Seite 1 von 2 12 Letzte »
Ergebnis 1 bis 20 von 26
  1. #1 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    [CENTER][Bild: screenshot3642lshwlfjip5n_thumb.jpg]

    DAS FALMER-PROJEKT

    Eine Geschichte auf der Grundlage des Computerspiels

    The Elder Scrolls V – Skyrim

    geschrieben von Moonlord




    BUCH 1 – DIE EXPEDITION

    http://upload.worldofplayers.de/file...er_Projekt.pdf
    Moonlord ist offline Geändert von Moonlord (24.12.2013 um 09:13 Uhr)
  2. #2 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    Kapitel 1 – Reise nach Norden

    [Bild: FALMER_E.png]


    s
    ist kalt draußen. Weiße Flocken wirbeln scheinbar schwerelos durch die Luft, bevor sie zu Boden sinken und die Landschaft mit einem dünnen Leichentuch verhüllen. Langsam ziehen die dicken Stämme uralter Graukiefern an den Fenstern der Kutsche vorbei. Manchmal scheinen sie zu hüpfen, wenn die Räder wieder durch eines der tiefen Schlaglöcher rumpeln.
    Trotz der Kälte ist es schön hier, fast ein bisschen wie zuhause.

    Ach ja, ich habe mich ja noch nicht vorgestellt. Ich bin Salenquil, Professor der Mykologie der altehrwürdigen Universität der Naturwissenschaften in Falinesti. Oder besser ich war es.
    Ja, ob ihr es glaubt oder nicht, ich habe gekündigt.
    „Wie kann jemand so dumm sein, seinen Lehrstuhl an einer der berühmtesten Universitäten des Bundes einfach zu kündigen?“ werdet ihr fragen.
    Nun, die Antwort ist einfach.
    Es war ein Angebot, eines von der Sorte, die man nur einmal in zehn Leben bekommt. Die Königliche Forschungsgesellschaft von Alinor bat mich – jawohl, sie BAT – mein umfangreiches Wissen in ihre Dienste zu stellen, um ein neues Projekt zu unterstützen, dass … aber dazu später mehr.

    Alles begann im 182. Jahr der 4.Ära, vor nunmehr zwei Monden.
    An einem Turdas-Abend saß ich in meiner Schreibstube über der Korrektur einiger recht schlampig verfasster Aufsätze meiner Studenten, als es klopfte. „Herein!“, rief ich. Warum auch nicht, denn selbst zu dieser späten Stunde würde niemand mit unlauteren Absichten durch die heiligen Hallen der Universität wandeln.
    Den Mann, der kurz darauf eintrat, kannte ich nicht. Oder doch? Ich brauchte einige Sekunden, um zu erkennen, dass ich einen meiner ehemaligen Studenten vor mir hatte. Nennuin hieß er, ein Altmer der mir immer durch besonderen Ehrgeiz aufgefallen war.
    „Guten Abend Professor“, grüßte er mich.
    Ich bat ihn Platz zu nehmen. Gern hätte ich ihm etwas angeboten, doch Speisen und Getränke waren in diesen Räumen nicht erlaubt, und ich hielt mich als gutes Vorbild natürlich daran. Aber ich freute mich immer, einen meiner „Ehemaligen“ wiederzusehen und zu erfahren, zu was er es gebracht hat.
    Nennuin sah stattlich aus, selbst für einen Altmer. Er hatte schon immer ein besonderes Charisma besessen, das auch heute wieder deutlich zu spüren war. Die Aufmachung seiner Kleidung war betont schlicht gehalten, obwohl die Stoffe selbst sicher ein kleines Vermögen gekostet hatten. Ich erinnerte mich, dass Nennuin nicht gerade aus begüterten Verhältnissen stammte. Sein Vater besaß einen Krämerladen am Kleinen Markt, über seine Mutter wusste ich nichts.
    „Wie ich sehe, habt Ihr etwas aus Euch gemacht.“ begann ich das Gespräch. „Das freut mich.“
    Nennuin winkte bescheiden ab. „Ich hatte Glück, die richtigen Leute zu treffen. Und mit eurer Ausbildung war der Rest ein Kinderspiel.“
    Geschmeichelt bedankte ich mich.
    Wir redeten noch eine Weile über die alten Zeiten, bevor Nennuin zum Grund seines Besuches kam.
    „Wie ich Euch erzählte, Professor, gehöre ich der Königlichen Forschungsgesellschaft von Alinor an. Wir planen gerade ein neues Projekt, etwas ganz Großes. Und mir wurde die Aufgabe zuteil, Euch zu bitten, die Königliche Forschungsgesellschaft mit Eurem Wissen zu unterstützen …“
    Was sollte ich sagen? Ich war erst einmal sprachlos. Es gab so viele Experten der Pflanzenkunde auf Alinor, selbst einige, die sich ausgezeichnet auf das etwas stiefmütterlich behandelte Teilgebiet der Mykologie verstanden. Wie kamen sie da ausgerechnet auf mich?
    Ich wandte ein, dass ich meine Studenten nicht im Stich lassen könne und dass ich eine Familie hätte, die auf meine Einkünfte angewiesen war. Doch Nennuin wischte all meine Argumente mit einem Lächeln beiseite.
    „Dafür ist selbstverständlich gesorgt, Professor. Magister Verenn von der Akademie Wolkenruh ist bereits auf dem Weg hierher. Er hat zwar nicht Euer Format, aber für die derzeitigen Studenten dürfte es reichen. Euer Universitäts-Gehalt werden wir natürlich verdoppeln. Damit dürfte Eure Familie versorgt sein, selbst wenn Ihr Euch lange im Ausland aufhalten werdet. Darüber hinaus darf ich Euch einen garantierten Pensionsanspruch und für die Dauer Eurer Reisen einen eigenen Diener anbieten. Also, was sagt Ihr?“

