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    I Raues Pflaster

    Zoé rieb sich den Sand aus den Augen. Das laute Poltern der Kutschenräder auf der rauen Pflasterstraße hatte sie aus einem wunderschönen Nachmittagsschläfchen gerissen. Sie stöhnte verschlafen und reckte alle Viere von sich. Ihr rotgoldenes Haar hing ihr strubbelig ins Gesicht, jede Strähne war ineinander mehrfach verknotet. Sie hatte es schon lange aufgegeben, ihre natürliche Pracht mit Kamm oder Bürste zu bändigen. Abschneiden kam für sie nicht in Frage, das würde Vater nicht zulassen. Also verhalf sie sich notgedrungen mit einem Zopf, der mehr schlecht als recht ihren Strubbel, wie Vater ihr Haar liebevoll nannte, zusammenhielt.

    Sie richtete sich gähnend von der Sitzbank auf, auf welcher sie sich wie eine Katze eingekringelt hatte. Das war eine große Leistung gewesen, denn mit sechs Fuß Größe übertraf die junge Bretonin die meisten anderen Frauen ihres Volkes – und ihren Vater. Der gerade mal fünfeinhalb Fuß große Elnéas Perrin saß ihr gegenüber und blätterte in einem seiner alten Bücher. Das machte er schon seit sie vor einer Woche in Farrun aufgebrochen waren und wann immer er einen Wälzer zur Genüge durchstöbert hatte, hielt er den Kutscher an, damit er sich aus der Gepäckablage ein neues Buch holen konnte. Er hatte bestimmt zwei Dutzend Bücher in seiner großen Reisekiste, aber so ganz genau wusste Zoé das nicht. Ihr Vater las meistens alte Geschichtsbücher oder Lehrbücher der arkanen Künste. Sie interessierte sich nicht sonderlich für solch theoretische Dinge, sie probierte lieber so lange herum, bis sie es hinbekam. Zugegeben, während ihrer ersten Schritte in der Magie hatte sie so einiges angezündet, aber es war ihr meistens gelungen, das vor Vater geheim zu halten.
    Elnéas war so in seine Lektüre vertieft, dass er gar nicht bemerkt hatte, dass Zoé aufgewacht war. Aber er hatte sehr wohl gemerkt, dass die Straße sich von einem trockenen Feldweg in einen unbequemen Pflastersteig verwandelt hatte und das schien ihm den Lesespaß gehörig zu verderben.

    „Bei dem Gewackel kann man ja Dwemer nicht von Dunmer unterscheiden“, grummelte er und klappte verärgert sein Buch zu. Er hatte einen ganz roten Kopf, aber das kam weniger von seinem Frust, als vielmehr von der Sonne, die schon seit einigen Tagen erbarmungslos auf sie herab schien. Während ihr Vater mit Sonnenbrand zu kämpfen hatte, schossen Zoé hunderte kleine Sommersprossen wie Pilze aus der Haut. Sie behalf sich mit ihrem langen, weißen Gewand und einem Tuch, das sie sich um die Stirn wickelte. Vater hatte auch einen Schal, aber den hatte er achtlos über die Rückenlehne gelegt. Zoé griff nach ihrem Wasserschlauch und tränkte einen Lappen mit dem kühlen Nass.
    „Hier“, sie drückte Elnéas den kühlen Lappen auf die Stirn und der stieß ein erquickendes Seufzen aus.
    „Danke, meine Sommersprosse“, sagte er und seine Stimme klang schon wieder viel entspannter, „Wo sind wir denn inzwischen?“
    Zoé blickte über den Rand der Kutsche und erkannte, dass sie auf einem bergigen Pass unterwegs waren. Als sie vor ein paar Stunden zuletzt geschaut hatte, waren sie gerade am Fuß der Drachenschwanzberge angekommen, inzwischen lagen die Nadelwälder von Hochfels in weiter Ferne. Nur vereinzelte, knorrige Bäume und Sträucher zierten die trostlose Landschaft. Und als Zoés Blick dem Weg weiter folgte, erkannte sie die Mauern einer Bergstadt, die sie bald erreichen würden.

    „Wir sind noch eine halbe Meile von Drachenstern entfernt“, rief ihr Kutscher von vorn. Es war ein älterer Nord, der bislang fast kein einziges Wort gesagt hatte. Stillschweigend kam er seiner Arbeit nach, für die er von Vater mehr als gut bezahlt wurde. Wahrscheinlich hatte Elnéas diesen ruhigen Gesellen bewusst als Kutscher ausgesucht, damit er auf der Fahrt in Ruhe seine Bücher lesen konnte. Zoé war das alles zu eintönig. Sie hatte mehrfach vergeblich versucht, ein Gespräch mit den alten Herren zu beginnen, musste aber spätestens dann aussteigen, als sie auf Politik zu sprechen kamen. Über die hunderte Kleinstaaten von Hochfels und ihre unterschiedlichen Gesetze, Währungen und Einwohner konnte man mehrere Bücher füllen – vermutlich hatte Vater das ein oder andere dabei – aber über alltägliche Themen wie Essen, Kleider oder Musik wollte keiner ein Wort verlieren. Das höchste der Gefühle waren ein paar Worte über das Wetter. Doch je weiter sie nach Süden in Richtung Hammerfell vorgedrungen waren, desto öfter hieß es nur noch: „Sonne, wie immer.“
    So hatte Zoé es irgendwann aufgegeben, sich mit den beiden zu unterhalten und sich stattdessen die Zeit vertrieben, indem sie Bilder in den Wolken suchte, sich neue Frisuren zu flechten versuchte – Strubbel lässt grüßen – oder einfach den halben Tag schlief. Doch jetzt, da sie bald den Rand der Wüste erreichten, war sie sogleich hellwach und aufgedreht.

    „Fast da? Juhu!“, sofort begann sie, wie ein Dwemerscher Dampfkessel zu rotieren, suchte ihre Klamotten zusammen, nahm ihr Tuch ab und wirbelte durch ihr Haar, als ob jemand von ihr verlangte, dass sie halbwegs adrett aussah. Dabei erwartete sie niemand hier. Es war nur ein Zwischenstopp ihrer langen Reise in die Wüste. Doch Drachenstern war der letzte Vorposten der Nord in Hammerfell. Im Süden erwarteten sie die dunkelhäutigen Rothwardonen und ihre lebensfeindliche Alik’r-Wüste. Man sagte sich, die Nord und die Rothwardonen streiten sich schon seit Jahren um die Feste Drachenstern und kein Nord würde freiwillig einen Schritt weiter nach Süden tun. Aber Vater war überzeugt davon, dass er jemanden finden würde, der ihnen Geleit und Schutz bot.
    Trotzdem freute sich Zoé ungemein, wieder etwas unter Leute zu kommen, etwas Frisches zu essen – nicht immer nur Dörrfleisch und Knäckebrot – und in einem weichen Bett zu schlafen, statt auf der harten Sitzbank der Kutsche. Sie war so aufgeregt, dass Elnéas sie an der Hand packte und bat, sich wieder hinzusetzen.
    „Du wirfst noch die Kutsche um, Kleines“, wie absurd das war, dass er sie noch immer „Kleine“ nannte, aber sie war ja ein Einzelkind. Trotzdem verdrehte Zoé die Augen, da er genau wusste, dass ihr diese kindliche Bezeichnung nicht gefiel. Sie war schon 21 Jahre alt und eigentlich war sie es, die sich um ihn kümmern musste.
    Vater war besessen von dem Gedanken, in die Alik’r-Wüste zu reisen und dort seinen Ausgrabungen nachzugehen. Zoé war nur mitgekommen, weil sie sich um ihren alten Herren Sorgen machte. Er mochte ein geschulter Magier sein, aber er unterschätzte vielleicht die Gefahren, die draußen in der Welt, abseits von seinem Schreibtisch, auf ihn lauerten. Ob sie ihm wirklich eine Hilfe war, würde sich zeigen. Aber es tat ihr gut, wieder etwas Zeit mit ihrem Vater zu verbringen, nachdem er sie vor fünf Jahren für eine lange Forschungsreise verlassen hatte. Sie war inzwischen zu einer eigenständigen und selbstbewussten jungen Frau herangewachsen und das würde sie ihm zeigen!

