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    HASS Avatar von Stonecutter
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    Post [Story]Durchfall

    Das folgende Geschriebene basiert auf diesem Wettbewerb. Die im Spoiler enthaltenen Bedingungen sind mir dabei von Benutzern dieses Forums vorgegeben worden und nicht auf meinem Mist gewachsen!

    Aufgrund der zu erwartenden Absurdität der Geschichte übernehme ich keine Verantwortung für eventuell verstörende Inhalte!

    Spoiler:(zum lesen bitte Text markieren)
    Person A: König Rhobar II
    Person B: Gritta
    Person C: Baal Netbek
    Person D: Tarrok

    Grund A: Gomez hat Durchfall

    Gegenstand A: Harfe
    Gegenstand B: Pyrokinese-Rune

    Ort A: Der Schläfertempel
    Geändert von MiMo (30.03.2017 um 15:52 Uhr)

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    HASS Avatar von Stonecutter
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    Stonecutter ist offline
    Vorgabe 1

    Spoiler:(zum lesen bitte Text markieren)
    Wegen Grund A kehrt Person A nach einer langen Zeit zurück. Bei seiner Rückkehr wird Person A von einem unerwarteten Ereignis überrascht, bei dem Person B eine nicht unwichtige Rolle spielt.




    „Euer Majestät“, sagte Markus, gesalbter Paladin und Anführer der Leibwache des Herrschers von Myrtana, König Rhobar II, während er sein Haupt knapp neigte. „Die Seeleute melden , dass wir die Insel erreicht haben.“
    König Rhobar nickte. Wortlos erhob er sich aus seinem schweren roten Ledersessel und verließ die luxuriös eingerichtete Kajüte. Markus folgte ihm. Der Rest des Schiffes war mit dem Raum, in dem der Regent die letzte Woche gelebt hatte, kaum zu vergleichen. Der Kapitän hatte es zwar in gutem Zustand gehalten, doch wenn Markus sich an die gute alte Myrtanas Zorn, Rhobars prächtiges Flaggschiff und Stolz der gesamten Flotte, zurück erinnerte, fiel es ihm schwer, die positiven Eigenschaften der wesentlich kleineren Fregatte Macht von Faring hervorzuheben. Leider war die Myrtanas Zorn zwei Monate zuvor während eines Seegefechtes mit den Orks versenkt worden. Bei der Macht von Faring hatte es sich um das derzeit einzige verfügbare Schiff im vengarder Hafen gehandelt, das in der Lage gewesen war, die Reise nach Khorinis anzutreten.
    „Nicht mehr lange und wir können diesen ollen Kahn endlich verlassen, was, Michael?“, meinte Rhobar in wenig angemessener Sprache, während er das Deck betrat. Markus ging schweigend hinter ihm her. Er hatte sich bereits damit abgefunden, dass sich der König trotz seiner mittlerweile vier Jahre andauernden Eigenschaft als Leibwächter noch immer nicht an seinen Namen erinnern konnte.
    „Dreckiges Boot. Und so was soll die Macht von Faring demonstrieren?“, fuhr der König fort. Markus ließ dies ebenfalls unkommentiert. Ansonsten wäre ihm möglicherweise versehentlich herausgerutscht, dass der wahre Name des Schiffes eigentlich Innos' langer Schwanz gelautet hatte. Ursprünglich war es im Besitz einer nicht gerade gottesgläubigen Söldnergruppe gewesen. Um die angeschlagene königliche Flotte wieder etwas zu erweitern, war es erst vor kurzem von den Söldnern abgekauft und umbenannt worden. Markus hielt es für klüger, den König besser nicht darauf hinzuweisen.
    Eine starke Windbö zerzauste Markus' Haare. Tatsächlich, sie hatten die Insel erreicht. Die Seeleute trafen alle Vorbereitungen, um das das Schiff an den Hochseehafen anlegen zu lassen: Segel wurden eingeholt, Taue verknotet und insgesamt wusste der Paladin gar nicht, was da überhaupt geschah. Er verstand nichts von der Seefahrt.
    Sehr wohl konnte er aber die Menschen am Kai erkennen, die sich dort nach und nach versammelten und die Fregatte mit offenen Mündern beglotzten. Schiffe mit königlichen Gästen wurden hier anscheinend nicht sehr oft gesehen.
    Mit einer Eskorte von fünfzehn Paladinen, Markus dabei immer an seiner Seite, trat König Rhobar über die breiten Holzplanken, über die ein roter Teppich ausgerollt lag, vom Schiff. Auf die sonst üblichen Trompetenbläser hatte er verzichtet. Einige der Paladine drängten dabei den gemeinen Pöbel zur Seite und hielten ihn auf Abstand.
    Etwas an der Sache kam Markus merkwürdig vor. Die Leute hier gafften und tuschelten einfach nur, aber die erwarteten Jubelschreie und der Applaus blieben aus. Das konnte nur bedeuten, dass die Menschen hier nicht gerade zufrieden unter der Herrschaft Rhobars waren. Er musste auf der Hut sein.
    „Wo... weg da... Lasst mich gefälligst durch... autsch, Harad, geh mir aus den Weg! Bei Innos, ich muss...“ Markus sah auf. Ein Mann in feiner Kleidung kämpfte sich durch die Menge. Als er es geschafft hatte und den König erblickte, senkte er demütig sein Haupt.
    „Euer Majestät“, begann er. „Willkommen auf Khorinis, einem Eurer ergebensten Untertanen, ähm...“ Er suchte händeringend nach Worten. Markus musste grinsen: Überraschungsbesuche des Königs liefen oft so ab, dass dem gänzlich unvorbereitetem Vertreter stets die angemessenen Worte fehlten.
    „Also.. mein Name ist Larius, ich bin der Statthalter dieser bescheidenen Hafenstadt und euch stets zu Diensten, Euer Durchlaucht... Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um–“
    „Das genügt“, unterbrach ihn der König. „Larius, zeigt uns doch unsere Ankunft.“
    „Gewiss, Euer Majestät“, sagte Larius, der sich erneut verbeugte. „Wir werden Euch im Rathaus unterbringen.“

    König Rhobar II, Statthalter Larius sowie die beiden Magier Daron und Vatras saßen an jenem Abend im Rathaus in großen Sesseln mit einigen Flaschen Wein am Kaminfeuer und sprachen über die gegenwärtigen politischen Situationen in der Welt. Markus stand schweigend an der Seite seines Königs und hing seinen eigenen Gedanken nach. Gut, dass er sich mit seiner Sänfte durch die Stadt tragen ließ. Einige von den Leuten sahen aus, als hätten sie ihn am liebsten gelyncht. Und er musste sich nicht durch den Dreck bewegen... Khorinis ist schmutziger und stinkender, als ich dachte.
    Auch das ihnen servierte Abendbrot war nicht gerade eines Königs würdig gewesen. Es gab zähes Hammelfleisch mit Kartoffeln und Rüben, dazu einige Pilze. König Rhobar hatte sich daraufhin etwas von den mitgeführten Köchen aus Vengard zubereiten lassen, was Larius natürlich zu einer langen Tirade von Entschuldigungen veranlasst hatte. Alles in allem war es kein besonders königlicher und angemessener Empfang, den man dem Herrscher Myrtanas zukommen ließ.
    „Um auf den Grund meines Besuchs zurückzukommen“, sagte König Rhobar soeben gelangweilt. „Ich wollte mir selbst ein Bild davon machen, wie das so mit den Erzlieferungen ist. Ihr wisst ja, dass diese Insel aufgrund des magischen Erzes von enormer Bedeutung für unseren Krieg gegen die Orks ist. Sie stehen bereits kurz vor Geldern.“
    Larius nickte wissend.
    „Dennoch musste ich hören, dass die allmonatlichen Lieferungen immer kleiner ausfallen. Sagt mir, Larius, wie kommt das? Wozu habe ich damals die Einrichtung dieses Gefängnisses angeordnet und dabei zwölf meiner fähigsten und mächtigsten Magier, die mir nun im Krieg gegen die Orks fehlen, verloren? Wo bleibt mein Erz?
    „Das ist... äh... kompliziert, Euer Majestät“, antwortete Larius, dem der Schweiß von der Stirn lief. Er war der Sache, in Anwesenheit von noch mächtigeren Personen als er selbst zu agieren, offenbar nicht gewachsen. „Nun, die Gefangenen schürfen weniger, also...“
    „Wie kann das sein?“, fragte der Herrscher scharf. „Wir bringen immer mehr und mehr Gefangene hierher, wieso gibt es dann weniger Erz?“
    „Naja“, mischte sich Daron ein. „Offenbar gibt es im Minental mehrere Parteien, Euer Majestät. Wir wissen nicht viel, da nur wenige Nachrichten an die Außenwelt durchdringen, aber es scheint sich um mindestens drei große miteinander konkurrierende Fraktionen zu handeln. Und nur eine davon liefert Erz zur Austauschstation.“
    „So ist es, Euer Majestät“, bestätigte Larius kräftig nickend. „Der Anführer, sein Name ist Gomez, lässt das Erz, das seine Leute abbauen, zu uns abgeben. Dafür erhält er Waren im Austausch.“
    „Und die anderen beiden?“, hakte König Rhobar nach und nahm einen Schluck Rotwein zu sich. „Was machen die?“
    „Nun, die... die... wir wissen es nicht, Euer Majestät“, gab der Statthalter zerknirscht zu. „Die scheinen sich alle nicht gut zu verstehen. Viele der Gefangenen, die in das Minental geworfen werden, schließen sich anscheinend einer der anderen Fraktionen an.“
    „Und warum habe ich bislang nie etwas davon erfahren?“, fragte der Regent mit immer lauter werdender Stimme. „Warum unternimmt da niemand etwas?“
    Larius' Kopf wurde rot. „Wir können nichts dagegen tun, Euer Majestät“, sagte er leise. „Wir haben keinen Einfluss auf die Vorgänge im Minental. Wir... wir können doch keine Kompanie unserer Leute zwingen, da für Ordnung zu sorgen!“
    Markus schüttelte langsam den Kopf. Es war keine gute Idee, so etwas vor dem König zu äußern; der würde möglicherweise darüber nachdenken und diesen Vorschlag sogar für gut erachten.
    „Wann ist die nächste Erzlieferung?“, erkundigte sich König Rhobar. „Vielleicht bläut es diesen unverschämten Gefangenen etwas Respekt ein, wenn der König zu ihnen spricht.“
    Markus behielt den Gedanken für sich, dass dies sinnlos war – schließlich wären die Gefangenen, die das Erz brächten, nicht diejenigen, zu denen der König sprechen musste. Abgesehen davon bezweifelte der Paladin, dass de Inhaftierten besonders viel Respekt für den Menschen, der verfügt hatte, sie auf Lebenszeit in ein Tal voller Schwerverbrecher einzusperren, übrig hatten.
    „Nun“, entgegnete Larius nervös, „eigentlich morgen. Doch die Situation ist wohl etwas delikater, als es Euer Majestät bewusst ist...“
    Was ist los?“, rief der Vereiniger der vier Reiche und knallte seinen Weinkelch so stark auf den hölzernen Schemel vor ihm, dass dieser beinahe zersplitterte. „Was heißt ,eigentlich'?“
    Larius zuckte zusammen. „Euer Majestät, es ist so... Die Leute dieses Gomez', sie haben unserer Stadtmiliz beim letzten Warenaustausch lediglich einen schönen Tag gewünscht und kein Erz herausgerückt, weil... weil...“ Der Mann sah sich hilfesuchend um. „Weil irgendein Nahrungsmittel, das wir letztens runtergegeben hatten, verdorben gewesen sein muss. Dieser Gomez, er leidet jetzt wohl unter... naja...“ Er sah flehend Vatras an, der jedoch seinen Blick abwandte. „Unter... unter massiven Durchfällen. Jetzt ist er, nun, ein bisschen wütend auf uns und –“
    Soll das ein Scherz sein?“, brach König Rhobar aus und fegte mit der rechten Hand eine Weinflasche zur Seite. „Es gibt kein Erz für unsere Truppen, weil sich ein einziger dämlicher Verbrecher die Seele aus dem Leib scheißt? Und Ihr Idioten seid nicht in der Lage, etwas dagegen zu unternehmen? Wir haben zwölf mächtige Magier da drinnen! Dieses verfluchte Minental ist für die Existenz unseres Reiches absolut notwendig und Ihr wollt mir weismachen, dass es nichts gibt, um die Lage zu kontrollieren - während ein Gefangener seinen Stuhl nicht halten kann?
    Markus trat einen Schritt zurück. Die Anwesenden im Raum mochten darüber schockiert sein, von ihrem König angebrüllt und beschimpft zu werden, doch Markus kannte die gelegentlichen Wutausbrüche Rhobars. Es würde nicht lange dauern und er hätte sich wieder beruhigt – wenn man ihn einfach etwas schreien ließ und keinen weiteren Zündstoff lieferte. Glücklicherweise wagte es niemand, sich während des Wutanfalls einzumischen oder zu rechtfertigen.
    „In Ordnung“, keuchte König Rhobar einige Minuten später. „In Ordnung. Alles ist in Ordnung. Wisst ihr was? Wir sollten jetzt alle schlafen gehen und uns beruhigen. Und morgen“, er sah Larius streng an, „werden wir gemeinsam zum Minental gehen und diese Angelegenheit klären.“

    Markus sah die magische Barriere bereits von weitem. Die blau funkelnde und blitzende Kuppel erhob sich verhängnisvoll über die Berge. Der Paladin vernahm ein lautes Donnergrollen.
    „Wir sind bald da, Euer Majestät“, erklärte Larius laut atmend dem Regenten, der sich mit einer kleinen Kutsche zum Minental fahren ließ.
    Markus und zehn weitere Paladine begleiteten den König. Zwar hielten sich die Gefangenen auf der anderen Seite der Barriere auf, doch sicher war sicher. Sie alle befanden sich an der Spitze des Konvois, der Vorräte und Gerätschaften, vor allem Werkzeuge wie Spitzhacken, Hämmer oder Seile, beförderte und neben den Paladinen auch von mehreren Arbeitern und fünfzehn einfachen Milizsoldaten eskortiert wurde. Markus fragte sich, warum die Stadt überhaupt noch weiter lieferte. Er hatte versucht, seinen König von diesem Vorhaben abzuhalten. Er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache, doch wenn sich der König etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte man es ihm nicht mehr ausreden.
    Sie hatten den Austauschplatz erreicht. Vor ihnen lag eine Klippe, an deren Fuß sich ein kleiner Teich befand. Markus sah eine hölzerne Konstruktion, über die man mithilfe einer Winde offenbar eine Plattform zu beiden Seiten durch die magische Barriere fahren lassen konnte. Auf der anderen Seite standen einige Männer in dunklen roten Rüstungen und starrten auf die Neuankömmlinge, die sich weit über ihnen befanden. Das mussten die Leute dieses Anführers, der unter Durchfällen litt, sein.
    König Rhobar stieg von der Kutsche ab. Gemeinsam mit Markus näherte er sich der Barriere und blickte über das vor ihm liegende Tal. „Vor einer Ewigkeit...“, begann er langsam seufzend. „... war ich schon einmal hier, dreißig Jahre muss es mindestens her sein... Siehst du die Burg dahinten, Marius?“ Markus nickte knapp. „Dort war ich zu Gast bei... bei... ja, bei wem war das denn überhaupt? Irgendein unwichtiger Graf vermutlich.“
    „Euer Majestät, lasst uns lieber einige Schritte von dieser Barriere wegtreten“, meinte Markus. Die blaue Kuppel ragte wenige Meter vor ihnen in die Höhe. „Ich fühle mich nicht wohl dabei, Euch in der Nähe dieses Gefängnisses zu wissen.“
    Rhobar lachte. „Ach, mein guter Moritz. Keine Sorge, es wird schon nichts passieren.“
    „Ein falscher Tritt könnte fatal sein“, gab Markus zu bedenken.
    „Ach, ich weiß schon, warum ich einen so fürsorglichen Paladin als obersten Leibwächter wählte“, meinte der Monarch. „Es sollte... Larius, was geht da vorne vor sich?“, fragte er an den Statthalter gewandt.
    Markus folgte dem Blick des Königs. Zwei Milizsoldaten zerrten einen Mann, der sich mit Händen und Füßen wehrte, in Richtung der Barriere. Ein weiterer Soldat hielt eine junge Frau fest, die nun laut zu kreischen begann. „Nein, bitte tut es nicht, ihr Mistkerle!“, rief sie, während sie verzweifelt versuchte, sich zu befreien. „Ihr könnt das nicht tun, ihr dürft das nicht tun!“
    Larius zuckte die Achseln. „Nur ein Verurteilter, der in die Barriere geworfen wird“, erläuterte er. „Die Frau da, ich glaube sie heißt Gritta. Die Nichte des Tischlers. Seine Verlobte, so weit ich weiß. Weiß Innos, wo die plötzlich herkommt. Die muss dem Konvoi gefolgt sein.“
    Markus und sein König beobachteten, wie die Milizsoldaten den schreienden Mann schließlich mit einem kräftigen Schwung über die Klippe schleuderten. Die Barriere blitzte und knisterte kurz auf, als der Körper sie passierte. Kurz darauf ertönte ein lautes Platschen. Der Soldat ließ Gritta daraufhin frei, die in Richtung der Klippe lief und schluchzend hinunter blickte.
    „Ja, so läuft das mit den Unruhestiftern“, sagte Larius. „Wer Verbrechen begeht, kommt ins Minental. So einfach ist das.“
    Markus sah vorsichtig nach unten. Er durfte sich nicht zu weit nach vorne beugen, sonst würde ihn das Gewicht seiner Rüstung möglicherweise über die Klippe ziehen... und er wäre für immer von der Welt, die er kannte, abgeschnitten.
    „Du! Du warst es!“, ertönte eine Frauenstimme, gefolgt von schnell aufeinanderfolgenden Tritten. „Du bist Schuld daran, dass mein Bartok jetzt gefangen ist, du und dein verdammtes Erz!“
    In Markus' Kopf läuteten sämtliche Alarmglocken. Das war nicht gut, nein, das war ganz und gar nicht gut... Er erhob sich wieder und wandte sich um – zu langsam. So sehr die Rüstung ihn im Kampf schützen mochte, wendig war er darin nicht. Während seiner Drehung erfasste er die Situation. Diese Gritta rannte geradewegs auf den König zu. Die Paladineskorte, die sich immer dezent im Hintergrund hielt – es war einst ein ausdrücklicher Befehl des Königs gewesen, dass sich lediglich Markus in seiner unmittelbaren Umgebung aufhalten durfte – war etwa zehn Meter entfernt. Zu weit. Die Milizsoldaten waren mit dem Konvoi beschäftigt. Larius stand regungslos da und Markus selbst – befand sich auf der falschen Seite des Königs.
    Majestät!“, rief er aus, während Gritta mit dem König kollidierte und Markus nach ihm griff, um ihn zur Seite, möglichst weit weg von der Klippe und dem blauen Unheil zu schleudern. Seine gepanzerten Handschuhe griffen ins Leere. Entsetzt sah er wie in Zeitlupe, wie König Rhobar II, Vereiniger der vier Reiche, Träger des Zepters von Varant, über den Abgrund kippte. Markus sprang und versuchte die Robe des Mannes, den zu schützen er geschworen hatte, zu packen. Einen Augenblick lächelte er, als er die Robe spürte – alles würde gut werden. Er würde König Rhobar zurück in die Sicherheit ziehen. Er hatte seine Pflicht erfüllt.
    Im nächsten Moment spürte er, wie er fiel.
    Geändert von Stonecutter (10.06.2014 um 21:06 Uhr)

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    HASS Avatar von Stonecutter
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    Vorgabe 2

    Spoiler:(zum lesen bitte Text markieren)
    Wegen dem unerwarteten Ereignis versucht Person C nun Person A zu finden. Bei sich führt Person C Gegenstand A.




    Diese verdammte Rüstung. Sie war hergestellt worden, um sein Leib und Leben zu schützen. Nun würde sie ihn töten. Markus war absolut hilflos. Wie ein Stein war er nach dem Aufschlag auf die Wasseroberfläche hinab gesunken. Dieser Tümpel war ja nicht einmal besonders groß oder tief. Aber dank seiner schweren Paladinrüstung würde er nun sein Grab werden. Markus hatte keine Chance, sich ans nahe Ufer zu begeben oder die Rüstung abzulegen. Der Helm war ihm zwar irgendwo im Wasser verloren gegangen, aber es herrschte zu viel Widerstand, als dass er sich vernünftig bewegen konnte, um andere Teile abzuschütteln. Und er merkte, dass er die Luft nicht länger würde anhalten können.
    Ich habe versagt, dachte er, womöglich das letzte, was er je denken würde. Meine einzige Pflicht war es, König Rhobar zu beschützen. Ich habe versagt.
    Es war so weit. Er konnte nicht länger aushalten. Sein Mund öffnete sich und er spürte, wie das Wasser in ihn strömte... und plötzlich umgab ihn ein frischer, kühler Wind. Markus hustete und nahm im Anschluss einen großen Atemzug ein, der ihn erneut husten ließ. Er lebte. Er war nicht mehr im Wasser.
    „Na sieh mal einer an“, ertönte eine kratzige Stimme. „Was haben wir denn hier schönes geangelt?“
    Erst jetzt wurde Markus bewusst, dass ihn einige kräftige Hände gepackt hatten. Sie gehörten zu einer Gestalt in roter Rüstung und mit bösartig wirkendem Grinsen. Wer auch immer dieser Kerl war, er musste ganz schön kräftig sein, wenn er einen Mann samt vollgelaufener schwerer Rüstung aus dem Wasser ziehen konnte.
    „Das ist ja mal ein dicker Fang. Dann is' das da vorne sicher dein Kumpel, ja? Dieser weißhaarige Sack!“
    Der Paladin erbleichte. Andere Männer, die ebenfalls diese roten Rüstungen trugen, hatten sich um König Rhobar geschart, der klatschnass am Ufer lag. Einer dieser brutalen Kerle trat ihm soeben in das königliche Gesäß.
    „Bei der Macht –“, setzte Markus an, doch gingen seine Worte in erneutem Husten unter. „Bei der Macht von Innos, wisst ihr eigentlich, wen ihr da vor euch habt?“
    „Klar. Eine Konservenbüchse und 'nen alten Hansel, die haben wir hier!“, antwortete der Mann. „Ihr seid jetzt Gefangene in der Kolonie. Das macht euch zu nichts besserem als uns!“
    „Das“, erklärte Markus, während er sich langsam aufrichtete, „ist König Rhobar II, Vereiniger der vier Reiche, Träger des Zepters von Varant! Lasst auf der Stelle von ihm ab oder –“
    „Oder was?“, grinste der Typ hämisch, während Markus verzweifelt nach seinem Schwert suchte. Er musste es beim Sturz verloren haben oder jemand hatte es sich bereits unter den Nagel gerissen. Auf seinen ungestümen Versuch hin, zu seinem Regenten zu gelangen, stellte sich ihm der Mann in den Weg und hielt ihn mit eisernem Griff fest. „Hey, hört mal her, Jungs! Wir ham' hier 'nen König!“, rief er seinen düsteren Spießgesellen zu. „Behandelt ihn fürstlich! Vielleicht erlässt er ja unsere Strafe!“
    „Euer Majestät!“, schrie eine Markus' bekannte Stimme. Er sah nach oben und erkannte den Statthalter Larius sowie die Paladineskorte, die oben an der Klippe standen und hilflos auf sie herunter starrten. „Euer Majestät! Hilfe, tu doch jemand etwas!“
    Der Insasse sah etwas verwirrt auf die Menschenansammlung und richtete die Augen schließlich auf den König, der noch immer einiges an Schlägen einstecken musste. „Moment mal“, raunte er. „Hey, Jungs, lasst den alten Scheißer doch mal kurz in Ruhe. Ist das echt... Kann das wirklich...?“ Er pfiff laut. „Ja, wo gibt’s denn so was! Ist das tatsächlich unser geliebter König? Hör auf, ihm auf die Rübe zu hauen, Fletcher. Wenn das wirklich der Mistkerl sein sollte, dank dem wir hier drin sind, sollten wir ihm Gomez am besten in einem Stück präsentieren!“
    „Bei Innos, ihr da oben, ihr gehört zur Leibwache des Königs!“, brüllte Markus seine Kameraden an. „Kommt gefälligst her und schützt euren Herrscher!“
    Die Paladine schienen nicht auf ihn zu hören und liefen lediglich ziellos den Rand der magischen Barriere entlang. Niemand wagte sich hindurch. „Wir können nicht!“, rief einer mit verzweifelter Stimme. „Wir kommen doch nicht wieder raus!“
    Das ist irrelevant!“, schrie Markus, der erfolglos versuchte, sich von seinem Gegenspieler loszureißen. „Feiglinge! Allesamt! Ihr habt geschworen, den König zu schützen, ohne wenn und aber! Ich befehle es euch, tretet durch die Barriere! Das ist Hochverrat! Das wird euch allen den Kopf kosten! Ich werde persönlich dafür sorgen, dass ihr alle –“
    „Ich glaube, das reicht“, unterbrach ihn der Gefangene, ließ einen schweren Knüppel auf Markus' Birne niederprallen und es wurde schwarz um ihn.

