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    Irenicus-Bezwinger  Avatar von MiMo
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    Post [Story]Troggos Geschichte

    Kapitel 1 – Ein neuer Morgen

    Die Sonne stand schon hoch über den Baumwipfeln vom Knarr-Wald, als die ersten Vögel anfingen zu trillern und die Riesenratten ihre dunklen Löcher aufsuchten, um sich vor der Helligkeit zu verstecken.
    Das Sonnenlicht, das auf Troggos Nase fiel, hatte diesen in seinem Schlaf kein bisschen gestört, doch eine frühmorgendliche Brise wehte ein Blatt eines Weißbirkenbaums durch das Fenster, das auf seiner Nase landete.
    Troggos Nase kribbelte und mit einem gewaltigem Nieser wachte er auf.
    Etwas in sich hinein murmelnd rieb er mit seiner Hand unwirsch seine noch kribbelnde Nase, wobei er das Blatt von derselben wegwischte.
    Noch völlig schlaftrunken kroch er unter dem, was er als Decke verwendete hervor und schlurfte die hölzerne Wendeltreppe hinunter, vorbei an weiteren kleinen Schlafnischen wie den seinen.
    Unten angekommen stand schon jemand am Küchentisch und verschlang gierig einen Haufen Brei, in dem offensichtlich viele Körner enthalten waren.
    „Oh, Guten Morgen Troggo“, schmatzte Remus, den Mund voll mit Essen, „Kray ist schon auf, ich glaube er versucht draußen eine Riesenratte zu fangen. Es gäbe einen Festschmaus, wenn ihm das gelänge, findest du nicht?“
    „Jaja“, murmelte Troggo schlürfte ein wenig Wasser aus einem Becher und trat dann aus dem Baum.
    Der Baum war sehr groß, sodass man ohne Probleme darin leben konnte. Unten, wo der Raum am breitesten war, befand sich eine Art Aufenthaltsraum. Über einen fast direkt hinter der Rinde spiralförmig aufsteigenden Gang, gelangte man in alle Räume, die im Zentrum des Stammes lagen.
    Sein Zimmer war das höchste der Räume, obwohl es nicht mal auf halber Höhe des Baumstamms lag. Unter ihm wohnte sein Freund Kray, darunter war das Zimmer seiner Eltern, worunter dann auch schon der Aufenthaltsraum kam.
    Solche Wohnbäume gab es hier im Knarr-Wald viele, für gewöhnlich waren sie alle bewohnt. Einen Baum zu finden, der groß genug war, um darin zu leben und trotzdem noch frei war, grenzte an einen unglaublichen Glücksfall.
    Troggo war froh, dass er bei Kray wohnen konnte, denn er wusste dies zu schätzen, obwohl er sich an die Zeit davor nicht erinnern konnte.
    Er war anders alle anderen, die in diesem Wald lebten und das sah man ihm an. Einige mieden ihn deshalb, andere scharten sich deshalb neugierig um ihn.
    Er wusste nicht, was er nerviger fand.
    Suchend schlenderte er zwischen den Bäumen entlang, aus denen man die typischen Geräusche erwachender Menschen, wie Gähnen oder Ächzen, hörte.
    Und da sah er ihn.
    Dort hinten unter einem dichten Blattwerk hockte Kray und stocherte in einem Bau herum, der tatsächlich sehr nach dem Zuhause einer Riesenratte aussah.
    „Hast du schon eine gefangen?“, fragte Troggo interessiert, als er näher gekommen war.
    Kray schreckte hoch und stolperte beim Herumwirbeln, sodass er zu Troggos Füßen auf den Boden plumpste.
    „Oh, du bist auch endlich wach“, begrüßte der wie üblich tollpatschige Kray seinen Freund.
    Er rappelte sich wieder auf und fuhr fort in dem Loch rumzubohren, während er Troggo mit knirschenden Zähnen mitteilte: „Nein, ich hab noch keine gefangen, die sitzt einfach zu tief drin! Aber ich bin mir sicher, dass eine von ihnen nahe beim Ausgang ist, ich sehe kleine schwarze Augen.“
    „Lass mich mal“, erwiderte Troggo und bückte sich neben seinen Freund, der sich beeilte Platz zu machen.
