstreuen" metaphorisch ist..Ob du sagst, dass die in einer größere Rahmenmetapher oder gar eine Sinnbildlichkeit oder Allegorie eingebaut ist, bleibt ein wenig dir überlassen. "Weite Spielräume" und "wert sind" bilden etwas schwierige Fälle, was Metaphern angeht. Die sind soweit im Sprachgebrauch verankert, dass es teilweise eher konstruiert wirken würde, wenn man sie vermeidet. Ob man da in einer Abiturprüfung von einer relevanten Stilfigur sprechen kann... ist zumindest diskutabel. Dass "wert sind" bereits im Artikel in Anführungszeichen steht, spricht natürlich in diesem speziellen Fall dafür, es als Stilmittel zu erwähnen. Nichtsdestotrotz ein Fass, das man fürs Abitur nicht zwingend aufmachen sollte.
Kurzer Einschub : Es geht um Grundkurs-Niveau oder?
btt. : "Theorie und Praxis zu versöhnen" kann man mE auch noch als Personifikation zu zählen.
Du hast schon recht, wenn du sagst, dass zB Alliterationen hier keinen inhaltlichen Einfluss haben. Letztendlich erleichtern Stilmittel aber auch einfach den Lesefluss oder machen Aussagen greifbarer. Im Beispieltext sind die Anaphern, die du anführst, einfach geschickte Weiterführungen im Text, um in einem längeren Satz den Inhalt im Auge zu haben. Ähnlich dienen auch die Metaphern mehr oder weniger dazu, einem Text, der sich im ein abstraktes Thema wie Justiz dreht, eine Gestalt zu geben, bei der jeder erdenklich Leser sich etwas "vorstellen" (im wörtlichen Sinn) kann.
Eine rhetorische Wichtigkeit haben, von den Stilmitteln, die du zu Beginn nennst, tatsächlich eher die Antithesen, Euphemismen, Personifikationen, Klimaxe und Hyperbeln - schlichtweg, weil sie oftmals ein Statement des Autors ausdrücken und damit beeinflussen, in welches (politische) Spektrum man einen Text ordnen sollte.
Poste ruhig noch einen zweiten Text - dann lässt es sich vielleicht besser üben.

Liquid H2o
12.01.2012, 19:11
Nein, es geht um Leistungskursniveau. Und auch wenn das jetzt nicht so aussieht, in Deutsch bin ich normalerweise alles anderes als schlecht.
Was die Texte angeht: Gerechte Vergeltung würde ich aufgrund das Klangs noch so bezeichnen, aber aus deiner Reaktion schließe ich, dass dem weniger so ist, also streichen wir das.
Die Schwierigkeiten zu erkennung legen sich zumindest nach und nach, durch vermehrtes bearbeiten von Leserbriefen v.v
Hier mal der Text von Jessen den ich meinte:
http://www.zeit.de/2011/36/Finanzkrise-Demokratie

Zwar kein argumentativer Text sondern lediglich eine persönliche Auffassung einer Entwicklung, aber Stilmittel hat es. Rhetorische Fragen nutzt Jessen weniger, eher Personifikationen von Wörtern wie "Kapitalismus", "Kapital", "Markt" "Wirtschaft" etc. die er synonym benutzt. Ein paar Antithesen finden sich ebenfalls, die Rehmetapher die er verwendet war so ziemlich die einzige, die wirklich Eindruck machte.
Ich würde mich jetzt aber fragen, ob es eine Personifikation oder eine Metapher wäre, wenn er von einem Kapitalismus spricht, der ein "menschliches Antlitz" trägt.
Genauso finde ich Euphemismen sehr stark streitbar. Schließlich ist es individuelle Ansicht was den normal und was beschönigt ist.

Taurodir
12.01.2012, 22:49
hier (http://www.schaefer-westerhofen.de/schule/dustilmittel.htm) ein link zu einer auflistung einiger stilmittel. paranthese, die anrede, ironie, hyperbel, ellipse, einfache beispiele und etc. würden mir zumindest als mögliche stilmittel einfallen. sollte ich die nächsten tage zeit haben, die briefe genauer zu untersuchen, werde ich dich genauer auf einige punkte hinweisen. kann es leider nicht versprechen, da mein studium momentan viel zeit schluckt.

Zetubal
12.01.2012, 23:49
Nein, es geht um Leistungskursniveau. Und auch wenn das jetzt nicht so aussieht, in Deutsch bin ich normalerweise alles anderes als schlecht.
Was die Texte angeht: Gerechte Vergeltung würde ich aufgrund das Klangs noch so bezeichnen, aber aus deiner Reaktion schließe ich, dass dem weniger so ist, also streichen wir das.
Die Schwierigkeiten zu erkennung legen sich zumindest nach und nach, durch vermehrtes bearbeiten von Leserbriefen v.v
Hier mal der Text von Jessen den ich meinte:
http://www.zeit.de/2011/36/Finanzkrise-Demokratie

Zwar kein argumentativer Text sondern lediglich eine persönliche Auffassung einer Entwicklung, aber Stilmittel hat es. Rhetorische Fragen nutzt Jessen weniger, eher Personifikationen von Wörtern wie "Kapitalismus", "Kapital", "Markt" "Wirtschaft" etc. die er synonym benutzt. Ein paar Antithesen finden sich ebenfalls, die Rehmetapher die er verwendet war so ziemlich die einzige, die wirklich Eindruck machte.
Ich würde mich jetzt aber fragen, ob es eine Personifikation oder eine Metapher wäre, wenn er von einem Kapitalismus spricht, der ein "menschliches Antlitz" trägt.
Genauso finde ich Euphemismen sehr stark streitbar. Schließlich ist es individuelle Ansicht was den normal und was beschönigt ist.

