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    Größter Sumpfgolem Avatar von Alexander-JJ
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    Post [Story]DER BRENNENDE HIMMEL

    *** BRENNENDER HIMMEL - GEFRORENES HERZ ***




    PROLOG

    Innos’ Feuer und Licht hatte die alten Eisbestien und Winterriesen wieder einmal besiegt.
    So wie jedes Frühjahr.

    Die Sonne erhellte langsam den blauen Himmel und vertrieb die letzten Schatten der vorangegangenen Nacht. Nur ein paar strahlend weiße Wolken waren am glatten Himmel zu sehen. Es war zweifellos ein schöner Tag.
    Die grünen Wälder Nordmars hatten einen weiteren harten Winter überstanden. Der Frühling gab den Pflanzen neue Kraft. Die Tiere des Waldes und der schneebedeckten Berge kamen aus ihren Höhlen und Winterverstecken hervor um sich zum ersten Mal seit vier Monaten richtig satt zu fressen. Zahllose Jungtiere, in den Schneehöhlen geboren, tollten herum. Auch für die wenigen Menschen der Nordlande begann jetzt die Zeit des Überflusses. Der karge und öde Winter war vorbei.

    Überall wurden die Wachfeuer angezündet um die letzten Schatten zu vertreiben. Jäger, Fallensteller und Holzfäller zogen los um ihrem Tagwerk nachzugehen. Bald würden die Pelzhändler und Holzeinkäufer aus dem Süden eintreffen. Bis dahin mussten die alten Handelsplätze vom letzten Schnee befreit, die Sturmschäden behoben und die Zelte für den Besuch aus dem Süden hergerichtet sein.

    # # #

    Die alte Bestie schnüffelte misstrauisch nach ihrer Beute. Sie hasste den Frühling, sie hasste Innos’ Sonne, sie hasste die Menschen. Irgendwo in diesem Wald musste das Fleisch doch sein. Sie hatte es bis hierher verfolgt. Die Bestie hatte großen Hunger, wurde getrieben von einem unnatürlichen Hass auf Menschen und war ob der langen Jagd frustriert. Der Winter wurde von Innos’ Licht und Feuer vertrieben. Auch die uralte Bestie würde sich bald in ihre Höhle, tief unter der Erde, zurückziehen müssen. Doch vorher wollte sie um jeden Preis ihre Beute stellen.

    Etwas raschelte. Die Bestie drehte sich mit unglaublicher Geschwindigkeit nach rechts, hob ihre gewaltigen Tatzen zum Schlag.
    Und …
    Ihre rechte Tatze flog in hohem Bogen davon. Blut sprudelte aus dem Stumpf hervor. Ungläubig glotzte die alte Bestie auf ihren verkrüppelten Arm. Ein Schwert aus Feuer schlitzte ihr den Bauch auf. Unfassbare Schmerzen überfluteten das Gehirn der Bestie und löschten für einen Augenblick jeden Gedanken an Tod und Hass aus. Die Bestie brüllte so laut sie konnte.
    Dann sauste das Feuerschwert herab und durchtrennte ihren Hals mit einem einzigen Schlag. Das letzte, was die Bestie fühlte, war grenzenlose Verwunderung. Mit so einem Ausgang der Jagd hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Der tote Kadaver schlug schwer auf dem Waldboden auf.

    # # #

    Langsam kamen die Waldarbeiter, die Holzfäller, Fallensteller und Jäger aus ihren Verstecken hervor. Ein blonder Mann, jung und stark, stand über dem Kadaver der Bestie. Er trug nur eine dunkle Wollhose und Schuhe aus Snapperleder. Doch trotz der Kälte schien er nicht zu frieren. Seine langen, lockigen, blonden Haare rahmten das breite, freundliche Gesicht ein. In seinen Händen hielt er das Heilige Feuerschwert.
    “Die Bestie ist tot.”, murmelte ein junger Fallensteller.
    Die Bewohner Nordmars bestaunten erst den riesigen Kadaver und dann den blonden Jüngling. Er war ungewöhnlich groß und muskulös. Seine strahlend blauen Augen blickten klar und fest auf das Schwert aus Feuer. Statt sich daran zu verbrennen schienen die Flammen den rechten Arm des Jünglings zu umspielen. So als hätte Innos diesen jungen Mann gesegnet. Das Heilige Feuer umspielte seine blonden Locken ohne sie zu versengen. Ein bisschen von dem Feuer war sogar in seinen strahlend blauen Augen zu sehen.
    “Er ist von Innos gesegnet!”, rief einer der Waldarbeiter voller Überraschung aus.
    “Er trägt Innos’ Feuer in sich! Gesegnet sei der Fremde!”, rief ein anderer.
    Der junge Fallensteller trat auf den Jüngling zu.
    “Ich bin Grim, der beste Fallensteller des Feuerclans. Wer bist du, Innosgesegneter?”
    Der junge Mann blickte den bärenstarken Grim freundlich an.
    “Ich bin Rhobar.”
    “Schön dich kennen zu lernen, Rhobar.”, sagte Grim mit Nachdruck in der Stimme. Er schüttelte dem Jüngling die Hand. Der Waldarbeiter trat ebenfalls hervor und schüttelte Rhobars rechte Hand.
    “Ich bin Ragnar vom Feuerclan und das da drüben ist Beowulf, auch vom Feuerclan.”
    Der Waldarbeiter zeigte auf einen hageren, großen Orkjäger. Der Krieger kam heran und auch er schüttelte Rhobars Hand.
    “Das war ein guter Kampf, Fremder.”, sagte er mit tiefer Stimme.
    Ein junges Mädchen, schön wie ein Engel, trat hinter einem mächtigen Baumstamm hervor. Sie trug ein weißes Wollgewand. Ihre roten Haare rahmten ihr wunderschönes, schmales Gesicht ein. In ihrer linken Hand hielt sie einen Silberdolch.
    “Rhobar?”
    “Mir geht es gut.”, antwortete der junge Mann dem Mädchen.
    Das Mädchen, eigentlich schon eine junge Frau, ließ den Dolch fallen und rannte auf den jungen Mann zu. Beide umarmten und küssten sich leidenschaftlich. Grim, Ragnar und Beowulf wandten sich verschämt ab.

    Dann …

    … griff ein gerüsteter Arm mitten durch den blauen Himmel nach dem jungen Mann. Der Arm endete einfach irgendwo in den Baumwipfeln. Der ganze Panzerhandschuh war blutgetränkt, ein Finger fehlte, an dem Mittelfinger prangte ein goldener Ring.
    Rhobar kannte diesen Arm.
    Doch woher?
    Was ging hier vor sich?
    Ein langer, schwarzer Riss tat sich auf. Ein Spalt mitten im Himmel. Rhobar begann zu schreien.

    Der gerüstete Arm packte Rhobar und riss ihn durch den Spalt.


    * ... wird fortgesetzt
    Geändert von Alexander-JJ (27.06.2008 um 12:30 Uhr) Grund: kleinere Verbesserungen

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    KAPITEL 1

    … 50 Jahre später …
    ... im Jahr des Feuers, 978 ...
    ... die Belagerung von Bakaresh ...


    Bolzen, Pfeile und Kugeln aus Hakenbüchsen schlugen durch die Zeltwände. Die Kugeln prallten sirrend und pfeifend von der schweren Paladinrüstung des Ritters ab. Rhobar blinzelte. Der blutgetränkte Arm gehörte zu einem großen Mann, dessen Gesicht wie das eines Asketen aussah. Braune Augen blickten Rohbar durchdringend an. In ihnen lag endlose Müdigkeit.
    Rhobar schrie nicht mehr.
    “Mein König, bleibt bitte hier liegen.”, mahnte die Stimme.
    Langsam begann Rhobar Arm, Mann und Stimme einem einzigen Körper zuzuordnen. Sie alle gehörten Dominique, seinem besten Paladin und obersten General aller seiner Armeen. Er selbst war König Rhobar der Heilige, siebzig Jahre alt und durch zahllose Feldzüge vorzeitig gealtert.
    Sein Körper war krank und verbraucht.
    Er hatte von seiner Jugend geträumt, von seiner Frau, von seinem besten Freund, von einer wundervollen Zeit in Nordmar. Rhobar schämte sich dafür. Inmitten einer Belagerung träumte er vor sich hin. Das gehörte sich nicht für einen Avatar des Gottes Innos.

    Dunkelhäutige Männer stürmten in das Zelt des Königs. Die Wachen traten ihnen entgegen. Schwerter, Dolche und Krummsäbel blitzten auf. Rhobar duckte sich instinktiv. Er war siebzig Jahre alt. In den Legenden kämpften auch Greise mit Erfolg, doch in der Wirklichkeit war dies ein wenig anders. Diese Schlacht gehörte den jungen Männern.

    Dominique drehte sich ebenfalls um. Wie ein Titan stand er über dem Körper seines Königs und wehrte die eindringenden Feinde ab. Er hieb mit einer Geschwindigkeit um sich, die Rhobar kaum für möglich gehalten hätte. Ein leicht bewaffneter Feind nach dem anderen wurde vor den Augen des Königs hingemetzelt.
    Das zerfetzte Zelt wurde von den Kämpfern weggerissen. Mit einem Schlag enthüllte sich der ganze Horror der tobenden Schlacht. Ein unvorstellbarer Tumult, ein Gemetzel das zu ertragen Rhobar keinem Menschen zugemutet hätte. Matt tastete Rhobar nach seinem Schwert.
    Ein Krummsäbel blitzte auf. Dominique enthauptete den Feind, doch die Klinge schnitt tief in Rhobars Beine. Knochen barsten unter der Wucht des Schlages. Rhobar schrie auf, doch im allgemeinen Lärm hörte es niemand.
    Um ihn herum spielten sich surreale Szenen ab.
    Mit selbstmörderischer Inbrunst fielen die leichtbewaffneten Varantener über die Ränge der schwer gerüsteten Ritter und Paladine her. Sie stürmten ohne Rücksicht auf Verluste in das halbzerstörte Lager des myrtanischen Heeres. Drei oder vier Varantener stürzten sich gemeinsam auf einen Ritter, zerrten ihn zu Boden und rissen ihm den Helm von dem Kopf. Dann blitzten Dolche auf und schnitten den wehrlosen Rittern die Kehlen durch. Dutzende, hunderte Feinde wurden niedergemetzelt, doch immer mehr stürmten aus den Stadttoren von Bakaresh hinaus in das Lager.

    Von den zernarbten und zerschossenen Stadtmauern regnete unablässig ein Hagel von Pfeilen, Bolzen und Kugeln herab. Die Geschosse töteten oder verwundeten Ochsen, Menschen und Packtiere. Besonders die leichter gerüsteten Waffenknechte hatten schwer unter dem Beschuss zu leiden.
    Rhobar sah wie ein Milizsoldat von zehn oder zwanzig Geschossen getroffen wurde. Der Mann wurde in ein brennendes Zelt geschleudert. Ein Ritter wurde von den Varantenern zu Boden gezwungen und regelrecht zerhackt, ein Waffenknecht von drei oder vier Feinden gleichzeitig aufgespießt. Das Getöse der Schlacht übertönte sogar die Todesschreie von Freund und Feind.
    Zwei der drei großen Belagerungstürme hatten Feuer gefangen. Die lodernden Flammen erhellten das Kampfgebiet. Dutzende Feinde stürzten sich auf die Katapulte und Rammböcke der Belagerer um sie zu zerstören. Fürchterliche Nahkämpfe mit den Wachen folgten. Doch trotz aller Verluste war der Feind fest entschlossen die Belagerungsmaschinen zu vernichten.
    Rhobar schüttelte sich.
    Davon stand nichts in den Heldenliedern, davon hatte Innos nichts gesagt.
    Rhobar fühlte sich inmitten des Wahnsinns der Schlacht wie ein Betrogener.
    Und wie ein Betrüger.
    Er hatte diese Männer hierher geführt. Sie alle starben wegen ihm.
    Rhobar tastete erneut nach seinem Schwert.
    In einer gewaltigen Explosion brach einer der brennenden Belagerungstürme auseinander. Die Detonation des Pulvers, der Runensteine und des Magischen Erzes ließ das gesamte Lager erzittern. Alle Männer, die sich im Umkreis des Turmes aufhielten, wurden augenblicklich von der Druckwelle und den umherfliegenden Trümmern getötet. Für einen Moment hielten die Kämpfer inne. Dann stürzten sie sich mit verdoppelter Wut wieder in die Schlacht.

    Acht Varantener stürzten sich auf Dominique. Der alte Paladin tötete mindestens drei von ihnen. Dann stürzten die kämpfenden Männer außer Sicht. Rhobar hatte wieder freie Sicht auf den sternenübersäten Nachthimmel. Der Mond schien unbeteiligt und kalt auf das Gemetzel hinab.
    Ein Stiefel trampelte auf seine rechte Hand, ein wunderschönes Gesicht sah auf ihn hinab. Ein dunkles Gesicht mit dunklen Augen, eingerahmt von langen, schwarzen Haaren. Das Gesicht eines jungen Mannes.
    Rhobar konnte sich nicht erinnern jemals ein so schönes Gesicht gesehen zu haben. Die Gesichter seiner Paladine waren allesamt zerschunden, zerschlagen und von Hass und Fanatismus zu grässlichen Masken verzerrt. Wie konnte es sein das ausgerechnet der Feind ein so wunderschönes Gesicht trug?

    Weiter kam Rhobar mit seinen Gedanken nicht. Der Feind drückte seinen Kopf nach hinten, zückte seinen langen Dolch und schnitt dem größten König aller Zeiten einfach so die Kehle durch.



    * ... wird fortgesetzt
    Geändert von Alexander-JJ (27.06.2008 um 12:31 Uhr) Grund: kleinere Verbesserungen

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    KAPITEL 2

    ... im Jahr des Feuers, 978 ...
    ... die Belagerung von Bakaresh ...

    “Aus dem Weg! Geht weg!”
    “Legt ihn hierhin!”
    “Barthos! Barthos!”
    “Haltet ihn ruhig! Gebt mir den Lebenstrank! Die Wunde verbinden!”
    “Das Amulett! Wo ist das Amulett?”


    # # #

    Am nächsten Morgen blickte Kriegsherr Gellon müde vom höchsten Turm der Stadt Bakaresh auf das immer noch brennende Lager der myrtanischen Armee hinab. Er trug eine schwere Assassinenrüstung. Neben ihm standen seine Offiziere, alle in prächtige Gewänder gehüllt, und zwei Orks. Diese Orks waren die Anführer der orkischen Söldner aus dem hohen Norden. Es waren ungebärdige, undisziplinierte und ungemein raffgierige Orks. Doch ihre Kampfkraft wurde gebraucht.
    Weiter unten, neben einem alten Wachturm, standen Nehzgur und Nazgal Ningalos, die beiden Hochmagier Beliars und seine beiden wichtigsten Berater. Sie trugen rote Gewänder und purpurfarbene Mäntel. Ihre Gewänder waren aufwändig mit Gold, Silber und feinen Fäden magischen Erzes bestickt. Um die beiden alten Magier herum gruppierten sich etliche jüngere Offiziere. Sie waren die Günstlinge der Magier und die potentiellen Nachfolger der alten Assassinengarde.

    Um den dicken Händler Ali Al Vharg gruppierten sich die Händler, Sklavenjäger und Artefaktschmuggler der Stadt. Ali Al Vharg besaß beste Beziehungen zu den Nomaden, zum Waldvolk Myrtanas und natürlich zu den Assassinen von Mora Sul, der großen Sklavenburg weit im Süden. Die Händlergilde von Bakaresh stand immer auf der Seite desjenigen, der bezahlen konnte. Heute waren das die Kriegsherren Gellon und Lukkor, morgen vielleicht Nazgal Ningalos und Nehzgur und übermorgen gar der myrtanische König. Die Händler, Sklavenjäger und Artefaktschmuggler wussten nichts von Loyalität. Sie folgten einzig und allein dem Weg des Goldes.

    Einer der brennenden Belagerungstürme war explodiert, der andere loderte immer noch vor sich hin. Der dritte Belagerungsturm stand etwas abseits. Er war nicht einmal beschädigt worden. Von den feindlichen Katapulten und Rammböcken waren gut die Hälfte zerstört oder schwer beschädigt worden. Ebenso stand gut die Hälfte des feindlichen Lagers in Flammen. Die Myrtaner würden noch ein oder zwei Tage brauchen um alle Brände zu löschen. Die Belagerung würden sie frühestens in einer Woche wieder aufnehmen können. In der Zwischenzeit konnte man neue Truppen, mehr Waffen und vor allem Nahrungsmittel in die Stadt schaffen.

    So weit, so gut.

    Die beiden Orks drängelten sich nach vorn. Ihre gorillaähnlichen, drei Zentner schweren und seltsam gebeugten Körper stanken erbärmlich. Orks an sich hielten nicht viel von Wasser und Fellpflege, doch diese beiden Exemplare reinigten sich anscheinend überhaupt nicht. Grob rempelten sie die Offiziere aus dem Weg.
    “Viel Orks tot, viel Orks krank, einige Orks gehen!”, brüllte Ulgoz.
    “Keine Beute, keine Frauen, keine Waffen, bald alle Orks gehen.”, fügte Olgek hinzu.
    “Stadt sein hässlich, nichts plündern, nur Tod.”
    Ulgoz fuchtelte mit erhobener Hand vor Gellons Gesicht herum.
    “Mein Bruder Recht haben. Orks lieben Steppe, Orks lieben Gletscher, Orks hassen enge Stadt, Orks hassen Belagerungskampf. Du uns geben Schlacht, Beute, Frauen … oder Orks gehen weg.”

    Gellon seufzte. Die Orks sprachen nur das aus, was die meisten Offiziere, Menschen wie Orks, dachten. Dieser Belagerungskampf führte nirgendwohin. Die Myrtaner würden ebenfalls Verstärkungen bekommen und nur Beliar wusste wo sich der verdammte Lukkor samt der schweren Reiterei aufhielt.
    Gellon hob seinen Arm und winkte seinen Schatzmeister heran. Die Schatztruhen der Stadt waren reichlich gefüllt. Gold konnte die Orks und auch die meisten seiner Offiziere sicherlich beruhigen.
    Eine Weile beruhigen.
    Solange beruhigen bis er siegte oder sie die Geduld verloren.
    Gellon wusste das ihm die Zeit durch die Finger rann. Er brauchte den Sieg. Er brauchte den schnellen und umfassenden Sieg oder die anderen Assassinen würden ihn wegen Unfähigkeit umbringen.

    # # #

    Der Schattenlord stapfte müde durch die Gassen der Grosstadt. Seine Rüstung war tiefschwarz, verziert mit hellgrauen Totenköpfen. Aus seinem schweren Helm wuchsen zwei lange, rostrote Hörner. Purpurfarbene Augen blickten sich wachsam um. Sein Schulterwerfer surrte und klickte als der gebändigte und abgerichtete Irrwisch darin selbstständig nach Feinden suchte. Dieser Schulterwerfer war eine modifizierte Version der normalen Armbrust. Er verschoss ein ganzes Bündel von Bolzen, allesamt mit magischem Erz verstärkt und in tödlichem Gift getränkt.
    In seinem linken Arm machte sich die Rune Beliars-Zorn bemerkbar. Sie war in seine Rüstung eingebettet, dennoch bestand Hautkontakt und man konnte sie so auslösen ohne das Schwert weglegen zu müssen. Quer über dem Rücken des Schattenlords lag der Rachestahl, eine uralte und böse Waffe. Dunkle, tiefschwarze Energie waberte um die Klinge und schien sich mit der Rüstung des Schattenlords zu vereinen.
    Die verängstigten Bürger machten ihm ehrfürchtig Platz. Er war viel größer und durch seine schwere Rüstung auch viel massiver gebaut als diese elenden Würmer von Stadtbewohnern. In der Nacht hatte er die Feinde Beliars getötet, hatte Feuer an einen der Belagerungstürme gelegt und die elenden, kotzenden Myrtaner abgeschlachtet. Er hatte sogar einen Paladin, einen seiner ehemaligen Schlachtbrüder, erschlagen.
    Zusammen mit seinen Schlachtbrüdern hatte er unter den Feinden gewütet, ihnen ihr Fleisch von den Knochen gehackt und ihr Blut getrunken. Jetzt war er müde, müde vom vielen Abschlachten, müde vom langen Kampf und müde des langen Krieges.

    Khraal, Erwählter von Krushak, verschworener Diener von Beliar, General der verderbten Heere, stieß die alte Holztür auf. Sie flog mit einem Krachen gegen die Wand. Zwei verängstigte Mädchen, kaum zehn Jahre alt, kauerten sich in eine dunkle Ecke des Raumes. Khraal konnte sie riechen, konnte sie schmecken, konnte sie mit seinen übernatürlichen Sinnen selbst in tiefster Nacht finden. Nichts kam ihm gleich, außer vielleicht ein innosgesegneter Paladin des Feindes.
    Die beiden Mädchen zitterten am ganzen Körper. Wahrscheinlich glaubten sie er wolle sie vergewaltigen oder Schlimmeres mit ihnen anstellen. Doch Khraal war einfach nur müde.
    “Raus!”, brüllte er sie an.
    Die beiden Mädchen zögerten. Khraal war nicht in der Stimmung zu reden oder sanft mit den beiden Mädchen umzugehen. Er packte sie kurzerhand an den Haaren und schleifte sie nach draußen. Die Mädchen waren so verängstigt das sie nicht einmal wimmerten.
    „Bitte Herr! Tut uns nichts! Unser Heim ist euer Heim.“, jammerte die Mutter der beiden Mädchen.
    „Aus dem Weg, Hure!“, polterte ein weiterer Schattenkrieger.
    Archol stapfte an ihnen vorbei. Der massige Schattenkrieger schob sich an Khraal vorbei und fiel einfach um. Eine Weile betrachtete Khraal seinen schlafenden Bruder. Im Grunde hatte Archol ganz Recht. Bhaal polterte ebenfalls herein, suchte sich das Bett aus und ließ sich darauf fallen. Es brach unter seinem Gewicht zusammen. Keine Sekunde später schnarchte der Schattenkrieger vor sich hin.
    Khraal sah sich um. Er hatte Hunger. Auf dem Tisch standen Brot, Eier und Speck. Fleisch gab es ihn Bakaresh nicht mehr. Khraal setzte sich und verschlang das bisschen Essen, das sich die Familie für ihre beiden Töchter vom Munde abgespart hatte.
    Khraal dachte an den Paladin, den er heute Nacht erschlagen hatte. Früher hatte er ihn gut gekannt. Aber jetzt konnte er sich nicht mehr an seinen Namen erinnern. Khraal dachte noch ein paar Minuten über die Schlacht nach. Dann sank sein Kopf nach vorn und er schlief ebenso schnell und fest ein wie seine beiden Schlachtbrüder.

    # # #

    Auf der Westmauer, knapp oberhalb des Südtores, saß Ahmed erschöpft auf einem kleinen Holzhocker. Den Hocker hatten ihm seine beiden jungen Töchter gebastelt. Er erwies sich als äußerst nützlich. Miriam und Alya waren sechs beziehungsweise acht Jahre alt. Ahmed war stolz auf seine Töchter. Anders als die meisten Wüstenbewohner, Assassinen wie Nomaden, wünschte er sich keinen Sohn. Er hatte für die alten, in seinen Augen sinnlosen und wertlosen, Traditionen nicht viel übrig.
    Ironischerweise kämpfte er mit all seiner Kraft um die Erhaltung eben dieser Traditionen. Gestern Nacht hatte er mit seinen Kameraden das feindliche Lager gestürmt. Sie hatten die verhassten Innosgläubigen kalt erwischt. Ahmed selbst hatte einige Feinde getötet, darunter auch einen alten Mann in kostbaren Gewändern. Das war sicher ein hoher Offizier oder ein Adliger gewesen.
    “Heh, Ahmed! Heh! Heh, Hauptmann Ahmed Ibn Fadlan!”, brüllte Jose.
    Der schlanke, gutaussehende Asssasine stürmte die Treppe herauf. Er wedelte mit einem Stück Papier. Paco und Carlos, seine beiden kriegserfahrenen Unteroffiziere, machten dem jungen Mann grinsend Platz. Keuchend blieb er vor Ahmend stehen.
    “Was ist denn, Jose?”, fragte Ahmed leise.
    “Wir sind befördert worden, Hauptmann! Die ganze Kompanie! Alle vierzig Mann!”
    Ahmed nahm dem jungen Krieger den Bogen Papier aus der Hand und las. Anders als die meisten Bewohner Varants war Ahmed gebildet. Er konnte lesen, schreiben und rechnen, kannte sich sogar etwas in Literatur und Philosophie aus.

    Das Papier trug das Siegel des Hohen Magiers Nazgal Ningalos.

    Für ihre Verdienste um den Erhalt der Religion Beliars, den Schutz der Stadt und ihrer Bewohner und der Bewahrung unserer geheiligten Traditionen … und natürlich eingedenk der Tatsache das Sie und Ihre Kompanie eine wesentliche Rolle bei der Zerstörung eines Belagerungsturmes gespielt haben … sowie ihrer persönlichen Tapferkeit und Treue, belohnen WIR sie mit dem Veteranenstatus und der Verleihung des Beliarordens. Ab sofort dürfen Sie sich zur Garde der Kriegsherren zugehörig fühlen.

    - gez. in Vertretung für GELLON und LUKKOR, gesegnete Kriegsherren, Hohepriester und Hochmagier Nazgal Ningalos

    Das war es also. Jose platzte fast vor Stolz. Unter dem Mauerabschnitt versammelten sich bereits seine restlichen Männer. Ahmed hatte den Brief unabsichtlich laut vorgelesen. Gemurmel machte sich unter ihnen breit. Paco und Carlos feuerten die Männer mit Jubelrufen auf ihren Hauptmann an. Jetzt wuchtete er sich hoch und gab Jose den Bogen Papier zurück.
    “Geh, sag es allen Männern. Die Zeit auf der Mauer ist vorbei. Wir rücken ab.”
    Jose salutierte zackig vor ihm, Ahmed erwiderte die Geste nur halbherzig.
    “Und sag dem Abschnittskommandeur Ortega Bescheid, Jose. Wir brauchen eine Ablösung für diesen Abschnitt.”
    Jose nickte und stürmte davon. Der junge Assassine wollte sich vor den älteren und erfahrenen Männern beweisen. Er hatte noch nicht viel vom Krieg gesehen, da er erst mit der letzten Verstärkung in die Stadt gekommen war. Die Aktion von vergangener Nacht war seine erste echte Schlacht gewesen. Jetzt glaubte Jose das der Sieg kurz bevor stünde.

    Ahmed lehnte sich über die zernarbte und zerschossene Mauerkrone, die er so lange erfolgreich verteidigt hatte. Unter ihm lag das Lager der Myrtaner. Die verfluchten und verhassten Innosgläubigen zeigten keine Absicht abzuziehen. Zwei kleinere Katapulte hatten das Feuer auf den Westturm eröffnet. Die kleinen Gesteinsbrocken klatschten gegen die starken Mauern ohne Schaden anzurichten. Ein paar Scharfschützen, ausgerüstet mit schweren Armbrüsten, schossen ebenfalls. Ahmed sah einen Assassinen auf dem Westturm zusammenzucken und hinter einer Zinne verschwinden. Wahrscheinlich ein Kopfschuss, sehr wahrscheinlich tödlich. Die Scharfschützen der eigenen Seite erwiderten den Beschuss. Auch ein Myrtaner unten im Lager wurde tödlich getroffen. Nein, dieser Krieg war noch lange nicht vorbei und noch lange nicht gewonnen.

    Ahmed ließ den Wind in sein Haar fahren und genoss den Moment der relativen Ruhe. Er musste wieder an vergangene Nacht denken. Hatte er tief genug geschnitten? Der Alte hatte noch gezuckt, als er das zerstörte, umgerissene Zelt verlassen hatte. Ahmed hoffte dass der Alte tot sei. Er hoffte, dass wenigstens dieser eine Feind tot wäre.

    # # #

    “Es blutet zu stark, es sprudelt überall hervor!”
    “Mehr Magie! Mehr Heiltränke!”
    “Barthos!”
    “Brüll mich nicht an! Schliess die Wunde! Setz Magie ein!”
    “Wo ist das Amulett? Wo ist das verdammte Amulett?”
    “Das Blut will einfach nicht verklumpen!”
    “Haltet ihn ruhig, haltet ihn doch ruhig.”
    “Gebt mir dieses Amulett, ihr Stümper. Schnell!”
    “Ist… ist… er ist doch… ist er nicht… ?”
    “Herzmassage! Herzmassage!”




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    KAPITEL 3

    … 49 Jahre zuvor …
    ... im Jahr des Feuers, 929 ...
    … Nordmar …


    “Halt still, du Klotz, oder ich kann die Wunde nie ordentlich verbinden.”
    Rhobar lächelte die nackte Frau vor sich an. Isolde war ein Engel, wunderschön und liebenswert. Er war unsterblich in diese Frau verliebt, auch wenn sie ihn gerade verärgert ansah.
    Das letzte Jahr war nicht gerade leicht gewesen. Die störrischen Nordmänner hatten sich der Einigung unter dem Banner Innos’ widersetzt. Nicht weil sie Anhänger Beliars gewesen wären, sondern weil sie eine zivilisierte, geordnete Herrschaft aus tiefster Überzeugung heraus verabscheuten. Dennoch hatten es Rhobar, Ragnar, Beowulf und Grim fertig gebracht so etwas wie einen Bund aus den drei verfeindeten Clans zu schmieden. Wenigstens mordeten sie sich nicht mehr gegenseitig in endlosen Kleinkriegen dahin.

    Isolde zog den Verbandsstoff fester um seinen Kopf. Eine Tatze eines Schattenläufers hatte ihm einen Kratzer verpasst. Aufgrund des starken Giftes in den Krallen der magisch veränderten Großkatze wollte die Wunde nicht heilen. Zum Glück kannte Isolde die richtige Kräuter, die richtige Magie und die richtige ärztliche Behandlung für so einen Fall. Sie zog den Verband fest und fixierte ihn mit zwei Nadeln.
    “So.”, meinte sie. “Jetzt sollte die Wunde in zwei oder drei Tagen heilen.”

    Rhobar zog sie mit seinen starken Armen an sich. Isolde nickte und grinste dabei. Eng umschlungen sanken sie zu Boden. Sie kannten sich nun seit mehr als zwölf Monaten doch sie waren immer noch verliebt wie am ersten Tag. Für die nächste Stunde gab es nichts außer Leidenschaft und Zärtlichkeit.

    # # #

    Am nächsten Morgen begann die große Jagd. Rhobar, ausgerüstet mit dem Flammenschwert, der gewaltige Ragnar, den alle wegen seiner Größe ‘Troll’ nannten, Grim der Fallensteller und Axtkämpfer und Beowulf der Orkjäger marschierten durch den tauenden Schnee.
    Khan Groz, Orkführer des Brutkrallenclans, hatte sein Kriegslager in der kleinen Ebene nördlich der verfallenen Burg Faring aufgeschlagen. Von dort aus plünderte seine Horde die Nordlande aus. Die Händler aus dem Süden waren gezwungen sich die sichere Passage mit hohem Wegzoll zu erkaufen. Khan Groz wurde reich, während Nordmar verarmte. Doch damit würde es bald vorbei sein.

    “Da ist es!”, flüsterte der rotblonde Grim.
    Rhobar nickte. Wie die anderen Krieger trug auch er eine mittelschwere Rüstung der Nordleute. Langsam nahm er seinen Bogen ab. Er war kein besonders guter Schütze, doch auf diese Entfernung war danebenschießen praktisch unmöglich. Neben ihm spannten auch Ragnar und Beowulf ihre Bögen.
    Sehnen sirrten und drei Pfeile schwirrten den Orks entgegen. Die Orks befanden sich noch im Tiefschlaf. Sie bemerkten die erste Salve gar nicht. Rhobar und die anderen schossen noch einmal. Unten um Lager fingerte ein Ork verblüfft an den Pfeilen herum, die in seiner Brust steckten. Er konnte wohl nicht begreifen was vor sich ging. Mit einem Grunzen brach er tot zusammen.
    “Vorwärts, Krieger von Nordmar!”, brüllte Ragnar so laut er konnte.
    Ähnliche Rufe antworteten von zwei anderen Stellen jenseits des Lagers. Die beiden anderen Überfalltrupps waren ebenfalls bereit. Mit gezückten Waffen stürmten die Nordleute in das Lager der Orks.

    Ein verwirrtes Orkgesicht sah über die niedrige Palisade. Für einen Moment sahen sich der Ork und Rhobar in die Augen. Dann wurde der Ork von mehreren Pfeilen getroffen und fiel nach hinten außer Sicht. Rhobar schwang sich behände über die Palisade. Er hörte schwere Schritte von rechts. Ohne nachzusehen wer oder was dort war stach er mit dem Flammenschwert zu. Ein orkisches Grunzen antwortete ihm. Mit einem festen Tritt beförderte er den sterbenden Ork von der Palisade. Der Kadaver schlug schwer im Lager auf. Von links näherte sich ein ungerüsteter Krieger mit einer gewaltigen Axt.
    Der Ork hackte nach Rhobar als wolle er ein Wollnashorn spalten. Die gewaltige Kriegsaxt blieb im Holz der Palisade stecken. Der Ork riss verzweifelt daran herum um sie freizubekommen. Dann wurde er von drei, vier Pfeilen getroffen. Der Ork fuhr herum und zückte ein schartiges Schwert. Rhobar stieß ihm sein Flammenschwert mitten in die Brust. Der große Ork starb ohne einen Laut.

    Rhobar richtete sich auf und sah sich im Lager um. Leif lag mit eingeschlagenem Schädel am Lagereingang, Erik hing schlaff über einem alten Orkkarren und Larson war regelrecht zerhackt worden. Doch den Orks war es viel schlimmer ergangen. Mindestens zwanzig ihrer Krieger lagen tot oder sterbend im Lager. Zwei Zelte brannten lichterloh, zwei Holzhütten waren eingestürzt und hatten die Orks unter ihren Trümmern begraben. Überall lagen umgestürzte Karren, tote Wollnashörner und tote Warge herum. Zerbrochene Waffen, Pfeile, Holzsplitter und Rüstungsteile waren über das verwüstete Lager verstreut. Ohne Zweifel waren die Orks besiegt worden.

    “So, das war’s. Wo ist Groz?”, fragte Beowulf, der aus einer Schulterwunde blutete.
    Die Krieger Nordmars suchten den obersten Ork. Sie fanden ihn halb verbrannt in einer verkohlten Bretterbude. Jemand hatte ihm mit einer Axt den Schädel eingeschlagen. Man konnte nicht genau sagen wer den Orkchef erschlagen hatte. Später sollten sowohl Torlof, der Anführer des Hammerclans, als auch Hengist, der Anführer des Wolfclans, den Todeshieb für sich beanspruchen.