    Nun, wie sollte ich mich entscheiden? Alles stürzte so plötzlich auf mich ein. Die Möglichkeit, einmal etwas Neues zu erleben, Abenteuer zu bestehen, vielleicht berühmt zu werden war äußerst verlockend, von den damit verbundenen Vergünstigungen ganz zu schweigen. Doch sollte ich wirklich mein geregeltes Leben dafür aufgeben? Sollte ich meine Stundenten einem Magister überlassen, der in – sagen wir – zweifelhaftem Ruf stand? Es gab so viele Für und Wider, dass ich Nennuin bat, mir etwas Zeit zu lassen. Kurz verdüsterte sich seine Miene. Es gefiel ihm wohl nicht, doch letztendlich stimmte er zu.

    Tags darauf saß ich in Lioweths Wohnzimmer.
    Lioweth war die ältere meiner Töchter. Die „Kleine“, die eine Handbreite größer war als ich, hieß Ardawen. Auch sie war gekommen, und so saßen wir mit ihren Gatten am Tisch, während meine drei kleinen Enkelkinder zu unseren Füßen spielten.
    „Du solltest es tun, Vater.“ Sagte Ardawen. „Es wird Zeit für dich, dass du wieder mal unter Leute kommst. Seit Mutters Tod denkst du gar nicht mehr an dich. Du gräbst dich in deinem Lehrsaal ein wie ein Wurzelwurm. Wie alt bist du jetzt? Vierhundertachtunddreißig? In deinem Alter geht man abends auf Partys und sitzt nicht bei einer trüben Ölfunzel …“
    Ja, ich wusste, was nun kam. Wenn Ardawen einmal bei ihrem Lieblingsthema war, konnte sie den ganzen Abend durchreden. Dabei wollten ja beide nur das Beste für mich. Und irgendwo hatten sie nicht ganz Unrecht. Drei Jahre war es nun her, dass Sereth gegangen war. Es hatte mich hart getroffen. Plötzlich stand ich alleine da. Die Kinder waren aus dem Haus, hatten ihre eigenen Familien gegründet und brauchten mich nicht mehr. Ja, sie besuchten mich und luden mich zu sich ein, aber das war nicht das gleiche wie mit Sereth. Wenn man fast dreihundert Jahre zusammen verbringt, dann hinterlässt solch ein Verlust ein Loch, das schwer wieder gefüllt werden kann.
    „Sieh doch einmal, wie berühmt du werden könntest. Wir würden so stolz auf dich sein.“ Mischte sich nun Lioweth ein, nachdem Ardawen eine Pause zum Luftholen eingelegt hatte.
    Und als sich auch die Enkel mit einem „Bringst du uns was mit?“ einschalteten hatte meine Familie gewonnen.
    Am nächsten Morgen ging ich zu Nennuin und unterschrieb den Vertrag.