    Troggos Arme waren sehr lang und mit einer schnellen Bewegung griff er in das Loch.
    Als Troggo seinen Arm wieder herauszog, brach Kray in Jubelschreie aus, denn eine dicke, fette Riesenratte, deren Neugier ihr zum Verhängnis geworden war, baumelte strampelnd von seiner riesigen Hand herab.
    „Hätt‘ ich mir denken können, dass du das mit deinen langen Armen hinbekommst“, freute Kray sich und lief aufgeregt um Troggo herum, „Den müssen wir sofort zu Ma bringen, damit sie das Fleisch braten kann. Jungedi wird das ein leckeres Mittage…“
    „Aaah!“, schrie Troggo und öffnete seine Hand ganz automatisch.
    Die Riesenratte hatte seine Unaufmerksamkeit genutzt, um ihre spitzen Vorderzähne in seiner Faust zu versenken.
    Blut tropfte auf das Gras, während die Beute zurück in ihr sicheres Versteck huschte und sicher nicht noch einmal den Fehler machen würde am Höhlenausgang neugierig das Geschehen vor dem Eingang zu beobachten.
    „Autsch, das sieht schlimm aus“, meinte Kray als er die blutüberlaufenen Finger besah, die Troggo davongetragen hatte.
    „Das ist halb so schlimm“, erwiderte er und lutschte das Blut von seinen Fingern.
    „Boa, hätte ich so eine Wunde, ich würde glatt sterben“, bewunderte Kray die Gleichgültigkeit Troggos, „Aber bei dir ist es wohl was anderes. Lass uns trotzdem zu Herta gehen. Sie sollte sich die Wunde ansehen.“
    „Na von mir aus“, gab Troggo zurück, um sich nicht zu streiten.
    Die Beobachtung würde eh nicht anders ablaufen als sonst.
    Herta würde sich die Wunde ansehen und ihm dann mitteilen, dass sie nichts Genaues sagen könne, es aber wohl nicht allzu schlimm wäre, wenn er keine großen Beschwerden hatte.
    Denn auch sie wusste nicht mehr über ihn, als er oder irgendein anderer im Knarr-Wald.
    Troggo besah sich traurig seine grüne, schuppige Hand. Die Frage nach seiner Herkunft kam wieder in ihm auf und betrübte ihn, während Kray ganz unbeschwert und mit langen Sätzen, wie sie nur Scavenger schaffen konnten, vorauseilte.
    Die Leute hatten ihn Echsenmensch genannt, weil er diesen mystischen Geschöpfen aus den alten Sagen tatsächlich zu ähneln schien, doch befriedigte ihn diese Antwort nicht.
    Remus und Lydia hatten ihm immer wieder erzählt wie sie ihn gefunden hatten, und Kray ganz aufgeregt gefragt hatte, ob sie ihn behalten könnten, doch auch das warf eher Fragen auf, als dass es sie beanwtortete.
    Warum war er das einzige echsenmenschenartige Wesen im ganzen Wald? Warum kannte keiner jemanden, der seiner Gattung auch nur entfernt ähnelte?
    Es war einmal der Verdacht geäußert worden, dass er ein auf zwei Beinen laufender Waran sei, doch das war Unsinn.
    Warane lebten in der Nähe zu Wasser, während er das Wasser verabscheute.
    Das Krähen eines Scavengers, den er nur zu gut kannte, schreckte Troggo aus seinen Gedanken hoch.
    „Komm schon Troggo, willst du Wurzeln schlagen?“, rief Kray.
    Der Gerufene seufzte schwer und machte sich dann daran den Rückstand wieder aufzuholen.

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    Kapitel 2 – Herta und Ur-Grok

    „Herta, Herta!“, rief Kray vollkommen von der Rolle und aufgeregt wie ein kleines Kind vor seinem Geburtstag, „Troggo ist verletzt!“ Er sprang in langen Sätzen um den Weißbirkenbaum herum, der schon seit einigen Jahren aussah, als wolle er absterben. Einzig und allein Hertas andauernder Pflege war es zu verdanken, dass er selbst dieses Jahr noch wunderschön geblüht hatte.
