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Der Schwarzhaarige war stehen geblieben. Auf sein Gesicht legte sich ein dunkler Schatten. Zweifel erhoben sich in seinen Augen und erfüllten den Blick mit einem matten Funkeln. Eine war dabei, um ausgebildet zu werden, und drei Krieger, weil sie mehr oder weniger notwendig waren. Als Schutz, als Vertraute, als Freunde, als Schützenhilfe, den Dämon in ihr zu besiegen. Wenn er den Ausdruck „Frosts Erbe“ richtig verstanden hatte.
Doch Edon… war Futter. Bloßer Gegenstand, der im Fall des Falles sein Blut geben sollte. Sie gestand, dass sie einen Menschen nur mitgenommen hatte, damit sie ihn sterben sehen konnte. Und trug ein Kind an ihrer Brust… wie konnte diese Frau Mutter sein?
„Hörst du dir selbst manchmal zu?“, fragte Raad vorsichtig und unterdrückte den Drang, seinen Dolch zu ziehen. Er hätte eh keine Chance gehabt. Nicht gegen sie. Erst recht nicht, wenn Darjel noch in ihren Armen schlief und die Grausamkeit seiner Mutter nicht erkannte.
Er kannte diesen Edon nicht, wusste nicht, was für ein Mensch er war, doch bloß, weil er ein Dieb war…
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Raads Gesicht hatte sich verändert, als Redsonja von Edon berichtet hatte. Seine Missbilligung schien greifbar zu sein und drängte die rothaarige Kriegerin in die Enge.
"Er hat nicht irgendetwas versucht zu stehlen, sondern meine Schwerter und er begehrt sie noch immer."
Hatte sie hastig geantwortet und war ebenso abrupt verstummt. Nun zitterte sie leicht, ja manchmal hörte sie sich selber zu und genau darum musste sie sich von dieser Last befreien. Allerdings wusste sie nicht, ob es jemals möglich sein würde. Vielleicht wurde es zu tief in ihre Seele gebrannt. Sie senkte den Blick und sagte nichts mehr.
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Sie wirkte getroffen. Dabei hatte er nur eine einzelne Frage gestellt. Den Rest hatte sie selbst geliefert. Sie war es selbst, die so leichtfertig über den Tod eines anderen Menschen entschieden hatte. Auch, wenn dieser nicht eingetreten war. Allein einen Menschen aus dieser Intention mitzunehmen und dies so offen auszusprechen. Oder bedeutete Letzteres gerade, dass sie ihm vertraute?
„Das rechtfertigt es nicht.“, kam es Raad über die Lippen. Es klang wie eine Verurteilung, doch so war es nicht gemeint. „Du kannst deine Schwerter doch zurückholen. In der Arena von Bakaresh hat es sogar geklappt, ohne, dass du auch nur einen Schritt getan hast. Warum würdest du für zwei Waffen töten? Wenn sie weg sind, sind sie weg… Was ist so schlimm daran?“
Der Assassine verstand es nicht gänzlich. Er verstand, dass eine Waffe einen Wert hatte, dass sie wichtig war. Er verstand wohl auch, dass man für eine Waffe töten konnte. Aber in der Intention von Redsonja lag eine andere Grausamkeit. Eine hinterhältige, keine ehrliche, direkte und offene.
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Sie hatte Raad nicht gefragt, was er tun würde, wenn jemand versuchen würde Darjel zu entführen. Ihr Kind, ihre Schwerter, es war so nahe bei einander und nur eine Bindung war gesund. Sie wusste es, aber es war als könnte sie nichts daran ändern. Aber kein Mensch, der nicht in ihrer Situation war, konnte das verstehen. Da Frost die Erde inzwischen von unten sah, falls ihm das letzte Auge geblieben war, gab es niemanden, den sie diesbezüglich befragen konnte, ausser Andreia vielleicht. Mit Raad unterhielt sie sich darüber aber nicht, stattdessen waren sie stumm zum Schiff zurück gekehrt und hatten sich in verschiedenen Kajüten schlafen gelegt.
