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    Deus Avatar von Laidoridas
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    Laidoridas ist offline

    ^_^ [Story-Wettbewerb]Der Lovestory-Sammelthread

    Herzlich Willkommen zum romantischen Teil des diesjährigen WoG-Storywettbewerbs!
    Immer nur Kämpfe, Morde, tote Leute sind euch auf Dauer zu langweilig? Dann gebt euch endlich den wahren, wirklich wichtigen Gefühlen des Lebens hin und schreibt die herzzerreißenste Gothic-Lovestory, die die Welt je gesehen hat! Oder die abscheulich-kitschigste, ganz wie ihr wollt. Natürlich sind eurer Fantasie dabei keine Grenzen gesetzt, nur die allgemeinen Regeln des Story-Forums müssen selbstverständlich beachtet werden. Ob ihr eure Emotionen nun als Kurzgeschichte, Gedicht oder Comic ins Forum setzt, ist ganz euch überlassen.

    Alle Werke werden bitte bis zum 06. September 2008 um 20:00 Uhr in diesem Thread gepostet.

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    Held Avatar von Lord Regonas
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    Lord Regonas ist offline

    Post Desiderium

    Desiderium:

    Khorinis, zu Zeiten der Barriere…

    Aufzeichnungen eines Gefangenen der Minenkolonie…
    Was das hier werden soll? Gute Frage, ich weiß es ehrlich gesagt selber nicht. Ich fürchte, es ist ein Ausdruck meiner Gefühle, ein Ausdruck jener Gefühle, die sich im Laufe der Zeit in diesem Gefängnis, das man nicht anfassen kann, angestaut haben. Ein Ausdruck von Hoffnungslosigkeit und Depressionen, denen ich erlegen bin.
    Wer ich bin? Nur ein Gefangener unter hunderten. Kein Erzbaron, aber auch kein einfacher Buddler. Den Beruf, sofern man es den unter den gegebenen Umständen einen Beruf nennen darf, den ich gewählt habe, erfüllt mich weder mit Zufriedenheit, noch stört er mich sonderlich. Die Antwort auf die Frage nach dem tieferen Sinn, von jener Arbeit, die ich tagtäglich verrichte, konnte ich bisher noch nicht finden. Doch andersrum gesehen, was bin ich ohne diesen Beruf? Arbeitslos, nicht besser als all die stinkenden und bettelnden Buddler. Ergo brauche ich diesen Beruf, ich bin auf ihn angewiesen, er verhilft mir zu meinem Status und einen neuen Beruf zu finden, der mir eventuell mehr zusagt, ist zu der momentanen Arbeitslage nahezu unmöglich. Und so beiße ich die Zähne zusammen und mache weiter, ich gehe einen dunklen Tunnel entlang, dessen Ende ich nie erreichen werde.
    Was mir bleibt, was mich Tag für Tag antreibt, ist jene Sache, die den Menschen schon von Anbeginn der Zeit Stärke gegeben hat. Etwas, dass an sich so was von absurd ist; etwas, was sich scheinbar in jeden Mensch eingenistet hat, wie ein Keim, der sich immer wieder aufs Neue ausbreitet und dabei mit jedem Mal größer wird. Jene Sache, die vielleicht des Tunnels Ende sein könnte… jene Sache, die vielleicht der Fall der Barriere sein könnte…

    Was ich hiermit bezwecken will? Vielleicht ist es ein leiser Hilferuf. Vielleicht versuche ich aber auch nur mit der momentanen Situation fertig zu werden. Eine Situation, wo mir meine Logik schon einen Strich durch die Rechnung machen müsste. Doch auch in mir breitet sich der Keim immer wieder aufs Neue aus. Immer wieder versuche ich es und das, obwohl mir mein Kopf sagt, dass es niemals funktionieren könnte. Und doch interpretiere ich mache Dinge, die sie sagt, die meine Logik wieder vollkommen aussetzen lassen; Dinge, die mich immer wieder aufbauen, die mich es erneut versuchen lassen… ein Teufelskreis, zwischen schmerzerfüllter Logik und einen ständig sich ausbreitenden Keim, der einen die Sinne raubt. Und mit jeder Phase der Logik, wird der Niederschlag, der Schmerz größer. Innos weiß, wo das noch hinführt… und wieder treibt mich dieselbe Absurdität an, die mir schon zuvor Kraft gegeben hat. Etwas, was ich nicht kontrollieren kann; etwas, das so unberechenbar ist, dass es einem so vorkommt, als laufe er eine Treppe hinauf und müsse kurz vor dem Ende, bei der vorletzten Stufe, erneut anfangen. Etwas, dessen Ende hart und schmerzvoll ist.

    Wo von ich schreibe? Es ist etwas, was in uns allen ruht… etwas, was sich nicht kontrollieren lässt und auch nicht abschaffen lässt. Es ist allgegenwärtig und bringt uns voran. Es gibt uns Kraft, wo es keinen Ausweg mehr gibt, es lässt uns weiterlaufen, obwohl wir müde sind. Ja, es ist etwas, dass ich verfluche und zugleich liebe… den ich habe dessen Ende erreicht und es fühlt sich an, als wäre alles, was jemals versucht wurde, umsonst. Und wenn Innos von diesem Ende gewusst haben sollte, werde ich die längste Zeit gebetet haben. Es ist etwas, was auch in mir neu entflammen wird und mir Phasen des Schmerzes und der Zuversichtlichkeit verschaffen wird…

    Die Sehnsucht….


    For Yulia

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    General Avatar von Tribalz
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    Scherbenmeer

    Für Benni


    Sie waren wie Eis und Feuer, ewige Konkurrenten, dazu verdammt, sie auch ewig zu bekämpfen, des einen Glut zu erlischen und des anderen gläserne Hülle zu schmelzen, ein Gegensatz, wie man ihn mit Innos und Beliar beschreiben könnte, stets different, aber in einem Punkt waren sie gleich, vermutlich die einzige Gemeinsamkeit der beiden – ihre Herzen waren einsam, sehnsüchtig in das Blut der Liebe getaucht, doch nie vermochte dies ihre Seelen zu erquicken.

    Des einen Leid war des anderen Freud', doch nun schien sich das Blatt zu wenden, auf dass sie nicht mehr in zwei Richtungen an dem Tau des Lebens zogen, sondern sich auf eine Seite stellen mussten. Wie sehr sie sich doch dagegen sträubten, konnten sie sich nie wehren, es war weder Bestimmung noch der schmetternde Befehl eines Menschen – sondern es war der Krieg.

    Immer öfter kamen Nachrichten von den Spähern, welche sich noch durch die eisigen Krallen der Kälte Nordmars retten konnten, immer öfter hörten sie von Bestien, welche sich selbst Orks nannten, von Tieren, die ihr eigenes Volk vernichteten, von Monstern, Ausgeburten der Hölle, welche in den Hades verbannt werden mussten, auf ewig aus dieser Welt geschafft, für immer vernichtet.

    Es war eine Zeit von Ruhm und Ehre, das eigene Blut hatte gegen den vernichtenden Strom des Orkheeres zu fließen, stets widerstrebend, schnell, agil – und möglichst gnadenlos. Angst und Schrecken waren hier Wörter, welche nie über eines Kriegers Lippen glitten, nie wurden sie auch nur gehaucht, geflüstert, doch dass eben dieser blinde Stolz so klaffende Wunden in die Seelen so manchen Menschens reißen würden, konnte niemand ahnen...


    Denn auch ein junger Mann, mit der jungen Seele eines Kindes, dem brennenden Mut eines stolzen Kriegers und dem pochenden Venen, durch welche das Blut seines Volkes floss, ließ sich nicht vom Ruf seiner Brüder abhalten, auch er Zog mit der Axt gegen die Orks in die Schlacht, im Glauben, er würde für sein Volk und seinen Gott kämpfen, verdorben durch die falschen Lehren der Gläubigen unter ihnen, manipuliert, verwandelt in eine blinde Marionette, gehorsam, willenlos.

    Und selbst eine junge Frau, welche noch keine 20 Winter in dem Eisland zählte, folgte den Männern in die Schlacht, den Ratschlägen und donnernden Befehlen ihres Vaters trotzend, ohne Rüstung und Helm, aber nicht willenlos, wie jener Jüngling, sondern entschlossen, klar denkend, Konturen wahrnehmend, welche für eben diesen nur ein verschwommener Umriss waren, eine unwichtige Einzelheit, ein nicht zu beachtender Zusatz. Doch eben diese Kleinigkeit, der eigentliche Grund, warum er nun mit den starken Kriegern mit zog, würde der Grund für das Blut sein, welches noch in dieser Nacht vergossen wird, keinesfalls unnötig, aber ein Ziel verfolgend, etwas, was der junge Recke nicht sah und nie mehr erkennen wird...