    Hengist und Horsa, die berühmten Brüder vom Wolfclan, marschierten auf Rhobar zu.
    “Das war gute Arbeit, Fremder.”, sagte Horsa lachend.
    “Ja, diesen Orks haben wir es gezeigt.”, ergänzte der rotblonde Hengist. “Was ist das für eine Waffe?”
    “Ja, zeigt doch mal her!”, forderte jetzt auch Torlof, der Anführer des Hammerclantrupps.
    Rhobar seufzte übertrieben laut und begann sein Feuerschwert vorzuführen. Die Männer des Nordens waren allesamt Krieger, die eine gute Waffe zu schätzen wussten. Und das Feuerschwert war der beste Zweihänder der bekannten Welt. Innos selbst hatte diese Waffe gesegnet und in sie einen Teil seiner göttlichen, allumfassenden Macht gelegt.

    # # #

    Später saßen die Krieger am Lagerfeuer. Es gab gebratenes Fleisch, Bier, Met und besten Käse. In der Nähe loderte noch der Scheiterhaufen von Leif, Erik und Larson vor sich hin. Torlof und Hengist sangen zu Ehren der gefallenen Krieger alte Heldenlieder aus längst vergangenen Tagen. Horsa war eingeschlafen. Er hatte Unmengen Bier und Met getrunken. Ein paar Nordmänner grölten und lallten vor sich hin.

    Rhobar entspannte sich. Die Bestie war tot, Groz ebenso und ihm stand nun nach einem harten Jahr der Weg nach Süden offen. Ragnar döste neben ihm vor sich hin, doch Grim sah ihn plötzlich mit ernster Mine an.
    “Wir sollten nach Faring ziehen!”, meinte er mit Nachdruck in der Stimme.
    “Nach Faring?”, fragte Beowulf. “Diese alte, verlotterte Lehmburg mit ihrem versoffenen Grafen?”
    “Na, den Grafen setzen wir zur Ruhe und die Burg bauen wir aus Stein wieder auf.”
    “Aus Stein?”
    “Nicht die alte Burg, Beowulf.”, sagte Grim. “Wir bauen Faring komplett neu auf. Als uneinnehmbare Festung am Pass nach Nordmar. Wir kontrollieren den Handel, beschützen die Händler, befrieden das Umland … und … erheben Steuern, Wegzoll und Gebühren.”
    “Jetzt spinnst du aber wirklich.”, meinte Beowulf verärgert.
    “Nein… nein… gar nicht, Grim hat recht.”, mischte sich Rhobar ein. “Faring ist ein guter Platz für eine Burg.”
    “Genau! Wir werden reich werden. So wie Groz. In zehn Jahren sind wir gemachte Leute.”, sagte Grim freudestrahlend.
    “Und dann, oh großer Stratege?”
    “Dann stoßen wir nach Süden vor und gründen ein neues Reich.”
    Grim setzte sich wieder und trank einen Becher Met in einem Zug aus. Beowulf beobachtete ihn. Er schien zu überleben ob Grim durchgedreht sei oder es ernst meinte. Die Idee an sich hatte etwas für sich. Das musste sogar Beowulf zugeben. Faring war ein guter Platz für eine Burg.

    Faring war wirklich ein exzellenter Platz. Rhobar lächelte. Faring würde der Beginn sein. Und dann? Montera von seinem Tyrannen befreien? Das Piratennest Ardea ausräuchern? Das uneinnehmbare Trelis dem Söldnerführer Dominique wegnehmen?

    Das neue Reich würde einen Namen brauchen. Wie sollte er es nennen? Rhobar musste nicht lange überlegen. Er wurde sein Reich Myrtana nennen. Sein von Innos gesegnetes Imperium Myrtana!

    … 49 Jahre später …
    … die Belagerung von Bakaresh …


    “ … Grim, Ragnar, Beowulf … wartet ….”
    König Rhobar kämpfte um Worte. Sie wollten seine zerstörte Kehle nicht verlassen. Erschöpft fiel er in die Kissen zurück. Barthos und Mathias beugten sich mit sorgenvoller Mine über ihn.
    “Grim? Ragnar? Wer soll das sein?”, flüsterte Mathias.
    “Still!”, herrschte ihn Barthos an. “Er will uns etwas sagen.”
    “ … Grim … .”
    Mathias zuckte mit den Schultern. Er konnte mit diesem Namen nichts anfangen. Der König atmete nicht mehr. Barthos von Laran, oberster Feuermagier und von Innos gesegneter Magier, trat von dem Sterbebett des größten Königs aller Zeiten hinweg.
    “Der König ist tot!”, verkündete er mit tiefer, rauer Stimme.
    “Er lächelt.”, stellte Kanzler Mathias verblüfft fest. “Wie kann er jetzt lächeln? Im Tode lächeln?”
    “Das ist kein Lächeln.”, antwortete Dominique grimmig.
    Die Augen des Königs sahen jetzt nichts mehr, oder vielleicht sahen sie auch alles. Im Todeskrampf verzog sich der Mund des alten Mannes, doch einige der Männer hielten es für ein Lächeln. Die Kammerzofen des Königs begannen leise zu weinen. Ein oder zwei Männer verfluchten den Feind, andere fielen auf die Knie und begannen zu beten.

    Barthos von Laran kniete sich ebenfalls nieder, hob seine Hände zum Gebet und ließ so alle Anwesenden verstummen. Dann betete er für einen toten König.

    “Oh Innos, gesegnet sei deine Kraft, gesegnet sei deine Herrlichkeit. Nimm heute zu dir den treuesten und frommsten aller deiner Diener. Spende seiner Seele ewigen Trost, denn er war ein wahrer Streiter Innos. Er trug deine Kraft in den Armen, deinen Geist in seiner Seele und dein Feuer im Herzen. Sein Name ist Rhobar und ich, Barthos, schwöre bei den Seelen meiner Vorfahren, dass er deine Gnade mehr als alle anderen Sterblichen verdient hat. Denn dein ist das Licht, und das Feuer und die Gerechtigkeit bis in alle Ewigkeit. … Amen.”



    * ... wird fortgesetzt
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    KAPITEL 4

    ... im Jahr des Feuers, 978 ...
    … die Belagerung von Bakaresh …


    Im berühmten Dorf der Schmiedekunst namens Ben Sala tummelten sich hunderte Menschen. Die meisten waren Milizsoldaten oder Arbeiter aus Myrtana. Sie kümmerten sich um die Karren, die zahmen Ochsen, die Zelte, Waffen, Vorräte und die Munition. Ein ganzer Konvoi aus zehn großen Karren, jeder wurde von zwei Ochsen gezogen, stand zur Abfahrt nach Bakaresh bereit. Die Karren waren mit neuen Zelten, mit Holzbalken und Waffen belangen. Milizsoldaten, Waffenknechte und ein paar Gardisten in ihren roten, altertümlichen Rüstungen saßen auf den Karren. Sie nutzten die Mitfahrgelegenheit zur Front um nicht laufen zu müssen.
    Die Soldaten waren mit einem Sammelsurium an verschiedensten Waffen ausgerüstet. Es gab lange Speere, Hellebarden, alte Streitäxte und schartige Einhandschwerter. Ein paar Soldaten trugen Helme. Die meisten jedoch trugen nur die leichte, rot-weiß gemusterte Rüstung der Miliz, alte Lederhosen und schwere Soldatenstiefel. Viele der Soldaten waren erschreckend jung, viele hatten sich einen Sonnenbrand geholt und wieder andere tranken eine Flasche Wasser nach der anderen. Es waren unverkennbar junge Bauernsöhne aus Mittelmyrtana.
    Der Konvoi setzte sich rumpelnd und scheppernd in Bewegung. Befehle wurde gebrüllt, Ochsen muhten und einige der jungen Bauernsöhne johlten vor Begeisterung. Sie waren jung und naiv und hatten noch nicht in das Maul des Molochs namens Krieg geblickt.

    Am Rande des Gewimmels aus Soldaten, Arbeitern und Einwohnern trafen sich zwei Männer. Ahmed ibn Fadlan schüttelte Shakyor die Hand. Normalerweise hätte er den Nomaden ohne zu zögern getötet oder wäre von ihm getötet worden. Die Zeiten waren aber nicht normal.
    “Ich bringe Grüße von Ali Al Vharg, dem Artefakthändler.”, sagte er.
    “Wohl eher dem Artefaktschmuggler und Dieb.” , entgegnete Shakyor.
    “Es sei wie es sei.”, meinte Ahmed ruhig. “Ich habe hier etwas für dein Volk.”
    Ahmed schlug das kostbare Seidentuch auf und enthüllte ein Bruchstück eines uralten Mosaiks. Shakyor sog scharf die Luft ein. Für die Nomaden waren diese Artefakte heilig. Schnell wickelte Ahmed das Artefakt wieder ein und übergab das Bündel an Shakyor. Es würde keine weitere Diskussion geben. Shakyor wandte sich ab. Er würde seinen Stammesbrüdern und den verehrten Wassermagiern das Angebot der Assassinen überbringen.
    Zufrieden mit sich und seiner Leistung tauchte auch Ahmed wieder in der Menge unter. Es fiel ihm nicht schwer sich als einheimischer Hilfsarbeiter zu tarnen. Hier und da sabotierte er noch ein wenig die Waffen der Myrtaner. Das gehörte zwar nicht zu seinem Auftrag, aber die Gelegenheit war günstig und Ahmed ließ nie eine günstige Gelegenheit verstreichen.

    # # #

    Isolde, Königin von Myrtana, Mutter des Thronfolgers und Priesterin Innos’, sah dem abfahrenden Konvoi schwermütig hinterher. Sie war immer noch eine sehr schöne Frau, groß, schlank und mit aristokratischer Haltung. Würdevoll schritt sie zum provisorischen Thron und setzte sich. Ihre strahlend weißen Gewänder, mit Gold und Silber verziert, leuchtete wie die Flügel eines Engels.
    “Sie wissen es noch nicht, oder?”, flüsterte sie.
    “Nein.”, antwortete Mathias, der Kanzler des Reiches. “Nur eine handvoll Leute und ein paar Zofen wissen es. Die Soldaten sind verschwiegene, treue Seelen. Und die Zofen des Königs wurden… ähem… nach Khorinis geschickt.”
    “Nach Khorinis also.”, murmelte Isolde leise.
    Die Seereise nach Khorinis, der größten Insel zwischen dem Festland und den Südlichen Inseln, betrug rund eine Seewoche. Es würde also mindestens zwei Wochen dauern, bis die Matrosen mit der Nachricht vom Tod des Königs zurückkehrten. Falls die Zofen überhaupt etwas verrieten. Isolde kannte inzwischen genug Soldaten um zu wissen, dass dieser Schlag Mensch keineswegs treu und verschwiegen war. Vielleicht hätte man die Soldaten nach Khorinis schicken sollen.
    Aber wie auch immer, der König war tot und es wurde ein neuer König gebraucht. Ewig ließ sich diese Wahrheit sowieso nicht geheim halten. Doch wer sollte neuer König werden? Isolde dachte an ihre Kinder.
    Innostian, ihr Erstgeborener, war tot. Er war als Kind gestorben, krank, schwächlich und geistig behindert. Dann gab es Rhobar, ihren jüngsten Sohn. Er war gesund und stark, ein Bär von einem Mann. Doch seine geistigen Gaben reichten nicht aus um ein Land erfolgreich zu regieren. Ihr jüngster Sohn war ein ganz guter Verwalter, ein mittelmäßiger Stadtkommandant und ein schlechter General. Als König würde er eine Katastrophe sein.

    “Ritter Hagen meldet sich zum Dienst!”, brüllte es vom Eingang her.
    Isolde wurde aus ihren Gedanken gerissen. Am Eingang zum Herrenhaus stand ein junger, blonder Ritter. Es war Hagen, der beste und klügste der neuen Rittergeneration. Außerdem war er der beste Freund ihres jüngsten Sohnes. Die beiden Männer waren ungefähr im gleichen Alter. Isolde wünschte sich manchmal das Hagen ihr Kind sei. Hagen wäre ein ganz passabler neuer König, nicht perfekt, aber weit besser als Rhobar.
    “Komm her, Neffe.”, antwortete sie ihm.
    “Zu Befehl, Herrin.”
    “Ach, sei doch nicht so förmlich. Ich bin deine Tante.”
    Hagen setzte sich neben sie. Isolde streichelte ihm über den Blondschopf. Der junge Mann war das einzige Kind ihrer Schwester Adele. Isolde hätte viel gegeben um auch so ein Kind zu haben. Hagen war so lieb, so sanft, so wissbegierig und auch intelligenter als alle ihre eigenen Kinder zusammengenommen. Nach dem frühen Tod ihrer Schwester in Montera war Hagen von ihr zusammen mit Innostian und Rhobar aufgezogen worden. Manchmal hatte er sie sogar Mutter genannt. Doch das war lange her.

    Isolde wusste dass sie einer Art Nostalgie huldigte. In Hagen steckte viel von ihrer jüngeren Schwester. Das blonde Haar, das ansteckende, freundliche Lachen, die Intelligenz und der hintergründige, wohlwollende Humor. Isolde hatte ihre Schwester geliebt, wahrscheinlich mehr als jeden anderen Menschen einschließlich des Königs und ihrer eigenen Kinder. Diese Liebe hatte sich auf Hagen übertragen.
    “Ich führe die jungen Ritter in den Kampf, Tante Isolde. Zwanzig kampfbereite, ausgebildete und ausgerüstete Ritter. Wir werden die Speerspitze bilden, die Bakaresh vernichtet und Beliar eine endgültige Niederlage zubereitet.”, sagte Hagen.
    “Ja… ja… natürlich.”, erwiderte Mathias etwas gereizt.
    “Was ist denn?”, fragte Hagen verwirrt.
    Mathias wollte gerade aufbrausen und den jungen Ritter zurechtweisen, da griff Isolde ein und hielt den Erzkanzler zurück.
    “Er weiß es noch nicht.”, sagte sie laut.
    “Was weiß ich noch nicht?”, fragte Hagen misstrauisch.
    Isolde und Mathias sahen den jungen Ritter traurig an. Mathias holte tief Luft, atmete dann langsam aus und wieder ein. Als er sich beruhigt hatte begann er zu sprechen.
    “Der König ist tot.”

    # # #

    Hagen stand einsam auf dem Dach des Herrenhauses. Der Wind umspielte seine glänzende Ritterrüstung. Es war jetzt rund zwanzig Jahre her dass er den König, seinen Onkel, zum letzten Mal gesprochen hatte. Damals war er noch ein Kind gewesen, kaum fünf Jahre alt und Rhobar war für die Kinder des Hofstaates nichts weiter als der liebe, nette Onkel mit der Krone gewesen.
    Natürlich hatte es danach mehr als genug offizielle Empfänge, Treffen und Truppenparaden gegeben. Hagen war zusammen mit Roland der Anführer der jungen, der neuen Generation der Ritter. Sie waren die zukünftige Garde, sie waren die Streiter Innos’ und sie waren die Zukunft des Reiches.
    Hagen dachte an Innostian, den kranken und gebrechlichen Narren, an Rhobar, der stark aber nicht besonders klug war. Er dachte an Maria, die Tochter des Kanzlers und an Roland, den Sohn Dominiques. Vor allem aber dachte er an Sabrina, die Tochter des Hochmagiers Barthos. Mit ihr verband ihn mehr als ein Mensch erklären konnte.
    Doch als Kinder waren sie alle gleich gewesen. Ob Junge oder Mädchen, ob Thronfolger oder behinderter Narr, sie alle hatten miteinander gespielt, miteinander gelacht und geweint. Es war eine wundervolle Zeit ohne Sorgen, ohne Nöte und ohne Dunkelheit gewesen. König Rhobar war damals wirklich und wahrhaftig nichts weiter als der nette Onkel gewesen. Ein Spielkamerad, eine Vaterfigur, ein Beschützer.
    “Der König ist tot.”, sagte Roland leise.
    Hagen nickte. Wieder einmal hatte sich Roland an ihn herangeschlichen ohne dass er es bemerkt hatte. Das tat Roland seit ihrer Kindheit. Es war ein Spiel, ein harmloses, freundliches Kräftemessen. Roland gewann immer. Aber er war ja auch der Sohn Dominiques. Er musste ein schweres Erbe tragen, er musste sich immer beweisen, sich immer an seinem Vater messen lassen.
    “Der König ist tot.”, wiederholte Roland.
    “Ja… ja, ich weiß.”, antwortete Hagen schließlich.
    “Was machen wir jetzt?”, fragte Roland.
    Hagen konnte seinem Freund nicht antworten. Alles hing in der Schwebe. Der Großteil der Armee wusste nicht einmal dass der König tot war. Der Feind wusste es wahrscheinlich auch noch nicht. Doch die furchtbare Nachricht würde sich nicht ewig verbergen lassen. Hagen drehte sich zu Roland um und sah ihm in die Augen.
    “Wir haben immer noch eine Königin. Wir haben immer noch einen Feind den es zu schlagen gilt. Wir haben immer noch ein Reich, das wir verteidigen müssen. Wir sind die Streiter Innos’. Wir werden nicht fallen!”



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    KAPITEL 5

    ... im Jahr des Feuers, 978 ...
    … die Belagerung von Bakaresh …


    Die Paladine bereiteten sich auf den Kampf vor. Roland und Hagen, die beiden jüngsten Ritter, wuchteten den Schulterwerfer auf Dominiques linke Schulter. Die monströse Waffe konnte einen Hagel aus drei erzverstärkten, giftgetränkten Eisenbolzen abfeuern. Der altertümliche Lade- und Zielmechanismus surrte und klickte. Im Inneren der Waffe lebte ein gezähmter und abgerichteter Irrwisch. Diese Wesen aus reiner Energie waren magisch an ihre Meister gekettet und führten deren Befehle ohne zu zögern aus. Ein Irrwisch konnte Gegenstände aufspüren, Energie spenden oder eben als treues Helferlein dienen. Jeder innosgesegnete Paladin besaß einen eigenen Irrwisch.

    Währenddessen richtete Dominique die Runen in seinen Armschützern her. Beide Runen, einmal Heiliger Pfeil und einmal Feuerpfeil, standen in Hautkontakt und konnten abgefeuert werden ohne das gesegnete Schwert namens Innos Zorn wegzulegen. Magische Runen bestanden aus Magischem Erz. In sie eingebettet waren bestimmte Zauber. Anders als bei den nur einmal benutzbaren Spruchrollen konnte man diese Zauber wieder und immer wieder einsetzen. Solange der Manavorrat des Zauberkündigen eben vorhielt. Innosgesegnete Paladine waren auch immer große, sehr fähige und geschickte Kampfzauberer.

    Dominique schwang probehalber seine Arme, beugte die Beine und übte einen kurzen Sprint. Zufrieden nickte er den beiden jungen Rittern zu. Dann schlug er seinem Sohn Roland freundlich auf die Schulter. Die Geste offenbarte das enge Vatersohnverhältnis zwischen den beiden Männern.
    Hagen wünschte sich das ihn wenigstens einmal sein Vater so angesehen hätte, mit diesem Stolz und dieser Wärme im Blick. Doch Hagen kannte seinen Vater nicht einmal. Er hatte seine Mutter verlassen bevor er geboren worden war. Seine Mutter war gestorben bevor er zwei Jahre alt wurde. Dann hatte ihn seine Tante Isolde aufgezogen. Isolde wiederum hatte seinen Vater nie kennen gelernt und konnte ihm folglich auch nichts über ihn erzählen.

    In der Nähe bereiteten sich auch Dominiques Schlachtbrüder auf den Krieg vor. Sie alle trugen ähnliche Rüstungen und Waffen wie Dominique. Marcos verzichtete für gewöhnlich auf den Schulterwerfer, trug dafür die Rune Großer Feuerball und eine gewaltige Kriegsaxt, den Trollspalter. Der riesengroße Walter trug wie Dominique einen Schulterwerfer und einen Zweihänder, genannt Innos Gnade. Ivan und Inubis trugen die normale Bewaffnung und Rüstung der Paladine.
    Da Paladin Ukara im Kampf gefallen war, würde schon bald ein neuer Paladin von Innos erwählt werden. Normalerweise wählte Innos den neuen Streiter aus den Reihen der Ritter. Dann folge ein kompliziertes Ritual und die endgültige Verwandlung zum Streiter Innos’.

    Hagen und Roland waren noch nicht so geübt im Zweihandkampf. Außerdem waren sie noch Ritter. Ihre Körper waren noch nicht von Innos gesegnet worden und verändert worden. Sie waren noch normale Menschen. Deshalb trugen sie gesegnete Paladinschwerter, also Einhandwaffen. Wie alle Waffen der Paladine waren auch diese Schwerter mit Magischem Erz überzogen und an einem Innosschrein ihrem Gott geweiht worden. Diese Waffen waren von unvergleichlicher Schärfe und Durchschlagskraft. Es gab nicht viel was einer solchen Klinge standhalten konnte.

    Dominique umarmte Lothar, seinen Stellvertreter, wie einen Bruder. Dann packte er Albrecs Arme uns schüttelte sie. Die anderen Paladine verabschiedeten sich ebenfalls von ihren im Lager zurückbleibenden Schlachtbrüdern.

    “Abmarsch!”, befahl Dominique seinen Schlachtbrüdern.
    In perfekter Formation rückten die fünf Paladine, zwei Ritter und drei Waffenknechte aus ihrem Lager in Ben Sala aus. Ihre silbernen Rüstungen glitzerten und funkelten in der aufgehenden Sonne. Am Ortsausgang von Ben Sala baumelten sie beiden Leichen von zwei Einheimischen, ein Nomade und ein Assassine, am Galgen hin und her. Der myrtanische Stadtkommandant hatte sie wegen Sabotage hinrichten lassen.

    # # #

    Die große Oase bei dem berühmten Dorf Ben Sala war seit alters her eines der Hauptlager der Wüstennomaden. Diese wilden und ungebärdigen Stämme huldigten traditionsgemäß dem neutralen Gott Adanos. Einige von ihnen beteten aber auch den dunklen Gott Beliar, den Feind des Feuers und der Gerechtigkeit, an.
    Die Oase selbst bestand aus hunderten Palmen, einem großen See und einige Tiefbrunnen und Zisternen. Es gab hier einige verfallene Ruinen des Alten Volkes, einige neuere Steingebäude und Holzhütten. Wirklich prächtig ausgestattet waren aber nur die Zelte der Nomaden und Assassinen. Golddurchwirkte Wollstoffe und wunderschön bestickte Wandteppiche gaben den großen Zelten das Aussehen eines königlichen Lagers. Ein paar Assassinen handelten hier mit den Nomaden, kaufen Nahrung, Wasser und Waffen ein. Die Nomaden waren keine Freunde der Assassinen, tatsächlich eher ihre Feinde, hatten aber auch nicht das Verlangen nach myrtanischen Grafen in Bakaresh und Ben Sala. Sie verkauften ihre Waren an alle die bezahlen konnten.
    Das an sich war schlimm genug. Doch Ali Al Vharg hatte alte Artefakte in Bakaresh gefunden. Artefakte die für die Nomaden Heiligtümer waren. Auf Gellons Befehl sollte er sie den Nomaden übergeben, im Austausch gegen vierhundertfünfzig Krieger. Die Nomaden hatten dem Handel so gut wie zugestimmt. Ihre Vertreter waren zur Oase gekommen um die Artefakte in Empfang zu nehmen. Nur durch einen Zufall hatten die Paladine von diesem Plan erfahren.

    Dominique, Walter, Inubis, Ivan und Marcos schlichen sich leise an das Lager an. Ihre von Innos gesegneten, doppelten Herzen hämmerten das Blut durch ihre Adern. Adrenalin floss in Strömen. Der Drang zu töten und zu metzeln war fast übermenschlich stark. Mit ihren von Innos gesegneten Sinnen konnten die fünf Paladine alle Bewohner der Oase ohne Probleme aufspüren. Da war der alte, dicke Assassinenhändler Ali Al Vharg, da war der junge Nomade am Tiefbrunnen, die leicht bekleidete Sklavin, die Wachen, die abgerichteten Wüstenwölfe, die Palmen, die Fische, Vögel und die zahmen Löwen.
    Ali Al Vharg schüttelte gerade einem alten Wassermagier freudestrahlend die Hand.
    “Ich bin sehr erfreut, oh weiser Magier Brennar.”, sagte Ali Al-Vharg freudestrahlend.
    “Die Freude ist ganz auf meiner Seite, da ihr die heiligen Artefakte meinem Volk zugebt, oh edler Ali Al-Vharg.”, antwortete der Magier ebenso freudestrahlend.
    Die beiden Männer umarmten sich als hätte es nie Feindschaft zwischen Assassinen und Nomaden gegeben. Anscheinend stand der Handel kurz vor dem Abschluss. Es wurde für die Paladine Zeit zuzuschlagen.
    “Komm, oh jüngster Sohn des edlen und mächtigen Shakyor.”, rief der alte Magier dem jungen Mann am Brunnen zu. “Du wirst dieses Bündnis mit deinem Eid besie….”

    Simultan hoben die fünf Paladine ihre Arme und sandten sengende Flammenstrahlen in das Lager der Nomaden. Die Feuerpfeile zuckten tief über den Boden, fanden einen der Löwen, einen der Wachwölfe und einen Arbeiter. Schreiend und zuckend wälzten sich die brennenden Gestalten am Boden. Dominique feuerte seinen Schulterwerfer ab und bereitete dem jungen Nomaden, dem jüngsten Sohn von Shakyor, am Tiefbrunnen ein blutiges Ende. Auch Walter feuerte.
    Die drei erzverstärkten, vergifteten Bolzen töteten zwei Arbeiter in sekundenschnelle. Dann stürmten sie in das Lager und schwangen ihre Waffen. Die Nomaden reagierten schnell und selbstsicher. Sie waren Krieger, Söhne der Wüste, und zugleich die besten Späher der bekannten Welt. Normalen Soldaten waren sie weit überlegen. Doch die Paladine waren schon lange keine normalen Soldaten mehr.
    Dominique rammte einem Nomaden sein Schwert in den Leib. Der tödlich getroffene Späher schwang unbeholfen seinen Speer. Mühelos lenkte Dominique den Schlag zu Seite ab. Dann beendete er sein Werk mit einer schnellen Drehung seines Schwertes. Ein zweiter Nomade, bewaffnet mit zwei langen Einhandschwertern, griff ihn an. Für einige Sekunden kämpften die beiden Männer miteinander. Schläge wurden in verwirrender Geschwindigkeit ausgetauscht. Doch es konnte nicht von Dauer sein. Dominique durchbrach die Verteidigung des tapferen Nomaden und tötete ihn mit einem mächtigen Hieb gegen den Kopf.

    Der alte Nomadenanführer, offensichtlich ein Wassermagier, sank vor ihm in die Knie. Er hob die Arme und flehte zu Adanos ihn zu verschonen.
    “Oh Sohn Innos’, versündige dich nicht vor deinem und meinem Gott, denn ich bin ein Magier des Wassers. Mein Name ist Brennan. Ich flehe….”
    Normalerweise waren die Priester Adanos’ keine Feinde. Aber dieser Mann hätte um ein Haar den Assassinen vierhundertfünfzig Krieger für ein paar alte Artefakte verkauft. Dominique tat es nicht gern, aber er spaltete den alten Wassermagier mit einem Schlag in zwei Hälften. Der Tote Kadaver fiel auf die heiligen Artefakte und besudelte sie mit seinem Blut.

    Marcos hatte sich inzwischen dem Zelt der Assassinen zugewandt. Er hackte mit seiner Axt auf das Zelt ein als wolle er Holzscheite spalten. Scheinbar mühelos zertrümmerte er das Zelt, die Möbel und sogar die Menschen im Inneren des Zeltes. Stoff, Holz, Fleisch. Die Händler schrien um ihr Leben bis der mörderische Trollspalter ihren Schreien ein Ende bereitete. Dann verbrannte Marcos die Überreste mit seiner Rune Großer Feuerball zu Asche.

    Inubis und Ivan stellten sich den fliehenden Assassinen und Arbeitern in den Weg. Ihre langen Zweihandschwerter glitzerten in der Sonne als sie zuschlugen und die hoffnungslos unterlegenden Feinde niedermachten.

    Walter hatte den fetten Assassinenhändler mit der linken Hand am Hals gepackt und hob ihn hoch. Ali Al Vharg, Sklavenhändler und Artefaktschmuggler, keuchte auf. Seine Hände packten die gepanzerte Faust des Paladins und versuchten den stählernen Griff zu brechen. Es war vergebens. Walter drückte Ali Al Vharg seine Feuerpfeilrune ins rechte Auge und löste sie aus.

    # # #

    Begeistert betrachteten Roland und Hagen das Massaker. Die fünf innosgesegneten Paladine metzelten ganz allein das ganze Lager nieder. Flammen loderten zum Himmel, ein paar Palmen stürzten krachend um. Zwei Arbeiter versuchten zu fliehen und wurden von einer Salve aus einem Schulterwerfer und zwei Salven aus einer Feuerpfeilrune getötet. Ein paar Nomaden leisteten noch Widerstand. Diese Nomaden waren wirklich tapfer. Natürlich hatten sie keine Chance.
    Hagen tippte Roland auf die Schulter. Er zeigte zum Meer. Dort schlichen sich drei Nomaden, eine Sklavin und zwei Assassinen vom Lager weg. Die Paladine bemerkten deren Flucht nicht einmal.
    “Los, das ist unsere Beute.”, sagte Roland und stürmte los.
    Hagen und die drei Waffenknechte folgten ihm.

    “Heh, wo wollt ihr denn hin?”, brüllte Hagen die Flüchtlinge an.
    “Ergebt euch, oder ihr seid des Todes!”, fügte Roland hinzu.
    Die drei Nomaden eröffneten sofort mit ihren Kurzbögen das Feuer. Die Pfeile prallten jedoch wirkungslos an den Rüstungen der beiden Ritter ab. Begeistert stürzten sich Roland und Hagen in den Kampf. Inzwischen erwiderten die drei Waffenknechte das Feuer mit ihren leichten Armbrüsten. Die Bolzen fällten einen der Nomaden. Jose zog seine beiden Kurzschwerter und ging mit einem Kriegsschrei auf Roland los. Die Sklavin rannte so schnell sie konnte davon.
    Ein Bolzen traf ihr rechtes Bein. Sie fiel auf ihr Gesicht und kullerte die Sanddüne hinab außer Sicht.

    Ahmend ibn Fadlan zückte sein Assassinenschwert. Er fluchte lauthals. Die ganze Sache lief furchtbar schief. Erst waren er und Jose zu Leibwächtern des geachteten Sklavenhändlers Ali Al Vharg befördert worden. Doch dann hatte das Verhängnis seinen Lauf genommen. Gegen die innosgesegneten Paladine hatten sie mit ihren leichten Rüstungen und Waffen keine Chance. Aber damit nicht genug. Jetzt standen auch noch zwei Ritter und drei Waffenknechte vor ihnen. Das war wirklich ein äußerst schlechter Tag. Immerhin waren die Ritter noch normale Menschen, wenn auch schwer bewaffnet und gerüstet.

    Ahmed stellte sich Hagen zum Zweikampf. Jeder weitere Fluchtversuch würde den Tod bedeuten. Ahmed dachte an seine Frau, an seine beiden Töchter und an sein Heim. Insgeheim verfluchte er den Krieg und alle seine Folgen.
    Das gesegnete Paladinschwert krachte mit großer Gewalt gegen sein Assassinenschwert. Ahmed wehrte den Schlag keuchend ab. Der junge Ritter mochte noch ein normaler Mensch sein, aber er war extrem stark und sehr schnell. Außerdem trug er eine Ritterrüstung und ein gesegnetes Paladinschwert. Ahmend wehrte den zweiten Schlag ab und wünschte sich seine alte, schwere Assassinenrüstung herbei.
    “Jetzt schickte ich dich heim zu deiner Blasphemie, die du Beliar nennst!”, brüllte ihm Hagen ins Gesicht.
    Es folgte ein wahrer Hagel von Schlägen. Ahmed wich zurück, gab Raum auf um am Leben zu bleiben. Der junge Ritter trieb ihn mit wuchtigen Schlägen gegen eine Sanddüne. Ein paar Mal wäre Ahmed fast gestürzt. Verbissen setzte er sich zur Wehr. Doch Ahmed konnte auf die Schläge und Angriffe nur reagieren. Zu schnell und zu sicher schlug der Ritter zu. Dann rutschte Ahmed aus und fiel.
    Hagen ließ sein Schwert herabsausen und stach es durch Ahmeds linken Oberschenkel. Der Assassine heulte vor Schmerzen auf. Doch Ahmed war ein erfahrener Krieger. Statt die Wunde zu umklammern, und dem Gegner damit die Möglichkeit zum Todeshieb zu geben, packte er mit beiden Händen das Schwert seines Feindes. Er schnitt sich an der unglaublich scharfen Klinge die Hände auf. Hagen glotzte ihn verwirrt an. Dann riss Ahmed an der Waffe und brachte den jungen Ritter somit aus dem Gleichgewicht. Hagen fiel nach vorn auf sein Gesicht.
    Ohne zu zögern, ohne auf den fürchterlichen Schmerzen zu reagieren, riss Ahmed seinen langen Dolch hervor und stach zu. Wieder und immer wieder stach er in die Arm- und Beingelenke des Ritters. Blut floss hervor. Hagen brüllte vor Wut und Schmerz markerschütternd.
    Ahmed tastete nach seinem Schwert, packte es und schlug zu. Der erste Schlag riss das Visier des Ritterhelmes ab, der zweite und dritte Schlag zerfetzte den linken Schulterschutz Hagens. Der vierte Schlag traf die freigelegte, verwundbare Schulter. Knochen brachen unter der Wucht des Schlages.

    Ahmend taumelte von dem schwer verwundeten Ritter weg. Er riss sich das Paladinschwert aus seinem Bein. Der Blutverlust begann sich bemerkbar zu machen. Ahmed benutzte sein Assassinenschwert als Krücke und hinkte davon.
    “He! HEH!”, brüllte ihm ein Waffenknecht hinterher.
    Ahmed drehte sich um und warf seinen Dolch. Es war ein perfekter Wurf, Zeugnis von langer Übung und großer Erfahrung. Waffenknechte trugen schwere Milizrüstungen. Sie waren normale Menschen, doch sehr gut ausgebildet und meistens kriegserfahrene Veteranen. Doch eine schwere Milizrüstung hatte ihre Schwachstellen. Ahmed kannte sie und lenkte seinen Dolch direkt in die Lücke zwischen Halsschutz und Brustplatte. Grugelnd und hustend brach der Waffenknecht zusammen. Ahmed brauchte nicht hinzusehen um zu erkennen dass es eine tödliche Wunde war.

    Ritter Roland zog sein Paladinschwert aus der Leiche des gutaussehenden und sehr jungen Assassinen Jose. Die beiden überlebenden Waffenknechte flankierten ihn. Doch die drei Männer ließen Ahmed entkommen. Sie hatten soeben mitangesehen was der Assassine mit Hagen und dem Hauptmann der Waffenknechte gemacht hatte. Keiner von ihnen hatte das Verlangen ihrem Kameraden ins Grab zu folgen.