Am nächsten Morgen hatte sich Redsonja zusammen mit Madlen wieder auf Büchersuche gemacht. Dieses Mal waren sie erfolgreicher. Vielleicht lag es daran, dass Kortis nicht dabei war. Doch ihre Schülerin erwies sich als überaus talentiert im Kokettieren. So kam es, dass ein älterer Herr ihnen die Tür zu seiner Sammlung öffnete. Während Redsonja suchte und notierte. Es gab einige interessante Stellen. Trotzdem waren sie zum Teil widersprüchlich. Einmal hiess es.
Die Waffen zerstört, war der Fluch gebannt. Während in einer anderen Geschichte geschrieben stand. Und ebenso wie seine Waffe, tat er seinen letzten Atemzug.
Mehr fand sie an jenem Abend allerdings nicht. Gut, dass Madlen inzwischen ausgehandelt hatte, dass Herr Vintino die beiden Damen einem Freund vorstellen würde.
"Kommt morgen früh vorbei. Ich werde euch dorthin geleiten. Auf jeden Fall war es mir eine Freude euch kennen zu lernen, Madlen."
Entgegnete er, als er sie zum Tor begleitete. Dann küsste er die Hand der schönen Frau und kehrte in sein Anwesen zurück.
"Gut gemacht." Lobte Redsonja und lächelte zufrieden. "Lass uns zurück zum Schiff gehen. Vielleicht kommen die anderen bald mit Neuigkeiten. Inzwischen kann ich dir ein paar Kniffe mit dem Schwert beibringen."
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Nachdem sie das Haus wieder verlassen, wandte sich Redsonja zu Madlen und meinte, dass jetzt etwas Zeit übrig wäre, um das Training zu beginnen. Es war natürlich klar, dass die junge Frau dazu ja sagen würde. Immerhin war das der schwerwiegendste Grund gewesen, warum sie mitgereist war.
Kurz dachte die Jägerin nochmal an den älteren Herren. Es ist doch so einfach, Männer um den Finger zu wickeln…obwohl schon längst jeder weiß, dass nichts passieren wird.
„Eins ist mir in den letzten Tagen wieder klar geworden. Jeder Mensch ist dafür geboren worden, dass er wieder stirbt. Doch was bleibt dann von uns? Nur Staub oder doch mehr…eine Geschichte? Wohl kaum, Geschichten verblassen! Erinnerungen? Auch nicht, sie werden gelöscht! Nein, das Einzige was bleibt, das ist unsere Ehre! Verstehst du, ich war blind, doch jetzt hab ich verstanden. Meine Vergangenheit steht kurz vor mir, das Ziel ist sichtbar. Mythen und Legenden, sie existieren nur, weil jeder Ehre braucht. Du kannst sterben, aber ohne Ehre wird man dich vergessen…“
Dann flüsterte sie leise weiter, ganz in Gedanken versunken.
„Das waren die Worte meines Mannes und die von Zuben…zwei große Männer, die ihrer Zeit nur voraus waren!"
Dann blickte sie noch einmal zu der Kriegerin. Hoffentlich hatte sie den letzten Satz nicht mitbekommen.
„Nun gut, genug für einen Tag philosophiert. Lass uns trainieren! Ich möchte so kämpfen können, wie meine Vorfahren!“
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Ehre.
Das Wort hallte böse in Redsonjas Kopf nach und sie war froh durchs Training davon abgelenkt zu sein. Sie besass keine Ehre. Sie wollte nur überleben, aber das brauchte sie Madlen nicht auf die Nase zu binden, bevor sie mehr von ihren Ansichten davon wusste.
"Wobei ich da noch einige Fragen zu deinen Ansichten hätte, aber nach dem Training. Also als allererstes brauchst du Kondition. Ab jetzt werden jeden Morgen erst Aufwärmübungen gemacht, dann gedehnt und wann immer es möglich ist, wirst du laufen. Ich werde dir noch weitere Übungen für einzelne Muskeln zeigen."
