[John Irenicus]

"Wie bitte, was sagt ihr?", kreischte Vatras über den Fahrtlärm hinweg, nur um kurz danach einen Schrei des Entsetzens loszulassen.
Der Wassermagier war nun vollkommen vom Pferd abgerutscht und lief für einen Bruchteil einer Sekunde Gefahr, unter die Kutsche zu geraten, doch Hacki, ganz der sympathische, souveräne Fahrer der Quizkutsche, kannte sein Fahrzeug genau, und konnte gerade noch abbremsen. Dabei wurde er fast vom Sitz geworfen, und im Innenraum wirbelten seine beiden Kandidaten durcheinander, bis Thorben auf seiner Nichte liegen blieb.
Hektisch rappelte er sich auf, nicht auszudenken, wenn sie jemand so sehen würde. Umso erschrockener reagierte er, als er Vatras Gesicht am Fenster erblickte, der Wassermagier konnte sich gerade so zwischen Hauswand und Kutsche klemmen.
"Was ist denn nun los, bei Adanos?", fragte er zitternd, während er seine Robe vom Staub und von den Exkrementen der Obdachlosen säuberte, und dabei dann und wann seine Finger genüsslich ableckte.
"Also, das ist diese Frage mit der Rune..."
"Hier kommt der Countdown", quäkte Hacki dazwischen, und die anderen drei schauten ihn verwundert an.
Nach zwei Sekunden Stille sagte Hacki: "Die Zeit ist um, ich habe leider keine richtige Antwort erhalten."
"WAAAAAS?", schrie Thorben, "und wo war jetzt der Countdown?!"
"Na in meinem Kopf!", erwiderte Hacki gelassen, "oder glaubst du, der wird hier wie durch Zauberhand durch irgendwelche Geräusche dargestellt?"
"Zauberhand hab' ich!", warf Vatras ein, der sich jedoch, da er böse Blicke von Thorben, Gritta und Hacki erntete, schnell wieder zurück hielt.
Während Thorben noch vor Wut kochte und Gritta ihren einstigen Lieblingsfahrer angepisst ansah, sagte dieser freundlich grinsend: "Die richtige Antwort wäre übrigens gewesen, dass es weder Rune, Überreicher Rune, Zeitpunkt, Zeitort und alle sonstigen Umstände gibt, da Vatras noch nie eine Rune besessen hat. Er ist ein Hochstapler, ein Betrüger."
"WAAAAAS?", schrie Vatras entgeistert, und gab dabei eine passable Imitation des Tischlers ab, "ich nutze lediglich die alte, ursprüngliche Magie! Altes Wissen! Das ist kein Betrug!"
"Na und ob dieser gequirlte Unsinn Betrug ist!", gab Hacki Kontra, "wer soll denn bitte diesen Mist glauben? Jeder zaubert mit Runen vor sich hin, und plötzlich soll irgendeine alte Magie auftauchen, von der vorher nie jemand was gehört hat? Das ist doch hanebüchener Schwachsinn, das ist Betrug am Kunde - Ach, was rede ich denn da. Jedenfalls habt ihr die Frage nicht lösen können, und habt daher nur noch ein Leben, und den Passantengaukler habt ihr nun auch aufgebraucht."
"RAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAH!"
Thorben, der sich mit diesem Wutschrei an Länge, Lautstärke, Inbrunst und Zorn an sich nun bei Weitem übertroffen hatte, war nun außer sich wie nie zuvor. Sein Gebrüll musste man über die ganze Insel gehört haben, und Vatras bekam wieder soviel Angst, dass er abermals die Flucht ergriff, diesmal, in dem er zum vorbeifließenden Khoriner Fluss rannte und kurzerhand hineinsprang.
"Da geht er hin...", murmelte Hacki, der sich an Thorbens ewige Schreieskapaden mittlerweile gewöhnt hatte.
"Onkel, beruhige dich doch bitte, beruhige dich!", flehte Gritta den schwer atmenden Mann an, der statt Wut nun aber eher Resignation zeigte.
"Vermutlich hat er durch den Schrei einiges rauslassen können", meinte Hacki nachdenklich, "das hat gut getan, oder?"
"Halt...die...Klappe...UND FAHR!", sagte Thorben, und seine Stimme klang dabei fast schon dämonisch, wie der besorgte Blick seiner Nichte unterstreichen konnte.
"Okay, Okay", versuchte Hacki seinen Fahrgast schwitzend zu beruhigen, "dabei gibt es nur ein Problem?"
"Was denn für ein Problem, Hacki?", fragte Thorben so übertrieben ruhig und freundlich, dass es den Quizkutschenfahrer schon Angst machte.
Dieser schluckte und sagte: "Nun, ich habe keine Ahnung, wo wir hier sind."