    Langsam zogen die beiden Rappen die Kutsche durch die hohen Tore von Drachenstern. Und kaum hatte Zoé einen ersten Eindruck der Festung gewonnen, brach ihre Vorfreude in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Was sie sah, waren Männer, nichts als raubeinige, streitsüchtige Männer. Einige transportierten schwere Kisten durch die Gassen, andere schmiedeten stählerne Waffen und Rüstungen, aber die meisten waren Soldaten, die patrouillierend durch die Stadt streiften oder an Übungspuppen ihren Schwerthieb verbesserten. Die ganze Stadt war eine einzige Baracke, der Außenposten eines Reiches von angriffslustigen Kriegern. Und als sie die Kutsche sahen, starrten sie ihr und den Fremdlingen darauf misstrauisch hinterher.
    Zoé schluckte und wechselte einen Blick mit ihrem Vater. Auch er schien nervös zu sein, er strich sich immer wieder hektisch durch den spitzen Bart.
    „Na immerhin sollte es nicht schwer werden, ein paar Söldner zu finden…“, bemerkte Zoé trocken.
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    II Die Oase

    Als der kleine Kovu von der Palme fiel, konnte er von Glück reden, dass Ku’lu so ein großer Faulpelz war. Wäre er das nämlich nicht, hätte er sich auch nicht im Dickicht der Oase versteckt und den kleinen Jungen bei seinen verzweifelten Kletterversuchen beobachten können. Der junge Baum bog sich an der Spitze bereits unter Kovus Gewicht, der verzweifelt versuchte, an ein paar Datteln heran zu kommen. So war es auch nicht verwunderlich, als er plötzlich den Halt verlor und gute sechs Fuß herab stürzte – genau in die helfenden Arme des Häuptlingssohnes Ku’lu Na Totambu. Doch so vorausschauend der junge Rothwardone auch war, so sehr überschätzte er auch seine eigene Stärke. Er sackte unter Kovu zusammen und landete unsanft auf dem Hintern.

    „Autsch“, keuchte Ku’lu atemlos, „Geht… geht es dir gut?“
    „Nochmal, nochmal!“
    Der kleine Junge hüpfte laut lachend herum. Er hatte nicht mal einen Kratzer abbekommen, nur sein lumpiges Hemd hatte er sich beim Klettern aufgerissen. Da hatten die beiden großes Glück gehabt. Ku’lu könnte es sich nie verzeihen, wenn dem kleinen Bruder seines besten Freundes Mbakka etwas geschah. Kovu war sechs Jahre alt und schon im anstrengenden Alter. Wahrscheinlich war er vor irgendeiner Arbeit ausgebüxt und Mbakka suchte ihn bereits.
    „Du hast dir aber eine große Palme zum Dattelpflücken ausgesucht“, Ku’lu mühte sich hoch und streichelte dem Kleinen durch das kurze Haarbüschel.
    „Hab Hunger“, quengelte Kovu, „Gibst du mir was?“
    Ku’lu legte den Kopf schief und fuhr sich spielerisch durch den struppigen Kinnbart: „Ich habe nichts hier, aber ich kann dir beim Pflücken helfen. Komm mit.“
    „Wohin?“
    Ku’lu schmunzelte: „Zu meinem Zelt. Wir holen uns das passende Werkzeug.“

    Es war kein weiter Weg bis zum Zelt des Häuptlingssohnes. Es lag direkt neben dem großen Rundzelt seiner Eltern an der Oasenquelle. Ku’lus Vater Togo Na Totambu, selbsternannter Nachfolger der großen Totambudynastie und Häuptling des Stammes, legte viel Wert auf eine klare Klassentrennung. Sein Zelt und die seiner Kinder lagen zentral auf dem schattigsten Plätzchen der kleinen Oase. Die gut zwei Dutzend Zelte und Karren seines Stammes bildeten einen Wall ringsum das kleine Wüstenparadies. Ku’lu sollte jetzt eigentlich beim Speerwurftraining sein, anstatt mit Kovu zu spielen. Wenn es nach seinem Vater ginge, sollte er den Jungen einfach bei einem der Weibsbilder abgeben, wo er nur weiter hungern würde. Aber Ku’lu hielt nichts von dieser Zweiklassengesellschaft. Wie menschenunwürdig war die Vorstellung, dass sich die einfachen Stammesmitglieder ihr Essen vom Mund absparen mussten und im Herzen der Oase eine reiche Fülle von Datteln, Bananen und Trauben für die paar Mitglieder der Na Totambus allein zurückgehalten wurden. Das hatte Ku’lu noch nie verstanden und er konnte sich auch nicht vorstellen, dass das im Sinne von Zeht, dem Gott der Landwirtschaft, war.

    Vor dem Zelt des jungen Rothwardonen döste sein Trampeltier Skooma an einem Baum gebunden im Schatten. Den Namen hatte es bekommen, nachdem es einmal so viele Weintrauben verschlungen hatte, dass es total betrunken durch Ku’lus Zelt getorkelt kam. Natürlich hatte es nicht wirklich die gefährliche Droge Skooma zu sich genommen, aber sein Verhalten hatte daran erinnert. Ku’lu streichelte ihm über den flauschigen Kopf und setzte dann Kovu zwischen dessen Höcker. Der Junge nutzte gleich seine erhöhte Position, um an Ku’lus stattlichem Afro zu zupfen.
    „Hihihi!“, kicherte er, bis der Häuptlingssohn ihn abschütteln konnte.
    „Warte kurz hier, ich hol nur meinen Pflücker.“
    Ku’lu war in vielerlei Hinsicht anders als sein alter Vater. Statt Probleme auf direktem Wege anzugehen, wägte er vorher seine Möglichkeiten gut ab, vor allem wenn es darum ging, Zeit und Kraft zu sparen. So verbrachte er seine Freizeit oft damit, Dinge zu basteln, mit denen sein Leben und das der anderen Stammesmitglieder erleichtert wurde. Dazu gehörte auch sein Dattelpflücker, ein Gerät, von dem er mal von einem reisenden kaiserlichen Kaufmann gehört hatte. Es war eigentlich nur ein langer Stock mit einer runden, mit Zähnen gespickten Spitze, an der ein Säckel hing. Mit den Zähnen löste man die Früchte und ließ sie direkt in den Sack fallen, dann bekamen sie nicht einmal Druckstellen, wie wenn sie auf den Boden fielen. In Cyrodiil pflückte man damit Äpfel und hier sollten heute Datteln geerntet werden.

    Als er mit seinem Pflücker aus dem Zelt kam, wurde er bereits erwartet. Mbakka hatte seinen Bruder gefunden und hielt ihn streng an der Hand.
    „Hey“, grüßte Ku’lu ihn freundlich, „Wir wollten gerade Datteln pflücken.“
    „Das muss wohl jemand anders übernehmen“, antwortete Mbakka streng. Ku’lu bemerkte, dass er seine Kampfkluft angelegt hatte, ein leichtes Kettenhemd zierte seinen sonst nur von einfachen, hellbraunen Gewändern bedeckten Körper. Den kahlen Kopf schützte ein weißer Turban. Sein großes Krummschwert, ein Anderthalbhänder, ruhte einsatzbereit in seiner Halterung am Rücken. Im Gegensatz zu den anderen Stammesmitgliedern, die mit Bögen und Speeren jagten, hatte Ku’lu Mbakka zu seinem persönlichen Leibwächter auserkoren. Nachdem die Karawane ihn und seinen kleinen Bruder, damals noch ein Baby, mutterseelenallein in der Wüste verirrt gefunden hatte, hatte sich Ku’lu persönlich um deren Schutz gekümmert. Normalerweise wurden Fremde von Vater wie Vogelfreie behandelt, aber sie hatten ihre Eltern verloren und nach endlosen Drängen hatte der Häuptling zugestimmt, sie im Stamm aufzunehmen. Und er sollte es nicht bereuen. Mbakka hatte sich zu einem waschechten Stammeskrieger aufgeschwungen und auch Kovu hatte die besten Anlagen, einmal in die Fußstapfen seines Bruders zu treten.