    „Was zum Geier ist das für ein Geschrei?“, beschwerte sich die in die Jahre gekommene Harpyie und kam aus einem Loch weiter oben am Stamm des Baumes heraus geflogen. Einen Eingang am Boden gab es nicht, weshalb bisher kaum einer in Hertas Wohnbaum gewesen war. Er stand ein wenig abseits von den anderen, auf einem Hügel. Niemand hatte hier wohnen wollen, weil alle den steilen Aufstieg gescheut hatten. Herta hatte dies nichts ausgemacht, da sie ja fliegen konnte.
    „Ach, ihr seid’s“, krächzte sie mit ihrer merkwürdig kratzenden Stimme und kam zu ihnen herunter. „Was gibt es denn dieses Mal Kray? Du bist bald erwachsen, du solltest dich nicht mehr über jeden kleinen Kratzer aufregen“, tadelte sie ihn und landete auf einem großen Stein unweit des Scavengers.
    „Aber dieses Mal ist es wirklich schlimm“, entgegnete Kray immer noch total aufgeregt, „Troggo wurde gebissen! Von einer Riesenratte!“
    Herta sah ihn halb mitfühlend halb missgelaunt an: „Für so einen großen Kerl wie Troggo ist der Biss einer so winzigen Riesenratte wohl eher das, was für dich ein gewöhnlicher Kratzer ist.“
    Sie verschränkte die Arme, während sie sich wieder in die Luft schwang und mitten in der Luft leicht auf- und abwippte, jedes Mal, wenn sie mit ihren Flügeln schlug.
    „Hör mal zu Kray“, begann sie in einem freundlichen Ton, „Ich kenne mich sehr gut mit Heilmedizin aus, doch du solltest nur zu mir kommen, wenn der Verletzte es selbst nicht mehr schafft, verstanden? Eher braucht er auch keine besondere Hilfe, dann regelt sich das schon alles von alleine.“
    „Aber“, wollte Kray widersprechen, doch Troggo unterbrach ihn: „Sie hat recht. Wir sind viel zu oft zu ihr gekommen!“
    „Wenn ihr meint“, gab der Scavenger klein bei und sah ein wenig betreten zu Boden.
    „Macht euch jetzt am besten wieder auf den Rückweg, es ist bald Mittag“, empfahl die Harpyie ihnen und wollte grade zum Abschied winken, als eine weitere Stimme zu ihnen herüber wehte: „Herta, ist schon etwas passiert?“
    Der Scavenger, der Echsenmensch und die Harpyie wandten sich um. Derjenige, der gesprochen hatte, war ein Ork, der merkwürdig schwächlich für sein Alter aussah. Diesen Mangel machte er jedoch mit einer übernatürlich großen Menge an Anhängern und Amuletten wieder wett, die auch seinen knorrigen Wanderstock behangen. Blaue und rote Farbe formten fantasievolle Zeichen, die das Gesicht des Orks bedeckten und als Troggo sich dieses genauer ansah, stellte er fest, dass seine Augen milchig waren.
    „Warum fragst du?“, antwortete Herta mit einer Gegenfrage. Sie hatte die Stirn gerunzelt, was Troggo ahnen ließ, dass etwas Ungewöhnliches in der Luft lag. Weder er noch Kray hatten diesen Ork schon einmal aus der Nähe gesehen. Er war der einzige seiner Rasse, der im Knarr-Wald lebte und man munkelte, dass er von seinem Stamm verstoßen worden war, doch keiner hatte es je gewagt ihn danach zu fragen.
    „Weil du in der nächsten Zeit viel zu tun haben könntest, und das weißt du“, erwiderte der Schamane.
    „Was meinst…“, plapperte Kray gleich drauf los, doch Herta trat ihm mit einem Fuß gegen seinen Hinterkopf.
    „Wie meinst du das?“, erkundigte die Harpyie sich.
    Der Ork starrte ein wenig rechts von Kray in die Luft, wobei sein Blick auch Troggo streifte. „Du bist nicht allein?“
    „Deine Sehkraft hat noch weiter nachgelassen, nicht wahr?“, entgegnete Herta mit einer gewissen Portion Schadenfreude in der Stimme, „Es sind Kray, ein junger Scavenger, der ganz in der Nähe wohnt, und Troggo.“
    In Troggo bäumte sich plötzlich etwas auf, etwas wie ein sechster Sinn, und er ahnte, dass es eine Art Vorwarnung war.