...

"RAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAARGH!"

[Laidoridas]

"Immer mit der Ruhe, Onkel", versuchte Gritta die verfahrene Situation zu entspannen. "Wir haben doch noch die Karte...damit findest du den richtigen Weg bestimmt, Hacki!"
"Hmhm. Dei-"
"Musst du dauernd meine Mutter erwähnen?!" Jetzt war es Gritta, die wie im Wahn auf Thorus Hackenberg einschrie, immer mal wieder unterbrochen von heftigen Schreikrämpfen. "Was meinst du, wieso ich bei meinem Onkel lebe, du gefühlloser Dreckskerl von einem Quizkutschenfahrer! Meine Mutter wurde vor zwei Jahren von einem Rudel Orks auf bestialische Weise erhangen, ausgeweidet und ermordet - in dieser Reihenfolge! Mein Vater hat sich aus Trauer am gleichen Tag das Leben genommen, von einem Tag auf den anderen war ich ohne Eltern, völlig allein, schutzlos, mit meinen einsamen, salzigen Tränen der Verzweiflung als einzige Freunde und als einzigen blassen Trost! Ich hatte das alles gerade einigermaßen verkraftet, bereit, wieder ein neues Leben zu beginnen und den Schmerz der Vergangenheit zu begraben - und jetzt kommst du und schürfst all die alten Wunden wieder auf! Keine Gelegenheit lässt du vergehen, immer musst du auf meiner armen Mutter herum...HACKEN!"
Schluchzend legte sie den heftig bebenden Kopf in die Arme, während sie Thorben, der sich offensichtlich nicht ganz zwischen Zorn und Bestürzung entscheiden konnte, hilflos zu trösten versuchte.
"Hackenberg, Sie...Sie sind ein Monster!", keuchte der verzweifelte Tischler, den zitternden Zeigefinger anklagend auf Thorus gerichtet. "Lassen Sie uns endlich hier raus!"
"Lassen Sie mich erst einmal ausreden", forderte Hacki, für den Grittas Zusammenbruch natürlich kein Grund war, von seinem sympathischen Lächeln abzulassen. "Was ich sagen wollte, liebe Gritta: Deine Überlegungen beinhalten einen Fehler. Mit der Karte kann ich nichts anfangen, wenn ich nicht weiß, wo wir uns gerade aufhalten!"
Gritta blickte auf und blinzelte verwirt.
"Heißt das, Sie wollten gar nichts über meine Mutter sagen?"
"Natürlich nicht! Was hat denn auch Ihre Mutter mit unserer derzeitigen Situation zu tun?", erwiderte Hacki. "Überhaupt nichts."
"Tja...da hat er irgendwie recht", musste Thorben erkennen. "Was aber nichts daran ändert, dass ich Sie nicht ausstehen kann, Hackenberg - und jetzt lass uns endlich raus hier!"
"Tut mir leid, aber es wäre gegen die Regeln, Sie vor Verlust eures letzten Lebens aus der Kutsche zu lassen", erläuterte Hacki.
"Hacki, bitte...", brachte Gritta kraftlos hervor. "Kannst du da nichtmal eine Ausnahme machen?"
"Hmhm. Deine Mudda."