    Die folgenden Tage vergingen mit Reisevorbereitungen.
    Zuerst besorgte ich mir ein paar Bücher. Wer will schon in ein fremdes Land reisen, ohne wenigstens die grundlegenden Gebräuche der Einheimischen zu kennen? Ich fand zwar kaum Literatur, die direkt aus Himmelsrand stammte – so etwas wurde hier nie nachgefragt, sagten mir die Händler – aber dafür erstand ich einige hochinteressante Traktate über das barbarische Volk der Nord, geschrieben von einem Angehörigen der dortigen Thalmor-Botschaft. Ich war erstaunt, wie rückschrittlich die Menschenvölker des Nordens in der heutigen Zeit doch noch waren. Halbnackt oder in Tierfelle gehüllt durch die eisige Wildnis zu laufen, Mammuts zu jagen und diese dann roh zu verzehren sprach nicht gerade von einer hochstehenden Kultur. Und die in diesem Buch beschriebenen Paarungsrituale kann ich hier gar nicht wiedergeben, auch wenn sie zugegebenermaßen recht amüsant zu lesen waren.
    Noch schwieriger als der Kauf von Reiseliteratur gestaltete sich der Erwerb geeigneter Kleidung. Eigentlich war es sogar unmöglich, in einem warmen Land wie Valenwald eine gefütterte Jacke zu bekommen. Schließlich, nachdem ich mit Mühe und Not eine dicke Hose und ein Paar Stiefel ergattert hatte, musste ich mich an Nennuin wenden, der mich auf später vertröstete. Wenn wir erst einmal in Cyrodiil wären, würde ich die fehlenden Sachen schon bekommen, und auch zu einem viel günstigeren Preis.
    Hätte er mir das nur vorher gesagt...

    Zwei Wochen nach unserem ersten Gespräch ging es los. Der Treffpunkt des Expeditionsteams war der Hafen von Anvil. Für mich bedeutete das einen erheblichen Umweg, doch Nennuin bestand darauf. Wir reisten mit nur geringem Gefolge, sodass wir bei einem etwaigen Überfall stark gefährdet gewesen wären. Überfälle, so sagte Nennuin, wären zwischen Anvil und Skingrad an der Tagesordnung. Die Thalmor täten zwar alles, um für Ordnung zu sorgen, jedoch arbeiteten die örtlichen Behörden nur widerwillig mit ihnen zusammen. Nun gut, ich verstand schon, dass seit dem Krieg beide Seiten nicht gut aufeinander zu sprechen waren. Aber ein wenig Einsicht hätte den Menschenvölkern sicher ganz gut getan. Schließlich hatten wir sie doch von den durch Korruption und Vetternwirtschaft verursachten Missständen des alten Kaiserreiches befreit, und auch wenn der Preis auf beiden Seiten hoch gewesen war, so musste man doch deutlich spüren, dass wir auf eine bessere gemeinsame Zukunft zusteuerten.
    Nennuin war ein guter Gesprächspartner, vor allem was solche Themen betraf. Er erklärte mir geduldig wie sich die Welt in den letzten Jahren verändert hatte. Vieles wusste ich natürlich, so weltfremd war ich nicht, aber etliche Details, die vor allem das Leben in Himmelsrand betrafen, erfuhr man eben nicht, wenn man sich nur auf die örtlichen Nachrichten in Falinesti verließ.