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    KAPITEL 6

    ... im Jahr des Feuers, 978 ...
    … die Belagerung von Bakaresh …


    “So, so, so … .”
    Barthos von Laran ging im Hauptzelt des myrtanischen Lagers auf und ab. Seine feuerroten Gewänder wallten um ihn wie das ewige Feuer Innos’. Der oberste Magier des Reiches, Oberhaupt der Kirche Innos’ und weiseste aller Gelehrten, war nicht begeistert.
    “Wir haben den Hauptmann der Waffenknechte, einen kriegserfahrenen Veteranen, verloren. Außerdem ist der junge Lord Hagen schwer verletzt worden. Die Heiler konnten seine Wunden schließen. Doch das Fieber wird ihn noch mindestens zwei Tage danieder werfen.”
    Dominique montierte ungerührt seinen Schulterwerfer ab. Die schwere, jetzt leergeschossene Waffe, polterte zu Boden und rollte bis vor Barthos Füße. Der Hochmagier verzog ärgerlich sein Gesicht.
    “Hörst du mir überhaupt zu, Dominique?”
    “Ja, ja.”, antwortete der Paladin.
    “Ja, ja? Ja, ja, heißt leck mich am Arsch!”
    “Dann leck mich doch, Barthos, alter Meckerheini.”
    Die beiden Männer starrten sich gegenseitig an. Sie waren nun schon so lange Freunde das sie fast vergessen hatten was Freundschaft bedeutet. Dominique sah als Erster zu Boden. Eine Weile fummelte er an seiner Rüstung herum. Dann blickte er Barthos wieder an.
    “Also schön, du hast recht.”, gab er zu. “Es war nicht die beste aller denkbaren Missionen. Wir haben einen Mann verloren, Hagen wurde verletzt und Walters Rüstung ist so gut wie Schrott. Aber es hätte schlimmer kommen können.”
    “Schlimmer? Der König ist tot und jetzt wäre um ein Haar Hagen getötet worden? Hast du es auf die Familie des Königs abgesehen, Dominique?”
    “Wie war das noch mal mit deinen Spionen?”, konterte Dominique.

    Barthos war nicht nur der Erzmagier des Reiches. Weniger bekannt war, dass er auch der Chef aller Spione des Reiches war. Es gab kein Geheimnis das seine Spione nicht ergründen konnten.
    Von dem bevorstehenden Handel zwischen Assassinen und Nomaden hatten sie dennoch nur durch Zufall erfahren. Ein betrunkener Soldat hatte ein Gespräch zwischen zwei Männern belauscht und das Ganze seinem ebenfalls betrunkenen Freund erzählt.
    Dieser hatte es später seinem Vorgesetzten gesagt und dieser Vorgesetzte seinem Hauptmann. Nun war es nicht so dass dieser Hauptmann dem Gefasel eines betrunkenen Soldaten sonderlich viel Bedeutung beimaß. Die Meldung war irgendwo in einer Schreibstube in Ben Sala liegen geblieben.
    Es war nur einem aufmerksamen Offiziersburschen zu verdanken dass die Nachricht schließlich doch noch auf Barthos Schreibtisch gelandet war. Cornelius, so der Name des Burschen, war dafür mit dreihundert Goldstücken belohnt worden. Um ein Haar hätten die Assassinen und Nomaden ein Bündnis geschlossen. Nur sehr viel Glück und die Rücksichtslosigkeit der Paladine hatten Schlimmeres verhindert.

    “Ihr hättet den Wassermagier nicht töten sollen.”, begann Barthos von neuem.
    “Ja, ja … Verzeihung, ich meine; Ich hatte keine Wahl. Er wollte vierhundertfünfzig Mann an die Assassinen übergeben. Vierhundertfünfzig Wüstensöhne, bewaffnet und entschlossen uns zu trotzen.”
    “Trotzdem, das wirft kein gutes Licht auf uns. Immerhin wir die Guten.” , entgegnete Barthos.

    # # #

    Ritter Roland lungerte noch eine Weile auf der Veranda des Herrenhauses herum. Sein Vater stritt sich wieder einmal mit Barthos. Das taten die beiden schon solange Roland denken konnte. Irgendwann würde sein Vater einlenken oder Barthos unvermittelt den Raum verlassen. Aber die beiden Männer waren echte Freunde. Es dauerte nie lange bis sie sich entschuldigten und versöhnten.
    Roland hatte allerdings keine Lust solange zu warten. Er kannte dieses Spiel zur Genüge und hatte kein Verlangen es noch einmal zu erleben. Die beiden Männer würden auch ohne ihn klarkommen. Was sollte ihnen hier, inmitten hunderter Krieger, auch geschehen?

    Roland schlenderte zum Hospital der Gnädigen und Barmherzigen Schwestern hinüber. Die Frauen vom königlich-medizinischen Hilfsdienst kümmerten sich um die Verletzten. Sie alle waren so genannte Kräuterweiber. Zu anderen Zeiten hätte man sie wohl Hexen genannt und verfolgt.
    Aber jetzt, da Krieg herrschte, brauchte man ihre Fähigkeiten. Sie dienten als Heilerinnen. Nebenbei wirkten sie beruhigend auf die Soldaten ein. Eine Truppe ganz ohne Frauen würde früher oder später hoffnungslos verwahrlosen und sämtliche Disziplin verlieren. Ohne Frauen konnten Männer keinen Krieg führen.
    Das war eine Tatsache. Es wäre auch ein köstlicher Witz gewesen, da sehr oft gerade die Frauen so sehr unter dem Krieg der Männer zu leiden hatten. Aber die Sache war zu ernst um darüber lachen zu können.
    Da war die Sklavin, die sie nach dem Debakel unterhalb der Oase gefangen genommen hatten. In ihrem rechten Bein steckte ein Armbrustbolzen. Deshalb befand sie sich im Hospital. Sollte sie überleben, würde sie wahrscheinlich als Sklavin an einen myrtanischen Adligen verkauft werden.
    Die beiden alten Soldaten am Eingang nahmen Haltung an, als Roland an ihnen vorbeiging.

    Roland betrat das Hospital und hielt sich die unwillkürlich die Nase zu. Eine alte Kräuterfrau sah ihn missbilligend an.
    “Na, junger Recke, hast wohl die Nase voll vom Krieg, was?”, höhnte sie.
    Roland ignorierte sie, hauptsächlich weil sie mit ihrer Bemerkung sehr nahe an der Wahrheit lag. Der stechende, durchdringende Geruch von Medizin, Zaubersprüchen, Eiter, Blut und Tod lag in der Lust. Er durchdrang alles. Das ganze Hospital roch danach. Roland nahm die Hand von Mund und Nase. Er kämpfte den Brechreiz nieder. Immerhin war er der Sohn des größten Paladins aller Zeiten. Er würde sich nicht neben die Betten der Sterbenden erbrechen.

    Zwei Schwestern und ein Heiler drückten einen um sich schlagenden und schreienden Mann nieder. Der Heiler, wahrscheinlich ein Mitglied des Waldvolkes, zückte eine lange Säge. Er begann dem Mann die zerschmetterten Beine zu amputieren. Der Milizsoldat schrie und schrie und schrie.
    Roland zwang sich nicht hinzusehen.
    “Ein Ritter, hihihi, ein Ritter, hihihi.”, flüsterte der Mann im nächsten Bett in blödsinniger Erheiterung. “Ein Ritter, hihihi, ein Ritter….”
    Zwei Betten weiter spendete ein Feuermagier einem Milizsoldaten die letzte Segnung des Lichts. Der Mann war noch nicht tot, aber man brauchte das Bett. Also wurde der Sterbende nach draußen getragen und noch lebend auf den Haufen der Toten geworfen. Sein Körper zuckte noch ein paar Mal, dann lag er still da. Roland musste sich zusammenreißen um nicht laut zu schreien.
    “Gib mir mal die Zange, junger Recke.”, forderte ihn eine Stimme auf.
    Roland griff instinktiv nach dem richtigen Werkzeug. Er reichte der jungen Kräuterfrau die Zange. Geschickt klammerte sie die klaffende Wunde zusammen und schmierte dann Heilsalbe darauf. Der Soldat schrie sich derweil die Seele aus dem Leib. Die alte Kräuterfrau von vorhin goss ihm Schnaps in den Rachen bis er verstummte.
    “Hier, halt mal.”, sagte die junge Frau.
    Roland packte die pulsierende Wunde am Arm des Soldaten und schob den Hautfetzen darüber. Er hatte vor so etwas keine Angst. Inzwischen störte ihn auch der stechende Geruch nicht mehr.
    “Gut, das machst du gut.”, lobte die junge Frau.
    Wieder klammerte sie die Wunde fachmännisch zusammen. Diesmal sprach sie einen alten Heilspruch. Die Wunde schloss sich ein Stück, die Blutung wurde gestoppt. Die junge Frau nickte den umstehenden Soldaten zu. Sie trugen ihren Kameraden zu dem Bett, das gerade frei geworden war.

    Roland setzte sich neben die junge Kräuterfrau. Diese nahm ihr weißes, mit Blut, Eiter und Schweiß verdrecktes Kopftuch ab. Erst jetzt erkannte er sie.
    “Sabrina?”, fragte er.
    Die junge Frau blickte ihn müde an.
    “Soll das eine Art Scherz sein?”, fragte sie leise.
    “Nein, nein… Ich habe dich wirklich nicht erkannt.”
    Sabrina nickte nur. Früher hätte er sich ein Donnerwetter anhören müssen. Sabrina war für ihre spitze Zunge und ihre Streitsüchtigkeit bekannt. In Hofkreisen galt sie als besonders schwierige Zicke, was Roland nur bestätigen konnte. Aber diese Frau hier war einfach nur müde.
    Sie saßen eine Weile schweigend beieinander. Der verwundete Soldat, dem Sabrina eben das Leben gerettet hatte, war wieder erwacht. Vom vielen Alkohol war er betrunken. Er lallte irgendetwas von der Herrlichkeit der Frauen und ihren heilenden Händen. Dann, als die Schmerzen mit aller Wucht zurückkehrten, rief er ängstlich nach seiner Mutter. Nach ein paar Minuten wurde er ohnmächtig.
    Heiler hetzten vorbei. Sie rannten zu einem Hauptmann der Miliz. Der Offizier hatte einen Pfeil im Kopf stecken, lebte aber noch. Roland konnte nicht erkennen ob sie ihn retten konnten. Zwei Kräuterfrauen schoben einen Karren voller Zaubertränke, Heiltränke, Wollbinden, Klammern, Zangen und Nadeln vorbei. Ein Eimer mit dreckigem, abgestandenem Wasser fiel um. Niemand nahm es zur Kenntnis.

    # # #

    Roland fand seinen Freund Hagen in Hochstimmung vor. Der junge Ritter stand am einem großen Fenster im zweiten Stock des Hospitals von Ben Sala. Unter dem langen, weißen Gewand zeichneten sich die dicken Verbände um Schulter und Kniekehlen deutlich ab. Er sah über die sandgelben Dächer der niedrigen Häuser hinweg zu den Zelten, Karren und Soldaten der Armee hinüber.
    “Das ist fantastisch, nicht wahr?”, freute er sich.
    “Nun ja, wie man es nimmt. Unten im Hospital… .”
    “Ach, vergiss den Gestank und die Verwundeten, Roland.”, sagte Hagen fröhlich und winkte Roland ans Fenster.
    “Sieh dir lieber diese fantastische Armee an.”
    Roland blickte nach unten. Ein zweiter Konvoi, voll mit Rekruten und Nachschub, war soeben eingetroffen. Acht schwere Karren, mindestens fünfzig weitere Krieger und Material um die Verluste an Waffen, Rammböcken und Katapulten auszugleichen. Ein paar Hauptmänner der Miliz und der eine oder andere Waffenmeister versuchten Ordnung in das allgemeine Chaos zu bringen. Befehle würden gebrüllt, Menschen riefen durcheinander und die Ochsen muhten lautstark mit.
    “Admiral Jason Galt bringt die Magnifikat von Trelis nach Lago. In Lago wird die Hochzeit von Prinz Rhobar und Gräfin Maria stattfinden. Danach wird er gekrönt und als Rhobar der Zweite unser neuer Herrscher. Die Zeremonie wird an Bord des Kriegsschiffes abgehalten. Soweit ich weiß werden die wichtigsten Adligen des Reiches zugegen sein. Es wird ein rauschendes Fest werden.”
    Hagen zeigte mit seiner rechten Hand auf die Soldaten.
    “Die Paladine Lothar und Marcos waren vorhin hier. Nach unserer etwas… nun ja, peinlichen Darstellung bei der Aktion gegen Ali Al Vharg sollen wir unsere Ruf wiederherstellen. Albrec hat einen Plan zur Eroberung der Inseln vor Bakaresh ausgearbeitet. Die jungen Ritter werden die Speerspitze bilden. Das ist unsere Chance dem ganzen Heer und dem neuen König unsere Tatkraft zu beweisen. Mit Innos Hilfe werden wir siegen.”


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    KAPITEL 7

    ... im Jahr des Feuers, 978 ...
    … die Belagerung von Bakaresh …


    Die Sonne stand hoch am strahlend blauen Himmel als das große Kriegsschiff Magnifikat das berühmte Trelisdock verließ. Am Horizont zeichneten sich dunkle Wälder, etliche Bauernhöfe und zahlreiche Getreidefelder ab. Bauern ließen ihre Hacken und Sensen stehen und eilten zum Flussufer. Die meisten Bauern waren Frauen, die wenigen Männer hingegen waren ausnahmslos entweder sehr alt oder sehr jung.
    Am Flussufer hatten sich schon die Fischer versammelt. Die meisten Fischer waren alte Männer mit ein paar Kindern beiderlei Geschlechts. Ihre kleinen Boote wirkten gegen die Magnifikat geradezu winzig. Fischer und Bauern winkten der Besatzung der Magnifikat zu. Die Matrosen und Waffenknechte winkten zurück. Sie alle liebten das Meer und die weiten Seereisen. Doch sie hatten auch die Zeit in Trelis genossen. Jetzt ging es auf Große Fahrt hinaus in eine ungewisse Zukunft.

    Die Magnifikat war ein riesiges Zwöfhunderttonnen Kriegsschiff mit fünfhundert Mann Besatzung und achtzig brandneuen, in der Sonne funkelnden Langkanonen. Das Schiff war eine schwimmende Batterie von ungeheurer Zerstörungskraft, das größte Kriegsschiff Myrtanas und der Stolz aller Streiter Innos’.

    Admiral Jason Galt, ein alter Seebär von Khorinis, schirmte seine dunklen Augen gegen das Licht der aufgehenden Sonne ab. Er war der erfahrenste Seefahrer Myrtanas. Irgendwo dort hinter dem Horizont lag Lago, cirka einen Seetag entfernt. Noch weiter nach Osten lag Bakaresh, das Endziel ihrer Reise. Es galt den Hafen der Stadt zu blockieren und damit deren Untergang einzuleiten.

    Auf dem Hauptdeck entspann sich ein Streit zwischen Dietmar, dem Quartiermeister der Gräfin Maria, und Svenson, dem Schiffskoch. Die verwöhnten Aristokraten bedeuteten eine nicht zu unterschätzende Belastung für sein Schiff, seine Mannschaft und nicht zuletzt für seine eigenen Nerven. Jason würde drei Kreuze machen, wenn der arrogante Thronfolger und seine zickige Braut samt ihrem nervtötenden Gefolge endlich von Bord gingen.

    # # #

    “Meiner Art nach bin ich kein gefährlicher Mann.”, flüsterte Khraal gefährlich leise. “Aber Versagern gegenüber kennen ich keine Gnade.”
    Khraal schlug mit seiner gepanzerten Faust auf den Holztisch so dass er erbebte. Das Krachten hallte laut durch die Offiziersmesse.
    “Wer führt hier das Kommando?”, brüllte der beliargesegnete Krieger.
    Ein Assassine sprang auf und salutierte zackig.
    “Das bin ich, Lord.”
    “Name?”, schnauzte Khraal.
    “Ramos, Herr. Hauptmann der Wache. Ich … .”
    Khraal löste seine Schulterwerfer aus und verwandelte Ramos in blutigen Matsch. Dessen Überreste krachten gegen die Wand. Mit einem entsetzlichen, widerlichen Laut rutschten sie daran hinunter. In der Offiziersmesse war es jetzt totenstill. Khraal betrachtete die versammelten Männer.
    “In Ordnung. Wer führt jetzt das Kommando?”
    Niemand antwortete.
    “WER, bei Beliar, führt JETZT das Kommando?”, schrie Khraal so laut das der Raum erbebte.
    “Das… äh… das bin ich. Gerald aus Nordmar. Waffenmeister… äh… jetzt wohl Hauptmann der Wache.”
    “Ein Konvertit also. Wir behandeln Konvertiten auch nicht besser als geborene Beliardiener, nicht wahr, Gerald?”
    “Nein Lord. Gleiches Recht für alle!”
    “Wie viele Zuteilungskarten haben sie?”
    “Aähem… eine Zuteilungskarte, mein Lord. So wie alle Bürger. Jeder hat nur eine Karte.”
    “Schön… schön… .”
    Mit einer fließenden, unfassbar schnellen Bewegung rammte Khraal Gerald einen Dolch in den Hals. Der Nordmann brach zuckend und würgend zusammen. Verzweifelt versuchte er sich den Dolch aus seiner Kehle zu ziehen. Es war vergebens. Khraal marschierte zum Fenster der Offiziersmesse und blickte über die Stadt.
    “Wer ist hier eigentlich der Kommandant?”, murmelte er.
    “Ahmed!”
    Die Assassinen sahen einander an. Ein älterer Assassine wiederholte den Namen. Dann fielen die anderen ein. Ahmed wurde von seinen Kameraden nach vorn geschoben bis er kurz hinter dem massigen Schattenlord stand. Die anderen Assassinen hofften wohl dass Ahmed die richtige Wahl war.
    “Ahmed ibn Fadlan ist der Kommandant!”, brüllten die versammelten Waffenmeister.

    Khraal drehte sich nicht um.
    “Ah ja, Ahmed. Sie haben einen Mauerabschnitt erfolgreich verteidigt und waren beim Ausfall vor ein paar Tagen dabei. Ihre Kompanie hat einen Belagerungsturm zerstört. Es heißt sie haben Heldentaten vollbracht. Sie haben sich nach Ben Sala geschlichen und Shakyor den Nomaden kontaktiert. Außerdem sollten sie Ali Al Vharg beschützen. Das hat weniger gut funktioniert. Soweit ich weiß, haben sie einen Plan ausgearbeitet um die feindlichen Streitkräfte in Lago anzugreifen. Wie kommen sie eigentlich dazu, den Strategen ins Handwerk zu pfuschen?”
    Ahmed starrte den Rücken des Schattenlords an. Die hohngrinsenden, grauen Totenschädel auf der tiefschwarzen Rüstung schienen ihn auszulachen. Doch Ahmed hatte keine Angst. Mit fester Stimme antwortete er.
    “Lord, Lago ist ein Versorgungszentrum der myrtanischen Armee. Ben Sala ist zu schwer befestigt, aber Lago können wir angreifen. Wir können die dortigen Lagerschuppen anzünden und so gewaltigen Schaden anrichten. Wenn wir Glück haben erwischen wir auch den einen oder anderen Offizier.”
    “Ich habe ihre Aufzeichnungen gelesen, Ahmed. Ich habe sie Nehzgur und Nazgal Ningalos gezeigt, unseren geschätzten Hochmagiern und Strategen. Wie sie sich sicherlich vorstellen können, waren sie nicht sonderlich begeistert. Ihr Plan ist kühn… und sie sind ein einfacher Gardehauptmann, kein Stratege. Nehzgur wollte sie für ihre Anmaßung hinrichten lassen.”
    Ahmed zuckte mit den Schultern.
    “Und?”
    Khraal drehte sich um. Seine purpurfarbenen Augen leuchteten.
    “Sie haben Mut, sie haben einen Ritter Innos’ krankenhausreif geprügelt. Und das mit einem leichten Schwert und einem alten Dolch. Ali Al Vharg war ein Idiot. Ich hätte ihn selbst umbringen sollen. Na ja, jetzt haben mir meine ehemaligen Brüder diese Arbeit abgenommen.”
    Khraal winkte Ahmed ans Fenster.
    “Ihr Plan ist perfekt. Ich will dass sie ihn in die Tat umsetzen. Sammeln sie ihre Männer und rüsten sie sie aus. Ihr neuer Rang als Gardehauptmann sollte ihnen Zutritt zum Zeughaus verschaffen. Und wenn nicht, dann treten sie dem Verwalter in seinen fetten Arsch. Meinen Segen haben sie. Nehmen sie sich, was sie brauchen. Waffen, Rüstungen, Gifte, Spruchrollen… nehmen sie was sie wollen.”
    Khraal hielt inne. Dann lächelte er.
    “Wenn ihnen Nehzgur oder einer seiner Bluthunde in die Quere kommt, sagen sie ihnen ins Gesicht was sie von der bisherigen Strategie halten. Sie brauchen kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Verstanden?!”
    “Ja, Herr.”
    “Sehr gut, Ahmed ibn Fadlan. Abmarsch!”
    Ahmed winkte seinen Offizieren Paco und Carlos zu. Gemeinsam verließen sie die Offiziersmesse. Zurück blieben die alten Offiziere der alten Garde. Sie sahen einander unbehaglich an.

    Khraal wartete bis Ahmed und seine Offiziere das Gebäude verlassen hatten. Dann wandte er sich vom Fenster ab.
    “In Ordnung. Jetzt sind wir unter uns. Sie werden mir jetzt erklären wieso sie Unmengen an Nahrung gehortet hatten. Nahrung die das Volk dringend benötigt. Erklären sie es mir schnell, denn meine Geduld ist begrenzt.”
    Der alte Offizier Ortega, der vorhin Ahmed nach vorn geschoben hatte, sprang auf und nahm Haltung an. Er wusste das Leugnen zwecklos war. Der Schattenlord wusste offensichtlich alles. Jetzt half nur noch Reue.
    “Lord, mein Name ist Ortega. Wir haben die Nahrung nicht für uns gehortet… äh… nein, wir haben sie für das große Neujahrsfest aufgehoben. Wir… äh… wollten die Brote, Schinken und Eier an das einfache Volk verteilen. Zur… äh… Huldigung Beliars und zur Hebung der Moral.”
    Khraal nickte gönnerhaft.
    “So ist es gut. Geht hin und spendet die Nahrung den Armen und Bedürftigen. Lasst euch meinetwegen deswegen huldigen, aber gebt alles heraus. Wenn ich in drei Stunden in dieser Bruchbude auch nur einen alten Brotkanten finde, bringe ich euch alle eigenhändig um.”

    Die Offiziere von Gellons und Nehzgurs Garde eilten hinaus. Sie alle hatten ganz plötzlich das tiefe Bedürfnis Brot an die Ärmsten der Armen zu verteilen und ihre Zuteilungskarten dem nächstbesten Bürger zu schenken, der ihnen über den Weg lief.

    # # #

    Ahmed verbrachte den ganzen Nachmittag damit seine Leute auszurüsten und einzuweisen. Er hatte vierzig Assassinen ausgesucht. Darunter Paco, den Meuchelmörder, und Carlos, den Sklavenjäger. Alle waren erfahrene Krieger. Die meisten hatten früher als Leibwächter von Händlern, als Söldner oder als Sklavenjäger gedient. Jetzt standen sie alle im dreistöckigen Zeughaus und staunten über die Vielzahl von Waffen, Spruchrollen und Giften.
    “Rüstet euch aus.”, befahl Ahmed seinen Leuten.
    “Die schweren Rüstungen werden uns behindern, aber die mittelschweren sind genau richtig.”, meinte Carlos.
    “Und Gift hilft immer.”, fügte Paco hinzu.
    Ahmed nickte seinen Leuten zu. Die erfahrenen Veteranen brauchten keine Hilfe bei der Auswahl der Waffen. Einige grinsten den gefesselten Lagerverwalter an. Der Idiot hatte sich Ahmeds Befehl widersetzt.
    An der großen Lagertür stand Nehzgur. In seiner Begleitung befanden sich zwei Bluthunde. Nehzgur war einer der Hochmagier Beliars und zugleich einer der einer der Strategen Gellons. Trotz seiner Macht und der Bluthunde an seiner Seite wagte er es nicht Ahmed Befehle zu erteilen. Ahmed befand sich in der Gunst der beliargesegneten Krieger und das respektierte auch Nehzgur widerwillig. Aber der Hass und die Verachtung in seinen Augen sprachen eine deutliche Sprache.
    “Wir sehen uns noch, Gardehauptmann.”, zischte er, als Ahmed an ihm vorbei ging.

    Ahmed überließ es seinen Offizieren Paco und Carlos die Truppe auf die bevorstehende Mission vorzubereiten. Die beiden kriegserfahrenen Assassinen wusste was zu tun war. Ahmend drängelte sich durch die Meute der Bluthunde. Die großen, sehr gefährlichen Tiere wichen vor ihm zurück. Ein paar winselten sogar unterwürfig. Ahmed fand dass es eine gute Sache war, in der Gunst eines Schattenlords zu stehen.

    Vor dem Zeughaus, auf dem Festplatz zu Ehren Beliars, hatten sich wie jeden Abend dutzende bettelarme Menschen versammelt. Sie streckten ihren dünnen, verdreckten Ärmchen jedem Assassinen entgegen, der vorbeiging.
    “Spendet den Ärmsten der Armen!”, rief ein alter Mann immer und immer wieder.
    Ahmed ließ die bettelnde Menge links liegen. Seine beiden Töchter brauchten die Nahrung dringender als dieser Pöbel, dem es während der Herrschaft von Gellon und Lukkor sehr gut gegangen war.
    Ahmed dachte an Miriam und Alya, an Sherezade und an seine alten Eltern. Ihr Überleben hing auch von dem Erfolg der nächsten Mission ab. Wenn es ihnen gelang die Lagerhäuser in Lago zu verbrennen, dann mochte der Krieg doch noch eine gute Wendung nehmen. Sicher, sagte sich Ahmed, es war eine schwache Hoffnung, aber besser als gar keine.

    Zuhause angekommen küsste er seine Frau und seine Kinder. Miriam und Alya tollten herum. Sherezade half ihm aus der Rüstung.
    “Wie geht es dir?”, fragte er seine Frau.
    “Es geht mir gut. Aber ich wünschte dieser Krieg würde enden.”
    “Das wird er ganz bestimmt. So oder so. Jetzt dauert es nicht mehr lange.”
    Sherezade sah zu Boden.
    “Mehmet Al-Vharg, der Sohn des Artefakthändlers, hat mir einen Platz an Bord seines Schiffes angeboten.”
    Sherezade zögerte.
    “Den Kindern und mir.”
    Ahmed verstand. Der einzige legitime Erbe des Artefakthändlers wollte Sherezade schon seit langer Zeit zur Frau. Dies war seine Chance sie zu bekommen. Mehmet hatte eine Kogge, ein hochseetüchtiges Schiff, und damit die einzige halbwegs sichere Fluchtmöglichkeit aus der Stadt.
    “Was soll ich tun, mein Mann?”, fragte Sherezade.
    “Nimm das Angebot an.”
    “Aber … .”
    “Kein Aber. Rette dich und die Kinder. Diese Stadt ist verloren. Wir pfeifen auf dem letzten Loch. Noch ein paar Schlachten und es ist aus. Diesen Krieg können wir nicht gewinnen. Aber du musst nicht sterben, mein Stern. Unsere Kinder müssen nicht sterben. Rettet euch. Ich komme schon zurecht, ich finde euch.”
    “Ja.”
    “Wir sehen uns nach der Schlacht wieder.”, versprach Ahmed. Aber sie wussten beide dass es eine Lüge war. Er umarmte seine Frau als suche er Nähe und Trost, in Wahrheit wollte er nur die schreckliche Wahrheit vergessen. Ahmed genoss seine letzte Nacht Zuhause. Für ein paar Stunden war der Krieg und der Tod weit weg.

    Der Westturm wurde am nächsten Morgen schwer beschossen. Die Myrtaner hatten alle ihre restlichen Katapulte zusammengezogen und konzentrierten sich ganz auf diesen einen Turm. Im Minutentakt krachten Steinbrocken gegen den massiven Turm. Ein paar Brocken flogen über die Mauer hinweg und beschädigten Gebäude innerhalb der Stadt. Wieder andere Brocken trafen das Südtor und Ahmeds alten Mauerabschnitt. Ahmed hörte Ortega Befehle brüllen, Männer schreien und Kinder weinen.
    Es wurde Zeit zu gehen.
    Ahmed winkte seinen beiden Töchtern und seiner Frau zu. Dann marschierte er entschlossen los. Vielleicht war dies mein Todesmarsch, dachte er bei sich. Aber, bei Beliar, er würde den Myrtanern zeigen was ein echter Krieg war.



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    KAPITEL 8

    ... im Jahr des Feuers, 978 ...
    … die Belagerung von Bakaresh …


    “Beliar ark kongar, Krushak ma kongar, Geroh ak kongar ….”
    Die beschwörenden Verse der uralten orkischen Magie klangen selbst in den Ohren des Schwarzmagiers Nehzgur fremd und bösartig. Orkschamane Ulgoz hob beschwörend seine Hände zum nächtlichen Sternenhimmel empor. Die Warge und Bluthunde heulten derweil den Mond an. Es war ein schauerliches, blutiges Ritual voller alter, böser Magie. Ulgoz opferte gerade drei Menschen um einen Dämonen herbeizurufen.
    “Beliar ark kongar, Beliar ma kongar, Krushak ma Beliar!”, skandierte der Ork.

    Zehn Orkkrieger und zehn Assassinenmagier umstanden den uralten Opferplatz auf der großen Insel vor Bakaresh. Abwechselnd huldigten sie Beliar und Krushak, dem großen Erzdämonen und Stellvertreters des dunkles Gottes auf Erden.
    Die verängstigten Fischer hatten sich in ihr Dorf zurückgezogen. Das konnte man ihnen nicht verdenken. Ulgoz hatte nämlich soeben drei von ihnen auf dem Opferstein ganz langsam zu Tode gemartert.
    Mit dem Blut der Opfer malte er grauenhafte Zeichen in den Sand. Nehzgur drehte sich der Magen um. Diese Zeichen waren uralt und böse. Das Alte Volk hatte sie in den Tagen seines Untergangs benutzt. Nehzgur wusste das dies die wahre Magie war, Magie ohne Runensteine, ohne Spruchrollen und ohne Magisches Erz. Diese Magie war urtümlich und abgrundtief verdorben. Wer sie benutzte begab sich auf einen unumkehrbaren Pfad in den Abgrund des Chaos und des Todes.

    Den Orks schien es egal zu sein. Aber Nehzgur wollte nicht warten bis der Dämon erschien. Er nahm die drei Krüge mit frischem Blut und ging zur Küste hinab. Seine Leibwache sah ihn verwundert an.
    “Ulgoz kommt allein klar. Wir müssen uns um die Golems in der Stadt kümmern.”, sagte er zu ihnen.
    Die vier Leibwächter nickten und schoben das kleine Fischerboot ins Wasser. Kurz darauf ruderten sie zum Hafenviertel von Bakaresh hinüber. Nehzgur hatte nicht völlig gelogen. Mit dem frischen Blut konnte er in einem schauerlichen Ritual drei oder vier Golems beschwören. Die Ausrede war gut genug um Nazgal Ningalos zu überzeugen. In Wahrheit war Nehzgur ein Rassist und die Orks, ihre Sprache und ihre Rituale widerten ihn an.

    Als sie zur Küste ruderten wunderte sich Nehzgur über die zwei großen Fischerboote, die ihnen entgegen kamen. Wahrscheinlich hatten die Fischer ihren Fang in der Stadt für Wucherpreise verkauft. Die Fischer winkten ihnen sogar zu. Anscheinend waren nicht alle Fischer feige. Oder sie wussten noch nichts von der grauenhaften Zeremonie, die sich gerade auf ihrer Insel abspielte. Wie auch immer, Nehzgur winkte zurück. Es war immer gut engen Kontakt zum Volk zu halten.

    # # #

    “Bist du wahnsinnig geworden?”, zischte Roland und riss Mareks Arm nach unten.
    “Was denn?”, fragte der Ritter unschuldig. “Wir sind arme Fischer und grüssen unsere Herren.”
    “Das hier ist ein Kommandounternehmen ….”
    “Sieh doch, Roland, die winken sogar zurück.”, meinte Marek begeistert.
    “Sagt dem Idioten er soll damit aufhören.”, kam es vom Bug.
    Harold, der neue Hauptmann der Waffenknechte, stapfte durch das Boot und sah Marek zornig an. Er war nach dem Tod des alten Hauptmanns, der von Ahmed getötet worden war, befördert worden. Der alte Veteran unzähliger Scharmützel und Schlachten stand auf der Rangleiter weit unter einem Ritter. Doch hier, kurz vor einer Schlacht, wurde er von allen Soldaten respektiert. Er hatte einige der Ritter persönlich durch die Grundausbildung geführt. Die meisten seiner ehemaligen Rekruten hatten immer noch nicht alle Scheu vor dem alten, knorrigen Mann abgelegt.
    “Schluss jetzt!”, befahl er Marek.
    Der junge Ritter setzte sich sofort neben Roland und hörte auf zu winken. Die Zurechtweisung durch seinen ehemaligen Ausbilder wirkte. Roland sah sich noch einmal im Boot um. Da waren zehn Ritter und zehn Waffenknechte. Sie alle hatten sich mehr schlecht als recht als Fischer getarnt. Unter den schäbigen Klamotten trugen sie alle ihre Rüstungen und Waffen.
    Hagen, der immer noch unter leichtem Fieber litt, sah ganz grün im Gesicht aus. Seereisen waren nichts für ihn. Marek schmollte. Harold überprüfte Armbrüste, Schwerter und Dolche. Orik erwartete mit stoischer Ruhe den kommenden Kampf. Ines, eine der wenigen Frauen unter den Rittern, polierte ihre Panzerhandschuhe.

    Das zweite Boot, besetzt mit Milizsoldaten, versuchte mit ihnen Schritt zu halten. Die leichter gerüsteten und bewaffneten Milizsoldaten würden die zweite Welle stellen und später die Garnison der Insel.
    Ziel des ganzen Unternehmens war es Bakaresh von der Versorgung durch die Fischer abzuschneiden. Bald würde auch das gewaltige Kriegsschiff Magnifikat eintreffen und den Hafen blockieren.

    Sand knirschte unter dem Kiel des großen Fischerbootes. Sie waren gelandet. Dann schlug ein Hagel aus Pfeilen und Bolzen durch die dünnen Bretterwände des Unterstandes. Ein Waffenknecht zuckte zusammen und fiel gegen seine Kameraden. Zwei schwere Eisenbolzen hatten ihn getötet. Roland ging auf das irgendetwas schief gelaufen war. Er sprang auf und ließ sich über die Reling in den Sand fallen. Bolzen und Pfeile schlugen keine zehn Zentimeter über ihm in das Fischerboot ein.

    Vier Assassinen schossen mit ihren Armbrüsten so schnell sie nachladen konnten. Zwei alte Fischer hatten ihre Bögen hervorgeholt und schossen Pfeile auf die beiden angelandeten Boote ab. Die Assassinen hatten sich hinter einem Wall aus Sand, Gestrüpp und umgestürzten Palmen verschanzt. Sie sprangen hervor, feuerten mit ihren Armbrüsten und gingen dann sofort wieder in Deckung.
    Es waren nur sechs Schützen, doch sie nagelten die Angreifer am Strand fest. Ein Milizsoldat sprang auf und rannte mitten in einen Hagel aus Bolzen hinein. Er war tot bevor er auf dem Sandstrand aufschlug. Die restlichen Soldaten kauerten sich hinter ihre Boote. Sie hatten keine Armbrüste mitgebracht, denn eigentlich sollte es auf der Insel nur ein paar verängstigte Fischer und keinen echten Widerstand geben.
    Ein Waffenknecht wurde ins Knie getroffen. Er begann zu kriechen. Weit kam er nicht. Zwei Eisenbolzen trafen ihm im Gesicht und zerschmetterten seinen Schädel.