[John Irenicus]

Gritta ließ einen letzten, markerschütterten Schrei aus den Tiefen ihres wohlgeformten Körpers erklingen, ihr Gesicht nahm nacheinander alle Farben des Spektrums einzeln an, und nach geschätzt einer halben Minute, in der sich Hacki und Thorben verzweifelt die Ohren zu hielten, brach sie zusammen und sank bewusstlos auf den Boden der Kutsche.
Danach gab es für eine halbe Minute eine ebenso markerschütternde Stille, die zwar nicht die letzte sein sollte, aber erst unterbrochen wurde, als sowohl Thorben als auch Hacki sich trauten, ihre fast angesaugten Hände wieder von den Ohren zu nehmen.
Dann schrie Thorben los.
Waren die ersten Laute zunächst noch unartikuliertes Geschrei, so bekam Hacki nach und nach eine Ahnung davon, was der cholerische Tischler ihm mitteilen wollte.
"HACKENBERG! SIE SIND EIN MISTKERL! ICH SCHLAG IHNEN SÄMTLICHE ZÄHNE AUS!"
Gefolgt von weiterem Geschrei, dessen Sinn Hacki nicht entnehmen konnte, spürte er einen Fausthieb im Gesicht.
"Meine Zähne sind noch alle drin!", sagte er, und grinste Thorben demonstrativ an.
"RAAAAAAAAAAAAARGH!"
Plötzlich standen um die Kutsche herum fünf Männer in Paladinrüstungen, die Schwerter gezückt und mit Entschlossenheit im Blick. Einen davon kannte Thorben ganz genau. Es war Lord André, und er war es auch, der als erstes zu ihnen sprach.
"Es gab Meldungen, hier würden ein paar Irre herumschreien und sich gegenseitig niedermetzeln."
"Richtig", sagte ein anderer Paladin, der weiter im Hintergrund stand, "es gab Meldungen, hier würden ein paar Irre herumschreien und sich gegenseitig niedermetzeln."
"Genau", sagte sein Kollege neben ihm, "es gab Meldungen, hier würden ein paar Irre herumschreien und sich gegenseitig niedermetzeln."
"Kann ich bestätigen", fing der nächste an, "es gab Meldungen..." - "Ich habe es ja verstanden, Schluss jetzt!", rief Thorben dazwischen, "Sagen sie lieber diesem Mann hier..." - "...herumschreien und sich gegenseitig niedermetzeln", beendete der fünfte Paladin unbeirrt seinen Satz, nachdem auch der vierte zuvor schon seine Phrase beendet hatte, ohne nur im Geringsten auf Thorben zu achten.
"Warum sagt Ihr nichts?", fragte André den erneut vor Wut kochenden Tischler.
"ICH HABE DOCH WAS GESAGT!", brüllte er, "ABER IHR UND EURE MANNEN LASST MICH JA GAR NICHT RICHTIG ZU WORT KOMMEN!"
"Die sind's", sagte André zu seiner Truppe gewandt.
"Ja", fing der nächste Paladin wieder an, "Die sind's."
"Das stimmt durchaus", sagte seine Kollege neben ihm, "Die sind's."
"Warum hat André nicht einen längeren Satz ausgesucht...", murmelte Thorben, um Hacki danach anzuschreien: "FAHR LOS! HACKENBERG, FAHR LOS!"
"Hey, du duzt mich ja!", sagte Hacki zwischen eins der letzten "Die sind's" eines Paladins, sah dann aber den bösen Blick des Tischlers, und beschloss, einmal die Prozedur des Grinsens, Gauklererklärens und Sprücheklopfens sein zu lassen.
"Okay, okay! Auf geht's!", rief Hacki, und trieb seine Quizpferde an, die sogleich losliefen.
"sind's... hey! Hiergeblieben! Alle Beteiligten werden verhaftet!"
Hacki und Thorben ließen die verdutzten Paladine zurück, und konnten nur noch beobachten, wie André einen Wutanfall hatte, gestenreich und mit Sprüngen zwischendurch, den seine Truppe natürlich nachmachte, bis eine von Lord Hagen angeführte Paladintruppe auftauchte, und auf der Suche nach herumschreienden Irren den Kampf aufnahm.
Kichernd blickten Hacki und Thorben noch einmal zurück und lächelten sich an, bis Thorben wieder wütend wurde.
"Und das mit Grittas Mutter..." - "Meine Mutter?", fragte die entgeisterte Gritta, die kurz zuvor wieder aufgewacht war, weil irgendwo in der Straße hinter ihnen ein paar Irre herumschrien, "MEINE MUTTER? AAAAAhhhh..."
Diesmal, ohne dass ihr Gesicht die Farbe änderte, fiel sie einfach wieder in Ohnmacht, woraufhin der hilflose Tischler einen tadelnden Blick des Quizkutschenfahrers erntete.