    „Troggo?“, einen Moment lang hob der Ork überrascht die weißen Brauen. „Grünschnäbel. Ich werde wieder kommen, wenn du allein bist. Du weißt, worüber ich mit dir zu sprechen gedenke.“
    Der Schamane wandte sich um und begann langsam, schwer auf seinen knorrigen Stab gestützt, den Hügel hinab zu steigen. Hinterlassen hatte er ihnen eine bleierne Stimmung der Verwirrung und Neugier.
    „Worüber will er mit dir sprechen, Herta?“, fragte Kray sofort, als er sicher war, dass der Ork sie nicht mehr hören konnte.
    Die Harpyie sah missbilligend auf ihn herab und sagte dann nur: „Ich stimme mit Ur-Grok ganz darüber in ein, dass das nichts für eure Ohren ist. Wenn ihr mich fragt, ist es eh größtenteils hanebüchener Schwachsinn, der in falschen Ohren die wildesten Gerüchte entfachen könnte“, ein wenig milder fügte sie außerdem hinzu, „Entschuldige, dass ich dich eben getreten habe. Es ist nur so, dass er es nicht schätzt von, wie er es nennen würde, Grünschnäbeln, angesprochen zu werden.“
    „Ach so, macht nichts“, erwiderte Kray ein wenig verlegen.
    „Wenn weiter nichts ist, kann ich mich ja wieder in meinen Baum zurückziehen. Ich arbeite gerade an einer sehr komplizierten Vermischung von Kronstöckel und Snapperkraut und muss für den Versuch noch eine Menge vorbereiten.“
    Troggo und Kray nickten, woraufhin Herta sich wieder in die Höhen schwang und durch das Loch in ihrem Baum wieder in diesem verschwand.
    „Schade, dass aus der Riesenratte nichts geworden ist“, sagte Kray völlig unvermittelt.
    „Was? Oh ja, stimmt.“ Troggo hatte dem schnellen Gedankenwechsel nicht ganz folgen können, doch nun erinnerte er sich wieder an das biestige Exemplar, das in seinen Finger gebissen hatte.
    „Worüber denkst du nach“, fragte der Scavenger kurze Zeit später, als sie dabei waren den Hügel wieder herab zu steigen. Die Sonne stand hoch am Himmel und ließ vermuten, dass es schon Essenszeit war.
    Troggo kratzte sich mit einer seiner langen Krallen an seinem schuppigen Kopf. „Mich würde zu gerne interessieren, was dieser Ork-Schamane mit Herta bereden will. Und wieso wohnt er eigentlich hier im Knarr-Wald und nicht in Ur-Krorum?“
    Ur-Krorum war die Orkstadt, die auf der anderen Seite des Golemgebirges lag. Man konnte sie von hier aus nur über den legendären Wunderpass in weniger als einem Tag erreichen, da man sonst einen großen Umweg über die umliegenden Gebiete nehmen musste. Für gewöhnlich wohnten dort alle Orks dieser Gegend, zumindest hatte er noch von keinem gehört, der es nicht tat. Bis heute.
    Kray blieb plötzlich stehen. Troggo wandte sich fragend zu ihm um und konnte seinem Freund schon ansehen, dass er eine Idee hatte. „Was ist?“, fragte er ihn.
    „Wir belauschen die beiden bei ihrem Gespräch!“
    „Aber Hertas Wohnung liegt viel zu weit oben als dass wir sie belauschen könnten.“
    „Sie werden das Gespräch am Fuße ihres Baums führen“, verkündete Kray triumphal, „Schließlich kann der Ork auch nicht den Baum hoch klettern.“
    „Stimmt“, musste Troggo ihm recht geben. Und er war wirklich gespannt, was da im Busch war. „Na gut, legen wir uns auf die Lauer!“

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    Kapitel 3 - Die Höhle

    Es war dunkel geworden. Grillen zirpten um sie herum im hohen Gras. Troggo und Kray hatten sich nahe des Hügels, auf dem Hertas Wohnbaum stand, im Gebüsch versteckt. Vorher waren sie nur einmal kurz zuhause gewesen, um Lydia und Remus möglichst glaubhaft zu erzählen, dass sie mit anderen Bewohnern des Knarr-Walds ein Lagerfeuer machen wollten. Krays Eltern hatten ihnen diese Geschichte abgekauft und seitdem lagen sie auf der Lauer.