    „Was ist los?“, fragte Ku’lu aufgeregt.
    „Löwen, eine Meile vorm Lager“, war die eisige Antwort des Leibwächters. Er blickte dabei so finster drein, dass man vor ihm mehr Angst bekam, als vor der Vorstellung, gegen Raubkatzen in den Kampf zu ziehen. Seine gewaltigen Muskeln zuckten bereits vor Aufregung.
    „Sind es zu viele für unsere Schützen?“
    „Das nicht…“, antwortete Mbakka kühl, „Aber deine Schwester Raki macht sich auch bereit zur Jagd.“
    „Verdammt“, zischte Ku’lu. Wenn seine Zwillingsschwester sich ins Kampfgetümmel stürzte, konnte er hier nicht untätig herumsitzen und Datteln pflücken. Dabei wollte er sich gerade mal einen freien Tag gönnen, schließlich würde die Karawane bald schon wieder zur nächsten Oase aufbrechen. Aber es ging hier um Raki, Vater würde ihn enterben, wenn er seine Schwester schon wieder im Stich ließ.

    „Bring Kovu zu einer der Schwestern. Ich hole meine Waffen.“
    Dann bückte er sich herunter zu dem kleinen Jungen und streichelte ihm erneut über das kurze Haar.
    „Ich bin heute Abend wieder da. Dann pflücken wir Datteln.“
    „Gehst du so den Löwen jagen?“, fragte Kovu und deutete auf Ku’lus himmelblaue Ballonhose.
    „Hm? Na klar. Das ist meine spezielle Superhose. Damit mach ich die Löwen luftig locker fertig.“
    „Sei froh, dass du eine Leibwache hast“, brummte Mbakka. Ku’lu tat so, als hätte er das nicht gehört.
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    III Säbelzähne


    Kaktusschnaps war das widerlichste Gesöff, das Björn jemals getrunken hatte. Zumindest unter allen alkoholischen Getränken. Manchmal hatte ihm seine Alte Fencheltee gebrüht, da kam ihm schon allein beim Geruch die Galle hoch. Aber hier war es nicht viel anders. Der Schnaps hatte eine aufdringliche Note, die an Minze erinnerte, sich aber scharf in seiner Nase festsetzte. Dagegen konnte man mit zugehaltener Nase ja noch etwas tun. Doch die schwere Flüssigkeit bahnte sich ihren Weg durch Björns Rachen wie zähfließende Lava und der widerliche Geruch nahm dabei einfach einen Umweg durch seinen Mund direkt in die Lunge.
    Er musste so schwer husten, dass er die beherzten Rückenschläge seines Adjutanten brauchte, um sich wieder zu fangen. Was er hochwürgen konnte, spuckte er voller Abscheu in die Ecke der Kneipe, das Schnapsglas pfefferte er gleich hinterher.
    „Das nennt ihr einen Schnaps?“, krächzte er angewidert, „Jeder verdammte Falmer kann besseren Schnaps brennen!“
    Björn Ekström hatte sich noch nicht wieder an das Leben in Drachenstern gewöhnt. Das scharfe Essen, der widerliche Schnaps und die paar Frauen, die noch hier lebten, waren entweder die giftigen Hausdrachen der Schmiede oder Mannweiber, die es ihren verstorbenen Gatten gleich taten und selbst zur Axt griffen. Aber warum entsetzte ihn das nur so? Es war noch dieselbe Baracke wie vor fünf Jahren, als er sie auf seinem Weg zurück in die Heimat Himmelsrand verlassen hatte. Den Tag würde er nie vergessen.

    Er war damals in Skaven stationiert, einer Stadt, die den südlichsten Vorposten der Nord in Hammerfell darstellte. Von einer Stadt konnte man eigentlich schon damals nicht mehr reden, die endlosen Scharmützel mit den Rothwardonen um den nördlichen Sektor der Alik’r-Wüste hatten Skaven in einen einzigen Friedhof verwandelt. Die Stadt hatte schon etliche Male die Beherrscher gewechselt, meistens waren es zurückgebliebene Nomadenstämme der Alik’r, die sich dort niederlassen wollten oder Nordische Könige, die ihr Einflussgebiet in der Iliac-Bucht im Westen ausbauen wollten. Skavens Segen waren zwei große Flüsse, die die Stadt, aus den Drachenschwanzbergen kommend, umgarnten und sie in eine immergrüne Oase verwandelten. Vor hunderten Jahren musste es ein gewaltiger Handelsknoten zwischen den verschiedenen Völkern gewesen sein. Doch aus der Perle der Wüste war dank endloser Machtkämpfe mit der Zeit eine einzige riesige Ruinenstätte geworden.
    Vor einem Jahr war Björn als Offizier nach Skaven beordert worden und sollte den Ausbau der dortigen Kaserne leiten. Es war der Fünfte im Monat Regenhand, 181, vierte Ära. Entgegen des Datums war es ein gewohnt trockenheißer Tag in Hammerfell, wie es eigentlich jeder Tag im Fürstentum des Sandes war. Der Himmel strahlte in geradezu unnatürlichem Blau, keine Wolke war zu sehen gewesen. Es war ein gespenstisch ruhiger Tag.
    Bis zu dem Augenblick, als der Donner begann.
    Björn war zu dem Zeitpunkt in einer rustikalen Wachstube gewesen, die notdürftig aus Palmholz zusammengezimmert worden war. Er war gerade mit ein paar Soldaten die Baupläne für die neue Südmauer durchgegangen, die ständig im Treibsand zu versinken drohte. Der Angriff erwischte sie völlig unvermittelt, denn die Wachmänner waren hinterlistig durch einen Verräter in den eigenen Reihen gemeuchelt worden. Und plötzlich verdunkelte sich der Himmel und ein gewaltiger Blitz brach wie aus dem Nichts auf sie herab. Er zerfetzte die gesamte Wachstube und schickte binnen einer Sekunde alle im Gebäude stationierten Nord direkt nach Sovngarde. Alle bis auf einen. Akatosh selbst musste seine schützende Hand über Björn gehalten haben, der den Angriff überstand und von anderen Überlebenden eskortiert wurde. Er war erst wieder erwacht, als sie bereits bis nach Drachenstern geflohen waren und dort erst wurde ihm das Ausmaß der Katastrophe bewusst.
    Die Rothwardonen hatten in einer Nacht über fünfzig gut ausgebildete Soldaten kaltblütig ermordet und die bisherigen Wiederaufbaubemühungen der Stadt unter einer Decke aus Sand und Blut begraben. Auch Björn war für sein Leben gezeichnet. Sein bis dahin dunkelblondes Haar war von einem Moment zum nächsten schlohweiß geworden. Der gewaltige Donner hatte ihm den Gehörsinn schwer angeschlagen, weswegen er jetzt ständig eine blecherne Hörmuschel bei sich tragen musste. Doch das Schmerzhafteste waren die Brandverletzungen an seinem rechten Arm, die sich in riesigen Pusteln von der Schulter bis zur Fingerspitze ausgebreitet hatten. Er konnte von Glück reden, den Arm nicht verloren zu haben, doch weil er jetzt wesentlich schwächer war, war Björn gezwungen, vom Einhänder auf einen Zweihänder umzusteigen, um die Kraft seiner Linken mit dem Geschick seiner Rechten zu kombinieren. Er wählte sich als neue Waffe einen großen Kriegshammer, denn er wollte diejenigen, die ihm das angetan hatten, nicht nur aufschlitzen. Er wollte sie erbarmungslos und mit aller verbliebener Kraft töten, auf dass ihr Brustkorb brechen würde und diese Bastarde einen endlos qualvollen Tod starben.