    “Sturmangriff!”, befahl Harold den Rittern.
    Roland, Hagen, Orik, Marek, Ines, Stefan und die anderen Ritter stürmten zu der befestigten Stellung der Assassinen empor. Der lose Sand behinderte ihren Sprint. Ein paar Bolzen und Pfeile prallten an ihren schweren Rüstungen ab.
    Orik stolperte und fiel. Die restlichen neun Ritter sprangen mit gezückten Schwertern über den Wall aus umgestürzten Bäumen und stürzten sich auf die Feinde. Der eigentliche Kampf dauerte nicht lange. Die Assassinen trugen nur leichte Rüstungen und Dolche. Sie hatten keine Chance. Die beiden Fischer warfen ihre Bögen weg und flohen. Marek und zwei andere Ritter holten sie ein und erschlugen sie.
    Dann herrschte Stille.
    Hagen sah an sich hinunter. Ein Bolzen hatte seine Brustplatte verbeult. Roland klopfte ihm auf die Schulter.
    “Gute Arbeit. Lothar, Albrec und Marcos werden zufrieden sein.”
    Harold führte die restlichen Waffenknechte und Milizsoldaten den Strand hinauf. Zwei Waffenknechte waren leicht verwundet worden, Orik hatte sich den Knöchel verrenkt und drei ihrer Männer waren tot.

    # # #

    “Beliar nah Kongar! Krushak nah Kongar!”
    Orkschamane Ulgoz hob seinen Shabanakstab hoch über seinen Kopf. Widerliches, grünliches Elmsfeuer zuckte von dem Stab zu dem Dämon hinüber. Blauweisses Feuer leckte an den schreienden, zuckenden Assassinen empor. Die Orks lachten bis das Elmsfeuer auch sie erreichte.
    Gellende Todesschreie hallten über den uralten Opferplatz.
    Die Leichen der geschändeten Dorfbewohner zuckten wie Marionetten hin und her. Blut floss in Strömen von dem Opferstein und besudelte den auferstandenen Dämon. Ulgoz riss seinen Mund zu einem lautlosen Schrei auf. Zuckendes, sich windendes Elmsfeuer wand sich in seinen Rachen, in sein Gehirn, in sein Herz.
    “Krushak kah derong, Krushak Keh-Vin!”, brüllte der Dämon stattdessen
    “Kerusak Krushak Keh-Vin!”
    “KRUSHAK KE-VIN!”
    Die tiefschwarzen Flügel des Dämons entfalteten sich zu voller Spannweite. In den Augen der Kreatur funkelte unendlicher Hass und unmenschliche Mordlust. Der Dämon gierte nach Blut, gierte nach Seelen.
    Sein flammendes Dämonenschwert sauste herab und enthauptete Ulgoz. Die widernatürliche Höllenklinge verband den Schamanen für einen winzigen Moment mit der Heimatdimension des Dämons.
    Ulgoz erlebte einen Moment des perfekten Schreckens.
    Dann verbrannte sein kopfloser Körper zu Asche.
    Der Dämon streckte seine Klauen aus und packte die verschreckten, winselnden Warge und Bluthunde. Als hätte er alle Zeit der Welt begann der Dämon damit die wehrlosen, paralysierten Tiere zu zerfetzen.



    * ... wird fortgesetzt
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    KAPITEL 9

    ... im Jahr des Feuers, 978 ...
    … die Belagerung von Bakaresh …


    “Bei Innos, bei Innos, bei Innos ….”, murmelte Marek geschockt.
    Die jungen Ritter hatten den Ritualplatz, den Opferplatz des Alten Volkes, erreicht. Was sie sahen ließ ihnen den Atem stocken. Die Überreste von mindestens zehn Menschen, ebenso vielen Orks und einem ganzen Rudel Warge nebst ein paar Bluthunden lag auf der Lichtung verstreut. Ein wahnsinniger Schlächter hatte hier ganze Arbeit geleistet. Der uralte Ritualplatz glich einem Schlachthaus.
    Orik musste sich übergeben.
    Ines schüttelte ungläubig den Kopf.
    Hagen kämpfte um Worte, doch das Gemetzel war auch für ihn zu viel.
    Rolands rechte Hand krampfte sich um sein Paladinschwert.
    “Bei Innos, bei Innos, bei Innos ….”, murmelte Marek beschwörend.

    “Ach je, hat Innos mir seine Püppchen geschickt?”, fragte eine zuckersüße Stimme.
    Roland zwang sich nicht hinzusehen.
    “Kommt, kleine Ritterchen, kommt zu mir!”
    Roland schloss die Augen. Das alles konnte unmöglich wahr sein. Geschichten von Dämonen waren dummes Zeug, das die Alten den kleinen Kindern erzählten um sie zu erschrecken. Das alles konnte und durfte doch nicht wahr sein!
    “Ich brauche euch.”, flüsterte die zuckersüße Stimme. “Kommt und gebt mir euer Leben.”

    Roland zwang sich mit aller Kraft nicht hinzuhören als der Dämon einen etwas abseits stehenden Ritter packte und den schreienden, zappelnden Ritter mit seinem Dämonenschwert regelrecht zersäbelte. Der Todesschrei des jungen Ritters hallte unerhört laut über den Opferplatz.

    # # #

    “Runter!”, rief Hagen und riss Roland um.
    Gemeinsam fielen sie hinter den blutbesudelten Opferstein. Die drei gemarterten Dorfbewohner erhoben sich unsicher. Sie gaben seltsame, keuchende Laute von sich als sie auf Hagen und Roland zugingen. Ihre zerschlagenen Körper waren seltsam verdreht.
    “Bei Innos.”, keuchte Hagen. “Das sind ja Zombies!”
    Ein Zombie legte haben seine Hände um den Hals. Die untoten Arme entwickelten erstaunliche Kräfte, kamen gegen die starke Panzerung der Ritterrüstung aber nicht an. Hagen rammte dem untoten Dorfbewohner sein innosgesegnetes Paladinschwert in den Leib. Der Zombie fiel auf den Rücken. Grellblaues Elmsfeuer brach aus dem geschundenen Körper hervor und mit einem grauenhaften Schrei verließ die Seele des gemarterten Menschen den untoten Körper.
    Unbeeindruckt von der Vernichtung ihres Artgenossen rückten die beiden anderen Zombies weiter vor. Roland rappelte sich auf und schwang sein Paladinschwert. Angst und Erstarrung waren von ihm abgefallen. Jetzt brannte das Adrenalin in seinen Adern und er dürstete nach einem guten Kampf.
    Hagen und Roland schlugen auf die beiden verbliebenen Zombies ein. Die untoten Körper konnten den innosgesegneten, erzüberzogenen Klingen nicht lange standhalten. Nach weniger als einer Minute war der Kampf vorbei.
    “Sehr gut, ihr Innospüppchen.”, höhnte der Dämon. “Jetzt kommt zu mir und sterbt.”

    Der Dämon erhob sich zu voller Größe. Mit ein paar Schlägen fegte er die in der Nähe stehenden Palmen beiseite. Die Ritter feuerten ihre Heiliger-Pfeil-Runen auf das Höllenmonster ab. Die Geschosse aus heiliger Energie fügten allen untoten und dämonischen Kreaturen besonders großen Schaden zu. Der Dämon brüllte vor Schmerzen. Dann stürmte er voller Wut auf die jungen Ritter zu.
    “KRUSHAK KE-VIN!”

    Marek trat mutig hervor, versenkte sein Schwert in die Seite des Ungeheuers und wurde mit nächsten Moment von einem brutalen Rückhandschlag beiseite gefegt. Orik gelang es einen Flügel des Dämons zu verstümmeln bevor ihn der Dämon mit dem Schwert am Kopf traf. Ohnmächtig fiel er zu Boden.
    Ines wich zurück und feuerte ihre Runen ab. Der Dämon schlug brüllend zu und brach ihr den linken Arm.
    Mit einem gewaltigen Hieb seines Dämonenschwertes teilte der Dämon Beavis in zwei Hälften. Seine linke Klauenhand riss Dirk das Gesicht vom Schädel, sein Zauberspruch liess Feuer auf Stefan regnen.

    Roland und Hagen begegneten dem Dämon frontal. Ihre silbernen Klingen spießten das Ungeheuer auf. Wieder und wieder rammten sie ihre Schwerter tief in das widernatürliche Fleisch des Dämons. Endlich fiel die Höllenkreatur. Roland setzte seinen rechten Fuß auf die tonnenförmige Brust des Dämons und rammte ihm mit aller Kraft sein Paladinschwert durchs rechte Auge.
    Der Atem der Kreatur erstarb, sein purpurfarbenes linkes Auge verlor jeden Glanz und sein Mund verzog sich im Todeskrampf zu einem Grinsen.
    “Kerush, kerusak, Krushak keh.”, flüsterte der sterbende Dämon mit letzter Kraft.

    Knochen klapperten, drei Bluthunde, zwei Assassinen und ein Ork erhoben sich unsicher auf ihre Beine. Von den ehemals lebendigen Wesen waren nur noch geschwärzte, vom Elmsfeuer verkohlte Knochen übrig. Der letzte Zauberspruch des Dämons hatte ihnen unheilige Lebenskraft gespendet.
    Seelenlos wie sie waren wankten die Skelette auf Roland und Hagen zu. Die fleischlosen Kiefer der Bluthunde schnappten nach Rolands Beinen. Marek und zwei weitere Ritter liefen herbei und stellten sich den Untoten zum Kampf. Die Skelette waren zäh, konnten auf Dauer aber nicht viel gegen die Ritter ausrichten. Marek zerstückelte einen Bluthund und einen Assassinen, Hagen machte den untoten Ork nieder und Roland vernichtete einen weiteren Bluthund mit einem mächtigen Schwerthieb.
    Ines pulverisierte den dritten und letzten Skelettbluthund mit gezielten Salven aus ihrer Heiliger-Pfeil-Rune. Der letzte Skeletteassassine wandte sich zur Flucht. Er lief Harold und den Waffenknechten in die Arme. Harold brauchte keine fünf Schwerthiebe im den Untoten zu fällen.

    # # #

    Am Abend saßen Hagen, Roland und Hauptmann Harold beim erloschenen Lagerfeuer zusammen. Roland stocherte geistesabwesend mit einem langen Stock in der noch glühenden Asche herum.
    In der Nähe kokelten noch der Scheiterhaufen. Die befreiten oder auch unterworfenen, je nachdem wer später diese Geschichte erzählen würde, Dorfbewohner hatten alle Leichen eingesammelt und auf einen Haufen geschichtet. Palmen waren von ihnen gefällt und Reisig aufgeschichtet worden. Vierzehn Assassinen, elf Orks, fünf Fischer, zwei Dutzend Warge und Bluthunde, drei Milizsoldaten und zwei Ritter waren sorgfältig verbrannt worden. Für den Dämon war ein Extrascheiterhaufen aufgeschichtet worden. Bei Dämonen konnte man nie wissen und Harold war auf Nummer Sicher gegangen.
    Orik, Ines und Marek befanden sich in der der Obhut des Heilers, eines Wassermagiers aus der Wüste. Stefan hatte schwere Brandwunden davongetragen. Die Magie des Heilers hatte ihm das Leben gerettet, doch die furchtbaren Schmerzen konnte ihm niemand ersparen. Dirk lebte ebenfalls noch. Seine Gesichtsverletzungen waren jedoch tödlich. Er würde diese Nacht nicht überleben.

    Die Nacht war kühl und die Sterne glitzerten über ihnen am wolkenlosen Himmel, unbeteiligt, kalt und fern.

    Morgen würde das Kriegsschiff Magnifikat in Lagos eintreffen. Rhobar der Zweite würde Gräfin Maria heiraten, Barthos würde sie zu Herrschern krönen und dann würde der Sturm auf Bakaresh beginnen. Die Stadt war jetzt von jeder Versorgung abgeschnitten. Ihr Fall war nur noch eine Frage der Zeit.
    Und doch wussten die einfachen Soldaten immer noch nicht das Rhobar tot war. Sie würden es erst morgen erfahren. Morgen würde es die ganze Welt erfahren. Rhobar der Erste, Rhobar der Heilige, war tot. Und doch waren auch seine Feinde am Ende. Ein letzter Sieg. Hagen sah Harold nachdenklich an.
    “Damals, in Montera, da warst du doch dabei, oder?”, fragte er den alten Waffenmeister.
    Harold nickte langsam.
    “Ja, Hagen. Ich war damals ein Bauernsohn. Ich war dabei als der Tyrann von Montera gestürzt wurde. Kurz darauf wurde Rhobar in der Kirche von Montera zum König gekrönt. Aber die Geschichte kennst du doch schon. Ich habe sie dir und den anderen jungen Rittern während eurer Grundausbildung erzählt.”
    “Das stimmt.”, gab Hagen zu und strich sich seine blonden Haare mit der linken Hand aus der Stirn. “Aber damals hast du uns die offizielle Version erzählt. Ich bitte dich, erzähle uns diesmal die Wahrheit. Keine Reichspropaganda, sondern die Geschichte wie sie sich wirklich zugetragen hat.”
    Harold überlegte eine Weile. Dann nickte er.
    “In Ordnung. Genug Zeit haben wir ja. Ich werde euch die Wahrheit sagen. Aber ich warne euch auch. Ich kann die Geschichte nur so erzählen wie ich sie erlebt habe. Es sind persönliche Erinnerungen, getrübt durch die vielen vergangenen Jahre und verwässert durch nachfolgende Ereignisse. Was ich zu erzählen habe muss nicht die reine Wahrheit sein. Andere Leute können die Ereignisse anders wiedergeben. Aber ich werde mir Mühe geben. Das verspreche ich euch.”
    “Das wird mehr als genug sein, Hauptmann.”, sagte Roland.
    “Dann hört, junge Ritter. Es war an einem Sommertag vor dreiundvierzig Jahren ….”



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    KAPITEL 10

    … 43 Jahre zuvor …
    … im Jahr des Feuers, 935 …
    … Montera …


    Schwarze Rauchwolken stiegen von dem brennenden Turm in den blauen Sommerhimmel. Die größte Stadt des Mittellandes war gefallen, der Tyrann von Montera war tot oder wurde gerade von der wütenden, aufgeputschten Menge gelyncht. Überall in der Stadt hetzten aufgebrachte Bauern die Söldner des Tyrannen. Der Mob kannte keine Gnade. Wer von ihnen erwischt wurde, der wurde auf der Stelle umgebracht.

    Harold streifte ziellos durch die große Stadt. Die alte Spitzhacke lag lose in seiner rechten Hand, die alten, zerschlissenen Bauernkleider kennzeichneten ihn deutlich als Anhänger der richtigen, der siegreichen Seite.
    “Komm Bruder, komm… dort hinten ist noch ein der verdammten Söldner!”, rief ihm ein ähnlich gekleideter Bauer zu.
    Harold hatte nicht vor sich an dieser Hetzjagd zu beteiligen. Zurückgeblieben waren nur die wenigen einheimischen Söldner und ein paar Verwalter, Schreiber und Priester des Tyrannen.
    Diese Menschen umzubringen erschien Harold falsch. Es waren Mitläufer gewesen. Die wahren Herrscher, die Söldnerführer, hatten sich fürstlich für ihren Verrat entlohnen lassen. Sie waren schlicht und einfach gekauft worden.
    Der Fall der Stadt war gekauft worden.

    Harold ging an den Läden der Händler und Alchemisten vorbei. Bauern, Stadtvolk und sogar ein paar der gekauften Verrätersöldner plünderten diese Läden. Zerbrochene Möbel, Vasen, Artefakte und Kristallgefäße lagen verstreut auf dem Pflaster. Einige Bauern waren mit Feuereifer dabei die Fenster und Türen der Läden zu zertrümmern. Andere zerrissen die wertvollen Wandbehänge, die Teppiche und Gardinen der reichen Händler. Wieder andere Bauern schlugen auf die Sklaven der Händler ein bis diese wehrlosen Sklaven bewusstlos oder sogar tot zusammenbrachen. Einer der gekauften Verrätersöldner warf eine Fackel in einen Heuwagen und steckte ihn somit in Brand. Harold wusste dass diese Zerstörungsorgie keinen Sinn ergab.
    Also ging er weiter zur Kathedrale von Montera.

    Die alte Kathedrale der größten Stadt nördlich von Bakaresh war einst Innos’ geweiht gewesen. Der Tyrann hatte jedoch seine eigenen Götzen, seine neuen Götter mitgebracht. Ein paar Priester hatten den Glauben an Famyr und Demyr gelehrt. Nun waren die Priester tot oder geflohen und der Glaube an Famyr und Demyr würde bald nur noch eine blasse Erinnerung sein. Innos’ Streiter hatten gesiegt.
    Die Statuen von Famyr, dem Waldgott, und Demyr, dem Regengott, lagen zertrümmert vor der Kathedrale. Ein paar Bauern schlugen mit großen Hämmern auf die Statuen ein. In der Nähe stand ein Feuermagier aus dem berühmten Kloster in Nordmar. Er betete laut zu Innos und überwachte die Zerstörung der Statuen.

    “Gut gemacht, Bruder.”, lobte ihn ein Mann in der Rüstung der Söldner.
    Der fremde Krieger schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter und zeigte mit seiner rechten Hand auf die Spitzhacke. Blut tropfte noch immer von deren Spitze zu Boden.
    “Sag, Bruder, hast du mit dem Ding tatsächlich einen der Verräter getötet?”
    Harold sah den ehemaligen Söldner an. Es war ein großer Krieger in einer schweren Söldnerrüstung. Er trug einen Zweihänder und eine leichte Armbrust. Der Mann sah gefährlich aus.
    “Leider habe ich nur einen einheimischen Söldner erwischt.”, gab Harold bissig zurück.
    “Heh, kein Grund für Streit.”, meinte der Söldner und wandte sich ab.
    Harold stellte die blutige Spitzhacke ab. Er fühlte sich nicht gut. Montera war gefallen, das Land war befreit, der Glaube an Innos war wieder Staatsreligion. Dafür hatte Harold zwei lange Jahre gekämpft, dafür hatte er getötet, betrogen und verraten. Dennoch fühlte er sich jetzt, im Augenblick des Triumphes, leer.

    # # #

    Das Innere der alten Kathedrale wurde von mindestens fünfzehn Novizen gereinigt. Die Novizen schruppten eifrig die Fliesen, die Wände und die Möbel. Silberne und goldene Teller, Kerzenständer und Opferschalen wurden poliert. An den Wänden hingen schon einige rote Wandteppiche, die anzeigten dass der wahre Glaube an Innos wieder Einzug in den Tempel gehalten hatte.
    Weitere Novizen mühten sich ab eine große, steinerne Innosstatue an ihren angestammten Platz zu hieven. Ein paar Soldaten und Bauern halfen ihnen so gut es ging.
    “Ah, Harold, Bruder.”, begrüßte ihn Barthos.
    Der junge Hochmagier, wie Harold kaum zwanzig Jahre alt, kam ihm entgegen. In den Gewändern eines Feuermagiers sah der schmächtige, kleinwüchsige Mann sehr erhaben aus. Wenn Harold ihn nicht so gut gekannt hätte, wäre er jetzt vor dem Hochmagier niedergekniet. Aber so blickte er ihn nur müde an.
    “Darf ich dir Bruder Dominique vorstellen?”, fragte Barthos und zeigte auf einen Söldner. Es war der Mann, der Harold am Eingang zur Kathedrale angesprochen hatte. Der Mann, der für Geld seinen ehemaligen Herrn verraten hatte.
    “Bruder Dominique stammt aus der Gegend von Nemora. Er ist der Anführer der trelischen Söldner.”
    “Wir kennen uns schon.”, entgegnete Harold.
    “Nur wegen ihm haben wir gesiegt.”, erklärte Barthos. “Weil er erkannt hat das Innos Licht und Weisheit ….”
    “Wegen der zehntausend Goldstücke.”, fuhr ihm Harold dazwischen.
    Barthos sog scharf die Luft ein aber Dominique nickte nur.
    “Es waren fünfzehntausend Goldstücke. Der ganze Kirchenschatz des Klosters in Nordmar.”, gab Dominique freimütig zu. “Fünfzehntausend Goldstücke für die größte Stadt des Mittellandes. Das war ein gutes Geschäft. Für euch!”
    Harold wusste darauf keine Antwort. Im Grunde hatten die Feuermagier des Klosters in Nordmar den Söldnern aus Trelis die Stadt Montera abgekauft. Feuermagier und trelische Söldner hatten über ihr Schicksal entschieden.
    Der ganze Aufstand war nur schmückendes Beiwerk gewesen. Es war nie um die einfachen Bauern gegangen. Montera war die größte und mächtigste Stadt des Mittellandes. Von hier aus liess sich ein Reich gründen. Nur deshalb waren die Feuermagier hier, nur deshalb hatten sich ihnen die trelischen Söldner angeschlossen. Sie alle dürsteten nach Macht, nach Gold und nach einem neuen Reich.

    Harold verließ die Kathedrale. Seine blutige Spitzhacke stand noch immer da, wo er sie abgestellt hatte. Der Mob plünderte immer noch die Stadt, macht Jagd auf wehrlose Verwalter und zerstörte die Läden der Händler.
    Und für was, fragte sich Harold. Dafür das Feuermagier aus Nordmar und Söldner aus Trelis ein neues Reich gründen konnten. Dafür hatten sie getötet. Dafür hatte er, Harold, einen einheimischen Söldner getötet. Einen jungen Mann, wie er ein Bauernsohn, der nur durch Zufall Soldat des Tyrannen geworden war. Er hatte einen Landsmann getötet damit fremde Menschen ein fremdes Reich gründen konnten.

    Harold packte die Spitzhacke und schleuderte so weit fort wie er konnte.

    # # #

    Vierzehn Monate später stand Harold allein auf einem Hügel über Montera. Er trug eine neue Lederrüstung, einen breiten, magisch verstärkten Gürtel und einen neuen Lederhelm. Bewaffnet war er mit Kurzschwert und Bogen. Auch die Waffen waren neu, ebenso die beiden magischen Ringe, die er trug. Sie gaben ihm Kraft und Ausdauer, der Gürtel verstärkte auf magische Weise seine Lederrüstung.

    In den letzten knapp vier Jahren hatte sich seine Welt grundlegend geändert. Angefangen hatte die Rebellion gegen den Tyrannen von Montera mit kleinen Überfällen auf seine Söldner. Monatelang hatten sie mit den Söldnern des Tyrannen in den Wäldern Katz und Maus gespielt. Viele Rebellen waren getötet oder eingesperrt worden. Einige hatte der Tyrann öffentlich hinrichten lassen, andere waren auf grauenvolle Weise zu Tode gefoltert worden.
    Die Aufständischen wären verloren gewesen, wenn ihnen nicht mutige Mönche und Novizen aus dem Innoskloster aus Nordmar zu Hilfe gekommen wären. Gemeinsam hatten sie die Herrschaft des Tyrannen immer mehr und mehr ausgehöhlt. Steuereintreiber und Sklavenhändler waren getötet, Händler aus Varant vertrieben worden. Die Rebellen waren stärker geworden, der Tyrann immer schwächer. Nach zweieinhalb langen und entbehrungsreichen Jahren hatten die Rebellen zum Sturm auf die Stadt angesetzt. Der Tyrann war gestürzt, seine blasphemischen Waldgötter verbannt und seine Schreckensherrschaft beendet worden.

    Mit schwindelerregender Geschwindigkeit war die Herrschaft Innos’ errichtet worden. Hochmagier Barthos von Laran, Erzkanzler Mathias, Zeremonien- und Schatzmeister Edrin, Kriegslord Dominique und vor allem der neue König Rhobar hatten die Zügel der Herrschaft mit starken Händen ergriffen.

    Die Krönung von Rhobar zum neuen König Myrtanas war eine ernste, feierliche Zeremonie gewesen. Alle Feuermagier der Stadt, die neuen Ritter, die Händler und die reichen Großbauern waren anwesend gewesen. Hochmagier Barthos hatte Rhobar zum König von Myrtana gekrönt. Der junge, hochgewachsene und muskulöse Mann aus dem hohen Norden war vor dem kleinwüchsigen Hochmagier niedergekniet und hatte demütig die Krone empfangen. Unter dem Jubel und den Hochrufen seiner Ritter war er dann aufgestanden, hatte sein Heiliges Feuerschwert gezückt und in die Höhe gereckt. Donnernder Applaus war dieser Geste gefolgt.
    Kurz nach der Krönung vor hatte er auf dem Marktplatz von Montera zum Volk gesprochen. Es war eine erstaunliche, eine anfeuernde und intensive Ansprache gewesen. Rhobar hatte sein Feuerschwert vorgeführt, hatte allen Anwesenden deutlich gezeigt das er ein Avatar des Gottes Innos war.
    Die Bauern, die Jäger und die Stadtbewohner hatten gejubelt als Rhobar vom Krieg gegen die verhassten Piraten und Küstenbanditen sprach. Rhobar hatte von Myrtana gesprochen, dem neuen Reich, das alle Gebiete des Mittellandes vereinen würde. Das Volk hatte ehrfürchtig zugehört. Ein echter Avatar Innos’ hatte zu ihnen gesprochen. Rhobar hätte alles von ihnen verlangen können.

    Die Dinge hatten sich für ihn, für die Bauern und das Stadtvolk zum Guten gewendet. Die Schäden durch die Erstürmung und Plünderung der Stadt waren weitgehend beseitigt worden. Die überlebenden Händler hatten großzügige Entschädigungen erhalten. Den Feuermagiern war klar dass sie die Händler brauchten um den Reichtum der Stadt zu erhalten.
    Auch das einfache Volk wurde belohnt. Jeder Bauer hatte ein Stück Land und je drei Stück Vieh erhalten. Das war nicht viel, aber weit mehr als der Tyrann ihnen zugestanden hatte. Natürlich gehörte der größte Teil des Bodens nach wie vor den Großbauern. Auch sie wurden dringend gebraucht um den Reichtum und die Macht der Stadt zu erhalten. Niemand dachte daran sie zu enteignen.
    In Okara war eine gewaltige Mine errichtet worden. Gold, Kupfer, Eisen, Kohle, Schwefel und sogar das seltene und begehrte Magische Erz wurden dort in rauen Mengen gefördert. Die Bergleute wurde für die schwere, knochenbrecherische Arbeit gut bezahlt. Der neue König und seine Verwalter gaben das Geld so schnell aus wie sie es verdienen konnten. Rein wirtschaftlich gesehen war das Unsinn, aber der Kontrast zum geizigen und habgierigen Tyrannen hätte nicht größer sein können.
    Das Volk war zufrieden mit den neuen Herrschern. Es würde ihnen willig in den Krieg gegen die Piraten und Banditen der Küstenzone folgen. Harold war eher skeptisch. Doch er war bereit für Myrtana zu kämpfen und an der Spitze seiner Landsleute zu marschieren. Das war allerdings nicht der Weg, für den er sich vor fast vier Jahren, als die Rebellion begonnen hatte, entschieden hatte.

    Harold seufzte und setzte sich in Bewegung. Die Vergangenheit ließ sich nicht mehr ändern. Unter ihm mühte sich eine Gruppe von fünfzig Bauernsöhnen damit ab den Hang hinauf und wieder hinunter zu laufen. Sie alle waren ähnlich gekleidet und bewaffnet wie er selbst. Ihnen fehlte nur die rote Schärpe, die ihn zum Hauptmann der Miliz machte.
    Harold brauchte seine Leute nicht anzufeuern. Die Rekruten waren stark, eifrig und auch fähig. Was sie dringend benötigten war Waffentraining. Die Piraten und Küstenbanditen des Ostens waren zwar ein undisziplinierter Haufen von Verbrechern, doch es waren auch zähe Kämpfer. Es würde schwer werden sie zu besiegen, viel schwerer als den Tyrannen zu stürzen und unendlich schwerer als wehrlose Verwalter zu töten.

    Am Fuß des Hügels wartete Dominique. Die meisten trelischen Söldner waren in die Garde aufgenommen worden und stellten jetzt den Grundstock des neuen Rittertums dar. Dominique war zum Kriegslord, zum Oberbefehlshaber aller Streitkräfte des Landes, erhoben worden.
    Der frischgebackene Ritter winkte ihm zu. Harold winkte zurück.
    Und dann marschierte Harold zusammen mit Dominique, den Söldnern, Feuermagiern, Bauern und all den anderen Menschen Monteras in die Zukunft eines neuen Reiches. Harold hoffte nur dass dieser neue Krieg kein grausames und sinnloses Gemetzel würde.



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    KAPITEL 11

    ... im Jahr des Feuers, 978 ...
    … die Belagerung von Bakaresh …


    “War es denn ein grausames und sinnloses Gemetzel?”, fragte Hagen den Hauptmann der Waffenmeister am nächsten Morgen.
    Harold rieb sich den Schlaf aus den Augen.
    “Für die Piraten was es das sicherlich. Wir haben Ardea und Kap Dun erobert und uns für die jahrelange Qual an den Piraten und Banditen gerächt. Wir kannten keine Gnade. Nur wenige Piraten sind uns entkommen. Diejenigen, die sich ergeben haben, haben wir hingerichtet.”
    Hagen schauderte.
    “Und dann?”
    “Dann verhandelten wir fünf Jahre mit den fünf Grossbauern von Vengard. Die Stadt war damals nur ein Fischerdorf, ungefähr so groß wie Kap Dun. Aber die fünf Bauernhöfe und die reichen Fischgründe in Verbindung mit einem ausgezeichneten natürlichen Hafen machten den Ort und vor allem seine Bewohner mächtig und sehr reich. Es war nicht leicht sie auf unsere Seite zu ziehen. Barthos erwies sich als vollendeter Diplomat. Ohne ihn hätten wir es nicht geschafft.”
    Hangen blinzelte in die aufgehende Sonne.
    “Was ist mit Grim, Ragnar und Beowulf?”
    “Ach Junge….” , seufzte Harold. “Ich kenne viele Männer mit diesen Namen. Aber… .”
    Harold liess den Satz unvollendet. Er hatte schon mehrmals mit Hagen über Grim, Ragnar oder Beowulf gesprochen. Manchmal glaubte der junge Ritter dass einer dieser Männer sein Vater sei.
    Aber Harold hatte diesen ominösen Grim nie kennen gelernt, genauso wenig wie diesen Ragnar. Beowulf war vor langer Zeit der Botschafter Nordmars gewesen. Aber dessen Lebensgeschichte passte nicht zu den Legenden. Für Harold waren diese drei Männer nur Phantome, Hirngespinste, die eben die alten Märchen, Mythen und Legenden bevölkerten. Einen realen Hintergrund hatten sie seiner Meinung nach nicht.

    Gegen Mittag verließen die Ritter die kleine Insel vor Bakaresh und ruderten zurück zum Festland. Die Milizsoldaten und Waffenknechte blieben zurück. Die Fischer der Insel würden von nun an die Myrtaner mit Fisch versorgen. Harold winkte seinen ehemaligen Rekruten lange nach.

    # # #

    Verängstigt sahen die Fischer aus Kap Dun zu den Assassinen hinauf. Ahmeds Trupp stürzte sich auf die vier alten Männer und die beiden Knaben. Dolche blitzten auf. Keine fünf Minuten später waren die sechs Menschen tot.
    “Gute Arbeit.”, lobte Paco die Männer.
    Ahmed hob den Arm und winkte seine Männer nach vorn. Der Küstenweg von Bakaresh nach Lago war mit Gestrüpp überwuchert. Früher war dies ein breiter, befestigter Weg gewesen. Doch jetzt gab es niemanden mehr der sich um diesen Weg kümmerte. Die Bauern und Fischer waren längst von den Myrtanern vertrieben worden. Immerhin hatten sie soeben sechs dieser verhassten Myrtaner in Beliars Reich geschickt.

    Nein, entschied Ahmed, so wollte er das nicht sehen. Es waren sechs wehrlose Fischer gewesen, vier Greise und zwei Kinder. Ihr Tod war notwendig gewesen. Nicht mehr und nicht weniger. Allerdings machte dieser verfluchte Krieg einige Dinge notwendig, auf die Ahmed lieber verzichtet hätte.
    Da waren zum Beispiel die fünf Steingolems. Nehzgur hatte sie beschworen. Solche Steingolems waren fürchterliche Kämpfer. Sie waren gegen fast alle Waffen und so ziemlich jede Magie immun. Nur gewaltige Kriegshämmer konnten ihnen etwas anhaben. Der Größte dieser Golems hieß Behemoth.
    Die Steingolems würden unter den Myrtanern wie Kriegsgötter wüten. Natürlich würden sie irgendwann fallen. Die Myrtaner waren zahlreich und hatten viele Hämmer. Entscheidend war wie viel Schaden sie vor ihrem Fall anrichteten. Dasselbe galt für Ahmeds Mission. Ein Sieg war ausgeschlossen, aber sie konnten fürchterlichen Schaden anrichten. Wenn sie genug Schaden anrichteten, gaben die Myrtaner vielleicht auf und zogen heim.

    Sicher, das war eine schwache Hoffnung. Die Myrtaner hatten Ali Al-Vharg getötet und die Allianz mit den Wüstensöhnen zunichte gemacht. Orkschamane Ulgoz war nicht zur Stadt zurückgekehrt. Das konnte nur bedeuten das er tot und sein wahnwitziger Beschwörungsplan fehlgeschlagen war. Von dem Kriegsherren Lukkor hatten sie schon drei Wochen nichts mehr gehört. Angeblich brachte er den Myrtanern in der Gegend von Braga schreckliche Verluste bei.
    Ahmed war erfahren genug um zu wissen dass dies nicht stimmen konnte. Vielleicht war Lukkor schon tot. Auf jeden Fall stellten seine Truppen keine unüberwindliche Gefahr für die Myrtaner dar. Eher war es so, das Lukkor gerade um sein Leben kämpfte. Von Lukkor erhoffte sich Ahmed nichts.
    Blieben nur die Golems und der Überraschungsangriff auf Lago.

    Vor dem Trupp tauchten sieben Lurker und ein paar Blutfliegen auf. Die Lurker waren echsenähnliche, gebeugt gehende Wesen mit je zwei Armen und Beinen. Man konnte sie fast für Menschen halten. Natürlich waren es nur Tiere. Ohne zu zögern griffen die Lurker die Assassinen an. Ihr Instinkt liess ihnen keine andere Wahl.
    Auch dieser Kampf dauerte nicht lange. Die kampferfahrenen Assassinen machten mit den Lurkern und den Blutfliegen kurzen Prozess. Carlos und Paco sammelten nach dem kurzen Kampf die Männer und marschierten weiter. Ahmed blieb ein kleines Stück zurück. Er betrachtete die toten Lurker.
    Die Tiere waren seltsam unterernährt. Da sie sich hauptsächlich von Fisch ernährten, liess das nur den Schluss zu das es zuwenig Fisch gab. Wahrscheinlich hatte diese Fischknappheit auch die sechs Myrtaner an diese Küste getrieben. Dies wiederum bedeutete dass die einst fischreichen Gebiete infolge des langen Krieges völlig überfischt waren. Der Krieg zehrte das Land regelrecht aus. Nachdenklich folgte Ahmed seinen Männern. Dieser Krieg war schlecht für Land und Volk. Es wurde Zeit ihn zu beenden. So oder so.