    Wie Rosenblätter in ein Glas mit Wasser fallen und gedankenlos darauf schweben würden, so landeten kleine Schneeflocken einzelnd, prickelnd auf der Haut des Nordmarers, still und idyllisch schmelzend, als Tropfen die schwere Rüstung des Recken und das dicke Gewand der Kriegerin herunterschleichend, um letztendlich den Schritt des Hintermanns süß und hingebungsvoll zu begleiten, nicht unterscheident zwsichen schwerem Stifel und leichterem Leder, einzig in der Ruhe, nichts beachtend, still und weise.

    Doch so unterschiedlich die beiden jungen Menschen des Nordens doch waren, welche sich beide aus völlig verschiedenen Gründen dem Heereszug angeschlossen hatten – beide brauchten einander, keiner konnte ohne den anderen noch einen Schritt weiter durch die beißende Kälte gehen, niemand vermochte es, sein Eisen in die Schuppenhaut eines Orks zu rammen, wenn nicht beide noch im Diesseits verweilten. Sie waren für einander geschaffen, so unterschiedlich, aber für einander unentbehrlich wichtig, wie eine Klinge einen Griff benötigt, denn alleine waren beide machtlos, ungeschützt, sterblich.

    Und all diese verwundbaren Stellen unter hinter dem Schild der Liebe, welche beiden doch noch so fremd war, wurden in dieser Nacht sichtbar, die schützende Hand der bebenden Gefühle leitete sie nicht mehr, das Glas des Schicksals, gefüllt mit dem Blut der beiden jungen Recken, zerbrach in jener Nacht. Blut aus Eis und Feuer brannte sich durch das Leben aus Ebenholz hindurch, erneut in verschiedene Richtungen, an zwei Seiten des Tau ziehend, reißend, kämpfend – und letztendlich je für sich sterbend, wie die Glut ausglimmte und die letzten Kristalle des Eises dahinschmolzen, zwischen den Scherben der Bestimmung...
    Geändert von Tribalz (10.08.2008 um 13:50 Uhr)

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    Lehrling Avatar von OleReg
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    Thumbs up Der Name

    Der Name



    Aus der Sicht der Orks:

    Wieder begannen schwere Zeiten, zwar wurden die Orks aus Khorinis und Dem Festland vertrieben, doch auf den südlicheren Inseln gibt es noch immer viele Orks, die von dem namenlosen Helden gehört hatten und wütend auf ihn waren. Doch sie würden nicht den Fehler wiederholen, der auf dem Festland stattgefunden hatte, sie würden ihn gleich töten und nicht erst versuchen, ihn auf ihre Seite zu ziehen.
    Der Rachedurst und die Wut bestärkten ihre Krieger, und sie hatten gelernt. Sie hatten gelernt, dass sie alle auf einmal angreifen mussten, und nicht immer nur einer angreifen darf. Darum haben sie auf ihren Mauern hunderte von Armbrustschützen postiert, die den Helden mit einem Sperrfeuer empfangen sollten. Doch er kam nicht. Sie warteten und warteten, hatte sich der berühmte namenlose Held aus Angst zurückgezogen? Oder war es eine Falle? Diese Fragen konnten sie sich nicht beantworten.
    Doch es war zu spät, der Blutdurst war bereits auf der ganzen Insel ausgebreitet.
    Und so kam es, wie es kommen musste, da keine Feinde vorhanden waren, gingen sie gegeneinander in den Kampf und nach und nach wurden alle Orks getötet und nur 24 Orks konnten überleben, die vielleicht heute noch auf den Inseln umherstreifen, um Rache an dem namenlosem Helden auszuüben.


    Aus der Sicht der Menschen:

    Der rettende Held hatte sich auf den Weg zu den letzten bekannten Orks gemacht, um sich bei ihnen beliebt zu machen und dann von innen heraus alle zu töten, so war zumindest der Plan, doch was geschah?
    Als der namenlose Held sich auf dem Schiff befand, welches ihn zu den südlichen Inseln fahren sollte, spürte er zum ersten Mal ein seltsames Gefühl. Am Anfang der Reise versuchte er, es zu unterdrücken, doch nach einer Woche konnte er es einfach nicht mehr aushalten. Sie waren jetzt kurz vor der Insel, doch plötzlich gab der namenlose Held einen neuen Kurs, er wollte nach Osten, zu den östlichen Klippen, der Steuermann wagte es nicht, sich ihm zu widersetzen, und so kamen sie nach 5 Tagen dort an. Der namenlose Held ruderte mit einem kleinen Boot zu einer der Klippen und ging dort an Land. Er hatte es geschafft, gerade noch. Das Boot war aber an der Klippe zerschellt, und so musste der namenlose Held für immer dort bleiben. Doch das machte ihm nur wenig aus, er hatte endlich das gefunden, was er gesucht hatte, seinen Namen. Und so lebten sie glücklich bis an ihr Lebensende auf einer kleinen Klippe irgendwo zwischen Khorinis und dem Festland.


    OleReg

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    Schwenkmeister Avatar von Punkpferd
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    Punkpferd ist offline
    Kein Wort