    So vergingen die Reisetage rasch und bald erreichten wir Anvil.
    Staunend betrachtete ich die Stadt am Meer, ich hatte sie mir wesentlich kleiner vorgestellt.
    Überall waren Baugerüste zu sehen. Fuhrwerke mit Steinen und Holz rumpelten durch die Straßen, Dächer wurden gedeckt und Fassaden frisch gestrichen. Von den schweren Zerstörungen, die der Krieg angerichtet hatte, sah man kaum noch etwas. Selbst die großen Blumenbeete, die ich aus meinem Reiseführer kannte, waren frisch bepflanzt und die Bäume professionell beschnitten worden.
    Jeder zweite Einwohner, den ich traf gehörte dem Volk der Altmer an. Nennuin konnte das bestätigen. Anvil war, wie er sagte, das Tor nach Alinor. Viele seines Volkes und auch etliche Bosmer hatten sich hier angesiedelt, neue Villen gebaut und die herrenlosen Ländereien der ursprünglich menschlichen Bewohner übernommen, weil diese der Stadt den Rücken gekehrt hatten.
    Ich fand das erst etwas bedauerlich. Wie konnte man von so einem schönen Ort einfach so wegziehen? Andererseits hatten sie sicher ihre Gründe gehabt. Wozu sollte ich mich damit belasten?
    Wir kamen in einer Herberge unter, die sich „Des Grafen Waffen“ nannte. Hier stutzte ich, denn ich sah etwas, was es eigentlich nicht geben dürfte. Da hing doch tatsächlich ein Banner der Familie Umbranox an der Wand! Ich war so verwundert, weil der Fall damals so große Wellen schlug.
    Nachdem Anvil zu Anfang des Krieges an den Aldmeri-Bund gefallen war, hatte ein Neffe des letzten Grafen, Sergius Umbranox, eine Horde Piraten um sich geschart und vier Jahre lang den Schiffen unserer Marine das Leben schwer gemacht bevor er schließlich gefasst wurde. Bei der Verhandlung in Erstburg kam dann heraus, dass er die ganze Zeit über mit Duldung der Herrscher von Anvil gehandelt hatte. Die Thalmor hatten den Grafen im Amt gelassen, weil er ihnen die Treue gelobte, und so wurde es ihnen gedankt. Das unrühmliche Ende der Geschichte bestand dann darin, dass die gesamte Familie schuldig befunden und exekutiert wurde.
    Ihr könnt euch also meine Verwunderung vorstellen, das Banner dieser Verräter hier vorzufinden. Nennuin versuchte, es mir als „Zeugnis der Zeitgeschichte“ und „geduldete Mahnung“ zu erklären. Ich hatte zwar nicht verstanden, was er damit meinte, sagte es ihm aber nicht. Wer will schon so unwissend dastehen?

    So nach und nach trafen unsere Eskorte, zwei weitere Expeditionsmitglieder, ein paar Händler, die den gleichen Weg hatten und mein Diener ein. Letzterer hieß Ra’Shirr. Er stammte aus einem kleinen Kaff in den Wüsten Anequinas, wo er keine Arbeit gefunden hatte und war deshalb nach Anvil gekommen, wo es immer etwas zu tun gab.
    So jedenfalls stellte er sich mir vor.
    Na ja, er kam mir etwas sonderbar vor. Nicht, dass ich noch keinen Khajiit gesehen hätte. Auch an der Universität gab es drei oder vier von ihnen – nur nicht in meinen Klassen. Ich hatte nur noch keinen Khajiit von so nahem gesehen. Die kräftigen gelben Zähne und der strenge Mundgeruch stießen mich zuerst etwas ab. Nein, ich fürchtete mich nicht, er war ja mein Diener und stand unter meinem Befehl, aber … nun gut, ich fürchtete mich doch ein wenig.
    Ra’Shirr redete nicht viel. Er war einfach da, wenn ich ihn brauchte, was anfangs kaum vorkam. Ich war ja nicht an Dienstboten gewöhnt. Doch er machte seine Arbeit von Anfang an gut. Nie gab er mir einen Grund zur Klage, und bald schon vertraute ich ihm meine wertvolle Ausrüstung vorbehaltlos an.

    Als alles vorbereitet war, reisten wir ab.
    Der Weg führte uns vorbei an Kvatch, durch Skingrad und an die Ufer des Rumare-Sees und schließlich nach Bruma, wo wir einige Tage warten mussten, bis der Pass frei war.
    Jede der Städte, durch die wir kamen, war düsterer als die vorige. Anvil besaß freundliche Villen, Skingrad noch zweistöckige Häuser mit schon wesentlich schlichteren Fassaden und Bruma war eine Anhäufung von Holzbauten um die zugegeben stattliche Kapelle herum. Besonders grausig war die Herberge, in der wir ausharren mussten. Man hatte eine komplette Etage – natürlich die mit den Gästezimmern – einfach ins Erdreich gegraben. Dass diese niemals gelüftet werden konnten, verstand sich von selbst.

    Jetzt, wo ich dies schreibe, haben wir die letzten Ausläufer der Jerall-Berge erreicht. Ich bin sehr froh darüber, denn dieser Abschnitt der Strecke war alles andere als angenehm. Auch wenn wir nicht auf Gefahren getroffen sind – mit den paar Wölfen wurde unsere Thalmor-Eskorte schnell fertig – so war es doch äußerst beschwerlich, über die unebenen Wege entlang tiefer Abgründe zu reisen.
    Ein letztes Mal werden wir unser Lager noch im Freien aufschlagen müssen. Dann, so versicherte mir Nennuin, hätten wir Falkenring erreicht, die erste Stadt Himmelsrands. Ich war gespannt, was uns erwartete.
    Moonlord ist offline
  3. #3 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    Kapitel 2 – Himmelsrand

