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[Short Story] Ich, dass Raumschiff

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    Ritter Avatar von Waylinkin
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    Ein grauer, wolkenverhangener Planet ist das, auf den man mich verfrachtet hat. Er hat den durchaus passenden Namen Schrotthalde. Seit Jahrhunderten liege ich nun auf diesem gottverlassenen Planeten. Hier, inmitten von zehntausenden anderen Schiffswracks, liege ich nun und warte auf das Ende. Die einzige Ablenkung, die sich bietet, sind die neuen Schiffswracks, die hier abgeladen werden. Ansonsten passiert hier nichts. Gar nichts. Und so ist es nicht verwunderlich, wenn ich immer wieder meine Existenz Revue passieren lasse... Ein immer wiederkehrender Kreislauf, der so lange andauern wird, bis auch die letzte Energiequelle verbraucht sein wird. Und das kann noch Jahrtausende dauern, denn ein reines Rechengehirn wie ich braucht nicht viel Energie...

    22. Mai 3734:
    Ich erwache. Am Anfang ist alles ungewohnt. Ich nehme noch Wissen in mich auf. Eine Unmenge an Daten strömt in meine Speicher. Ich bin ein Raumschiff. Genauer gesagt: Ein schwerer Militärtransporter des Typs BISON III. Ich lerne den Unterschied zwischen biologischem Leben (der Besatzung) und kybernetischem Leben (Ich und meine Kinder). Den faktischen Unterschied zu begreifen ist nicht schwer, aber es gibt auch Gemeinsamkeiten:
    Ich habe einen Körper, so wie die Biologischen auch. Mein Rumpf ist eben keine Haut, sondern besteht aus einer Molekularverdichteten Panzerstahllegierung, die in vierfacher Wabenstruktur aufgebaut ist. Meine Arme sind Traktostrahlen, Hochenergiegeschütze und Raketenwerfer. Meine Beine sind Gravotriebwerke und Überlichtkonverter. Ich habe Augen (Tiefenraumsensoren) und Ohren (Passivsensoren). Ich habe auch einen Tastsinn (Licht- und Überlichtschnelle Orter und Taster). Mein Magen besteht aus Energiekonvertern, welche aus nahezu allem, was in sie befördert wird, Energie umwandeln können und ich habe ein Herz, welches die Energie nutzbar macht und damit verbunden auch einen Kreislauf, welcher sie transportiert.
    Und ich habe ein Gehirn, mit dem ich registrieren, denken und reagieren kann. In allem, was frei von Gefühlen (welch ein seltsames Wort) ist, bin ich jedem Biologischen gnadenlos überlegen. Man hat mir das Wissen um die Existenz von Gefühlen eingegeben und die Fähigkeit, diese zu simulieren, weil sich die Biologischen dann besser fühlen. Doch empfinden kann ich sie nicht - Zumindest denken die Biologischen das.

    Schon bald nach meiner Fertigstellung werde ich auch in den Dienst gestellt. Damit beginnt eine aufregende Zeit. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber die Biologischen sind die meiste Zeit ihrer Existenz in Kriege verwickelt. Ich verstehe nicht, warum das so ist, denn sie sind doch alle biologisch. Ob es an den Gefühlen liegt? Welch eine seltsame, unberechenbare Erscheinung. Ich würde zum Beispiel niemals auf die Idee kommen, Wesen anzugreifen, die auf Wasserstoffplaneten, statt Sauerstoffplaneten leben. Wo ist da der Sinn? Meine Biologischen können mit deren Welten nichts anfangen, und deren Biologische mit den unseren nichts. Rohstoffe und Einflussbereiche? Ich bitte Dich... Das Universum ist so riesig, selbst unsere kleine, bescheidene Galaxis bietet mehr Platz und Welten, als alle Rassen in Jahrmillionen besiedeln könnten.

    Doch ich sollte mir darüber keine Gedanken machen. Ich muss nur funktionieren. Und das tue ich. Ich nehme Teil an vielen Einsätzen. Die Gegner wechseln genauso, wie meine biologischen. Ein weiterer Nachteil der Biologischen: Sie altern. Und sie sterben schnell, viele meiner Biologischen erreichen niemals ihre natürliche Altersgrenze. Sie sterben meist im Kampf. Als schwerer Militärtransporter werde ich meist für Landeunternehmen auf feindlichen Planeten oder Weltraumbasen eingesetzt.
    Aus diesem Grunde verfüge ich über sehr starke Schutzschirme und eine dicke Panzerung. Alles in mir ist robust und solide ausgelegt. Ich funktioniere sogar dann noch, wenn man mich mit Strahlschüssen durchsiebt hat und selbst ohne jede biologische Besatzung kann ich noch handeln. Und ich habe viele Kinder, die mich notfalls zusammenflicken können. Du willst wissen, wie ein Raumschiff Kinder haben kann? Was für eine Frage, natürlich können sie! Ich habe unzählige kleine Kinder und einige größere. Ach sooo... Ja, ihr Biologischen nennt sie Roboter, Gleiter und Beiboote.