Antwortete sie stattdessen, denn sie hatte gelernt, dass es nicht immer das Beste ist alles auszusprechen. Lieber drückte sie Madlen ein eigens gekauftes Holzübungsschwert in die Hand.
"Na, wie liegt es in der Hand? Anders als ein Schwert. Aber alles andere ist zu gefährlich und noch spielt es nicht so eine Rolle. Es geht nur darum ein Gefühl dafür zu bekommen, wie man zuschlägt."
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„Am Anfang nur Holzschwerter? Mist, dann hätte ich mir die Ausgabe mit diesem rostige Blödsinn hier auch sparen können!“ Verächtlich legte Madlen das Schwert zur Seite. Wieder Geld umsonst zum Fenster rausgeworfen.
„So, noch schnell den Ring und die Kette weg. Ich hab schon so machen Krieger gesehen, der sich damit einen Finger abgerissen hatte.“
Danach nahm sie das Holzschwert in die Hand. Es war ihr zu Anfang eh lieber. Metall war unrein, uneben…Holz war fein und sanft. Dieses Schwert, es war klar…für ihre Hand war es nicht gemacht. Ihre Hände waren zärtlich, das Holzschwert aber unhandlich, aber Redsonja war ja die Meisterin.
„Ich werde tun, was du verlangst, Meisterin. Womit fangen wir jetzt an?“
Ein komisches Geräusch hinter Madlen. Sofort erwachten ihre Instinkte wieder, die sie all die Jahre über in der Wildnis zu schätzen gelernt hatte. Blitzschnell drehte sich die junge Frau um und sah einen Mann auf die beiden Frauen zukommen. Er wirkte niedergeschlagen, doch man sah ihm es nicht genau an, es konnte auch einen anderen Grund haben...
Irgendwo hab ich diesen Mann schon einmal gesehen, wo war das bloß?
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Der Himmel war trüb. In Grau eingelegte Wolken hingen schwer über der Stadt. Bedrohliche Schemen dunkler Vorhersage schwebten unter ihnen Regen bringend hinweg. Einfallslos. Selbst für Adanos.
Es hatte geregnet. Mehrmals an diesem Tag. Dazwischen war nichts außer der gleichen, grauen Eintönigkeit. Die Lust roch noch immer nach der nach der bekannten Frische eines den Dreck wegschwemmenden Regengusses. Doch im Grunde hatte sich nichts geändert.
Die Straßen waren. Nur wenige Menschen schienen heute noch den Drang zu verspüren, der wohligen Wärme ihrer die letzten Holzscheite, die vom Winter noch übrig geblieben waren, verbrennenden Kamine entfliehen zu wollen.
Der Leiter war vom Dach gesprungen. Tollpatschig genug, um auf sich aufmerksam zu machen. Er hatte die beiden Damen schon eine längere Zeit beobachtet. Es hatte sich angeboten. Besseres, zu tun, hatte er nicht gefunden.
„Noch ein wenig auffälliger und ihr habt die Blicke, denen ihr entgehen wolltet.“, schlug der Schwarzhaarige dumpf vor, „Gibt es etwas Neues? Oder habt ihr euch nur die Zeit vertrieben? Man hört ja so einiges über Vintino…“
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Man könnte meinen, dass der blonde Schrubberbursche ewig mit einer Kette an die Rothaarige gefesselt war, wenn er sich beim Beschaffen der einfachsten Dinge so meisterlich dämlich anstellte.
Er schien eine kleine Mimose zu sein, wenn er sich schon beim Gestank eines einfachen Kadavers bald übergeben musste. Edon war in einem leben, dass vielleicht nicht halb so lange, wie das des Blonden gedauert hatte, so oft selbst verschuldet in der Scheiße gelandet, dass er es aufgegeben hatte, sich über irgendetwas zu beklagen, wenn er es nur selbst fabriziert hatte.