    [Bild: FALMER_G.png]


    leich
    nach dem Frühstück – es gab wieder mal Trockenfleisch und Kräutertee – brachen wir das Lager ab. Ich freute mich darauf, endlich in eine etwas wärmere Gegend zu gelangen, wobei „warm“ ein sehr relativer Begriff war. Ein Vergleich mit den Temperaturen meiner Heimat wäre einfach lächerlich gewesen.
    Zumindest lag kaum noch Schnee in den Wäldern, die unseren Weg säumten. Dafür tauchten gelegentlich belaubte Büsche auf und noch etwas später sahen wir sogar die ersten bunten Blumen blühen.

    [Bild: krysosfalkenri4c2wmayeuk_thumb.jpg]
    Screenshot von Krysos1962

    Am Rande eines steilen Abhanges hielt die Kutsche kurz an. „Seht Professor, dies ist Falkenring.“ Nennuin wies in einen tiefen Talkessel zu unseren Füßen, wo sich eine kleine Ansammlung von Holzhäusern auf engem Raum unter hohen Bäumen zusammendrängte. Vereinzelt stieg Rauch von den Dächern auf und im Hintergrund schimmerte ein kleiner See. Eine große Grasfläche schloss sich an den Ort an, vermutlich eine Weide obwohl ich keine Tiere darauf erkennen konnte. Genau in diesem Augenblick schob sich die Sonne vollends durch die Wolken, um alles in strahlendes Licht zu tauchen.
    Der Anblick war wie geschaffen für eine Zeichnung in meinem Reiseführer, eine perfekte idyllische Bergwelt, wenn ... ja wenn da nicht diese Felswand uns gegenüber gewesen wäre.
    „Was ist das dort drüben?“ fragte ich Nennuin, wobei ich auf wuchtige Steinmauern und -türme deutete, die bedrohlich über der kleinen Stadt aufragten.
    „Das ...“ er schien kurz zu überlegen „nennt sich Wimmerwind. Eine verlassene Festungs- oder Grabanlage. So genau weiß das wohl niemand.“
    Das überraschte mich. Würde ich in der Nähe solch eines Bauwerkes wohnen, dann würde ich doch wissen wollen, worum es sich dabei handelte.
    „Ihr vergesst, dass Ihr es hier nur mit Bauern zu tun habt“, fuhr Nennuin in seiner Erklärung fort. „Alles was über ihren steinigen Acker oder ihre Rinder hinausgeht, interessiert sie nicht. Auch ihr Jarl macht da keine Ausnahme.“
    „Jarl?“ fragte ich. Diesen Begriff hatte ich noch nie gehört.
    „So nennen sie ihre Fürsten.“ Er rümpfte die Nase. „ Dabei herrschen diese „Fürsten“ nur über Barbarenhorden, die in verräucherten Holzhütten wohnen. Eine „Stadt“ wie diese da unten und ein paar Weiler in den Wäldern. Das ist die ganze Herrlichkeit. Jeder zweite Kaufmann in Alinor könnte den ganzen Ramsch für einen Monatsgewinn erwerben. Nur … warum sollte er? …“
    Während Nennuin sprach gingen mir ganz andere Dinge im Kopf herum. Wie, so fragte ich mich, konnte ein derart rückständiges Volk solche gigantischen Anlagen wie dieses Wimmerwind-Dingsda errichten? Oder stammte es gar nicht wirklich von ihnen? Konnte es nicht sein, dass es elfischer Herkunft war, obwohl ich die düstere Wuchtigkeit der Ausführung keinem unserer Völker zuschreiben wollte? Ich konnte nicht anders, die Frage drängte mit Macht heraus: „Sagt, Nennuin, ist es wissenschaftlich erwiesen, dass die Nord dieses dort errichtet haben?“
    „Worauf wollt Ihr hinaus, Professor?“
    „Na ja, könnten nicht auch die Falmer …?“
    Über Nennuins Gesicht huschte ein undefinierbarer Ausdruck, so etwas wie ein missglücktes Lächeln oder ein überhebliches Grinsen oder etwas dazwischen. „Die Falmer? Nein. Auch wenn sie nicht die Zivilisationsstufe der heutigen Mer erreicht hatten, was nebenbei gesagt auch nicht bewiesen ist, so hätten sie sich niemals herabgelassen etwas derart Plumpes zu erbauen. Allgemein nimmt man an, dass sie sich vergänglicher Baumaterialien bedienten, wie Holz oder Elfenbein. Es gibt Tiere in Himmelsrand, deren Stoßzähne Manneslänge erreichen, möglich wäre es. Daraus errichtete Gebäude würden dann stark an die der Bosmer erinnern, nicht wahr?“ Er zwinkerte mir zu und fuhr fort: „Vielleicht irren wir uns auch und die Dwemer, mit denen sie in Feindschaft lebten, zerstörten schließlich ihre Städte so gründlich, dass bis heute keine Überreste gefunden wurden.“
    Nennuin legte eine Pause ein, um mir Zeit zum Nachdenken zu geben, dann fuhr die Kutsche wieder an. Immer steiler führte der Weg jetzt bergab, bis wir nach einer guten Stunde unangenehmen Durchgeschütteltwerdens einen hölzernen Torbogen passierten.