    „Kommt, meine Freunde!“, rief Baal Netbek und lief fröhlich durch den Sumpf, während seine nackten Füße den Schlamm nur so spritzen ließen. Er dabei sah über die Schulter und stellte erfreut fest, dass ihm einige der hohen Blumen mit den großen blauen Blütenblättern folgten. „Ja, so ist es richtig! Nur gemeinsam können wir unser Ziel erreichen!“
    Er erreichte die Holzplanken, die feste Wege durch den Sumpf bahnten. Gemeinsam mit seinen Freunden rannte er über die dicken Bohlen an den Hütten der engstirnigen Novizen des Sumpfes vorbei. Sie mochten ihn nicht, keiner von ihnen. Sie hielten ihn für verrückt. Das kümmerte ihn jedoch nicht, da im Sumpf all die Wesen lebten, die ihn liebten.
    Schließlich erreichte Netbek eine ganz besondere Hütte, neben der ein behelfsmäßiger Stand aufgebaut war, hinter dem sich ein weiterer glatzköpfiger Novize befand. Er schien nicht gerade glücklich über die Anwesenheit von Baal Netbek zu sein, da er laut und auffällig seufzte, als er ihn sah, doch dies konnte auch an den Blumen liegen. Die Bewohner des Sumpflagers waren sie eben nicht gewohnt.
    „Der Schläfer erwache! Morgen, Netbek“, sagte er langsam. „Was gibt’s?“
    „Der Schäfer erwache! Einen wunderschönen guten Morgen auch dir, Fortuno“, antwortete der Guru des Sumpfes. „Heute ist ein so schöner Tag, dass ich mal darüber hinweg sehe, dass du mich nicht mit meinem Titel angeredet hast!“
    „Aber du bist kein... ach was soll's. Baal Netbek.“
    „Nun, ich bin hier, um die tägliche Sumpfkrautration abzuholen!“, erklärte Netbek mit strahlenden Augen.
    „Alles klar.“ Fortuno bückte und erhob sich anschließend mit einigen Sumpfkrautstängeln in der Hand. „Hier. Bitte sehr. Schönen Tag noch, Baal Netbek.“
    „Moment mal“, erwiderte Netbek kritisch. „Nur drei?“
    „Ja, das ist die tägliche Ration“, meinte Fortuno seufzend. Netbek schüttelte mit dem Kopf. Dieser Novize war ganz schön unhöflich.
    „Und was ist mit meinen Freunden?“, fragte Netbek, ging einen Schritt zur Seite und deutete auf die vier mannshohen Blumen, die nun traurig den Kopf hängen ließen. Eine vergoss sogar Nektar. Nie dachte jemand an sie. „Siehst du“, sagte Netbek enttäuscht, „Jetzt hast du sie zum Weinen gebracht.“
    „Äh...“ Fortuno kratzte sich am Kopf. „Blumen? Ach, diese Blumen!“ Er grummelte etwas Unverständliches vor sich hin. Netbek wartete geduldig ab. „Weißt du... also ich dachte, es wäre nicht angebracht, verstehst du, Net... Baal Netbek? Ich meine, dass Pflanzen andere Pflanzen rauchen und so... Ich meine, wir essen ja auch keine Menschen, oder? Zumindest hoffe ich das. Manchmal schmeckt der Eintopf hier echt etwas merkwürdig, also...“
    „Keine Sorge“, erläuterte Netbek. „Diesen Blumen macht das nichts aus. Sumpfkraut ist nichts weiteres als Unkraut für sie.“
    „Ja nun“, nuschelte Fortuno. „Trotzdem... also ich habe Anweisung, nur an unsere Novizen... und an dich, Baal Netbek... Kraut auszugeben. Ich darf da leider keine Ausnahmen machen, verstehst du? Wenn Cor Kalom was davon mitbekommen würde...“
    „Ich verstehe schon, Fortuno“, sagte Netbek gekränkt. „Wenn wir diesen Sumpf erstmal in die schöne grüne Blumenwiese verwandelt haben, erwarte dann bloß nicht von mir, dass du mit den gleichen Privilegien ausgestattet wirst, die du jetzt schon hast. Kommt, meine Freunde!“, fügte er an die Blumen gewandt hinzu. „Macht euch nichts draus, wir teilen uns das Sumpfkraut!“
    Sie verließen den erleichtert wirkenden Fortuno und machten sich wieder auf den Weg. Sie hatten heute noch viel vor, die großen Bäume warteten bereits auf sie. Plötzlich hörten sie die Gesprächsfetzen einer Gruppe Novizen, die sich miteinander unterhielten.
    „Wirklich, es heißt, er sei in die Barriere gefallen!“
    „Was, König Rhobar, das alte Arschloch, ist hier?“
    „Nur Gerüchte. Alles erfunden. Als ob die 'nen hohes Tier wirklich hier reinschmeißen.“
    „Aber General Lee ist auch da...“
    „Und die Magier!“
    „Quatsch, die waren vorher schon hier, du Hornochse!“
    „Ich sag's euch, ich hab ihn gesehen! Den Rhobar, einen seiner Ritter und noch so'n Typ, die Gardisten haben sie vor zwei Tagen ins Alte Lager geschleppt!“
    „Überdosis Sumpfkraut.“
    „Ich schwöre es beim Schläfer, er war's!“
    „Ghorim hat's auch gesagt, er war gestern oben beim Austauschplatz. Da war alles voller hektischer Paladine auf der anderen Seite! Das muss doch was bedeuten, oder?“
    „Rhobar ist aber nicht von den Gardisten abgeführt worden. Er hat irgendwo ein geheimes Lager aufgeschlagen und plant etwas Fürchterliches.“
    „Talas sagt, der König will das Neue Lager angreifen...“
    Baal Netbek hatte angehalten und sich alles mit angehört. König Rhobar in der Barriere? Das eröffnete ihm völlig neue Möglichkeiten. Er war mit seiner Mission völlig auf sich allein gestellt, außer seinen Freunden, den Blumen und Bäumen, hatte er niemanden. Mit dem König auf seiner Seite sah dies aber anders aus. Vielleicht konnte er Netbek ja unterstützen – und mit einem königlichen Fürsprecher wäre alles wesentlich einfacher. Der Beschluss war gefasst, die ursprüngliche Tagesplanung verworfen.
    „Auf auf!“, rief er, zog seinen einzigen materiellen Besitz, eine kleine Harfe, aus einer lockeren Halterung, die mit einfachen Gurten um den Oberkörper am Rücken befestigt war, hervor und begann an den Saiten zu zupfen, während er los rannte. Die Novizen blickten ihn nur verwirrt an. Netbek lief auf den Ausgang des Sumpflagers zu, ließ Lester und seinen Kollegen Baal Namib zurück und fühlte plötzlich das weiche, frische Gras unter den Füßen. Fröhlich klimperte er takt- und melodielos vor sich hin, während die Blumen und zu seiner freudigen Überraschung jetzt auch eine junge Eiche ihm folgten.
    Da er noch keinen wirklichen Anhaltspunkt hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als das Alte Lager aufzusuchen. Die Gardisten waren immerhin für den Warenaustausch mit der Außenwelt verantwortlich, also würde er dort am ehesten etwas erfahren. Er war gespannt, wie es im Lager wohl aussah, da er selbst noch nie betreten hatte. Aber es war schön, wieder einmal ohne das drückende und feuchtheiße Klima im Sumpf über die Ebenen zu laufen. Die Sonne strahlte auf seinen nackten Oberkörper und er fühlte sich frei. Als schließlich die großen Palisaden in Sichtweite kamen, wurde ihm doch etwas mulmig zumute, aber immerhin waren seine Freunde ja bei ihm.
    Sie näherten sich dem großen Tor auf der Südseite. Einige Gardisten hielten dort Wache und beobachteten sie skeptisch.
    „Der Schläfer erwache, meine Freunde!“, eröffnete Baal Netbek das Gespräch. Die Gardisten reagierten darauf jedoch nicht und blickten ihn mit kalten Augen an.
    „Nun, sicherlich fragt ihr euch, was ich hier mache. Das ist ganz simpel: ich bin auf der Suche nach König Rhobar, daher würden wir gern euer Lager betreten!“
    „Wir...?“, entgegnete der vorstehende Gardist, der eine schwere Rüstung trug, und zog eine Augenbraue hoch.
    „Ja, meine Freunde hier und ich“, antwortete Netbek freundlich.
    „Rhobar?“, fragte ein anderer Gardist. „Wer sagt, dass wir hier einen Rhobar haben?“
    „Mein Instinkt“, meinte Netbek. „Dürfen wir also eintreten?“
    „Kommt drauf an. Hast du Erz?“
    „Nein“, antwortete Netbek bestürzt, hatte dann aber eine Idee. „Ich kann euch allerdings das hier anbieten!“ Er zog die drei Sumpfkrautstängel, die er von Fortuno erhalten hatte, hervor. „Wie wäre es damit?“
    Der Gardist nahm sie, schnupperte einmal daran und fing an zu lachen. „Na dann, Glück gehabt! Heute habe ich mal 'ne gute Laune. Liegt vielleicht daran, dass wir den bekloppten König haben. Geh ruhig rein.“
    „Meinst du echt, wir sollten...“, sagte einer der Gardisten, doch wurde von seinem Vorsteher unterbrochen. „Ach, wie kann dieser bescheuerte Sektenspinner unserem Lager schon gefährlich werden?“
    Dies fand Netbek zwar nicht besonders nett, doch er hielt lieber den Mund und beschloss, sein Glück nicht weiter auszureizen. Er würde lieber jemand anderen fragen, wo er den König finden könne, und trat ins Lager.
    Es stellte sich heraus, dass es für Netbeks Gruppe um einiges schwieriger war, an Informationen zu gelangen, als gedacht. Er hatte sich vom Tor aus zunächst nach links gewandt und somit direkt den Marktplatz des Lagers erreicht. Doch es war kaum etwas zu erfahren. Dass sich der König Myrtanas hier irgendwo aufhalten solle, war allenfalls ein Gerücht. Laut einem Schatten war König Rhobar mit einer ganzen Kompanie Paladine in die Kolonie einmarschiert und habe einen Vorposten in der Trollschlucht eingerichtet, von wo aus er einen Feldzug gegen das Neue Lager starten wolle, da sie kein Erz lieferten. Ein anderer Schatten bestätigte diese Geschichte teilweise, erklärte allerdings, dass Rhobars Ziel darin lag, die magische Barriere von innen zu zerstören. Zwei Buddler waren der Meinung, dass lediglich ein als Rhobar verkleideter Schauspieler in die Barriere geworfen worden war, um für Verwirrung im Minental zu sorgen. Der Guru hörte auch Erzählungen darüber, dass der Krieg verloren und Rhobar in die Kolonie geflüchtet war, da er nur hier vor den Orks sicher sei. Oder dass es eine Revolution gegeben habe und man sich des Königs einfach entledigt hatte. Ein zwielichtig wirkender Schatten sagte, er könne ihm konkrete Informationen über den Aufenthaltsort Rhobars verkaufen, doch darauf ließ sich der Baal nicht ein. Abgesehen davon, dass er dem Schatten nicht vertraute, besaß er sowieso kein Erz und seine Harfe würde er nicht dafür eintauschen.
    Letztendlich trafen Netbek und die Eiche – die Blumen waren mittlerweile in einem anderen Teil des Lagers unterwegs, um sich dort umzuhören – auf zwei einigermaßen seriös wirkende Buddler. Sie gaben an, Augenzeugen davon gewesen zu sein, dass zwei Tage zuvor der Gardistentrupp tatsächlich König Rhobar II und einen Ritter durch das Nordtor hereingebracht hatte und direkt in die Burg weiter marschiert war. Es seien zu dem Zeitpunkt wenige Menschen am Nordtor gewesen und die Gardisten hätten versucht, die Tatsache zu verheimlichen, dass man hochgeborene Gefangene habe, doch irgendjemand quatsche schließlich immer.
    Dass sich Rhobar in der Burg aufhielt, erschien auch Ball Netbek im Endeffekt am plausibelsten. Doch wie sollte er hinein gelangen? Er würde sich etwas einfallen lassen müssen. Er sah zur Eiche, die aber auch nur ratlos mit den Ästen zuckte.
    Geändert von Stonecutter (10.06.2014 um 21:05 Uhr)

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    Rückblende: Person A stattet Ort A einen Besuch ab, mit dem Vorhaben sich Gegenstands A zu bemächtigen.




    Markus fühlte sich schrecklich. Dies lag weniger an der Tatsache, dass er so nackt wie Innos ihn erschaffen hatte mit den Händen am Rücken gefesselt in einer kleinen Kerkerzelle eingesperrt worden war, sondern vielmehr daran, dass er seine Pflicht, seinen heiligen Eid, nicht erfüllt hatte. Der König schien bereits so gut wie tot. Er lag ebenfalls in dieser Zelle, durch ein kleines vergittertes Loch hoch oben im Raum fiel etwas Licht auf das Gesicht seines Herrschers. Es war vor Qualen verzerrt und ausgemergelt.
    Markus hatte in seinem durch Kämpfe geprägtes Leben bereits einiges durchmachen müssen; einem König hingegen mangelte es an nichts. Rhobar war nicht einmal annähernd jemals in eine verzwickte Situation gelangt und somit traf es ihn nun härter als die Faust eines Trolls. Er war schon ein gebrochener Mann, bevor die wahre Folter überhaupt erst begonnen hatte. Und dass sie noch kommen würde, dessen war sich Markus sicher. Was sonst würden die Verbrecher hier mit dem Mann, der veranlasst hatte, sie alle für den Rest ihres Lebens zur Zwangsarbeit zu verdammen, anstellen? Diese Zelle war erst der Anfang.
    Dieser Gomez schien ein brutaler, skrupelloser und kompromissloser Mensch ohne jedes Gewissen zu sein, wenn man nach dem ging, was er von den Kerlen, die Gardisten genannt wurden, aufgeschnappt hatte. Die beiden Gefangenen selbst hatten ihn noch nicht getroffen. Denn auch diese Gardisten hatten sich untereinander verhalten über die pikante Situation ihres Bosses amüsiert: die Geschichte, dass er unter massivem Durchfall leide, entsprach allem Anschein nach tatsächlich der Wahrheit. Und sicherlich würde Gomez seine Gefangenen erst aufsuchen, wenn er nicht mehr von seiner Erkrankung geplagt wurde. Er würde die Macht, die er nun über den Regenten der vier Königreiche inne hatte, voll auskosten und demonstrieren wollen. Die logische Schlussfolgerung war demnach, dass er sich nicht furzend und scheißend zeigen würde, um nicht noch mehr von seiner absoluten Autorität zu verlieren. Und so lange würden Rhobar und Markus auf jeden Fall am Leben bleiben und weiter mit Wasser und Brot ernährt werden.
    Seine einzige Hoffnung bestand nun darin, dass sich diese verdammten Feiglinge dort draußen wieder daran erinnern, wem sie die Treue geschworen hatten, und in das Minental einmarschieren würden. Diese Horde von unzivilisierten und chaotischen Verbrechern hätte auch einer kleinen Truppe Paladine, die geordnet und strategisch vorgingen, wenig entgegenzusetzen. Aber würden sie sich besinnen? Markus hegte Zweifel. Schon an jenem schicksalhaften Tag hatten sie König Rhobar im Stich gelassen. Er wusste, dass er selbst ohne zu zögern hinterher gesprungen wäre, wäre er an ihrer Stelle gewesen.
    „Matthias“, krächzte der König plötzlich. „Wann ist es endlich vorbei?“
    „Ich weiß es nicht, Euer Majestät“, antwortete Markus. „Ich arbeite noch an meinem Plan.“ Eigentlich hatte er überhaupt keinen Plan, aber er wollte seinem Herrscher nicht das letzte bisschen Zuversicht nehmen.
    „Weißt du, als ich das letzte Mal in dieser Burg war... da wurde ich etwas standesgemäßer bewirtet und hatte ein schöneres Zimmer gehabt als jetzt. Zeiten ändern sich, was?“, brachte er hervor.
    Markus war verwirrt. Hatte König Rhobar soeben einen Witz gemacht, wenn auch einen schlechten? Das sah ihm ganz und gar nicht ähnlich. Der König pflegte nie zu scherzen.
    „Erzählt mir doch von damals, Euer Majestät“, bat Markus. Ein wenig Ablenkung würde ihnen beiden möglicherweise gut tun.
    „Was soll ich denn erzählen, Martin?“, seufzte der König. „Damals gab es hier noch keine Kolonie von Gesetzlosen. Es herrschte Zucht und Ordnung. Naja, bis auf die Sache mit den Orks. Aber was soll's.“
    Der König holte Luft und begann zu berichten.