"Wenn der Rest von euch Schmalspurhengsten sich ähnlich beschissen wie du anstellt, dann könnt ihr es vergessen, im Gebirge einen Stein zu finden. Wenn du hier etwas wissen willst, dann geh in die Taverne, such dir einen Tisch von angetrunkenen Seefahrern und lad sie zu einer Runde Bier oder einem fröhlichen Kartenspiel ein. Da kriegst du Informationen und noch mehr als ein paar Goldstücke.
Und während du dir dein Geld verdienst erfährst du, dass hier ein Paladin namens Jun den Leuten erzählt, warum sie im nächsten Krieg sterben werden. Ein Innosfanatiker, der auf Befehl tot umfallen würde, wenn es ihm sein komischer Gott befielt. Dazu hat er sich noch ein paar Freunde eingeladen, die meinen, dass sich die Leute dafür interessieren würden, warum die Steuern zu hoch, die Lebensmittel zu wenig und die Gesetze zu streng sind. Das verpacken sie dann alles in Innos Gnade und Weisheit und lassen es das ganze Volk zehnmal aufsagen. Wenn es dann jeder auswendig gelernt und keiner begriffen hat, schicken sie die Bürger weiter zum unwichtig sein und die Bürger erzählen dann jedem, der den Fehler gemacht hat zu fragen Geschichten über Innos, seine Gnade und seine Verdauungsprobleme.
Und der tote Kollege da drüben sollte übrigens für eine Statur Modell stehen, allerdings hat er ein paar Luftprobleme bekommen, deswegen haben sie ein paar Löcher reingemacht, ansonsten wird er blass um die Nase. Der dezente Geruch kommt aus der Taverne, die haben für die Einweihung der Statue eine neue Gewürzmischung ausprobiert, die die Leute so ansprechend finden, dass sie in der ganzen Stadt ein bisschen mehr von dem Zeug verteilt haben, um diesen Empfindung den ganzen Tag um sich zu haben."
Er wollte Blondinchen gerade stehen lassen, als ihm noch etwas einfiel, was der vielleicht wissen sollte.
""Ach so, falls du mir die ganze Zeit auf die Griffel guckst, um festzustellen, ob ich dich beklauen will, dann lass dir mal sagen, dass du besser auf die Augen achten solltest, da kriegst du es bei jedem in deiner Umgebung mit. Allerdings bin ich nicht ganz sicher, ob du gescheit genug bist, es zu lernen."
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Zugegeben etwas planlos schlenderte Taeris durch die Gassen. Zwar hatte er keine Ahnung, wo er anfangen sollte zu suchen - und einfach herumzufragen, wer vielleicht schonmal was von diesem einen Kerl da gehört hatte, war ihm zu blöd. Vielmehr genoss er es, mal nicht ganz so sehr aufzufallen als Schwert Ethorns. Das war ohnehin das, was er am meisten an Gorthar gemocht hatte. Immer schon. Egal was man auf Myrthana oder Argaan gemacht hatte, hier interessierte es die Leute einen feuchten Kericht. Die Bewohner Gorthars hatten genügend eigene Probleme und interessierten sich für gewöhnlich nicht für die Belange der Ausländer.
Über die Machtverhältnisse hier hatte er schon ein bisschen was erfahren. Ein scheinbar korrupter Kämmerer - aber waren nicht alle Kämmerer in den Augen der Bürger korrupt? - Und - garnicht so uninteressant - der Name eines ihm wohl bekannten Ritters. Jun. Taeris erinnerte sich noch grob an den reservierten und wie üblich überheblichen Mann, den sie damals bei einem Überfall auf einen Tross der Garde gefangen genommen - und schlussendlich wieder frei gelassen hatten. Es war erstaunlich, wo manche Namen wieder auftauchten. Er bewohnte scheinbar mit ein paar ähnlichen Gestalten die Festung, die den Anblick des Kaffs prägte. Doch all das waren sicher keine Informationen, die die anderen nicht auch auf der Straße hätten aufschnappen können.
Entsprechend unzufrieden zündete Taeris sich im Gehen einen Glimmstängel an und folgte der nun breiter werdenden Gasse in Richtung Pier. Vielleicht konnte man sich ja zurück am Schiff mit jemandem über das in Erfahrung gebrachte austauschen.