[Laidoridas]

Fünf Minuten später ging es Gritta glücklicherweise bereits etwas besser, während sich Thorben in erster Linie Sorgen um das Erreichen ihres Fahrtziels machte.
"Haben Sie inzwischen wieder irgendeine Ahnung, wo wir uns befinden?", fragte er vorsichtig beim Quizkutschierer nach. "Dem Stand der Sonne nach ist es schon ziemlich spät, ich möchte unter gar keinen Umständen die heilige Zeremonie in der Innoskirche verpassen!"
Thorus zuckte nur mit den Schultern. "Kann sein, dass ich eine Ahnung habe...aber so langsam ist es mal wieder an der Zeit, dass ich hier die Fragen stelle, findet ihr nicht auch?"
"Oh, Innos, hilf mir in dieser schweren Not!" Verzweifelt reckte Thorben die holzsplitterbesetzte Hand gen Himmel. "Ich will endlich aus dieser innosverdammten Kutsche raus!"
"Tut mir leid, mein Freund, aber Innos darf Ihnen nicht helfen, bis Sie die Kutsche wieder verlassen haben", erläuterte Hacki fröhlich. "Ansonsten würde er gegen die Regeln der Quizkutsche verstoßen - und glauben Sie mir, das würde nicht einmal Innos wagen."
"Blasphemie!", keifte Thorben, der seine vorübergehenden Sympathien für den Quizmeister längst wieder verdrängt hatte. "Ich weigere mich, nur noch eine einzige Sekunde lang in einer Kutsche mit diesem Ketzer zu sitzen!"
"Aber Onkel, ohne Hackis Hilfe finden wir doch nie allein zur Kirche!", gab Gritta zu bedenken.
"Mit seiner Hilfe aber auch nicht!", knurrte der Tischler, der mal wieder hochrot angelaufen war. "Jede andere Kutsche hätte uns längst am Ziel abgesetzt, aber Sie ziehen es vor, uns durch halb Khorinis zu fahren und nebenbei die Göttlichkeit zu verspotten, Hackenberg!"
Kaum hatte er den Satz beendet, da drehte sich Hacki auch schon auf gewohnt souveräne Weise zu ihnen um.
"Apropos Göttlichkeit...seht ihr das Gebäude da vorne?"
Gritta und Thorben hielten den Atem an, dann entwich ihren erstaunten Mündern ein nicht minder erstaunter Ausruf:
"Die Innoskirche!"
"Ihr sagt es!", bestätigte der zufriedene Hacki und trommelte vergnügt mit den Fingern auf dem Kutschbock herum. "Damit habt ihr sage und schreibe einhundert Goldmünzen gewonnen!"
"Heißt das, wir kriegen das Geld jetzt sogar?", hakte der misstrauische, zugleich aber sichtlich erleichterte Thorben nach.
"Natürlich." Hackis hintersinniges Grinsen ließ allerdings darauf schließen, dass der gewiefte Quizkutschenfahrer noch ein besonders ausgefallenes Ass im Ärmel hatte - eine Vermutung, die er gleich darauf eindrucksvoll bestätigte. "Allerdings gibt es da natürlich noch eine Kleinigkeit...wenn ihr wollt, kann ich euch eine letzte Frage stellen, mit der ihr euren Gewinn verdoppeln könnt."
"Verdoppeln?" Thorbens Augenbrauen zogen sich zweifelnd zusammen. "Da ist doch bestimmt irgendein Haken an der Sache! Was ist, wenn wir die Frage falsch beantworten?"