    Rhobar langweilte sich. Was gab es schon für interessante Dinge im Minental von Khorinis? Minen, die voll von magischem Erz waren, gewiss. Aber nachdem er sich eine dieser Minen angesehen hatte, war sein Interesse daran vollends verflogen. Ansonsten bot das Tal nur noch die Ruine eines alten Kastells, die Bergfeste und ein Kloster, das von... wie nannte man die noch gleich? Aztekisch? Askäsisch? Jedenfalls wurde es von Mönchen betrieben, die überaus enthaltsam lebten, um ihren Glauben zu stärken. Was das mit Käse zu tun hatte, konnte Rhobar allerdings nicht so ganz nachvollziehen. Und die uralten Ruinen im sumpfigen Teil der Region, die wohl vom alten Volk erbaut worden waren, kümmerten ihn auch nicht.
    Er wusste nicht einmal, warum genau er überhaupt hier war. Er war gemeinsam mit seiner Frau zu Gast bei diesem Grafen, der in der Burg im Zentrum des Minentals lebte. Der hatte ihm irgendwelche unwichtigen Dinge erzählt, es ging um Abgaben, Steuern, steigende Kriminalität, geringere Erzförderquoten, Übergriffe aus der Enklave der Orks, die sich im Süden des Tals eingenistet hatten... Zugegeben, die Orks waren etwas interessanter als der Rest gewesen. Rhobar gewährte dem Grafen, der vermutlich zu unwichtig war, um sich später an seinen Namen erinnern zu müssen, eine Aufstockung seiner Truppen durch die königliche Armee, um die Grenzposten am Rande des Orkgebietes zu verstärken. Die restlichen Angelegenheiten ließ er durch die königlichen Berater erledigen. Die wussten sicherlich, was sie taten.
    Ihm war bewusst, dass er irgendwann damit anfangen musste, die Hintergründe der Regierungsgeschäfte zu begreifen, um sie selbst in die Hand nehmen zu können. Aber das konnte noch etwas warten. Immerhin war Rhobar erst wenige Jahre zuvor bei Erlangung der Volljährigkeit gekrönt worden. Noch als Thronfolger hatte er den Unterricht durch die königlichen Lehrmeister für uninteressant erklärt und nun als Herrscher merkte er, dass er gewisse Defizite hinsichtlich des Regierens aufwies. Aber das würde schon werden. Irgendwann würde man sich an ihn als Abwehrer der Orks oder Vereiniger der Reiche oder so was in der Art erinnern, dessen war er sich sicher. Aber ein paar Jahre konnte er doch sicherlich noch warten, ehe er richtig anfing.
    Doch vor allem langweilte er sich nun. Er saß mit seiner Gattin an der Tafel des Grafen und gemeinsam aßen sie zum Abendbrot gebratenen Scavenger mit Seraphissalat und Moleratfettsuppe. Er musste sich an der höflichen Konversation beteiligen und wusste gar nicht so recht, was er überhaupt sagte, aber letztendlich war es ihm gleich. Immerhin war er der König und niemandem Rechtfertigung schuldig. So weit er wusste, waren sämtliche königlichen Angelegenheiten bereits erledigt worden. Eigentlich hätten sie schon längst wieder auf dem Weg Richtung Vengard sein können, doch es gab nur noch eine Sache, die die königliche Gesellschaft in diesem öden, langweiligen Landstrich hielt: dieser verdammte Barde.
    Seine junge Frau Esmeralda schwärmte Tag und Nacht von ihm, obwohl sie ihn noch nicht einmal gesehen, geschweige denn gehört hatte. Der König hatte den Namen dieses Knaben schon wieder vergessen, er wusste lediglich, dass er sowohl auf der Insel als auch auf dem Festland berühmt für seine Dichtkunst, seine wohlklingende Stimme und sein bezauberndes Spiel an der Harfe war. Und zufällig hielt er sich auch gerade im Minental auf und zog durch die hiesigen Siedlungen. Rhobar hatte überall nach ihm schicken lassen, damit er endlich in die Burg kommen und ein paar Lieder singen würde, damit sie anschließend aufbrechen konnten.
    Einen Tag später ereilte sie die Nachricht. Der Barde war gemeinsam mit einem Konvoi aus einer der Erzminen unterwegs gewesen, als sie von einer Gruppe Orks überfallen worden waren. Die Menschen wurden zwar am Leben gelassen und hatten mehr oder weniger unversehrt die Burg erreicht, doch hatten die Angreifer ihnen alles geraubt: Erz, Gold, Vorräte, Waffen – und auch die Harfe des Barden.
    Esmeralda war untröstlich, als sie es erfuhr. In der ganzen Burg war zudem nicht eine weitere Harfe aufzutreiben, so sehr man auch suchte. Der Barde bot ihr an, ohne das Instrument für sie zu singen, doch die Königin lehnte ab. Sie wollte die Musik lediglich in voller Perfektion zu hören bekommen. Rhobar konnte die Beweggründe von Frauen, insbesondere dieser Frau, nie so ganz nachvollziehen. Was daran so dramatisch war, blieb außerhalb seines Verständnisses. Dann sang der Barde eben nicht, na und? Das war immerhin kein Weltuntergang. Auf seinen Vorschlag hin, den Barden mit nach Khorinis oder gar Vengard zu nehmen, schließlich musste es dort irgendwo doch Harfen geben, hatte sie nur entgegnet, dass es nicht das selbe sei und fürchterlich geweint. Es sei allein mit dieser Harfe das Spiel des Barden, nichts könne sie ersetzen, alles andere sei ein schlechter Abklatsch. Es musste diese Harfe sein.
    Der König hatte keine Wahl. Um seine hübsche Frau zu beruhigen und um nicht während der vollen langen Rückreise ihr Geplärre aushalten zu müssen, würde er sich irgendwie dieses dämlichen Musikinstrumentes bemächtigen müssen.
    Seine königlichen Berater rieten von dem Vorhaben, einen Vergeltungsschlag gegen die Orks zu führen, ab. Es sei die Sache nicht wert, das Leben vieler Männer zu riskieren, zumal die Orks nicht einmal jemanden getötet hatten. Die materiellen Verluste seien verkraftbar. Es gebe nicht genügend Männer für einen effektiven und sicheren Schlag. Man wisse kaum etwas über das Gelände, die Orksiedlung und die Stärke sowie Anzahl ihrer Krieger. Die Orks könnten den Angriff zum Anlass nehmen, künftig nicht mehr nur kleine Transporte zu attackieren. Und vor allem handelte es sich um die erste Schlacht, die der junge König führen würde; er besaß noch keinerlei Erfahrung im Feld.
    Dem König war all dies einerlei. Er selbst befehligte die kleine Streitmacht, die einen Tag später ins Feld zog. Sie bestand zum größten Teil aus unerfahrenen Milizsoldaten und Burgwachen, den dreißig gesalbten Paladinen der königlichen Leibwache, die mit ihm zur Insel gereist waren, einigen im Minental stationierten Rittern und einigen Stallburschen und Knechten, die nie ein Schwert in der Hand gehalten hatten. Rhobar hatte nicht einmal auf weitere Verstärkung aus der Hafenstadt gewartet.
    Offiziell galt diese Offensive als Warnung an die Orks, sich nicht mehr an den im Minental lebenden Menschen zu vergreifen. Man wolle ein Exempel statuieren.
    Inoffiziell ging es darum, dass der König lediglich ein kindisches Manöver ausführte, um ein Spielzeug zurück zu erlangen.
    So zog der Angriffstrupp durch das Minental und drang in das Orkgebiet ein. Die wenigen Kundschafter und Jäger, die sich vereinzelt dort aufhielten, stellten keine Bedrohung dar. Der König befahl, jeden einzelnen zu töten, vor allem die fliehenden – die Krieger in ihrer Siedlung sollten keinesfalls benachrichtigt werden. Durch eigene Späher, die bereits Jahre zuvor ausgesandt worden waren – zumindest durch die, die überlebt hatten – wusste man ungefähr, wo sich diese Siedlung befand.
    Als schließlich eine schwarze Brücke zum Vorschein kam, formierten sich auf der anderen Seite bereits orkische Kämpfer. Zumindest ein Kundschafter musste doch unbemerkt entkommen sein und seine Freunde informiert haben.
    Rhobars Truppen verloren keine Zeit. Die berittenen Paladine preschten über die Brücke und zerschlugen den ersten Widerstand am anderen Ende, die Fußtruppen folgten so schnell wie möglich. Der König, der alles vom Rücken seines schwarzen Hengstes aus beobachtete, wartete mit einer persönlichen Leibgarde in gebührender Entfernung. Als sich der Kampflärm weiter ins Innere der Siedlung verlagerte, hielt er es für unbedenklich, ebenfalls die Brücke zu überqueren. Sie machte durch die großen gebogenen Säulen, die wie Pfeiler hinauf ragten, oben spitz zuliefen und wie gigantische Knochen wirkten, einen äußerst bedrohlichen Eindruck. Im Dorf selbst passierten sie die Überreste der Schlacht. Zerfetzte Zeltbehausungen, zuhauf erschlagene Orks, fast ebenso viele tote Menschen, allen voran die unerfahrenen einfachen Männer... Rhobar versuchte, sie zu ignorieren.
    Er trabte weiter vor, bis er schließlich einen großen Platz erreichte, der so etwas wie das religiöse und kulturelle Zentrum des Dorfes darstellen mochte. Dort prangte ein großer steinerner Monolith, der mit unzähligen Gravuren und Inschriften versehen war, auf dem Boden; an seiner Spitze thronte die Statuette eines merkwürdigen, ihm unbekannten Wesens, dessen Kopf von einem Kranz von Stacheln umgeben war. Die Schlacht schien vorüber zu sein, dennoch knieten einige Schamanen ehrfürchtig zu Fuß dieser Säule und beteten sie an. Viele weitere Orks saßen entwaffnet an den Hängen des Gebirges, das das Dorf umgab, und wurden von seinen heroischen Paladinen in Schach gehalten.
    Euer Majestät“, sprach Thordir, der ranghöchste Paladin der Truppe, während er sich dem jungen König näherte und verbeugte. „Es ist geschafft. Wir haben gesiegt.“
    Das ist ein glorreicher Tag, dieser Sieg steht in Innos' Namen“, erwiderte Rhobar. „Sehr gut gemacht, Thomas.“ Er sah sich um. Leichen beider Parteien lagen überall herum und wesentlich mehr menschliche, als er erwartet hatte. Seine gut ausgerüsteten und ausgebildeten Paladine hatten anscheinend fast allesamt überlebt, die meisten ohne Blessuren. Die vom Minental gestellten Truppen hatten weit weniger Glück gehabt: er sah nur noch vereinzelt Milizsoldaten und andere Überlebende, die auf den Beinen waren. Ein Sieg war das, gewiss, doch ein blutiger – für das Erlangen eines Musikinstrumentes. „Wo ist die... sind die erbeuteten Gegenstände?“
    Zwei Paladine führten einen der mit bunter Farbe bemalten und mit Schmuck und Scavengerfedern behängten Schamanen vor. Dieser schien einer der älteren zu sein, ein langer weißer Bart hing von seinem Gesicht herab, aus dem die beschnitzten Hauer hervorragten. „Böses Mensches ihr!“, sprach er in gebrochenem Myrtan. Er sah Rhobar streng und mit furchtlosem Blick in die Augen. „Böses Mensches! Viel Blut und Tod über alle uns!“
    Pass auf, mit wem du sprichst“, fuhr ihn einer der Paladine an und rammte ihm das Heft seines Langschwertes in den Rücken, so dass der Schamane auf die Knie fiel. „Das ist König Rhobar II, der rechtmäßige Herrscher dieser Insel!“
    Nicht unseres Herr“, entgegnete der Ork bestimmt. „Wir nichts böses. Wir Respekt vor Mensches. Aber Mensches toten alles Orks!“ Seine Augen verengten sich. „Nicht Mensches. Ihr sein Morra.“
    Morra?“, fragte Thordir achselzuckend.
    Egal, was ein Morra ist“, erwiderte Rhobar. „Du redest also von Respekt gegenüber Menschen, ja? Dennoch überfallt ihr uns regelmäßig? Raubt uns aus?“
    Wir wenig haben“, erklärte der Schamane mit scharfer Stimme. „Wir nicht toten Mensches. Das Respekt. Aber Mensches toten jedes Ork! Auch Frau und Kind und altes Orks!“
    Rhobar zuckte. Er musste zugeben, dass an dem Gedanken etwas dran war. Hatte er nicht selbst gesehen, was seine Kämpfer hier angerichtet hatten? Und es stimmte, man hatte auch bei dem letzten Überfall keinen Menschen getötet... Doch durfte er nun keine Schwäche zeigen. „Wir handeln nur in unserem Interesse. Es werden keine weiteren Überfälle mehr geduldet. Wir werden unser gestohlenes Gut zurück bekommen und dann abziehen. Es liegt an euch, ob es ein weiteres Blutvergießen geben wird.“ Naja, zufrieden war er nun nicht gerade mit dieser Ansage gewesen, sie hätte durchaus etwas imponierender ausfallen können. Er musste wohl noch etwas üben.
    Euer Majestät!“, rief ein Paladin, der aus der Richtung einer großen vergitterten Öffnung im Felsen kam. „Wir glauben, dass wir wissen, wo sich die Beute befindet!“ Er deutete zu ebenjener Felsöffnung. „Hinter dem Gitter liegt etwas magisches Erz auf dem Boden. Sie scheinen es dorthin gebracht zu haben.“
    Die Männer begaben sich dorthin und schleppten den Orkschamanen mit sich. Rhobar schwang sich aus dem Sattel und begutachtete die große Felsöffnung. Weiter hinten in der Felsnische schien ein weiterer Durchgang vorhanden zu sein, der kunstvoll bearbeitet worden war. Die Höhle wurde von einem mit vielen verschiedenen Symbolen und Inschriften versehenen steinernen Rahmen gesäumt, je eine große steinerne Statue eines Orkkriegers mit mächtiger Axt stand zur Linken sowie zur Rechten des Durchgangs. Fackeln beleuchteten den kleinen Vorplatz, doch hinter dem Durchgang schien die Dunkelheit zu herrschen. Diese Höhle machte einen äußerst beängstigenden und gefährlichen Eindruck auf Rhobar. Auf irgendeine Art und Weise ließ sie ihn frösteln. Er hoffte, dass er nicht würde hindurch gehen müssen.
    Plötzlich sah er in der Nähe der Höhle einige Kisten sowie Säcke neben einem großen Karren, der eindeutig von Menschen hergestellt worden war. Das musste es sein.
    Wie bekommen wir das Gitter hoch, das uns von dieser Höhle trennt?“, fragte Thordir scharf an den Schamanen gerichtet. Dieser jedoch warf sich auf den Boden.
    Nicht offen! Das Tempel von Krushak! Krushak sein wütend wenn böses Mensches nehmen Opfer!“, jaulte er.
    Was ist ein Krushak?“, fragte Thordir.
    Ganz offenbar ein heidnischer Götze, Theodor“, meinte Rhobar augenrollend. „Uninteressant. Wir sind wohl gerade noch rechtzeitig gekommen, bevor sie unser Eigentum weiter in diesen... Tempel verschleppen konnten, wo wir es vielleicht nie wieder gefunden hätten. Jetzt öffne das Tor!“, befahl er laut.
    Mensches nicht wissen!“, erwiderte der Schamane flehend. Rhobar schien erstmals Furcht in seiner Stimme zu hören. „Krushak schlafen! Krushak brauchen Opfer zu nicht wach werden!“
    Wir holen uns zurück, was wir wollen. Es ist mir egal, ob dein Götze schläft oder nicht. Zeig uns, wie der Mechanismus funktioniert, oder wir brennen hier alles nieder! Es wird keine Gnade geben!“, kündigte der König erhobenen Hauptes an. „Die Wahl liegt bei dir, Schamane!“
    Der Ork knirschte mit den Zähnen. Er sah zum Tempeleingang und ließ seine Augen zu den besiegten Orks wandern. Schließlich senkte er den Kopf. „Mensches kriegen Sachen“, gab er mit leiser Stimme klein bei. „Ich offen Tor. Aber bitte, bitte, nicht mehr Tod für Orks!“, fügte er hinzu.
    Rhobar nickte. Er wollte diesen Stamm nicht vollständig ausrotten, zumal niemand sagen konnte, ob es im Hinterland nicht noch weitere Siedlungen geben mochte. Diese könnten später auf Rache sinnen und ihrerseits einen Vergeltungsschlag gegenüber den Menschen im Minental verüben. Er wollte, dass sie wussten, dass er Gnade walten lassen konnte, aber auch, dass er hart durchgreifen würde, wenn es notwendig war.
    Der Schamane hielt sein Wort. Mithilfe der merkwürdigen Statuette, die von den Orks verehrt wurde, konnte er den Mechanismus in Gang setzen, der das schwere Gitter bewegte. Die Menschen schafften die von den Orks geraubten Gegenstände auf den Karren und ließen ihn durch einige Pferde der Paladine wieder zur Burg bringen. Rhobar hatte sich selbst vergewissert, dass sich auch die Harfe darunter befand.
    An jenem Abend kehrte König Rhobar II ruhmreich aus seiner ersten Schlacht zurück. Zwar wurden viele Frauen auf der Insel an jenem Tage zu Witwen und viele Kinder würden ohne Vater aufwachsen müssen – lediglich aufgrund einer Harfe. Doch Rhobar war im Siegesrausch. Stolz konnte er mit seinen Truppen dem Grafen das Erz, die Langschwerter, das gestohlene Gold und die Nahrungsmittel ausliefern und dem Barden seine Harfe aushändigen lassen. Seine Frau Esmeralda, die die blutigen Hintergründe offenbar gar nicht richtig erfasst und realisiert hatte, war überglücklich, als der Barde, der noch jünger als der König selbst war, an jenem Abend sein gesamtes Repertoire an Liedern wie das bekannte Werk „Ode an die tanzenden Bäume“ zum Besten gab. Und Rhobar erfuhr in jener Nacht besonders viel von ihrer Dankbarkeit.

    „Ja, das war meine erste richtige Schlacht, Marvin“, sagte Rhobar langsam. „Kaum zu glauben, dass dies alles schon so lange zurückliegt. Und dort, wo es begann, wird es sicherlich auch enden...“
    „Sagt das nicht, Euer Majestät!“, stieß Markus hervor. „Es gibt noch Hoffnung!“
    „Wenn du das sagst“, seufzte der König resigniert. „Ich bin für diese Gesellschaft hier verantwortlich. Sie werden mich nicht gehen lassen.“
    „Denkt an Euer Gefolge, Euer Majestät!“, entgegnete Markus. „Unsere Leute werden kommen und uns hier heraus holen!“
    „Sie müssten schon längst da sein“, konterte König Rhobar.
    Markus dachte nach. Er musste seinen Schützling irgendwie auf andere Gedanken bringen. „Erzählt mir mehr“, sagte er. „Erzählt mir... Erzählt mir von dem Barden.“
    „Ach, da gibt es nicht viel zu erzählen“, antwortete der Regent. „War ein ansehnlicher, stattlicher Bursche. Langes, blondes Haar. Konnte kaum zwanzig Sommer alt gewesen sein. Mehr weiß ich nicht mehr über ihn.“
    „Wie hieß er, Euer Majestät?“, fragte Markus. „Ist er heute immer noch so eine Berühmtheit?“
    „Nun, jetzt wo du es sagst...“, überlegte König Rhobar. „Ich habe seit langer, langer Zeit nichts mehr von ihm gehört. Er schien irgendwann verschwunden zu sein, vor Jahrzehnten schon. Den Namen werde ich dank Esmeralda, die seit jenem Tag über kaum etwas anderes geredet hat, und aufgrund meiner ersten Schlacht, die indirekt auf sein Konto geht, aber sicherlich nie wieder vergessen. Netbek. Sein Name lautete Netbek.“
    Geändert von Stonecutter (10.06.2014 um 21:05 Uhr)

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    HASS Avatar von Stonecutter
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    Vorgabe 4
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    Mithilfe von Gegenstand A versucht Person B nun Person A zur Rede zu stellen. Als nun neben Person C auch noch Person D auftaucht spitzt sich die Lage zu.




    Ermattet zogen Netbek und seine Blumenfreunde durch das Alte Lager in Richtung des Nordtores. Sie hatten am Tag zuvor kaum geschlafen, da sie die Nacht zusammengekauert in der Ruine eines offenbar bereits vor langer Zeit umgestürzten Turmes verbracht hatten. Es war kühl und dreckig gewesen, Fleischwanzen hatten sich dort getummelt und die Eiche sowie eine der Blumen hatten sich aufgrund der Zugluft eine Erkältung zugezogen. Die beiden hatten daher nach Anbruch der Morgendämmerung schweren Herzens wieder den Rückweg zum Sumpf angetreten. Die verbliebenen Blumen blieben Netbek natürlich treu; zumindest gab es noch ein bisschen Loyalität in der Strafkolonie, auch wenn der Baal sich schuldig fühlte. Durch eben diese Loyalität waren seine Freunde schließlich überhaupt erst krank geworden.
    Er hatte leider keine andere Alternative gesehen. Es gab keine freien Hütten im Lager, er hatte kein Erz, um sich eine Übernachtung in einer bereits bewohnten Hütte zu leisten, und um nicht von den Gardisten aus dem Lager geworfen zu werden, konnte er selbstverständlich auch nicht mit Prügeln sein Recht einfordern. Abgesehen davon war er eh viel zu friedfertig dafür.
    Allmählich gingen ihm die Ideen aus. Den Rest des vorherigen Tages hatten sie damit verbracht, herauszufinden, wie man in die Burg gelangen könne. Es war irrsinnig, da er das eigentümliche Gefühl hatte, irgendwann schon einmal in der Burg gewesen zu sein. Doch entweder konnte oder wollte ihm niemand helfen. Die Buddler, die das unterste Glied der Nahrungskette darstellten, hatte er gar nicht erst gefragt. Hätte von denen einer gewusst, wie man es anstellen konnte, hätte er schließlich selbst versucht, in der Hierarchie aufzusteigen. Die zwei der am wenigsten fies und gefährlich wirkenden Gardisten, die er anzusprechen gewagt hatte, hatten ihn lediglich ausgelacht. Somit blieben nur noch die Schatten, doch auch von denen hatte Netbek nur wenige brauchbare Informationen erhalten.
    Im Prinzip schien es, dass sich grundsätzlich drei Möglichkeiten boten. Die erste Möglichkeit bestand darin, ein Mitglied des Lagers zu werden und bis zum Schatten aufzusteigen. Dies konnte er gleich vergessen; weder wollte er Mitglied werden, noch würde man ihm wahrscheinlich überhaupt eine Chance geben. Die zweite Option lautete Bestechung – die universelle Möglichkeit für fast alle Angelegenheiten im Minental. Allerdings besaß er nichts, um die Burgwächter zu bestechen. Die dritte Möglichkeit war eine exklusive Möglichkeit für Angehörige des Sumpflagers: der Handel mit Sumpfkraut. Doch auch davon besaß er nicht annähernd genug. Mit der geringen Ration, die er täglich erhielt, ließe sich nichts gewinnen. Und abkaufen würde man ihm die Rolle des Krautverkäufers auch nicht mehr, da er sich wahrscheinlich schon viel zu auffällig verhalten hatte.
    Während der äußerst ungemütlichen Nacht war ihm aber noch ein weiterer Gedanke gekommen. Der König befand sich nun mit ziemlicher Sicherheit im Minental – doch wo war sein Gefolge abgeblieben? Es musste die Außenwelt doch ziemlich erschüttert haben, dass sich ihr Regent in einer Kolonie voller gewalttätiger Strafgefangener befand und es derzeit keine Möglichkeit gab, ihn dort herauszuholen. Sicherlich herrschte draußen das reinste Chaos. Und auf der anderen Seite der Barriere würde sich der Hof sammeln.
    Netbek wollte dem König nichts Böses, im Gegenteil. Vielleicht konnte er die hohen Tiere davon überzeugen, dass er auf ihrer Seite stand... im übertragenen Sinne zumindest, schließlich trennte sie de facto eine todbringende magische Wand. In dem Fall konnten sie ihm dabei helfen, den König irgendwie aus den Klauen des wahnsinnigen Gomez zu befreien. Er wäre zwar immer noch ein Gefangener, aber immerhin ein lebender Gefangener. Möglicherweise konnten sie ihm besondere Waren durch die Barriere schicken, mit denen er Rhobar freikaufen würde. Irgendwie musste das doch funktionieren.
    Mit knurrendem Magen trat er durch das Tor und machte sich auf den Aufstieg zum Austauschplatz. Seit gestern hatte er nichts mehr gegessen. Vielleicht würden ihm die Königstreuen ja etwas durch die Barriere reichen. Ansonsten würde er... ja, was würde er dann tun? Vermutlich zum Sumpf zurückkehren müssen. Auch wenn ihn dort niemand bei seiner Mission unterstützen wollte, so ließ man immerhin kein Mitglied der Bruderschaft, egal ob Baal, Templer, Pflanze oder Novize, verhungern.
    Netbeks Gruppe sollte den Austauschplatz allerdings nicht erreichen. Er schätzte, dass er etwa den halben Weg dorthin zurückgelegt haben musste, als sie auf eine Gestalt trafen, die mit gesenktem Kopf den Pfad entlang auf sie zu schlurfte. Erstaunt stellte er fest, dass es sich um eine junge Frau in einem zerrissenen, schmutzigen und vor allem nassen Kleid handelte. Auch die blonden Haare waren klatschnass.
    „Der Schläfer erwache, junge Frau!“, rief er.
    Erschrocken sah sie auf. Sie schien die Anwesenheit Netbeks und der Blumen erst jetzt zu realisieren. Angst loderte in ihren blauen Augen auf.
    „Keine Sorge“, sagte der Baal freundlich. „Wir werden dir nichts tun. Die Blumen hier sind meine Freunde.“
    „Blu- Blumen?“, stotterte die Frau verwirrt. „Welche Blumen?“
    „Na, die drei hier mit den blauen Blüten“, erklärte Netbek geduldig. Er hatte sich bereits an die Tatsache gewöhnt, dass niemand seinen Freunden Aufmerksamkeit schenkte.
    „Ich verstehe nicht...“, murmelte die Frau und begann plötzlich zu schwanken.
    „Vorsicht!“, rief Netbek, sprang auf sie zu und hielt sie an den Schultern, bevor sie stürzen konnte. Die Klippe neben dem Pfad war schon recht hoch und ein solcher Schwächeanfall konnte an dieser Stelle fatale Folgen haben. Mit seiner Hilfe ließ sie sich langsam auf den Boden sinken.
    „Ich bin Baal Netbek“, stellte er sich vor. „Ich bin der Guru des Sumpfes. Wie ist dein Name? Was machst du hier?“ Dumme Frage, schalt er sich daraufhin in Gedanken selbst. Was wohl, sie hat irgendein Verbrechen begangen.
    „Ich heiße Gritta“, flüsterte die Frau, während sie im Gras saß. Eine Träne rann über ihre linke Wange. „Sie haben mich heute hier reingeworfen, weil... weil... weil ich etwas Schlimmes getan habe... Sie wollten mich hinrichten, aber dann sagte einer, dass es eine noch viel größere Strafe sei, mich in diese Welt voller Männer zu werfen... Sie... sie...“ Gritta begann zu laut zu schluchzen.
    Netbek nickte mitfühlend. Er verstand, worum es ging. Die Männer der Strafkolonie würden sich nur zu gern auf die junge Frau stürzen.
    „Alles wird gut“, sagte er. „Ich bin nicht wie die anderen. Ich werde dich nicht vergewaltigen!“ Kurz darauf bereute er, dies gesagt zu haben; Gritta heulte beim letzten Wort laut auf. „Wir finden schon noch eine Lösung. Sag mal, waren da Ritter und Männer des Königs bei der Barriere?“, fuhr er hastig fort, um schnell das Thema zu wechseln. Doch auch dies schien falsch gewesen zu sein.
    „Natürlich!“, kreischte sie hysterisch. „Die haben mich doch reingeschmissen!“
    „Warum sollten sie das tun?“, fragte Netbek verwundert. „Das hätte doch normalerweise die Miliz erledigen müssen.“ Verdammt, und schon wieder ins Fettnäpfchen getreten, dachte er zerknirscht, als sie erneut aufheulte.
    „Weil es meine Schuld ist, dass König Rhobar in die Barriere gefallen ist!“, schrie sie. „Ich habe ihn reingeschubst! Ich war's! Ich ganz allein!“
    Netbek fehlten die Worte. Das war unglaublich. Diese Frau hatte das Wunder vollbracht? „Das ist ja fantastisch!“, rief er begeistert und umarmte die völlig aufgelöste Gritta, die ihn daraufhin mit verständnislosem Blick anstarrte.
    „Verstehst du denn nicht?“, freute sich Netbek und gestikulierte wild mit den Händen, während die Blumen eifrig mit den Blüten nickten. „Seit Jahren arbeite ich daran, den Sumpf in eine wunderschöne Blumenwiese zu verwandeln, in einen Hort des Friedens, unabhängig von dem ganzen Trara um Gardisten und Söldner und Erz. Mit der Hilfe des Königs bin ich dem nun einen großen Schritt näher! König Rhobar II und Baal Netbek, wir sind die einzige vernünftige Koalition hier! Ohne dich wäre meine Mission wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt gewesen, aber dank dir dürfen meine Mitstreiter und ich neue Hoffnung schöpfen! Sieh sie dir an, wie sich freuen!“ Er deutete auf die Blumen, die nun entzückt miteinander tanzten.
    Gritta behielt den starren Blick bei. „Ich werde in die Strafkolonie verbannt und der erste Mensch, dem ich hier begegne, ist völlig durchgeknallt“, sagte sie trocken.
    Netbek sah ihr diese Wortwahl nach. Es war offensichtlich, dass sie sich im Schockzustand befand und diese traumatische Erfahrung erst noch verarbeiten musste.
    „Vielleicht kannst du mir ja dabei helfen, zu König Rhobar zu gelangen“, erläuterte er. „Wenn unsere Mission erfüllt ist, haben wir mit der Blumenwiese einen Ort, an dem auch du dich sicher fühlen kannst. Dummerweise befindet sich der König gerade in der Burg des Alten Lagers und scheint ein Gefangener von Gomez zu sein. Gomez ist der oberste Erzbaron. Übrigens hat der wohl gerade ziemlich üblen Durchfall, wenn man nachdem geht, was die Leute im Lager so erzählen.“
    „Bekloppt“, murmelte Gritta apathisch. „Der ist absolut wahnsinnig.“
    Baal Netbek seufzte. Das würde nicht leicht werden.
    „Hey, ihr da!“, brüllte plötzlich jemand.
    Oh nein. Netbek rutschte das Herz in die Hose. Gardisten. Ein ganzer Trupp Gardisten näherte sich ihnen von unten. Das war nicht gut.
    „Ja, was haben wir denn da?“, grinste der größte von ihnen und fletschte die Zähne. „Einen Sektenspinner. Und ein süßes Mäuschen! Schaut mal Leute, sie ist auch schon ganz feucht!“ Er warf den Kopf in den Nacken und lachte dreckig. „Da wird sich Gomez aber freuen, jetzt wo er endlich vom Scheißhaus weg kommt!“
    „Lauf“, raunte Netbek der jungen Frau zu, doch sie reagierte nicht und blieb weiterhin teilnahmslos auf dem Boden sitzen. „Schnell, holt Hilfe“, wisperte er den Blumen zu, die kurz salutierten und anschließend die Wurzeln in die Knospen nahmen. Netbek konnte nur hoffen, dass die Neuankömmlinge die Blumen ebenso wenig registrierten wie all die anderen Leute. Unbemerkt passierten sie den Trupp. Netbek seufzte erleichtert – nun hatten sie eine bessere Chance, aus der Nummer herauszukommen.
    „Der Schläfer erwache, Freunde!“, sagte er mit bebender Stimme und baute sich vor Gritta auf, als die Gardisten schließlich vor ihnen standen. „Hey, ich habe da einen Vorschlag. Wie wär's, wenn–“
    „Ach, halt doch die Fresse, Sektenspinner“, unterbrach ihn einer der Gardisten, während er mit der Faust ausholte, sie auf den Kopf des Gurus niedergehen ließ und es dunkel um Netbek wurde.