    Ich lag auf dem Boden, einem kalten Boden aus Marmor, niedergedrückt von einem schweren Stiefel, neben mir meine Kameraden, tot. Langsam schweifte mein Blick über die Szenerie, der aufgerissene Schrank, die teure Kleidung und das Gold, das nun unsinnig auf dem Boden verstreut lag. Der Stiefel drückte mich ins Kreuz und ich bekam kaum Luft, mühsam versuchte ich mich mit meinen Händen ein wenig nach oben zu drücken, doch der Milizsoldat drückte mich erbarmungslos nur noch fester auf den Boden. Ich hatte keine Chance. "Hört mir zu, ich wollte nicht...", begann ich, doch ein weiterer Milizsoldat trat mir in die Seite, sodass meine Eingeweide schmerzten. "Halt die Fresse, du Schwein." Ich hielt mich daran, er war der stärkere.
    Leise hörte ich hinter mir Schritte näher kommen, drei Personen. Immer noch suchte ich in meinem Kopf nach einer Hintertür, einem Strohhalm, der mir half von hier zu fliehen, doch ich wusste: Es gab keine Tür, keinen Strohhalm mehr, diesmal hatte ich es verbockt, diesmal war ich dran. Die Schritte kamen näher und ich bemerkte, wie die fünf Milizsoldaten, die noch im Zimmer waren Haltung annahmen. Schließlich sah ich breite Stiefel vor meinem Gesicht. Ich blickte weiter hinauf und versuchte das Gesicht zu sehen, ich befürchtete das Schlimmste, doch der Soldat erlaubte mir nur einen Blick bis zu den Knien.
    "Hebt ihn auf!", befahl eine Stimme und ich kannte sie, das Schlimmste war geschehen, ich wollte im Boden versinken. Ich hatte Angst. Zwei starke Arme griffen mir unter die Achseln und ich stand ihm gegenüber. "Lord Theobald", begann ich, "mein Freund, Paladin und treuer Diener Innos..." Theobald sah mich wütend an und schlug mir mit voller Wucht in mein Gesicht. Ich ließ ihn gewähren. "Wie könnt ihr es wagen mich Freund zu nennen? Woher nehmt Ihr die Frechheit den Namen des höchsten Gottes in den Mund zu nehmen?" Ich sah ihn an, meine Nase blutete, meine Wange war aufgescharbt, ich musste grauenvoll aussehen. "Mein Haus. Ihr.", Theobald suchte nach Worten, "Ich hätte nie gedacht, dass ihr hinter all diesen Einbrüchen steckt.", er stockte und sah mir tief in die Augen. Es tat weh, ich sah seine Enttäuschung, ich sah seine Trauer über das, was mit mir geschehen war. "Ich hatte euch geglaubt, als ihr mir versichert hattet nichts mit diesen Einbrüchen und Morden zu tun zu haben,", er machte eine Pause, jedes seiner Wörter war wie ein Stoß in die Rippen, "ich dachte euch zu kennen, wir waren einst gute Freunde. Doch sind wir nicht im Streit auseinander gegangen." Ich sah ihn fest an: "Es ist nichts persönliches.", ich wollte überzeugend wirken, doch ich wusste, dass ich es nicht war, "Verzeih mir." Er sah mich an, dann schüttelte er den Kopf: "Ihr habt meine Liebste getötet, habt sie im Schlaf überrascht und dann habt ihr geplündert. Sagt mir, wie könnte ich Euch das je vergeben?" Dieser Satz brachte auch mir die Tränen in die Augen. "Ich habe die Türen aufgesperrt, nur die...", Theobald hob die Hand und ich schwieg. "Ihr seid genauso schuldig, wie jeder andere der Bastarde. Ihr wart gemeinsam und zusammen hier, nur seid Ihr noch am Leben."
    Panik breitete sich in mir aus, er hatte das "noch" sehr betont. Ich wollte nicht sterben, wo war der Strohhalm. "Wir wussten nicht, dass jemand hier war.", ich war verzweifelt. Theobald musterte mich kurz, dann winkte er einen der Milizsoldaten zu sich. Sie redeten kurz mit einander, der Soldat widersprach kurz, doch Theobald schüttelte nur den Kopf und schickte ihn wieder weg. Der Soldat ging zu dem Rest der Milizen und diese verließen den Raum, er selbst stellte sich vor die Tür. Theobald sah mir wieder in die Augen, Tränen füllten sie. "Selbst wenn alles stimmt, was du sagst.", begann er, "Versetz dich in meine Lage, könntest du mir verzeihen?" Ich schluckte und hatte Angst vor meiner Antwort, ich wollte etwas sagen, doch es ging nicht, also schüttelte ich nur langsam den Kopf. Theobald nickte. "Die Menschen sind wütend auf Euch, ich kann Euch nicht laufen lassen, doch möchte ich Euch eine große Hinrichtung ersparen." Die Katze war aus dem Sack, er ließ die Worte wirken und ich spürte eine unbeschreibliche Leere in mir. Theobald seufzte: "Ihr werdet morgen sterben, im Morgengrauen, ehe viele Leute auf dem Richtplatz sind, werdet ihr gehängt." Meine Unterlippe zitterte, ich rang mit den Händen, doch ich war ohnmächtig vor Angst und Panik, ich konnte nichts sagen. "Wir waren Freunde.", sagte Theobald und hörte sich nun an, als hätte auch er einen Glos im Hals, "Ich werde nie vergessen, was du für mich getan hast, doch das wir uns so trennen, hätte ich nie gedacht." "Bitte.", brachte ich hervor und sah ihm in die Augen, meine Knie zitterten, mein Magen hatte sich verkrampft, ich musste kotzen. "Ich kann nicht mehr viel für dich tun. Auf dich und deine Kumpanen sind Kopfgelder ausgesetzt, ein Todesurteil ist gegen euch ausgesprochen. Ich kann euch nur noch wenig helfen. Einen Wunsch könnte ich euch gewähren, einen kleinen, der eure Hinrichtung nicht verhindert, dies wäre im Bereich meiner Möglichkeiten." Er schluckte, "Das ist das letzte Zeichen, dass ich Euch geben kann, dass meine Freundschaft zu Euch noch immer vorhanden ist." Ich nickte, es ging etwas besser, doch kotzen musste ich immer noch. "In Ordnung, ich möchte..."
    Zweimal schlug der Milizsoldat an die Holztür, dann wurde sie geöffnet. Esmara sah erschrocken aus, als sie die Milizsoldaten sah, ihre Augen waren aufgerissen und ihr Herz schien stehen zu bleiben, als sie mich sah. Sie sank zu Boden. Einer der Milizsoldaten sah mich an, ich nickte, er tat es mir gleich. Mit einem Schritt war ich im Haus, die Tür hatte ich geschlossen. Esmara saß schluchzend auf dem Boden. Ich küsste sie zärtlich, half ihr hoch. Sie sah mir nicht direkt in die Augen, ich konnte es kaum ertragen. „Warum...sind die...da draußen?“, fragte sie, mit zittrigem Finger auf die Tür weisend. Ich seufzte, wusste nicht was ich sagen sollte, ich wollte es ihr nicht sagen, es zerriss mich innerlich und ich wollte sie nicht verletzen, ihr keine Angst machen – und mir selbst auch nicht. Ich nahm sie in den Arm, küsste ihre Stirn, ihre Wangen, doch sie wollte mich wegstoßen. „Sie...sie haben...dich erwischt?“, fragte sie unsicher und ihre Stimme klang etwas zu hoch. Ich nickte nur kurz, wollte sie wieder in den Arm nehmen, uns blieben doch nur sechs Stunden, mir blieben nur sechs Stunden. Esmara nickte auch, aber ruckartig, verstört. „Werden sie dich, werden sie...“, sie kam nicht weiter, schluckte bitterlich und Tränen rannen ihr die Wangen hinunter, ich sah ihr tief in diese Augen, in denen ich hätte versinken können. Blau waren sie, mit einem leichten Braunstich, und eine kleine graue Stelle im linken Auge, das war mir vorher noch nie aufgefallen. „Sie...werden.“, sagte Esmara und ich blickte auf den dreckigen Boden. Dreck, wen interessierte das. „So ist dies...dies unsere...letzte...“, sie brach ab, knickte wieder ein und weinte bitterlich, sie schluchzte, schrie laut auf in ihrem Klagen.
    Ich wollte das nicht sehen, konnte es nicht. Langsam tat ich einen Schritt nach vorne, setzte mich neben sie und legte meinen Arm um ihre Schulter. Sie ballte ihre Faust, immer noch weinend und schlug mir gegen die Brust. „Warum?“, schluchzte sie, der erste Schlag donnerte auf meinen Brustkorb, „Warum?“, der zweite, „Wieso habt ihr euch erwischen lassen?“, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, ich ließ sie gewähren. Sie senkte ihre Hand, verzweifelt sah sie mich an, ihr Gesicht war rot, ihre Augen glasig und überall waren Tränen. „Bitte“, begann ich, mein Herz schien zu zerspringen, „Bitte weine heute Nacht nicht. Ich kann es nicht ertragen, denn ich liebe dich.“, jedes Wort war ungelogen und mit jedem Wort kam die Angst weiter in mir selbst hoch, „Weine heute Nacht nicht, freue dich, dass du lebst und dass ich noch lebe. Sie nicht vor, nur zurück, heute Nacht. Sei freudetrunken, denn ich bin es. Lass mich meine letzten Stunden nicht noch ansehen, wie auch du vergehst.“, ich wollte nicht, doch Tränen breiteten sich in meinen Augen aus, ich konnte sie nicht wegwischen, in der einen Hand hielt ich Esmara, in der anderen ihre Hand, „Weine Morgen, meine Liebste und schrei es heraus, doch heute Nacht weine nicht, sondern lächle, denn so will ich dich ewig in Erinnerung haben.“
    Sie lächelte, doch es wirkte nicht echt. „Fliehen?“, brachte sie heraus, ich schüttelte den Kopf, sie legte ihren an meine Schultern. „Ich will nicht, dass du gehst.“, sagte sie, ruhig, gefasst, „Ich will nicht, dass du zurück gehst.“, sagte sie und ihre Stimme wurde wieder weicher und nasaler. „Genau das habe ich zu meinem Vater gesagt, als er zurück nach Vengard ging und mich und meine Mutter im Stich ließ.“, sagte sie und schluchzte kurz, fing sich aber schnell wieder. „Sag ihm schöne Grüße von mir.“, sagte sie, schaute mir ins Gesicht und lächelte mich an. Die Situation war absurd. „Mach ich“, erwiderte ich, nicht wissend, was ich sonst hätte sagen sollen. Ich sah mich im Zimmer um, es war recht Sauber, nur wenig Dreck auf dem Boden. In der Ecke stand ein kärglich zusammengezimmertes Regal, ich hasste es, hätte schon vor Monaten ein neues kaufen sollen. Der Herd war sauber, die Pfannen hingen an der Wand, ordentlich aufgereiht. Genug Holz war da, der Tisch war schön, die einzige Investition, die ich von meinem Erlös an der Beute bisher gemacht hatte. Vieles fiel mir nun auf, da ich den Raum betrachtete, einige schöne Dinge, die ich bisher nicht zu schätzen gewusst hatte oder die mir schlicht entgangen waren. Ich merkte, wie ich melancholisch wurde, ich musste mich ablenken.
    Esmara stand auf und klopfte sich ihr Kleid ab, es hatte ein paar Flecken, aber schöne Stickereien waren darauf. „Komm, steh auf, du musst hungrig sein.“, sagte sie mit belegter Stimme und ging zum Herd, nahm eine Pfanne und machte mir ein Ei. Ich liebte es, wie sie das tat. Ohne Zweifel konnte sie das beste Rührei in ganz Khorinis machen. Während das Ei auf dem Herd war nahm sie Brot und ich deckte den Tisch. Das gute an Rührei, abgesehen davon, dass es kein besseres Gericht auf der Welt gab, ist, dass es sehr schnell fertig ist und ebenso schnell verspeist. Nach dem Essen saßen wir beide noch am Herdfeuer, wärmten uns und hielten uns im Arm, jeder hing seinen Gedanken nach und es war gut so, schön. Ich wusste nicht, was Esmara dachte, doch ich wollte es nicht wissen, es würde mich traurig stimmen. Sie lächelte, das war die Hauptsache. Ich dachte an meine Zeiten mit Theobald und natürlich mit Esmara, doch es schmerzte zu sehr, weder zurück, noch nach vorne, so hieß nun die Devise.
    „Holde Maid.“, sagte ich, stand auf und kniete mich vor Esmara, die sehr verdutzt aussah, „Ich habe euch nun den ganzen Abend beobachtet und ich muss sagen, dass ihr Äußeres mich sehr anspricht. Ich habe Angst Euch damit beleidigen zu können, doch ich möchte fragen, ob ich Ihnen einen Kuss geben darf, junge Schönheit.“ Esmara lachte laut auf, ihr Busen wippte auf und nieder dabei. „Oh, wie ich sehe mokiert Ihr Euch über meine Offerte.“, sagte ich nun selbst grinsend, „Ich kann es Euch nicht verdenken, eine Dame Eurer Schönheit hat gewiss schon einen edlen Paladin zum Manne. Wie töricht von mir zu denken ihr wäret noch ungebunden.“ Esmara lag nun auf dem Rücken vor lachen, griff dann aber nach meinem Hemd und gluckste mit übertrieben tiefer Stimme heraus: „Aber nein, edler Herr, ich habe gewiss noch keinen edleren als Euch gesehen.“ Sie neigte ihren Kopf schelmisch hin und her und lächelte dann verschmitzt, „Als denn, ihr dürft mich küssen.“ Ich lächelte.
    Ich lag neben ihr im Bett, sie war warm und dennoch zitterte ich. Sie hatte ihren Arm um meinen Oberkörper gelegt und träumte ruhig. Ich konnte nicht schlafen. Es war zu schön gewesen, die letzten Stunden, doch nun blieb mir nicht mehr als ein paar Minuten, es dämmerte schon, doch wollte ich sie nicht wecken. Ich wollte sie nie wieder wecken. Es war gut gewesen, so schön wie kaum zuvor. Wir hatten uns geliebt, innig, leidenschaftlich, keiner von uns hatte an das gedacht, was vor uns lag. Schließlich war sie, nach langer Zeit, eingeschlafen, ich hatte es versucht, doch ich konnte nicht. Ich zitterte, hatte Gänsehaut, meine Eingeweide schienen sich zusammen zu ziehen, ich wollte nicht weg. Ich küsste sie auf die Stirn, zärtlich. Strich ihr dunkelbraunes Haar zur Seite, fuhr an ihrem Körper entlang, dann legte ich ihren Arm von mir herunter. Das Bett knarrte leise, als ich mich erhob, Esmara schrak hoch. Sie sah mich mit großen Augen an, ich wollte sie schon beruhigen, doch sie fiel zurück in das Kissen und schlief weiter. Ich atmete aus, ich wollte nicht, dass sie mich verabschiedete, es sollte keinen Abschied geben, weder von meiner Seite, noch von ihrer, es war besser so. Mit zittrigen Händen schlüpfte ich in meine Alltagskleidung, band mir die Schuhe zu – was mir schwer fiel, denn immer wieder entglitten sie meinem Griff – und ging in die Küche.
    „Flieh.“, dieses Wort zuckte durch meinen Kopf. „Weck Esmara und flieh.“ Ich sah zur Tür nach draußen, die einzige nach draußen, die Fenster waren klein, „Wir könnten es schaffen.“, sagte ich mir. Doch ich verwarf den Gedanken schnell wieder, wir würden es höchstens bis zu den Stadttoren schaffen. Ich setzte mich auf einen Stuhl, sah durch die Tür zurück auf Esmara, sie schlummerte friedlich, ich stand auf und schloss die Tür leise, ich wollte sie nicht mehr sehen, ich wollte gar nichts mehr wissen oder sehen. Es war nicht zum Aushalten. Als die Tür geöffnet wurde, kribbelten meine Füße, in meiner Bauchgegend zog es und ich fühlte mich unbeschreiblich leer. Ich sah die Milizsoldaten, wie sie mich ansahen, einer nickte mir zu, der andere rief schroff: „Rauskommen, Hundesohn, dein letztes Stündchen hat geschlagen.“ Ich hätte ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen. Im Nachbarzimmer hörte ich, wie Esmara aufsprang, sie kam aus dem Zimmer gerannt, nackt, sie schrie und weinte, sie klammerte sich um mich. Der erste Milizsoldat, ein jüngerer sah sie lüstern an, der andere, der eben noch so geschrieen hatte, stieß sie weg. Esmara schluchzte, prabbelte etwas, ich wollte sie beruhigen, doch ich schaffte es nicht, die Milizsoldaten nahmen mich zwischen sie und zerrten mich nach draußen. Esmara schlug auf den Schreier mit blanken Fäusten ein und ich konnte nichts tun. Ich war so hilflos, zu sehen, wie Esmara sich um die Beine des anderen Milizsoldaten schlang und ihn anflehte mich gehen zu lassen, zu sehen, wie ihre schöne zarte Haut dreckig wurde und sie sich an kleinen Steinen schnitt, all dies tat mehr weh und war schlimmer als meine Angst.
    Dem schreienden Milizsoldaten wurde es nun zuviel, er riss Esmara von seinem Kollegen weg und hob sie hoch. „Machen Sie hier keine Szene. Ihr Freund ist ein Dieb und Mörder! Er wird nun sterben und damit seine gerechte Strafe erhalten.“, er schrie sie an und sie wimmerte immer wieder: „Nein, nein, nein.“, vor sich hin. „Oh doch, und jetzt lassen sie uns unsere Arbeit machen oder wir müssen sie in eine...“, er kam nicht weiter, denn ich war bei ihn gesprungen und hatte ihm eine über gezogen, Esmara stürzte sich in meine Arme. „Kein Wort.“, sagte ich ihr beschwörend, „Lächle.“ und dann mit Nachdruck „Lächle!“ und in diesem Moment wurden wir getrennt, die Milizen nahmen mich unter den Armen und schleiften mich zum Galgenplatz, ich sah, wie Esmara versuchte zu lächeln, doch sie sank wieder zusammen und weinte.
    Am Galgenplatz hatten sich doch schon einige Menschen versammelt und ich wurde auf die Plattform gestellt und meine Hände wurden mir auf den Rücken gebunden. Ich hatte Angst, pure Angst und Panik, sah mich um, doch nur grinsende Fratzen sah ich, Säufer und Neugierige Gaffer. Ein Beamter las vor, was mir vorgeworfen wurde. Ich hörte nicht zu, zitterte am ganzen Leibe, ja ich betete sogar zu Innos und Adanos, sie mögen meiner Seele gnädig sein. Als der Beamte fertig war wurde ich auf eine Falltür gestellt, ein Henker legte mir die Schlinge um den Hals ich erkannte die Augen „Theobald?“, fragte ich ungläubig, „Sieh das als meine Rache für meine Frau.“, sagte er leise, so dass nur ich es hörte. Ein dunkler Sack wurde mir übergestülpt, ich sah nichts mehr, pure Panik und Angst, ich schwitze wie wild, versuchte meine Hände zu befreien. Dann hörte ich etwas, dass mir das Blut in den Adern gefrieren ließ, ein hölzernes Geräusch, wie als ob sich ein Keil löst. Ich war ruhig, zitterte nicht mehr, alle Angst war dahin. Das war es gewesen. Mein Genick brach, ich lächelte, es war gut, es war vorbei.