[John Irenicus]

"Dann", begann Hacki verheißungsvoll, "dann verliert ihr alles Geld, was ihr bisher gewonnen habt."
"Dann haben wir das Geld doch gar nicht gewonnen!", blaffte Thorben den Quizmeister empört an, "wenn wir es jederzeit wieder verlieren können!"
"Onkel", schaltete sich Gritta beruhigend ein, "du musst es als eine Art Wetteinsatz verstehen."
"Ach, das ist doch Unsinn!", erwiderte der Tischler noch erboster als zuvor, "wo kommen wir denn dahin, ich führe mich doch nicht auf wie diese Süchtigen unten am Hafenviertel beim Hütchenspiel!"
"Natürlich nicht!", bestätigte Hacki grinsend, "denn dies ist kein Hütchenspiel, sondern die unvergleichliche Quizkutsche! Hier geht es um pures Wissen, und ich glaube, Sie hätten das nötige Zeug dazu, die alles entscheidende Frage zu beantworten!"
"Ich lasse mich nicht verführen!", meckerte Thorben, eine Hand schon am Türgriff des Kutscheninnenraums, doch seine Nichte hielt den bulligen Tischler mit sanfter Gewalt zurück.
"Onkel, stell dir doch nur mal vor... zweihundert Goldmünzen! Was wir da der Kirche spenden könnten, und nur, weil wir eine Frage richtig beantwortet haben! Das ist die Chance!"
"Ihre Nichte hat vollkommen Recht!", rief Hacki erfreut und lächelte Gritta charmant an, "also, wie lautet eure Entscheidung?"
"Wir wagen es!", sagte Gritta so schnell und bestimmt sie konnte, und musste etwas verängstigt mit ansehen, wie der Hals Thorbens immer mehr anschwoll und sich seine Fäuste ballten. Seine Wut ließ er jedoch nicht los, vermutlich wären seine Schreie im wütenden Gebrüll einiger Kutschenfahrer von draußen untergangen, die sich auf Grund des ungünstigen Standplatzes der Quizkutsche nicht in der Lage sahen, ihre Reise fortzusetzen. Während aus den eher kleineren Kutschen vornehmlich Lebensmittel geworfen wurden, um Hacki und seine Quizpferde zum Räumen der Straße zu bewegen, begann es aus den luxuriöseren Modellen mit Blumentöpfen geradezu zu hageln.
"Nun gut", meinte Hacki und zog, sehr sachlich und vollkommen unbeirrt von den Ereignissen, während er sich scheinbar zufällig unter einem heranfliegenden Hibiskus samt Tongefäß hinwegduckte, in eleganter Weise ein Kärtchen aus seiner Hemdtasche hervor.
"Hier kommt die Frage", begann er betont geheimnisvoll, und las die Worte langsam von der Quizkarte ab: "Welches ist oder war das größte Tier, das nachweislich auf der Insel Khorinis existiert hat?"

[Laidoridas]