    Markus musste die Augen zusammenkneifen, als sich die Kerkertür quietschend öffnete und ein Lichtschein in die Zelle fiel. Die Fackel, von der er ausging, war nicht einmal besonders hell, aber seine Augen hatten sich schon zu sehr an die Dunkelheit gewöhnt. Wie lange sie nun schon hier festsaßen, vermochte Markus nicht zu sagen. Waren es vier Tage? Vielleicht fünf oder doch nur drei? Er hatte trotz des kargen Lichtes, das gelegentlich aus dem kleinen Loch kam, jegliches Gefühl für Zeit verloren.
    „So, rein mit euch!“, krächzte eine tiefe Stimme, gefolgt von zwei dumpfen Geräuschen, als werfe jemand einen schweren Sack auf den Boden. „Gomez wird seine Freude an euch haben, das kann ich euch versprechen!“
    Mit einem lauten Scheppern knallte die Tür wieder ins Schloss und Stille umgab sie. Langsam öffnete Markus seine Augen. Man hatte zwei Personen zu ihnen geworfen, deren Hände ebenfalls am Rücken festgebunden waren. Es handelte sich dabei um einen merkwürdigen glatzköpfigen und tätowierten Typen mit nacktem Oberkörper und eine Frau, deren Gesicht dem Boden zugewandt lag.
    „Willkommen in unserem bescheidenem Zuhause“, begrüßte sie der Paladin trocken.
    Der Glatzkopf richtete sich auf. „Beim Schläfer“, murmelte er. Markus runzelte die Stirn. Wer war der Schläfer? „So habe ich mir das eigentlich nicht vorgestellt“, fuhr der Glatzkopf langsam fort. „Aber immerhin bin ich jetzt in der Burg.“
    „Was geht hier vor?“, fragte Markus mit heiserer Stimme. „Wer seid ihr beiden? Kommt uns nicht zu nahe! Der König steht unter meinem Schutz!“
    „Der König?“, stieß der Kerl verwundert aus. Sein Gesicht nahm einen erfreuten Ausdruck an, seine Augen schienen beinahe wirklich zu leuchten. „König Rhobar? Seid Ihr es wirklich?“
    „Vereiniger der vier Zepter von Varant, ja, das bin ich“, ertönte die gebrochene Stimme seines Schützlings hinter Markus. Er war erschrocken über ihren Klang. Es schien, als habe der König jegliches Interesse am Leben verloren.
    „Rhobar?“, fragte die Frau plötzlich und hob ihren Kopf. „König Rhobar ist hier?“
    Markus erstarrte. Das war sie. Die Person, die für all dies verantwortlich war. Die Frau, die den König in diese Hölle befördert hatte. Gritta. Ihren Namen würde er nie vergessen. „Seht euch vor“, warnte der Paladin die Neuankömmlinge zornig. „Wagt es nicht, euch an Seiner Majestät zu vergreifen oder...“ Ja, oder was? Was konnte er schon ausrichten? Markus war doch ebenso hilflos wie offenbar alle in diesem Kerker.
    „Keine Sorge“, meinte der halbnackte Mann freundlich. „Ich möchte dem König nichts tun, im Gegenteil. Du musst verstehen, dass ich an einer schwierigen Aufgabe arbeite. Ich will den Sumpf in eine wunderschöne, farbenfrohe und friedfertige Wiese verwandeln, doch fehlt mir noch die nötige Unterstützung. Deshalb bin ich hier! Mit der Hilfe König Rhobars kann es uns gelingen! Unser Sumpf soll schöner werden! Rettet die Warge! Findet –“
    „Was soll der Mist?“, brüllte Markus. „Willst du uns verarschen? Was bist du für ein Spinner?“
    „Ich bin Baal Netbek“, antwortete der Mann stolz. „Ich bin der Guru des Sumpfes!“
    „Netbek?“, entfuhr es Markus und König Rhobar zugleich. Seine Gedanken rotierten. Was ging hier vor? Konnte das etwa tatsächlich die Person sein, von der ihm der König vor kurzem erst erzählt hatte?
    „Netbek der Barde?“, fragte der Paladin präziser nach. Seinen Zorn hatte er vorläufig vergessen. „Der Barde, dessen Harfe der Auslöser für eine Schlacht mit den Orks im Minental war?“
    „Barde?“, wunderte sich Netbek. „Ich bin Baal Netbek, nicht Barde Netbek! Aber früher...“ Er rieb sich die Stirn. „Ich weiß nicht. Ich bin der Guru des Sumpfes!“
    „Was?“, kreischte Gritta. „Das wird ja immer besser! Dieser Wahnsinnige hier ist der Typ mit der berüchtigten Harfe?“
    „Berüchtigte Harfe?“, wiederholte Netbek verwirrt.
    „Alle Menschen aus Khorinis kennen die Geschichte!“, schrie sie. „Der König hat damals viele aufrechte Männer in den Tod geschickt, darunter meinen Großvater! Und das nur, weil er so eine bescheuerte Harfe zurück erobern wollte!“
    „Soll das meine Harfe gewesen sein?“, gab Netbek zurück. „Wo ist sie überhaupt? Ich glaube, einer der Gardisten hat sie mir gestohlen. Aber ich hatte sie schon immer! Sie... oh.“ Er schloss die Augen. „Ich glaube, ich erinnere mich an etwas. An einen jungen König... und seine Frau...“
    „Siehst du, du verdammter Mistkerl!“, warf Gritta dem in der Ecke liegenden Rhobar bissig entgegen, der allerdings nur Augen für Netbek hatte. „Du verbreitest nur Unheil! Du hast meinen Bartok in das Minental werfen lassen! Und du hast meinen Großvater und viele andere Männer wegen dieser Harfe sterben lassen, damit du deine Frau vögeln konntest! Was hast du dazu zu sagen? Was hast du dazu zu sagen?
    Der König lag wortlos da.
    „Rede mit mir!“, keifte sie. „Rede! Ich will Antworten! Ich will Gerechtigkeit!“
    „Das genügt!“, griff Markus beherzt ein und holte tief Luft. Er musste die Situation schnellstens unter Kontrolle bekommen, bevor sie eskalierte und sich alle gegenseitig an die Gurgel sprangen. Doch in diesem Moment öffnete sich die Kerkertür erneut.
    „Ja, das genügt“, sprach ein schnurrbärtiger Mann, der einen schweren Pelzmantel trug und süffisant grinste. „Ich denke, wir hatten noch nicht die Ehre. Mein Name ist Gomez.“
    Oh verdammt, dachte Markus.
    „Aber jetzt solltet ihr mir folgen. Ich habe großes vor. Wie sagte das alte Volk doch gleich? Brot und Spiele? Nun ja, zumindest die Spiele wird es bekommen.“
    Gomez lachte bösartig, während ein Trupp Gardisten einen nach dem anderen aus der Zelle schleppte.

    „Es besteht noch Hoffnung“, versuchte Netbek Markus zu beruhigen, der teilnahmslos durch das Gitter in den Ring starrte. „Meine Freunde sind auf dem Weg, um Verstärkung zu holen. Es ist nicht allzu weit bis zum Sumpflager. Sie müssen bald wieder hier sein.“
    „Welche Freunde?“, erkundigte sich der Paladin knapp.
    „Na, die Blumen und Bäume, die mir bei meiner Mission im Sumpf helfen“, verkündete der Spinner strahlend. „Und wenn die Birken erst einmal mobilisiert werden, das kannst du mir glauben, dann haben die Typen hier nichts mehr zu lachen! Es gibt nichts furchterregenderes als wütende Birken! Nun, abgesehen von einem schwarzen Troll vielleicht, das räume ich ein.“
    Markus seufzte laut hörbar. Von Netbek war offensichtlich keine Hilfe zu erwarten. Dies erklärte zumindest, warum man seit langem nichts mehr von dem Barden gehört hatte – er war schlicht und einfach irre geworden. Lag es vielleicht an massivem Konsum von Sumpfkraut, der ihm den Verstand geraubt hatte? Der Kerl stank regelrecht danach. Oder war er möglicherweise aufgrund des Vorfalls mit der Harfe durchgedreht, als ihm bewusst wurde, dass lediglich ihretwegen ein Massaker unter Menschen und Orks stattgefunden hatte? Markus hatte bereits von ähnlichen Fällen gehört, in denen derartige traumatischen Erlebnisse zu Wahnsinn geführt hatten.
    Doch dies war momentan irrelevant. Er musste sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Gemeinsam mit Netbek befand er sich in einem kleinen Raum unterhalb der Zuschauerplätze einer Art Arena. Durch ein Gitter hatte er den Kampfplatz direkt vor Augen. Der König stand an einer steinernen Wand gepresst im Inneren der Arena und war den Rufen der Verbrecher schutzlos ausgeliefert, die johlten, ihn beschimpften, bespuckten und mit Fäkalien bewarfen, wie es anscheinend Tradition war, wenn man die Konsistenz des Bodens näher betrachtete. Grittas Aufenthaltsort konnte er nicht ausmachen.
    Erneut verfluchte Markus sich selbst. Es wurde von Sekunde zu Sekunde schlimmer. Es schien, als sei die gesamte Strafkolonie dort versammelt. Allein Gomez' Anwesenheit schien die Meute davon abzuhalten, den König auf der Stelle in Stücke zu reißen. Er thronte am höchsten Punkt der Tribüne und beobachtete das Spektakel flankiert von schwer bewaffneten Gardisten von einem edlen Stuhl aus. Ein makabrer Gedanke schoss Markus in den Sinn. Warum führt er König Rhobar nicht zum großen Finale als letzten auf? Wäre doch viel spannender. Er schalt sich dafür.
    Als Gomez zu sprechen begann, verringerte sich der Lärm nur unwesentlich. Der Paladin konnte lediglich einzelne Wortfetzen aufschnappen. Verräter am Volk... Diktator... tot... magische Barriere... bekommt was er verdient... Ork kämpfen...
    Moment mal. Was hatte Gomez da soeben über einen Ork gesagt? „Ach du scheiße“, murmelte Markus und wusste, dass er mittlerweile so blass wie ein Gespenst sein musste. Zwei Gardisten öffneten ein weiteres Gitter und aus dem Dunkel dahinter stapfte ein am ganzen Körper behaarter Hüne mit mächtigen Hauern und einer schweren Axt in den mächtigen Pranken in die Arena.
    „Das ist Tarrok“, erklärte ihm ein Schatten, der Wache in dieser kleinen Zelle hielt, mit finsterem Grinsen. „So ein Orksklave, den wir eigentlich für die Arbeit in den Minen brauchen. Ungeschlagener Champion der Arena. Gehörte mal zum Neuen Lager, aber die Erzbarone haben ihn für ein paar Waren aus der Außenwelt getauscht. Der wird Hackfleisch aus deinem König machen.“
    Der Ork baute sich auf, fixierte König Rhobar mit seinen dunklen Augen und brüllte laut auf. Markus ließ alle Hoffnung fahren.
    Geändert von Stonecutter (10.06.2014 um 21:05 Uhr)

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    HASS Avatar von Stonecutter
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    Spoiler:(zum lesen bitte Text markieren)
    Rückblende: Person D und Person B treffen bei Ort A aufeinander und kommen sich auf romantische Weise näher. Infolge dessen bekommt Gegenstand B einen Auftritt.




    Teilnahmslos ließ Gritta die Demütigungen und den Spott über sich ergehen. Es war aus; sie würde sich ihrem Schicksal ergeben und versuchen müssen, einfach nur noch am Leben zu bleiben. Mehr konnte sie nicht mehr erwarten. Hier war sie nichts, hier kümmerte es niemanden, dass sie die Nichte des hochangesehenen Tischlers Thorben war oder über ausgezeichnete Beziehungen zu einflussreichen Menschen der Oberschicht in der Hafenstadt verfügte. Dies alles hatte sie in diesem einen Moment, innerhalb der wenigen Sekunden, in denen sie auf König Rhobar II und seinen Leibwächter zugestürmt war, verwirkt. Nun war sie zu nichts weiterem als zu einem bloßen Sexobjekt mit großen Titten degradiert worden und in einer Welt gelandet, in der jeder Mann sie auf der Stelle vergewaltigen würde, sobald er die Gelegenheit dazu bekam, oder in der jeder Mann schlicht wahnsinnig war, so wie dieser halbnackte Irre, der glaubte, von unsichtbaren Monsterpflanzen umgeben zu sein – oder möglicherweise waren die Männer allesamt beides zugleich. Gewundert hätte es Gritta nicht.
    Die bittere Ironie bestand darin, dass der einzige Grund, warum sich noch niemand der Strafgefangenen an ihr vergehen konnte, der war, dass sie unter dem Schutz des vermutlich wahnsinnigsten, brutalsten und gefährlichsten aller Koloniebewohner stand und nun quasi zu dessen Eigentum gehörte. Niemand würde es wagen, Hand an sie zu legen und damit Gomez' Zorn heraufzubeschwören und auf sich zu lenken. Dieser hingegen konnte mit ihr alles tun, was er nur wollte – sie fragte sich lediglich, wann es dazu kommen würde.
    Und wo war ihr Bartok? Welches Schicksal hatte ihn ereilt? Befand er sich noch irgendwo in der Kolonie auf der Suche nach einem Ort, an dem er bleiben konnte? Hatte er sich bereits einer der allesamt wahnsinnigen Fraktionen angeschlossenen? Hatte man ihn zur Zwangsarbeit in den Minen verpflichtet, was eigentlich dem ursprünglichen Sinn dieses ganzen Wahnsinns entsprach? Lebte Bartok überhaupt noch? Wenn er noch lebte, wusste er, dass sie sich nun ebenfalls im Minental befand? Und wenn er es wusste, würde er versuchen, sie aus den Klauen der Wahnsinnigen zu befreien?
    Gritta bezweifelte es. Bartok war zwar ein recht gutaussehender junger talentierter Jäger, aber ein Held, kräftig oder besonders mutig war er eindeutig nicht. Sie machte sich nichts vor: es war schlichtweg aus.
    So saß sie nun hier in einer Art Arena neben dem mächtigsten und wahnsinnigsten Menschen des Minentals, bewacht von schwer gepanzerten Gardisten, und sah von der höchsten Position hinunter in den Ring, in dem der König hilflos den wahnsinnigen Massen ausgeliefert war und mit Kot und anderen Dingen beworfen wurde. Selbst dieser Anblick verschaffte ihr keine Befriedigung, obwohl ihr der Kerl da unten das Dilemma doch eingebrockt hatte. Sie wollte sich diese Aufführung nicht ansehen, doch sie hatte es nicht gewagt, Widerspruch einzulegen. Und noch immer trug sie das alte, schmutzige und zerrissene Kleid.
    Gomez hatte sich schon vor geraumer Zeit aufgerichtet und damit begonnen, eine Rede zu halten. Gritta nahm diese Worte gar nicht wahr. Wozu auch? Wahrscheinlich handelte es sich eh lediglich um eine Lobeshymne auf sich selbst und um den König, dessen Leben jetzt in der Hand der Gefangenen lag. Die vielen anderen Verbrecher hörten ihm offenbar ebenfalls nicht zu, da der Regent in der Arena selbstverständlich wesentlich interessanter war. Gomez schien das gar nicht bewusst zu sein, vermutlich hörte er sich einfach nur selbst gern reden.
    Der Lärmpegel stieg an. Die Wahnsinnigen johlten noch lauter; Gritta hatte gedacht, dass dies gar nicht möglich sei. Irgendetwas musste da unten geschehen sein. Sie schüttelte ihre Apathie ab und zwang sich dazu, hinunter zu schauen. Ein hohes Quieken entfuhr ihr, während sie sich die Hand vor den Mund hielt. Das Herz der jungen Frau blieb beinah stehen und eine Gänsehaut überzog ihren gesamten Körper.
    Er stand in der Arena. Eine Gestalt, größer als ein Mensch, den muskelbepackten Körper mit leicht grünlicher Behaarung übersät, zwei große Hauer, die aus ihrem Unterkiefer ragten, bekleidet mit einem einfachen Lendenschurz und eine gewaltige Axt in den Händen. Es war das erste Mal, dass Gritta einen leibhaftigen Ork erblickte und dennoch erkannte sie ihn auf der Stelle wieder, alle Zweifel waren ausgeschlossen. „Tarrok“, murmelte sie. Ihr Gesicht hatte jegliche Farbe verloren und war leichenblass. Sie konnte es nicht glauben. War dies ein Traum?
    Der Ork wandte sich König Rhobar zu und brüllte so laut, dass er sogar die Menge übertönte. Dieses Geräusch ließ es Gritta eiskalt den Rücken herunterlaufen. Nein, das war kein Traum. Und auf eine merkwürdige Art und Weise gewann sie dadurch plötzlich neuen Mut. Dass Auftreten von Tarrok, konnte es bedeuten, dass alles, was sie an jenem Abend in Khorinis gesehen hatte, tatsächlich real war? Wenn dem so war, dann wusste sie, dass sie nicht ewig an den wahnsinnigen Gomez gebunden sein würde.
    Gritta schloss ihre Augen und versuchte, sämtliche externen Eindrücke fern zu halten und sich zu konzentrieren. Ihre Gedanken schweiften in die Vergangenheit, an einen warmen Sommerabend in der Hafenstadt in einer Zeit lange vor all dem Wahnsinn hier, sogar vor ihrer Zeit mit Bartok. Es schien ein vollkommen anderes Leben zu sein. Sie seufzte leise, als die Erinnerungen sie fest in ihren Bann gezogen hatten.

    Gritta tänzelte singend durch das Handwerkerviertel. Es war Monatsende und sie hatte soeben ein wenig Taschengeld von Onkel Thorben erhalten, das es nun schleunigst in diverse Annehmlichkeiten zu investieren galt. Auf dem Marktplatz würden die Händler in Kürze ihre Waren verstauen und die Stände abbauen, doch vielleicht konnte sie heute noch etwas Tolles erwerben. Onkel Thorben schlug ihr zwar immer wieder vor, dass sie doch einen Teil des Geldes an die heilige Kirche spenden könne, doch daraus machte Gritta sich nichts. Onkel Thorben überließ den Priestern doch ohnehin regelmäßig eine kleine Gabe. Warum also sollte sie es auch tun? Lieber würde sie sich ein paar Süßigkeiten, ein neues Kleid oder ein Spielzeug kaufen. Das war doch viel interessanter als so ein doofer Priester.
    Was würde es heute sein? Das wusste Gritta noch nicht. Sie würde es erst erfahren, wenn sie es sah, ohne sich vorher Gedanken darüber zu machen. Dadurch wurde es viel spannender. Hätte sie heute bloß die Münzen nicht so spät bekommen! Dann hätte sie sich heute noch viel mehr Zeit lassen können. Gewiss, wenn sie auf den nächsten Tag wartete, hätte sie alle Zeit der Welt gehabt. Doch sie besaß das Taschengeld jetztund dem entsprechend musste es auch jetzt ausgegeben werden.
    Leider war sie tatsächlich zu spät dran, wie sie enttäuscht feststellen musste. Die Sonne war zwar noch nicht untergegangen, aber nur noch wenige Händler boten ihre Waren feil. Eine kleine Waffenauslage ignorierte sie ebenso wie einen Gemüsestand – Karotten, Rüben und Blumenkohl interessierten sie momentan kein bisschen. Sie seufzte traurig, als sie feststellen musste, dass auch der Gemischtwarenhändler bereits seinen Feierabend angetreten hatte. Sie genoss es, in dessen Sortiment herumzustöbern, da sie jedes Mal neue interessante Gegenstände fand.
    Also, was gab es noch? Gedankenverloren schlenderte sie über den Marktplatz, als sie plötzlich ein Geräusch hinter sich vernahm. Blitzschnell wandte sie sich um und erblickte einen dunkelhäutigen Mann, der von oben auf sie hinunter blickte und freundlich lächelte.
    Guten Abend, kleines Fräulein“, sagte er.
    Guten Abend“, erwiderte Gritta misstrauisch. Das war dieser Mann mit dem furchtbar langen und unaussprechlichen Namen von den Südlichen Inseln, der vor kurzem erst auf der Insel angekommen war. Bei ihm konnte man gegen Geld Rauch aus seltsamen Flaschen einatmen und angeblich war er auch eine Art Wahrsager.
    Heute ist ein schöner Abend, nicht wahr?“, fuhr der Mann fort. Seine Stimme klang ruhig und geduldig.
    Ja“, antwortete Gritta kurz angebunden. Sie erinnerte sich an die eindringlichen Hinweise von Onkel Thorben, nicht mit Fremden zu sprechen, und beäugte den Mann kritisch.
    Du bist kein Mädchen vieler Worte, was?“, lachte der Mann fröhlich. „Ich bin Abuyin. Keine Sorge, ich werde dir nichts tun, kleine Schönheit.“
    Gut“, meinte Gritta. Sie sah sich verstohlen um. Auch wenn die meisten Händler ihre Stände abgebaut hatten, waren noch immer viele Menschen unterwegs. Und man kannte sie, also konnte nicht viel passieren. Außerdem kamen doch alle bösen Menschen in dieses große Gefängnis, wie hieß es noch gleich, Mimental oder so ähnlich? Wenn dieser Abuyin böse war, hätte man ihn doch auch in das Gefängnis gesteckt.
    Weißt du, ich habe einen Blick für Dinge, die die meisten Menschen nicht sehen können“, erklärte Abuyin. „Ich sah, dass du auf der Suche nach etwas bist. Doch ich sehe auch, dass du selber noch nicht weißt, wonach du suchst. Stimmt das?“, fügte er mit einem Zwinkern hinzu.
    Ich glaube schon.“ Gritta lächelte etwas schüchtern.
    Dann mache ich dir einen Vorschlag“, sagte der Mann und beugte sich zu ihr hinunter. „Möchtest du einen Blick in deine Zukunft werfen?“, flüsterte er verschwörerisch.
    Was?“, rief Gritta erstaunt. „Meine Zukunft? Das geht wirklich?“
    Ich lüge nie“, erwiderte er lächelnd. „Ich habe diese einzigartige Gabe, die Zukunft für kurze Zeit sichtbar zu machen. Und bei Kindern ist das sogar viel einfacher als bei Erwachsenen, verstehst du?“
    Ja, bitte, ja, ich will meine Zukunft sehen!“, jauchzte Gritta entzückt. Das war ja großartig, das war viel besser als alles, was sie auf dem Markt hätte kaufen können!
    Na gut, junge Frau“, meinte Abuyin. „Weil du so ein nettes kleines Mädchen bist, schenke ich dir diesen Ausblick sogar. Dann komm mal mit zu meinem Teppich!“
    Alle Belehrungen von Onkel Thorben waren wie weggeblasen. Bis über beide Ohren grinsend folgte Gritta dem Mann bis zum Hotel. Dahinter war ein großer, roter Teppich mit exotisch anmutenden Mustern ausgelegt worden, auf dem einige dieser komischen Rauchflaschen mit den Schläuchen standen.
    Setz dich“, lud Abuyin sie ein. „Ich nehme an, dass du noch nie geraucht hast?“
    Gritta setzte sich vor eine der Flaschen und schüttelte den Kopf.
    Das ist kein Problem. Weißt du, der Griff nach der Zukunft ist nicht so leicht, wie sich das die meisten Menschen vorstellen. Mit diesen Kräutern hier“, Abuyin griff in einen Beutel und zog einige vertrocknete braune Blätter hervor, „ist es möglich, einen Eindruck von weit entfernten Sphären zu erhaschen. Wir beide müssen ihren Rauch einatmen: du, weil es um deine Zukunftsvision geht, und ich, weil ich den Vermittler und den Verstärker dieser Vision darstelle und ich dich in die Vision führen kann. Sag mir, gibt es etwas, dass du gerne sehen möchtest? Möglicherweise gelingt es mir, den Zeitpunkt der Vision zu steuern.“
    Grittas Herz klopfte so stark und schnell, dass sie glaubte, dass es jeder in der Stadt hören musste. Oh, war das aufregend! Was wollte sie gerne sehen? Da gab es so vieles!
    Meine große wahre Liebe“, platzte es aus ihr heraus. „Ich will den Mann sehen, der für mich bestimmt ist!“
    Dann versuchen wir es“, entgegnete Abuyin lächelnd und entzündete die Kohlestücke, die oben auflagen. Die Kräuter waren bereits irgendwo in dem Ding verschwunden.
    So, junge Dame“, sagte Abuyin, als die Flasche zu qualmen begann. „Wir müssen jetzt beide einen Zug aus der Wasserpfeife nehmen. Ein kleiner wird bei dir genügen. Nimm den Schlauch, setze das Endstück an deinen Mund und atme ein wenig davon ein.“
    Gritta folgte langsam den Anweisungen. Plötzlich wurde es ihr doch etwas mulmig. War das wirklich eine so gute Idee? Ein starker Hustenanfall überkam sie, nachdem sie einen wirklich kurzen Atemzug durch den Schlauch genommen hatte. Das war ja ein schrecklich ekelhafter Geschmack!
    Keine Angst, das ist normal beim ersten Mal“, erklärte Abuyin sachte. „Anschließend werden wir etwas Tee trinken, um den Geschmack weg zu spülen.“ Er nahm ihr den Schlauch aus der Hand und inhalierte tief.
    Gritta wollte ihm eine Frage stellen, doch sobald sie den Mund öffnete, hustete sie erneut – und plötzlich wurde ihr schwarz vor Augen.