    # # #

    “Oh diese Knaben, sie finden den Ton nicht!”, beschwerte sich Zeremonienmeister Edrin.
    Der Chor sang die Hymne Innos’ so laut er konnte. Zwanzig Knaben, die besten Sänger aus Vengard, übten nun schon seit drei Stunden ununterbrochen. Für den alten und sturen Edrin war es nicht gut genug.
    “Das wird perfekt sein.”, mischte sich Erzkanzler Mathias ein.
    “Wenn der Chor den richtigen Ton trifft.”, meinte Söldnergeneral Kasimir.
    “Die Knaben vermasseln es? Die Knaben vermasseln es!”, stotterte Edrin.
    “Keine Bange, wenn es nicht klappt kann ich sie als Schiffsjungen gebrauchen.”, stichelte Admiral Jason Galt.

    Die gewaltige Magnifikat erdrückte den kleinen Küstenort Lago beinahe. Neben dem Zwölfhunderttonnen-Kriegsschiff aus Trelis sahen die Hütten und schmucken Villen beinahe winzig aus. Der kleine Ort war für die bevorstehende Hochzeit und Krönung des Thronfolgers herausgeputzt worden.
    Blaugoldene Banner, lange, feuerrote Fahnen und weiße Wimpel schmückten die Häuser Lagos. Feldzeichen, Banner und uralte Legionsadler waren sorgfältig aufgestellt worden. In der Ortsmitte stand zwei Statuen, die graue Statue reckte ihr Schwert weit über ihren Kopf zu einer Geste des Sieges. So mochte Rhobar vor dreiundvierzig Jahren seinen Sieg über den Tyrannen von Montera bejubelt haben. Die goldene Statue zeigte den einzig wahren Gott Innos.
    Auf dem Marktplatz von Lago war ein riesiges Zelt errichtet worden. Dutzende Arbeiter, Sklaven und Milizsoldaten mühten sich ab die kostbaren Möbel aus dem Palast in Vengard an die richtige Stelle zu rücken. Die hohen Herren und Damen des Reiches würden einen Verstoß gegen die Sitzordnung nicht tolerieren und somit die Hochzeit in ein Fiasko verwandeln.
    Novizen der Feuermagier probten schon einmal ihre Fähigkeiten im Umgang mit der Magie des Feuers. Zur besonderen Feier des Tages würden sie um Mitternacht einen Flammenkegel gen Himmel steigen lassen.
    Weitere Arbeiter und Sklaven trugen Massen an erlesenen Früchten, an bestem Wein und bestem Brot in das Zelt. Seit der vergangenen Nacht waren die besten Köche des Reiches damit beschäftigt die erlesensten Speisen der letzten zwanzig Jahre herzustellen. Schokolade von den Südlichen Inseln, Wein von Khorinis, Bisonfleisch aus Silden, Wachteln vom Östlichen Archipel und Erdbeeren aus Montera, Spielleute aus Trelis, Artisten aus Vengard, Zirkusspieler von Khorinis; Zeremonienmeister Edrin hatte keine Kosten und Mühen gescheut um die bevorstehende Hochzeit zum rauschensten Fest der Geschichte zu machen.

    “Jetzt, jetzt singen sie perfekt!”, jubelte Edrin.
    Kasimir, Jason und Mathias nickten selbstgefällig.
    “Jetzt brauchen wir nur noch die Braut und den Thronfolger.”, sagte Kasimir. “Dann wird alles gut.”

    # # #

    Weit entfernt vom Lärm Lagos schnüffelte Paladin Lothar an den Überresten der Lurker.
    Tote, unterernährte Lurker.
    Tote, unernährte, von Assassinenschwertern getötete Lurker!
    Irgendein Assassine hatte einen guten Plan gehabt.
    Irgendein Assassine, und Lothar hätte viel darum gegeben seinen Namen zu kennen, war gerade dabei den Krieg zu gewinnen.
    Paladin Lothar zückte seinen Zweihänder, Innos Blitz.
    Seine Gedanken eilten zu Ivan, zu Inubis, zu Marcos, Albrec, Walter und Dominique. Per Telephatie sagte er ihnen was vor sich ging.
    Verwirrung antwortete ihm.
    Verwirrung, Verständnis, Wut und schließlich Angst.
    Angst vor der Niederlage.
    Die Assassinen waren dabei den Krieg direkt zu gewinnen.
    So schnell ihn sein innosgesegneter, übermenschlich leistungsfähiger Körper trug, rannte er den Küstenweg entlang nach Lagos.
    Er brauchte nicht auf Steine und Unebenheiten zu achten.
    Seine innosgesegneten Sinne erfassen jedes Detail.
    Auch den Assassinen direkt voraus.
    Es war ein junger, dunkelhäutiger Mann mit brauen Augen und schwarzem Haar. Er trug eine mittelschwere Assassinenrüstung, einen Langbogen und zwei Krummsäbel.

    Lothar löste seine Feuerpfeil-Rune und seinen Schulterwerfer aus und verwandelte den Assassinen in eine schreiende Fackel.

    Und dann begann das Gemetzel …



    * ... wird fortgesetzt
    Geändert von Alexander-JJ (27.06.2008 um 12:43 Uhr) Grund: kleinere Verbesserungen

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    KAPITEL 12

    … im Jahr des Feuers 978 …
    … die Belagerung von Bakaresh …


    König Rhobar der Erste, der Heilige, der Avatar Innos’, saß stumm und steif auf seinem Thron. Vertrauenswürdige Novizen hatten den Leichnam für eine letzte Lüge präpariert. Der tote König sah so lebendig aus wie es eben nur ging.
    Er war in eine edle, samtbesetzte und mit weißem Wolfsfell ausgekleidete Rüstung gehüllt. Die Rüstung erinnerte in ihrer Machart an die Rüstungen der Erzbarone von Khorinis, jeder Barone die Rhobar vor zwanzig Jahren eigenhändig besiegt hatte. Das Wolfsfell stammte von dem legendären Weißen Hetzer, einem gewaltigen Eiswolf aus Nordmar, den Rhobar mit einem einzigen Hieb erschlagen hatte.
    In seiner Rechten hielt er das Feuerschwert, das Symbol seiner Macht und den sichtbaren Beweis für seine Vorrangstellung vor allen anderen Menschen. Um den Hals trug er das mächtige Amulett ‘Aura Innos’.
    Selbst als Toter sah der große König noch erhaben, ehrfuchtgebietend und respekteinflössend aus. Von Rhobar ging eine Art Zauber aus, den selbst der Tod nicht zu brechen vermochte. Mehr als jemals zuvor bestätigte sich, das Rhobar tatsächlich ein Heiliger war.
    “Das wird nie funktionieren.”, murrte Barthos von Laran.
    Königin Isolde trug noch etwas Puder auf die grauen Wangen des toten Königs auf. Sorgfältig rieb sie das magische Pulver in die Haut ihres toten Gatten. Die tote Haut nahm daraufhin eine helle, fast gesunde Farbe an. Zufrieden nickte Isolde den Novizen zu. Der König war wieder lebendig.
    Sterben würde er allerdings sogleich. Natürlich nicht durch die Hand eines Assassinen. Der König würde an einem Herzanfall sterben. Die Freude über die Hochzeit seines Sohnes, die Strapazen des Krieges, der Stress, die Hitze, das fremde Essen; es würde mehr als genug glaubhafte Gründe für seinen Tod geben. Die Wahrheit kannten ohnehin nur ein paar Menschen.
    “Es ist vollbracht!”, sagte Isolde. “Der König kann nun friedlich sterben.”
    Ein Druide des Waldvolkes trat hinter dem Thron hervor und skandierte die letzten Worte der Reinigung und Heilung. Der bereits spürbare Verwesungsgeruch ließ stark nach. Dafür stach Minze in die Nasen der versammelten Menschen.
    “Ich habe getan wonach ihr verlangt habt, Myrtaner.”, sagte der Druide Runak mit tiefer, grollender Stimme. “Jetzt werde ich in die Berge hinauf steigen und zu Adanos beten. Denn was ihr hier tut ist wider die Natur.”
    “Geh schon, Runak, alter Querulant.”, stichelte Söldnergeneral Kasimir.
    Der Druide betrachtete mit arrogantem Blick die versammelten Menschen. Als Anhänger der Adanos-Religion sah er in den Innosgläubigen bestenfalls entwurzelte Seelen, schlimmstenfalls verdammungswürdige Feinde. Da jedoch Krieg ebenfalls wider die Natur war, würden die Adanosanhänger wohl nie einen Krieg beginnen. Runak zögerte kurz, dann verließ er das kleine Zelt um in die Berge hinauf zu steigen.
    “Wo ist eigentlich Dominique?”, fragte Erzkanzler Mathias verwirrt.
    Barthos zuckte mürrisch mit den Schultern.

    Draußen im Festzelt von Lago wurde lautstark gefeiert. Der frischvermählte Thronfolger tanzte mit seiner Braut. Um die beiden Brautleute herum herrschte ausgelassenes Treiben. Die Höflinge hatten ihre besten Kleider angelegt und ihren wertvollsten Schmuck mitgebracht.
    Bunte Bänder aus Seide sponnen sich durch das große Festzelt. Spielleute aus Trelis führten Theaterstücke aus der Frühzeit des Mittellandes und Nordmars auf. Der Kampf des Königs gegen die Bestie und der Zweikampf mit dem Burggrafen von Khorinis standen auf dem Programm. Ebenso wie die Gründung des Innosklosters in Nordmar und die Ereignisse des tausend Jahre zurückliegenden Jahres des Feuers. Natürlich wurden die Taten und Untaten der beteiligten Personen, Dämonen und Drachen gewaltig ausgeschmückt. Selbst für den historisch gebildeten Menschen war es schwer zu erkennen wo die Wahrheit endete und die Propaganda begann.
    Höflinge schwirrten wie Schmeißfliegen um das frischvermählte Ehepaar herum. Baron Bleyn und Herzog Frederik lobten den Mut, die Ehre und die Weisheit des Thronfolgers. Musik schallte ohrenbetäubend laut aus dem Festzeit. Prinz Rhobar lachte lauthals über einen Witz. Dann küsste er seine Braut auf den Mund.

    “Also los. Bringen wir es hinter uns.”, sagte Barthos von Laran leise.
    Der oberste Feuermagier probte einen betroffenen Gesichtsausdruck. Erst wollte es ihm nicht recht gelingen. Der inzwischen eingeweihte Söldnergeneral Kasimir gluckste. Mathias sah ihn streng an, aber der alte Söldnerführer konnte sich ein Lachen kaum verkneifen. Dann hatte Barthos den richtigen Gesichtsausdruck aufgesetzt.
    Etwas gramgebeugt, aber dennoch stolz, von der Last der Verantwortung und dem Schock des Todes des Königs gezeichnet trat er in das Festzelt. Herzog Frederik und Baron Bleyn waren augenblicklich still. Die Musik verstummte. Ein Tablett voller Weingläser polterte zu Boden. Die Musiker und Spielleute schauten betroffen auf. Gräfin Maria, die Tochter des Erzkanzlers und Ehefrau des Thronfolgers, löste sich aus der engen Umarmung ihres Mannes.
    “Bei Innos! Verehrter Hochmagier Barthos, was ist denn geschehen?”, fragte sie verwirrt.
    Tränen traten in Barthos Augen.
    “Der König ist tot!”, stammelte er.
    “Das trifft sich gut.”, mischte sich eine tiefe Stimme ein. “Dann können wir euch alle zusammen begraben.”
    Ein entsetztes Keuchen ging durch die versammelten Höflinge, Musiker, Diener, Konkubinen und Spielleute. Ein gerüsteter Assassine stand im Eingang des Festzeltes. In jeder Hand hielt er einen Wurfdolch.
    Barthos rechte Hand zuckte krampfhaft vor, als wolle er die alptraumhafte Erscheinung beiseite fegen. Dann ging ein Aufschrei des Entsetzens durch die versammelte Menge, der Raum explodierte schier vor Chaos, als die panischen Menschen gleichzeitig das Zelt auf dem schnellstmöglichen Weg verlassen wollten.

    # # #

    Ahmed ibn Fadlan genoss des Augenblick des Triumphes. Statt der erhofften Lagerhäuser voller Waffen, Nahrung und Ausrüstung hatten sie eine Festgesellschaft erwischt. Ahmed wusste genug über den myrtanischen Adel um zu erkennen dass hier der Thronfolger ein Weib geehelicht hatte. Prinz Rhobar war auch nicht zu verkennen. Er war genauso groß wie sein berühmter Vater, blond und blauäugig. Der schockierte, unbewaffnete Mann im blaugoldenen Samtmantel musste es sein.
    “Nein! Oh Innos, NEIN! Bitte… bitte… bitte….”, plapperte Barthos und fiel vor dem Assassinen auf die Knie.
    Ahmed stieß ihn mit einem harten Tritt beiseite.
    Er warf seine beiden Dolche.
    Die vergifteten Klingen zielten direkt auf die Brust des Thronfolgers. Doch eine Laune des Schicksals rettete Prinz Rhobar. Herzog Frederik stolperte in voller Panik mitten in die Flugbahn hinein. Die beiden Dolche setzten seinem Leben ein schnelles Ende. Ahmed zückte sein Assassinenschwert und stürzte sich auf die Festgesellschaft. Seine Männer taten es ihm gleich.
    Barthos rappelte sich auf und floh durch den Eingang in die Nacht hinaus. Mit ihm entkamen zwei Diener und zwei Konkubinen. Der Rest der Festgemeinschaft war in dem riesengroßen Festzeit gefangen.
    In den ersten, grauenhaften Minuten metzelten die Assassinen mindestens ein Dutzend Diener, Konkubinen, Spielleute und Musiker nieder. Auch zwei oder drei Adlige waren unter den Opfern. Krummschwerter hackten sich ihren blutigen Weg durch die Reihen der angsterfüllten und schreienden Menschen. An Gegenwehr dachte in diesen Minuten niemand. Außer den alten Wachen am Eingang des Zeltes war auch niemand bewaffnet und diese beiden alten Krieger waren bereits tot.
    “Weg! Weg! Wir müssen hier raus!”, brüllte Baron Bleyn.
    Die verzweifelten Menschen trampelten sich gegenseitig tot als sie versuchten aus der Todesfalle zu entkommen. Einige packten Kristallkrüge und versuchten Löcher in die dicken Leinenwände des Zelts zu schneiden. Wieder andere stürzten sich mit Knüppeln, Musikinstrumenten und abgebrochenen Flaschen auf die Assassinen. Wieder andere drehten völlig durch und kämpften gegen alles und jeden um aus der Todesfalle zu entkommen.
    Doch es gab keinen Ausweg.
    Die Assassinen kannten keine Gnade. Der ganze aufgestaute Hass des langen Krieges entlud sich in einem furchtbaren Gemetzel. Ahmed, Paco, Carlos und zwanzig weitere Assassinen hieben mit ihren Krummschwertern, ihren Säbeln und Dolchen auf die wehrlose Menge ein.
    Endlich konnten sie es dem verfluchten Feind zeigen, endlich konnten sie sich für die lange Belagerung, für den Tod von Freunden, Kameraden und Verwandten rächen. Es war für die Assassinen wie eine innere Befreiung. Sie wussten dass sie Lago nicht lebend verlassen würden. Aber vor ihrem eigenen Tod wollten sie den Myrtanern noch zeigen was für ein entsetzlicher Fehler es gewesen war, den Krieg nach Bakaresh zu tragen.

    Nach zwanzig Minuten war es zu Ende. Ahmed, Paco und die anderen Assassinen sahen sich um. Das Festzelt war voll von schrecklich entstellten Leichen. Zerschmetterte Tische, Stühle und Musikinstrumente lagen verstreut herum. Blut besudelte die Zeltwände, die Leichen und die Assassinen. Ein paar Myrtaner lebten noch. Sie schrieen herzzerreißend um Hilfe. Doch hier gab es keine Hilfe, keine Rettung. Gezielte Hiebe machten auch ihrem Leben ein Ende.
    Ahmed packte Paco am linken Arm. Der Assassine fuhr mit hocherhobenen Schwert herum. In seinen Augen stand blanke Mordlust.
    “Die Lagerhäuser! Schnell!”, brüllte ihn Ahmed an.
    Paco schüttelte sich, packte Carlos und rannte los. Unterwegs rekrutierten sie weitere Assassinen. Hier in Lagos gab es genug Pulver und Magisches Erz um die verdammten Langhäuser mitsamt dem ganzen Kriegsmaterial direkt zu Innos’ Sonne zu sprengen. Natürlich waren die Langhäuser gut geschützt. Doch in der allgemeinen Panik gab es eine reelle Chance den ursprünglichen Plan in die Tat umzusetzen.

    Ahmed ibn Fadlan jedoch ging zielstrebig zu dem kleinen Zelt. Ihm war etwas eingefallen. Er hatte den König schon einmal gesehen.

    # # #

    Königin Isolde war allein im Zelt ihren toten Gatten zurückgeblieben. Erzkanzler Mathias war zusammen mit den Wachen in die Nacht hinaus geflohen. Hunderttausend Assassinen hatten Lago gestürmt und metzelten alles nieder, so hatte der alte Mann gerufen. Barthos war auch verschwunden, genauso wie Söldnergeneral Kasimir. Sogar den alten Söldneranführer hatte die Panik gepackt.
    Draußen herrschte der blanke Horror. Milizsoldaten, Diener, Arbeiter, Musiker, Höflinge und Seeleute rannten sich gegenseitig um. Sie alle versuchten zu fliehen, doch keiner wusste wohin oder wolang. Das Festzelt war halb eingestürzt. Zwanzig grauenvoll lange Minuten hatten die Assassinen darin gewütet. Isolde war sich sicher dass ihr letzter Sohn nun auch tot war.
    Der Lärm war unbeschreiblich. Männer schrieen durcheinander, Packtiere wieherten, Ochsen muhten und wieder und immer wieder krachten Explosionen durch Lago. Die Assassinen benutzten Feuerballspruchrollen, Pulver, Magisches Erz und andere Hilfsmittel um den Ort in die Luft zu sprengen. Haushohe Feuersäulen erhoben sich zum Himmel, brennende Gestalten taumelten schreiend vorbei und ab und zu erhaschte Isolde einen Blick auf einen metzelnden Assassinen.
    Die Welt sie herum hatte sich in ein Tollhaus verwandelt.
    Und dann stand Ahmed ibn Fadlan vor ihr.
    Der blutverschmierte Assassine funkelte sie an. Sein Gesicht war von Hass und Wut verzerrt, aber dennoch schön. Dunkle Augen blickte seltsam milde unter der verschwitzten, schwarzen Mähne hervor. In der rechten Hand hielt der Assassine ein langes, geschwungenes, blutiges Schwert.
    “Der König ist tot, lang lebe der König!”, brüllte ihr Ahmed entgegen.
    Isolde trat mutig vor ihn.
    “Er ist bereits tot. Ich lasse nicht zu das du seinen Leichnam schändest.”
    Ahmed lachte freudlos auf.
    “Ach ja? Ich war es, der ihn vor Tagen getötet hat. Wieso sitzt er jetzt hier? Aber halt, ich bin ja kein Idiot. Ihr habt es vor euren Truppen verborgen. Sehr schlau. Es ist immer besser ein König stirbt an Altersschwäche als durch den Dolch des Feindes.”
    “Du hast meinen Mann umgebracht?”, fragte Isolde erstaunt.
    Ahmed wich einen Schritt zurück. Seine Klinge senkte sich zu Boden. Ja, sagte er sich, er hatte den König getötet. Aber der König war auch der Mann von dieser Frau gewesen. Was würde wohl Sherezade sagen, wenn eines Tages sein Mörder vor ihrer Tür stünde? Ahmed wich noch einen Schritt zurück.
    “Ich wollte diesen Krieg nicht!”, rechtfertigte er sich.
    “Wie bitte?”
    “Ich wollte das alles nicht! Ich… ich wollte in Frieden leben. Ich bin ein Bootsbauer. Niemand baut bessere Boote als ich. Niemand… Nein, ich wollte diesen Krieg nicht.”
    Isolde sah ihn verwirrt an.
    “Ich habe den Ausfall geplant, ich habe den Belagerungsturm verbrannt, ich habe die Verhandlungen mit den Nomaden eingeleitet, ich sabotierte die Karren in Ben Sala, ich tötete deinen Mann. Diese Überfall hier plante ich.“
    Ahmed beschrieb mit seinem linken Arm einen weiten Kreis.
    “Das hier ist alles mein Werk!”
    Isolde packte Ahmed am Arm.
    “Aber du hast es nicht gewollt?”
    “Nein!”, schrie Ahmed und riss sich los. “Ich habe das alles nicht gewollt!”
    Ahmed ibn Fadlan rannte hinaus in das Chaos. Isolde sah ihm nach.
    “Warte, so warte doch.”, flüsterte sie.
    Soldaten hetzten vorbei, Soldaten mit hastig hergerichteten Rüstungen und Waffen. Es waren Seesoldaten von der Magnifikat. Ein Paladin führte sie an. In dem Rauch und Feuer konnte Isolde nicht erkennen ob es Lothar oder Walter war. Die Seesoldaten bewegten sich diszipliniert. Sie drängten die Assassinen entschlossen zurück. Die Panik war vorbei. Ein zweiter Paladin zwängte sich in das kleine Zelt.
    “Meine Königin, ihr lebt.”, stellte Albrec lapidar fest.
    Draußen schwoll der Kampfeslärm an als die Soldaten von der Magnifikat die Assassinen zum letzten Gefecht stellten.



    * ... wird fortgesetzt
    Geändert von Alexander-JJ (27.06.2008 um 12:45 Uhr) Grund: kleinere Verbesserungen

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    KAPITEL 13

    … im Jahr des Feuers, 978 …
    … die Belagerung von Bakaresh …


    Schwerter schlugen klirrend aufeinander. Hagen umkreiste Roland und suchte nach einer Schwachstelle in dessen Deckung. Sein Freund hatte sich wieder einmal an ihn herangeschlichen.
    Rolands linke, gepanzerte Faust schoss heran und landete einen soliden Treffer an Hagens Helm. Der junge Ritter taumelte zurück. Roland setzte nach, holte ihn mit einem heftigen Tritt gegen das rechte Knie von den Beinen. Hilflos landete Hagen im Sand.
    “Ach, verdammt!”, knurrte Hagen.
    Sein Freund Roland bot ihm seine Rechte dar und zog ihn wieder auf die Beine. Beide Ritter klappten ihre Visiere hoch und grinsten sich gegenseitig an.
    “Ich werde dich wohl nie schlagen können, was?”, fragte Hagen freundlich.
    “Jedenfalls nicht, wenn du mit deinen Gedanken woanders bist.”, antwortete Roland.

    Hagen und Roland nahmen ihre Helme ab. Ihre verschwitzten, kurz geschnittenen Haare klebten regelrecht an den Helmen. Erleichtert setzten sie sich in den Sand und beobachteten die anderen Ritter.
    Ines focht mit Orik. Die zierliche Frau war zwar schwächer als der große Orik, dafür aber auch schneller und beweglicher. Marek trainierte mit einigen Waffenknechten. Schwerter schlugen mit hellem Klang aufeinander, Befehle und Gebrüll schallten zu den beiden jungen Rittern herüber.
    Mehr als tausend Krieger waren auf der Ebene vor Ben Sala zum Waffentraining angetreten. Letzte Nacht hatte es einen grauenvollen Überfall auf Lago gegeben und Gerüchte über das Gemetzel verbreiteten sich schnell innerhalb der Armee. Die Paladine gaben den Soldaten mit diesem harten Training etwas zu tun. Beschäftigte Soldaten dachten nicht so viel nach und kamen auch nicht auf dumme Gedanken.
    “So geht das nicht weiter.”, sagte Roland schließlich.
    “Nein, da hast du recht.”, stimmte ihm Hagen zu. “Wir müssen endlich einen großen Schlag landen. Dieser Krieg zieht sich zu lange hin. Unsere Verluste sind zu hoch und der Gegner ist trotz allem nicht am Ende seiner Möglichkeiten angelangt.”
    “Diese Krönung war ja auch eine blöde Idee.”
    “Sag nicht so etwas. Barthos… .”
    “Barthos ist geflohen. Hah, der mächtigste Magier unseres Zeitalters ist einfach weggerannt. Soviel zu den Segnungen Innos’.”
    Roland verstummte. In letzter Zeit kamen ihm immer öfters Zweifel an ihrer Mission. Diese endlosen Feldzüge zur Einigung der Welt erschienen ihm nicht länger als eine Heilige Mission. Natürlich bestand immer die Möglichkeit dass die dunklen Kräfte Beliars auch den edelsten Ritter korrumpierten.
    Roland hatte mit Inubis darüber gesprochen. Der Paladin studierte die alten Schriften und manchmal auch die alten Gräber des Alten Volkes. Er hatte viel über die wahre Magie und deren schädlichen Einfluss herausgefunden. Nach Inubis Meinung konnte jeder Mensch von Beliar verführt und zur dunklen Seite bekehrt werden.
    Jeder, ohne Ausnahme.
    Allerdings funktionierte dies in beide Richtungen. Man konnte einen Beliardiener auch zum wahren Glauben bekehren. Man musste sie nicht alle töten oder brutal unterwerfen. Mit dem Wort ließen sich die Herzen der Menschen schneller gewinnen als mit dem Schwert. Das Schwert forderte nur das Schwert heraus.
    “Was ist denn mit dir?”, fragte Hagen besorgt.

    Roland zuckte zusammen. Mühelos wehrte er einen Hieb seinen Freundes ab. Das Training war noch nicht zu Ende und Tagträume halfen ihm nicht weiter. Hagen war der beste Kämpfer in den Reihen der jungen Ritter.
    Doch Roland sah die Hiebe und Schläge kommen. Geschickt wich er aus, ließ seinen Freund ins Leere laufen und brachte selbst Treffer um Treffer an. War er den anderen Rittern schon so sehr überlegen?
    Roland wusste von seinem Vater dass es kurz vor der Heiligen Innoswandlung zum Paladin so war. Da Ukara kürzlich im Kampf gefallen war, war es nur logisch das Innos einen neuen Paladin erwählte. Doch Roland hatte die Rituale noch nicht durchlaufen, hatte noch nicht den Segen seines Gottes empfangen und noch nicht den Heiligen Wein aus dem Heiligen Feuerkelch getrunken.
    Wie konnte es da möglich sein das die Innoswandlung einsetzte?
    Ohne den Segen des Hochmagiers, ohne die Artefakte Innos war eine Innoswandlung doch unmöglich.
    Oder war alles ganz anders?
    Roland begann die Umgebung auf ganz besondere Weise wahrzunehmen, jedes einzelne Detail zu erfassen und jedes einzelne Lebewesen um Umkreis von fünfhundert Metern zu spüren.
    Es war wie ein Rausch.
    Roland schlug Hagen wie eine Stoffpuppe beiseite.

    Goldenes Feuer umfing ihn wie ein Mantel. Das magische Feuer brannte sich in seinen Körper, in sein Gehirn, in sein Herz. Innos Gnade überkam ihn wie ein Sturm aus Emotionen. Wut, Trauer, Hass, Liebe, Angst und Begehren wirbelten in seinen Gedanken durcheinander. Er hörte das Schlagen seiner beiden neuen Herzen, das pulsieren der verstärkten Organe, das Rauschen der Magie. Sein Körper dehnte sich, seine Muskeln schwollen zu doppelter Stärke an und seine Knochen wurden so hart wie Magisches Erz. Jeder Jota seines Körper wurde durch die Innosmagie neu geformt.

    “Er ist erwählt worden!”, brüllte ein Ritter. “Innos ruft ihn zu sich! Er ist Ukara Nachfolger!”
    Roland stürzte auf die Knie. In seinem neuen, innosgewandelten Körper tobten noch immer die Nachwirkungen der Wandlung. Das Gegengift brannte in seinen Adern. Wie alle Paladine war auch er jetzt immun gegen jede Art von Gift. Die letzten Reste der goldenen Innosmagie funkelten um ihn wie Leuchtkäfer.
    “Roland! Roland! Ist alles in Ordnung mit dir?”
    Der neue Paladin nickte und erhob sich zu voller Größe. Ein Irrlicht huschte heran. Sein gleißendes Licht brannte sich in seine Seele. Mit einem Schlag waren da die Gedanken, Gefühle und Motive der anderen Paladine. Durch ein unsichtbares Band waren sie alle aneinander gekettet.
    Lothar, Albrec, Marcos, Walter, Ivan, Inubis und sein Vater antworteten ihm, riefen ihn zu sich, lobten Innos. Sogar der in Vengard zurückgebliebene Demetrios antwortete, obwohl seine telephatische Antwort nicht mehr als ein Flüstern war. Aber Roland war sich auch der schockierenden Präsenz der dunklen Schattenlords bewusst. Bhaal, Archol und Khraal waren ebenfalls seine Brüder, standen ebenfalls in telephatischem Kontakt zu ihm. Auch sie antworteten ihm, riefen ihn zu sich, lockten ihn auf Beliars Seite.
    Roland schüttelte den Kopf um die fremden Gedanken loszuwerden. Sein Körper war jetzt stärker, ausdauernder und widerstandsfähiger als jemals zuvor. Er war jetzt ein Übermensch, besaß die Kraft zweier Bären, Immunität vor Gift, Hitze, Kälte und Erschöpfung. Und das ohne jedes Ritual, ohne aus dem Heiligen Feuerkelch getrunken zu haben und ohne den Segen eines innosgeweihten Hochmagiers.

    # # #

    Ein paar Kilometer weiter in Lago brannte noch immer das Langhaus Nummer Vier. Die Löschtrupps von der Magnifikat hatten fünf Eimerketten gebildet. Dennoch würde es noch mindestens eine Stunde dauern bis auch dieser Brand endlich gelöscht war.
    Immerhin, sagte sich Lord Dominique, hatten die Assassinen nur das Langhaus mit den Nahrungsvorräten erwischt. Das Kriegsgerät war unversehrt geblieben. Etliche Häuser Lagos waren durch Feuer und Explosionen zerstört oder erheblich beschädigt worden. Dutzende Einwohner und auch etliche schlafende Arbeiter und Sklaven waren in den Häusern umgekommen.

    Direkt getötet hatte der Feind an die einhundert Menschen, vor allem Spielleute, Musiker, Diener, Konkubinen und Höflinge. Unter den Gefallenen waren keine fünfzehn Soldaten. Auch das war, wenn man es aus einem sehr zynischen Blickwinkel betrachtete, Glück. Unter den Toten befand sich Herzog Frederik. Dessen Tod war ein schwerer Schlag für die verwöhnte Hofgesellschaft aber aus der Sicht eines Soldaten war das kein Verlust.

    Schlimmer war die Flucht von Barthos von Laran, Söldnergeneral Kasimir, Baron Bleyn, Erzkanzler Mathias, Zeremonienmeister Edrin und mindestens fünfzig weiteren Myrtanern. Sie waren in Panik in die Wüste hinaus geflohen. Die Elite des Landes war geflohen während der Feind die Untertanen des Reiches abschlachtete. Das war eine Schande. Dominique konnte es kaum ertragen.
    Geflohen!
    Sie waren geflohen. Das war einfach unglaublich.
    Dominique schüttelte verständnislos den Kopf und stapfte zu der langen Reihe Matrosen hinüber. Admiral Jason Galt, fünfzig Matrosen und seine Schlachtbrüder standen vor einer langen Doppelreihe toter Assassinen. Siebenunddreißig entsetzlich entstellte Assassinen lagen auf dem blutigen Sand. In ihrer Wut hatten seine Schlachtbrüder kein Erbarmen gezeigt.
    Sie hatten die Angreifer regelrecht auseinander genommen. Vielen toten Assassinen fehlten Arme oder Beine, manche waren kaum noch als menschliche Wesen zu erkennen.
    “Ist das dein Heiliger Kreuzzug, Dominique?”, fragte Admiral Jason Galt verbittert.

    Dominique zog es vor nicht zu antworten. Er winkte seine Schlachtbrüder beiseite. Lothar, Walter, Albrec, Inubis, Ivan, Marcos und sein Sohn Roland stellten sich im Kreis um ihren Herrn und Meister auf.
    Er war der oberste Paladin, gesegnet von Innos, verändert von der heiligen Magie des großen Gottes und ausgestattet mit übermenschlichen Sinnen. Sie alle waren so wie er. Und doch hatte der Feind sie überlistet, hatte sie überrascht, hatte sie fast besiegt. Der Anführer dieses Trupps, wer auch immer es war, hatte sich als überlegener Gegenspieler erwiesen. Mit Schläue und Hinterlist war ihm nicht beizukommen.
    Also mussten sie es mit brutaler Gewalt probieren.
    “Drei Feinde sind uns entkommen.”
    “Ja, das wissen wir, Dominique.”, brachte Lothar mit rauer Stimme vor.
    “Wir müssen ihn jagen. Ihn, den Anführer. Wir alle. Jetzt!”
    Roland schüttelte den linken Arm, als fühle er sich in seinem neuen Körper nicht besonders wohl. Walter schlug dem jüngsten Mitglied ihres Ordens freundschaftlich auf die Schulter. Roland war jetzt ein Paladin, auch wenn er noch einige Wochen brauchen würde bis er seine neuen Fähigkeiten perfekt einsetzen konnte.
    Innosmagie war eine Sache, Übung und lebenslanges Training eine ganz andere. Walter spielte gern den Lehrmeister für neue Paladine. Das hatte er schon für Ivan und Inubis getan und würde es auch für Roland tun. Es war der Lauf der Dinge.
    “Acht innosgesegnete, übermenschliche Paladine gegen einen einzelnen, normalsterblichen und verwundeten Mann?”, fragte Walter leise.
    “Er weiß alles, meine Brüder.”
    “Dann muss er sterben. So schnell wie möglich.”, sagte Inubis mit fester Stimme.
    Dominique kniete sich nieder. Schnell und geschickt malte er ein Abbild der Umgebung in den Sand. Seine Schlachtbrüder brauchten diese Karte nicht. Sie alle kannten die Umgebung als wenn sie hier ewig gelebt hätten. Das war ein weiterer Segen der Innosmagie. Dennoch, Dominique wollte auf Nummer sicher gehen.
    “Wir schwärmen nach Süden und Osten aus. Unsere Beute muss sich nach Bakaresh durchschlagen. Wir werden ihn, wer auch immer es ist, hetzen. Wir werden ihn in dieser Wüste begraben.”
    “So soll es geschehen, Lord!”, riefen die versammelten Paladine.