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"Was hört man denn so?"
Fragte Redsonja direkt, während sie auszumachen versuchte, was Raad zu Ohren gekommen war. Hatte er ihnen nach spioniert, statt etwas Sinnvolles zu unternehmen? Fragte sich die Waffenmeisterin, hätte jedoch keinen Grund dafür gesehen. In jenem Moment trat Taeris hinzu. Da Raad es noch nicht für nötig befunden hatte zu antworten, stellte sie dem Schwert auch noch eine Frage.
"Hast du wenigstens etwas herausgefunden?"
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Madlen hatte sich etwas abseits zurückgezogen. Die junge Frau merkte immer gleich, wann sie nicht erwünscht war und so versuchte sie sich stattdessen etwas im Umgang mit dem Schwert. Da sie natürlich keinerlei Vorkenntnisse hatte, sah das ganze Unbeholfen und klotzig aus…deshalb gab sie auch nach ein paar Minuten auf und fing mit Muskelaufbau und Dehnung an. Dadurch konnte sie gleich ihre zweite Stufe weiterführen, ein nicht unbedeutender Nebeneffekt.
Ihre Gedanken wanderten zurück in ihre Vergangenheit.
Klopfender Regen hielt mich schon die ganze Nacht wach. Damals waren wir an den Randgebieten der Wüste unterwegs, dort wo der Sand in Gras überging und man nicht mehr auf Löwen oder Kamele traf, sondern auf Rehe und Wölfe. Dort wo keine Kakteen mehr standen, sondern dichte Bäume mit weichem Laub oder stechenden Nadeln. Mein Mann und ich, wir waren auf einem weiteren Ausritt. Damals habe ich es nie richtig verstanden. Doch der einzige Grund für diese Ausflüge so weit von der Heimat – ja, Heimat – weg, war Spionage. Wir waren unauffällig, ein einfaches reisendes Ehepaar. Niemand würde Verdacht schöpfen.
Doch an diesem Morgen, nach der schlaflosen Nacht, blickte ich zum Himmel hinauf. Es schien, als würde er in Flamme stehen. Genauso wie mein Herz, dieses Feuer im Inneren, dass einen Aufstand begonnen hatte, um mich explodieren zu lassen. Wie ein Hurrikane, der uns alle unter die Erde bringen wird. Mein Mann blickte mich an, erkannte meinen Schmerz und fragte mich: ‚Sag mir, würdest du töten, um Leben zu retten? Würdest du töten, um dein Recht zu beweisen?‘ Ich wusste damals keine Antwort darauf. Oh, ich war blind vor Liebe, blind vor Naivität und blind vor Jugend. Er wusste alles oder ahnte zumindest etwas. Dann fuhr er fort: ‚Die Versprechen, die wir gaben, waren nicht genug. Die Gebete, die wir gebetet haben, waren nicht genug. Die Geheimnisse, die wir bewahrt haben, wurden niemals bekannt. Die Liebe, die wir besaßen, wir müssen sie gehen lassen. Aber ich kann nicht. Verstehst du? Du bist mein ein und alles, ohne dich ist der Regen nichts als Regen, der Sonnenschein einfach nur ein Sonnenschein und ohne dich wäre mein Leben sinnlos. Ich liebe dich, doch mit oder ohne dir, du wirst mein Untergang sein!‘
Oh, ich war wirklich blind. Ich tat diese Sätze einfach ab. Ich wusste, dass mein Mann schon zu viel gesehen hatte und Zuben hat mir auch geraten, nicht zu viel darauf zu geben, wenn er wieder pessimistisch veranlagt war. Diesen Rat habe ich immer beherzigt. Oh, ich war dumm. Hätte ich doch damals auf meinen Mann gehört, anstatt ihn auszulachen, ihn einen unverbesserlichen Schwarzseher zu nennen und dann das Pferd zu besteigen. Oh, ich war naiv. Ich war sein Untergang. Mit oder ohne mich, sein Schicksal war besiegelt. Doch ich werde mich immer an ihn erinnern, denn sein Leben war ehrenhaft. Er rannte nicht vor dem Licht weg und ich werde es jetzt auch nicht mehr tun…wir sehen uns bald wieder, mein Liebling.