    „Bis du dir sicher, dass er noch kommt? Vielleicht kommt er auch erst morgen wieder“, erkundigte Troggo sich und gähnte. Er bewunderte die Ausdauer des Scavengers, der seit sie sich auf die Lauer gelegt hatten völlig reglos zwischen den Zweigen eines Rhododendrons hockte und seine schwarzen Augen nicht einen einzigen Moment von dem Weißbirkenbaum abwandte.
    „Natürlich kommt er noch!“, schob Kray den Gedanken beiseite. „Wenn Ur-Grok jemanden aufsucht, hat das bestimmt einen Grund. Papa hat mir mal erzählt, dass er ein Schamane ist. Und die haben Ahnung von Dingen, die wir anderen nie verstehen werden!“
    „Vielleicht ist es aber einfach nicht so dringend“, versuchte Troggo es noch einmal. Ihm fielen schon fast die Augen zu und er sehnte sich nach einer bequemeren Unterlage als dem Waldboden. Doch der Scavenger ignorierte seinen weiteren Einwand. Troggo überlegte, ob er einfach aufstehen und nachhause gehen sollte. Andererseits würden Remus und Lydia sich dann fragen, warum Kray nicht mitgekommen war.
    „Da ist er!“, zischte der Scavenger in diesem Moment aufgeregt und presste seinen gefiederten Körper noch dichter an den Boden. Die kleinen Hände an seinen kurzen Stummelarmen umschlangen sich fahrig.
    Troggo sah wieder genauer hin, und mit einem Mal beschleunigte sich sein Herzschlag. Er war tatsächlich gekommen. Ur-Grok humpelte schwer auf seinen Stab gestützt den Hügel hinauf. Mucksmäuschenstill beobachteten sie, wie er den Weißbirkenbaum erreichte und mit seinem Stab energisch gegen den Stamm klopfte wie gegen eine Tür. „Herta“, rief er in die Dunkelheit. Einen Moment lang geschah nichts, dann schoss ein Schatten aus dem Loch weiter oben im Stamm und landete flügelschlagend auf dem großen Stein neben dem Orkschamanen.
    „Was willst du?“, krächzte die Harpyie leise. Neugier und Argwohn schwangen in ihrer schon leicht gebrechlichen Stimme mit.
    „Komm mit. Ich muss dir was zeigen“, erwiderte der Ork und begann den Abhang wieder hinabzustapfen. Kray fing neben Troggo vor Aufregung an zu zittern, was das Laub leise zum Rascheln brachte. Troggo legte ihm warnend die Hand auf den Rücken.
    „Wieso sollte ich dir zu dieser ungewöhnlichen Zeit an einen unbekannten Ort folgen?“, hakte die Harpyie nach, ohne sich von ihrem Stein zu erheben. „Ich bin eine alte Dame und brauche meinen Schönheitsschlaf. Wenn ich dir folge, will ich auch den Grund dafür wissen.“
    „Es geht um nichts weniger als das Schicksal des Knarr-Walds, aber wenn dich das nicht interessiert, kannst du gerne hier bleiben“, antwortete der Ork kaltschnäuzig. Die Art wie er dies sagte ließ jedoch erahnen, dass er genau wusste, dass Herta ihm folgen würde.
    Tatsächlich warf die Harpyie ihrem geliebten Wohnbaum einen fragenden Blick zu, als fürchtete sie, er würde plötzlich in Flammen aufgehen. „Na gut“, stimmte sie schnippisch zu, „Ich wollte sowieso noch nicht schlafen gehen.“ Mit zwei kräftigen Flügelschlägen erhob sie sich in die Luft und segelte dann dem Ork hinterher den Abhang hinab.