    ~

    Gritta rennt. Sie rennt weg, lässt den Wahnsinn hinter sich. Sie rennt, so schnell es ihr möglich ist. Sie trägt zwar ein Kleid, aber es ist dreckig und sowieso eingerissen, deshalb behindert es sie kaum. Sie rennt durch einen kleinen Wald, über einen schlammigen Pfad und schließlich an einigen großen Felsen vorbei. Die Gegend wird zerklüfteter. Wo ist sie? Gritta weiß es nicht genau. Es ist ihr auch egal. Das wichtigste ist, dass sie eine möglichst weite Entfernung zurücklegt.
    Sie legt eine Pause ein und dreht sich um. Sie keucht und schnappt nach Luft. In der Ferne ragt der Turm einer Burg in die Höhe. Niemand ist ihr gefolgt. Falls ihr doch jemand gefolgt ist, hat er sie verloren. Sie hat es geschafft. Sie ist entkommen. Erleichtert setzt sie sich auf einen umgestürzten Baumstamm. Sie atmet schwer. Sie muss etwas trinken, doch sie hat kein Wasser.
    Wohin soll sie nun gehen? Gritta kennt sich hier nicht aus. Es blitzt unheilvoll über ihr und kurz darauf ertönt der Donner. Sie zuckt zusammen. Daran wird sie sich noch gewöhnen müssen.
    Plötzlich hört sie weitere Geräusche. Raschelnde Büsche und knackende Zweige deuten daraufhin, dass sich irgendjemand – oder irgendetwas – auf sie zubewegt. Es heißt, dass sich viele Monster in der Minenkolonie herumtreiben. Gritta springt auf. Wo kann sie sich verstecken? Sie will weiterlaufen, als sie tiefe knurrende Stimmen hört, die in einer Sprache reden, die sie nicht versteht. Und da tauchen zwei große haarige Monster auf. Es sind Orks. Gritta erkennt sie an den vorstehenden Hauern aus dem Unterkiefer und dem grünen Fell, sie sehen genauso aus wie die Orks, die sie schon einmal auf Bildern gesehen hat. Die Orks sehen sie kurz an und stürmen schließlich auf sie zu. Gritta will fliehen, doch die Bestien sind schneller als sie. Ehe sie sich versieht, wird sie von kräftigen Händen gepackt und findet sich auf der Schulter eines der Monster wieder. Die Bestie trägt sie so einfach, als wäre sie ein Stück Papier. Sie ruft, sie schreit, sie wehrt sich, sie trommelt mit den Fäusten auf dem Rücken des Monstrums, doch den Orks interessiert das nicht.
    Die beiden Kreaturen schleppen sie durch eine öde Landschaft und plötzlich hört Gritta das Rauschen eines Flusses. Sie gehen über eine unheilvoll aussehende, schwarze Brücke. Der Lärmpegel steigt. Da sind weitere Orks. Viele Orks. Drei Orkkinder laufen grunzend und lachend hinter ihr her. Es ist eine richtige Orkstadt. Sie bringen sie zu einem großen Platz. In der Mitte steht eine hohe Säule mit einer komischen Figur darauf. Bunt geschmückte Orks sind überall. Einige scheinen die Säule anzubeten. Einige kommen auf die beiden Orks zu, die Gritta entführt haben. Sie sehen furchterregend aus und Gritta fürchtet sich. Die Orks sprechen wieder gemeinsam in ihrer eigenen Sprache. Einer der bunten Orks deutet erst auf Gritta, dann auf ein großes Gitter, hinter dem sich eine Art Grotte befindet. Sie wird dorthin getragen und heruntergelassen. Sie setzt sich auf einen Stein.
    Was soll sie tun? Sie kann nicht fliehen. Überall sind Orks und große Krieger beobachten sie misstrauisch. Sie diskutieren weiter. Möglicherweise besprechen sie gerade, wie sie Gritta essen oder opfern werden. Andere brüllen laut und lassen helle Funken aus ihren Fäusten sprühen.
    Ein kleiner Aufruhr entsteht. Gritta sieht auf. Ein weiterer Ork erscheint auf dem Platz, lediglich mit einem Lendenschurz bekleidet und umgeben von anderen, die ihn bejubeln oder auf die Schultern klopfen. Er kommt näher und redet mit den bunten. Er bemerkt Gritta und sieht sie an. Sie schluckt. Diesen Ork kennt sie. Er zuckt mit keiner Miene. Ein paar Worte, eine kleine Handbewegung und die anderen Orks treten von ihm zurück. Er kommt auf Gritta zu.
    „Du bist es“, sagt sie nur, als er vor ihr steht.
    Ja“, antwortet er. „Tarrok sein heimgekehrt. Tarrok endlich sein in Heimat.“ Sein Myrtan ist nicht perfekt, aber man versteht ihn recht gut.
    Du bist von hier?“, fragt Gritta erstaunt. „Aber du hast für die Menschen im Alten Lager gekämpft.“
    Tarrok nicht kämpft für Mensches“, stellt der Ork verärgert klar. „Mensches versklavt Tarrok. Arbeit in Mine. Tarrok getauscht wie Gegenstand. Mensches zwingt Tarrok kämpfen mit anderes Mensches. Tarrok haben keine Wahl. Mensches von Burg sein grausam. Aber Tarrok haben Ehre. Nicht toten wehrloses Mensch. Das kein ehrenhaftes Kampf. Das feiges und schlechtes Kampf. “
    Deshalb hast du ihn nicht angegriffen“, versteht Gritta plötzlich. „Und jetzt? Was geschieht mit mir? Werdet ihr mich essen?“
    Tarrok lacht laut und grunzend und setzt sich neben sie. „Mensches haben falsche Vorstellung von Orks. Wir nicht böse. Wir nicht toten ohne Grund. Wir nicht essen Mensches. Unser Stamm freundlich. Brüder nicht Teil von Krieg zwischen Mensches und Orks.“
    Gritta nickt und schweigt. Die wenigen Sätze, die sie mit Tarrok wechselt, genügen und plötzlich sieht sie Orks mit etwas anderen Augen. Sie sind wohl doch nicht so schreckliche und skrupellose Bestien, wie sie sonst dargestellt werden. Sie atmet tief ein und nimmt den intensiven Geruch des Orks neben ihr erst jetzt bewusst wahr. Anders als erwartet stinkt er nicht, er riecht nicht einmal unangenehm.
    Was ist das für ein Ort hier?“, fragt sie.
    Das Tempel von Krushak“, antwortet Tarrok.
    Krushak?“, wiederholt Gritta stirnrunzelnd.
    Krushak sein Gott. Aber Krushak schlafen. Besser nicht reden von Krushak“, schlägt der Ork vor. „Keine schöne Geschichte.“
    Und was machen die da?“, fragt Gritta und zeigt zu den bunt geschmückten Orks, die irgendwelche Zaubersprüche ausprobieren. Einer von ihnen lässt eine Strohpuppe in Flammen aufgehen, indem er scheinbar aus dem Nichts Strahlen aus flüssigem Feuer von allen Seiten in sie hineinfahren lässt.
    Das sein Söhne von Geist. Training mit Magie. Sieh, das sein Hosh-shrok, Sohn von Geist von vielen vielen Jahren. Haben Zauberstein mit Magie von Krushak!“ Gritta sieht, wie der Schamane erneut Flammen heraufbeschwört. Den Runenstein hält er fest umgriffen. „Söhne von Geist denken, dass böses Mensches vielleicht greifen wieder an wie böses König vor vielen vielen Jahren. Deshalb viel Übung mit Magie von Krushak. Brüder deshalb mitgenommen kleines Frau von Mensches. Brüder glauben vielleicht du wissen etwas.“
    Gritta schweigt und sieht den Schamanen zu. Sie möchte nicht in der Haut eines Feindes stecken, der von diesem furchtbaren Zauber getroffen wird.
    Ich habe mich noch gar nicht bei dir bedankt“, erklärt sie schließlich schüchtern. „Du hast mich gerettet. Danke.“
    Das sein Sache von Ehre“, entgegnet Tarrok sanft. „Mensches sind grausam. Grausam zu Tiere, grausam zu Orks, grausam zu Fraus von Mensches, viel grausam zu alles und wenig Ehre zu alles. Tarrok nicht böse und grausam. Tarrok helfen kleines Frau von Mensches gerne.“
    Ein kühler Windzug trifft Gritta. Erst jetzt wird ihr klar, wie dunkel und kalt es bereits geworden ist. Sie fröstelt und rückt näher zu Tarrok. Obwohl er lediglich einige Stunden zuvor in ihr Leben getreten ist, vertraut sie ihm auf eine merkwürdige Art und Weise mehr als allen anderen Menschen, die sie kennt – sogar mehr als Bartok. Bartok wäre nie so mutig wie dieser Ork gewesen. Sie lehnt sich an ihn. Sein Fell wärmt sie.
    Du bist ja verletzt“, haucht sie. Erst jetzt bemerkt sie den tiefen Schnitt unterhalb seiner rechten Achsel. Tarroks Arm hat die Verletzung kaschiert, doch nun sieht sie eindeutig, wie sich das grünliche Fell dort allmählich rot färbt.
    Nicht sein schlimm“, wiegelt der Ork ab.
    Nein, das muss versorgt werden“, widerspricht Gritta. „Du darfst keinen Wundbrand kriegen. Komm, ich werde die Wunde behandeln.“ Sie streicht langsam über sein Fell. Was geschieht bloß mit ihr? Ist sie nun auch so wahnsinnig wie alle anderen im Minental? Nein, sie fühlt sich in Tarroks Gegenwart so entspannt wie noch nie zuvor. Vor allem fühlt sie sich sicher und behütet.
    Tarrok legt den linken Arm um Gritta und sie erschaudert. Es ist so merkwürdig. Sie will

    ~

    „Was bei allen Göttern geht hier vor!“, tobte Onkel Thorben. „Das ist doch nicht zu fassen! Gritta – rauchst du etwa?
    Gritta schluchzte bitter. Dicke Tränen rannen ihr die hochroten Wangen hinab. Sie weinte nicht wegen ihres Onkels, denn im Gegenteil war sie sogar froh, dass er plötzlich erschienen war und sie aus der Vision gerissen hatte. Die Vision war es, die ihr zu schaffen machte. Sollte das ihre Zukunft sein? Sie in dem großen Gefängnis und ihre große Liebe wäre ein verdammter stinkender Ork?
    Dieser Abuyin war doch wahnsinnig. Sicherlich hatte er absichtlich diesen Albtraum herbeigeführt, denn daskonnte nicht das sein, was aus ihr werden würde.
    Mein Kleines“, stammelte der Südländer. „Ich... ich weiß nicht, was da geschehen ist... Ich ahnte nicht, dass wir so etwas sehen würden...“
    Er wirkte aufrichtig bestürzt, doch Gritta war es einerlei. „Du bist ein böser böser Mann!“, schrie sie heulend und zeigte mit dem Finger auf ihn.
    Was hat er getan, Gritta?“, fragte Onkel Thorben zornig. „Hat er dich etwa angefasst? Ich habe dir doch gesagt, dass du nie mit Fremden mitgehen oder etwas von ihnen annehmen sollst!“
    Es tut mir leid“, schniefte sie. „Ich werde es nie wieder tun, ich verspreche es, Onkel Thorben!“
    Das will ich dir auch geraten haben“, entgegnete er und wandte sich dem Südländer zu. „Wag' es bloß nie wieder, Gritta anzusprechen oder sie auch nur anzusehen“, drohte er. „Kleine Kinder an Wasserpfeifen rauchen lassen – ihr Südländer habt ja einen gehörigen Sprung in der Schüssel. Wahnsinnig, allesamt! Die Miliz werde ich davon in Kenntnis setzen, damit das klar ist!“
    Er packte die noch immer schluchzende Gritta am Arm, drehte sich um und zerrte sie nach Hause.

    Gritta öffnete die Augen. Sie war wieder in der Realität angekommen. Sie hatte das Gefühl, als sei sie stundenlang unterwegs gewesen, aber tatsächlich konnten es nur Sekunden gewesen sein. In der Arena standen sich noch immer Tarrok und König Rhobar II gegenüber, der Ork mit einer mächtigen Axt bewaffnet und der König mit bloßen Händen.
    Tarrok! Tarrok! Tarrok!“, hallte es einvernehmlich durch das ganze Lager. Gritta hielt es für etwas merkwürdig, dass die Leute hier geschlossen hinter einem Ork standen, andererseits befand sich schließlich auch der vermutlich am meisten verhasste Mensch Myrtanas hier.
    Eine gewisse Spannung breitete sich in ihr aus. Sie wusste zwar nicht, was als nächstes geschehen würde, doch sie wusste, dass etwas geschehen würde – etwas, womit niemand rechnete, falls die Zukunftsvision, die ihr Abuyin als kleines Mädchen vor einer Ewigkeit zukommen ließ, tatsächlich eintreten würde. Als sie noch jung war, hatte sie dank ihr ganze Nächte lang nur geweint und wenn sie einmal eingeschlafen war, hatte sie wahre Albträume durchlitten. Abuyin, der es dennoch nur gut gemeint hatte, hatte ihr die Kindheit geraubt. Als sie dem Kindesalter entwuchs, war ihr klar geworden, dass diese Vision natürlich ein einziger Schwindel gewesen sein musste. Sie hatte vermutet, dass Abuyin irgendwelche exotischen Substanzen verwendete, um wahnsinnige Phantasien zu erzeugen. Und nachdem sie Bartok kennengelernt hatte, hatte sie diese Geschichte beinahe vergessen. Doch nun war sie tatsächlich im Minental gefangen und hatte den Ork aus ihrer Vision mit eigenen Augen erblickt. Bedeutete dies dann letztendlich nicht auch, dass nicht Bartok, sondern Tarrok ihre wahre Liebe darstellte? Dieser Gedanke bereitete ihr Unbehagen, obwohl sie sich auf eine eigenartige Weise zu dem Ork hingezogen fühlte, ohne je mit ihm gesprochen zu haben.
    Tarrok! Tarrok! Tarrok!
    Gomez ergriff nun wieder das Wort. „Selbstverständlich werde ich unseren geliebten König nicht völlig chancenlos gegen die wilde Bestie dort kämpfen lassen. Er wird eine Waffe erhalten, um sich verteidigen zu können. Schließlich habe ich ja auch noch Anstand!“
    Völlig wahnsinnig, dachte Gritta, während sich Gomez umdrehte und seine Gardisten begutachtete. Sofort begannen sie, ihre Taschen auszuleeren und ihm zu zeigen, was sie anbieten konnten.
    „Na was geben wir ihm denn... nein, Bloodwyn du Sumpfgurke, damit könnte er Tarrok doch verletzen! Wartet... Ja, das ist es!“ Der Erzbaron grinste finster. „Ich gewähre Euer Majestät diesen mystischen wie gleichwohl mächtigen Gegenstand! Möge er Euch gute Dienste leisten!“
    Das war so klar, dachte Gritta augenrollend, während Gomez König Rhobars Waffe in die Arena schleuderte, wo sie zu Füßen des Regenten landete. Es handelte sich selbstverständlich um diese dämliche Harfe des wahnsinnigen Blumenfetischisten. Rhobar hob das Musikinstrument geistesabwesend auf und betrachtete es mit starrem Blick.
    Tarrok! Tarrok! Tarrok!
    Tarrok hingegen hatte seine Position noch immer nicht verändert. Er machte keinerlei Anstalten, seinen mittlerweile massiv eingestuhlten Gegner zu attackieren. Allmählich ließen auch die Jubelrufe und das Anfeuern nach. Unruhe breitete sich unter den Zuschauern aus, da sie ungeduldig auf ein Spektakel der Extraklasse warteten. Auch Gomez sah seine Gardisten fragend an.
    „Was macht der denn da, Jackal?“, verlangte er zu wissen.
    „Ähm... Ich weiß es nicht, Chef“, antwortete der Gardist verwirrt. „He, Tarrok, du dummer Ork!“, schrie er in den Ring hinein. „Lass den Scheiß! Mach das Schwein endlich platt!“
    Tarrok wandte sich der erhöhten Loge zu und funkelte Jackal mit gefährlich blitzenden Augen an, so dass dieser erschrocken zusammen zuckte. „Tarrok nicht kämpfen!“, brüllte er. „Tarrok weigern! Das ungerechtes Kampf ohne Ehre!“
    „Erzähl mir nichts von Ehre, du dreckiger Ork!“, verlor Gomez die Beherrschung. „Du gehörst mir! Kämpfe!“
    „Tarrok nicht kämpfen für Spaß von Mensches!“, empörte sich der Krieger. „Böses Mensches machen lustig über Tarrok! Keine Ehre, kein Respekt für Gegner von Tarrok ohne Waffe! Mensches nur wollen Blutbad sehen! Wenn böses Mensches wollen Tod von Gegner, böses Mensches toten selbst!“
    „Du wagst es, dich mir entgegenzustellen?“, kreischte Gomez und sprang mit hochrotem Kopf auf. „Das ist König Rhobar, du Missgestalt! Das ist der Kerl, der vor dreißig Jahren fast dein gesamtes dämliches Orkdorf ausgerottet hat! Räche dich an ihm!“
    Tarrok sah kurz zum König, der nur noch eine ganz und gar nicht königlich aussehende jämmerliche Gestalt abgab, und wandte sich dann wieder dem Erzbaron zu.
    „Böses König verdienen Tod“, gab er zu. „Aber verdienen Tod in Kampf. In ehrenhaften Kampf. Tarrok nicht werden ehrenlos wie böses König!“
    „Erzbaron Gomez!“, durchschnitt plötzlich eine weitere scharfe Stimme die Luft. Gritta drehte sich um; diese Stimme kannte sie noch nicht. Die einfachen Buddler drängten sich ehrfürchtig zur Seite, während ein alter bärtiger Mann in wallender roter Robe einen Weg durch die Menge zu Gomez' erhöhtem Aussichtspunkt bahnte. Weitere Männer folgten ihm. Das müssen die eingeschlossenen Magier sein, schlussfolgerte Gritta.
    „Meister Corristo“, sagte Gomez langsam und wich einen Schritt zurück. „Wir hatten Euch nicht erwartet.“
    „Was bei Innos geht hier vor?“, fragte der Magier, der mit Corristo angesprochen wurde, laut. „Was ist das für eine Farce?“
    „Bei allem Respekt, das geht Euch gar nichts an“, widersetzte sich Gomez. Die Art, wie er sich verhielt, deutete daraufhin, dass dieser Wahnsinnige zumindest den Magiern gegenüber Ehrfurcht zeigte oder sich gar vor ihnen fürchtete, stellte Gritta fest.
    „Wir hörten Gerüchte, dass König Rhobar II in das Minental gelangt sei“, erklärte der Magier. „Natürlich erzählt man in der Minenkolonie allerhand Quatsch, allerdings schien es mir, als versuchten deine Erzbarone, Schatten und Gardisten, diese Gerüchte mit allen Mitteln von unserem Orden fern zu halten. Eine höchst verdächtige Anordnung. Und heute redet jeder im Lager von Arenakämpfen mit dem König in der Hauptrolle. Was hast du dazu zu sagen? Verantworte dich!“
    „Wir sind wegen diesem Bastard hier eingesperrt!“, polterte Gomez los. „Wir alle! Ihr auch! Er wollte dieses Gefängnis und hat Euch im Stich gelassen! Und wir sollen für ihn sein beschissenes Erz schürfen, damit er Krieg spielen kann!“
    „Er ist unser rechtmäßiger König!“, entgegnete Corristo. „Diesen Hochverrat kannst du nicht rechtfertigen! Was glaubst du eigentlich, wer du bist?“
    „Ich säubere die Welt von diesem Dreck!“, erwiderte der Erzbaron zornig und ging nun wieder auf den Magier zu. Gritta bemerkte, dass die Gardisten nach und nach die Hände auf ihre Waffen legten. Sie erhob sich langsam und ging vorsichtig einige Schritte rückwärts. Sie hatte nicht die Absicht, zwischen die Fronten zu geraten, falls die Situation eskalieren sollte. Auch die Menschenmenge schien sich vorsichtshalber allmählich zu zerstreuen. Die Spannung, die in der Luft lag, war beinahe greifbar.
    „Oh Gomez, wie weit hast du überhaupt gedacht?“, fragte der Magier und schüttelte den Kopf. „Du weißt doch, wem du deinen Lebensstandard zu verdanken hast. Was wird geschehen, wenn die Außenwelt Nachricht davon erhält, dass du den König grausam abschlachten ließest? Denkst du wirklich, dass sie dich weiter mit allen Annehmlichkeiten, die du dir wünschst, versorgen werden? Du wirst alles verlieren!“
    „Ich bin Gomez!“, kreischte der Mann und sprang auf. Sein Kopf hatte mittlerweile die gleiche Farbe wie die Roben der Magier angenommen. „Ich bin der oberste Erzbaron! Ich bin der mächtigste Mann der Kolonie! Ich bin der mächtigste Mann auf der gesamten verdammten Insel! Alles hängt von meiner Güte ab! Man hat mir zu gehorchen! Ohne mich wird Myrtana den Krieg verlieren! Ich bin kriegsentscheidend! Ich bin der wichtigste Mann der Welt! Ich bin anbetungswürdig! Ich bin Gomez!“
    Und du bist nicht nur wahnsinnig, sondern absolut größenwahnsinnig, dachte Gritta. Irgendetwas in deiner Rübe läuft ganz und gar nicht richtig.
    Einige der Gardisten zogen langsam ihre Schwerter, während die Magier sich nicht rührten. Gritta schätzte jedoch, dass sie nur Sekundenbruchteile benötigten, um ihre Magie wirken zu lassen. Und Gomez war außer sich.
    Er ballte die Fäuste und reckte sie gen Himmel, während er die Götter verfluchte – und plötzlich verstummte. Die Anwesenden richteten ihre Blicke auf ihn. Was war los? Und da sah Gritta es. Sie unterdrückte ein Kichern, das ihr beinahe entwichen wäre. Denn auch Gomez war etwas entwichen. Sein Hosenboden färbte sich langsam dunkel und ein äußerst unangenehmer Geruch erfüllte die Luft.
    Scheint, als wären deine Durchfälle doch noch nicht so ganz abgeklungen, grinste Gritta schadenfroh in sich hinein.
    „Gomez hat sich in die Hose geschissen“, rief plötzlich ein Buddler in schmutziger Kleidung, der sich in die Nähe geschlichen hatte. „Hört mal her, Gomez hat sich in die Hose geschissen!
    Nur wenige Sekunden darauf färbte sich das Hemd des Mannes rot. Tonlos sackte er mit von Armbrustbolzen durchlöcherter Brust zu Boden. Die Gardisten luden ihre Waffen nach, doch damit nahm das Chaos seinen Lauf. Die Menge geriet in Aufruhr. Einige der niederen Arbeiter prügelten plötzlich grundlos auf einen Schatten ein, während ein Gardist dem Schmied zwischen die Beine trat. Wie ein Lauffeuer breiteten sich die Unruhen aus. Gritta beobachtete, wie nun überall auf den Tribünen und auch außerhalb der Arena Kämpfe stattfanden, wobei die Beteiligten vermutlich nicht einmal wussten, was der Auslöser war und worum es überhaupt ging.
    Die Magier wirkten ganz und gar nicht mehr gelassen. Einige von ihnen ließen Kugeln aus Feuer über ihren Handflächen schweben und blickten sich verstohlen um, während sie zurückwichen. Gomez hingegen hatte den Schauplatz fluchtartig verlassen und begab sich flankiert von seinen Gardisten durch den äußeren Ring des Lagers Richtung Burgtor.
    Und nun? Gritta überlegte nicht lange. Momentan schien sie niemand zu beachten, also nutzte sie die Gelegenheit und lief los. Sie passierte die Magier, entging dem Faustschlag eines Gardisten und sprang über einen am Boden liegenden Schatten.
    Wohin jetzt? Gritta wandte sich nach links und rannte an den einfachen Holzhütten entlang. Von irgendwoher hörte sie eine schrille wahnsinnige Stimme rufen. „Da kommt sie endlich, die Birken-Brigade! Und sie haben wütende Kiefern mitgebracht! Seht nur, Euer Majestät!“
    Die junge Frau ließ die Unruhen hinter sich. Einige Männer, die nicht an dem wahnsinnigen Spektakel in der Arena teilgenommen hatten und daher nicht wussten, was dort gerade vor sich ging, sahen sie verwirrt an. Und schließlich geriet ein Tor in ihr Sichtfeld. Es war nicht mehr weit. Sie musste nur noch an dieser Ruine eines alten umgestürzten Turmes vorbei und dann –
    „Nicht so schnell, meine Süße“, raunte eine fiese Stimme, während zwei kräftige Arme Gritta packten und sie durch eine klaffende Öffnung ins Innere der Turmruine schleuderten. Sie schlug hart auf dem Boden auf und schrie vor Schmerzen.
    „Hey, was hast du denn da mitgebracht, Grim?“, ertönte eine weitere Stimme. „Na, so was schnuckeliges habe ich ja schon seit Jahren nicht mehr gesehen!“
    „Tja, Süße“, sagte der Kerl, der Grim genannt wurde, in belehrendem Tonfall. „Ich fürchte, dass wir dich jetzt besteigen müssen. Wie magst du es am liebsten? Von vorne oder von hinten?“
    Gritta schrie. Es geschah instinktiv, denn um Hilfe zu schreien war etwas, das man ihr als Kind eingebläut hatte, falls ihr jemand etwas Böses wollte. Doch sie ahnte bereits, dass sie unter all den wahnsinnigen und wollüstigen Männern der Minenkolonie keine Hilfe erhalten würde. Die würden sich vermutlich eher sogar noch beteiligen.
    „Lasst mich in Ruhe, ihr Dreckskerle!“, keifte sie und trat nach dem Mann, der gerade ihr Bein betatschte. Der andere grapschte ihr an die Brust, so dass sie wild um sich schlug.
    „Die Stute ist wild“, lachte Grim, während er seine Hose öffnete. „Ich steh' auf wilde Stuten. Bist du denn schon feucht?“
    Gritta trat erneut zu und traf Grim zwischen den Beinen. Er heulte auf und ging in die Knie.
    „Du verdammtes Miststück!“, schrie der andere und zog einen Holzknüppel hervor. „Wenn es sein muss, können wir dich auch grün und blau schlagen, bevor wir dich ficken!“ Weitere Buddler näherten sich.
    Entsetzt sah Gritta, wie der Mann den Knüppel hob – und er mit einem Mal zur Seite und gegen die Wand geschmettert wurde. Eine große Gestalt erschien in der Turmöffnung und ließ ein markerschütterndes Brüllen erklingen. Grim erbleichte, zog ein rostiges Schwert und hielt es mit zitternden Händen zum Schutz vor sich. Die Gestalt schien die Waffe nicht einmal zu bemerken und rammte Grim eine gewaltige Faust ins Gesicht. Die anderen Männer wichen zurück. Die Gestalt wandte sich Gritta zu und nun erkannte sie zweifellos Tarrok, der ihr die Hand reichte, um ihr vom Boden aufzuhelfen. Sie ergriff die Hand und richtete sich auf.
    „Kleines Frau von Mensches besser laufen weg“, riet er ihr. „Tor von Lager nicht weit. Lauf.“
    Und das tat sie.
    Geändert von Stonecutter (10.06.2014 um 21:05 Uhr)

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    HASS Avatar von Stonecutter
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    Warnung: Die sechste Vorgabe beinhaltet einen massiven Spoiler!
    Spoiler:(zum lesen bitte Text markieren)
    Vorgabe 6

    Person A kommt durch Person D ums Leben. Der Grund dafür? Grund A!