Während Madlen über all dies nachdachte, führte sie weiter Kräftigungsübungen durch und dehnte sich zwischendurch immer wieder kurz, um einem Muskelkater vorzubeugen.
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"Jun hat das Sagen hier."
antwortete Taeris lakonisch und balancierte dabei den Glimmstängel auf der Unterlippe. Sicheren Schrittes trat er von der Planke an Bord und lehnte sich schließlich an die Reling.
"Hat irgendeinen Orden gegründet oder sowas und wiegt so die Bevölkerung in Sicherheit. Sonderlich gesprächig ist hier niemand. Ansonsten das übliche. Korrupte Kämmerer, Penner die sich über "die da oben" beschweren. Leute die keine Myrthaner leiden können und die obligatorischen Innosfanatiker."
fuhr er fort und lehnte sich mit aufgestützten Ellbogen auf das Holz.
"Aber ich bin nicht der erste der das herausgefunden hat oder?"
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"Doch. Der erste und einzige. Madlen und ich haben versucht uns ein paar private Bibliotheken anzuschauen. Raad meinte eben noch, dass das für Gerede gesorgt hat. Mann kann sich ja vorstellen, was in einer Stadt voll fanatischen Innostreuen von Damenbesuch bei alten Herren gehalten wird. Andererseits gelten wir wohl höchstens als Gefahr für Sitte und Moral, jedoch nicht für mehr. Aber von Andreia Dimosa hast du nicht gehört oder?"
Taeris schüttelte den Kopf.
"Wäre auch zu schön gewesen. Aber wir haben noch drei Joker. Gor Na Jan, Sergio und Edon."
Entgegnete sie und schielte beim letzten Namen zu Madlen hinüber, damit sie Raads Blick nicht begegnen musste.
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Man hörte so einiges. Über jeden Menschen. Deswegen war seine Aussage über Vintino sicherlich nicht falsch gewesen. Selbst, wenn Raad nichts gehört hätte. Im Grunde war es auch egal, was speziell man hörte. Die Leute redeten und dessen musste man sich bewusst sein, wenn man derart gekleidet durch die Stadt flanierte und sich von alten Herren mit einem zierlichen Lächeln auf den Lippen die Hand küssen ließ.
„Das ist zu kurz gedacht.“, mischte sich der Leiter der Akademie ein. Ein Grinsen lag nicht auf seinen Lippen. Stattdessen nickte er nur Taeris knapp zu. Anerkennung dafür, dass er sich vom schweigenden Begleitumstand zu etwas Nützlichem gewandelt hatte. Der abwesende Eindruck war kurzweilig verschwunden.
„Ja. Die Bürger mögen denken, ihr lauft den Lehren des Feuergottes zuwider. Und sie werden es weitertragen, bis irgendeine verschreckte alte zu ihrem Priester rennt. Es wird nicht lange dauern und die ganze Stadt wird von euch erfahren haben. Durchaus auch eine gute Möglichkeit, die zu finden, die man sucht, sofern man weiß, dass sie mit dem gleichen, begierigen Blick auf einen schielen, wie man selbst auf sie.
Aber du weißt besser als ich, dass du keine solche Aufmerksamkeit gebrauchen kannst. Nicht dann, wenn deine Feinde auch nur das Geringste ahnen. Nicht dann, wenn du dir nicht sicher sein kannst, ob Andreia Dimosa wirklich ein Freund ist. Ist er es nämlich nicht, weiß er nun, dass du da bist. Du aber noch immer nicht, wo er steckt. Den Schluss daraus überlasse ich dir…“, endete der ehemalige Assassine und kramte seine Pfeife aus der Tasche, nicht ohne einen gewissen Stolz. Es schien, als könnte man der rothaarigen Kriegerin doch etwas voraus haben. Doch der Preis dafür war gewiss zu hoch gewesen. Zuben war kein Vaterideal, insbesondere nicht für die Männer, die ihm zu dienen gezwungen worden waren.