Wollte dir mit der Frage ob GK oder LK nicht auf den Schlips treten ;) , sondern nur für mich einschätzen, wie tief du in der Materie drin sein 'solltest'.
Trägt ein menschliches Antlitz hmmmh...eher eine Personifikation, weil man ihr ja ein menschliches Handeln unterstellt und sie nicht bildhaft mit dem Antlitz vergleicht. Du sprichst aber in einem Folgesatz schon etwas Korrektes an:Stilmittel haben auch ihre Nischen, wo sie durchaus streitbar sind. Solang du für deine Einordnung schlüssige Argumente findest, könnte das Beispiel auch eine Metapher sein.
Bei Euphemismen stellt sich wohl die Frage, ob du ein Wort als Euphemismus finden musst oder einen 'euphemistischen Satz'. Letzter kann uU streitbar sein, aber ein Wort ist in aller Regel gut zu erkennen, weil es meist ein Suffix hat (wie "-chen" als Verniedlichung) oder ein Adverb oder Adverb damit in Verbindung steht, das es abwertet, abschwächt, den Ernst nimmt usw. (zB klein, schwach, niedlich etc.). Vielleicht kannst du ja mal an einem konkreten Satz aufzeigen, was du streitbar findest? Was ein Autor so mit Euphemismen bezeichnet ist natürlich diskutabel - das ist aber eher dann wichtig, wenn du mit der Analyse der Stilmittel fertig bist und mit der Interpretation startest.

Liquid H2o
13.01.2012, 10:12
z.B. Der Satz:

"Er war vielleicht ein Träumer – in seiner Hoffnung auf eine magische Macht der Märkte, alles zum Guten zu wenden –, aber ein Zyniker war er nicht"
Wirkt auf mich stark wie eine "verniedlichung" der Liberalen.

Ich hab derweil wieder Probleme bei einem Leserbrief, in dem ich wirklich so gut wie gar nichts finde (findet ihr im Spoiler, ist Online noch nicht veröffentlicht).
Hier mal die klägliche Liste was ich entdecken konnte:
Metapher:
"Heute schleichen sie sich über Datenleitungen an und attackieren Konzerne, Regierungen und deren Dienstleister"
Antithese:
"Auch die Hacker von Anonymous treibt nicht die Profitgier, sondern die gute Sache oder das, was sie dafür halten"
"Man könnte nun sagen: Die paar Informationen! In einem Fall! Ist ja eine Ausnahme! Aber dem ist nicht so. Diese Datenschluderei hat System, und dieses System zieht sich durch die gesamte westliche Welt..."
Hyperbel:
"Diese Datenschluderei..."
Und zwei fragwürdige Personifikationen, die eigentlich schon in der Alltagssprache vorhanden sind:
"In nahezu hundert Fällen haben sie einem jeden, der es sehen will, vor Augen geführt, wie verantwortungslos Unternehmen und Behörden mit einem der kostbarsten Güter umgehen..." (Personifikation von Unternehmen und Behörden)
"Hier darf kein Staat und schon gar keine Firma zugreifen".
Anapher:„ …, dass es Behördenvorsteher und Manager schmerzt. Dass es ihre Jobs bedroht – und die Dividende der Aktionäre“

Nützliche Vandalen

Firmen und Staaten Versagen beim Datenschutz. Das machen die Hacker von Anonymous sichtbar – gut so | von Götz Hamann

Vor zwanzig Jahren kamen Aktivisten im Schlauchboot oder seilten sich von Kühltürmen ab. Heute schleichen sie sich über Datenleitungen an und attackieren Konzerne, Regierungen und deren Dienstleister – wie am vergangenen Wochenende. Da gab das Hacker-Netzwerk Anonymous bekannt, dass es erneut einen großen Datendiebstahl begangen hat. Es trag die US-Firma Stratfor, die Analysen über die Sicherheitslage in Ländern und Regionen erstellt - und damit traf es auch ihre deutschen Kunden.

Natürlich war dieser Datendiebstahl ein Verstoß gegen geltendes Recht, und deshalb sitzen Dutzende Hacker, die früher Einbrüche zu verantworten haben, auch im Gefängnis. Aber wer die Hacker nun für schlichte Verbrecher hält, hat die Welt des 21. Jahrhunderts nicht verstanden.