    „Hier entlang, Euer Majestät!“, rief Markus und zerrte seinen König am Arm in ein kleines Wäldchen. Netbek, der König Rhobar am anderen Arm stützte, folgte der Anweisung. Sie rannten durch das Unterholz und hielten schließlich an einem kleinen Bach, der unschuldig vor sich hin plätscherte. Langsam ließen sie den erschöpften König auf den Boden sinken, um daraufhin ebenfalls nieder zu knien. Gierig schaufelten sich die drei Männer mit ihren Händen das kalte Wasser in den Mund. König Rhobar nutzte die Gelegenheit auch dazu, etwas von den Fäkalien abzuwaschen.
    Markus konnte es kaum fassen. Sie waren den Verbrechern entkommen. Er war zwar nicht mehr dazu in der Lage, sich an den genauen Hergang zu erinnern, da alles viel zu schnell ging. Er hatte lediglich mitbekommen, dass oben auf der Tribüne ein großer Tumult ausgebrochen war, nachdem sich der Ork merkwürdigerweise geweigert hatte, König Rhobar zu erschlagen. Die Unruhen hatten sich in alle Richtungen ausgebreitet, seine Wache wurde abgelenkt und irgendwie war es ihm gelungen, an ihren Schlüsselbund zu gelangen und plötzlich hatten sie sich im größten Chaos befunden. Während der Flucht hatte er Männer in roten Roben, die magische Feuerbälle gewirkt hatten, bemerkt. Das mussten einige der Magier gewesen sein, die einst dieses Gefängnis erschaffen hatten. Markus fragte sich noch immer, wo sie plötzlich hergekommen waren und ob sie etwas mit dem Chaos zu tun gehabt hatten.
    „Puh“, stöhnte der irre Glatzkopf. „Wie ich es Euch gesagt habe, Majestät! Auf meine Freunde ist Verlass!“
    Spinner, dachte Markus, behielt diesen Gedanken jedoch für sich. Netbek war zwar absolut verrückt, dennoch schien es sich um den derzeit einzigen Menschen im Minental zu handeln, der nicht die Absicht hatte, seinen König zu töten. Sie waren auf jeden Verbündeten angewiesen und Netbek hatte sich nun trotz seines Wahns als recht hilfreich erwiesen.
    „Die Birken-Brigade räumt noch im Alten Lager auf“, erklärte dieser gerade. „Die Kiefern-Kompanie hat uns bei der Flucht den Rücken freigehalten. Auf die Jungs ist Verlass. Und das beste ist, dass ich meine Harfe zurück bekommen habe!“ Er klimperte an dem Musikinstrument herum. Er musste es Rhobar abgenommen haben, dem das Ding von Gomez zugeworfen worden war.
    „Wo befinden wir uns gerade?“, erkundigte sich der Paladin.
    „Ich würde sagen, irgendwo zwischen dem Alten und dem Neuen Lager“, antwortete Netbek fröhlich.
    „Ich habe Magier gesehen“, fuhr Markus fort. „Im Alten Lager. Leben die auch dort?“
    „In der Tat, ja, das tun sie“, bekräftige Netbek nickend. „Die haben irgendeine Art Handel mit den Erzbaronen abgeschlossen. Die kriegt man wohl sehr selten zu Gesicht.“
    „Die Magier sind es, an die wir uns wenden sollten“, schlug Markus vor. „Vielleicht wissen sie Rat.“
    „So ist es, Malte“, krächzte der König heiser. „Ich will mit den Magiern sprechen!“
    „Ich fürchte, dass das nicht so einfach wird, Euer Majestät“, erwiderte der Paladin langsam. „Wir sollten uns möglichst von diesem Ort fernhalten.“ Er wandte sich an den Glatzkopf. „Es waren nur wenige Magier, die ich sah. Aber waren es nicht zwölf, die die Barriere errichteten? Wo sind die anderen, tot?“
    „Tot?“, lachte Netbek. „Nein, die sind quicklebendig! Einige von denen leben im Neuen Lager. Es heißt, dass man an die auch besser herankommt.“
    „Das ist ja großartig!“, sagte Markus. Das erhöhte ihre Chancen zu überleben beträchtlich. „Wie sehen die Verhältnisse in diesem Lager aus? Was weiß man über den Anführer?“
    „Na, die Leute dort werden von einem großen Kriegshelden angeführt“, wusste Netbek stolz zu berichten. „General Lee hat dort das Sagen.“
    Markus rutschte das Herz in die Hose. Ach du Scheiße.
    „General Lee?“, schaltete sich der König in das Gespräch ein. „General Lee, der meine Königin ermordet hat? Er lebt noch?“
    „Ach, so war das“, meinte Netbek zerknirscht. „Das wird der wohl sein, nehme ich an.“
    „General Lee wird uns wohl auch nicht gerade mit offenem Armen empfangen“, schätzte Markus nachdenklich. „Mit Verlaub, Euer Majestät, ich zweifle nicht an der Korrektheit Eurer Rechtsprechung, aber Lee war ganz und gar nicht über das Urteil erbaut. Es wäre meiner Meinung nach ein zu großes Risiko, sich an ihn zu wenden.“
    „Deshalb sollten wir ins Sumpflager gehen!“, warf Netbek ein. „Dort sind alle immer freundlich, ruhig, besonnen und entspannt, nunja – die meisten zumindest. Die Blumen und Bäume werden Euch garantiert nichts antun. Ihr könntet Euch ein gutes Bild von dem Ort machen und würdet dann verstehen, warum ich Eure Hilfe zur Einrichtung der Blumenwiese benötige!“
    Markus ignorierte ihn. „Aber es gibt einen anderen Weg. Euer Majestät, ich habe geschworen, Euch mit meinem Leben zu verteidigen und nicht von Eurer Seite zu weichen.“ Er atmete tief ein. Diese Idee gefiel ihm ganz und gar nicht. „Dennoch fürchte ich, dass wir uns kurzzeitig trennen müssen. Wir werden für Euch einen sicheren Unterschlupf finden, an dem Ihr geschützt seid. Anschließend werde ich alleine zum Neuen Lager aufbrechen und versuchen, mit den Magiern dort zu sprechen. Wir müssen lediglich zu Innos beten, dass sich dort niemand von Gomez' Leuten aufhält, der mich erkennen könnte, deshalb sollte dies so schnell wie möglich geschehen.“ Markus hatte auch kurz an die Möglichkeit gedacht, Netbek zu den Magiern zu schicken, doch er befürchtete, dass er ihnen irgendwas von tanzenden Kastanien erzählen würde und ihn niemand ernst nähme – oder schlimmer noch, dass er zu viele Informationen an die falschen Personen leiten könnte.
    Das Gesicht des Königs zeigte keinerlei Regung. Nach einigen Sekunden ergriff er endlich das Wort. „Sollten wir nicht versuchen, zum Warenaustauschplatz zu gelangen, Manuel?“, fragte er. „Wir könnten Verstärkung durch die Barriere anfordern.“
    „Der Austauschplatz wird von Gomez' Leuten kontrolliert“, wandte Netbek ernst ein. „Vor allem jetzt wird der Weg wahrscheinlich umso intensiver bewacht. Da gibt es für uns kein Durchkommen. Und die Kiefern-Kompanie wird auch keinen Angriffskrieg führen, sie ist mehr eine Einsatztruppe für akute Notfälle, versteht Ihr?“ Er legte seinen Zeigefinger an den Mund. „Obwohl, wenn ich recht überlege, die Erlen-Einheit ließe sich vielleicht dazu bewegen, uns –“
    „Ich denke, wir bleiben besser bei meinem Vorschlag“, unterbrach ihn Markus. „Es ist riskant, das ist mir bewusst. Doch ich sehe keinen anderen Weg.“ Auch das Sumpflager schien ihm keine besonders gute Alternative zu sein. Möglicherweise waren die Angehörigen dort ebenso verrückt wie Netbek oder auch nicht, aber auf jeden Fall waren sie immer noch Verbrecher, wie alle anderen Insassen der Barriere. Diesem Risiko konnte er den König nicht aussetzen.
    „Einverstanden, Max“, gab sich der Regent schließlich geschlagen.
    Der Tag neigte sich allmählich dem Ende zu. Dass es schon viel dunkler geworden war, fiel Markus erst jetzt auf. Durch das stetige blaue Flackern der Barriere über ihnen nahm man das Verschwinden der Sonne gar nicht mehr so bewusst war. Nachdem sie noch etwas Wasser getrunken hatten, machten sie sich wieder auf den Weg. Nach einer guten halben Stunde Fußmarsch trafen sie auf eine kleine Höhle, die von einem jungen Molerat bewohnt wurde. Nachdem es quiekend geflohen war, betraten die die drei Männer die Grotte. „Das wird reichen“, schätzte Markus. „Hier bleiben wir über Nacht.“
    Eigentlich gehörte das Aufstellen einer Wache zu seinem Plan, doch dieser Aspekt fiel durch die Tatsache, dass sie allesamt sofort eingeschlafen waren, kaum dass sie sich auf den Boden gelegt hatten, weg.
    Am folgenden Tag verabschiedete sich Markus kniend von seinem König. „Ich verspreche Euch bei meiner Ehre, dass ich zurückkommen werde, Euer Majestät“, sprach er feierlich. „Ich werde Hilfe holen und Euch irgendwie aus diesem verfluchten Gefängnis herausbringen. Das schwöre ich auf den Eid, den ich einst zu Euren Füßen ablegte. Innos steht auf Eurer Seite.“
    Noch während der Morgen graute, brach Markus in die Richtung, die Netbek ihm gewiesen hatte, auf. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, den König bei einem Irren zurückzulassen, aber was blieb ihm anderes übrig? Er hatte für noch etwas mehr Schutz sorgen können, indem er den Höhleneingang mit Ästen und herausgerissenen Büschen versah. Er hoffte, dass es niemandem, der zufällig vorbei kommen konnte, auffallen würde. Und er betete, dass ihnen die Magier helfen konnten. Was herrschten für Sitten im Neuen Lager? Würde er womöglich eine Waffe brauchen? Sein Schwert befand sich vermutlich immer noch in der Burg des Alten Lagers, genauso wie sein wertvollster Besitz, eine magische Rune, die lediglich ausgewählten Rittern und Paladinen anvertraut wurden.
    Was auch geschehen mochte, er würde es schaffen. Er würde König Rhobar II nach Hause bringen.

    Gritta spazierte langsam durch das Minental. Selbstverständlich war sie nicht allein: Tarrok begleitete sie. Mit ihm an ihrer Seite fürchtete sie sich vor nichts mehr. Es gelang ihm sogar, ihr die schönen Seiten des Tals bewusst zu machen. So erblickte sie einen Sonnenaufgang, wie sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Das Rot der aufsteigenden Sonne und das Blau der magischen Blitze, die die Barriere durchzogen, vermengten sich zu einem undefinierbaren, sich ständig in Bewegung befindlichen Lichtspiel, das beeindruckender als jedes andere Naturschauspiel, das Gritta kannte, wirkte. Sie sahen aus weiter Entfernung ein Rudel Wölfe über eine Wiese huschen und in einem Wald verschwinden und beobachteten eine friedliche Horde von Scavengern, die offensichtlich am Brüten waren.
    Das Minental hatte also doch mehr zu bieten als die wahnsinnigen Gefangenen. Und auch Tarrok hatte viel zu bieten, wie sie die vergangene Nacht am eigenen Leib feststellen durfte, sogar sehr viel mehr noch als der verschollene Bartok. Nie zuvor hatte sie sich so erfüllt gefühlt. Die anderen Orks des Dorfes betrachteten Gritta zwar stets mit skeptischen und missbilligenden Blicken, wagten es jedoch nicht, sich dem nach langer Zeit aus der Gefangenschaft befreiten Tarrok, der wie ein Held verehrt wurde, zu widersetzen.
    „Was fängst du jetzt mit deiner gewonnen Freizeit an?“, fragte sie ihn schließlich.
    Tarrok zuckte die Schultern. „Tarrok muss sehen. Viel Zeit nicht zu Hause sein. Helfen Stamm weil böses Mensches machen vieles Ärger für Orks.“
    „Was ist mit Gomez?“, hakte sie nach. „Und König Rhobar?“
    Tarrok grunzte wütend. „Böses, viel viel böses Mensches. Wenn Tarrok haben Möglichkeit, Tarrok werden kämpfen. Aber nicht wie böses Gomez will. Ehrenhaftes Kampf muss sein.“
    „Und wie willst du an diese Wahnsinnigen herankommen?“, fragte die junge Frau. „Dieser Gomez hat doch bestimmt immer eine Leibwache dabei und sitzt in seinem Lager. Und der König... wer weiß schon, wo der ist? Vielleicht immer noch im Alten Lager. Vielleicht geflohen. Vielleicht ist er bereits tot.“
    „Minental sein klein“, erwiderte Tarrok. „Irgendwann treffen alle wieder. Tarrok kriegen seine Chance.“
    Sie nickte schweigend und hakte sich bei ihm ein. Niemand ahnte, wie schnell seine Chance kommen sollte.
    Nachdem sie eine weitere Stunde durch einen Wald spaziert waren, hob Tarrok plötzlich den Kopf. Seine Augen verengten sich.
    „Was ist los?“, fragte Gritta.
    „Pscht“, ermahnte er sie zischend und deutete mit der Hand nach vorne. Dann packte er sie und zog sie hinter einige Felsen. Und endlich hörte sie es auch. Das Klirren von Rüstungen und fluchende Männer schallten zu ihnen herüber. Vorsichtig lugte sie mit ihrem Kopf kurz um die Ecke.
    Oh nein, dachte sie. Der Wahnsinnige.
    Es handelte sich tatsächlich um Gomez, der mit einer großen Eskorte durch den Wald streifte. Noch waren sie weit entfernt, doch sie bewegten sich direkt auf ihr Versteck zu. Was suchten die Kerle hier? Wieso waren sie nicht im Alten Lager? Da gab es doch nach den großen Unruhen des vergangenen Tages sicher viel zu erledigen. Sie sah zu Tarrok. Er wirkte äußerst angespannt und hielt schon seine Axt in den großen Händen, bereit sich jederzeit in den Kampf zu stürzen. Er musste wissen, dass er trotz seiner Stärke gegen diese Menge an Feinden durchaus unterliegen konnte.
    „Gomez, glaubst du wirklich, dass er hier ist?“, fragte eine tiefe Stimme in gelangweiltem Tonfall.
    „Irgendwo muss der Bastard ja sein“, antwortete Gomez' Stimme knurrend. „Wir wüssten es, wenn er bei den miesen Banditen oder bei den Sektenspinnern gelandet wäre. Also ist er hier irgendwo in der Wildnis.“
    „Er könnte überall sein“, wandte ein anderer Mann ein. Sie schienen auf der anderen Seite der Felsen Halt gemacht zu haben.
    „Das sagt ihr mir seit heute morgen“, fauchte Gomez. „Ich will den verdammten König haben! Ich werde ihm höchstpersönlich die Eingeweide aus dem Bauch reißen!“
    Feigling, dachte sich Gritta. Trotzdem brauchst du zehn Leute, die dich beschützen, wenn du deine Burg verlässt.
    „Wir sollten einfach noch ein paar Tage abwarten“, meinte ein anderer Gardist. „Wenn wir die Ordnung im Lager erst wieder vollständig hergestellt haben, können wir mehr Leute für Suchtrupps erübrigen.“
    „Damit irgendein anderer Mistkerl das Schwein vor mir erwischt?“, erwiderte Gomez. „Nein. Dass mich dieser stinkende Ork verraten hat, Rhobar irgendwie entkommen konnte und sich die Feuermagier mir öffentlich widersetzt haben und das alles gleichzeitig, hat unsere Stellung zu sehr ins Wanken gebracht, Thorus. Es genügt nicht mehr, jetzt im Lager hart durchzugreifen. Wir müssen demonstrieren, was wir mit Subjekten, die uns lächerlich machen wollen, anstellen. Und mit dem König fangen wir an.“
    „Corristo wird das nicht tolerieren.“
    „Ich werde Corristo nicht weiter tolerieren“, grunzte Gomez. „Die alten Säcke in ihren Roben, die sich für was Besseres halten... die werden auch noch ihr blaues Wunder erleben.“
    „Dann sollten wir aber erst mal zusehen, dass wir endlich den König finden“, sagte der Mann, den Gomez Thorus genannt hatte. „Ich denke allerdings, dass das so nichts bringt. Wir sollten uns trennen.“
    Gomez schwieg eine Weile. Oh ja, ohne deine Eskorte bist du echt aufgeschmissen, was?, dachte Gritta süffisant.
    „Na gut“, entschied er schließlich. „Wenn wir aus dem Wald hier raus sind. Aber... geht schonmal vor, ich habe... noch etwas zu erledigen.“
    Gritta hörte, wie die Männer sich wieder entfernten und das Scheppern leiser wurde. Tarrok schien sich etwas zu entspannen.
    PPPPPPPPPPPPPPFFFFFFFFFFFHHHHHHHHHPPPPPPPPPFFFFFFFFFHHHHHH
    Ein ekelhafter Ton hallte durch den Wald und kurz darauf stieg ein widerwärtiger Gestank in Grittas Nase auf. Sie verzog das Gesicht. Gomez' Durchfälle hatten sich also noch immer nicht gebessert. Sie sah zu Tarrok, der hingegen das Gesicht zu einem grausigen Grinsen verzogen hatte.
    Nachdem Gomez endlich verschwunden war, warteten sie noch eine Weile ab, ehe sie es wagten, ihr Versteck zu verlassen.
    „Das war knapp“, meinte Gritta.
    Tarrok betrachtete Gomez' flüssige und stinkende Hinterlassenschaften, die durch das auf den Boden gefallene Laub verliefen, und grinste noch immer. „Tarrok haben Idee“, sagte er. „Gritta kennen Orkhunden? Orkjägers gehen Jagd mit Orkhunden.“
    „Orkhunde?“, fragte sie verwirrt. „Was ist das das? So was wie ein Wolf?“
    „Mehr groß als Wolf“, entgegnete Tarrok. „Mehr stark. Mehr gefährlich. Und mehr Nase.“ Er schniefte übertrieben.
    „Mehr Nase? Was... ohhhh“, begriff Gritta. „Guter Geruchssinn? Du willst sie als Spürhunde mitnehmen und Gomez verfolgen!“
    Tarrok nickte langsam. Das war eine gute Idee, da Gomez heute verwundbarer denn je war. Und der Beginn seiner Spur stank direkt vor ihren Füßen.

    „Und in der Mitte sollten am besten die Sonnenblumen stehen. Oder habt Ihr einen besseren Vorschlag, Euer Majestät? Vielleicht doch eher die Tulpen?“
    König Rhobar antwortete nicht und saß angespannt mit dem Rücken zur Höhlenwand. Das ging bereits den ganzen Tag so, seit Markus sie verlassen hatte. Inzwischen musste bereits der Nachmittag angebrochen sein.
    Baal Netbek musste sich eingestehen, dass er durchaus etwas vom König enttäuscht war. Er zeigte keinerlei Interesse an seinen Vorschlägen zur Umgestaltung des Sumpfgebietes. Natürlich ging es für ihn gerade um Leben und Tod, aber dennoch sollte man sich auch Gedanken über das langfristige Vorgehen machen. Was konnte es denn schaden, sich jetzt zu überlegen, wie man nach der aktuellen Krise weiter machte?
    Er hoffte, dass Markus bald zurückkehren würde. Dem Paladin lag das Führen im Blut und wusste anscheinend auch gut mit Krisensituationen umzugehen. Netbek hingegen fühlte sich hilflos. Es war das erste Mal, dass er in derartige Schwierigkeiten geraten war. Das hätte er sich nie träumen lassen, dass jemand den Guru des Sumpfes in einer Arena in einem tödlichen Zweikampf antreten lassen wollte!
    Er fühlte sich auch nicht dazu in der Lage, allein für den Schutz des Königs sorgen zu können. Mit der Birken-Brigade oder der Ginkgo-Garnison würde die Sache sicherlich anders aussehen, aber momentan war für ihn niemand seiner Freunde erreichbar. Ewig konnten sie hier aber auch nicht ausharren.
    Plötzliche Geräusche rissen Netbek aus seinen Gedanken. Da draußen war jemand. Auch der König sah auf.
    „Und hier soll eine Höhle sein, Thorus?“, fragte jemand. Netbek erstarrte. Er erkannte die Stimme – es war Gomez.
    „Diego hat mir davon erhält“, kommentierte jemand anderes. „Nutzt er manchmal als Unterschlupf, wenn er ein paar Tage zum Jagen geht.“
    „Was ist das da vorne?“
    „Hey, da hat ja einer irgendwelche Sträucher vorgelegt. Dahinter ist doch 'ne Höhle oder nicht? Wenn sich da einer verstecken wollte, hat der das aber ziemlich stümperhaft angestellt.“
    Das Gesicht des Königs wurde aschfahl. Netbeks Verstand setzte aus. Nein bitte nicht nein bitte nicht nein bitte nicht nein bitte nicht nein bitte nicht nein bitte nicht nein bitte nicht nein bitte nicht nein bitte
    „Oh hallo, Euer Majestät“, sagte Gomez.