    Esmara legte die Feder beiseite und blickte auf die letzten drei einhalb Seiten des Pergaments. Sie wischte die Tränen ab und stand auf. Sie legte die Pergamente in ihr kleines Schmuckkästchen. „So war es geschehen, so hatte er gedacht, so muss es gewesen sein.“, sagte sie sich, doch sie wusste, dass sie unrecht hatte, ihr Freund hatte den letzten Abend in der Küche verbracht und sich betrunken vor Angst. Doch war es so nicht besser. Sie schluckte. Doch, so war es besser, jeder der sie fragen würde, was geschehen war, der würde sie diese Geschichte zeigen. Sie wollte nicht, dass sein Antlitz beschmutzt wurde, er hatte seine Fehler gehabt, doch sie hatte ihn geliebt. Und er sie. Nur das vielleicht nicht die ganze Geschichte wahr war, doch wen interessierte es? So war sie viel spannender, viel besser, schöner und man konnte Esmaras Schmerz viel besser nachfühlen, darum ging es.

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    Kleiner als drei  Avatar von Lady Xrystal
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    Lady Xrystal ist offline
    Nein. Einfach nein.
    Geändert von Lady Xrystal (28.08.2022 um 00:02 Uhr)

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    Drachentöter Avatar von Eddie
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    Eddie ist offline
    Aus dem Nichts…

    Nichtsnutz, Tagelöhner, Taugenichts…
    Diese, und noch einige andere Wörter riefen sie ihm nun schon seit Monaten hinterher. Zu Recht? Er konnte es nicht sagen. Hatte er sich verändert? War er seit jenem Abend anders? Seit jenem Abend, an dem…
    Er konnte nicht darüber nachdenken, würde es doch alles wieder aufwühlen. Alles, was er unter großer Mühe versucht hatte, in den Griff zu bekommen. Alles würde wieder von vorn beginnen. Der Schmerz in seiner Brust, das stechende Klopfen seines Herzens, das mit jedem Schlag eine spitze Nadel in seine Haut und sein Fleisch zu treiben schien. Die scheinbar ewig langen Nächte, die er statt einem erholsamen Schlaf damit verbrachte, mit geöffneten Augen und verwirrten Gedanken einfach nur dazuliegen, nichts zu tun, weder Erholung noch Ruhe findend einfach die Decke seines Zimmers anzustarren und dabei nachzudenken, wie es war…
    Nein, das wollte er nicht, nicht jetzt, wo er doch gerade auf dem Weg der Besserung war, nicht jetzt, da er ihn gerade überwunden hatte, den Schmerz, nicht jetzt, wo er die Pein hinter sich gebracht hatte, nicht jetzt, wo er doch endlich gelernt hatte, das Verlangen in den Griff zu bekommen, damit umzugehen und es zu kontrollieren…