    Seit diesem Tage war er selbst ein Teil dieser ewigen Scharmützel. Von Drachenstern wurde er zurück nach Winterfeste geschickt, wo er eine Gruppe der fähigsten Soldaten zusammenstellen sollte, die mit ihm in die Wüste zurückkehrten, um den gesamten Nomadenstamm, allen voran ihren Magier, aufzuspüren und auszurotten. Erst wenn das Übel an der Wurzel gepackt war, konnte man überhaupt daran denken, die Stadt Skaven wieder zu bevölkern.
    Nach Vorbild der in Himmelsrand heimischen Großkatzen wurde er zum Anführer der Elitegruppe Säbelzähne.
    Hier saß er nun, im heruntergekommenen Drachenstern, dem letzten Vorposten vor der erbarmungslosen Alik’r-Wüste und grübelte mit seinen Kameraden an einer Strategie, die Nomaden ausfindig zu machen. Dafür hatte sich Björn mit seinen drei Offizieren in der örtlichen Taverne „Ysgramors Verschlag“ einquartiert, denn wo verbreiteten sich Gerüchte schneller als an einem Schanktisch voller Betrunkener? Björn saß an einem schwach beleuchteten Tisch am offenen Fenster, wo der rauchige Gestank von verbranntem Fleisch ihm nicht die Kehle zuschnürte. Zu seiner Rechten saß Sir Finlay von Elinhir, ein griesgrämiger Nord in den Fünfzigern, der zwar nicht mehr sonderlich schnell zu Fuß war, dafür aber einen taktischen Spürsinn wie kein Zweiter besaß. In der letzten Schlacht um Elinhir, welches ebenfalls eine Grenzfestung zwischen Himmelsrand und Hammerfell weit im Osten des Landes ist, hatte er es geschafft, mit nur einhundert Nord einem Sturm von dreihundert Rothwardonen zu trotzen, indem er sich das hügelige Terrain zu Nutze machte. Da dabei jedoch viele seiner treuen Gefährten umgekommen waren, war es Björn ein leichtes, ihn für seine von Rache getriebene Truppe zu gewinnen.
    Im gegenüber saß die strohblonde Ylva, eine eiskalte Kopfgeldjägerin aus Markarth, die unter all den hitzigen Gemütern für etwas Abkühlung sorgen würde. Sie war eine absolut rationale Killerin, solange das Geld stimmte. Und sie nahm ihren Job verdammt ernst. Einmal verfolgte sie einen flüchtigen Rothwardonen, der in Himmelsrand gemordet hatte, bis in die Hauptstadt Sentinel und ermordete ihn dort am helllichten Tage. Die Wachen fanden seine kopflose Leiche erst, als Ylva schon wieder auf halbem Wege nach Himmelsrand war, mit ihrer Trophäe im Gepäck. Sie hatte die Wüste schon einmal überlebt, sie würde dafür sorgen, dass die Säbelzähne sie ebenfalls überlebten.
    Momentan hatte Ylva die Augen geschlossen, während sich Finlay vergeblich am Zerschneiden eines großen Stück Bratens versuchte. Er wackelte dabei so sehr am Tisch, dass Björn seine Landarten gar nicht richtig studieren konnte.
    „Meine Güte Finlay!“
    „Zehn Waffenschmiede habe ich in dieser verdammten Stadt gesehen“, knurrte der Alte, „Aber das Besteck hier ist stumpf.“
    Björn schüttelte den Kopf: „Du bist ein Nord, was brauchst du Besteck?“
    „Das ziemt sich nicht für den Adel. Man kann ja wohl ein Minimum an Würde bewahren, selbst wenn man mit einem Haufen Welpen unterwegs ist.“
    Er machte schon eine eigenartige Figur in seiner mit goldenen Rändern besetzten Weste und dem – Wie nannte er es? – zinnoberroten Beinkleid. Wie er damit in der Wüste überleben wollte, wusste Björn nicht, aber das war im Moment auch nicht sein Problem. Er wartete ungeduldig auf die Rückkehr seines dritten Offiziers. Sein Name war Niels und er war der Erste, der den Säbelzähnen beigetreten war, noch bevor sie überhaupt so hießen. Björn verdankte ihm sein Leben, denn Niels war es gewesen, der ihn damals aus Skaven gerettet hatte. Er war auch derjenige, der den Großteil des Kommandos zusammengestellt hatte, denn er konnte erstaunlich gut mit Menschen umgehen und sie davon überzeugen, das zu tun, was er für richtig hielt. Dabei war er eher der unscheinbare Typ, ein eher schmächtiger Nord, der ganz passabel mit dem Schwert umgehen konnte, im Kampf aber eher der war, der sich um die Verletzten kümmerte. Doch wenn Worte Waffen wären, dann wäre er der Champion in der Arena. Es war also kein Wunder, dass er für das Ausfragen des Wirts und der anderen Gäste zuständig war.

    „Er kommt zurück“, sagte Ylva, die noch immer die Augen geschlossen hatte. Tatsächlich kam Niels einen Herzschlag später an ihren Tisch getorkelt und grinste sie breit an. Seine kleine Schweinenase war schon rot angelaufen. Er konnte kein reiner Nord sein, denn er vertrug einfach keinen Alkohol.
    „Ich hschs waschsch efusche…“
    „WAS?!“, Björn brüllte ihn regelrecht an, „Bist du betrunken?“
    „Nein! Aber du solltest endlich einsehen, dass du schwerhörig bist, also…“
    Niels deutete auf die Hörmuschel und mit lautem Knurren hielt Björn sie sich ans Ohr.
    „Ich hab was rausgefunden…“, murmelte Niels nun deutlicher, aber dennoch war das Lallen nicht zu überhören.
    „Du bist betrunken“, wiederholte Björn.
    „Ich musste diesen scheiß Kaktusschnaps trinken, sonst hätten die mir nichts gesagt. Viel isses auch nich, aber wir sollten uns nich auf den direkten Weg nach Skaven begeben.“
    Niels beugte sich so weit über den Tisch, dass Björn seine Fahne roch und der widerliche Gestank des Kaktusschnaps‘ wieder in seine Nase stieg. Dann deutete sein Offizier auf mehrere Punkte zwischen Drachenstern und Skaven.
    „Dort sind einige Oasen. Die Nomaden reisen immer von einer zur nächsten, sind ständig in Bewegung. Es wird nicht leicht, sie zu überraschen. Aber ich habe noch mehr rausbekommen.“
    „Schieß los.“
    „Hier sind heute zwei Bretonen aufgetaucht, ein stinkreicher Kerl und seine Tochter, so eine große Rothaarige. Sie suchen nach einem Söldner, der sie auf dem Weg in die Wüste beschützt.“
    „Du hast doch nicht etwa zugesagt, oder?“
    „Wo denkst du hin?“, Niels grinste, „Nene, sie haben ein paar der örtlichen Tagelöhner gefunden. Aber wenn wir uns nicht total blöd anstellen, könnten die uns direkt zu den Nomaden führen. Eine Art… Lockvögel.“
    „Und warum sollten uns diese Nomaden nicht angreifen?“, fragte Finlay, der es inzwischen mit seinem Braten aufgegeben hatte, „Vielleicht sind es viel mehr als wir.“
    Björn mischte sich wieder ein: „Wenn wir abseits der Wege agieren, können wir sie vielleicht überlisten. Ist das nicht euer Spezialgebiet, Finlay?“
    „Aye. Aber ich kann nicht durch die Wüste navigieren. Abseits der Wege könnten uns noch viel schlimmere Dinge erwarten als Nomaden. Ich sage nur Löwen, Treibsandfelder und Brunnen gibt es nur entlang der Routen.“
    „Lasst das mal meine Sorge sein“, sagte Ylva und öffnete zum ersten Mal ihre kalten blauen Augen.
    „Nun gut“, Finlay gab sich geschlagen, „wie sollen wir genau vorgehen?“

    Während am Tisch noch energisch diskutiert wurde, fielen Björns Blicke auf den Wirt, der einen alten Mann und eine rothaarige Frau zur Treppe geleitete, die zu den Zimmern im oberen Stock führte. Was wollten die beiden wohl in der Wüste? Der Kerl schleppte einen riesigen, braunen Koffer und etliche Pergamentrollen mit sich herum. Vielleicht war es ein Magier auf dem Weg nach Sentinel. Und das Weibsbild? Das konnte doch niemals eine Bretonin sein, nur Nordweiber erreichten eine stattliche Größe von gut sechs Fuß. Doch ihre zarte Gestalt und die grazile Art zu laufen sprachen gegen eine Nord. Es war nicht verwunderlich, dass sie jemanden gefunden hatten, der sie in die Wüste führte und Björn musste aufpassen, dass seine Männer ihrem Charme nicht ebenfalls erlagen. Auf jeden Fall dürften sie die beiden nicht unterschätzen…
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    IV Dämmerung