    Netbek und der König wurden von Gomez und fünf Gardisten abgeführt. Jeder Fluchtversuch schien aussichtslos, die Hände waren ihnen am Rücken zusammen gebunden worden. Gomez hatte bereits angekündigt, dass er persönlich sie hinrichten würde, sobald sie im Alten Lager angekommen wären. Es war auch nicht gerade ermutigend gewesen, dass er ihnen erklärt hatte, wie er es anstellen würde.
    Netbek war am Ende. Was hatte er bloß getan, dass er dies alles verdiente? Er war lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Er hatte den winzigen Funken Hoffnung, dass sich die Kiefern-Kompanie möglicherweise noch in der Nähe befand und das Alte Lager beobachtete, doch auch sie wurde zerschlagen, als die Gruppe aus einem Wald trat und die hohen Palisaden in sein Blickfeld gerieten.
    „Tja“, sagte er. „Das war es dann wohl. Es tut mir Leid, Euch enttäuscht zu haben, Euer Majestät. Hoffentlich wird sich jemand anderes der Mission annehmen, den Sumpf zu verschönern.“
    „Klappe halten“, fuhr ihn ein Gardist an und rammte seinen Schwertknauf in Netbeks Seite.
    Netbek krümmte sich vor Schmerzen und stürzte zu Boden. Da seine Hände gefesselt waren, konnte er sich nicht abstützen und landete mit dem Gesicht in einer Schlammpfütze. Er rollte sich auf den Rücken, spuckte etwas Wasser aus und blinzelte, um den Schlamm aus den Augen zu kriegen.
    Plötzlich hörte er hektische Rufe und das typische Geräusch von Schwertern, die gerade gezogen wurden. Im nächsten Augenblick nahm er den erstickten Aufschrei eines Mannes wahr, der in ein Gurgeln überging. Er drehte den Kopf zur Seite und sah einige Meter neben sich einen Gardisten auf dem Boden liegen, dem gerade die Kehle von einem großen vierbeinigen Tier, das auf seiner Brust stand, herausgerissen wurde. Ein zweites Tier stürzte sich mit gefletschten Reißzähnen soeben auf einen weiteren Gardisten, der überrascht seine Waffe fallen ließ und durch den Aufprall ebenfalls auf den Boden geschleudert wurde. Blut spritzte zu allen Seiten und seine Schreie erstarben.
    „Was bei Beliar –“ Weiter kam der Gardist, der Thorus genannt wurde, nicht, da ihm eine gewaltige Axt durch die Rüstung schnitt, als sei sie weiche Butter. Tonlos sackte Thorus neben seinem abgetrennten rechten Arm zu Boden. Ein Ork kam hinter ihm zu Vorschein, der sich nicht weiter mit Thorus aufhielt und den nächsten Gardisten attackierte. Dieser wich dem schweren Axthieb, der ihn glatt zerteilt hätte, zur Seite aus. „Tarrok“, hauchte er und fuchtelte vor dem Ork mit zittrigen Händen mit seinem im Vergleich zur Axt mickrigen Schwert umher. Das Schwert zerbrach schlicht, als Tarrok erneut zuschlug und die Klinge traf. Der Gardist schien kurz zu überlegen, wandte sich schließlich um und floh in Richtung des Lagers. Er kam nicht weit, da ihn eine der beiden Kreaturen verfolgte und mit einem großen Sprung zu Fall brachte.
    Ein Gardist blieb noch übrig. Er führte einen starken Schwerthieb gegen den Ork durch, den dieser durch die Schwerfälligkeit seiner Axt nicht mehr parieren konnte. Der Ork schien sich nicht groß darum zu kümmern und warf sich mit seinem gesamten Gewicht gegen den zuschlagenden Menschen, der das Gleichgewicht verlor und zurück taumelte. Tarrok rammte ihm die riesige behaarte Faust ins Gesicht. Netbek konnte das Knacken der Schädelknochen hören.
    Somit war Gomez der letzte kampffähige Mann. Entsetzt sah er sich um. Innerhalb von Sekunden hatte Tarrok seine gesamte Eskorte ausradiert. Die beiden wolfsähnlichen Tiere hatten den Erzbaron knurrend und mit geifernden Mäulern umzingelt. Netbek betrachtete das Schauspiel weiter vom Boden aus und König Rhobar sah verwirrt von einer Person zur nächsten. War es tatsächlich möglich? Hatte der Ork sie soeben etwa vor dem sicheren Tod bewahrt?
    Der Ork sprach ein paar Worte in einer unverständlichen Sprache und die Tiere zogen sich etwas zurück. Er hob einen Zweihänder, den einer der Gefallenen verloren hatte, auf und warf ihn Gomez zu. „Nehmen“, knurrte er. „Kein Musikding. Waffe. Ehrenhaftes Kampf.“
    „Du willst mit mir kämpfen?“, fragte Gomez schweißgebadet. „Aber... aber...“
    PPPPPPPPPPPPPPFFFFFFFFFFFHHHHHHHHHPPPPPPPPPFFFFFFFFFHHHHHH
    Ein scheußlicher Gestank stieg auf. Netbek rümpfte die Nase. Vor allem jetzt vermisste er seine Freunde; die Blumen verströmten einen stets angenehmen Duft. Gomez' Kopf wurde rot. Hat er gerade voll in die Hose gekackt?, fragte sich Netbek schadenfroh.
    Tarrok zeigte keinerlei Regung. Er fixierte den Erzbaron und wartete. Gomez bückte sich langsam nach dem Schwert, hielt dabei aber die rechte Hand am Rücken. Sein Gesicht sah merkwürdig konzentriert aus. Plante er etwas?
    Plötzlich geschah alles sehr schnell. Während er sich ohne Schwert flink wieder aufrichtete, riss er seine rechte Hand nach vorne und schleuderte dem Ork etwas braunes entgegen, das er aus seiner Hose gezogen haben musste. Netbek ahnte, worum es sich handelte. Die Substanz von breiiger Konsistenz klatschte Tarrok ins Gesicht und er brüllte auf.
    „Verarsche nie Gomez, den mächtigsten Mann der Insel!“, kreischte der Erzbaron, griff nach der schweren Waffe zu seinen Füßen, hob sie auf und lief auf den Ork zu.
    „Pass auf, Tarrok!“, warnte ihn Netbek.
    Tarrok versuchte, sich mit einer Hand Gomez' Exkremente aus den Augen zu wischen und hielt mit der anderen dem Angreifer die Axt entgegen. Da sie mit beiden Händen zu führen war, gelangen ihm die Bewegungen nicht sehr gut. Es genügte jedoch, um Gomez kurzzeitig auf Abstand zu halten. Dieser umrundete Tarrok.
    „Er ist hinter dir, Tarrok!“, rief Netbek.
    Der Ork drehte sich um die eigene Achse, ging einige Schritte nach vorne und schlug dabei wild und blind mit der Axt hin und her – bis sie auf Widerstand stieß.
    Netbek schrie entsetzt auf. „Nein!“, brüllte er und Gomez lachte gackernd.
    Tarrok hatte seine Augen vom Schmutz befreit und sah nun selbst, dass seine Waffe sich im Ziel geirrt hatte. Rhobar blickte teilnahmslos auf die Axt, die tief in seinem Bauch steckte. Er hob den Kopf und sah Tarrok mit glasigem Blick an. „Aber Marcel hat gesagt...“, krächzte er ungläubig, während ihm ein Blutfaden aus dem Mund rann.
    Dann stürzte König Rhobar II, Vereiniger der vier Reiche, Träger des Zepters von Varant, zu Boden.
    Geändert von Stonecutter (12.05.2014 um 18:50 Uhr)

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    HASS Avatar von Stonecutter
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    Vorgabe 7
    Spoiler:(zum lesen bitte Text markieren)
    Wegen Gegenstand B treffen unsere Kontrahenten zusammen. Der Ort des Konflikts ist kein geringerer als Ort A! Die Situation artet aus und entlädt sich zu einem atemberaubenden Szenario, von dem die Barden noch Jahre später in den Tavernen singen werden...


    Gritta betrachtete das Spektakel aus sicherer Entfernung. Tarrok hatte sie eigentlich nicht mitnehmen wollen, da er die Aktion für riskant hielt, doch sie hatte sich nicht davon abbringen lassen. Sie wollte nicht allein in dem Orkdorf zurückgelassen werden, in dem sie aufgrund ihrer menschlichen Herkunft noch immer eher wie eine Aussätzige behandelt wurde. Sie würde Tarrok nicht von der Seite weichen, hatte sie ihm klargemacht, bis er resigniert aufgegeben und gemeinsam mit ihr und den beiden Orkhunden aufgebrochen war, die Gomez' Spur augenblicklich aufgenommen hatten.
    Diese Orkhunde waren tatsächlich furchterregende Kreaturen. Jeder Wolf kam im Gritta Vergleich zu ihnen wie ein Schoßhündchen vor. Sie konnte den Göttern nur dafür danken, dass die Orks sie ordentlich abgerichtet und unter Kontrolle hatten – zumindest hoffte sie, dass dem so war. Nachdem sie gesehen hatte, wie die Tiere wie wahnsinnig die Gardisten zerfleischten, stieg eine unangenehme Übelkeit in ihr auf. Sie vermutete, dass lediglich die Tatsache, dass sie in den letzten Tagen wenig gegessen hatte, sie vor dem Erbrechen bewahrte.
    Noch grauenvoller als das brutale Dahinschieden durch die Tiere war allerdings die Aktion, die Gomez durchgeführt hatte. Sie hatte es ja die ganze Zeit gewusst: der Erzbaron war absolut wahnsinnig. Wie sonst kam man auf die Idee, mit seinen eigenen Fäkalien um sich zu werfen? In welcher Schule lernte man denn so etwas? Sie verstand zwar nicht viel vom Kämpfen, aber dass Gomez alles andere als einen ehrenhaften und fairen Zug gemacht hatte, war selbst ihr klar. Sie hätte aufgeschrien, hätte sie die Entwicklung des Kampfes nicht so dermaßen entsetzt.
    Als Tarroks Axt versehentlich den König gefällt hatte, war sie hingegen erstaunlich ruhig geblieben. Sie hatte sich zwar ein anderes Ende für diesen Mistkerl vorgestellt, doch im Grunde hatte er es eh nicht anders verdient. Dennoch blieb der merkwürdige Nachgeschmack eines unwürdigen Todes für einen Mann seines Standes.
    Tarrok schien wieder sehen zu können. Er wandte sich in Richtung seines Kontrahenten und fluchte laut in der orkischen Sprache. Der Wahnsinnige hatte sich bereits ein gutes Stück entfernt, saß aber dennoch in der Klemme. Die beiden Orkhunde hielten zwar einen gewissen Abstand zu ihm ein, schnitten ihm aber weiterhin Kreise ziehend und knurrend den Weg ab. Er hatte sich lediglich ein wenig Zeit erkauft, doch Tarrok dadurch nur noch zorniger gemacht.
    „Dafür werden böses Morra bezahlen!“, brüllte der Hüne, zog achtlos seine Axt aus dem reglosen Körper des Königs, dessen Blut bereits eine beachtliche Fläche der Wiese benetzte, und stapfte auf Gomez zu.
    „Lass uns doch über die Sache reden, Tarrok“, meinte der Mann nervös. „Ich denke, wir können uns irgendwie einigen, oder?“
    „Du haben Tarrok als Sklave!“, fauchte der Ork. „Lassen Tarrok kämpfen für Spaß!“
    „Das war ein Fehler“, gab Gomez zu. Dicke Schweißperlen rannen von seiner Stirn hinunter. „Es tut mir Leid. Was willst du haben? Erz? Frauen? Ich kann dir alles geben!“
    „Tarrok wollen Tod von böses Gomez!“, herrschte Tarrok und trat einen weiteren Schritt auf ihn zu.
    „Aber... du hast gerade den König von Myrtana getötet!“, rief Gomez verzweifelt. „Das macht dich zu einem Helden für dein Volk, oder nicht? Du hast soeben den Krieg beendet! Da willst du dich doch nicht mit so einem kleinen Ganoven wie mir abgeben, oder? Das ist doch unter deiner Würde!“
    Vor kurzem hielt sich dieser Wahnsinnige noch für den wichtigsten und mächtigsten Mann der Welt, dachte Gritta abfällig. So ein feiges Schwein.
    „Tarrok nicht kümmern für König!“, brüllte der Ork. „Tarrok wollen Rache! Tarrok wollen Rache mit ehrenhaftes Kampf, Morra!“
    Allmählich wurde die Luft dünn für Gomez. Tarrok war ihm gefährlich nah gekommen und die Orkhunde zogen die Schlinge immer enger zu. Zitternd hob er das große Schwert.
    „Ich... ich...“, begann er stotternd. „Die Magier werden dich... wenn du mich nicht gehen lässt, werden sie...“
    „Schamanen von Mensches sein egal!“, entgegnete der Ork und hob seine Axt.
    Plötzlich durchriss ein schrilles Jaulen die Luft, gefolgt von einem Winseln. Einer der Orkhunde stand in blauen Flammen und flüchtete panisch in den Wald. Etwas Blaues zischte knisternd knapp an Tarrok vorbei und traf den anderen Orkhund, der ebenfalls mit einem grauenvollen Heulen in blauen Flammen aufging und seinem Partner folgte.
    Gritta sah nach Norden, da die Geschosse aus dieser Richtung zu kommen schienen. Sie erbleichte, verließ ihre Deckung und rannte auf den Ork zu, der die neu auf den Plan getretene Bedrohung noch nicht wahrgenommen hatte.
    „Komm schnell, Tarrok!“, kreischte sie. „Vergiss den Wahnsinnigen! Wir müssen hier weg!“
    Tarrok drehte sich um, grunzte wütend und wandte sich wieder mit kalten Augen Gomez zu.
    „Du haben großes großes Glück, böses Mensch“, knurrte er, während er Gritta am Arm packte und damit begann, los zu rennen. „Aber nächstes Treffen mit mir böses Mensch werden sterben.“
    „Was tun wir jetzt?“, fragte Gritta veränstigt.
    „Wir müssen zurück zu Brüdern“, antwortete Tarrok ernst. „Zu Tempel von Krushak. Söhne von Geist müssen wissen. Söhne von Geist müssen machen Magie von Krushak!“
    Gritta schrie vor Verzweiflung. Die Typen dort waren ganz sicher nicht hier, um ihr zu helfen, und zu allem Überfluss kam der wahnsinnige Gomez wieder einmal mit dem Leben davon. Sie weinte, während blaue blitzartige Lichter und Armbrustbolzen an ihnen vorbei schossen.

    „Und Ihr seid sicher, dass es funktioniert, Meister Cronos?“, fragte Markus skeptisch. Allmählich beschlich ihn eine immer weiter ansteigende Nervosität. „Die könnten mich wieder erkennen. Und in dem Fall...“
    „In dem Fall bin ich immer noch ein Magier und die werden sich hüten, mir zu widersprechen“, unterbrach ihn der Mann in der blauen Robe ernst. „Auch wenn es sich um Gomez' Gardisten handelt, steht Ihr derzeit unter meinem Schutz, Markus. Wir gehören zwar unterschiedlichen Orden an, aber wir alle unterstehen der Krone.“
    Der Paladin nickte, doch zweifelte noch immer daran, dass ihr Marsch so reibungslos verlaufen würde, wie es sich Cronos vorstellte. Natürlich würde es Probleme geben.
    Es war ja bereits problematisch genug gewesen, das Neue Lager überhaupt erst zu betreten. Vor dem eigentlichen Lager hatten gerade einige Bauern mit ihrer Arbeit begonnen und als Markus durch die dortigen Reisfelder gewatet war, hatte ihn der Aufseher angesprochen und versucht ihn davon zu überzeugen, doch ebenfalls ein Leben als Bauer anzustreben. Mit Diplomatie hatte Markus die Situation nicht lösen können, so dass es schließlich doch zum Kampf gekommen war. Der gut durchtrainierte Paladin hatte den Aufseher zwar schnell lediglich mit Hilfe seiner Fäuste niederstrecken können, doch hatte ihm der Kampf auch eine große Menge an Aufmerksamkeit beschert, die er eigentlich hatte vermeiden wollen.
    Im Lager war er schnell auf den Magier Cronos vom Kreis des Wassers gestoßen und hatte sich ihm anvertraut. Dieser hatte sich äußerst erstaunt gezeigt. Zwar war den Magiern zu Ohren gekommen, dass derzeit im Alten Lager große Unruhen herrschten, doch dass die Ursache dafür tatsächlich König Rhobar II darstellen sollte, hatten sie für ein bloßes Gerücht gehalten. Der Magier hatte sich daraufhin tiefer in die Höhle in von schwer bewaffneten Söldnern bewachte Kammern zurückgezogenen, um sich dort mit den anderen Angehörigen seines Ordens zu beraten. Nach mehr als zwei Stunden war er zu Markus zurückgekehrt, der fest davon überzeugt gewesen war, in Kürze erneut in eine Prügelei zu geraten, wenn er die Blicke einiger grobschlächtiger Kerle, die vor einem Gebäude auf der Insel im Stausee herumgelungert hatten, richtig interpretiert hatte.
    Der Magier hatte Markus eröffnet, dass sie dem König keinen Unterschlupf im Lager gewähren konnten. Das Risiko für Leib und Leben Rhobars sei zu groß, einen Schutz konnten sie nicht garantieren. Weiterhin befürchtete man ähnliche Ausschreitungen wie im Alten Lager.
    Cronos hatte sich jedoch immerhin bereit erklärt, den Paladin bis zum Warenaustauschplatz zu begleiten, um wieder in Kontakt mit den Königstruppen außerhalb der Barriere zu treten. Da Markus momentan keine andere Wahl blieb, hatte er das Angebot angenommen.
    „Halt!“, rief eine Stimme. Drei Gardisten stellten sich ihnen in den Weg. „Was wollt ihr hier? Nur Gomez' Leuten ist es gestattet, zum Austauschplatz zu gehen.“ Sie beobachteten Markus und Cronos argwöhnisch. „Du bist 'nen Magier“, stellte einer von ihnen fest.
    „Und du bist offenbar ein ganz Schlauer“, gab Cronos mit verengten Augen zurück. „Immerhin klüger als deine Kollegen. Jetzt lasst uns vorbei.“
    „Wir haben Anweisungen“, entgegnete der Gardist zerknirscht. „Nur Gomez' Leuten ist es erlaubt...“
    „Gomez ist nicht hier“, meinte Cronos. „Entweder macht ihr uns jetzt Platz oder ich mache mir selber Platz.“ Ein bläuliches Leuchten stieg von seiner Handfläche auf.
    Grummelnd traten die Gardisten zur Seite. Markus und sein Begleiter setzten ihren Weg fort, bis sie schließlich den Ort erreichten, an dem das ganze Drama begonnen hatte: vor ihnen befand sich der Teich, in den sie von der Klippe aus gestürzt waren. Es schien bereits Jahre her zu sein. Eine einzelne Gestalt, deren Rüstung im Sonnenlicht funkelte, stand auf der anderen Seite der Barriere auf der Klippe und hielt Wache. Weitere Gardisten befanden sich am Teich und pfiffen der Gestalt zu; einer von ihnen reckte ihm den nackten Hintern entgegen.
    „Verschwindet von hier“, sagte der Magier und ließ mit einer schnellen Handbewegung ein blattloses Gestrüpp innerhalb von Sekunden gefrieren, als ein besonders bulliger Gardist die Hand an sein Schwert legte.
    „Das ist es nicht wert“, raunte ein anderer. Schimpfend verließen sie den Austauschplatz.
    Markus sah nach oben. Den Ritter kannte er doch. „Andre!“, rief er laut. „Andre!
    Der Paladin regte sich. „Markus?“, erschallte die Stimme des Mannes von oben, der sich dann in Bewegung setzte und die Anhöhe neben der Klippe herabstieg, bis er sich unmittelbar unmittelbar vor dem magischen Kraftfeld befand. Dies war die einzige Stelle, an der man durch die Barriere treten konnte, ohne in den Teich zu stürzen. Markus und Cronos erwarteten ihn dort.
    „Markus“, wiederholte Andre. „Du lebst? Wir dachten, du seist tot!“
    „Selbstverständlich lebe ich“, entgegnete der Anführer der Leibwache des Königs streng. „Was man von dir und den anderen womöglich bald nicht mehr behaupten kann.“
    „Markus, was...“
    „Ihr habt den König im Stich gelassen, als er euch am nötigsten gebraucht hat“, unterbrach ihn Markus. „Du kannst dir nicht vorstellen, welch unsägliches Leid uns – ihm – widerfahren ist. Wir sind nur knapp dem Tode entronnen, doch der König lebt. Und das nicht unbedingt durch eure Beihilfe.“
    „Markus...“, begann Andre nervös. „Wir waren verwirrt. Wir wussten nicht, wie wir mit der Situation umgehen sollten. Wir waren davon überzeugt, dass du und Seine Majestät bereits... nun...“
    „Falsch gedacht“, erwiderte Markus. „Es ist auf keine Weise zu entschuldigen, dass ihr euren heiligen Eid gebrochen habt. Wer führt momentan das Kommando?“
    „Lothar“, antwortete Andre.
    „Dafür wird sich Lothar noch verantworten müssen“, erklärte Markus. „Aber derzeit gilt es wichtigeres zu erledigen. Der Anführer der Verbrecher hier, Gomez, ist gefährlich. Er hat bereits versucht, Seine Majestät töten zu lassen. Erfolglos, Innos sei Dank. Doch er wird nicht locker lassen und vermutlich das gesamte Minental gegen den König aufhetzen. Alleine kann ich ihn nicht beschützen. Ich appelliere an euren Schwur und an euer Pflichtbewusstsein. Erinnert euch daran, wem ihr die Treue geschworen habt. Macht euer Versagen wieder gut. Überlasst Seine Majestät nicht dem sicheren Tod, sondern zeigt endlich Mut! Kommt her und schützt euren König!“
    Irgendwie tat Andre, der beschämt zu Boden schaute, Markus fast sogar ein wenig leid. „Wir werden nicht ewig hier festsitzen“, fuhr er fort.
    „Das stimmt“, mischte sich erstmals Cronos ein. „Wir Magier vom Kreis des Wassers arbeiten an einem Ausbruchplan. Wir häufen Erz an, um mit seiner Energie die magische Barriere sprengen zu können.“
    Markus nickte. Dies war ihm bereits auf dem Weg hierher von Cronos erläutert worden. Dies erklärte außerdem die geringeren Erzliefermengen. Er fragte sich jedoch auch, was sich die Magier im weiteren vorstellten; nahmen sie es tatsächlich in Kauf, dass all die gefährlichen Schwerverbrecher die Insel überrollten und zudem der Krieg gegen die Orks ohne die wichtigen Waffen aus magischem Erz verloren würde? Er hatte diese Gedanken nie laut ausgesprochen, um den einzigen hilfreichen Menschen, dem er in den letzten Tagen begegnet war, nicht direkt zu verärgern.
    Andre sah auf. Seine Augen funkelten. „Ich werde mit Lothar reden“, versprach er. „Ich komme später wieder. Bis dann.“ Ohne eine Antwort abzuwarten machte er kehrt und lief los.
    Markus traute seinen Augen kaum, als eine knappe halbe Stunde später der gesamte Trupp einschließlich den von der Macht von Faring mitgebrachten Soldaten und Waffenknechten unter der Führung Lothars aufmarschierte und auf die Barriere zukam.
    „Ich denke, Ihr benötigt meine Hilfe nicht weiter“, stellte Cronos klar. „Vielleicht wird das Gleichgewicht nun wiederhergestellt. Ich gehe zurück zum Neuen Lager. Diese Angelegenheit müsst Ihr ohne mich beenden. Viel Erfolg.“
    „Ich danke Euch, Meister Cronos“, sagte Markus. „Magie zu Ehren.“
    „Magie zu Ehren“, entgegnete Cronos und machte sich auf den Weg, während nun ein Paladin nach dem anderen durch die magische Barriere trat.
    „Es besteht noch Hoffnung“, flüsterte Markus, nachdem sich ausnahmslos alle Ritter samt Gefolge auf seiner Seite befanden.

    Die abgestellten Gardisten auf dem steilen Pfad zwischen dem Alten Lager und dem Austauschplatz nahmen die Beine in die Hand. Sie ahnten, dass sie erst gar nicht versuchen sollten, sich mit einem Trupp schwer bewaffneter Paladine in massiven Rüstungen anzulegen. Markus, dem die Verstärkung eine neue Rüstung sowie ein großes Schwert mitgebracht hatte, führte sie tief ins Minental. Zwar trug er keinen Helm, doch das war ihm gleich. Er hatte endlich frischen Mut und neue Zuversicht geschöpft: König Rhobar II würde überleben.
    „Und das ist das Alte Lager?“, erkundigte sich Andre und deutete auf die immer näher kommenden großen Palisaden, hinter denen die Burg aufragte.
    „Korrekt“, antwortete Markus mit einem Kopfnicken. „Dort residieren Gomez und seine Erzbarone.“
    „Die werden jetzt sicher über unser Auftreten informiert sein“, wandte Lothar ein. „Wir sind besser ausgebildet und ausgerüstet als diese Gardisten, aber die sind uns vermutlich zahlenmäßig überlegen.“
    „Das mag sein“, erwiderte Markus. „Aber ich habe diesen wilden Haufen in Aktion erlebt. Sie sind undiszipliniert, feige, chaotisch, nur auf ihr eigenes Wohl bedacht und scheinen keiner eindeutigen Befehlskette zu folgen. Falls es hart auf hart kommt, werden sie uns kaum etwas entgegenzusetzen haben. Wir sind eine kleine, aber dafür schlagkräftige Armee.“
    „Ist es ratsam, so nah an ihrem Lager vorbei zu marschieren?“, warf ein Paladin ein.
    „Wenn sie sowieso schon wissen, dass wir hier sind, können sie uns ruhig sehen“, entschied Markus trotzig. „Die sollen wissen, mit wem sie es jetzt zu tun haben. Außerdem sind die vermutlich immer noch mit sich selbst beschäftigt.“
    „Ja, aber wenn – Was ist das da? Ein Ork?“ Der Paladin zeigte in Richtung eines kleinen Wäldchens in einiger Entfernung zum Lager, vor dem sich ein Kampf abzuspielen schien. Die größte der Gestalten ließ sich eindeutig als ein Ork identifizieren, der soeben mit seiner Axt jemanden erschlagen hatte. Die etwas kleineren Menschen waren aus dieser Entfernung nicht zu erkennen. Zwei Tiere, möglicherweise große Wölfe, waren ebenfalls involviert.
    „Das gefällt mir nicht“, bemerkte Lothar.
    Mir auch nicht, dachte Markus. Ihn beschlich ein ungutes Gefühl. „Los, beeilt euch. Wer weiß, was da los ist.“ Sie erhöhten ihre Marschgeschwindigkeit.
    Irgendetwas an der Sache gefällt mir ganz und gar nicht, spukte es durch Markus' Kopf, als sich plötzlich eine am Boden liegende schwerfällig Person erhob. Markus stockte der Atem. Der nackte Oberkörper, die Glatze, die Tätowierungen... Und war das eine Harfe an seinem Rücken? „Netbek?“, flüsterte er. Nackte Panik stieg in ihm auf. König Rhobar war bei Netbek. Netbek war hier. Demzufolge war König Rhobar...
    „Verdammt, bei Innos, tötet den Ork!“, kreischte er und hielt schon eine der Runen in der Hand, die es den magisch begabten Paladinen ermöglichten, Zauber zu wirken. Außer sich vor Furcht entfesselte er die konzentrierte magische Energie, die sich in der Innenseite seiner rechten Handfläche gesammelt hatte, und feuerte ein unkontrolliertes Geschoss ab, das allerdings statt den Ork einen der Wölfe traf. „Los! Eilt euch, bei Innos!“, befahl er. So schnell es ihnen die schweren Rüstungen erlaubten, liefen die Ritter nun auf die Kämpfenden zu und lösten Zauber aus, während andere aus dem Gefolge damit begannen, Armbrüste zu spannen.
    Wir dürfen nicht zu spät sein, bei Innos, wir dürfen nicht zu spät sein, rotierte es in Markus Hirn. Er versuchte die Situation zu erfassen, während sie sich näherten. Eine junge Frau, die er nur zu gut kannte, war aus dem Wald getreten und kurz darauf mit dem Ork wieder darin verschwunden. Da drüben stand Gomez mit kreidebleichem Gesicht, während er einen Zweihänder hielt. Netbek rief für Markus unverständliche Worte. Der Boden war übersät mit verstümmelten Leichen, allesamt Gardisten. Und dort lag ein bärtiger Mann mit klaffender Bauchwunde...
    NEIN!“, brüllte Markus und warf sich neben ihm zu Boden. Er hob den Kopf des Königs an, doch Rhobars Augen waren starr und hatten jeglichen Glanz verloren.
    Ich habe versagt, dachte er. Ich habe versagt. Ich habe meinen Eid gebrochen. Ich habe zugelassen, dass mein König fällt. Ich habe versagt. Ich habe mein Land in den Untergang geführt. Ich habe versagt.
    „Bei Innos“, murmelte Lothar betroffen, der sich neben Markus stellte und seinen Helm abnahm.
    Es ist meine Schuld. Wäre ich nur ein paar Minuten früher da gewesen, würde der König noch leben. Wäre ich heute morgen nur ein paar Minuten früher aufgebrochen. Wäre ich doch bloß etwas schneller zum Neuen Lager gegangen. Hätte ich doch bloß nicht an dem Bach gehalten, um einen Schluck zu trinken. Hätte ich den König nicht mit diesem Irren zurückgelassen. Es ist alles meine Schuld.
    „Der König“, begann Lothar, nachdem er sich zu dem Trupp umgedreht hatte, doch die Worte schienen ihm im Hals stecken zu bleiben. „ König Rhobar II, Vereiniger der vier Reiche, Träger des Zepters von Varant, ist tot“, fuhr er fort. „Möge Innos seine Seele...“
    Markus achtete nicht auf Lothar. Er stand auf und wandte sich dem irren Glatzkopf zu, der entsetzt abwechselnd zum König und zu seinen Truppen blickte.
    „Netbek“, zischte er. „Was hast du getan? Wie konnte das nur geschehen?“
    „Es war Gomez“, erklärte der selbsternannte Guru und deutete auf ebenjenen, der gerade von einigen Paladinen in Gewahrsam genommen wurde. „Ich weiß nicht, wie er es geschafft hat, aber er fand unsere Höhle. Wir hatten keine Chance.“ Er begann zu schluchzen. „Ich wollte doch nicht... König Rhobar hätte doch noch so viel Gutes tun können! Wenn Gomez Tarrok doch nur nicht mit seinen Kot beworfen hätte, wäre er doch noch am Leben! Das ist alles so absurd!“
    Vor allem empfand Markus es als absurd, dass Netbek etwas als absurd bezeichnete. Doch vor allem ein anderes Wort hatte seine Aufmerksamkeit erregt. „Tarrok sagst du?“, fragte er mit bebender Stimme. „Der Orksklave aus der Arena? Er war es? Er hat Seine Majestät den König getötet?“
    „Ich glaube nicht, dass er es bewusst getan hat“, antwortete Netbek. „Aber im Prinzip war er es. Wäre doch nur die Kiefern-Kompanie vor Ort gewesen...“
    „Das genügt mir“, meinte Markus. Er gesellte sich wieder zu den anderen Paladinen.
    „Markus, was... was sollen wir jetzt tun?“, fragte Andre zögernd.
    „Cedric und Ingmar werden sich einige der Soldaten nehmen und den König mit allem ihm gebührendem Respekt bis zum Warenaustauschplatz eskortieren“, erklärte Markus den Plan, den er innerhalb der letzten Sekunden zusammen gesponnen hatte. „Dort werden sie ihn durch die Barriere an die Außenwelt übergeben und dann schnellstmöglich zu uns aufschließen.“
    „Und was werden wir tun?“
    Markus ballte die Faust. „Wir gehen Orks jagen.“