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Der Rückweg zum Hafen war angetreten. Edon und Sergio hatten praktisch nichts herausfinden können, was über das hinaus ging, was man einen langweiligen Alltag eines langweiligen Landes nennen würde. Entweder hatten so ziemlich alle Leute hier tiefgreifende Gedächtnisstörungen oder wollten irgend etwas geheim halten, was das Pech hatte, die kleine Gruppe zu interessieren, zu der auch Edon gehörte, den man nicht gerade einen dezent wegsehenden Menschen nennen konnte.
So wenig Informationen, so viel kulturellen Austausch von Streitgut zwischen Edon und Sergio hatte es jedoch gegeben, was es praktisch unzweifelhaft machte, dass die beiden niemals wirklich miteinander auskommen würden, allerdings schenkte Edon dem Blondköpfchen, dass ihn nicht leiden konnte auch nicht allzu viel Beachtung.
Am Hafen trafen sich die beiden allerliebsten Feinde mit der Rothaarigen und zwei weiteren, recht unfotogen hereinblickenden Gestalten, die ihrem Gesichtsausdruck nach auch nicht gerade durch eine Wissensflut gewatet waren.
"Wenn ihr schon hier seid, dann nehme ich mal an, dass ihr auch schon das wenige gehört habt, dass man hier hören kann: Jun, Innos, alles knausrige Fanatiker. Und was euren Freund betrifft, war er entweder niemals hier, keiner will sich an ihn erinnern oder die leiden allesamt an schwerwiegender Vergesslichkeit.
Wie ich das so sehe, werdet ihr euch entscheiden müssen, ob ihr etwas über ihn herausfinden wollte oder keine Aufmerksamkeit auf euch zieht. An jedem Hafen gibt es ein paar Gestalten, die bei Gold ziemlich redselig werden, aber die würden wohl kaum den Sabbel halten, wenn sie jemand nach uns fragt und dann wars das mit dem Konzept "Keine Aufmerksamkeit". Wenn man mal bedenkt, dass ich jedem den Geldbeutel geklaut habe, der nicht mit mir reden wollte, dann könnten wir die Informationen als finanziert betrachten, es liegt jetzt bei euch, ob wir mit offenen karten oder blinde Kuh spielen."
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Inzwischen hatte Madlen aufgehört zu üben und sich der Diskussion angeschlossen, nachdem dieser Dieb und Sergio noch aufgetaucht waren. Jetzt wurde ein Vorschlag in die Runde geworfen: Sollte man sich aller Welt auf dem Präsentierteller zeigen oder im geheimen handeln.
„So wie ich die Lage einschätzen würde: Wir sitzen auf einer Insel, umgeben von irgendwelchen Irren und Ihr schlagt allen Ernstes vor: Sagen wir doch allen, wer wir sind? Da können wir ja gleich mit einem Schild herumlaufen, auf dem steht ‚Hallo, ich hab keine Lust mehr zu leben. Tötet mich!‘ Nein, wenn eins wichtig ist, dann bis zum letzten Moment unsichtbar zu bleiben. Schön und gut, sie wissen, dass zwei Frauen einen alten Mann Hoffnung gemacht haben, vielleicht wissen sie auch wer es war…aber was macht das schon. Sie kennen mich nicht, nur Redsonja. Und solange sie uns nicht finden, warum sollte wir uns da zu erkennen geben. Redsonja muss jetzt entweder untertauchen und uns die Arbeit überlassen oder sich verkleiden. Aber ich glaube eher, dass ihr die Sache mit dem alten Mann überstrapaziert.
Wenn wir uns jetzt zu erkennen geben, dann geben wir unseren größten Vorteil auf. Der Feind weiß vielleicht, wer wir sind und was wir wollen, aber er weiß nicht wo wir sind und wann wir wo auftauchen. Solange er das nicht weiß, wird er nicht offen agieren können. Doch wenn wir uns jetzt zu erkennen geben, dann können wir gleich eine Schaufel nehmen und uns eine Holzkiste besorgen.“
Es waren vielleicht harte Worte, doch vielleicht musste es einfach sein. Sich zu erkennen geben, war im Moment so ziemlich das Dümmste, was man tun konnte.