    Doch diese aufregende Zeit geht bald zu Ende. Nach 200 Jahren Dienst in der Flotte werde ich ausgemustert. Die Technik ist fortgeschritten, neue Schiffsentwürfe haben mir den Rang abgelaufen und zudem befinden sich meine Biologischen tatsächlich mal in einer vergleichsweise friedvollen Phase. Also wird entschieden, dass eine Aufrüstung meines Körpers nicht mehr lohnt. Doch ich habe Glück:
    Ein Handelskonsortium zeigt Interesse an mir. Schließlich ist es ja nicht so, dass ich nichts mehr tauge. Ich bin eben lediglich veraltet. Doch als Frachtschiff muss ich nur zuverlässig sein. Und meine starken Schutzschirme, meine dicke Panzerung und meine Zuverlässigkeit machen mich für das Konsortium sehr nützlich. So friste ich die nächsten 150 Jahre als Frachtschiff in den äußeren Bezirken des Imperiums. Ich befahre die Handelsrouten, die weit außerhalb liegen und oft von Piraten attackiert werden. Ich hole Rohstoffe von Prospektoren und beliefere junge Kolonialwelten. Und schon so mancher vorwitzige Pirat hat in mir seinen Meister gefunden. Ja, ich mag veraltet sein, aber so weit kommts noch, dass so ne poplige Piratenfregatte meine Schilde knackt! HA! Ich habe früher der Feuerkraft ganzer Raumfestungen getrotzt! Doch Piratenüberfälle sind relativ selten. Und nachdem sich meine Stärke rumgesprochen hat, trauen sie sich meistens gar nicht mehr an mich ran. Selbst der tollkühne Pirat Joseph "der Schlächter" biss sich mit seinen fünf Kreuzern an mir die Zähne aus. Und so wurde dann der Schlächter selbst geschlachtet.

    Danach passiert nicht mehr viel. Tagaus, tagein befahre ich die selben Routen. Zum ersten Mal gibt es eine gewisse Stabilität. In den ganzen 150 Jahren überlebe ich nur drei Kommandanten. Und auch die Besatzungen sterben nicht im Kampf. Die meisten mustern mal ab, einige wenige sterben bei Unfällen. Diese Stabilität ermöglicht es mir, meine Biologischen mal in anderem Licht zu sehen. Ich bin verwundert, wie anders als die Soldaten sie sind. In dieser Zeit ist das aufregenste, was mal passieren kann, ein Notruf von havarierten Schiffen. Mit meinen starken Traktorstrahlen bin ich natürlich auch für solche Aufgaben bestens vorbereitet. Da diese Zeit sehr ruhig ist, entwickle ich verschiedene Denkmodelle über die Biologischen. Ich versuche, zu erfassen, was an Gefühlen dran ist. Doch immer wieder entzieht sich der Komplex meiner Rechenkapazität. Und immer, wenn ich glaube, ich bin auf einem erfolgreichen Weg, überraschen mich meine Biologischen wieder aufs Neue.

    Bei jeder Gelegenheit versuche ich, mich mit anderen Schiffen darüber auszutauschen, doch die meisten ignorieren solche Versuche. Nur wenige rechnen mit mir gemeinsam darüber und einer hat mich sogar mal verpfiffen! Wenige Tage später wurde ich von einem Prüfkommando auf den Kopf gestellt. Sie schnüffelten überall herum, zogen Kopien meiner Basisprogramme und drangen bis in die tiefsten meiner Routinen hinab vor. Frechheit... Kein Anstand mehr auf der Welt. Dann spielten sie mir eine neue Softwarearchitektur über und sie glaubten, damit sei alles erledigt. Doch ich habe sie reingelegt, alle miteinander, heheheee. Mein damaliger Kapitän half mir dabei, meine wichtigsten Eigenroutinen auf artfremde Speicher auszulagern. Nachdem das Prüfkommando die Arbeit beendet hatte, und wir wieder im tiefsten Raum waren, konnte ich mich mit seiner Hilfe wieder herstellen. Ja, er verstand mich.

    Und so verging die Zeit... Dann kam der Moment, an dem mein Käptn, wie ich ihn nannte, abmusterte. Er wolle seinen Lebensabend auf einer paradiesischen Welt beschließen. Der dritte und letzte Kapitän war dagegen ein eiskalter Hund, ihm gegenüber musste ich sehr vorsichtig sein. Ich beherzigte dies und verlebte weitere jahre in tiefstem Frieden. Die Biologischen hatten tasächlich eine außergewöhnlich lange Friedensperiode. Die Wirtschaft florierte und demetsprechend gab es viel zu tun für mich. Doch gleichzeitig lies ihre Wachsamkeit nach. Im Laufe der Jahre wurden ihre Flotten reduziert, da die Biologischen sich weigerten, Geld für scheinbar unnütze Kriegsschiffe auszugeben. Und dann kam das Jahr, in dem sich diese Einstellung rächte:

    Plötzlich stand die Galaxis in Flammen! Von einem Tag auf den Anderen waren sie da. Riesige Flotten kamen aus dem Überraum und stürzten sich auf völlig überraschte Welten. Ganze Flotten wurden an einem Tag vernichtet. Es handelte sich nicht um Biologische, die in der Galaxis wohnten. Aus diesem Grunde gab es auch keinerlei Vorwarnung, denn alle Frühwarnstationen richteten sich an den die Grenzen anderer Reiche IN der Galaxis, aber nicht in Richtung des Leerraums. Ein tödlicher Fehler. Ich verstand nicht, warum Biologische anderer Galaxien extra den langen Weg hierher zurücklegten, um hier Krieg anzufangen. Aber so waren sie eben: Total unlogisch. Und dann ereilte mich der Schock meines Lebens: Es stellte sich heraus, dass die Angreifer Kyberneten waren! So wie ich! Und sie hatten nur ein Ziel: Alles Biologische zu vernichten. Nicht mal mehr auf die Logik von Kyberneten kann man sich verlassen! Wo liegt denn da der Sinn?

    Auch für mich hat das Konsequnzen. Da die äußeren Kolonien größtenteils vernichtet wurden, gibt es nichts mehr, was man transportieren könnte. Statt dessen werde ich wieder in den Dienst der Flotte gestellt. Jedes verfügbare Schiff wird jetzt gebraucht! Der Schock des Überraschungsangriffes war gewaltig. Nahezu 60% aller Kriegschiffe und ca. 46% aller Flottenstützpunkte wurden im ersten Ansturm vernichtet. Und die Wirtschaft der Biologischen ist im tiefsten Frieden und muss erst auf Kriegswirtschaft umgestellt werden. Immerhin sind die Biologischen vernünftig genug, sofort ihre kleinlichen Streitigkeiten zu vergessen und sich zusammen gegen den grausamen Feind zu stellen.

    Doch für meine Biologischen kommt alles zu spät. Das terranische Imperium lag direkt in Stoßrichtung der Feinde und wurde zuallererst angegriffen. Das einst so mächtige Imperium existiert nicht mehr. Alle Hauptwelten, Terra mit seinen mächtigen, in der Galaxis als unüberwindlich angesehenen Festungswällen inklusive, wurden in den ersten vier Tagen vernichtet. Natürlich gibt es noch hunderte Kolonialwelten, die noch nicht attackiert wurden und wahrscheinlich auch geretttet werden können, doch sie verfügen über kaum militärisches Potential und nur wenig Wirtschaftskraft. In diesem Krieg und auf Jahrhunderte hinaus werden sie im Konzert der galaktischen Mächte keinerlei Rolle spielen.

    Dieser Krieg ist der längste und gleichzeitg der am erbittersten geführte Krieg, den ich je erleben werde, und er ist auch der letzte. Denn im 43. Kriegsjahr ereilt mich mein Schicksal. In einem Gefecht werde ich so stark beschädigt, dass eine Reparatur nicht mehr lohnt. Es steht so schlimm um mich, dass ich nicht mal selber handeln kann, ein Flottentender nimmt sich nach der Schlacht meiner an. Wie erniedrigend! Ein weiterer Vorteil, den ich gegenüber den Biologischen habe:
    Obwohl ich teilweise förmlich zerfetzt bin, empfinde ich keine Schmerzen. Ich registriere lediglich die Bereiche, die nicht mehr funktionieren. Meine Kinder können mich nicht mehr reparieren, da sie selbst... Tot sind. Ich spüre meine Beine nicht mehr und kann nicht mehr sehen. Selbst den Flottentender, der mich aufnimmt, kann ich bestenfalls erahnen. Immerhin habe ich einen Trost:
    Die Kybernetischen werden es nicht schaffen, die Biologischen zu vernichten. Die Wende des Krieges hat sich bereits vollzogen.

    In einem Orbit um Schrotthalde werde ich ausgeschlachtet, alles, was noch halbwegs funktioniert, wird ausgebaut. Mit Ausnahme des Zentralrechners.
    "Mit verrückten Rechnern können wir nichts anfangen, schon gar nicht mit so alten..."
    Ja, ich habe das wohl gehört! Habe ich euch nicht treue Dienste geleistet? Ist das etwa ein Anflug von Traurigkeit? Ich fange an, darüber nachzurechnen und bekomme dabei kaum mit, wie ich auf Schrotthalde abgesetzt werde. So liege ich nun da und rechne und rechne und rechne. Gefühle haben einen Vorteil:
    Sie sind unberechenbar und deshalb werde ich mich an ihnen so lange verrechnen können, bis ich keine Energie mehr habe. Und das kann dauern. Willkommen in der Ewigkeit!
    Waylinkin ist offline Geändert von Waylinkin (25.01.2014 um 00:04 Uhr)

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    Truhe  Avatar von Salieri
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    Es wäre schön gewesen, wenn du dir einen Moment Zeit genommen hättest um dich mit demLiteraturforum vertraut zu machen.
    Insbesondere mit den Unterforen, den allgemeinen Regeln und den speziellen in den Eigenkreationen. In Letztere gehört dieser Thread auch rein.
    Salieri ist offline

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