    Kray sprang sofort auf und wollte ihnen folgen, was den Rhododendron fürchterlich zum Zittern brachte. Troggo packte ihn und presste ihn zu Boden. Ur-Grok war stehen geblieben. „Ist da jemand?“
    Herta drehte sich in der Luft herum und ließ ihren Blick über den Hügel und auch das Gebüsch schweifen. „Vermutlich nur eine Riesenratte. Die treiben sich hier gern rum, weil dieser Teil des Waldes so unbewohnt ist.“ Der Schamane nickte und setzte seinen Weg fort.
    „Wir müssen ihnen mit großem Abstand folgen, sonst hören sie uns“, flüsterte Troggo direkt in Krays Ohr.
    „Aber dann hören wir sie nicht mehr und verlieren sie vielleicht aus den Augen“, wandte der Scavenger ungeduldig ein.
    „Quatsch“, entgegnete Troggo. „Viel größer ist die Gefahr, dass sie uns entdecken.“
    Sie warteten noch, bis das ungleiche Paar am Fuße des Abhangs angekommen war, dann krochen sie rasch aus den Sträuchern hervor und schlichen ihnen nach. Es war schwierig, außer Hörweite zu bleiben und sie gleichzeitig nicht aus den Augen zu verlieren. Sie mussten jederzeit fürchten, dass Herta sich umsehen und sie entdecken konnte. Doch letztendlich lief alles gut. Sie durchquerten einen Teil des Knarr-Walds, in dem nur wenige Bäume bewohnt waren und in dem weder Troggo noch Kray sich gut auskannten. Und schon bald hatten sie die äußersten Randbereiche erreicht, in denen keiner von ihnen je gewesen war. Hier begrenzte ein Ausläufer des Golemgebirges den Wald. Ur-Grok und Herta folgten der steilen, granitgrauen Steinwand, bis sie zu einem Spalt kamen, in dem der Ork verschwand. Herta landete und folgte ihm zu Fuß.
    „Jetzt müssen wir uns aber beeilen“, meinte Kray und sprintete los. „Wenn sie in der Höhle eine Abzweigung nehmen, wissen wir sonst nicht welche!“
    Troggo folgte ihm, ohne darauf zu achten, leise zu sein. In dem Felsspalt würde man sie schon nicht hören. Vorsichtig spähte Troggo, der im Dunkeln besser sehen konnte als ein Scavenger, um die Ecke. Hinter dem Eingang schien sich der Gang rasch auszubreiten und tief in den Fels hinein zu führen. Der Orkschamane und Herta schienen aber schon um die nächste Ecke gebogen zu sein, zumindest waren sie nicht mehr zu sehen.
    Troggo legte trotzdem einen Finger an die Lippen und wies Kray an, ihm zu folgen. Vorsichtig schlichen sie hintereinander den Höhlengang entlang. Hinter einer Biegung schien Licht zu brennen, und nun hörten sie auch wieder Hertas Stimme: „Was sind das für Wandmalereien?“
    „Eine Prophezeiung“, antwortete der Ork wie üblich knapp.
    Die Harpyie schwieg für einen Moment. Offensichtlich besah sie sich die Höhlenwände genauer. Troggo und Kray wagten vorsichtig einen Blick um die Ecke. Es war nur ein kleiner, fast kreisrunder Raum, deren Höhlenwände über und über mit gelber und roter Farbe bemalt war. Ur-Grok und Herta standen mit den Rücken zu ihnen.
    „Sieh dir dieses Bild an“, wies der Ork die Harpyie an und setzte einen seiner mit braunem Fell bedeckten Finger auf eine Zeichnung.
    „Ein Feuer“, erwiderte Herta achselzuckend. Sie warf dem Schamanen einen erwartungsvollen Blick zu. „Du sagst mir jetzt bestimmt, was es damit auf sich hat?“
    „Ja“, der Ork nickte. „Wenn man genauer hinsieht, erkennt man, dass es Bäume sind, die brennen. Große Bäume.“
    „Der Knarr-Wald?“ Herta hob die Augenbrauen. Sie schien das für ziemlich abgehoben zu halten, doch der Ork nickte wieder.