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Überrascht folgte Redsonja den Worten ihrer sonst eher zurückhaltenden Schülerin. Sie war nicht mit allem einverstanden, was sie sagte, doch im Kern hatte sie Recht.
"Ich stimme Madlen zu, Vorsicht ist angebracht, obwohl ich der Ansicht bin, dass hier keiner weiss, wer ich bin. Dennoch sollten wir vom schlechtesten Fall ausgehen. Ich werde also erstmals auf dem Schiff bleiben müssen." Sie gab es ungern zu, zumal es ihr mehr als gegen den Strich ging untätig herum zu sitzen, doch manchmal musste man den anderen die Bühne überlassen. "Edon kennt hingegen sicher keiner. Von daher glaube ich nicht, dass jemand für Informationen über dich viel bezahlen würde. Zumal du wahrscheinlich noch nicht mit uns gesehen wurdest. Finde es also heraus, aber bezahle nicht zu viel dafür, denn sonst wissen sie wie wertvoll jemandem die Information ist. Das wäre wirklich schlecht. Egal wer sie gekauft hat."
Sprach die rothaarige Kriegerin und blickte sich dann um. Sie traute dem Dieb noch immer nicht ganz, aber wen konnte sie mit ihm senden? Der Vater ihres Kindes hatte einen scharfen Verstand, konnte sich unauffällig bewegen, aber war er loyal? Sie musste es darauf ankommen lassen, da sie keine Wahl hatte. Also gab sie sich einen Ruck und bat ihn:
"Würdest du ihn begleiten, Raad?"
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Ja. Als ob das nicht schon ausreichte, wenn sie Redsonja kannten. Dass niemand etwas mit dieser komischen Madlen anfangen konnte, außer einem alten Knilch, dessen Frau wahrscheinlich tiefere Falten als das Weißaugengebirge Schluchten hatte, war den Umstehenden wohl spätestens jetzt klar. Raad beließ es jedoch dabei, innerlich die Augen zu verdrehen.
Ruhig zog er an seiner Pfeife. Von Genuss konnte keine Rede sein. Genuss war etwas für Zeiten, in denen man entweder der Einsamkeit frönen konnte oder durch bewusstseinsverändernde Drogen glaubte, ein gutes Gespräch zu führen. Beides traf hier nicht zu.
„Gehen wir.“, brummte der Schwarzhaarige in Richtung des von Redsonja des Diebstahls bezichtigten Mannes und schritt über das Deck dem Pier entgegen. „Bevor jemandem einfällt, dass uns damit dieses Mal wirklich geholfen sein könnte.“
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Ein schöner Hintern. Kam Redsonja nicht drum herum zu denken, als Raad das Schiff verliess. Mit ihm zog Edon von dannen. Ihre ganze Hoffnung auf den beiden verdeckten Karten, die vor ihr lagen und keiner von ihnen wusste, wie wichtig es ihr war, nicht einmal der Leiter der Akademie, dem sie so viel erzählt hatte. Zurück blieben wenigstens ihre engsten Freunde. Wurde sie angegriffen, so wusste sie wer ihren Rücken deckte und Madlen. Die Schülerin, über deren Potential sich Redsonja noch nicht ganz bewusst war. Fleissig war sie allerdings, denn sie trainierte bereits wieder.
So kam es, dass die Waffenmeisterin zwischen den beiden Freunden hin und her schaute.
"Habt ihr eigentlich jemals zurück an Silvenheim gedacht? Habt ihr euch gefragt was ist, wenn das gar keine Illusion war? Wenn wir all diese unschuldigen Menschen einfach geopfert haben?"
Sprach sie ganz leise, denn dieses mal sollte kein anderer das hören.
Geändert von Redsonja (16.04.2012 um 21:20 Uhr)
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