    „Habe ich mich verändert?“ Sein Gedächtnis griff die Frage erneut auf, versuchte Lösungen dafür zu finden. Wie jeher ging er seiner Arbeit nach, half dem Tischler bei seinen Arbeiten und fertigte nebenher auch schon ein paar einfache Sachen selbst an. Muster für Tischbeine, kleine, zierliche Rosen, das war sein Fachgebiet, darin war er gut, konnte sich austoben.
    Doch hatte Thorben deswegen nicht vor kurzem erst eine Beschwerde von einem unzufriedenen Kunden bekommen, dem die häufigen Unregelmäßigkeiten in den filigranen Rosen einfach nicht gefallen hatten. Es erinnere ihn zu sehr an seine verstorbene Frau, meinte der besser betuchte aus dem oberen Viertel.
    „Dumme Ausrede!“ zog Thorben über seinen Kunden her, als dieser sich wieder hinter die schützenden Mauern des Nobelviertels verzogen hatte. „Der wollte nur nicht bezahlen!“ Mit prüfendem Blick verfolgte er die Muster, welche die feine Rose auf dem Tischbein verfolgte. „Da hast du dir wirklich ein paar grobe Schnitzer erlaubt! Was ist denn mit dir los? Früher war das doch anders!“
    „Was war eigentlich mit mir los?“ Eine gute Frage, die er sich selbst nicht beantworten konnte. Er glaubte sich daran zu erinnern, damals ein leichtfertiges „Nichts!“ gemurmelt zu haben, um diese elende Fragerei zu unterbinden, die all das, was ihm zugestoßen war, auch nicht unbedingt leichter machte.
    „Warum musste es so kommen? Hätte es anders laufen können? Was hab ich mir vorzuwerfen?“ unentwegt stellte er sich diese Fragen, die Gewissheit im Hinterkopf bereithaltend, wieder keine Antwort darauf zu finden, wieder…

    Er konnte nicht! Es ging nicht! Er konnte nicht mehr darüber nachdenken!
    Mühsam stemmte er seine Ellbogen auf den Tisch, hielt seine Handflächen nach oben und ließ den schweren Kopf darauf fallen. Wäre er allein und an einem ruhigen Ort, so hätte er den drängenden Strom der Tränen wohl nicht zurückhalten können. Er hätte es auch gar nicht gewollt, wozu? Niemand hätte ihn dabei beobachten können, wie er allein im Bett lag und der Vergangenheit nachtrauerte, die für ihn so neu und schön und aufregend war, wie er es vorher in seinem Leben noch nie gespürt und erlebt hatte. Gern verwendete er jene drei kurzen, zugleich aber auch ausdrucksstarken Worte, die auch sie damals zur Hand nahm, um jene Zeit zu beschreiben, die sie zusammen verbracht haben, um jenem Glücksgefühl Ausdruck zu verleihen, dass damals völlig unerwartet über sie hereinbrach.
    Doch hier konnte er nicht weinen, hier war er unter Leuten, unter Gesellschaft, die es ihm verübeln würde, wenn er mit Tränen in den Augen aufstünde, um sich ein neues Bier oder einen Wacholder zu genehmigen. Schließlich passte es ja nicht in das Idealbild der Gesellschaft, dass man plötzlich, inmitten dieser fröhlichen Menschenmasse, begann zu weinen, es schickte sich nicht, das wusste er, alle würden es ihm übel nehmen. Doch verspürte er auch gar kein Bedürfnis zu weinen, obwohl die Sehnsucht, jenes Gefühl, dass er in der letzten Zeit mit beinahe schon militanter Gewalt versuchte zu unterdrücken, nun erneut in ihm aufflammte. Nun, wo er die Erinnerung wieder in seinem Gedächtnis und ihr Bild klar vor dem inneren Auge hatte, ihr bezauberndes Lächeln und ihre zärtliche Art ihn wie ein warmer Schleier umschmeichelten und ihre weichen Lippen scheinbar wie damals die seinigen berührten, sanft, vorsichtig und zurückhaltend, aber gleichzeitig voller Leidenschaft und Verlangen.
    Eine Nadel stach ihm in die Brust, von innen, etwa dort, wo sich sein Herz befunden haben muss, bevor sie es stahl, kaltblütig, ohne Erbarmen, scheinbar ohne Rücksicht. Für sie war es dadurch scheinbar erledigt, für ihn jedoch noch nicht, noch lange nicht…

    „2 Bier!“ bestellte er beim Wirt, gab sich keinerlei Mühe, die trostlose, monotone Stimme zu verstellen, als sich plötzlich eine Tür im hinteren Bereich der Taverne, „Zur Toten Harpie“ wurde sie von den Inselbewohnern genannt, öffnete und vier Musiker auf die provisorische Bühne traten. Mit Lauten, Geigen und sogar einem großen Baß ausgerüstet, nahmen sie ihre Plätze ein und sprachen ein paar einleitende Worte.
    „Ich begrüße euch alle hier!“ dem Dialekt des Sängers konnte man klar entnehmen, dass er von weiter weg kommen musste, doch spielte das überhaupt eine Rolle, spielte zurzeit überhaupt irgendetwas eine Rolle? Betrübt, ohne es sich direkt anmerken zu lassen, ließ er sich gegenüber von seinem Freund nieder und schüttete das malzige Getränk in sich hinein. Dessen Versuche, ihn durch fröhliche Worte oder Gesten aufzumuntern, nahm er nur am Rande wahr und reagierte dementsprechend nur mit einem kurzen Lächeln und einer beiläufigen Bemerkung.
    „Die Barden“ wie sich die Künstlergruppe auf der Bühne nannte, ob treffend oder nicht, sei dahingestellt, hatten sich ein wenig eingespielt und wollten gerade anfangen, als er aufstand, um sich das nächste Bier zu holen, damit es anschließend seine Kehle hinunterfließen konnte und hoffentlich nicht nur das brennende Durstgefühl verschwinden ließ.
    Er blieb stehen, regungslos, wie ein Golem, der plötzlich seiner magischen Energie beraubt wurde und in sich zusammenfiel. Etwas ähnliches passierte mit seinen Gedanken, als er die melodischen Klänge der Lauten und Geigen in seinem Ohr vernahm, die gelegentlichen Untermalungen des Basses, welche jedes mal aufs neue ein sanftes, jedoch aufregendes Kribbeln in seinem Körper auslösten.
    Wie von selbst, ohne es wirklich zu wollen, drehte er sich um, als der Sänger begann, die ersten Worte erklingen zu lassen und seine rauchige, jedoch kräftige und klare Stimme den Raum erfüllte. Die Menschen, erzählten sie erst noch ausgiebig miteinander, verstummten zunehmend und verfielen einem Zustand, schlafähnlich, mit offenen Augen und dennoch aufmerksam wie ein Jackal bei der Jagd.
    Die Faszination darüber, was die Musik alles bewirken konnte, schoss in ihm nach oben, ließ ihn sogar ein wenig frösteln, als ein eiskalter Schauer seinen Rücken hinunterlief und verdrängte alles, was sich bislang in seinem Kopf befand, lose umherirrend, ohne Zugehörigkeit, ohne Ziel. Er war befreit, Kummer und Seelenweh konnte er ablegen, ob nur für diesen Moment, oder für alle Ewigkeit, wusste er nicht. Doch er lächelte, ehrlich, nicht gestellt, hatte er doch endlich gefunden, wonach er suchte. „Meine erste große Liebe, gleichzeitig auch meine größte! So war es und so soll es bleiben!“ wisperte er leise. Von diesem Moment an wusste er:
    Musik war nicht schön, sie war befreiend…

    „Geschrieben von mir,
    inspiriert durch Musik (wie übrigens fast alles von mir)
    und gedacht für alle, die sich damit identifizieren können!“
    Geändert von Laidoridas (23.08.2008 um 16:30 Uhr) Grund: Sig aus! ;)

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    Deus Avatar von John Irenicus
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    „Die Zeit ist um. Bis zum nächsten Mal.“
    Nadja sprach mit ungewöhnlich ruhiger Stimme, fast schon zärtlich wies sie ihren Kunden aus dem Zimmer hinaus, der sich sogleich stumm erhob und den Raum ohne Umschweife verließ.
    Sie lauschte noch einen Moment lang seinen Schritten, die hölzerne Treppe, die das Erdgeschoss mit dem ersten Stock verband, gab knarrende Geräusche von sich.
    Wieder einmal war er weg, wieder einmal war ihr Treffen so verlaufen, wie jedes andere zuvor. Bis auf einen Unterschied. Es gab einen Umstand, der diese Begegnung doch zu einer besonderen gemacht hatte, die Monotonie durchbrach. Heute, so schien es, hatte er gelächelt. Zum ersten Mal gelächelt. Oder zumindest glaubte Nadja das, doch für sie machte es keinen Unterschied. Sie hatte gesehen, wie sich seine Mundwinkel geregt hatten, wie er eine Emotion gezeigt hatte, nur kurz, aber das Lächeln war da gewesen. Sie wusste es. Sie war sich sicher, egal, was die anderen sagen würden. Sollten sie doch nur lachen.
    Zuerst hatten sie alle es ignoriert, dann hatten sie darüber gelacht. Mittlerweile stellten sie ihre Abneigung offen zur Schau. Doch Nadja wusste, irgendwann würde sie die sein, die lachte, wenn sie ein ordentliches Leben führte, gemeinsam mit einem Mann, der sie nicht auf ihr Äußeres reduzierte.
    Sie erinnerte sich an das erste Treffen.