    Man hatte ihm zwar die Fesseln entfernt, dennoch fühlte sich Netbek immer noch wie ein Gefangener. Man nötigte ihn, mit dem großen Kampftrupp ins Orkgebiet zu ziehen. Vermutlich trauten sie ihm nicht und befürchteten, er könne ihnen die Ginkgo-Garnison oder die Erlen-Einheit in den Rücken fallen lassen, wenn sie ihn frei ließen. Oder sie wollten ihn als Kanonenfutter vorschicken. Wahrscheinlich traf beides zu.
    Nervös sah er zu Markus, der in dieser mächtigen Rüstung einen völlig anderen Eindruck auf ihn machte. Plötzlich wirkte er kalt und gefährlich. Seit ihrem Aufeinandertreffen hatte er kein einziges Wort mehr mit ihm gewechselt. Netbek fragte sich, ob der Paladin ihn für den Tod des Königs verantwortlich machte, dabei hatte er ihn doch genauso wenig gewollt. Diese Welt war nun um einen großen Mann ärmer geworden und das Projekt zur Verschönerung des Sumpfes hatte einen herben Rückschlag erlitten.
    Es war fürchterlich. In seinem ganzen Leben hatte er nicht so viel Leid und Schrecken erleben müssen wie in den vergangenen Tagen. Er konnte von Glück reden, dass ihn diese Ereignisse nicht in den Wahnsinn getrieben hatten. Und zu allem Überfluss befand er sich nun auf dem Weg in eine Schlacht, die er wahrscheinlich nicht überleben würde.
    Der Gedanke, dass Gomez nicht mehr bei ihnen war, tröstete ihn nur wenig. Der Erzbaron hatte ein ebenso unrühmliches wie unspektakuläres Ende gefunden: Markus persönlich hatte ihn enthauptet und seinen mit Kot verschmierten Leichnam zu einem der Tore des Alten Lagers bringen lassen. Die Lage war sowieso schon äußerst unruhig; Netbek vermochte nicht sich vorzustellen, welche Zustände dort nach dem Tod von Gomez vorherrschen würden. Hätte es sich hierbei um eine spannende Geschichte gehandelt, in der Gomez den offensichtlichen Antagonisten darstellte, wäre es vermutlich auf einen epischen Zweikampf hinausgelaufen. Doch dies war das echte Leben.
    „Wir sind gleich da“, sagte ein Paladin namens Albrecht grimmig. Es handelte sich bei ihm um einen alten Veteran, der vor vielen Jahren bereits einmal für König Rhobar gegen die Orks im Minental gekämpft hatte. Da er den Weg zur Orksiedlung kannte, hatte er den Trupp dorthin geführt – Markus war sich dessen todsicher gewesen, dass Tarrok dort sein musste.
    Sie marschierten auf eine unheilvoll und bedrohlich wirkende schwarze Brücke zu, die von großen schwarzen Dornen gesäumt war. Netbek schluckte.
    „Hier hasse 'nen Schwert“, sagte einer der einfachen Soldaten zu ihm und überreichte ihm eine Waffe. „Vielleicht brauchste das ja gleich. Hoffe, dasse damit umgehen kannst.“
    „Eigentlich nicht“, erwiderte Netbek, doch der Soldat beachtete ihn nicht weiter.
    „Wie lautet der Plan, Markus?“, fragte ein Paladin.
    „Wir gehen rein und werden versuchen, uns nicht töten zu lassen“, grunzte der Anführer.
    „Ich habe dich bereits gewarnt, dass man die Orks nicht unterschätzen darf“, wandte Albrecht ein. „Ich war dabei, damals. Wir hatten viel mehr Kämpfer unter uns und waren nicht einzig durch die Verzweiflung motiviert. Es war ein grauenvoller, blutiger Sieg, der vielen guten Männern das Leben kostete.“
    „Ich weiß“, meinte Markus. „Aber Tarrok hat unseren König getötet. Es ist unsere heilige Pflicht als Leibwache des Königs, seinen Mörder zu richten. Wir haben Innos auf unserer Seite.“
    Und so schritt die Truppe über die Brücke.
    Merkwürdig, dachte Netbek. Es ist so leer hier.
    Es stimmte: nirgendwo war ein Ork zu sehen, obwohl hastig ausgetretene Feuerstellen vor den vielen einfachen Zelten und Hütten und herumliegende Gegenstände darauf hindeuteten, dass hier vor kurzem noch viel los gewesen sein musste.
    Argwöhnisch schritten die Männer durch die Siedlung. „Haltet eure Runen bereit“, warnte Albrecht. „Die wussten, dass wir kommen.“
    Schließlich erreichten sie einen großen Platz, der von einem gewaltigen Monolithen dominiert wurde. Sie wurden bereits erwartet. Eine Front von Orkkriegern stand ihnen dort mit Äxten, Schwertern und Keulen in den Pranken entgegen.
    Nie zuvor hatte sich Netbek die Kiefern-Kompanie so sehnlich herbei gewünscht wie in diesem Moment – diese Einsatztruppe hätte ihn vielleicht noch sicher hier herausgeholt. Doch diese Angelegenheit hier würde nicht gut ausgehen. Die Orks waren ihnen überlegen.
    „Verdammt, das sind ganz schön viele“, raunte Andre.
    Ein alter Orkschamane trat vor. „Mensches wieder hier“, krächzte er mit trauriger Stimme. „Mensches wieder wollen Blut und Tod. Hosh-shrok sein dabei vor vieles vieles Jahres als böses König gekommen. Aber heute Hosh-shrok wissen besser. Wir verstecken Frau und Kind.“
    „Ich bin nicht an einem Blutbad interessiert“, entgegnete Markus und trat ebenfalls einen Schritt vor. „Ich fordere euch lediglich auf, mir Tarrok zu übergeben.“
    Ein Raunen ging durch die Orkmenge. Netbek vermutete, dass nur die wenigsten Orks Myrtan verstanden, aber den Namen „Tarrok“ hatten sie sicher herausgehört.
    „Das nicht möglich“, erklärte der alte Schamane. „Wir nicht geben Blut von unseres Volk. Tarrok sein wir und wir sein Tarrok. Wir sein ein großes Volk.“
    „Tarrok hat König Rhobar getötet“, widersprach der Paladin und machte einen weiteren Schritt. „Der König, gegen den euer Volk Krieg führt. Es ist mir egal, ob ihr am Krieg beteiligt seid oder nicht. Tarrok wird die Strafe Innos' erleiden müssen.“
    Der Ork schüttelte den Kopf. „Ihr sein weniges Mensches. Wir sein vieles Brüder. Wenn Mensches nicht kämpfen, Brüder lassen Mensches ziehen. Das sein Tempel von Krushak. Das sein heiliges Ort. Brüder nicht wollen Blut und Tod wie vor vieles vieles Jahres.“ Er schwieg einen kurzen Moment und zog plötzlich einen kleinen Stein aus seinem Gürtel hervor. „Aber wenn Mensches nicht gehen, wenn Mensches wollen kämpfen, wir werden verteidigen.“
    Ein Runenstein, begriff Netbek. Die Orkschamanen nutzen auch magische Runen!
    „Ich dachte da an etwas anderes“, entgegnete Markus. „Und wenn ich euer Verständnis von Ehre richtig erfasst habe, werdet ihr keine andere Wahl haben.“ Er holte tief Luft. „Ich fordere Tarrok zu einem Zweikampf heraus!“
    Ein großes Gemurmel ertönte – bei beiden Fraktionen. Auch die Paladine sahen verwirrt drein. Mit dieser Entwicklung schien niemand gerechnet zu haben.
    „Was sagt ihr dazu?“, schrie Markus. „Ich fordere dich heraus, Tarrok, wo auch immer du stecken magst!“
    „Das sein nicht klug von Mensches“, sagte Hosh-shrok. „Tarrok sein großer Krieger.“
    „Tarrok ist ein Mörder“, konterte der Paladin.
    „Tarrok haben Hosh-shrok erzählt. Sein Unfall gewesen. Tarrok nicht wollen toten König von Mensches.“
    Netbek nickte – er war schließlich selbst Zeuge gewesen. Doch die Paladine schienen es nicht hören zu wollen.
    „Tarrok hat ihn ermordet. Unabhängig davon, ob es ein Unfall gewesen ist oder nicht – ihr hättet ihn trotzdem getötet“, zischte Markus wütend. „Ich habe Tarrok in der Arena im Alten Lager gehört. Ihr hättet König Rhobar ein altes Schwert in die Hand gedrückt und dann erschlagen. Und das hätte bei euch als ehrenvoll gegolten.“
    Der Schamane wollte soeben etwas erwidern, als sich plötzlich ein Ork durch die Menge schob und neben Hosh-shrok stellte. Überrascht stellte Netbek fest, dass ihm diese Gritta folgte. Wo kam die denn auf einmal her? Was suchte sie zwischen all den Orks? Ihm war, als habe er sie kurz gesehen, kurz nachdem Rhobar fiel, doch er hatte dies für eine Einbildung gehalten. Der Ork wies sie mit einer Geste an, zurück zu bleiben. Netbek fiel auf, dass die Orks allesamt einen gewissen Abstand zu der Frau hielten, als sei sie ein unerwünschter Fremdkörper in ihrem Stamm – was sie ja im Grunde auch war.
    „Tarrok haben gehört was Mensches sagt“, sagte er. „Tarrok sein kein Feigling. Tarrok werden kämpfen gegen Mensch.“
    Der Schamane zog sich mit traurigem Blick zurück. „Dann Tarrok und Mensch werden kämpfen auf heiligem Boden. Hosh-shrok beten dass Krushak nicht sein wütend.“
    „Tarrok“, spie Markus mit verengten Augen aus. „Haltet euch zurück“, forderte er seine Männer auf. „Das geht nur ihn und mich etwas an.“
    Netbek sah die Unverständnis in ihren Augen. Er selbst konnte sich keinen Reim darauf machen. Was versprach sich Markus eigentlich davon? Falls er den Kampf gewann, würde er möglicherweise tatsächlich zur Besinnung kommen und mit seinen Leuten abziehen. Wenn Tarrok gewann – nun, in dem Fall würde es aller Wahrscheinlichkeit nach zu einem Massaker kommen. Die Paladine würden Markus' Tod sicherlich nicht auf sich beruhen lassen.
    Er beobachtete die beiden ungleichen Kontrahenten: Markus in einer dicken Rüstung und einem schlanken Schwert, vermutlich aus magischem Erz geschmiedet, und ihm gegenüber der größere, nur mit einem Lendenschurz bekleidete Ork, der nach wie vor seine brachiale Axt in den Händen hielt.
    Sie starrten sich eine Minute lang gegenseitig in die Augen, bis Markus die Selbstbeherrschung verlor und sich mit einem Schrei auf Tarrok stürzte. Er ließ das Schwert auf seinen Gegner niedergehen, doch Tarrok bewegte sich erstaunlich flink und wich dem Angriff aus. Markus setzte erneut zum Angriff an, doch er schien einen Teil seiner Selbstbeherrschung wieder erlangt zu haben, denn diese Attacke wurde mit größerer Sorgfalt ausgeführt. Netbek war klar, warum präzise, kontrollierte Bewegungen für Markus von so großer Bedeutung war. Die schwere Rüstung mochte ihn vielleicht gut schützen, allerdings schränkte sie seinen Bewegungsspielraum stark ein und würde ihn auf lange Sicht ermüden.
    Gebannt sah der Guru des Sumpfes den beiden Kämpfern zu, wie sie Schläge austauschten, doch es schien niemand die Oberhand zu gewinnen. Für ihn als Laien, was das Kämpfen betraf, wirkten sie ebenbürtig.
    Doch schließlich gelang es Markus, einen Hieb in Tarroks Flanke zu platzieren, den dieser nicht mehr parieren konnte. Tarrok grunzte und knickte ein, während die anderen Orks brüllten und die Paladine johlten. Markus riss triumphierend seine Waffe hoch, um den Kampf endgültig zu beenden.
    Das war der Moment, in dem Lage eskalierte.
    Eine der anwesenden Personen beschloss, doch in den Kampf einzugreifen – Gritta lief kreischend auf Markus zu. In ihrer Hand glitzerte eine kleine Klinge. Die Orks, die sich von ihr fern gehalten hatten, waren nun nicht schnell genug, um sie fest zu halten. Doch bevor sie mit dem Dolch den ungeschützten Kopf von Markus, der sein Schwert zu hoch hielt als dass er sich gegen sie hätte wehren können, erreichen konnte, hatten bereits einige der Paladine die Initiative ergriffen und ihre magischen Geschosse entfesselt. Mit einem durchdringendem Schmerzensschrei stürzte Gritta wie eine lebende Fackel neben den beiden Kontrahenten zu Boden – und auch ein Ork stand plötzlich in Flammen. Einer der Paladine hatte die Frau verfehlt und die magische Energie direkt in die Orkmenge befördert.
    Ehe Netbek realisieren konnte,was soeben geschehen war, schrie einer der Paladine auf und fiel zu Boden, während er sich in Qualen wand. Strahlen aus Feuer schienen aus dem Nichts auf ihn einzuprasseln und verwandelten seine Rüstung, die innerhalb weniger Sekunden hell glühte, in einen Backofen. Orkmagie!, dachte Netbek und trat einige Schritte zurück. Einer der Schamanen hielt einen Runenstein und konzentrierte sich mit geschlossenen Augen darauf.
    Nun gab es kein Halten mehr. Menschen sowie Orks zückten ihre Waffen und stürmten aufeinander zu. Metall schlug auf Metall, Rüstungen schepperten, Schmerzensschreie ertönten, Männer schrien, Orks brüllten und überall loderten orange und blaue Flammen auf.
    Netbek tat das einzig vernünftige. Er warf das Schwert auf den Boden, drehte sich um, nahm die Beine in die Hand und floh.

    Markus hatte den Überblick verloren. Was war geschehen? Soeben hatte er noch über Tarrok triumphiert. Dann brannte neben ihm eine Frau und anschließend schlugen sich Menschen und Orks gegenseitig die Schädel ein.
    Hatte er gesiegt? Hatte er verloren? Tarrok schien das Interesse an Markus verloren zu haben und kroch zu der verkohlten Gestalt neben ihm.
    „Kleines Gritta“, flüsterte er und packte die schwarze Hand. Eine Träne rann aus seinem Auge. Dann sprang er auf und stürzte sich trotz der klaffenden Wunde, die Markus ihm zugefügt hatte, ins Gefecht und erschlug den nächstbesten Menschen, der das Pech hatte, sich zufälligerweise vor ihm zu befinden.
    „Nicht kämpfen, bitte nicht kämpfen!“, rief eine Stimme. Markus erkannte den alten Orkschamanen, der hinter den Kämpfen auf Knien die große Säule anbetete. „Nicht kämpfen auf heiliges Ort, Krushak werden zornig!“
    Markus drehte sich um und sah, wie Lothar soeben niedergestreckt wurde. Tarrok hatte er aus den Augen verloren. Träge bewegte er sich durch das Getümmel und wehrte geistesabwesend die Axt eines Orks ab. Plötzlich erschien ihm alles äußerst surreal. Das beste war es, einfach nach Hause zu gehen und sich ins Bett zu legen. Er fühlte sich so müde. So konnte er Seine Majestät nicht beschützen.
    Irgendwie gelang es ihm, aus dem Zentrum des Chaos heraus zu kommen. Er sah langsam nach links und anschließend nach rechts. Es war kein Waffenknecht zu sehen, der ihm dabei helfen konnte, die Rüstung abzulegen. Dann würde er es eben später tun. Er zog weiter und der Kampflärm nahm ab. Er ließ den Platz hinter sich. Verfolgte ihn jemand? Er drehte sich schwerfällig um. Nein, da war niemand. Die Orks waren mit den wenigen noch lebenden Menschen beschäftigt.
    Einige blaue Flammen trafen den Monolithen, der sich im Mittelpunkt des Massakers befand. Die kleine Statue, die auf seiner Spitze thronte, fing Feuer.
    „Krushak!“, ertönte eine tiefe Stimme. „Krushak! Krushak!“ Weitere Stimmen fielen ein. Es hörte sich beinahe wie ein Sprechgesang an. Es donnerte. Markus blickte nach oben. Es donnerte erneut. Blitze zuckten wild über die magische Kuppel, mehr Blitze als es üblich war. Es donnerte. Und begann gerade der Boden leicht zu beben? Markus entschied sich dazu, weiter zu gehen, bis ihn das nicht mehr aufhörende Donnern der Barriere dazu veranlasste, sich noch einmal umzusehen. Bildete er es sich nur ein oder schossen dort tatsächlich unnatürlich hohe Feuersäulen aus dem Boden? Der Boden bebte übrigens wirklich, stellte er fest. Er setzte seinen Weg fort. Er musste nach Hause. König Rhobar verließ sich doch auf ihn. „Krushak! Krushak!
    Kurz schien es ihm, als formten die Blitze auf der Barriere ein Muster. Es wirkte wie ein großes Tier mit einem verzerrtem Gesicht oder eher einer Maske mit stachelförmigen Ausläufern zu den Seiten. Dann war es verschwunden.
    Es erinnerte ihn irgendwie an einen großen Minecrawler, fiel ihm ein, als er sich auf der schmalen Brücke befand. Aber das war irrelevant. Wichtig war es nur noch, nach Hause zu gehen und Seine Majestät den König vor allen Gefahren zu schützen.
    Krushak!

    ~

    „Und im Alten Lager haben jetzt die Feuermagier das Sagen, nachdem die Erzbarone den Löffel abgegeben haben, wie man hört“, erzählte Ghorim und inhalierte anschließend genussvoll den Rauch seines Sumpfkrauts.
    „Echt?“, erwiderte Fortuno, während er sich auf den Tresen seines kleines Standes lehnte. „Nun, warum nicht. Ist wahrscheinlicher als das, was ich gehört habe.“
    „Was hast du denn so gehört?“, fragte Ghorim interessiert. „Die Wahrheit liegt ja bekanntermaßen immer irgendwo dazwischen.“
    „Ich hörte, dass dieser dicke Koch, der Fleischwanzen brät, jetzt der Chef ist“, grinste der Krauthändler. „Er soll die Erzbarone mit seinem Essen vergiftet haben. Und dieses Erdbeben letztens ist auch auf seinem Mist gewachsen. Er hat zu viel Kohl in die Suppe gepackt. Die Fürze ließen die ganze Barriere erzittern.“
    Ghorim lachte. „Wie auch immer, das Alte Lager ist jetzt so oder so völlig im Eimer. Kaum zu glauben, wie es da innerhalb von ein paar Tagen so den Bach runter gehen konnte.“
    Fortuno nickte. „Die Vormachtstellung haben sie endgültig verloren. Dem Schläfer sei Dank, wer weiß, was da noch alles passiert wäre. Gomez hätte sicher irgendwann einem Lager den offenen Krieg erklärt.“
    „Und jetzt hat er sich zu Tode gekackt“, schmunzelte Ghorim. „Gib mir nochmal nen Stängel, bitte.“ Der Novize reichte ihn ihm. „Danke. Immerhin haben wir jetzt einen hohen Zuwachs an Mitgliedern“, überlegte er. „Da wird die Drecksarbeit hier auf mehr Leute verteilt. Auch wenn so einige Bekloppte unter den Neuen sind.“
    „Wo du gerade von den Bekloppten redest“, seufzte Fortuno und deutete mit dem Daumen auf einen Punkt hinter Ghorim. Zwei Männer kamen auf seinen Stand zu.
    „Der Schläfer erwache!“, riefen sie im Chor.
    „Der Schläfer erwache“, erwiderte Fortuno vorsichtig. „Hallo, Netb... Baal Netbek. Hallo, neuer. Was gibt’s?“
    „Sieh dir mal meine Tätowierung an!“, jauchzte der neue Novize fröhlich und drehte sich ein wenig, so dass Fortuno das Bild irgendeiner Blume sehen konnte, dass sich vom kahlgeschorenen Kopf bis zum Rücken hinunter zu. „Das ist meine erste!“, fügte er stolz hinzu.
    „Eine... äh... Blume“, sagte Ghorim trocken. „Ich bin beeindruckt.“
    „Das ist nicht nur irgendeine Blume!“, ergänzte Netbek hektisch. „Das ist eine Sonnenblume! Wir planen, sie demnächst genau hier anzupflanzen!“
    „Es gibt keine Sonnenblumen im Sumpf“, gähnte Fortuno. Diese Irren gingen ihm allmählich auf die Nerven.
    „Natürlich gibt es die“, meinte der neue den Kopf schüttelnd. „Sieh doch mal hin. Da vorne, die große, die dir zuwinkt, die hat für meine Tätowierung Modell gestanden!“
    „Ähem... ach, die da meinst du“, sagte Fortuno. Er winkte lustlos in eine Richtung, in der eine der Pflanzen vermutete, die nur in den völlig verdrehten Köpfen der beiden Spinner existierten.
    „Ich glaube, Fortuno hat heute keine Lust, mit uns zu reden“, meinte Netbek enttäuscht zum neuen.
    Wie recht du doch damit hast, dachte dieser. Und jetzt verschwindet endlich und plant eure bescheuerte Blumenwiese.
    „Na dann, macht es gut, ihr beiden!“, rief Netbek. „Wir müssen noch mit den Rosen reden, dass wir sie nicht auf dem Tempelvorplatz pflanzen werden. Der ist schon für die Orchideen reserviert.“ Er winkte zum Abschied und zog mit seinem neuen Kumpel von dannen.
    „Wegen Typen wie diesen werden wir immer von allen als Sektenspinner bezeichnet“, stöhnte Fortuno.
    Ghorim lachte. „Wie durchgeknallt die einfach sind. Netbek kennt ja mittlerweile jeder, aber wie heißt eigentlich sein neuer bester Freund?“
    „Markus“, antwortete Fortuno seufzend. „Verzeihung. Ich meinte selbstverständlich Cor Markus.“

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