    „Tava, Göttin des Himmels: Deine Tochter Raki spricht zu dir. Erhöre mein Gebet. Du, die du mir die Luft zum Atmen und die Geschwindigkeit eines Wirbelsturms schenktest. Ich widme dir die heutige Jagd. Du führtest uns in dieses wilde Land, du gabst den Yokudanern auf Tamriel eine zweite Chance. Dank unserem unumstößlichen Glauben an deine Allmacht bewohnt unser Stamm die lebensfeindliche Alik’r-Wüste nun schon über tausend Jahre. In all der Zeit vergaßen wir nie den Glauben an dich. So erhöre mich, Tava, und schenke mir Kraft für die heutige Jagd. Schenke mir den Rückenwind, allen Gefahren zu trotzen, die sich mir in den Weg stellen und fege hinfort die niederen Bestien.
    Wir säen Wind, wir ernten Sturm!“

    Raki kniete auf der höchsten Düne, die die Oase als natürlicher Schutzwall vor den Gefahren der Wüste abschirmte. Die junge Frau hatte die Augen geschlossen und formte mit den Händen das Symbol des mächtigen Seeadlers. Die beiden Daumen wurden an der Spitze über Kreuz gelegt, während die restlichen Finger beider Hände die majestätischen Flügel des Meeresvogels darstellten. Es war das typische Ritual zu Ehren der Himmelsgöttin Tava, das die gläubige Raki Na Totambu vor jeder Jagd durchführte. Es hatte sie bislang durch jede noch so schreckliche Prüfung geführt und ihren Glauben gestärkt. Bei all den Sandstürmen, Skorpionen und Schakalen, mit denen es Raki bislang hatte aufnehmen müssen, konnte man nicht mehr vom schierem Glück reden. Tava war mit ihr, sie würde die treue Raki leiten – bis zum letzten Atemzug.
    Als sie sich wieder aufrichtete, blickte sie durch die Reihen ihrer Begleiter. Neun treue Krieger, bewaffnet mit Bogen und Speer, standen bereit, mit ihr gegen das Rudel der Löwen zu ziehen, die schon seit zwei Tagen durstig um die Oase streiften. Bis zu den großen Flüssen bei Skaven war es ein weiter Weg. Der Rudelführer hatte die Wahl, doch er entschied sich falsch. Jetzt blieb den Löwen nur noch der verzweifelte Angriff, wenn sie nicht verdursten wollten. Es waren schlaue Tiere, sie wussten, dass ihre Chancen gegen den Nomadenstamm nicht gut standen. Nur die Stärksten konnten in der lebensfeindlichen Wüste überstehen. Nun würde sich der ewig währende Kampf zwischen Mensch und Tier wiederholen. Würde Tava auch heute ihre schützenden Hände über Raki und ihre Krieger halten?

    Die Sonne war schon fast am Horizont verschwunden. Die Löwen kannten ihren Vorteil und würden erst in der Dämmerung angreifen. Die Jäger beobachteten gebannt, wie die blutrote Sonne binnen weniger Herzschläge hinter den fernen Ausläufern der Drachenschwanzberge verschwand. Dann kamen zwei Späher die Düne hinauf.
    „Sie kommen! Die Löwen sind auf dem Weg!“
    „Wie viele?“, fragte Raki.
    „Ein Dutzend!“
    Die junge Rothwardonin schluckte. Ein ganzes Dutzend? Am Nachmittag hatte man noch von acht gesprochen. Damit kam fast auf jeden Krieger eine Löwin. Und der Rudelführer natürlich. Raki blickte durch die Reihen und erkannte Zweifel in den Gesichtern ihrer Krieger. Sie konnte es ihn den Augen der jungen Männer und Frauen sehen. Sie wollten die Oase aufgeben, wollten, dass sich die mächtigen Yokudas den Löwen ergaben und ihr Heil in der Flucht suchten. Dass sie sich unterordneten. Doch das würde Raki niemals zulassen.
    „Auf eure Posten! Passt auf eure Kameraden auf, die Löwen attackieren immer die, die sich aus der Gruppe entfernen. Schießt erst, wenn ihr euch sicher seid, dass ihr auch trefft. Eine zweite Chance werden euch die Bestien nicht geben.“
    Als sie bemerkte, dass diese Worte nicht gerade motivierend waren, fügte sie hinzu: „Sie sind durstig und unvorsichtig. Und ihr seid die besten Krieger, die diese Wüste je hervorgebracht hat. Zeigt ihnen, was es heißt, Yokudanisches Blut in den Adern zu haben!“
    Sie streckte die Hände zum Himmel und machte das Adlerzeichen.
    „Wir säen Wind…“
    „WIR ERNTEN STURM!“

    Mit diesem Kampfschrei zerstreuten sich die Bogenschützen auf die Flanken und die Speerkämpfer auf der Düne. Die Löwen mussten einen unbequemen Weg auf schwerem Terrain zurücklegen, während die Jäger von der Anhöhe aus angreifen konnten. Raki erwartete den Sturm an der Spitze der Düne. Der allmählich abkühlende Wüstenwind ließ ihr leichtes, himmelblaues Gewand flattern. Selbst ihre kurz geflochtenen Dreads begannen im Wind zu tanzen. Sie machte mehr den Anschein eines trotzigen Jungblutes, denn einer entschlossenen Kämpferin. Sie war eine der Kleinsten im Stamm, aber gewiss kein Kind mehr. Das sah man ihr schon an ihrem äußerst weiblichen Körper an. Doch wer Raki unterschätzte, sie als klein und harmlos oder weibisch und ungeschickt einstufte, den überzeugte sie mit einem Fingerschnippen eines Besseren. In ihr schlug das Herz der stolzen Na Totumbas, sie war aus gutem Grund schon seit vielen Zyklen die oberste Jägerin des Stammes, auch ganz ohne Speer und Bogen.
    Mit entschlossenem Blick und zuckenden Fingern erwartete sie die Ankunft der Löwen. Für einen Moment schien sich die Zeit ins Endlose auszudehnen und ihr Herz still zu stehen. Dann war es fast wie eine Erlösung, als die Bestien endlich über die gegenüberliegende Düne gesprintet kamen und man die ersten Kampfesschreie und sirrenden Pfeile vernahm, die die drückende Wüstenluft zu zerschneiden schienen.
    „Tava, steh‘ uns bei!“
    Sie konnte sechs Löwen ausmachen, die sich direkt auf sie zu bewegten. Die restlichen Bestien wurden an den Flanken abgefangen. Doch vom Rudelführer selbst war keine Spur zu sehen. Raki wollte am liebsten direkt angreifen, doch sie wusste um ihre Fähigkeiten und würde nicht beginnen, ehe es sich nicht lohnte.
    „Haltet euch zurück!“, wies sie die beiden Speerkämpfer an, die ihre Leibgarde darstellten, „Auf mein Signal greift ihr an!“
    Das halbe Dutzend, das in animalischer Geschwindigkeit ihre Düne erklomm, war von mehreren seitlichen Pfeilschüssen von den Flankenschützen schon auf drei halbiert worden. Doch die Übrigen umso verbissener, diese Hürde zu überwinden und zur Oase hinter Rakis Düne zu gelangen. Nur noch zwanzig Schritt trennten sie von der Rothwardonin.
    Sie wartete keinen Augenblick länger.

    Mit einer rasanten Vorwärtsbewegung der Handfläche entlud sie ihre elementaren Kräfte und warf sie den Bestien eine magische Windfaust um die Ohren, die sie nicht nur wie ein Steinschlag traf, sondern sie auch von den Tatzen hob und ein paar Fuß weit die Düne herabwarf.
    „JETZT!“, schrie Raki und auf ihr Kommando hin stürmten die beiden Speerkämpfer zum Angriff gegen die angeschlagenen Löwinnen. Sie selbst rannte auf die linke Flanke, um den dort stationierten Schützen auszuhelfen. Sie hatte Schreie vernommen und ahnte Schreckliches.