    Ein ruhiger Arbeitstag. Zu ruhig. Bromor wurde schon ein wenig wütend, da es bis auf ein paar vereinzelte Seeleute kaum Männer in die Rote Laterne getrieben hatte. Wie bei so einer Kundenflaute üblich war er schlecht gelaunt und stützte sich auf den alten Tresen auf, während er sich öfter ein wenig drüber lehnte, um aus der Tür nach draußen zu schauen. Nadja tat es ihm gleich. Draußen regnete es in Strömen, der Regen war so dicht, dass er keine große Blickweite zuließ, der Himmel war finster, und der Wind peitschte das Wasser durch die Gassen.
    War es das Mistwetter, was die Männer in ihren Häusern hielt? Oder sollte es nicht eher eben dieses Mistwetter sein, was die Reisenden in eine gute Stube wie diese drängen ließ? Mit der Hoffnung auf ein wenig Wärme und Entspannung?
    Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass es Bromor nicht passte, wie er überdeutlich klarmachte.
    „Verdammt“, grummelte er, und ließ seine große, zur Faust geballte Hand mit einem Knall auf die schäbige Holztheke niedersausen, „wenn jetzt den ganzen Tag lang nichts mehr passiert, raste ich noch aus... es kann doch nicht sein, dass sich nicht ein einsamer Zeitgenosse findet, um für ein wenig Geld ein wenig Liebe zu bekommen.“
    Er wandte sich Nadja zu, und musterte sie mit zuckenden Mundwinkeln. Sie hasste es, wenn er das tat. Es war ekelerregend.
    „Warum ist keiner hier?“, blaffte er sie grundlos an, „mindert Sumpfkraut neuerdings die Manneskraft, oder was?“
    Nadja zuckte mit den Schultern, und hoffte, dass Bromor sie daraufhin in Ruhe lassen würde. Er starrte durch den Raum und schwenkte seinen Blick durch die Runde.
    Sonja war in dem großen Sessel versunken und ließ den Kopf gelangweilt hängen, Vanja machte sich kopfschüttelnd auf nach oben zu den Zimmern und Borka rauchte unbeeindruckt seinen Stengel weiter. Sie alle waren die Launen ihres Chefs gewohnt, und so war es auch dieses Mal nicht überraschend, dass er mit denen Konversation zu betreiben versuchte, die er doch sonst nur zu seinem eigenen Vorteil auf ihre Körper reduzierte – Und war es in Borkas Fall nur sein kräftiger Körperbau, der ihn für den Beruf des Türstehers geradezu prädestinierte.
    Nicht, dass Nadja oder die anderen Freudenmädchen es in Sachen Verpflegung und Zimmern je schlecht gehabt hätten, doch dieser Mann dort hinter der Theke war einfach furchtbar. Der furchtbarste Mann, den Nadja kannte. Und nicht kennen wollte.
    Doch sie kannte ihn, viel zu gut, und ebenso kannte sie das, was nun passierte. Aus dem wütenden Griesgram wurde plötzlich ein freundlicher Geschäftsmann, als endlich eine Gestalt die Schwelle zu seinem Etablissement überquerte, nach kurzer Überprüfung seitens Borka.
    „Einen wunderschönen guten Tag, der Herr“, säuselte Bromor, während der Angesprochene unbeeindruckt seinen klatschnassen, braunen Mantel an die Garderobe rechts neben der Tür hing.
    Es war ein anscheinend noch junger Bursche, sein seltsam plattes, helles Gesicht war an der Oberlippe mit einem feinen Flaum bedeckt, der ebenso blond schimmerte wie seine kurzen Haare. Sein Gesicht zeigte eine steinerne, ausdruckslose Miene, geformt durch seine schmalen, blassen Lippen und seine beinahe steifen Mundwinkel.
    Nadja befand ihn für geistig nicht ganz beisammen, sie hatte schon viele Menschen gesehen, und dieser starre Blick war für sie ein eindeutiges Anzeichen dafür.
    Das Ungelenke Ablegen eines gefüllten Lederbeutels, begleitet von einem vollen Klimpern, noch bevor Bromor höflichst nach den Wünschen des Kunden fragen konnte, bestätigte Nadjas Vermutung nur. Wenn sie Pech hatte, würde der ruhige Arbeitstag nun nicht mehr so ruhig sein. Andererseits...
    Sie fiel buchstäblich aus ihren Gedanken, als sie bemerkte, dass sich eine seltsame Stille ausgebreitet hatte, die erst Bromor nach einiger Zeit unterbrach.
    „Ja, nun, was denn?“, fragte er ein wenig verwirrt vom Verhalten des Besuchers, „welche willst du?“
    Langsam und ein wenig unbeholfen, jedoch immer noch ohne eine Emotion zu zeigen, drehte sich der junge Mann zu den beiden anwesenden Frauen um.
    „Vanja!“, keifte Bromor, „komm ran hier! Es gibt Kundschaft!“
    Sonja schreckte aus ihrem Sessel hoch, und auch die anderen waren vom plötzlichen Geschrei Bromors überrascht worden, doch auch hier zeigte der Kunde keine Spur einer Reaktion. Stattdessen starrte er immer noch auf die Frauen, während Vanja langsam die Treppe hinabstieg, und sich zu den anderen begab.
    Als sie die genannte Kundschaft erblickte, lachte sie auf und sagte für alle hörbar: „Was ist denn das für einer?“
    „Hey!“, brüllte Bromor, und schlug abermals mit der Faust auf den Tresen, „du redest, wenn ich es dir erlaube, und überhaupt, wenn du daran Schuld bist, dass die gerade eingetroffene Kundschaft wieder verschwindet, dann Gnade dir Gott.“
    Vanja gab sich gänzlich unbeeindruckt, doch Nadja wusste viel besser, was in ihr vorging. Es war erniedrigend, doch immerhin hatte sie hier eine Arbeit. Und Arbeit war in diesen Zeiten wichtig wie das Essen und Trinken, was man sich davon kaufte.
    „Es tut mir aufrichtig leid, mein Herr“, entschuldigte sich Bromor an den Burschen gewandt, und biederte sich so sehr an, wie es Nadja noch nie zuvor beobachtet hatte. Anscheinend hatte der Bordellbesitzer ein wenig Angst, heute gar nichts mehr zu verdienen, doch darüber dachte das Freudenmädchen gar nicht weiter nach, denn noch während der gestammelten Versöhnungsworte hatte der Kunde bereits seinen Blick fixiert und seine Hand langsam erhoben, um direkt auf sie zu zeigen.
    „Ah, du willst also Nadja! Eine gute Wahl!“, schleimte Bromor, während Nadja seufzend mit ein wenig sanfter Gewalt ihren Arm in den des fremden Mannes einhakte, der, wie sie offenbar richtig erkannte hatte, ein wenig geführt werden musste. Was wollte so einer überhaupt hier? Wusste er überhaupt, wo er war? Und wo hatte er das ganze Geld her?
    Fragen über Fragen durchstreiften Nadjas Gedanken, während sie den Burschen mit sich die Treppe hinauf zog.
    Er ließ sich einfach führen, in seinem stillen, ruhigen Wesen, bis hin in das Zimmer des Freudenmädchens, welche die Türe hinter sich abschloss. Schließlich hatte es wohl niemand gerne, beim Empfangen der Dienstleistung gestört zu werden. Wobei – ein paar Perverse gab es immer, und Nadja begann sich ernsthaft zu fragen, was denn ihr sonderlicher Kunde für Vorlieben hatte, wo er doch offensichtlich nicht ganz normal war.
    „Wie hast du es denn am Liebsten, mein Süßer?“, fragte sie mit sanfter Stimme.
    Ihr Gegenüber starrte sie ausdruckslos wie eh und je an, die Hände unbeholfen in den Hosentaschen, was den Augen Nadjas nicht entging.
    „Spielst du schon einmal ein wenig rum, oder was machst du da?“, hauchte sie zärtlich, doch ihr Kunde zeigte immer noch keine Reaktion. Nadja war relativ erfahren und sah mit einen Blick an die betreffende Stelle, dass sich dort nichts regte – Bis auf den Mann und sein Verhalten an sich war überhaupt nichts steif.
    Nadja seufzte, es war genauso, als würde sie dem schiefen Regalbrett an der Wand anzügliche Angebote machen, eine Antwort blieb aus.
    „Du musst dich schon äußern, wenn du was willst. Schließlich hast du für die Zeit mit mir bezahlt.“
    Der seltsame, junge Mann verzog nicht einmal die Mundwinkel, sondern sah Nadja direkt in die Augen, störte sich gar nicht daran, was sie sagte, es schien, als würde er das, was sie sagte, ausblenden.
    Nadja wusste natürlich nicht genau, wie es um die Denkfähigkeit des Mannes stand, doch sie glaubte nicht mehr, dass das Ganze zu etwas führen würde, setzte sich aufs Bett, starrte zurück, und entdeckte dabei etwas an ihm, was ihr vorher seltsamerweise gar nicht aufgefallen war.
    Seine beiden Augen waren von jeweils verschiedener Farbe, was Nadja schon mehr als genug erstaunte, und ihr einen ungewohnten Anblick bescherte, so etwas hatte sie noch nie zuvor gesehen.
    Das eine Auge war grün, selten hatte sie so eine eigenartige Färbung der Iris gesehen. Es war kein gedämpftes oder von einer anderen Farbe getrübtes Grün, vielmehr erinnerte sie es an die satte Farbe von Wiesen im Sonnenschein, wie sie im Umland häufig zu betrachten waren. Ihre Gedanken schweiften ab zu Bildern der freien, unberührten Natur, ebenso schweifte ihr Blick von diesem Auge ab, und wanderte erwartungsvoll zum nächsten.
    Als ihren eigenen, ihr fast unwürdig erscheinenden, schlicht braunen Augen in sein linkes Auge sahen, fühlte sie sich wie in die Tiefen des Meeres gesogen, sanft, aber unaufhaltsam. Das Blau war außergewöhnlich tief und klar, wie der weite Ozean und versetzte sie ebenso in Gedankenwelten wie sein anderes, grünes Auge.
    „Deine Augen sind atemberaubend schön.“
    Nadja erschrak vor sich selbst und schüttelte ihren Kopf, als die Worte verklungen waren. Ihr Gegenüber starrte sie unverändert an, weshalb sie sich zu fragen begann, ob sie wirklich gesagt hatte, was sie dachte.
    Sie, ein Freudenmädchen, eine Hure, betrachtete die Augen eines Freiers und verlor sich vollkommen darin. Sie konnte ihre Angst dabei nicht beschreiben, doch sie wusste, was hier passierte, war falsch. Dennoch konnte sie ihren Blick nicht von diesem seltsamen, jungen Mann abwenden. Sie war sich nicht einmal mehr sicher, ob sie das wollte.
    Die restliche Zeit starrten sich die beiden schweigsam an, und als Nadja sah, dass der Sand in der Sanduhr, die sie stets aufzustellen pflegte, durchgelaufen war, sagte sie: „Die Zeit ist um.“
    Der Bursche stand unmittelbar nach dem Hinweis auf, und verließ rasch den Raum.
    Nadja lauschte seinen Schritten lange nach, bis sie verklangen. Diese seltsame Begegnung hatte sie nachdenklich gemacht, doch sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als erneut Schritte ertönten. Kam er etwa wieder?
    „Und?“, fragte eine Frauenstimme, und einen Moment später betraten Sonja und Vanja den Raum.
    „Wie war er?“, kicherte Sonja, zu der die Stimme von vorher gehörte.
    „Er hat gar nichts gesagt“, antwortete Nadja wahrheitsgemäß, und hasste ihre Kolleginnen in diesem Moment für ihre Neugier. Sie wollte nichts als ihre Ruhe haben, um nachzudenken.
    „Hat er nicht einmal gestöhnt?“, fragte Vanja, und ahmte mehr schlecht als recht das Geräusch eines vergnügten Mannes nach.
    „Ach, hör doch auf“, wies Nadja sie zurecht, „er saß einfach nur da, und hat mich angestarrt, bis die Zeit um war. Mehr nicht.“
    „Wie jetzt?“, fragte Sonja erstaunt und fuhr sich durchs schwarze Haar, „er hat dafür bezahlt, um dich anzustarren?“
    „Naja“, begann Nadja, wurde aber prompt von Vanja unterbrochen.
    „Sicher wieder so ein richtig Perverser“, meinte sie mit deutlicher Abneigung in der Stimme, „zu Hause geht’s dann sicher richtig ab bei ihm. Bin froh, dass du auch mal so seltsame Kerle abbekommst, Nadja. Sonst kriegst du ja immer die erträglicheren Typen...“
    „Vergiss Hagbard nicht“, mahnte Sonja die verbitterte Vanja.
    „Erwähne diesen Namen nicht, ich hasse den Kerl“, bat Nadja, und ein kurze Phase des Schweigens trat ein.
    „Ob er eine Frau hat?“, fragte Nadja schließlich.
    „Wer, Hagbard?“, erwiderte Vanja, „Na klar, das ist doch die... na, wie heißt sie noch gleich... ist ja auch egal, jedenfalls die, die er ständig verprügelt und...“ - „Nein“, unterbrach Nadja sie, „nicht Hagbard. Hör mir auf mit Hagbard. Ich meinte den, der gerade hier war. Mit den schönen Augen.“
    Den letzten Satz hatte Nadja leise in sich hinein gemurmelt, fast schon geflüstert, sie wollte ihn nicht sagen, aber er kam einfach aus ihr heraus. Anscheinend aber hatten es die beiden nicht gehört, Vanja war jedoch so schon empört genug.
    „Ob er eine Frau hat, so einer?“, bemerkte sie abwertend, „der ist doch behindert oder so, hast du das nicht gesehen?“
    „Wieso willst du das überhaupt wissen, willst du ihn heiraten, oder was?“, kicherte Sonja.
    Noch bevor Nadja eine Antwort auf die Frage geben konnte, unterbrach derjenige, den sie nun am allerwenigsten sehen wollte, die Unterhaltung.
    „Tut mir Leid, stören zu müssen“, tönte eine raue, unangenehme Stimme, „aber mein kleiner Freund hier braucht Ausgang.“
    Er fasste sich kurz in den Schritt, und kratzte sich dann mit der selben Hand den nahezu kahlen Kopf. Seine fetten Arme hatte er in seine gut gepolsterten Hüften unter den Bierbauch gestemmt, während er die drei Angestellten der Roten Laterne lüstern angrinste.
    Als Nadja wieder einmal die paar schiefen, gelben Zähne, die Hagbard noch hatte, sehen musste, wurde ihr schon schlecht, doch als er dann noch seinen Arm um ihre Hüfte legte und sie zu sich ranzog, wurde es fast zu viel.
    „Es ist zwar schade, Mädels“, meinte er mit gespieltem Bedauern, während Nadja nur entsetzt darauf wartete, dass ihm jedem Moment der Sabber aus beiden Mundwinkeln lief, „aber da ich leider nicht genug Geld für euch alle habe, kommt nur das beste Pferdchen aus dem Stall dran.“
    Er ließ seinen Arm ein wenig sinken und griff rücksichtslos wie ein Schraubstock in Nadjas wohlgeformtes Hinterteil.
    „Wird Zeit, dass du mal wieder von einem echten Kerl durchgenommen wirst, hab ich Recht?“, fragte Hagbard, erwartete jedoch keine Antwort, sondern riss Nadja unsanft ins Zimmer und schubste sie aufs Bett.
    Warum musste es wieder passieren, warum war er wiedergekommen? Nadja stellte sich Fragen, doch es hatte keinen Zweck. So oft hatte sie ihn ertragen müssen, und jetzt war es wieder Zeit. Als Hagbard sich mit seinem immensen Übergewicht auf sie kniete und an seiner Hose herumnestelte, schloss sie die Augen, und hoffte, dass es schnell vorbei sein würde. Sie spürte seinen ekelhaften Atem und roch seinen widerlichen Mundgeruch, als er sich zu ihr herunterbeugte...