Die Spannung im Passagierraum der Quizkutsche war mit bloßen Händen zu greifen: weder Thorben noch Gritta wagten es, sich gegenseitig ins Gesicht zu schauen, aus lauter Furcht, im Mienenspiel des Gegenübers die Vermutung bestätigt zu wissen, die sich bereits jetzt in den Köpfen der Tischlersippe zur Gewissheit versteifte: sie hatten beide keine Ahnung.
Desillusioniert seufzend ließen sie sich beide in die Quizkutschenauspolsterung des Innenraums sinken.
"Habe ich es nicht gesagt?" Fassungslos schüttelte Thorben den Kopf, während Hacki mit sichtlichem Enthusiasmus beide Fäuste zum Einsatz brachte, um zwei gleichzeitig heranschnellende Blumentöpfe abzuwehren. "Wir hätten das Geld nehmen sollen - so können wir der Kirche nichts weiter als die wenigen Münzen spenden, die ich heute Morgen für diesen Zweck zusammengesucht habe. Ich habe ja gleich gewusst, dass wir bei dem ganzen Ärger nicht einen Blumentopf gewinnen!"
"Oh, einen Blumentopf lobe ich als Trostpreis gerne aus", warf der beschäftigte Hacki ein. "Davon habe ich gerade eine ganze Menge zur Hand!"
Gritta fasste tröstend die Hand ihres liebgewonnenen Verwandten. "Es tut mir so leid, Onkel. Wer konnte denn auch ahnen, dass die Frage so schwer sein würde?"
"Naja...die Tatsache, dass wir bisher fast alle Fragen falsch beantwortet hatten, war eigentlich ein brauchbarer Hinweis", nuschelte der frustrierte Tischler in sich hinein, nur um einen kurzen Moment darauf erschrocken zusammenzuzucken - was nicht am großen Kirschbaumbottich lag, den Hacki kurz vor der Kutsche abgefangen hatte. "Oh, Innos! Hörst du das, Gritta?"
Bei all dem Lärm, den die umliegenden Kutscheneigentümer und deren Fahrgäste bei ihrem lautstarken Protest von sich gaben, fiel es Gritta zunächst schwer, ein Geräusch auszumachen, das ihren Onkel so erschreckt haben konnte. Dann jedoch hörte sie es, ganz leise: die heiligen Glocken Innos' drangen aus dem Inneren der Kirche an ihr Ohr.
"Die Zeremonie beginnt in diesen Augenblicken!" Erneut wagte der Tischler einen vorzeitigen Ausbruchsversuch, wurde jedoch abermals von seiner Nichte zurückgehalten.
"Wir können doch nicht einfach aussteigen, ohne wenigstens zu versuchen, die Frage zu beantworten", fand Gritta. "Fällt dir denn gar kein Tier ein, das infrage käme?"
"Nein, nein, nein!", plärrte Thorben und riss sich unwirsch aus dem losen Griff Grittas heraus. "Und ich werde auch keinen Augenblick mehr damit vergeuden, darüber nachzudenken! Die Zeremonie-"
"Vergiss die blöde Zeremonie, dann kommen wir eben zu spät! Die zweihundert Münzen sind es doch wohl wert!"
"Innos' Wort ist mehr Wert als alles Gold der Welt", stellte Thorben klar. "Ich dachte eigentlich, das hätte ich dir beigebracht!"
"Lass uns wenigstens noch kurz nachdenken", forderte Gritta und begann gleichzeitig damit, angestrengt die Stirn zu runzeln. "Vielleicht...hm...Molerats? Ein besonders großes Exemplar vielleicht?"
"Molerats, das ist doch Unsinn! Gritta, wir gehen jetzt!"
"Harpyien können recht groß werden...was meinst du, ist es eine Harpyie?"
"Ja, meinetwegen, dann ist es eben eine Harpyie! Hauptsache, wir kommen hier raus...Hackenberg, unsere Antwort lautet: Ha-"
"Nein!", kreischte Gritta dazwischen. "Ich habe doch nur laut gedacht! Wahrscheinlich zählen Harpyien nicht einmal als Tiere..."
"Egal, völlig egal! Sag jetzt irgendetwas, damit wir endlich diese verfluchte Kutsche verlassen können!"
"Ich traue mich nicht, Onkel!", wimmerte Gritta. "Was, wenn die Antwort falsch ist? Ich will doch nicht dafür verantwortlich sein, dass wir nichts gewinnen!"
"Ach, verdammt - dann mache ich es eben!"
Thorben nahm kurz Luft, zögerte nur einen winzigen Augenblick lang und schleuderte dann die erste Antwort in den Raum, die ihm einfiel:
"Mondflecklaufkäfer!"
Einen Moment später bereute er es schon.
Gritta starrte ihn entsetzt an, Hackis Ausdruck war nicht minder ausdrucksstark - obgleich Thorben die Vermutung hatte, dass sich sein Gesichtsausdruck eher auf die eingepflanzte Dornenhecke bezog, die gerade aus einer besonders großen und luxuriös ausgestatteten Kutsche in ihre Richtung geschleudert wurde.
"Hacki?", hauchte Gritta zaghaft, nachdem Thorus den Angriff routiniert abgewehrt hatte. "Was sagst du zu Thorbens Antwort?"
Als sich Thorus Hackenberg langsam zu ihnen umdrehte, wurde es um sie herum plötzlich völlig still - selbst die Insassen der umliegenden Kutschen schienen die in der stickigen Luft liegende Dramatik zu spüren.
"Eure Antwort ist..."
Gebannt starrten Thorben und Gritta auf die Karte in Hackis linker Hand. Obwohl sie sich noch an ein letztes Fünkchen Hoffnung klammerten, wussten sie insgeheim, dass die Antwort des Tischlers unmöglich richtig sein konnte. Und überhaupt: passte "Mondflecklaufkäfer" überhaupt auf das kleine Kärtchen?
Nervös kaute sich Gritta ein Stückchen ihrer Unterlippe ab, während sich die Hand ihres Onkels am Griff der Kutschentür verkrampfte. Sekunden wurden zu Minuten, Minuten zu Tagen, Tage zu Jahren. Es schien, als habe ein Gott selbst eingegriffen, nur um für diesen einen schicksalsträchtigen Augenblick in das Gefüge der Welt einzugreifen und die Zahnräder der Zeit außer Kraft zu setzen.
"...richtig!" Hacki strahlte über beide Ohren. "Ihr habt damit umwerfende zweihundert Goldmünzen gewonnen - und, nicht zu vergessen, eine komfortable, kostenlose Kutschenfahrt!"
"Über das 'komfortabel' lässt sich streiten", meinte Thorben, doch angesichts Grittas freudigem Gejubel hatte er kaum eine andere Wahl, als sich als glücklicher Gewinner zu fühlen.
"Du bist der Beste, Onkel!", quietschte Gritta und fiel besagtem Onkel in überschwänglicher Freude in die Arme. "Mondflecklaufkäfer! Woher wusstest du das nur?"
Thorben dachte kurz darüber nach, dann kannte er die Antwort: "Innos selbst muss-"
"-gar nichts damit zu tun haben!", unterbrach ihn die plötzlich sehr nervöse Gritta, die ihren Gewinn angesichts einer möglichen Verletzung des Verbots göttlicher Quizkutschenintervention bereits wieder dahinschwinden sah. "Du bist einfach ein wandelndes Lexikon, das ist alles!"
"Äh...wenn du das sagst, Gritta."
Hacki war unterdessen damit beschäftigt, den Goldgehalt des Gewinnsäckchens zu verdoppeln, um es den glücklichen Siegern anschließend feierlich zu überreichen.
"Herzlichen Glückwunsch, meine Fahrgäste!", verabschiedete er sie schließlich. "Viel Spaß noch in der Kirche, und denkt daran, all euren Freunden von eurem Erlebnis in Thorus Hackenbergs einzigartiger Quizkutsche zu berichten! Ansonsten bekommt außer euch ja niemand etwas davon mit, und das wäre doch sehr schade, findet ihr nicht auch?"
"Natürlich, Hacki, du hast völlig recht!", bestätigte Gritta. Weiter kam sie nicht, denn in der gleichen Sekunde wurde sie auch schon von Thorben aus der Kutsche gezerrt. "Wiedersehen, Hacki!"

Lächelnd sah Hacki den beiden nach, wie sie hastig zur Kirche rannten, die Pforte öffneten und eintraten.
Ein schöner Tag neigte sich dem Ende zu. Nun war es an der Zeit, die Quizpferde zur Tränke zu bringen und den Einsatzort für den kommenden Tag festzulegen - das Leben konnte so schön sein, wenn man Fahrer einer Quizkutsche war.
Blieb nur noch eine Kleinigkeit, die es zu erledigen galt...
Rasch nahm Hacki Feder und Tinte zur Hand, zog die Quizkarte hervor, strich sorgfältig das Wort "Riesenscavenger" durch und ersetzte es durch ein anderes:
Mondflecklaufkäfer.

Ende.