    Als sie sich einen besseren Überblick über das Schlachtfeld gemacht hatte, erkannte sie, dass die linke Flanke einem übermäßigen Ansturm an Bestien standhalten musste, während rechts kaum ein Tier angriff. Sie half mit ihren mächtigen Windfäusten da, wo sie keinen ihrer Jäger verletzen konnte und stürmte dann zurück, um die auf der rechten Seite verbliebenen Kämpfer zu Hilfe zu rufen. Gerade als sie zufrieden feststellte, dass die meisten Löwen zurückgedrängt oder tot waren, kam einer ihrer Jäger namens Shaka aus Richtung der Oase auf sie zu gestürmt. Sie konnte im schwachen Dämmerlicht nicht viel erkennen, doch er hielt sich den Arm, er war verletzt.
    „WEG WEG!“, rief er keuchend, doch im nächsten Moment wurde er von einer gewaltigen Kraft zu Boden gerissen. Hinter ihm tauchte eine königliche Mähne auf, die zu dem Rudelführer gehörte. Irgendwie hatte er es geschafft, auf die andere Seite der Düne zu gelangen.
    „SHAKA!“, schrie Raki aus vollem Halse und bündelte ihre magischen Kräfte in beiden Fäusten. Doch das knackende Geräusch eines brechenden Nackens ließ selbst die kühne Magierin erschaudern. Der Löwe hatte eiskalt gemordet und war gar nicht scharf darauf, seine Beute zu verspeisen. Er wollte mehr, er wollte den gesamten Widerstand brechen. Raki wusste, dass sie dem nicht mit einer einzelnen Windfaust entgegentreten konnte. Sie musste sich an einen weitaus stärkeren, gefährlicheren Zauber wagen. Ihre Finger kribbelten vor Spannung, kleine, violette Funken schlugen um ihre Handgelenke.
    „FÜR TAVA!“
    Mit einer mächtigen Entladung all ihrer magischen Kräfte beschwor sie einen Blitz, der sein Ziel in einem Wimpernschlag versengen sollte. Doch dann traf Raki selbst der Schock, denn der Löwe war mit einem schnellen Satz ausgewichen.
    „Was…?“
    Sie konnte es nicht fassen. Der Blitz hätte treffen müssen, es war ihr größter Trumpf. Bei einem solchen Angriff verausgabte sie sich völlig. Die Knie begannen bereits zu wackeln, als wäre sie einen Marathon gelaufen. Doch bis auf einen kleinen Schrecken schien der Löwe wohlauf zu sein. Er zeigte auch keine Spur von Angst, wie man es von Tieren eigentlich kannte, wenn ein Gewitter aufzog. In diesem Moment agierte das Tier fast wie ein Mensch. Einer, der alles auf eine Karte gesetzt hatte und jetzt unter keinen Umständen einen Rückzieher machen wollte. Mit Erfolg. So erschöpft wie Raki durch ihren Zauber war, wurde sie nun zur leichten Beute. Von den anderen Schützen war hier auch nichts zu sehen, sie kämpften noch auf der anderen Seite der Düne gegen den Sturm der Löwinnen an.
    ‚Das war’s dann wohl‘, dachte Raki verbittert, ‚Tava, ich habe versagt…‘
    Sie schloss die Augen und wartete, dass der Löwe sich über sie hermachte. Dass sich seine gewaltigen Zähne in ihre weiche Haut bohrten und das Antlitz ihres Seins aus der Welt fegten. Doch der Löwe griff nicht an. Stattdessen vernahm sie ein Jaulen und als sie die Augen wieder öffnete, war die Bestie zusammengesackt. Ein Speer hatte sich in seinen Hinterlauf gebohrt.

    „Raki!“, hörte sie eine vertraute Stimme. Ku’lu und sein Leibwächter Mbakka hatten das Schlachtfeld betreten. Wie immer war ihr Brüderlein viel zu spät dran. Aber sie kamen von so weit weg, wie hatte er den Speer derart weit und zielsicher werfen können? Oder war es nur Dusel?
    Als Ku’lu mit seiner albernen Ballonhose auf sie zu gestolpert kam, konnte sie ein Lachen nicht mehr verdrücken. Es war eine seltsame Mischung aus Erleichterung darüber, noch am Leben zu sein und Spott, den sie ihren albernen Bruder nur allzu oft spüren ließ. Seit er sich diesen Afro hat wachsen lassen, konnte sie ihn einfach nicht mehr ernst nehmen.
    „Raki. Es ist alles gut, der Löwe ist tot. Ich habe dich gerettet!“, er kniete sich zu ihr herab und half ihr hoch, doch sie konnte immer noch nicht aufhören zu lachen.
    „Du kommst immer erst in letzter Sekunde, Ku’lu“, kicherte sie vergnügt, „Aber den Löwen hast du nicht getötet, siehst du?“
    Sie deutete auf die Stelle, wo das Tier hätte liegen müssen, doch dort war nichts. Er musste sich nun doch geschlagen gegeben und humpelnd das Weite gesucht haben. Ku’lu schien enttäuscht, das Biest hatte seinen guten Speer noch im Schlepptau. Raki klopfte ihrem Bruder aufmunternd auf die Schulter.
    „Aber schön, dass du dich hast blicken lassen. Los… wir müssen den anderen helfen.“

    Aber als sie die andere Seite der Düne erreichten, war die Schlacht längst geschlagen. Rakis treue Kameraden hatten bereits nach ihr gesucht und erstatteten einen zufriedenstellenden Bericht. Sie hatten einen Toten und zwei Verletzte zu beklagen. Eine gute Bilanz, mit der sich Raki aber nicht zufrieden geben konnte. Jeder Verlust war wie ein Stich ins Herz des kleinen Stammes.
    Die meisten Löwinnen hatten sie getötet, doch der Rudelführer schien ihnen tatsächlich entkommen zu sein.
    „Sammelt die Kadaver ein, die halbwegs sauber erlegt wurden“, befahl Raki, „Den Rest lassen wir den Hyänen und Geiern liegen.“
    Die Kadaver, die mitgenommen wurden, würden gute Pelze, Zähne und Klauen abwerfen. Der Stamm lebte fast ausschließlich von dem, was die raue Wüste ihm abwarf. Alles andere, Schwerter oder Zelte hatten sie über die Jahre den unaufmerksamen Wanderern abgenommen, die sich abseits der großen Wege verlaufen hatten.

    Raki lief zu ihrem Kameraden Shaka und beugte sich zu der grotesk verstümmelten Leiche herab. Zärtlich strich sie dem jungen Mann durch das krause Haar und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Tava könnte ihm nun nicht mehr helfen, er war auf die Gnade des Totengottes Tu’whacca, der den Geistern einen heilen Weg ins Jenseits bescheren sollte, angewiesen.
    Ku’lu trat wieder an sie heran und fragte vorsichtig: „Was kann ich tun?“
    „Hast du den Rudelführer gesehen?“, fragte Raki.
    „Nein.“
    Sie hatte nichts anderes erwartet.
    „Ich wünschte nur, wir könnten Vater den Kopf des Löwen als Beweis mitbringen, dass wir das Rudel auch völlig zerschlagen haben.“
    „Ja…“
    „Du willst was tun? Kümmere dich darum, dass Shaka nicht von den Geiern geholt wird. Bring ihn ins Lager und lass ein Totenfeuer herrichten“, sie blickte sich um, „Wo hast du eigentlich deinen Leibwächter gelassen?“
    Ku’lu sah sich genauso überrascht um, zuckte dann aber nur mit den Schultern.