    Dies war also Falkenring.
    Was von oben idyllisch ausgesehen hatte, erinnerte mich bei näherer Betrachtung an die Hütten im Armenviertel von Anvil. Nur der Hafen fehlte dabei.
    Alles war hier aus grauem Holz gemacht, roh verarbeitet und ohne eine Spur von Farbe. Rissige Wände und wackelige Zäune säumten die Straße, welche selbst mit schlecht behauenem Stein gepflastert war und ebenso viele Schlaglöcher aufwies wie die Wege außerhalb der Ortschaft. Überall wucherte Unkraut zwischen den Fugen, es roch nach Rauch und nach Rindern.
    Wenn ich heute früh nur die geringsten Zweifel an Nennuins Worten über die Nord gehegt hatte, so sah ich seine Aussage nun bestätigt. Die Bewohner der „Stadt“ waren Barbaren. Groß und muskulös waren sie, in einfacher Kleidung, die genauso farblos wie ihre Hütten wirkte. Die grob geschnittenen Gesichter der meisten waren wohl noch nie mit Wasser in Berührung gekommen. Einige trugen riesige Zweihänder oder Äxte mit sich herum und die Blicke, die uns trafen, ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass wir nicht erwünscht waren. Trotz der Thalmor-Eskorte fühlte ich mich keinesfalls sicher. So war ich froh, dass Nennuin bloß einige Vorräte aus einem Laden holen ließ und sich unser Trupp sofort wieder in Bewegung setzte.
    Der Rest des Tages verlief unspektakulär.
    Wir zogen nach Westen, immer die steilen Felswände zur Linken und ferne Bergmassive zur Rechten im Blick. Eine Sägemühle, die wir nachmittags passierten, war der einzige Anhaltspunkt dafür, dass dieses Land überhaupt bewohnt war.
    Erst gegen Abend, als wir unser Lager an einer Wegegabelung aufschlugen, hatte ich wieder Gelegenheit, das Gespräch mit Nennuin fortzusetzen.
    Ich fand ihn an einer kreisrunden Mulde, welche keinesfalls natürlichen Ursprungs war. Sie maß etwa acht Schritt im Durchmesser und wurde von zwei Kreisen äußerst regelmäßig bearbeiteter Steinquader eingefasst. Drei monolithische Tore bildeten den äußeren Abschluss. Das Ganze konnte nur eine Kultstätte sein.
    „Was haltet Ihr davon, Professor?“ sprach der Altmer mich an.
    „Ein Kult, würde ich sagen. Ein Versammlungsort zur Anbetung heidnischer Götzen.“
    „Ja, so sieht es aus.“ bestätigte er mir. „Aber … es stimmt nicht ganz.“
    „Was dann?“
    „Erinnert Ihr Euch an Eure Frage zu den Erbauern von Wimmerwind? Hier habt Ihr die Antwort … oder einen Teil davon.“
    „Ich verstehe nicht, worauf Ihr hinaus wollt.“
    „Auf Drachen.“
    Nennuin sah mich gespannt an und wartete wohl darauf, dass ich in Gelächter ausbrechen würde. Doch in diesem Fall unterschätzte er mich. Natürlich hatte ich von den kürzlich in Himmelsrand aufgetauchten Drachen gehört. Und nicht nur davon. Wer genau in den Geschichtsbüchern las, der fand über den gesamten Kontinent verteilt immer wieder Hinweise auf diese geflügelten Wesen. Manchmal waren es nur Ortsnamen wie die Drachenschwanzberge. Manchmal waren es Legenden wie die von den Wamasus der Schwarzmarsch oder erzählt von den Ka Po’Tun aus Akavir. Selbst in meinem Volk erzählte man Kindern zuweilen Geschichten über mutige Helden, die gegen einen bösen Drachen gekämpft hatten.
    „Drachen also“, stellte ich nur trocken fest.
    „Ja, Drachen. Die letzten Ereignisse sprechen ihnen eine gewisse Intelligenz zu. Sie besitzen sogar eine eigene Sprache und Schrift. Die verbrecherische Geheimgesellschaft der Klingen, die wir mit Auri-Els Hilfe eliminieren konnten, hat äußerst umfangreiche Erkenntnisse dazu gesammelt. Leider scheint das meiste davon beim Brand ihres Tempels vernichtet worden zu sein. Jedenfalls soll es eine Zeit gegeben haben, wo Drachen dieses Land beherrschten. Vermutlich ließen sie selbst ihre menschlichen Sklaven die Bauwerke errichten, die wir gesehen haben. Es gibt unzählige davon in Himmelsrand … und es gibt dieses hier.“ Er deutete auf den Boden. „Ein Drachengrab. Wenn man den Legenden glauben kann, dann ruht dort eines dieser uralten Wesen und wartet darauf, wieder ins Leben zurückgerufen zu werden.“
    „Dann lasst uns beten, dass das nicht heute passiert“, antwortete ich, worauf Nennuin zustimmend nickte.