    „Es ist eine orkische Prophezeiung“, begann Ur-Grok zu erklären. „Die Sterne über dem Knarr-Wald kündigen einen Umbruch an. Obendrein ist die Periode wieder um. In diesen Tagen wird sich wieder eine der vielen Prophezeiungen des alten Volkes bewahrheiten.“
    „Und wegen der Sterne machst du dir sorgen, dass es sich ausgerechnet um diese hier handelt?“ Herta klang, als wäre sie langsam sauer, dass sie dem Ork überhaupt gefolgt war.
    „Du hältst es für unwahrscheinlich?“
    „Nunja, ich glaube nicht an solch einen Hokuspokus“, erklärte sie brüsk und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich habe mich seit je her auf das verlassen, was bewiesen wurde. Und so leid es mir tut, ich muss sagen, dass ich die Wahrheit all eurer orkischen Prophezeiungen nicht als erwiesen ansehe. Es mag sein, dass sich manche erfüllt haben, aber wie viele Tausende sind noch nicht in Erfüllung gegangen? Und für mich sieht es nicht so aus, als würde der Knarr-Wald in den nächsten Tagen in Flammen aufgehen.“
    Ur-Grok machte ein unzufriedenes Gesicht. Er hatte sich von der Harpyie offensichtlich eine andere Reaktion erhofft. „Ich hätte mir gewünscht, dass du mir mehr Glauben schenkst und mir hilfst, die Bewohner des Knarr-Walds zu retten.“ Kray scharrte nervös mit einer Kralle.
    Plötzlich wurde der Blick der Harpyie stechend. „Du hast doch nicht etwa vor, die Waldbewohner in Panik zu versetzen, damit sie ihre Bäume verlassen, und den Wald dann selbst anzustecken, damit du nachher als großer Held dastehst? Ich kenne deine Geschichte, Ur-Grok. Aber wenn du etwas derartiges tatsächlich vorhaben solltest, werde ich mein möglichstes tun, um dir einen Strich durch die Rechnung zu machen!“ Hertas Stimme war mit jedem Wort immer schriller geworden. Sie schien wegen irgendetwas richtig wütend zu sein. Dabei fand Troggo ihren Vorwurf sehr weit hergeholt.
    „Nun denn“, sagte Ur-Grok schwermütig. Die Worte der Harpyie schienen ihn härter getroffen zu haben als sie beabsichtigt hatte. Sie runzelte die Stirn, doch schon fuhr der Ork fort: „Fragen wir doch mal Troggo und Kray, was sie von der ganzen Sache halten.“
    Beide zuckten in ihrem Versteck fürchterlich zusammen. „Aber, aber wieso…?“, stammelte Kray und sah panisch zu Troggo auf, der jedoch genauso verdattert war.
    „Ihr braucht euch nicht zu ängstigen“, versuchte der Ork sie zu beruhigen. „Hätte ich etwas gegen eure Anwesenheit, hätte ich euch schon früher enttarnt. Kommt her.“
    Troggo und Kray warfen sich einen Blick zu, dann kamen sie zögerlich und mit kleinstmöglichen Schritten um die Ecke. Als Troggo Hertas Blick begegnete, sah er sofort zu Boden. Der Harpyie schien es kurzzeitig die Sprache verschlagen zu haben.
    „Du hättest sie nicht mitgenommen, wenn du sie schon früher bemerkt hättest“, fuhr die Harpyie Ur-Grok über den Mund. „Heute Nachmittag hast du dein Anliegen noch extra wegen ihrer Anwesenheit auf später verschoben!“
    „Die Zeiten ändern sich, Herta“, rechtfertigte der Schamane sich geheimnisvoll.
    „Papperlapapp!“, brauste sie auf, „Die beiden gehören ins Bett! Ich werde sie unverzüglich nach Hause geleiten!“ Und als Troggo und Kray schon die Münder öffneten, fügte sie noch hinzu: „Keine Widerrede!“
    Der Ork widersprach ihr nicht. Es hätte ohnehin keinen Sinn gehabt. Doch bald würde sie einsehen müssen, dass er recht gehabt hatte.
    Geändert von MiMo (08.08.2012 um 22:29 Uhr)

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