    Als sie die Oase erreichten, erwartete sie der kahle Wüstenkrieger bereits. Sein Gesicht wurde von einigen Fackeln beleuchtet, es war blutverschmiert, genauso wie seine dunklen Kleider.
    „Mbakka…“, Ku’lu deutete auf die Waffe in den Händen des kräftigen Kriegers, „Ist das etwa mein Speer?“
    „Bei den Göttern“, hauchte Raki, als sie den Leibwächter ihres Bruders sah. Am Ende seines Speeres hing der Kopf des erlegten Rudelführers.
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    V Morgengrauen


    Eine kurze Nacht lag hinter Zoé. Sie war schon aufgestanden, da hatten die ersten Sonnenstrahlen noch nicht einmal das Wüstenland in ihren goldenen Glanz gehüllt. Das passte so gar nicht zu der jungen Bretonin. Eigentlich war Zoé ein typisch jugendlicher Langschläfer. In den letzten fünf Jahren, die sie daheim in Vaters kleinem Backsteinhaus in Farrun verbracht hatte, war sie nie freiwillig vor neun Uhr aufgestanden. Das waren natürlich außergewöhnliche Umstände für die emsigen Bretonen, die meisten der Händler standen bereits vor dem Hahnenschrei an ihrem Stand und boten frische Waren zum Frühstück feil. Wenn Zoé dann zu ihrer besten Freundin, der Bäckersgesellin Maggy kam, waren nur noch alte Stullen über, die den Schweinen verfüttert werden sollten. Die pausbackige Maggy erwartete sie jeden Morgen mit einem Blick auf die Kirchturmuhr, einem Säckel frischer Brötchen, die sie Zoé zurückgehalten hatte und den Worten: „Dein Leben möcht‘ ich haben…“
    Diesen vermeintlichen Luxus konnte sich Zoé damals leisten, weil sie jede Nacht im örtlichen Theater gearbeitet hatte und immer frisch für den nächsten Tag aussehen musste. Sie spielte nie eine Hauptrolle, aber dafür Statistenrollen in verschiedenen Stücken wie: „Der kleine Dwemer“ oder „Die Jungfrauen der Mara“. Wenn sie Pech hatte, musste sie sich sogar mehrmals während eines Stückes umziehen, denn viel Geld spielte das Theater nicht ein und gut geschultes Personal war rar. Die Bewohner Farruns gaukelten gerne vor, dass ehrliche Arbeit sie weiter vorantrieb, als albernes Schauspiel und doch hielt sich das Theater über Wasser.
    Der Tag, an dem Vater endlich wieder nach Hause zurückkehrte und dabei nur auf der Durchreise zu einem Wüstenabenteuer war, riss Zoé aus ihrem angenehmen Alltag. Sie machte sich einfach zu große Sorgen um ihn, als dass sie den störrischen Alten alleine reisen lassen könnte, auch wenn sie sich manchmal wirklich ärgerte, was sie für diesen Trip aufgegeben hatte. Ihr kuscheliges Kinderbett, aus dem sie schon längst herausgewachsen war, wich nun einer harten Pritsche in der verrauchten Absteige „Ysgramors Verschlag“ und die frischen Brötchen von damals wurden durch kalte Hafergrütze vom letzten Abend ersetzt. Kein Wunder also, dass Zoé nicht gut geschlafen hatte. Die Aufregung über das Unbekannte, was vor ihr lag, erschwerte das Einschlafen zusätzlich. Sie war bestimmt schon gegen vier Uhr wach gewesen und hatte sich immer wieder in ihrem Bett herumgewälzt bis sie total überhitzt aufgestanden war und das Fenster geöffnet hatte.

    Sie hatte sich zur Abkühlung auf die Fensterbank gesetzt und genossen, wie ihr die kühle Luft durch das dünne Nachthemd säuselte. Ihr Zimmer war im Dachgeschoss der Taverne, Vater hatte sein eigenes bekommen, aber er schnarchte so laut, dass es kaum einen Unterschied machte, ob er nun dort oder mit ihr in einem Raum geschlafen hätte. Aber es kam ihnen dennoch entgegen. Schon als Zoé zu einer jungen Frau herangewachsen war und ihr Vater sich noch um sie gekümmert hatte, hatte er sich pikiert, wenn sie sich in ihrem Zimmer etwas gemütlicher kleidete, sich vielleicht mal etwas mehr Beinfreiheit schaffte oder etwas luftigere Abendkleider trug. Er war in der Hinsicht ein ziemlicher schüchterner Mensch und Zoé fragte sich manchmal, ob er auch schon so war, als ihre Mutter noch am Leben war.
    Von ihrem Zimmer aus konnte sie weit über die Hausdächer und Mauern bis hinaus zu den fernen Dünen der Alik’r-Wüste blicken. Im Süden vor der Stadt hatte sie ein kleines Wildlager ausfindig gemacht, wo vermutlich die schliefen, die sich kein Zimmer leisten konnten. Der Wirt, dem die Taverne gehörte, hatte ihnen die Zimmer erst etwas widerwillig angeboten, nachdem Vater ein paar mehr Septimen über seinen Tresen kullern ließ. Ob die Leute, für die die Zimmer ursprünglich gedacht waren, jetzt draußen vor den Mauern schlafen mussten?

    Zoé entschied, dass es sich nicht mehr lohnte, jetzt wieder ins Bett zu gehen, dafür war sie viel zu aufgedreht. Sie wollte stattdessen das Frühstück etwas aufwerten. Der Wirt hatte ihnen den Topf Hafergrütze mitgegeben, falls sie in der Nacht noch Hunger bekamen, aber im jetzigen Zustand würden sich da wohl nicht mal die Maden ran machen. Zoé wollte ihrem Vater beweisen, dass es kein Fehler war, dass sie ihn auf der Reise begleitete. Er brauchte jemanden, der sich mit alltäglichen Dingen auskannte, dafür gehörten neben dem Nähen von Kleidern und Versorgen von Wunden natürlich auch fortgeschrittene Kochkünste. All das beherrschte er, wenn sie an ihre Kindheit zurückdachte, nur marginal. Zum Glück besaß sie in ihrem eigenen Köfferchen alle Zutaten, die sie für ein gutes Frühstück und eine erfolgreiche Weiterreise benötigte.
    Sie entzündete eine Kerze auf dem Nachttisch, setzte sich auf ihr Bett und breitete ihren Koffer zwischen den Beinen aus. Den hatte sie schon seit Kindertagen und entsprechend ausgefranst sah er auch aus. Sie hatte die rissigen Stellen mit Stoffresten aus alten Theaterkleidern bestickt. Sanft strich sie über den gelben Samtstoff. Gelb war so eine schöne Farbe!
    Ihr Koffer war bis zum Bersten voll und als sie ihn öffnete, sprangen ihr die Anziehsachen für den heutigen Tag förmlich entgegen. Ein langes, weißes Gewand vor allem, wahrscheinlich würde sie es jetzt jeden Tag tragen. Aber sie konnte es ja individuell wickeln, darüber müsste sie sich noch Gedanken machen. Zumindest konnte sie das Gewand schon mal neben sich auf dem Bett ausbreiten, dann widmete sie sich den restlichen Sachen. Eine Wechselhose war im Koffer, dann ihr Trinkschlauch, eine Bürste, Nadel und Faden, ihre Schleuder, ein paar kleine Gläser mit Arznei und Gewürzen und noch viel mehr kleiner Krimskrams. Sie nahm die Gewürzgläser und ihre Schleuder heraus. Es war gut, wenn die Waffe nicht zu tief im Koffer vergraben wäre, so richtig koscher waren ihr die Leute aus Drachenstern nicht. Vor allem dieses Dreiergespann an Söldnern, die sich angeboten hatten, sie nach Skaven zu eskortieren. Sie war sich nicht sicher, ob diese Jungblüter nicht auf etwas mehr aus waren als nur das Geld ihres Vaters…

    Unter den Gewürzen hatte sie eines, mit dem sich jedes noch so schreckliche Essen würzen ließ: ihr persönliches Lieblingssalz. Sie nahm es, etwas Pfeffer und das übrige Dörrfleisch, das sie in Butterpapier verpackt hatte und ging damit zu dem großen, schwarzen Topf mit der Hafergrütze, den der Wirt an die Türschwelle gestellt hat, als wäre es ein Nachttöpfchen. Vorsichtshalber vergewisserte sie sich, ob da wirklich Hafergrütze drin war, konnte sich aber schnell beruhigen. Auf was für abwegige Gedanken sie nur kam, wenn sie aufgedreht war…
    Schnell war der geschmacklose Schleim in einen herzhaften Leckerbissen verwandelt worden und da Zoé sich zumindest grundlegende, magische Fähigkeiten ihres Vaters abgeschaut hatte, dauerte es nicht lange und sie hatte den Topf mit Kraft ihrer wärmestrahlenden Finger aufgeheizt. Sie konnte es kaum erwarten, Vaters Gesicht zu sehen, wenn sie ihm diesen Leckerbissen zum Frühstück servierte.