    Nein!
    Nadja schlug die Augen auf, und die Bilder der Erinnerungen schwanden langsam. Weiter brauchte sie sich nicht zu erinnern, an die Begegnung mit Hagbard an diesen Tag wollte sie sich nicht erinnern. Er war wie eine hässliche, stinkende Pestbeule an einer wunderschönen Erinnerung.
    Der Tag, an dem sie zum ersten Mal in diese Augen geblickt hatte. Das satte Grün und das tiefe Blau, Farben, die so viel Glück versprachen.
    Er war immer wieder gekommen, fast jeden Tag. Sie wusste nicht, woher er das Geld hatte, sie wusste nicht, was er empfand, doch sie wusste, was sie empfand. Sie hatte sich in ihn verliebt, in den jungen Fremden mit dem platten Gesicht und der Stummheit. Jedes Mal taten sie das gleiche, sie setzten sich auf dem Boden gegenüber, und sahen sich an.
    Bromor war selbstverständlich erfreut über so einen festen Kunden, der auch noch, wie er zu sagen pflegte, „seine beste Einnahmequelle nicht grob überbeanspruchte.“
    Waren es völlig unterschiedliche Ansätze, so verstand Nadja doch, was Bromor meinte, und konnte eingeschränkt zustimmen. Niemals hatte sie erlebt, dass jemand dafür bezahlte, nur um sie anzusehen, und nicht etwa, um rücksichtslos und stumpf die eigenen Triebe zu befriedigen, die blanke Fleischeslust zu stillen.
    Eine Zärtlichkeit ging von ihm aus, die sie noch nie erlebt hatte, und die innere Leere, die sich über die Jahre in ihr ausgebreitet hatte, stagnierte, und wurde schließlich gefüllt. Sie war nicht mehr das seelenlose Sexobjekt, die für jeden nur herhalten sollte. Es gab jemanden, der ernsthaftes Interesse an ihr hatte.
    Vielleicht war er ein seltsamer Mann, vielleicht war er geistig behindert, vielleicht würde er nie wirkliche Emotionen zeigen, doch sie spürte, wie er ihre Gegenwart genoss. Das gemeinsame Sitzen auf dem Boden, wie sie sich gegenseitig musterten.
    Und heute, heute hatte er gelächelt. Er musste es getan haben, er hatte es geschafft, einen Funken Zuneigung zu zeigen, genau wie sie mit der Zeit wieder gelernt hatte, zu lieben.
    Von Wärme erfüllt ließ sie sich auf ihr Bett sinken. Vielleicht, so dachte sie, vielleicht würden sie irgendwann einmal zusammen leben, und dann brauchte sie nicht mehr in diesem furchtbaren Haus arbeiten...