Anonymous erinnert in seinem groben zivilen Ungehorsam an die frühen Ökoaktivisten von Greenpeace. Die kämpften einst gegen Atomtests auf dem Mururoa-Atoll, gegen den Walfang und gegen umweltverschmutzende Ölkonzerne. Dabei brachen die Aktivisten ebenfalls diverse Gesetze, ihre Ziele aber halten viele Menschen bis heute für ehrenwert. Und warum? Weil der Staat damals versagte und es des brachialen Protests bedurfte, um weiteres Unrecht zu verhindern.

Auch die Hacker von Anonymous treibt nicht die Profitgier, sondern die gute Sache oder das, was sie dafür halten. In nahezu hundert Fällen haben sie einem jeden, der es sehen will, vor Augen geführt, wie verantwortungslos Unternehmen und Behörden mit einem der kostbarsten Güter umgehen, die es im 21. Jahrhundert gibt: den digitalen persönlichen Daten. Des halb haben ihre Aktionen tatsächlich gesellschaftlichen Wert.

Im Fall Stratfor konnten die Hacker auf vier Computer der Sicherheitsfirma zugreifen und 200 Gigabyte Daten abgreifen. Wieso? Weil sie eine Schwachstelle in einem Standard-Computerprogramm kannten, das Stratfor benutzt. Mit diesem Programm verwaltet man die Adressdaten von Kunden. Stratfor tat dies unverschlüsselt, und als wäre das nicht genug, gehörten zu den Datensätzen viele Tausend Kreditkartennummern (inklusive des Sicherheitscodes auf der Rückseite der Karte).

Gerichte bis hoch zum Bundesverfassungsgericht messen persönlichen digitalen Daten eine hohe Schutzbedürftigkeit zu. Ein eigenes Grundsatzurteil beschreibt das Recht auf >>informationelle Selbstbestimmung<< in der digitalen Welt, weil solche Daten für die Richter zum inneren Kern der Privatsphäre gehören. Dieser Raum, in dem sich jeder Bürger unbehelligt und frei entfalten können soll, erstreckt sich auf die Wohnung und die unbeobachtete Kommunikation per Brief, Telefon und Internet. Hier darf kein Staat (ohne sehr triftigen Grund) und schon gar keine Firma zugreifen. Hinein darf nur der, den ein Mensch von sich aus hineinlässt – und als eine solche Erlaubnis gilt, wenn man einer Firma einige Daten überlässt, um ein Geschäft abzuwickeln.

Kommen diese Daten aber unkontrolliert in Umlauf, kann der Ruf eines Menschen darunter leiden. Oder er verliert Geld. In jedem Fall aber schränkt es seine Selbstbestimmung ein. Das Argument der Verfassungsrichter lautete: Wenn der Einzelne fürchten muss, was andere über ihn wissen, wird er sein Verhalten verändern, vorsichtiger handeln - und wäre damit weniger frei.

Datenverluste müssen so teuer werden, dass es Unternehmen schmerzt


Man könnte nun sagen: Die paar Informationen! In einem Fall! Ist ja eine Ausnahme! Aber dem ist nicht so. Diese Datenschluderei hat System, und dieses System zieht sich durch die gesamte westliche Welt, weil kein Staat die verantwortungslosen Datenmanager in Unternehmen und Behörden zur Verantwortung zieht. Man lässt sie gewähren, wie man früher Walfänger und Ölkonzerne gewähren ließ. Anders ausgedrückt: Der Staat versagt.

Aber in der Analogie zu den Ökoaktivisten liegt auch die Lösung. Deren Protest hat einst das Bewusstsein der Bevölkerung verändert. Folge dieses veränderten Bewusstseins waren schließlich Umweltschutzgesetze, die ihren Namen verdienen, und seither ist, wie zuletzt der Ölkonzern BP erfahren hat, für Umweltsauereien ein hoher Preis zu zahlen. Der Konzern entschädigt die Opfer der Ölpest im Golf von Mexiko mit bis zu 20 Milliarden Dollar.

Die Entschädigung für eine der größten Datenpannen ist etwa um den Faktor 1000 kleiner: Der Unterhaltungselektronik-Konzern Sony, der sich Ähnliches zuschulden kommen ließ wie nun die Firma Stratfor, verschenkte an die Opfer ein paar Filme und ein bisschen Software. Alles aus dem eigenen Haus. Es kostete ihn fast nichts.

Hier muss der Gesetzgeber ansetzen. Er muss pauschalierte Schadenssummen für fahrlässige Datenverluste so hoch bemessen, dass es Behördenvorsteher und Manager schmerzt. Dass es ihre Jobs bedroht – und die Dividende der Aktionäre. Für Anonymous heißt das umgekehrt: Wenn der Gesetzgeber sein Versäumnis aufarbeitet, müssen die Hacker weiterziehen (nach China vielleicht). Denn ohne Staatsversagen gibt es keinen legitimen zivilen Ungehorsam. Daran wird sich zeigen, ob sie die wahren Erben von Greenpeace werden – oder moderne Vandalen.