    Behutsam horchte sie an seiner Zimmertür. Das Schnarchen hatte aufgehört, doch er war immer noch am Schlafen, er atmete leise und regelmäßig. Die marode Holztür knarzte laut, als Zoé mit dem Hintern voran und dem schweren Kessel in den Händen den Raum betrat. Elneás nahm davon keine Notiz, er drehte sich zwar wieder auf den Rücken, öffnete die Augen jedoch nicht. Dafür begann jetzt wieder das Schnarchen. Zoé stellte den Topf an die hintere Bettkante und öffnete das Fenster. Was ihr auf der Kutschfahrt nie sonderlich aufgefallen war, bedrängte sie nun sehr, da sie mit ihm in dieser kleinen Kammer war. Ihr Vater roch nach „Alter Mann“. Das machte sie ein bisschen wehleidig, immerhin war Elnéas noch keine fünfzig Sommer alt. Die lange Reise hatte ihn verändert. Am Tag seiner Ankunft in Farrun hätte Zoé ihn kaum erkannt. Die Stirn war gewachsen, hatte den Kampf gegen den letzten Haarschopf auf der Halbglatze gewonnen. Was ihm am Kopf ausgefallen war, wucherte nun an Armen, Beinen und wer weiß wo sonst noch. Auch die Sorgenfalten lagen nun tiefer, auch wenn er immer darauf beharrte, dass er sie schon seit Mutters Tod hatte. Zoé war sich sicher, dass er ihr noch lange nicht alles von seiner Reise erzählt hatte. Es musste etwas vorgefallen sein, das ihn hat noch schneller altern lassen. Er mochte es zwischen den vergilbten Seiten seiner staubigen Bücher verdrängen, doch früher oder später würde Zoé schon herausfinden, was vorgefallen war. Das war er ihr schuldig, nachdem sie ihr routiniertes Leben für dieses Abenteuer aufgegeben hatte.
    Sie setzte sich auf einen Schemel neben dem Bett, auf dem Vater fein säuberlich seine Hose zusammengelegt hatte. Darunter standen seine Sandalen und die dunkelbraunen Socken. Zoé seufzte. Vielleicht war an ihren Überlegungen gar nichts dran und er wurde wirklich langsam rüstig. Zumindest kleidete er sich auch schon wie ein Großvater.

    Sie wollte sich schon damit abfinden und ihn möglichst sanft wecken, da fiel ihr ein Buch in die Augen, das auf dem Nachttisch lag. Daneben befanden sich Schreibfeder und Tusche, vielleicht ein Tagebuch? Zoé beobachtete ihren Vater noch eine ganze Weile, dann überwog jedoch die Neugier und sie begann, in dem Buch zu stöbern. Das war unmöglich, das wusste sie, aber vielleicht fand sie ja etwas über ihre Mutter heraus, das er ihr noch nicht erzählt hatte. Zoé hatte sonst keine Erinnerungen an sie, Vater erzählte nur, sie sei dem Rüttelfieber erlegen.
    Während sie mit einem Auge die Seiten überflog, beobachtete sie mit dem anderen ihren Vater, damit er sie nicht plötzlich beim Stöbern erwischte. Was sie las, war tatsächlich so etwas wie ein Tagebuch, ein Reisebericht, um genau zu sein. Das war der heutige Eintrag:

    „Tirdas, der 18. Regenhand, 4Ä 182
    Endlich sind wir in Drachenstern angekommen, dem letzten Vorposten vor der Wüste. Ich habe dem Kutscher zweihundert Septime für die Fahrt gezahlt und noch einmal fünfzig für eine Unterkunft für Zoé und mich in der Stadt. Damit bleiben noch gut achthundert Septimen für die Weiterreise. Hoffentlich lassen die Kamelhändler mit sich feilschen. Für die Ausgrabungswerkzeuge und die Bücher brauche ich mindestens eine fünfzig Pfund Extrabesattelung. Auch die Söldner müssen bezahlt werden. Ich habe einen jungen Nord namens Olof überredet, uns bis nach Skaven zu eskortieren. Er macht mir einen etwas zwielichtigen Eindruck, aber sonst habe ich auf die Schnelle keinen anderen anheuern können. Wenn er es wagt, sich an meiner Tochter zu vergreifen, werde ich einen Atronachen auf ihn loslassen.“

    Zoé schmunzelte. Elnéas hatte diesen Kerl genauso eingeschätzt wie sie auch schon. Es war süß, wie er sich um sie sorgte. Irgendwie hoffte sie sogar, mal die Gelegenheit zu haben, Vater beim Wirken seiner mächtigen Magie zuzusehen. Er war immer sehr bescheiden und legte viel zu viel Wert auf die theoretischen Aspekte. Zoé las weiter.

    „Ich habe meinen alten Bekannten Niels getroffen. Er hat seinen Teil der Abmachung erfüllt, also will ich zusehen, so schnell wie möglich nach Skaven zu gelangen. Morgen satteln wir die Kamele. Ich hoffe, dies ist nicht mein letzter Tagebucheintrag. Die Neun mögen uns behüten.“

    Das war alles. Zoé blätterte noch ein bisschen weiter, bemerkte aber, wie ihr Vater bereits blinzelte und klappte das Buch schleunigst zusammen. Als er die Augen öffnete, saß sie kerzengerade neben ihm und lächelte wie ein Unschuldslamm.
    „Guten Morgen“, flüsterte sie mit einer leisen Melodie auf den Lippen.
    „Zoé?“, er rieb sich schlaftrunken die Augen, „Warum… warum bist du denn schon auf?“
    „Ich habe Frühstück gemacht“, sagte sie stolz und hob den Topf auf das Bett.
    Elnéas blinzelte erst auf den Topf, dann zu ihr und wieder auf den Topf.
    „Das ist lieb von dir. Aber ich habe genug von der Hafergrütze gehabt…“
    „Ich habe sie besser gewürzt, koste sie ruhig mal.“
    Sie nahm einen Löffel heraus und hielt ihn vor den Mund ihres Vaters, als wolle sie ein störrisches Baby füttern.
    „Puh… muss das sein?“
    „Jaha!“
    Er nahm den Löffel selbst in die Hand und kostete. Für einen Moment schien er ganz zufrieden, doch als er gerade im Begriff war, den Brei herunter zu schlucken, überkam ihn ein Hustenanfall. Zoé nahm ihm den Löffel ab und klopfte dann kräftig gegen seinen Rücken. Es half nichts.
    „Trinken!“, krächzte er. Sie blickte panisch durch das kleine Zimmer, erkannte in der Dunkelheit aber nichts. Er tastete wie blind seinen Nachttisch ab. Jetzt bemerkte Zoé darauf eine Feldflasche und gab sie ihm schnell. Er trank in gierigen Zügen und als er die Flasche absetzte, atmete er schwer aus.
    „Bei den Neun! Das brennt ja wie Feuer! Was hast du da ran gemacht?“
    „Nur ein paar Feuersalze“, antwortete sie empört, „Das ist lecker. Ich esse immer scharf.“
    Sie kostete auch davon, aber bis auf ein leichtes Kratzen im Hals störte sie sich nicht daran.
    „Nun… immerhin bin ich jetzt wach. Danke Zoé…“
    Er stand auf, schlüpfte in Socken und Sandalen und griff nach seinem Wams.
    „Willst du denn gar nichts essen?“, fragte sie enttäuscht.
    „Danke, meine Kleine. Ich habe noch keinen Hunger. Es ist noch zu früh. Willst du… willst du nicht rüber gehen und dich auch… angemessen kleiden?“
    Erst jetzt bemerkte sie, dass er es wieder geschickt vermied, sie in ihrem dünnen Nachthemd anzuschauen. Eingeschnappt nahm sie den Topf und ging in ihr Zimmer.
    „Und pack langsam alles zusammen. Zum Sonnenaufgang müssen wir draußen sein…“
    Als Antwort schlug sie die Tür hinter sich laut krachend in die Angeln. 
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