    Während der Nacht träumte ich – natürlich – von Drachen. Eine riesige gepanzerte Echse scheuchte feuerspeiend einen Trupp menschlicher Sklaven vor sich her, alle bepackt mit Steinquadern, aus welchen sie ihrer schuppigen Gottheit einen Tempel errichteten. Dem Drachen ging es nicht schnell genug. Zornig brüllend richtete er sich auf. Er schwang eine lange Peitsche und hieb damit auf die Sklaven ein. Blut spritzte. Schreie ertönten. Immer lautere Schreie. „Salenquil! … Salenquil!“
    Jemand rüttelte mich am Arm. „Er muss aufstehen! Professor, er muss aufstehen! Schnell! Zur Kutsche!“
    Ich war vollkommen verwirrt. Wo war ich? Was war passiert? Überall um mich herum wurde geschrien, Waffen klirrten und die Entladungen magischer Blitze tauchten das Lager in blendende Helligkeit. Ra’Shirr riss mich hoch und schleifte mich mehr zur Kutsche, als dass ich ging. Es waren nur ein paar Schritte, doch das Chaos im Lager tobte überall. Halbnackte Gestalten, in Tierfelle gehüllt und mit auf den Kopf gebundenen Geweihen drangen auf die Thalmor-Eskorte ein. Sie kreischten wie Wahnsinnige und schwangen hölzerne mit Tierzähnen gespickte Waffen. Eine von ihnen, eine Frau mit kahl rasiertem Schädel, sandte eine Feuerwolke auf unsere Kämpfer und hüllte zwei von ihnen darin ein. Was aus den beiden wurde konnte ich nicht erkennen. Ich sah nur, wie die Frau unter den Schlägen eines dritten Thalmors fiel. Noch im Sterben lachte sie hysterisch.
    Ra’Shirr zog mich weiter. Fast hatten wir es geschafft, als ein riesiger Körper über eines der Feuer flog und genau vor uns landete. Ich erstarrte vor Schreck. Der Hüne, er war einen Kopf größer als ich, hob grinsend seine schwere Keule zum Schlag. Augen, in denen der blanke Wahnsinn leuchtete, starrten mir direkt ins Gesicht. Doch nicht davon war ich gebannt. Viel schlimmer war der Anblick, den mir seine breite Brust bot. Eine rote Narbe schien von innen heraus zu leuchten. Sie sah aus, als hätte jemand mit groben Stichen ein klaffendes Loch vernäht, welches sich direkt auf Herzhöhe befand …
    Die Keule sauste herab, schräg von oben nach unten geführt. Ich fühlte nur, wie ich zu Boden gestoßen wurde. Doch nicht die Waffe hatte mich berührt, sondern mein Diener, der sich dazwischen warf und mir so das Leben rettete. Dafür bekam er den Schlag voll ab. Wie ein Ball wurde er davongeschleudert, flog über das Feuer und schlug irgendwo dahinter auf. Der Hüne lachte auf. Wieder erhob er die Keule, doch dann erstarrte er. Knisternde Blitze hüllten ihn ein, fraßen seine Haut und verwandelten sie in eine schwarze stinkende Hülle. Er knickte in den Knien ein, wollte noch im Fallen zuschlagen. Ein weiterer Blitz, mächtiger noch als der vorherige, verwandelte ihn in der Bewegung zu Asche…
    „Weiter!“ Nennuins Schrei ließ mich zur Besinnung kommen. Er riss die Tür der Kutsche auf und stieß mich hinein. Ein Schwarm Pfeile folgte mir. Einer davon streifte meine Robe bevor sich die Tür schloss. Ich duckte mich, kauerte mich im Fußraum der Kutsche zusammen und wartete.