    # # #

    Die junge Frau wimmerte vor Schmerzen. Das starke Gift in ihren Adern würde sie innerhalb der nächsten Stunde töten. Alle Magie, alle Heilkunst und alle Gebete zu Innos waren vergebens. Wenigstens war sie kaum noch bei Bewusstsein. Dutzende weitere Menschen, Diener, Arbeiter, Spielleute und Höflinge lagen sterbend auf dem breiten Deck der Magnifikat. Man hatte sie hierher gebracht um ihnen zu helfen. Die Kräuterweiber und die barmherzigen Schwestern sowie die Heiler des Waldvolkes mühten sich um die Verwundeten. Vielen retteten sie das Leben, doch bei manchen war dies einfach nicht möglich.
    Sabrina drückte der jungen Frau die Augen zu. Sie war schneller gestorben als Druide Runak vermutet hatten.
    “Adanos spende dieser armen Seele den Ewigen Frieden.”, murmelte Runak.
    Sabrina lehnte sich zurück. Der Heiler und der Feuermagier hetzten zum nächsten Patienten weiter. Matrosen, Soldaten und Waffenknechte schwärmten über das ganze Deck aus als gelte es einen Großangriff zurückzuschlagen.
    Eine sanfte Hand legte sich auf ihre Schulter. Erstaunt stellte Sabrina fest dass sich Königin Isolde zu ihr gesellt hatte. Die Königin trug einfache Lederkleidung und einen langen, silbernen Dolch am Gürtel. Sie war fast nicht zu erkennen.
    “Ich komme gerade von Maria und Prinz Rhobar. Den beiden geht es den Umständen entsprechend gut. Die besten Heiler des Waldvolkes mühen sich um ihre Gesundheit. Sie werden überleben.”
    Sabrina lag eine sarkastische Antwort auf der Zunge. Aber sie hielt sich zurück. Am Hofe war sie für ihre herrische, gemeine Art bekannt gewesen. Aber dieser lange Krieg hatte auch sie verändert.
    Prinz Rhobar, der nun doch noch nicht gekrönt worden war, hatte sich ganz unheldisch unter einigen Leichen versteckt. Statt sich den Assassinen entgegenzustellen hatte er sein Leben gerettet. Das war sicherlich feige. Aber Sabrina konnte ihn nicht verurteilen. Die Elite des Reiches war in blinder Panik hinaus in die Wüste geflohen. Da passte es nur ins Bild, wenn sich der neue König vor dem Feind unter den Leichen seiner Untertanen versteckte.
    “Was wird jetzt aus dem König?”, fragte Sabrina.
    “Oh… der König. Der König wird in ein paar Tagen friedlich im Bett sterben. Wir werden es so drehen, dass er einen Herzanfall bekommt. Wie es der Zufall will, wird sein Sohn und Nachfolger genau in diesem Moment an seinem Bett stehen und die Krone aus den sterbenden Händen seines Vaters empfangen. Falls wir Barthos bis dahin wieder gefunden haben, wird er natürlich auch zugegen sein.”
    Isolde dachte an die aufgebahrte Leiche im Frachtraum der Magnifikat. Dort würde der größte König aller Zeiten ruhen bis er in die Krypta in Vengard zu letzten Ruhe gebettet würde. Die Magnifikat war unsinkbar, eine schwimmende Festung, der Stolz der Marine Myrtanas. Im Frachtraum des Zwöfhunderttonners war die Leiche des Königs sicher. Fünfhundert Matrosen, Seesoldaten und Ritter wachten über ihn.

    Doch für Isolde war barg der Gedanke an die aufgebahrte Leiche auch Erinnerungen an längst vergangene Tage. Damals, vor einundzwanzig Jahren, hatte sie ihre Schwester Adele beweint. Den Menschen, den sie mehr geliebt hatte als ihren Gatten, ihre Kinder und sogar noch mehr als ihren Neffen Hagen.
    Die kalte, steife Leiche ihrer Schwester hatte zehn Tage in der Kathedrale von Montera gelegen, bevor sie unter Anteilnahme von tausenden Bürgern und Bauern des Reiches in der Krypta zur letzten Ruhe gebettet wurde.

    Königin Isolde erhob sich und stieg langsam zu ihrem toten Gatten in den Frachtraum der Magnifikat hinab. Für sie war es auch eine Reise in die Vergangenheit…



    * ... wird fortgesetzt
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    KAPITEL 14

    … 21 Jahre zuvor …
    … im Jahr des Feuers, 957 …
    … Montera …


    Tief unter der Kathedrale von Montera ruhte die Schwester der Königin neben Innostian und den Königen der alten Zeit in ihrer Gruft. Die steinernen Särge waren mit Reliefs verziert. Meist handelte es sich um Szenen aus längst vergangenen Kriegen, um Darstellungen irgendwelcher Heldentaten oder um Bauwerke, die von den hier begrabenen Herrschern errichtet worden waren.
    In den Wandnischen standen steinerne Statuen, ausgerüstet mit Lanzen, Hellebarden und großen Zweihandschwertern. Einige Statuen waren durch Plünderer, Unwetter, Erdbeben oder einfach durch den Zahn der Zeit stark beschädigt worden. Niemand machte sich die Mühe sie zu reparieren.
    Spinnweben zogen sich in Massen durch den Krypta. Dutzende Mäuse, Ratten und Fleischwanzen huschten durch die Dunkelheit. Hier und da konnte man das Quieken einer Riesenratte hören. Doch die knapp einen Meter langen Riesenratten zeigten keinerlei Neigung die Königin anzugreifen.
    Innostians Steinsarg war relativ neu. Nur eine feine Staubschicht deutete darauf hin, dass er schon fast zehn Monate hier stand. Isolde strich zärtlich über die letzte Ruhestätte ihres ältesten Sohnes. Doch das Ziel ihrer Trauer war nicht Innostian sonder ihre erst kürzlich verstorbene Schwester.
    Adele war vor zwei Tagen einem Unfall in ihrem Labor zum Opfer gefallen und an den Folgen keinen Tag später gestorben. Nicht einmal die Magie des Waldvolkes hatte sie retten können. Runak, der junge Druide, hatte von Mord gesprochen doch die offizielle Untersuchung hatte nichts dergleichen ergeben.
    Kurz vor Adeles Tod war Beowulf nach Norden aufgebrochen um auf dem Großen Gletscher Orks zu jagen. Ein mehr als selbstmörderisches Unternehmen. Kurz nach ihrem Tod waren fünf Menschen in einem alten Turm verbrannt. Darunter war auch der alte Ingrimm, der Vorsteher der Adelsversammlung.
    Doch trotz aller Verdächtigungen und Anschuldigungen gab es keinen erkennbaren Zusammenhang zwischen diesen Ereignissen. Isolde war sich jetzt sicher dass dies alles nur Zufall war. Dominique selbst hatte die Untersuchungen geleitet und der Paladin war für seine Unbestechlichkeit, seine Ehrlichkeit, seine Treue und seine Frömmigkeit bekannt. Nie und nimmer hätte er irgendetwas verheimlicht.

    Das Volk hatte ehrlich um Adele getrauert. Adele war beliebt gewesen, hatte einen unerklärbaren Zauber ausgestrahlt, eine Wärme die den Menschen Hoffung gab.
    Doch jetzt war sie tot.
    Isolde, seit vierzehn Jahren Königin des neuen myrtanischen Reiches, weinte um ihre Schwester. Bekleidet war sie mit einer einfachen Stoffhose, einem Wollhemd und einer alten, aber stabilen Lederrüstung. An ihrem breiten, magischen Gürtel hing ein langer, silberner Dolch.
    Einst hatten die beiden Schwestern die Wälder nahe Geldern auf der Suche nach Kräutern, seltenen Pflanzen und Pilzen durchstreift. Während ihrer langen Wanderungen hatten sie so manche Gefahren gemeistert und so manchen Freund bei den Völkern des Waldes gefunden. Es war eine wundervolle Zeit ohne Sorgen oder Nöte gewesen. Isolde hatte sich in einen jungen Mann verliebt. Runak war sein Name gewesen. Er gehörte zum Waldvolk Myrtanas. Gemeinsam hatten sie einen wundervollen Sommer voller Liebe und Leidenschaft verlebt. Sie hatten angefangen für eine gemeinsame Zukunft zu planen.

    Leider hatte der Rat der Alchemisten andere Pläne. Isolde und ihre Schwester Adele stammten aus einer reichen und mächtigen Alchemistenfamilie. Geldern, die Stadt der Alchemisten, hatte sich dem neuen Reich vor zwanzig Jahren mehr oder weniger freiwillig angeschlossen. Der Rat der Alchemisten war so einem Grossangriff zuvorgekommen.
    Um Geldern enger an das neue Reich zu ketten waren Isolde und Adele nach Montera geschickt worden.
    Zwei junge Mädchen von kaum fünfzehn Jahren.
    Die ersten beiden Jahre waren hart gewesen. Der verschwenderisch lebende Hofstaat hatte sie nur widerwillig als neue Mitglieder akzeptiert. Außerdem haftete ihnen die üble Nachrede an, sie wären Hexen und Sklavinnen Beliars.
    Schließlich hatte sich der Avatar Innos’, der neue König Rhobar, in sie verliebt. Zuerst hatte Isolde widerwillig sein Bett als seine Geliebte geteilt, dann als seine Frau, endlich als seine Königin.

    Währenddessen hatten ihre hoch entwickelten Heiltränke, ihre Medizin und ihr Wissen um Wundbehandlung so manches Leben gerettet. Besonders Adele galt als gute Seele der Stadt. Eine bemerkenswerte Wandlung in der Volksmeinung war vonstatten gegangen. Adele und Isolde galten nicht länger als Hexen Beliars sondern wurden jetzt als von Innos gesandte Engel anerkannt. Wenn das Volk gekonnt hätte, hätte es wohl Adele zum König gewählt.
    Aber so etwas hätten die Feuermagier und Paladine niemals zugelassen.
    Jetzt war Isolde dreißig Jahre alt, hatte zwei Jungen das Leben und Myrtana einen dringend benötigten Thronfolger geschenkt. Der Tod des geistig und körperlich behinderten Innostian, ihres Erstgeborenen, war ein schwerer Schock gewesen. Und doch war der Schmerz nichts im Vergleich zu dem Schmerz über den Verlust der geliebten Schwester. Ihr Tod war eine Ungerechtigkeit, die Isolde niemals verstehen konnte. Wie hatte Innos, der allmächtige Gott, so etwas nur zulassen können?
    Isolde hämmerte mit der blanken Faust auf den steinernen Sarg ein, als könne sie ihre Schwester wieder lebendig machen. Tränen standen in ihren Augen. Doch Adele war tot. Isolde brach am Sarg ihrer Schwester zusammen und weinte hemmungslos.

    # # #

    “Myrtana ist geeint! Es ist vollbracht!”, begrüßte sie Rhobar.
    Der große, blonde König nahm seine Frau in die Arme.
    “Was ist denn, Liebling? Warst du etwa wieder in der Krypta? Du sollst doch nicht immer in die Krypta gehen. Das tut dir nicht gut. Barthos sagt….”
    “Barthos von Laran! Pah!”
    “Rede nicht so über ihn! Er ist mein wichtigster Berater. Ihm verdanken wir die zwölf Feuerkelche und damit die übermenschlichen Paladine. Ohne ihn hätten wir um Vengard Krieg führen müssen. Er ist unser bester Diplomat und seine Spione sehen alles.”
    “Ja, der Große Bruder Barthos sieht und weiß alles”, sagte Isolde verbittert. “Dabei ist er nur ein kleines, großenwahnsinniges Wutzelmännchen.”
    Rhobar winkte ab.
    “Die zwölf Auserwählten haben aus den zwölf Feuerkelchen getrunken. Ihre Körper wurden gesegnet. Sie haben den Ritterorden aufgebaut und sind das Herzstück der Streiter Innos’.”
    “Ich wette Dominique ist stolz auf seinen neuen Körper.”
    Rhobar ließ seine Frau los und ging zum Kartentisch in der Mitte des Raumes. Dutzende Karten, Schriften, Nachrichten und Listen lagen auf dem großen Eichenholztisch verteilt. Im Kamin brannte ein Feuer und spendete wohlige Wärme. Ein gutes Dutzend Kerzen verbreiteten angenehmes Licht. Neben der kleinen Innostatue stand das legendäre Feuerschwert. Das Ewige, magische Feuer verbreitete aber weder Licht noch Wärme. Das war ein Umstand den Rhobar nie bemerkte oder vielleicht auch erfolgreich verdrängt hatte.
    Wie so vieles.
    Isolde wurde klar das ihr in luxuriöse Gewänder gehüllte Gatte sehr viele Dinge entweder verdrängte oder erst gar nicht zur Kenntnis nahm.
    “Sieh dir doch die Karte an, Liebling. Myrtana ist vereint! Unter dem Banner Innos’ vereint. Ich… ähem… wir herrschen endlich über das gesamte Mittelland. Das war doch unser Traum. Er ist Wirklichkeit geworden. Ist das nicht phantastisch? Grim und ich… .”
    Rhobar stockte.
    “Du und… WER?”, fragte Isolde.
    “Ach nichts, nichts. Sorge dich nicht, Schatz. Ich habe mich nur versprochen. Ich meinte nicht Grim sondern Grimoald, den Grafen von Faring.”
    “Soweit ich weiß hast du ihn eigenhändig erwürgt. Das war bevor du nach Montera aufgebrochen bist um diesen närrischen Bauernaufstand anzuzetteln. Nein, mein Lieber, du hast eindeutig Grim gemeint.”
    “NEIN!”, schrie Rhobar schrill.
    Isolde war nicht in der Stimmung nachzugeben.
    “Manchmal sprichst du im Schlaf. Das kommt sehr selten vor, doch ich habe genau zugehört. Du sprichst immer von Grim. Ihr müsst sehr gute Kameraden, sehr enge Freunde gewesen sein.”
    In Rhobars Augen trat ein gehetzter Ausdruck. Er wirkte plötzlich wie ein verängstigter Mensch, den man zu sehr in die Enge getrieben hatte. Seine Hände zuckten als wollten sie hervorschnellen und seine Frau würgen.
    “Du weißt ja nicht wovon du sprichst, Weib!”, sagte er und stürmte aus dem Raum.

    Isolde blieb allein zurück. Sie trat an den Kartentisch heran. Myrtana war vereint. Silden hatte sich den Paladinen ergeben. Faring und Gotha wurden gerade zu mächtigen Festungen ausgebaut, bei Trelis entstand ein gewaltiges Trockendock, Ardea und Kap Dun waren jetzt ertragreiche Dörfer und Geldern das Zentrum von Magie und Alchemie. Die Minen von Geldern, Okara, Nemora und Reddock förderten Eisen, Kohle, Silber, Schwefel und das so seltene wie begehrte Magische Erz. Überall im neuen Reich entstanden Bauernhöfe, Schlösser und Burgen. Sogar das Waldvolk hatte sich ein großes Dorf südlich von Montera erbaut.
    Ohne Zweifel erlebten sie ein Goldenes Zeitalter, eine noch vor kurzer Zeit unbeschreibliche Blütezeit. Die einfachen Menschen schrieben dieses Glück dem Segen des Gottes Innos zu. Isolde, die sich näher an der Macht und damit der Wahrheit befand, wusste wie zerbrechlich dieses neue Reich in Wahrheit war.

    # # #

    Mathias, der Kanzler, und Edrin, der Zeremonienmeister, fühlten sich nicht wohl in ihrer Haut. Die Königin hatte ihnen befohlen alle Schriften der letzten dreißig Jahren zusammen zu suchen und in ihr Gemach zu bringen. Sie wussten natürlich das die Königin eine hochgebildete Frau war, die sehr viel las und sehr viel wusste. Aber dieses plötzliche, absonderliche Interesse an der Geschichte des Grenzgebietes bei Faring war dann doch verdächtig.

    Isolde nahm die durchaus berechtigten Einwände ihrer beiden Freunde nicht zur Kenntnis. Sie scheuchte Mathias und Edrin aus ihrem Gemach und begann die Schriften nach ihrer Wichtigkeit zu sortieren.
    Die meisten Schriftstücke waren schlicht und einfach uninteressant. Kochrezepte, militärische Anweisungen, private Briefe, Listen, Verzeichnisse, Steuerbescheide; wirklich interessant war dies alles nicht. Einige Schriften waren hingegen nützlich, aber für ihre Nachforschungen uninteressant. Dazu zählten Wetterbeobachtungen, Jagdhinweise, Bauernregeln und Schriften über Medizin, Magie und Alchemie. Das alles wäre lesenswert gewesen.
    Doch Isolde suchte nach Texten über Rhobar, Ragnar, Beowulf und Grim.
    Nach vier Tagen langer, ermüdender und auch frustrierender Nachforschung stieß sie endlich auf einen sehr interessanten Brief.

    Grim grüßt seine Brüder Rhobar, Ragnar und Beowulf,

    Wie ihr vielleicht schon gehört habt, habe ich Gimoald, den Herrscher von Faring, erschlagen. Faring gehört jetzt uns. Kommt so schnell wie möglich mit euren Männern hierher. Wir brauchen dringend Verstärkung, Nahrung und Waffen. Die Orks der Umgebung, die Banditen und ein paar Trolle machen uns das Leben sehr schwer. Ich erwarte eure Ankunft gegen den dritten Tag.

    - Grim


    Mit einem lauten Knall barst die Holztür auseinander. Paladin Dominique stürmte mit erhobenen Arm in den Raum. In seiner schweren Paladinrüstung sah er absolut bedrohlich aus. Dominique baute sich vor Isolde auf. Aufgrund der Innoswandlung war er zwei Köpfe größer und mindestens dreimal so schwer wie die Königin. Sein von einem Irrwisch gesteuerter Schulterwerfer fixierte sie, als wäre sie ein Feind. Sein Zweihänder, Innos Zorn, schwebte hoch erhoben über dem Haupt der Königin.
    “Was zum Beliar tust du da?”, fragte der drohend.
    Isolde wich vor dem Paladin nicht zurück. Er mochte von Innos gesegnet worden sein, doch sie war die Königin.
    “Ich forsche nach, Dominique. Und wenn du auch nur einen Funken Anstand hättest, dann würdest du dich jetzt aus meinen Privatgemächern zurückziehen und natürlich auch die Tür reparieren lassen. Dein Benehmen ist völlig unakzeptabel.”
    Dominique spannte sich, als wolle er sie angreifen. Er atmete hörbar ein und aus. Für einen entsetzlich langen Augenblick herrschte Todfeindschaft zwischen den beiden Menschen. Dann entspannte sich Dominique. Er senkte seine Waffen. Seine braunen Augen fixierten sie, aber Isolde sah keine Feindschaft, nur Müdigkeit in ihnen.

    “Wir brauchten einen König. Rhobar ist ein Avator Innos’. Das macht ihn zu einem natürlichen Anführer. Er ist das lebende Symbol für Innos‘ Herrschaft.”
    “Das weiß ich alles.”, entgegnete Isolde. “Ich bin seine Frau, ich kenne die Geschichten über die Bestie, über Nordmar und die Heldentaten des jugendlichen Rhobar. Aber… aber abgesehen davon muss er doch eine echte, reale Vergangenheit haben. Er ist kein Kind mehr. Vor Montera muss er irgendwo gelebt, irgendetwas gemacht haben.”
    “Sicherlich, Isolde, sicherlich.”
    “Nun lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen. Erzähl mir alles. Ich bin seine Frau, ich stehe auf eurer Seite. Wenn ihr mir nicht vertrauen könnt, wem dann?”
    Dominique seufzte. Er nahm sich den Helm ab, setzte sich an den Eichenholztisch und kratzte sich nachdenklich am Kopf. Mit einem Schlag sah er um Jahrzehnte gealtert aus. Sein einstmals pechschwarzes Haar zeigte erste graue Strähnen. Seine rechte Hand fuhr nervös über die Schriftrollen.
    “Die ganze Wahrheit? Ich kenne sie nicht. Ja, Isolde, ich weiß einfach nicht was Rhobar vor Montera getan oder nicht getan hat. Barthos weiß es auch nicht, Edrin nicht und auch Mathias nicht. Ich habe Rhobar kurz vor Beginn des Bauernaufstandes am Wegrand in der Nähe von Reddock getroffen. Er war ganz allein, nur mit einer Lederrüstung und einem alten, schartigen Schwert ausgerüstet.”
    “Du hättest ihn töten können.”
    “Ja, sicher. Ich hätte ihn umbringen können. Er hätte ein Pirat, ein Bandit, ein Wegelagerer oder ein Rebell sein können. Aber ich tat es nicht und ich danke Innos dafür. Rhobars Wert für unsere Sache wurde sehr schnell offensichtlich.”
    “Nun gut. Ich glaube dir.”, sagte Isolde. “Aber Adeles Tod ist eine seltsame Angelegenheit. Beowulfs Verschwinden, Ingrimms Tod. Gibt es da einen Zusammenhang?”
    “Ach was! Ingrimm war alt, blind und taub. Er ist einmal zu oft in alten Gemäuern herumspaziert und hat einmal zu oft mit seinen Feuerballspruchrollen experimentiert. Es ist schade um ihn. Aber daran ist nichts Mysteriöses.”
    Isolde hob ihre Hand.
    “Zwei schrecklich zugerichtete Leichen wurden bei Ardea an den Strand gespült.”, sagte sie.
    “Fischer die im Sturm ertrunken sind. Das bedeutet nichts.”
    “Beowulf ist auch verschwunden.”
    “Beowulf ist nach Nordmar zurückgekehrt. Er will auf dem Großen Gletscher die Orks jagen. Er ist nicht tot.”
    Isolde und Dominique verfielen in tiefes Schweigen. Nach einiger Zeit erhob sich Isolde und verließ den Raum. In der Tür blieb sie kurz stehen. Sie drehte sich noch einmal zu dem schweigenden Paladin um.
    “Barthos und du, ihr habt dieses Reich gegründet, einen König gefunden und alle Feinde besiegt. Aber nicht einmal ihr könnt die Vergangenheit ergründen. Zu was für Menschen macht euch das jetzt?”

    Isolde verließ den Raum ohne die Antwort abzuwarten. Ja, fragte sich Dominique, zu was für Menschen macht uns das alles? Bestenfalls zu Narren, da wir einen König gekrönt haben, der eine schmutzige Vergangenheit hat. Schlimmstenfalls macht uns das zu Reichszerstörern, wenn diese Vergangenheit den König einholt und die ganze sorgsam aufgebaute Fassade zum Einsturz bringt.



    * ... wird fortgesetzt
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    KAPITEL 15

    … im Jahr des Feuers, 978 …
    … die Belagerung von Bakaresh …


    Der verwundete Mann schleppte sich müde über die Sanddünen. Die Sonne stand hoch und heiß am wolkenlosen, strahlend blauen Himmel. Weit im Osten braute sich ein fürchterlicher Sandsturm zusammen.
    Der verwundete Mann quälte sich eine weitere Sanddüne empor. Dabei benutzte er sein schartiges Schwert als Krücke. Seine beiden letzten Gefährten waren inzwischen an ihren Wunden gestorben. Geier kreisten bereits über ihren Leichen. In der Ferne konnte der verwundete Mann Wüstenfüchse und ein paar Schakale sehen. Die Tiere würden sich schon bald mit den Geiern um das Menschenfleisch streiten.

    Acht Gestalten in strahlend silbernen Rüstungen näherten sich dem verwundeten Mann, acht unverkennbar innosgesegnete Paladine des Feindes. Die übermenschlichen Krieger hielten sich jedoch zurück, als hätten sie Angst oder sogar Respekt vor dem verwundeten, normalsterblichen Assassinen.

    Ahmed ibn Fadlan blieb keuchend stehen. Er war weit gekommen. Bakaresh lag keine zwanzig Minuten südwestlich von seiner derzeitigen Position. Doch er würde seine Heimatstadt nie erreichen. Sein Weg endete hier.
    Die acht Paladine näherten sich ihm. Sie achteten auf jede seiner Bewegungen, als könne Ahmed irgendeine Wunderwaffe aus seiner zerfetzten Rüstung hervorzaubern und sie alle vernichten.
    Ahmed kicherte. Ein lautes Lachen stieg unaufhaltsam aus seiner Kehle empor und schallte laut über die Wüste. Die Paladine blieben schockiert stehen. Zwei oder drei von ihnen sahen sich unbehaglich um.
    “Was denn? Habt ihr Angst?”, brüllte er ihnen entgegen. “Die Elite eures ach so heiligen Reiches ist vor mir geflohen!”
    Vier Paladine näherten sich ihm jetzt mit großer Vorsicht. Die vier anderen Paladine blieben wo sie waren. Es war als fürchteten sie einen Hinterhalt oder irgendeine Falle. Darüber konnte Ahmed nur lachen. Hier, inmitten der Wüste, gab es keinen Hinterhalt. Wer hätte denn hier eine Falle errichten sollen? Wer hätte je ahnen können dass die Elite des Feindes hierher kam?
    An diesem Ort einen Hinterhalt zu erwarten erschien Ahmed absurd. Und doch schienen die Paladine ihm alles zuzutrauen. Ahmed lachte noch lauter. Er warf sein Schwert weg und richtete sich zu voller Größe auf. Sein schartiges, nutzloses Schwert flog weit über die nächste Düne. Die Paladine zögerten. Wenn es normale Männer gewesen wären, dann wären sie jetzt wohl in blinder Panik geflohen.

    Nach vielen, quälend langen Minuten setzten sich die Paladine wieder in Bewegung. Sie richteten ihre linken Arme auf Ahmed und aktivierten ihre Feuerpfeil-Runen. Die Schulterwerfer fixierten ihn ebenfalls.
    “Wer bist du?”, fragte Dominique.
    “Ich bin Ahmed ibn Fadlan aus Bakaresh, Bootsbauer in achter Generation, Gardehauptmann, Ehemann von Sherezade und Vater von Miriam und Alya. Ich ehre meine Eltern und achte die Gesetze und Traditionen meines Volkes. Ich wollte in Frieden leben, doch du hast es nicht zugelassen.”
    “Das kann nicht wahr sein!”
    “Oh doch, oh großer Paladin. Die besten Männer eures Reiches sind vor mir, einem einfachen Bootsbauer, in die Wüste hinaus geflohen.”
    “Das wird nie jemand erfahren.”
    “So?”, fragte Ahmed höhnisch. “Euer König ist tot. Ihr belügt euer eigenes Volk.”
    “Du hast ihn ermordet, Beliarsklave!”
    “Und du hast den Krieg nach Bakaresh gebracht, Innosdiener.”

    Ahmed stählte sich gegen den unvermeidlichen Tod als die Paladine ihre Runen und Schulterwerfer auslösten und seinen Körper einem wahren Geschosshagel und einem Feuersturm mörderischer Magie zerfetzten.

    # # #

    Einige Meilen weiter nordöstlich hockte eine kleine Gruppe Flüchtlinge bei einem Lagerfeuer beisammen. Es handelte sich um Barthos, Kasimir, Bleyn, Edrin und einige einfache Höflinge und Diener. Sie alle waren vor dem plötzlichen und unbarmherzigen Angriff der Assassinen geflohen.
    Viele waren in der vergangenen Nacht den Tieren und Monstern der Wüste zu Opfer gefallen. Sandcrawler, Löwen und Hyänen hatten ihr blutiges Festmahl gehalten. Weitere Flüchtlinge waren an Hitze, Durst oder an ihren Wunden gestorben, wieder andere an Schlangenbissen oder durch Stürze von den alten Ruinen.

    Söldnergeneral Kasimir und Baron Bleyn waren schwer verletzt. Sie lagen dicht neben dem Lagerfeuer und brabbelten im Fieberwahn. Barthos hatte sie so gut versorgt wie er konnte. Er war es auch gewesen, der die Überlebenden zu diesen Ruinen geführt hatte. Hier gab es zwar kein Wasser, aber immerhin ließen sich diese Ruinen gegen Tiere, Monster und auch gegen die Nomaden verteidigen.
    Dennoch schämte sich Barthos für seine Flucht. Eine unerklärliche Angst war über ihm gekommen als dieser Assassine im Festzelt aufgetaucht war. Obwohl er der mächtigste Magier der bekannten Welt war, hatten ihn sowohl sein Mut als auch seine Fähigkeiten im Stich gelassen. Statt die Angreifer mit seiner Magie zu vernichten war er in blinder Panik hinaus in die Wüste geflohen.
    “Da kommen sie, da kommen sie!”, schrie Edrin und riss Barthos aus seinen Grübeleien.

    Ein ganzes Rudel Löwen kreiste sie ein. Die große Katzen näherten sich vorsichtig den Ruinen. Sie jagten lieber in der Steppe oder in der Nähe von Oasen, wo sie genug Platz hatten. Enge Ruinen waren nichts für sie. Und doch näherten sie sich. Wie schon die Lurker der Küstengebiete litten auch die Löwen unter akutem Futtermangel. Der Krieg, besser gesagt die vielen Soldaten, hatten fast alles essbare Wild erlegt. Für die Raubtiere der Wüste war eine grauenvolle Zeit des Mangels angebrochen.
    “Weg, weg, nichts wie weg!”, schrie eine spärlich bekleidete Konkubine.
    Die junge Frau ließ ihre provisorischen Speer fallen und rannte hinaus in die Wüste. Vier Löwen verfolgten sie in den Sandsturm hinein. Ein gellender Todesschrei folge. Dann hörte man nur noch das Schmatzen der fressenden Löwen.
    “Ich hoffe Innos lässt uns besser sterben.”, sagte Edrin.
    “Wir sterben hier gar nicht!”, herrschte ihn Barthos an. “Zurück auf deinen Posten.”
    Die meisten Männer und Frauen in den Ruinen waren größer als der relativ kleinwüchsige Hochmagier. Doch sie alle erkannten ihn als Führer in der Not an. Barthos war fest entschlossen seine Leute vor den wilden Tieren und Monstern zu retten. Er würde nicht noch einmal davonlaufen.

    Die Löwen kamen mit dem Sandsturm. Der Sturm heulte um die Ruinen, machte die Menschen blind und taub. Das nutzten die intelligenten Tiere aus. Sie stürzten sich auf die nur spärlich bewaffneten Verteidiger und töteten sie einen nach dem anderen. Ein paar Löwen wurden von improvisierten Speeren, von Dolchen und spitzen Steinen durchbohrt. Doch das Rudel ließ nicht locker.
    Die Löwen brauchten dringend Fleisch. Ihre Jungen verhungerten bereits. Für die Tiere der Wüste ging es um Leben oder Tod. Entsprechend wild griffen sie an.

    Ein großes Löwenmännchen mit beeindruckender Mähne griff Barthos an. Der Hochmagier schleuderte ihm eine Salve Feuerpfeile entgegen. Das Fell des Tieres fing Feuer. Lodernd und vor Schmerzen brüllend riss es den Feuermagier um. Die Flammen griffen auf Barhos’ zerrissene Gewänder über, verschmorten seine Haut und setzten sein Haar in Flammen. Der Löwe grub seine Pranken tief in Barthos’ Fleisch.
    Nur ein hastig gemurmelter Heilzauberspruch rettete dem Hochmagier das Leben. Er wälzte den brennenden Kadaver von sich und duckte sich hastig hinter eine zerbröckelnde Mauer. Zwei Löwenweibchen sprangen über eben diese Mauer. Eine Löwin wurde von einem Speer getroffen. Die Waffe durchbohrte ihren Brustkorb. Dennoch stürzte sich das Tier auf den Werfer. Miteinander kämpfend fielen sie in ein tiefes Loch.
    Edrin warf sich mit einem Dolch in jeder Hand auf die zweite Löwin. Der alte Zeremonienmeister kämpfte mit dem Mut der Verzweiflung. Krallen und Zähne rissen seinen Leib auseinander. Edrin schrie nicht. Eine weitere Löwin betrat die Ruinen. Sie stürzte sich unverzüglich laut fauchend auf Barthos. Der riss seinen Speer empor und spießte das Tier auf. Dennoch gelang es der Löwin ihn zu kratzen. Barthos hebelte das sterbende Tier von sich weg.
    Fluchend humpelte er hinüber zu dem alten Zeremonienmeister. Die Löwin war schwer verletzt worden, hatte Edrin aber trotzdem getötet. Barthos hob einen improvisierten Speer auf und stach ihn der Löwin durch den Schädel. Die Bewegungen des Tieres erstarben. Es war tot.

    Zischen und Klacken von links. Barthos duckte sich unwillkürlich und entging so dem entsetzlich entstellten Kadaver, der über die Mauerreste geschleudert wurde. Zu seiner Verwunderung stellte der Hochmagier fest dass es sich um einen zerfetzten Löwen handelte. Mindestens ein Dutzend Sandcrawler waren von dem Kampf angelockt worden. Die riesengroßen Insekten erreichten locker die Größe eines ausgewachsenen Bullen. Sie waren entfernte Verwandte der gefürchteten Minecrawler. Wie diese Bestien besaßen auch die Sandcrawler lange, extrem scharfe Klauenarme, Beißwerkzeuge und spitze, absolut tödliche Reißzangen.
    Die Sandcrawler stürzten sich auf Löwen, Wüstenwölfe und Menschen gleichermaßen. Ihr mächtiger Chitinpanzer schütze sie sowohl vor den improvisierten Waffen der Menschen wie auch vor den Zähnen und Krallen der Tiere. Die zehn bis fünfzehn Sandcrawler schwärmten aus.

    Barthos von Laran sank auf die Knie und begann zu Innos zu beten. Er wusste dass dieser schändliche Tod der Lohn für seine Feigheit, für seine Lügen, für seine Intrigen war. Innos bestrafte ihn. Barthos verstand das, betete dennoch um sein Leben. Die Sandcrawler erreichten den vom Fieber geschwächten Söldnergeneral Kasimir. Der alte Mann wurde regelrecht in Stücke gerissen.
    Doch weiter kamen die Sandcrawler nicht. Ein wahrer Regen aus Pfeilen ging auf sie nieder. Die Chitinpanzer hielten vielen Pfeilen stand, aber einige trafen dann doch die empfindlichen Weichteile der großen Insekten. Immer mehr Pfeile regneten aus dem Sandsturm heraus auf die Sandcrawler nieder. Ein Insekt nach dem anderen brach tödlich getroffen zusammen. Sie sahen jetzt aus wie große, unförmige Nadelkissen.
    Barthos spähte in den tobenden Sandsturm hinaus. Wer oder was war da draußen? Immer mehr Pfeile fanden die verwunden und sterbenden Sandcrawler. Dann traten schwarz gekleidete Männer aus den Sandschwaden hervor. Mit langen Speeren töteten sie die wenigen noch lebenden Sandcrawler.
    Ein großer, schwarz gekleideter Krieger trat neben Barthos. Er war unverkennbar ein Nomade. In seiner rechten Hand hielt er ein langes, leicht gebogenes Schwert. Unwillkürlich musste Barthos an den Wassermagier denken, den Dominique so leichtfertig erschlagen hatte. Wollte der Nomade Vergeltung? Was dies seine Blutrache?
    “Adanos hat uns den Sieg geschenkt.”, brüllte Shakyor gegen den Sturm. “Ihr werden mit uns kommen, Myrtaner. Dieses Land steht am Scheideweg und ihr seid unsere Geiseln. Vorwärts, hier können wir nicht bleiben.”