    Sie schätzte es Vormittag, als sie aus ihrem tiefen Schlaf aufwachte, und brauchte eine Weile, um zu erkennen, weshalb. Eine große Hand traktierte ihre Brust, und als sie sah, wem sie gehörte, konnte sie sich nicht mehr zusammenreißen, denn der Gestank nach altem Scheiß tat sein Übriges.
    Ein angewiderter Schrei, und Hagbards Gesicht war voll mit Nadjas Mageninhalt, den sie in einem schweren Anflug von Übelkeit ausgestoßen hatte.
    „Du Schlampe!“, brüllte er, und wischte sich am Bettlaken das Gesicht ab. Nadja war aufgestanden und wollte gehen. Sie wollte einfach nur noch gehen, raus hier, weg von hier. Weg von Hagbard.
    „Hiergeblieben!“, blaffte er sie an, und ergriff ihren linken Arm. Nadja versuchte verzweifelt, sich aus der Umklammerung zu befreien, doch es gelang ihr nicht.
    „Du hast eine Chance, das wieder gut zu machen...“, säuselte er und leckte sich mit seiner belegten Zunge über die Lippen.
    Er ließ Nadja los, öffnete seine Hose und ließ sie zu Boden fallen. Nadja sah weg, sie wollte ganz bestimmt nicht sehen, was Hagbard ihr da präsentieren wollte.
    „Er ist immer noch ein Prachtstück“, wisperte Hagbard erregt und streichelte sich vergnügt.
    „Es reicht“, sagte Nadja mit kaltem Abscheu in der Stimme, und fischte einen kleinen Dolch aus den Tiefen ihres Kleids, den sie immer bei sich trug.
    „Weg damit!“, keifte Hagbard, und zog rasch seine Hose wieder hoch, da er anscheinend Angst um sein bestes Stück hatte.
    Und das sollte er auch, so dachte Nadja, das sollte er auch. Jetzt wollte sie alles beenden, ihm alles heimzahlen, was er ihr angetan hatte. Er würde leiden... leiden und schließlich sterben.
    Sie erhob den Dolch und rannte blitzschnell auf Hagbard zu, doch sie hatte die Schnelligkeit des übergewichtigen Mannes unterschätzt.
    Geistesgegenwärtig war er einen Schritt zur Seite getreten und hatte Nadja einen Fausthieb in die Magengrube verpasst, und als die vorher noch so entschlossene Freudendame seine Hände an ihrem Hals zudrücken spürte, wusste sie, dass sie einen Fehler begangen und verloren hatte.


    Schweigsam, jedoch nicht minder wachsam war er mit einem Strauß Blumen durch das Hafenviertel gelaufen, als er die Männer in den roten Rüstungen dort erblickte, wo er oft eingekehrt war, und auch dieses Mal einkehren wollte. Dieses Mal sollte es jedoch anders werden, perfekt.
    Doch es wurde nur anders.
    Da der Türsteher, Borka hieß er, wie er erfahren hatte, immer noch vor der Tür des Bordells stand, wusste er, dass es sich nicht um eine normale Razzia handeln konnte, und er ahnte Schlimmes.
    Er ließ die Blumen, Rosen waren es, achtlos fallen, und bewegte sich zügigen Schrittes an den Milizen vorbei ins Gebäude, belauschte die Gespräche entgegen seines ansonsten aufmerksamen Verhaltens nur sporadisch, denn als er sah, dass alle außer eine versammelt waren, wusste er was passiert war.
    Mit schlagendem Herzen und Schweißperlen, die ihm durchs Gesicht liefen, rannte der ansonsten so ruhige Mann die Treppe zu den Zimmern hoch, und sah das, was er eigentlich nicht hätte sehen brauchen. Was er nicht hatte sehen wollen, aber doch sehen wollte.
    Mit aufgerissenen Augen lag sie dort auf dem Bett, reglos, leblos, neben ihr eine Art Arzt, der nichts mehr weiter tun musste, als den Tod zu bescheinigen. Eine verklärte, ins Absurde verdrehte Schönheit stellten die braunen Augen dar, die wie wunderbare Kastanien an einem zierlichen, wohlgeformten Baum wirkten. Er erinnerte sich an das erste Mal noch genauso gut wie an das letzte Mal, als ihn die schönsten Augen dieser Welt gemustert hatten, wie sehr hatte er es genossen, wie sehr hatte er ihre Nähe genossen. Keine andere Frau hatte vermocht, seine innere Leere so zu füllen, sein kaputtes Herz zu heilen.
    Und nun war es aus.
    Er fasste sich an den Kopf, er wollte es nicht glauben, doch vor den Tatsachen konnte er nicht weglaufen. Der Arzt schien ihm eine Frage gestellt zu haben, doch er hatte nicht zugehört, auch die Rufe von unten, was er denn hier mache, waren wie verschwommen.
    Er hatte nur einen Namen gehört, und genau dieser Name schien sich in den in Entsetzen aufgerissenen Augen Nadjas widerzuspiegeln. Er kannte diese Augen, und er kannte ihre Sprache, genauso wie sie die Sprache der seinigen verstanden hatten.
    Hagbard.
    Der Name hallte in seinen Gedanken wieder und übertönte endgültig die Stimmen der Milizen, die auf ihn einredeten, als er aus der Roten Laterne an Borka vorbei herausstürmte, und die kalte, salzige Luft des Hafens in Empfang nahm.
    Er wusste, wo Hagbard wohnte, sein Haus befand sich direkt neben dem des Fischhändlers Halvor.
    Aus Gesprächen und Beobachtungen hatte er es erfahren, und er wusste um Nadjas Problem mit diesem Freier.
    Er war sich auch im Klaren, dass ihn viele für einen geistig Gestörten, einen Behinderten, oder Schwachsinnigen hielten, doch genauso war ihm klar, dass er dies nicht wahr. Ereignisse in der Vergangenheit hatten sein Herz zerspringen und seine Stimme verstummen lassen, doch sein Verstand war scharf geblieben, ebenso wie seine Ohren. Er war sich seiner Umwelt bewusst wie kein Zweiter, und zur Vollkommenheit hatte nur noch gefehlt, jemanden zu haben, der ihn liebt. Eine Person, die er in Nadja gefunden hatte. Doch nun müsste er sein ganzes Leben lang so fristen wie bisher, er spürte förmlich, wie sich die letzten Teile seines Herzens schwarz färbten und abstarben, abfielen, auseinanderbrachen.
    Er spürte einen letzten Stich, grausam und schmerzhaft, so, wie Hagbard ihn nun auch erleiden sollte.
    Im raschen Tempo passierte er eine Gruppe Bürger des Hafens, und zog einem Mann geschickt im Vorbeigehen den Degen vom Gürtel. Entschlossen wie er war, konnte ihn keiner aufhalten, und es war ihm auch egal, welche Konsequenzen seine Taten haben würden.
    Nach wenigen Augenblicken war er am schäbigen Haus Hagbards angekommen, und klopfte dreimal mit der Faust gegen die Tür.
    Sein grünes und sein blaues Auge musterten das heruntergekommene Holz des Eingangs konzentriert, und als sich die Tür endlich knarzend öffnete, erhob er den Degen voller kaltem Hass und Rache, und dachte bevor er zustach noch ein letztes Mal an sie, Nadja.
    Geändert von John Irenicus (06.09.2008 um 17:28 Uhr)

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