    # # #

    Der Sandsturm tobte noch weitere elf Stunden mit unverminderter Gewalt. Das Heulen und Tosen des Sturms war so stark, das selbst die innosgesegneten Sinne der Paladine nichts mehr erkennen konnten.
    Die acht Paladine kauerten sich dich an die bröckelnden Ruinen. Es gab nicht viel was einen Paladin schreckte, doch die Naturgewalten flössten auch ihnen Respekt ein. Also blieb ihnen nichts anderes übrig als geduldig abzuwarten. Die uralten Ruinen des Alten Volkes waren ein ganz guter Lagerplatz.
    Zwanzig Wüstenwölfe hatten ihnen diesen Platz streitig machen wollen. Die halbverhungerten Tiere waren innerhalb von Sekunden gestorben, als die Paladine über sie gekommen waren. Jetzt nährte ihr dürres Fleisch die Innosstreiter und ihr Fell schütze sie vor dem Sandsturm.
    Keinem der Paladine war nach Reden zumute. Sie alle fühlten sich in ihrer Ehre verletzt, da sie diesen Ahmed ibn Fadlan ermordet hatten. Sicher, er war ein schrecklicher Feind gewesen, aber gerade deswegen hätten sie ihm einen ehrenvollen Zweikampf zugestehen müssen.
    Besonders an Roland und Inubis nagten die Zweifel. War dieser Krieg gerecht? Waren tatsächlich Bootsbauer und junge Väter die Feinde Innos’? Dominique hatte ihnen gesagt dass dies ein Heiliger Krieg wäre. Auf der Fischerinsel, beim Kampf gegen den Dämon, hatte Roland dies auch geglaubt. Aber ansonsten schien es nur ein sinnloses Gemetzel zu sein. Das konnte Innos doch nicht ernsthaft wollen?

    Nachdem der Sturm nachgelassen hatte, marschierten die Paladine los. Trotz ihrer innosgesegneten Sinne konnten sie keine Spur der Vermissten und auch keine Spur der hier lebenden Nomaden entdecken. Allerdings schien Dominique zu wissen wohin er gehen musste. Er war südlich von Trelis geboren worden und kannte diese Gegend noch aus seiner Kindheit.
    Nach sechs Stunden Fußmarsch erreichten sie ein kleines Gebirge am Nordrand der Wüste. Hier gab es unzählige Höhlen, kleine Oasen und alte Ruinen. Die Nomaden lebten hier. Sehen konnte man sie freilich nicht. Die Wüstensöhne waren Meister der Tarnung und Täuschung. Nicht einmal ein Paladin hätte ihr Hauptlager gefunden. Doch Dominique blieb unvermittelt vor einem unscheinbaren Höhleneingang stehen.

    Sie warteten mehrere Stunden schweigend vor dem Höhleneingang. Dann trat Shakyor aus der Dunkelheit ins Licht. Der Nomadenanführer war schwer gerüstet und bewaffnet. Hinter ihm sah man das Glitzern von Waffen. In der Höhlen befanden sich einige Dutzend Nomadenkrieger. Ein falsches Wort, eine falsche Bewegung und es stand ihnen allen ein schwerer Kampf bevor.
    “Was willst du, Dominique, Sohn des Titus?”, fragte Shakyor schließlich.
    “Ich will die Geiseln. Gib sie mir.”
    “Du hast meinen jüngsten Sohn getötet und du hast einen weisen Mann getötet. Ich bin dir zu nichts verpflichtet. Dies ist unser Land, Titus-Sohn. Geh weg.”
    Dominique schüttelte den Kopf.
    “Nein, dies ist jetzt Innos’ Land.”
    Ein Wassermagier, zu erkennen an der dunkelblauen Robe, trat zu Shakyor hinaus. Er murmelte dem Nomaden etwas zu. Roland versuchte mitzuhören, doch der Wassermagier sprach zu leise. Er schien genau zu wissen wie gut ein Paladin hören konnte. Shakyor hörte dem alten Mann offensichtlich nur sehr widerwillig zu.
    “Der weise Mann sagt das es einen Zweikampf gegen wird.”, verkündete Shakyor. “Unser Champion wird gegen euren Champion antreten. Ihr werdet in der Grube kämpfen. Dem Sieger wird alles gehören. Der Verlierer wird tot sein oder es sich wünschen. So spricht Shakyor, der Herr der nördlichen Nomadenclans.”

    Die acht Paladine wurden in das Höhlensystem geführt. Dutzende Nebengänge zweigten vom Hauptschacht ab. Pilze aller Art wuchsen an den Wänden des Schachts. Dicke Wurzeln zogen sich über Boden und Decke, alte Stützpfeiler aus morschem Holz ragten aus den Wänden des Hauptschachtes hervor.
    Dieses Höhlensystem war vor sehr langer Zeit eine ertragreiche Mine gewesen. Wahrscheinlich hatte das Alte Volk hier Gold und andere Rohstoffe abgebaut. Aber das war lange her. Heute diente die uralte Mine den Nomaden als komfortabler Unterschlupf. Roland versuchte die Nomaden zu zählen. Nach seiner Schätzung befanden sich mindestens einhundert Menschen hier unten. Darunter waren auch Frauen und Kinder. Die Krieger waren allesamt schwer bewaffnet.

    Die Grube war eher eine flache Sandkuhle am Ende des Hauptschachtes von mindestens dreißig Metern Durchmesser. Sitzreihen aus Sandstein umfassten die Arena. Die Arena diente nicht nur als Kampfplatz sondern auch als Versammlungsort der Nomadenclans. Hier trafen sich die Wassermagier mit den Clanführern um die wichtigsten Streitfragen zu regeln, um Pläne zu schmieden und um endlose Palaver abzuhalten.
    “Dies ist unser Champion.”, sagte der alte Wassermagier und zeigte auf den Champion. “Er ist der älteste Sohn Shakyors. Er blieb in allen seinen Kämpfen unbesiegt. Das Volk der Nomaden wird den Sieger dieses Zweikampfes mit vierhundertfünfzig Kriegern unterstützen. So spricht Vatras, der Heilige Mann aller Nomaden.”
    Dominique trat in die Arena.
    “Fangen wir also an.”, sagte er.
    “So einfach ist das nicht, Innosstreiter. Dies hier wird ein fairer Zweikampf. Du musst auf deinen Schulterwerfer verzichten, auf deine Runen und auf dein Zweihandschwert.”, meinte Shakyor.
    “Gut… gut.”
    Dominique übergab Innos Zorn an Ivan und nahm dafür dessen gesegnetes Paladinschwert. Er deaktivierte seine Runen und auch den Schulterwerfer.
    “Jetzt zufrieden?”, fragte er gelangweilt.
    “Der Zweikampf möge beginnen!”, rief der Vatras so laut er konnte.

    Roland gesellte sich zu Walter und den anderen Paladinen. Es war seltsam den eigenen Vater beim Kampf zu beobachten, seine Gedanken und Gefühle wahrzunehmen und ihm geistigen Beistand zu gewähren.
    Er spürte auch die Gedanken und Gefühle der anderen Paladine. Da war zuerst die unerschütterliche Treue von Lothar, dann Walters Gelassenheit, Ivans Fanatismus, Inubis Zweifel, Marcos’ Hass, Demetrios’ Sorge; Bhaals Blutdurst, Archols Mordlust, Khraals Missbilligung. Sie alle gaben Dominique Kraft für den kommenden Kampf. Auch Roland selbst spendete einen Teil seiner geistigen Kraft um seinem Vater in Gedanken beizustehen.

    Die versammelte Menge johlte als die beiden Kämpfer die ersten Schläge austauschten. Zuerst umkreisten sie sich, versuchten herauszufinden wo die Schwachstellen ihres Kontrahenten lagen.
    “Du hast meinen kleinen Bruder ermordet!”, knurrte der Champion. “Du hast einen weisen Mann ermordet, du hast meinem Vater Kummer, meiner Mutter Trauer und meinem Stamm Schande gemacht. Dafür werde sich dich töten!”
    Unvermittelt griff der Nomade mit wirbelnden Klingen an. Er ließ einen wahren Hagel aus Schlägen auf Dominique niederprasseln. Die meisten Schläge trafen klirrend die Rüstung des Paladins. Ohrenbetäubender Jubel erscholl. Die Nomaden feuerten den Champion lautstark an.
    “Adanos siegt, Adanos siegt, Adanos siegt!”, riefen sie im Chor.
    Roland erkannte dass der Nomade eine ernsthafte Herausforderung für seinen Vater war. Der Champion führte seine beiden Klingen mit großem Geschick. Einen normalen Mann hätte er bereits schwer verwundet oder gar getötet.
    Doch Dominique war kein normaler Mann. Er wehrte die meisten Hiebe mit seinem Schwert ab oder lenkte sie geschickt gegen die schwere Rüstung. Funken stoben bei jedem Treffer auf.
    Dann begann Dominique vorzurücken. Er ließ seine eigene Klinge tanzen. Hiebe und Gegenhiebe wurden mit unglaublicher Geschwindigkeit ausgetauscht. Für etliche Minuten befand sich der Kampf im Gleichgewicht. Keiner der beiden Kämpfer konnte einen Vorteil erringen. Es war als beobachte man zwei legendäre Kriegerkönige aus den Mythen und Märchen des Alten Volkes.
    Doch dann wirkte sich die größere Kraft und Ausdauer des Paladins kampfentscheidend aus. Der Champion wurde zurückgedrängt. Immer öfter fand Dominique eine Schwachstelle in der Abwehr seines Gegners. Das gesegnete Paladinschwert kreiste und traf mit großer Gewalt den Helm des Assassinen. Der Helm drehte sich und versperrte dem Nomaden die Sicht. Dominique hielt inne.
    “Nimm ihn ab, wenn er dich stört.”, sagte er zu dem erschöpften Krieger.
    Der Champion ließ seine beiden Schwerter fallen und riss sich den Helm vom Kopf.
    “Du bist ein bemerkenswerter Kämpfer, Dominique.”, stieß er keuchend hervor. “Ich werde die Schande meines Stammes nicht in deinem Blut ertränken können. Ich werde meinen kleinen Bruder nicht rächen können. Aber ich kenne einen Krieger, der sogar dich bezwingen kann.”
    Dominique nahm seinen eigenen Helm ab, betrachtete ihn kurz und warf ihn dann achtlos nach hinten.
    “Wieso bist du dann noch hier?”
    “Ich habe ihn weit im Norden getroffen. Mit mir hat er geübt, dich wird er umbringen.”
    “Dann nenn mir doch den Namen dieses Giganten.”, forderte ihn Dominique auf.
    “Beowulf!”
    Dominiques Mine verfinsterte sich.
    “Ich wünschte ich könne es mit ansehen, wenn er dich zwingt das Gras zu seinen Füßen zu küssen.”, sagte der Champion leise.
    “Aber das kannst du nicht.”, brachte Dominique verbissen hervor.

    Der Nomade riss seine beiden Schwerter zum Todesstoß gegen Dominiques verwundbares Gesicht empor. Er bewegte sich so schnell er konnte, schneller als jemals zuvor in seinem Leben, schneller als sich jemals ein normalsterblicher Mensch bewegt hatte. Doch es war nicht schnell genug.

    Das Paladinschwert sauste wie ein Blitz herab…



    * ... wird fortgesetzt
    Geändert von Alexander-JJ (27.06.2008 um 12:50 Uhr) Grund: kleinere Verbesserungen

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    KAPITEL 16

    … 14 Jahre zuvor …
    … im Jahr des Feuers, 964 …
    … Vengard …

    Ein Blitz sauste herab. Der Donner rollte schwer und Unheil verkündend über die Stadt hinweg. Die Erde begann zu beben, als wolle sie die neue Hauptstadt des myrtanischen Imperiums verschlingen.
    Im Palast des Königs stürzten Schränke um, klirrten die feinen Kristallgläser und schwankten die heiligen Banner. Fackeln erloschen. Die Dunkelheit erfasste den Palast, füllte ihn völlig aus. König Rhobar der Erste, der Heilige, der Avatar Innos’, stürzte schwer auf die Knie. Die Leibwache blickte ihn erschrocken an.
    “Es ist nichts!”, sagte er zu ihnen. “Zündet diese Fackeln wieder an. Ich bin nur gestolpert.”
    Die Leibwachen beeilten sich seinen Befehl auszuführen. Licht erhellte den Gang. König Rhobar betrat die kleine Bibliothek und schloss die Tür hinter sich. Ein alter Veteran lauschte an der Tür.
    “Das passiert alles gar nicht!”, hörte er Rhobar rufen. “Nein, nein, das passiert gar nicht!”
    “Was gibt es da zu lauschen, Soldat?”, donnerte die harte Stimme Dominiques.
    Der Veteran nahm unverzüglich Haltung an und salutierte vor dem Paladin.
    “Nichts, Lord.”
    “Nichts?”
    Lord Paladin Dominique trat neben den Veteranen und lauschte ebenfalls an der Tür. Die anderen Männer im Gang traten ebenfalls näher heran. Sie alle wollten hören was Rhobar in der Bibliothek tat.
    “Das ist kaum möglich….”, hörten sie Rhobar sagen.
    “Warum?”, fragte eine andere, seltsam tiefe und verzerrte Stimme.
    “Adele?”, fragte Rhobar erschüttert.
    “Ich bin es!”, antwortete die Stimme.
    Dominique runzelte seine Stirn. Adele sollte eigentlich tot sein. Adele war tot. Er hatte doch ihren Leichnam gesehen! Adele musste einfach tot sein!
    “Du bist tot, du verdammter Geist!”, brüllte Rhobar.
    Dominique trat die Tür mit drei wuchtigen Tritten ein. Seine gepanzerten Fäuste beendeten das Zerstörungswerk. Er betrat die kleine Bibliothek und hielt nach Rhobar Ausschau. Sein König lag auf einer verhüllten Gestalt und stach mit einem langen Dolch wie von Sinnen immer und immer wieder auf diese Gestalt ein.
    “NEINNNNNNNNN!”, brüllte Rhobar, dem Wahnsinn nahe.
    Eine stählerne Faust schloss sich um seinen Waffenarm. Rhobar wehrte sich gegen den unbarmherzigen Griff, kämpfte gegen die gerüstete Gestalt an. Der fremde Krieger entwand ihm den Dolch. Rhobar schlug und kratzte und spuckte. Ein heftiger Fausthieb schickte ihn zu Boden. Benommen schüttelte er seinen Kopf.
    “Jetzt ist es aber mal wieder gut!”, sagte Dominique.
    Der riesige Paladin ragte wie ein Titan über ihm auf.
    “Was ist denn in dich gefahren?”, fragte er verständnislos.
    Mit zittrigen Fingern zeigte er zu dem reglosen Bündel hinüber.
    “Adele… Adele… Adele!”
    “Wie?”
    “Da ist sie! Adele kam aus dem Grab zurück! Zurück um mich zu quälen!”
    Dominique runzelte seine Stirn. Langsam ging er zu dem Bündel hinüber. Ein paar Mal stocherte er mit seinem Schwert darin herum. Dabei schüttelte er mit seinem Kopf. Anschließend durchsuchte er den kleinen Raum. Nach gut zehn Minuten kehrte er zu Rhobar zurück.
    “Hier ist niemand.”, sagte er lapidar.
    “Aber … .”
    Rhobar erhob sich unsicher. Das Bündel auf dem Boden war nichts weiter als alte Kleider über einem Kleiderständer. Eine lederner Trinkbeutel war mit dutzenden Einstichen übersät. Rhobar besah sich seinen Dolch. Es war kein Blut daran, nur abgestandenes Wasser. Er hatte einen alten Trinkbeutel umgebracht.
    “Das Buch! Die Chronik von Myrtana!”, rief er schrill aus.
    Dominique hielt das alte, zerfledderte Buch in die Höhe.
    “Meinst du das hier? Das ist die Chronik von Montera, nicht die Chronik von Myrtana. Eine schlechte, fehlerhafte und sehr alte Kopie einer noch älteren Kopie. Die Schreiberlinge nutzen diese fehlerhaften Kopien als Unterlage oder als Notizzettel. Diese Buch ist nichts wert.”
    Dominique zeigte Rhobar das Buch. Tatsächlich stand darauf; ‘Crhonic von Mynterra’ . Der ursprüngliche Autor hatte nicht einmal diese Wörter richtig geschrieben.
    “Was ist los mit dir?” , fragte Dominique mit Sorge in der Stimme.
    “Nichts… nichts… alles in Ordnung. Es war… es war…es war alles so real… so real… aber sonst ist alles in Ordnung.”

    # # #

    Die Heiler und Berater des Königs brachten Rhobar zu seinem Quartier. Sie kümmerten sich liebevoll um ihn. Nach der Einnahme seiner Medizin schlief der König ruhig und fest ein. Ukara und Albrec jedoch wussten das etwas geschehen war. Sie erkundigten sich bei Dominique nach dem Befinden des Königs.
    Dominique erzählte seinen beiden Schlachtbrüdern eine glatte Lüge. Sie kam ihm leicht über die Lippen. Ukara und Albrec glaubten ihm jedes Wort. Dann bezogen die beiden Paladine ihre Wachposten vor der Tür des königlichen Gemaches.

    Dominique zog sich in sein eigenes Quartier zurück. In dem großen, alten, mit rotem Stoff bespannten Sessel saß Khraal. Der gefallene Paladin blickte in die Flammen. Seine Augen glühten seltsam rot, fast so wie die der Beliardiener, die Dominique vor so langer Zeit erschlagen hatte.
    “Ist es soweit? Ist der König übergeschnappt?”, fragte Khraal unverblümt.
    “Was geht dich das an, Dämon?”, konterte Dominique.
    “Gellon und Lukkor rüsten zum Krieg gegen Myrtana. Einige Orkbanden haben sich ihnen angeschlossen. Im Norden sammeln sich Banditen, Nordleute und weitere Orks. An der Küste sind erneut Piraten aufgetaucht. Die Steuern werden jedes Jahr erhöht, während die Ernteerträge jedes Jahr sinken. Es gibt mehr wilde Tiere, dafür weniger Nutzvieh. Die Straßen befinden sich in einem erbärmlichen Zustand und die Städte sind hoffnungslos überbevölkert.”
    “Und wenn wir alle Beliar anbeten, wird alles wie von Zauberhand besser.”, höhnte Dominique.
    “Es würde nicht von heute auf morgen besser werden. Aber es wäre eine Perspektive für die Zukunft. Varant war auch arm. Heute blüht das Land dank der Herrschaft der Assassinen. Natürlich muss viel getan werden. Ohne harte Arbeit, ohne schmerzhafte Einschnitte und Veränderungen, wird nichts besser werden.”
    Dominique wusste dass es Khraal ernst meinte. Es war ein ehrliches Angebot von einem Bruder zum anderen Bruder. Denn trotz aller Unterschiede waren sie beide Schlachtbrüder und würden das bis zum Ende aller Tage bleiben. Es gab ein unsichtbares, magisches Band zwischen ihnen das keine Macht der Welt durchtrennen konnte.
    “Zögere nicht zu lange, Bruder.”, sagte Khraal zum Abschied.
    Der gefallene Paladin aktivierte seine Teleportrune und verschwand. Zurück blieben nur winzige, blau leuchtende Funken. Dominique würde natürlich nicht zu Beliar überlaufen. Nicht nach all dem, was er für Innos getan hatte. Er würde den Kampf aufnehmen, ganz gleich wie schwer er auch werden würde.
    Denn Dominique hatte zuviel geopfert um jetzt noch von seinem Weg abzuweichen. Er hatte viel zu viel, und vor allem viel zu Viele geopfert.

    # # #

    Es war Mitternacht. Dominique lag auf seinem Bett und starrte in die Dunkelheit. Seine übermenschlich leistungsfähigen Sinnesorgane nahmen auch noch die leisesten Geräusche war, die schwächsten Gerüche und die flüchtigsten Gedanken. Doch all das blendete er aus, denn er dachte an Adele.
    Paladine träumten nicht. Das hatte den nicht unwesentlichen Vorteil im Traum nicht die Gesichter der Toten sehen zu müssen. Khraal hatte das immer bedauert, Ukara hielt es für einen Segen und der alte Lothar nahm es mit stoischer Ruhe hin. Dominique hatte sich darüber keine Gedanken gemacht bis zu dem Tag, an dem Adele starb.

    Es war ein heller Sommertag gewesen. Adele hatte sich von ihrer Schwangerschaft gut erholt. Sie war wieder schlank wie eh und je. Eine kleine, zierliche, wunderschöne Frau mit goldenen Haaren. Sie war kerngesund. Ein Engel. Das Volk liebte sie wahrscheinlich mehr als Innos, ihren Gott.
    Adele war sehr intelligent. Ihr Wissen war derart umfangreich, das sie im Scherz manchmal auch wandelnde Bibliothek genannt wurde. Und doch hatte sie einen furchtbaren Fehler begangen.
    Sie hatte Dominique ihr Geheimnis anvertraut. Das war im Jahr des Feuers 957 gewesen, doch der Paladin erinnerte sich noch sehr gut an den Dialog.

    “Ich muss mit euch sprechen, Lord Paladin.”, hatte sie gesagt.
    Gemeinsam waren sie in den großen Innostempel von Montera gegangen. Adele hatte angespannt gewirkt, beinahe hasserfüllt. Es war ein seltsamer Kontrast zu ihrem sonst so ruhigen, friedliebenden Wesen gewesen.
    “Wir müssen sofort den Adelsrat einberufen. Der König muss abgesetzt werden. Ich habe Beweise für seine Schandtaten. Ich weiß was am Pass nach Nordmar geschehen ist, ich weiß was er Grim, Beowulf, Ragnar und der ersten Isolde, seiner damaligen Frau, angetan hat.”
    Dominique war so überrascht gewesen, das er nicht antworten konnte. Adele hatte dies fälschlicherweise als heimliche Zustimmung für ihren Absetzungsplan aufgefasst. Sie redete weiter.
    “Grim kam vor gut zwei Jahren zu mir. Er hatte den Hinterhalt am Pass bei Faring überlebt. Rhobar wusste das nicht. Zuerst glaubte ich ihm kein Wort. Doch er hatte Zeugen, er hatte Dokumente, er wusste sehr gut über Rhobar bescheid. Ich pflegte Grim. Seine schweren, nie richtig verheilten Wunden schlossen sich.”
    Adele sah traurig zu Boden.
    “Wir verliebten uns ineinander. Ich wurde von ihm schwanger, Hagen ist sein Kind. Nach und nach sammelten wir weitere Beweise. Wir zogen Ingrimm, Zanaca und Hildico ins Vertrauen. Ingrimm fand zwei alte Waldläufer, die damals bei Faring alles aus einem sicheren Versteck mit angesehen hatten. Wir waren bereit vor den Adelsrat zu treten und unsere Beweise vorzulegen.”
    Adele holte tief Luft, so als müsste sie sich überwinden weiterzusprechen.
    “Rhobar entdeckte Grim. Es war ein dummer Zufall. Er griff ihn von hinten an und erdolchte ihn. Ich habe alles mit angesehen, konnte aufgrund meiner fortgeschrittenen Schwangerschaft aber nicht eingreifen. Grim hatte keine Chance. Rhobar hat ihn hinterrücks ermordet!”
    “Was willst du jetzt tun?”, krächzte Dominique.
    “Rhobar ist ein Mörder, ein Betrüger, ein hinterhältiger, gemeiner Tyrann. Er muss abgesetzt werden!”
    “Wo befinden sich Ingrimm, Hildico, Zanaca und die beiden alten Waldläufer jetzt?”, fragte er.
    “In einem alten Turm, nicht weit von Montera entfernt. Sie waren dort bis die Adelsversammlung beginnt. Rhobar soll keine Möglichkeit erhalten sie auch noch umzubringen.”

    Dominique nickte. Der Mord an sich war nicht weiter schwer. Dominique war ein innosgesegneter Paladin und Adele eine zierliche Frau. Er legte einfach seine gepanzerten Hände um ihren Hals und drückte zu. Adele war auch nicht die erste Frau, die er tötete. Doch bei allen anderen Frauen und Kindern handeltet es sich um bedauernswerte Opfer, die während einer Schlacht am falschen Ort gewesen waren.
    Adele war die erste Frau, die er absichtlich umbrachte. Als alles vorbei war ließ er ihren Leichnam zu Boden gleiten und schloss ihr sanft die vor Schreck und Überraschung weit aufgerissenen Augen.
    Nun war sie also tot. Getötet von einem Paladin in einem Tempel Innos’. Dominique betrachtete seine gepanzerten Hände. An den Panzerhandschuhen war kein Tropfen Blut. Sie funkelten und glitzerten im Kerzenlicht.
    Dominique trug den Leichnam durch die Kanalisation zu ihrem Labor. Er verstand genug von Alchemie um ein paar tödliche Tränke zu brauen. Diese Tränke verabreichte er der Toten. Dann kippte er wahllos Tinkturen und Tränke über den Labortisch, warf Laborwasserflaschen und Apparaturen um. Alles sollte nach einem tragischen Unfall bei einem alchemistischen Experiment aussehen.
    Natürlich würde diese Geschichte keiner genauen Überprüfung standhalten. Da aber Dominique selbst diese Unterschuchung durchführen würde, gab es hinsichtlich des zu erwartenden Ergebnisses keine Zweifel. Nur der Druide Runak und die Schwester der Toten, die Königin Isolde, würden wahrscheinlich ein paar Fragen stellen. Aber damit würde der intrigenerfahrene Dominique fertig werden. Wichtig war nur das alles auf einen Unfall und nichts auf einen Mord hindeutete. Dominique blieb bis nach Mitternacht in der Wohnung der Toten um alle Spuren, die eventuell auf ihn als Täter hindeuten könnten, sorgfältig zu beseitigen. Dann schlich er sich durch die Kanalisation zurück in den Innostempel um auch dort alle Spuren zu verwischen.

    Keine Stunde später brannte der alte Wachturm außerhalb Monteras lichterloh. Dominique hatte seine Rune Feuerball benutzt um den Turm in Brand zu stecken. Ingrimm, Hildico, Zanaca und die beiden alten Waldläufer hatten keine Chance. Sie starben in den Flammen und mit ihnen starb auch die Wahrheit über Rhobars Taten.

    Dominique war in jener Nacht lange vor dem brennenden Turm stehen geblieben. Rhobar hatte ein dunkles Geheimnis, das zur Zerstörung des Reiches führen konnte. Avarare Innos’ waren keine Mörder und Könige keine Feiglinge.
    Dominique wusste nicht was damals bei Faring geschehen war. Er wollte es auch gar nicht wissen. Zum Ruhm und zur Sicherheit des innosgewollten Reiches war es jedoch notwendig das alle Personen starben, die dieses dunkle Geheimnis kannten. Jetzt waren auch alle tot.
    Außer Rhobar selbst kannte nur noch Beowulf die Wahrheit. Beowulf war jedoch verschollen, hatte wahrscheinlich auf dem Großen Gletscher weit im Norden einen eisigen Tod gefunden. Dominique blickte zu den funkelnden Sternen hinauf.

    Über Montera ballten sich dunkle, Unheil verkündende Wolkenmassen zusammen.



    * ... wird fortgesetzt
    Geändert von Alexander-JJ (27.06.2008 um 12:51 Uhr) Grund: kleinere Verbesserungen

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    KAPITEL 17

    … im Jahr des Feuers, 978 …
    … die Belagerung von Bakaresh …


    Finstere Wolken jagten über den Himmel. Es war so dunkel wie in der Nacht, obwohl Mittag war. Gischt wogte, als der Schiffsbug durch die nächste, riesige Welle pflügte. Die Drachenhaut des Decks hallte wie eine gewaltige Trommel unter der Wucht des Aufpralls. Über das ohrenbetäubende Gekreisch des Windes konnte man das Ächzen der Schiffsknochen hören. Es war ein beständiger Wettlauf zwischen dem Bemühen der Wellen, das Drachenschiff zu verschlingen, und dem Bestreben der Drachenhaut, sich unter dem Wasserdruck vom Skelett des Schiffes zu schälen und das Schiff somit kentern zu lassen.

    Die Besatzung des Drachenschiffes bestand aus Nordmännern vom Hammerclan. Sie waren Seefahrer, obwohl oder gerade weil sich die Küsten Nordmars nicht für die Seefahrt eigneten. Es gab in Nordmar keinen natürlichen Hafen und kaum jemanden, der freiwillig zur See fuhr. Die wenigen Seefahrer des Hammerclans waren deshalb Helden, oder auch Narren, je nachdem, wen man fragte.
    Derzeit fühlten sie sich selbst eher wie Narren. Ihre Kleidung war durchnässt und ihre Kräfte ließen langsam nach. Der Sturm tobte nun schon seit Stunden. Wie lange genau konnte keiner von ihnen sagen, da sie jedes Zeitgefühl verlassen hatte. Sie alle waren mutige, erfahrene Seefahrer. Nur deshalb war das Drachenschiff noch nicht gesunken. Aber sie alle wussten auch dass sie sterben würden, wenn der Sturm noch lange anhielt.

    Ein Blick über das regengepeitschte Deck zeigte Ragnar das die durchnässten Krieger und Seefahrer von Schrecken und Furcht gezeichnet waren. Sie hatten keine Angst vor dem Tod. Ihnen erschien es nur unerträglich ertrinken zu müssen. Das war ein ehrloser Tod, ein Tod für Feiglinge und Narren. Die Männer verfluchten ihr Schicksal und sie verfluchten den Mann, der dafür verantwortlich war.

    Unerschütterlich wie ein Fels in der Brandung stand Beowulf, der größte Krieger des Nordens, am Bug des Schiffes. Seine Kraft schien nicht nachzulassen, seine Ausdauer nicht zu versiegen. Unbeirrbar stand er dort am Bug und trotzte den Naturgewalten.

    Das Drachenschiff fiel auf der anderen Seite der Woge hinab, während der Wind so laut heulte wie alle Wölfe Nordmars zusammengenommen. Der Drachenzahn am Bug des Schiffes schnitt wie ein Speer durch das Wasser. Die Segel über ihnen hielten den Gewalten gerade so stand.

    Dann fiel ein riesiger Schatten auf das Drachenschiff. Ein leibhaftiger Drache stieß aus den dunklen Wolken auf sie hinab. Sein gewaltiger Körper bäumte sich gegen den Sturm auf und mit reiner Willenskraft trotzte das Tier der Natur. Blitze zuckten aus den Wolken hinab. Die Schwingen den Drachen fegten zwei Männer vom Deck des Schiffes. Sein Feueratem loderte heiß auf und verbrannte einen dritten Mann zu Asche.
    Der Sumpfdrache stürzte sich kopfüber ins Meer. Für einen Augenblick sah es so aus als hätte er Selbstmord begangen. Ragnar wusste jedoch was kommen musste. Der Drache tauchte neben den beiden über Bord gegangenen Männern aus den Fluten wieder auf. Keine Minute später waren die beiden Krieger zerfetzt und tot.

    Ragnar und die anderen Krieger wappneten sich gegen den letzten Angriff des Sumpfdrachens. Das Tier pflügte durch das sturmgepeitschte Meer wie eine legendäre Seeschlange. Speere und Wurfdolche bohrten sich in seine lederartige, schuppenbewehrte Haut. Doch der Drache schenkte den Verletzungen nur so wie Aufmerksamkeit wie ein Mensch einem Mückenstich.
    Ragnar wusste das dies das Ende sein musste. Der Drache würde sie alle töten. Und selbst wenn jemand irgendwie überleben sollte, würde der Sturm das Werk vollenden. Sie alle waren so gut wie tot. Genau deshalb hielten viele Leute die wenigen Seefahrer des Nordens für Narren und kranke Irre. In diesem Moment, als der Drache sich über dem Schiff aufbäumte, war Ragnar geneigt ihnen Recht zu geben.

    Beowulf dagegen wusste was zu tun war. Drachen waren fürchterliche Gegner solange man nicht wusste wie man mit ihnen umgehen musste. Ruhig und gefasst schleuderte er seinen Speer in gerader Linie geradewegs in das linke Auge des Sumpfdrachens. Der Speer bohrte sich bis zum Schaft in das Auge. Der Drache heulte vor Schmerzen und riss mit seinen scharfen Zähnen ein weiteres Besatzungsmitglied in Stücke.
    Beowulf ergriff seine Axt Trollspalter und stürzte sich auf das Ungetüm. Ein Drache war ein wahrlich schrecklicher Gegner. Aber im Nahkampf waren diese Wesen ungelenk und verwundbar. Sie waren schlicht und einfach zu groß um geschickte Nahkämpfer zu sein. Mit seinem Speerwurf hatte Beowulf erreicht das der Drache wütend genug war um sich ihm wider besseren Wissen im Nahkampf zu messen.
    Der Drache versuchte ihn zu packen, war jedoch viel zu langsam. Beowulf rammte dem Monster seine Axt in die Rippen. Knochen barsten unter dem furchtbaren Hieb. Der Drache ruderte hilflos mit seinen Schwingen. Beowulf schlug ein zweites Mal zu. Diesmal hatte er alle Zeit der Welt um auf das Herz des Drachen zu zielen. Der Hieb saß perfekt im Ziel. Stumm und steif wie eine steinerne Statue kippte der tote Sumpfdrache vom Bug des Schiffes in das tosende Meer.

    # # #

    Der Sturm ließ bald nach dem Tode des Drachen nach. Offensichtlich hatte das Tier diesen Sturm mit seiner unheiligen Magie heraufbeschworen um der Nordstern und ihrer Besatzung einen unrühmlichen Tod zu bringen.
    Die Männer begrüßten das Ende des Sturmes und verfluchten die kommende Flaute. Das Meer war bald spiegelglatt. Die schwarzen Wolken verzogen sich langsam und gaben der Sonne genug Raum um ihre Strahlen zur Erde zu schicken. Missmutig begannen die Männer zu rudern. Einige von ihnen wünschten sich einen zweiten Drachen oder irgendein anderes Monster herbei, um kämpfen zu können. Natürlich meinten sie das nicht ernst. Die Nordmänner waren in Wahrheit froh den Sturm und den Drachenangriff lebend überstanden zu haben.

    Beowulf stand diesmal am Heck des Schiffes. Ganz weit hinter ihnen konnte man im Dunst des Nebels gerade noch so den Asaheimgletscher erkennen. Dort wohnten die dunklen, die alten und eisigen Götter der Nordmänner. Vor Innos, vor der Verbreitung seiner Heiligen Lehre, war Asaheim der Wohnsitz der Götter gewesen. Jetzt war der Gletscher nur noch ein Ort voller Eisdämonen und Orks.
    Die Orks nannten den Gletscher “Eisiger Tod” oder auch schlicht und einfach “Großer Gletscher” oder noch einfacher “Der Gletscher”. Für die zwei Meter großen, gorillahaften Wesen war Asaheim eine Mischung aus Jagdrevier und Friedhof. Früher hatten die Nordleute die Orks für die Sklaven der alten Götter gehalten.
    Wie waren noch gleich die Namen der alten Götter gewesen, fragte sich Beowulf. Seine Urgroßmutter hatte manchmal von ihnen erzählt. Von den heidnischen Sitten und Bräuchen ihrer eigenen Urgroßeltern. Wie lange mochte das jetzt her sein? Zweihundert Jahre bestimmt.

    Donnergott Thyr und seine Geliebte, die Eiskönigin Seyta, so waren ihre Namen gewesen. Sie hatten im ewigen Wettstreit mit den Famyr, dem Waldgott, und Demyr, dem Regengott, gestanden. Seyta hatte den Regen in Schnee verwandelt, Thyr die Wälder in Eisgletscher. Heute waren diese Namen vergessen.
    Kaum ein Mensch erinnerte sich noch an sie. Die alten Heiligtümer waren im Strom der Zeit untergegangen, dem Vergessen und der Vernichtung anheim gefallen. Beowulf bedauerte das aufrichtig. Innos mochte ein lebendiges Wesen sein, wenn man einen Gott überhaupt mit einem irdischen Wesen vergleichen konnte, doch auch die alten Götter hatten ihren Nutzen gehabt.
    Rhobar der Heilige hatte mit seinen Siegen, mit seinem neuen Imperium, mit seiner Kirche und seinen Getreuen dafür gesorgt dass der alte, heidnische Glaube endgültig ausgerottet wurde.
    Dies war ein Grund, warum Beowulf nach Süden segelte. Es war aber nicht der einzige Grund.

    # # #

    Am nächsten Tag errichte das Drachenschiff Nordstern die kleine Bucht bei Faring. Weiter nach Süden würde Ragnar nicht segeln. Der Hafen von Vengard wurde ständig von drei schwer bewaffneten Karavellen bewacht. In letzter Zeit neigten die Myrtaner dazu auf alles zu schießen, was nicht eindeutig friedlich aussah. Ein Drachenschiff würden sie wahrscheinlich ohne Vorwarnung versenken.

    “Du hast uns das Leben gerettet, Beowulf. Es war uns eine Ehre an deiner Seite zu segeln und zu kämpfen. Was auch immer du im Süden vorhast, wir alle wünschen dir viel Glück.”
    Ragnar und Beowulf umarmten sich nach diesen Worten wie Brüder.
    “Du bist ein wahrer Nordmann.” , sagte Beowulf zu Ragnar. “Dein Vater wäre stolz auf dich gewesen.”
    Ragnar stieß das Drachenschiff mit einer langen Lanze vom Ufer weg.
    “Ich weiß, Onkel. Lebe wohl. Die Götter mögen dich schützen!” , rief er zum Abschied.

    Beowulf sammelte trockenes Holz und Reisig. Nachdem er einen großen Holzhaufen aufgeschichtet hatte, zündete er ihn mit einer Feuerpfeil Spruchrolle an. Die Flammen loderten zum Himmel. Der Rauch würde die bereitstehende Kogge anlocken. Beowulf wartete geduldig.
    Er befand sich auf seiner letzten Reise.

    Nach vielen Stunden tauchte die Kogge am Horizont auf. Das Schiff gehörte Mehmet, dem ältesten Sohn des Artefakthändlers Ali Al-Vharg. Zu einer anderen Zeit hätte Beowulf diesen Assassinen die Köpfe abgeschlagen. Aber jetzt brauchte er sie. Mehmet würde ihn nach Bakaresh mitnehmen. Nach Bakaresh und damit zum Ziel seiner Reise.

    Beowulf verzog seinen Mund zu einem Lächeln. Bald würde er sein Opfer finden und töten. Bald würden Grim und Adele, Isolde, Ingrimm und Ragnar und all die Anderen gerächt werden. Bald würde er mit seiner Axt Trollspalter den Schädel des Mörders spalten.



    * ... wird fortgesetzt

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    KAPITEL 18

    … im Jahr des Feuers, 978 …
    … die Belagerung von Bakaresh …


    Hunderte bettelarme Menschen, dürre Hunde und abgemagerte Riesenratten sammelten sich am großen Nordpier des Hafens von Bakaresh. Ein paar Stadtwachen, etliche Bluthunde und sogar ein paar Orks befanden sich unter ihnen. Sie alle vereinte ein überwältigendes Verlangen; Hunger.
    Klagerufe, Winseln und Jaulen stieg zum wolkenverhangenen Himmel empor, als der Menge klar wurde das keine Fischerboote mehr anlegen würden. Die Fahnen und Wimpel der myrtanischen Armee waren undeutlich über den Fischerhütten auf den Inseln vor der Hafenstadt zu sehen.

    Weiter im Westen, in der Nähe des Südtores, brannten drei Häuser lichterloh. Die Myrtaner beschossen diesen Mauerabschnitt und den sowieso schon schwer getroffenen Westturm Tag und Nacht. Die Bewohner dieses Stadtviertels waren größtenteils zum Hafen geflohen. Der Sturm auf die Stadtmauern würde nicht mehr lange auf sich warten lassen.

    In der Nähe des Südtores hatten sich inzwischen die verbliebenen Orks, Bluthunde und Warge versammelt. Olgek, der seit dem Tod seines Bruders alle Menschen hasste, musste seine Krieger mit Drohungen und Versprechungen zum Kampf locken. Sie hatten inzwischen mehr als genug vom Belagerungskampf. Einige Orks waren letzte Nacht desertiert, oder, wie man richtiger sagen musste, sie hatten ihren Dienst quittiert. Unter den desertierten Kriegern befand sich auch Hosh-Pak, sein wichtigster Unterführer.
    Olgek fluchte lauthals und blickte dabei zum großen Beliartempel empor. Dieser ganze Krieg war nicht nach seinem Geschmack. Orks fürchteten sich nicht vor dem Kampf. Sie liebten den Krieg. Doch sie liebten den offenen Kampf. Mauern, Belagerungswaffen, endlose Kleinkämpfe und komplizierte Strategien waren nichts für die Orks. Olgek hoffte das Gellon wenigstens einen guten Plan B, einen Plan mit einer großen Feldschlacht, in der Tasche hatte.

    Kriegsherr Gellon blickte den beiden Hochmagiern Nazgal Ningalos und Nehzgur in die Augen. Zwei Dutzend junge Offiziere bildeten einen Halbkreis hinter ihnen. Alle waren bewaffnet.
    “Lukkor wurde schon wieder von Oberst Lee geschlagen.” , klagte Nazgal.
    “Beliar ist unzufrieden.” , fügte Nehzgur mit hoher Stimme hinzu. “Zuben ebenso. Er hat in Ishtar eine Geist-Audienz mit Kruskak abgehalten. Auch der Erzdämon ist unzufrieden. In den letzten Jahren haben wir zwei Beschwörungstempel verloren. Jetzt verlieren wir auch noch diesen Krieg. Jemand muss dafür bezahlen. Beliar wird bald nur noch das Blut der Versager als Tribut akzeptieren. Zuben und Krushak… .”
    Gellon trat einen Schritt nach vor, dann noch einen. Nehzgur verstummte. Die jungen Gardeoffiziere in seiner Nähe wichen respektvoll vor ihrem obersten Lord zurück. Noch waren sie nicht bereit ihren alten Kriegsherren abzusetzen.
    “Siehe zu, dass du die nächste Runde gewinnst, Kriegsherr.” , sagte Nazgal und wandte sich ab. Zusammen mit Nehzgur und den jungen Offiziere verließ er sichtlich aufgebracht das Gemach des Kriegsherren.
    Gellon seufzte. Schwer ließ er sich auf sein Bett fallen. Seine beiden Sklavinnen eilten herbei und begannen seinen Nacken zu massieren. Eunuchen schleppten Wasserpfeifen heran, Musiker begannen zu spielen.
    “Es gibt heute Weißbrot und Eier mit erlesenem Wein, Herr.” , flüsterte ihm ein Eunuche ins linke Ohr.”
    “Spielt! Macht Musik! Tanzt, ihr Sklavenweiber, oder ich lasse euch auspeitschen!” , brüllte Gellon.
    Die beiden Sklavinnen begannen unverzüglich zu tanzen. Eunuchen mit verschiedenen Musikinstrumenten beeilten sich die Wünsche ihres Herrn und Meisters zu erfüllen. Gellon sog den Rauch der Wasserpfeile gierig ein. Sein Reich zerfiel vor seinen Augen in Stücke und er brauchte diese Ablenkung um nicht wahnsinnig zu werden.

    Am Hafen legte inzwischen eine kleine Kogge an. Es war ein kleines Zweihunderttonnenschiff, gebaut auf Khorinis oder einer der südlichen Inseln. Das Schiff gehörte Mehmet Al-Vharg und brachte dringend benötigte Lebensmittel, Waffen und ein paar Soldaten als Nachschub. Die wartende Menge am Hafen bejubelte die Ankunft des Schiffes.

    Beowulf verließ die Kogge Al-Indora nachdem sich der größte Tumult gelegt hatte. Er war größer und muskulöser als jeder Paladin. Beowulf trug eine eigens für ihn angefertigte Rüstung aus bestem Stahl. Zwei magische Ringe, ein mächtiges Amulett und ein breiter, magischer Gürtel stärkten seine Ausdauer, seine Gesundheit und seine Treffsicherheit. Um seine Schultern lag ein langer Mantel aus weißem, schwarzen und gelbem Wolfshaar. Die Axt Trollspalter hing locker über seinem Rücken.
    “Wer bist du?” , herrschte ihn eine Stadtwache an.
    Der große Nordmann blickte auf den viel kleineren Südländer verächtlich hinab.
    “Mein Name ist Beowulf.”

    # # #

    Der Sturmangriff auf den Westturm begann drei Stunden nach Sonnenaufgang. General Ridalgo befehligte in der Abwesenheit der Paladine die Belagerungsarmee. Die Elite des Reiches war in die Wüste geflohen und die Paladine zumindest für die nächsten paar Stunden nicht in der Lage das Kommando zu übernehmen. Folglich war dies seine Chance zu beweisen dass er ein besserer Befehlshaber als Kasimir, Lee, Dominique und Jason Galt war.
    General Ridalgo schickte drei Kompanien Milizsoldaten, eine Kompanie Waffenknechte und alle verfügbaren Ritter gegen den Westturm. Für einen Großangriff fehlte es ihm an Mannschaften, doch ein klar begrenzter Angriff konnte Erfolg haben. Der Westturm war durch das anhaltende Katapultfeuer bereits schwer beschädigt worden. Ihn einzunehmen sollte nicht allzu schwer werden.
    Von seinem Feldherrnhügel aus beobachtete Ridalgo wie sich die fünf Kompanien, insgesamt rund vierhundert Männer, durch die zerfurchten Gräben nach vorn arbeiteten. Das Gelände vor dem Westturm war steinig. Nur wenige größere Brocken und ein paar hastig ausgehobene Deckungsgruben gaben den angreifenden Männern Deckung. Überall lagen Trümmer, abgebrochene Pfeile und Überreste feindlicher Soldaten herum. Die letzten fünfzig Meter vor dem Turm war eine einzige Todeszone.
    Rigaldo gab seinem Adjutanten den Angriffsbefehl. Dieser setzte das Horn an seine Lippen und blies so laut er konnte.
    Die bereitstehenden Bogenschützen und Armbrustschützen traten vor die Palisaden. Ein Hagel aus Pfeilen und Bolzen ging auf die Zinnen und die Brustwehr der Stadtmauer nieder; zwang die Verteidiger in Deckung und bereitete der Infanterie den Weg.

    Vierhundert Männer stürmten laut schreiend auf die Mauer zu. Einige trugen lange Sturmleitern, andere Kletterseile mit Enterhaken und wieder andere primitive Körbe, Hacken, Schaufeln und Spaten.
    Es dauerte eine Weile bis die Assassinen reagierten. Erst zögerlich, dann immer heftiger schossen sie durch Schießscharten zurück. Ein paar Schützen zeigten sich auch auf der Mauer und wurden umgehend durch die Bogenschützen getötet. Dann eröffneten die acht Katapulte das Feuer auf die Mauerkrone. Große Steinbrocken krachten gegen die Zinnen und zermalmten Mauerwerk und Verteidiger gleichermaßen.
    “Vorwärts!” , brüllte Hagen.
    Die Männer legten die Sturmleitern an und warfen die Enterhaken samt Kletterseilen auf die Zinnen. Dutzende Milizsoldaten und Waffenknechte stürmten und lautem Hurrageschrei die Mauer.
    Hagen blickte sich gehetzt um. Marek, Orik und Ines führten die Pioniere gegen den Westturm. Mit Spitzhacken rissen sie das brüchige Mauerwerk ein. Ein Milizsoldat kippte steif nach hinten um. Entweder ein Geschoss der Verteidiger oder ein unglücklicher Querschläger hatte ihn tödlich getroffen.
    Wieder andere Soldaten schaufelten Erde und Steine in ihre primitiven Körbe um eine kleine Rampe am Westturm zu errichten. In cirka zwei Metern Höhe klaffte eine kleine, von einem Volltreffer geschaffene Lücke im Mauerwerk. Einer der Korbträger wurde schließlich getroffen. Emsig arbeiteten die Soldaten weiter; achteten nicht auf die Geschosse der Verteidiger. Ein zweiter Korbträger brach tot zusammen.
    Schreiend stürzte ein Milizsoldat von einer Sturmleiter. Ein Assassine hatte ihn mit einer Lanze zurückgestoßen. Keine Sekunde später wurde der Assassine von den Bogenschützen getötet.
    “So weit, so gut!” , schrie Marek über den Kampflärm hinweg.
    Hagen nickte und besah sich die Rampe. Wie viel Minuten waren vergangen? Zehn? Fünfzehn? Wie lange konnte es dauern bis die Assassinen ihre Reserve in die Schlacht warfen?
    Die Soldaten wuchteten Steine, Mauertrümmer und noch mehr Erde heran um die Rampe zu verbreitern. Die Lücke im Mauerwerk war breit genug um hindurch zu stürmen. Inzwischen rissen die anderen Pioniere das Mauerwerk am Boden ein. Hier hatte es einst eine Art Ausfalltür gegeben. Die Assassinen hatten sie wohl nur notdürftig zugemauert. Das rächte sich jetzt.
    Die Rampe war zehn Minuten später fertig, ebenso wie der Durchgang am Boden. Drei weitere Soldaten waren gefallen. Eine Sturmleiter brach gerade zusammen und riss die sechs Soldaten auf ihr mit sich in die Tiefe; in den sicheren Tod. Hagen schluckte. Der Zeitpunkt für den Sturmangriff war gekommen.
    “Vorwärts! Für Innos, für Ruhm, Ehre, König und Vaterland.”
    Die Ritter und Waffenknechte stürmten durch die beiden Breschen in den Westturm hinein.

    # # #

    Im Turm war es düster. Rauch und Staub lag in der Luft. Nur ein paar Fackeln und Laternen erhellten die stickige Dunkelheit. Hagen, Marek, Orik und Ines kämpften sich in den Turm hinein. Mit reiner Wildheit brachen sie den Widerstand der überraschten Assassinen. Hinter ihnen kamen die Waffenknechte.
    Diese erfahrenen Veteranen verteilten sich auf die Eingänge und Wendeltreppen des Turms. Leicht gerüstete Assassinen, Bluthunde und ein paar Warge stellten sich ihnen entgegen. Zuerst wurde der Kampf äußerst verbissen geführt. Für ein paar Minuten hielten die Assassinen stand. Doch dann machte sich die Überzahl und die bessere Bewaffnung der Myrtaner bemerkbar.
    Hagen erschlug einen weiteren Assassinen. Neben ihm fiel ein Waffenknecht. Hagen packte die Lanze seines Feindes mit der linken Hand und führte sein Schwert an ihr entlang zum Ziel. Tödlich getroffen brach der Assassine zusammen. Ein Bluthund sprang ihn an, wurde aber durch einen gezielten Schuss getötet. Hagen salutierte in Ines’ Richtung. Die Ritterin feuerte mit ihre Rune Heiliger Pfeil auf Bluthunde und Warge. Sie tötete noch zwei dieser Bestien.
    Die restlichen Assassinen wandten sich samt ihre Bestien zur Flucht. Einige Waffenknechte folgten ihnen und töteten viele der flüchtenden Verteidiger. Hagen und Ines blieben keuchend an der Tür zur Stadt stehen. Da lag sie endlich vor ihnen, Bakaresh, die Hauptstadt des Feindes.
    “Bakaresh! Wir sind in Bakaresh!” , jubelte Ines.
    Doch jetzt in die Stadt hineinzustürmen hätte keinen Sinn gehabt. Sie mussten den Westturm sichern um ihn zum Ausgangspunkt für die große Schlussoffensive zu machen. Dazu mussten sie den Turm aber gegen den zu erwartenden Gegenangriff halten. In den oberen Stockwerken wurde noch gekämpft.
    Hagen beorderte einen Trupp Waffenknechte nach oben. Dennoch dauerte es noch eine halbe Stunde bis auch der letzte Verteiger des Turms bezwungen war. Vier Waffenknechte und drei Milizsoldaten bezahlten diesen Sieg mit ihrem Leben.

    Die erste Gegenoffensive begann zwanzig Minuten später. Drei junge Offiziere der Garde der Schwarzmagier führten sie mehr schlecht als recht an. Weit kamen sie nicht. Hagen tötete einen der Offiziere, Orik und Marek die beiden anderen. Die Assassinen verloren fünfzehn Mann, die Myrtaner nur einen. Jubel erscholl als die Myrtaner merkten dass sie den Westturm tatsächlich halten konnten.

    Die zweite Gegenoffensive kam gegen Abend. Siebzig Assassinen, manche sogar mit Hakenbüchsen ausgerüstet, griffen an. Die Assassinen kämpften diesmal besser. Hagen hatte Mühe einen großen, schwer gerüsteten Assassinen zu bezwingen. Der Zweikampf hinterließ deutliche Schäden an seiner Ritterrüstung.
    Seinen Männern erging es kaum besser. Marek erlitt eine ernste Verletzung am rechten Bein und Ines am Kopf. Beide mussten den Turm verlassen um sich im Feldlazarett versorgen zu lassen. Orik hielt den Zugang zur Südmauer mit Mühe und Not. Sein Trupp tötete fünfzehn Assassinen, verlor aber auch fünfzehn Männer.
    Ein Suchender feuerte seine Hakenbüchse direkt neben Hagens Gesicht ab. Hakenbüchsen waren moderne Waffen, deren durch Schwarzpulver angetriebene Geschosse eine größere Durchschlagskraft entwickelten als die Bolzen der schwersten Armbrust. Dennoch, für einen Kampf auf engstem Raum war eine Hakenbüchse denkbar ungeeignet. Hagen durchschlug Lauf und Schaft der Hakenbüchse mit seinem gesegneten Paladinschwert und tötete den überraschten Schützen mit einem schnellen Stich ins Herz.

    Nach einer Stunde verbissenen Kampfes zogen sich die Assassinen zurück. Sie errichteten Barrikaden und Straßensperren aus Karren, Bohlen, Steinen und Mauerwerk um einen Ausfall der Myrtaner zu verhindern.
    “Gut gemacht, Ritter.” , lobte ein Waffenknecht Hagen.
    “Wir schaffen das!” , rief ein anderer Waffenknecht und schlug Hagen anerkennend auf die Schulter.
    “Hagen! Hagen! Hagen!” , brüllten ein paar Milizsoldaten in ihrer Siegesfreude.

    Die erschöpften Soldaten im Westturm errichteten ebenfalls provisorische Barrikaden. In der Nacht mochte ein weiterer Gegenangriff beginnen. Hagen übergab Orik das Kommando und zog sich über die Rampe aus dem Turm zurück. Draußen vor dem Turm hoben die Soldaten immer noch Gräben aus und schütteten Erdwälle auf. Ein paar Scharfschützen nahmen sie unter Beschuss. Ein oder zwei Milizsoldaten wurden getötet. Der Rest grub noch schneller. Bei Sonnenaufgang würden die Assassinen diesen Abschnitt schwer beschießen. Das wusste jeder Soldat. Entsprechend eifrig arbeiteten sie.



    * ... wird fortgesetzt

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    KAPITEL 19

    … im Jahr des Feuers, 978 …
    … die Belagerung von Bakaresh …


    Beowulf schlich sich wie ein Dieb durch die Gassen der Stadt. Hinter ihm her schlichen dreißig Schattenkrieger, das Äquivalent zu den Rittern der Innosdiener. Der Westturm war gefallen. Das allein war schon eine Katastrophe, doch ein Fischer hatten gemeldet dass ein gewaltiges Kriegsschiff vor Kap Dun erschienen sei. Das konnte nur die Magnifikat sein. Beowulf war froh das die Kogge Al-Indora der Magnifikat entwischt war. Das Kriegsschiff hätte die Kogge innerhalb von Sekunden versenkt. Der Plan der Myrtaner war einfach und doch genial; sie würden die Stadt von zwei Seiten her angreifen.

    Um dem Verhängnis zu entgehen mussten die Verteidiger schnell handeln. Beowulf hatte sich die heruntergekommenen und verlotterten Verteidiger angesehen. Diese erbärmliche Truppe würde nicht mehr lange durchhalten können. Er war also gerade zum rechten Zeitpunkt gekommen um den Mörder seiner Freunde und seiner Familie zum Zweikampf zu stellen. Doch zuvor musste dieser Turm zurückerobert werden.

    In einer Nebengasse rasselte und schepperte es gewaltig. Der Lärm war nicht zu überhören. Dreißig Assassinen und Orks wuchteten eine der gewaltigen Belagerungskanonen in Stellung. Schattenlord Archol brüllte und fluchte um sie anzutreiben. Schattenlord Khraal gestattete sich ein freudloses Lächeln. Diese Kanone war für die Belagerung von Vengard gebaut worden, jetzt wurde sie zur Verteidigung von Bakaresh eingesetzt.

    Eine dritte Gruppe schlich sich über die Dächer der höheren Häuser. Bhaal führte die verbliebenen Scharfschützen ins Gefecht. Es handeltet sich dabei um mit Hakenbüchsen ausgerüstete Suchende. Per Telepathie übermittelte Khraal seinen beiden Schlachtbrüder den Angriffsbefehl. Bei dieser Art der Gedankenübertragung bestand immer die Gefahr, das die innosgesegneten Paladine mithörten. Aber dieses Risiko ging Khraal bewusst ein.

    “Feuer frei!” , übermittelte Khraal an Archol und Bhaal.
    Ein meterlanger Feuerstoß leckte aus der Mündung der überschweren Belagerungskanone. Das schwere Steingeschoss durchschlug mühelos die provisorische Barrikade der Myrtaner. Zeitgleich eröffneten die Suchenden das Feuer. Ein Hagel aus Bolzen und Kugeln ging auf die Zone hinter der jetzt zerstörten Barrikade nieder.
    Khraal erspähte mit seinen übermenschlichen Sinnen die toten, zerfetzten Körper der Myrtaner. Weitere Waffenknechte und Milizsoldaten versuchten die Barrikade zu reparieren. Die Belagerungskanone erzielte einen zweiten Volltreffer, der den Westturm erbeben ließ und die feindlichen Soldaten in blutigen Matsch verwandelte.
    “Vorwärts!” , brüllten Khraal, Archol und Bhaal zugleich.

    Khraal stürmte mit erhobenen Waffen in den brennenden Turm. Da, ein Milizsoldat, im selben Augenblick zerfetzt von den Bolzen des Schulterwerfers; da, ein Waffenknecht, verbrannt vom dem Kugelblitz aus seiner Rune Beliars Zorn. Khraal schwang den Rachestahl in weitem Bogen herum, tötete mit grimmiger Befriedigung den Feind. Seine Panzerhandschuhe schlugen ungeschützte Schädel ein, sein Zweihänder spaltete die feindlichen Soldaten, seine Rune sandte dutzende Kugelblitze in die Düsternis und das Chaos des Kampfes.
    Archol und Bhaal stürmten nach oben, schlachteten sich durch die dicht gedrängten und hoffnungslos unterlegenen Myrtaner hindurch. Schattenkrieger folgten ihnen. Dann kamen die Orks, dann die Scharfschützen. Ein Suchender hob seine Hakenbüchse und schoss einen Myrtaner vom Laufgang herunter.
    Überall war Kampf, war Gemetzel. Die Dunkelheit, die Hitze und der alles erstickende Rauch erschwerte es Freund und Feind zu unterscheiden. Bhaal spaltete einen Assassinen, der unvorsichtigerweise neben ihm gefochten hatte. Archol brüllte vor Mordlust und Blutdurst. Für ihn war dieses Gemetzel die Erfüllung aller seiner Wünsche. Bhaal und Archon kämpften sich mit den Schattenkriegern den Turm hinauf. Sie töteten alles was ihnen in die Quere kam, egal ob es sich um Freund oder Feind, Myrtaner, Assassinen oder Orks handelte.

    Khraal marschierte zur Rampe, schlug Myrtaner zu Boden und zerstampfte ihre Schädel mit seinen Panzerstiefeln. Die hohngrinsenden, grauen Totenschädel auf seiner tiefschwarzen Rüstung schienen sich zu bewegen, jeden Todeshieb freudig zu bejubeln. Und doch war es für Khraal nicht so wie sonst.
    Der Blutrausch wollte nicht kommen; die Mordlust wollte sich nicht einstellen. Diesmal gab es keinen Rausch. Stattdessen gab es nur eine endlose, gnadenlose Leere. Khraal war ganz eindeutig kriegsmüde.
    Ein paar erschlagene Assassinen, Orks, Bluthunde, Warge und sogar ein toter Schattenkrieger lagen vor der Rampe. Khraal runzelte die Stirn. Den schweren Hieb sah er nicht kommen. Khraal taumelte nach vorn.
    “Jetzt schicke ich dich heim in Beliars Reich, Dämon!” , schrie Ritter Orik und trat vor um Khraal den Todesstoß zu versetzen.
    Doch einen Schattenlord tötete man nicht so leicht. Khraal trat wild aus und traf Orik am linken Knie. Das reichte aus um den Hieb ins Leere gehen zu lassen. Orik fing sich und schlug wieder zu. Seine gesegnete Erzlinke schlug Khraals linke Schulterstütze in Fetzen. Weiter kam er nicht.
    Khraal riss seinen linken Arm hoch und parierte damit den nächsten Schlag. Mit der Rechten rammte er den Rachestahl durch Oriks Rüstung, tief hinein in seine Bauch. Die dunkle Klinge fuhr hinauf bis in die Lungen den jungen Ritters. Blut sprudelte aus Oriks Mund als er sterbend zusammenbrach.

    Khraal sah zog den Rachestahl aus dem Leichnam heraus. Die Schmerzen in seiner Schulter und in seinem linken Arm begannen sich bemerkbar zu machen. Wie immer würden die Wunden aufgrund seines übermenschlich leistungsfähigen Körpers auch ohne einen Heilzauber sehr schnell verheilen.
    Beowulf kam mit einigen Schattenkrieger angelaufen. Der Nordmann tötete einen verwundeten Myrtaner und focht mit einem Waffenknecht. Der bedauernswerte Myrtaner hatte keine Chance.
    “Schießt auf die Myrtaner!” , befahl Khraal seinen Männer. “Schießt durch die Breschen in die Gräben! Rasch!”

    Die Schattenkrieger und Suchenden eröffneten das Feuer auf die in den Gräben hockenden Myrtaner. Jetzt rächte es sich, das die Myrtaner die Gräben aus Zeitmangel nicht im Zick-Zack-Muster gegraben hatten. Die langen, offenen Gräben verwandelten sich in eine Todesfalle. Dutzende Männer wurden getroffen, stürzten schreiend übereinander und vergaßen jeden Gedanken an Gegenwehr.
    Die verwirrten, führerlosen Milizsoldaten versuchten zu fliehen. Einige kletterten über die Grabenwände nach draußen und machten sich so erst recht zu Zielscheiben.

    Beowulf betrachtete emotionslos das Gemetzel. Dieser Krieg ging ihn eigentlich nichts an. Er war hier um einen Mörder zur Strecke zu bringen. Ob Innos oder Beliar diesen Krieg gewannen interessierte ihn nicht.
    Seine Blicke blieben an Oriks Leichnam hängen. Hier lag ein strahlender, junger Ritter. Niedergemacht von einem Schattenlord. Beowulf dachte an Adele und Grim. Adele war schwanger gewesen. Sie hatte einen Sohn geboren. War das hier ihr Sohn? Hatte Khraal vor seinen Augen das Kind von Adele getötet? Beowulf schielte zu dem Schattenlord hinüber. Es war nicht leicht in diesem Krieg eine neutrale Haltung einzunehmen.

    # # #

    Hagen stürzte sich in den Graben und hielt einen der fliehenden Milizsoldaten an dessen Kettenhemd fest. Aus den Augen des jungen Bauern sprach blanke Angst. Sein Mund verformte sich als er wie ein Kind losheulte.
    “Dämonen! Dämonen in schwarzen Rüstungen mit hohngrinsenden Totenschädel… kamen und metzelten uns nieder. Mein Freund Karl ist noch da drin. Ein riesiger Nordman hat mit ihm gefochten. Ich konnte ihm nicht helfen. Ich habe gekämpft, versucht zu kämpfen. Das müsst ihr mir glauben, mein Lord. Aber einer dieser Dämonen hat mein Schwert entzwei gehauen. Dieser Kerl, dieser Nordmann, schlachtet alles ab! Und da sind viele Schattenkrieger. Mindestens hundert! Oh, Innos! Wir sind alle… .”
    Hagen schlug dem jungen Bauern brutal über den Mund.
    “Innos steht uns bei! Geh wieder auf deinen Posten, Feigling, oder ich töte dich gleich hier und jetzt!”
    Der junge Bauer wischte sich entsetzt das Blut vom Mund. Er starrte Hagen verängstigt an. Dann erst schien er dessen strahlende Rüstung zu bemerken. Nach einigen Sekunden des Zögerns rappelte er sich auf.
    “Ich bin Mark und ich diene Innos!” , stammelte er.
    “Gut so.” , lobte Hagen. “Jetzt sammle die Männer aus deinem Dorf, Mark. Du bist jetzt ein Fähnrich. Sammle sie und führ sie zum Gegenangriff. Ich werde inzwischen Verstärkungen organisieren.”
    Mark salutierte zackig und rannte los. Hagen blickte sich in der Dunkelheit um. Im Fackelschein sah er das auch Marek, Stefan und Ines begannen Ordnung in das Chaos zu bringen. Die Veteranen unter den Waffenknechten und Milizsoldaten sammelten sich um die vier jungen Ritter.
    “Wir müssen einen Gegenangriff organisieren!” , sagte Stefan in einem ruhigen Moment zu Hagen.
    Hagen und Marek stimmten zu. Ines meldete Bedenken an. In der Dunkelheit waren die beliargesegneten Schattenlords zu sehr im Vorteil. Andererseits bot sich hier eine einmalige Chance. In der kurzen Zeit konnten die Assassinen den Weststurm noch nicht wieder befestigt haben. Mit einem gezielten Angriff konnte sie die drei Schattenlords ausschalten. Damit wäre der Krieg so gut wie vorbei.

    Hagen malte sich schon die Siegesparade aus. Mit Innos’ Hilfe konnte es gelingen. Mit so einem Sieg in der Hinterhand würde ihm eine strahlende, glorreiche Zukunft offen stehen. Schnell begann er seinen Kameraden seinen Plan zu erklären.

    # # #

    Pfeile und Bolzen regneten auf die beiden Breschen im Weststurm nieder. Khraal war von der Hartnäckigkeit der Innosdiener ehrlich beeindruckt. Der Gegenangriff war ohne Frage verwegen, kühn, um es freundlich auszudrücken. Vier junge, strahlende Ritter führten ihn an. Diese Jungen!
    Wahrscheinlich hielten sie sich selbst für unbesiegbar. Sie glaubten wohl das Innos ihnen ewiges Leben geschenkt hätte. Khraal konnte sie nicht verurteilen. Einst war er ja auch so gewesen.
    Khraal kam zu dem Schluss, das er solche Krieger gern unter seinem Kommando gehabt hätte. Krieger wie Ahmed, die selbstständig dachten und handelten. Sklaven, Monster und Fanatiker hatten sie ja genug. Aber all diese Kreaturen konnten ihnen nicht den Sieg bringen.
    Eher schon die überschwere, mit gehacktem Eisen geladene Belagerungskanone. Die Orks hatten die gewaltige Kanone in den Turm geschoben und dann die Bresche als provisorische Schießscharte benutzt.
    “Feuer frei!” , befahl Khraal mit seltsam belegter Zunge. Was jetzt kommen musste, war selbst ihm nicht geheuer. Bhaal und Archol starrten voller Vorfreude auf die anstürmenden Myrtaner. Beowulf drehte sich weg, da er das, was kommen musste, nicht mit ansehen konnte.

    Die Belagerungskanone stieß einen meterlangen Feuerstrahl aus, als sie das gehackte Eisen kegelförmig den anstürmenden Innosdienern entgegen schleuderte. Es war als wären die Myrtaner in eine unsichtbare Wand gelaufen. Das rostige, in kleine Stücke gehackte Eisen riss mindestens dreißig Myrtaner in Stücke. Auf diese kurze Distanz bot keine Rüstung der Welt Schutz vor dieser furchtbaren Waffe.
    Das Donnern der gigantischen Kanone hallte wie eine Totenglocke über das Schlachtfeld.
    Stille.
    Nicht einmal das Atmen der Krieger war zu hören.
    Aber vielleicht waren sie alle auch nur taub.
    Dann begann das Geschrei.
    Männer schrieen herzergreifend, schrieen so laut das Beowulf versucht war sich die Ohren zuzuhalten. Die verletzten Myrtaner schrieen sich die Seele aus dem Leib. Das Schreien dauerte schier endlose, nervenbelastende dreißig Minuten. Dann erbarmte sich das Schicksal, oder vielleicht auch der Gott Adanos, der Verwundeten und Verstümmelten.

    “Khraal! Sehen sie doch nur!” , sagte Beowulf und zeigte auf eine zierliche Gestalt mit einer weißen Fahne.
    Eine Gruppe junger Frauen bahnte sich ihren Weg durch die zerschmetterten Gräben. Die Anführerin der Gruppe trug eine weiße Fahne. Khraal hörte seine Männer johlen und pfeifen. Ein paar Orks riefen obszöne Worte. Andere reagierten mit sehr eindeutigen Gesten. Doch keiner wagte es auf die Frauen zu schießen.
    “Mein Lord, erlaubt ihr es, das wir die Verwundeten versorgen?” , fragte die zierliche Anführerin der Gruppe.
    Khraal nickte einigermaßen verwirrt.
    “Sicher könntet ihr den Kampf für eine oder zwei Stunden einstellen, damit wir die Verwundeten bergen und ins Lazarett bringen können.”
    “Natürlich.” , antwortete Khraal und wunderte sich selbst über die Sanftheit in seiner Stimme. “Wir stimmen einem Waffenstillstand für zwei… nein drei Stunden zu. Holt eure Verwundeten vom Schlachtfeld. Beliar möge euch schützen… .”
    Die junge Frau wandte sich ab.
    “Warte!“ , rief ihr Beowulf hinterher. “Wer bist du?“
    “Ich heiße Sabrina.“
    “Hör mir zu, Sabrina. Gib deinem König oder deinem Vater diesen Zettel. Es ist sehr wichtig das dieser Zettel den König erreicht.”

    Sabrina nahm wortlos das Schriftstück entgegen. Dann drehte sie sich um und ging zu den Verwundeten. Khraal sah ihr gedankenverloren nach. Sie war wunderschön; ein Engel. Wie war ihr Name noch gleich? Sabrina? Khraal schüttelte sich und verließ den Turm. Dieser ganze Krieg widerte ihn mehr und mehr an.



    * ... wird fortgesetzt

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