    Endlich, nach gefühlten qualvollen Stunden öffnete sich die Tür. Nennuin grinste herein. „Ihr könnt wieder aufstehen, Professor!“
    „Es … tut mir leid. Ich … bin Wissenschaftler … kein Krieger …“ versuchte ich kläglich meine Feigheit zu entschuldigen. Natürlich schämte ich mich, aber so ein Kampf, das war zuviel für mich.
    „Macht euch nichts draus, dafür sind wir ja da.“ Der Thalmor ließ keinen Vorwurf erkennen, obwohl auch er die Nacht nicht unverletzt überstanden hatte. Seinen Arm „zierte“ ein frischer Verband der sich an einer Stelle leicht rot verfärbt hatte.
    „Was genau ist passiert?“ sprach ich die quälende Frage aus. „Und wie geht es … den anderen?“
    „Abgeschworene!“ In dem einen Wort lag alle Verächtlichkeit, die man nur aufbringen konnte. „Eigentlich haben wie erst im Reach mit ihnen gerechnet. Dass sie uns außerhalb ihres Territoriums angreifen ist … bedenklich. Obwohl, ich könnte mir gut vorstellen, dass Falkenring da seine Finger im Spiel hat. So, wie die uns angestarrt haben …“
    Ja, das war mir auch aufgefallen. Diese offen feindseligen Blicke waren jedem von uns aufgefallen. Doch dass die Städter so weit gehen würden, uns eine Mörderbande auf den Hals zu hetzen…
    „Natürlich haben wir gesiegt.“ fuhr Nennuin fort. „Zwei unserer Soldaten haben es leider nicht geschafft, dazu ein paar leicht Verletzte. Auch Euer Diener hat ordentlich eins auf den Kopf bekommen, aber der wird wieder. So ein Katzenschädel hält einiges aus.“
    „Ich werde gleich nach ihm sehen.“ versprach ich. „Und … danke noch mal für Euren Beistand. Dieser Zauber war einfach beeindruckend.“
    Nennuin setzte wieder sein selbstzufriedenes Lächeln auf. „Keine Ursache, Professor. Gelernt ist gelernt. Doch nun beeilt Euch, wenn Ihr noch was vom Frühstück abbekommen wollt. In einer Stunde brechen wir auf.“
    Ich hatte nach dieser Nacht einfach keinen Hunger. So ging ich statt zum Feuer in eines der Zelte, um nach Ra’Shirr zu sehen. Der Khajiit schlief. Ein dicker Verband umhüllte seinen Kopf. Ich dankte ihm im Stillen, mehr konnte ich nicht tun.

    Es ging weiter nach Westen. Ins Reach, wie Nennuin gesagt hatte. Der Weg stieg leicht an und bald schon tauchten rechts von uns die Mauern einer alten Festung auf. Ich beobachtete sie besorgt, doch nichts regte sich.
    Etwas später sahen wir Wasser vor uns. Wir hatten den Karth-Fluss erreicht, der uns von nun an begleiten würde. Das Land machte einen wilden, zerklüfteten Eindruck. Tief hatte sich der Fluss seinen Weg in die Felsen gegraben, Stromschnellen und Wasserfälle sah man überall.
    Wir zogen durch leichte Nebelschwaden, aus denen die Äste knorriger Wacholderbäume wie verrenkte Gliedmaßen finsterer Monster ragten. Der Wind heulte in den Schluchten und das Rauschen des nahen Flusses übertönte selbst das Quietschen und Knarren der Kutsche.
    Wieder sah ich Ruinen, ähnlich denen bei Falkenring. In schwindelerregender Höhe erhoben sie sich über einem Wasserfall. An zwei Stellen schimmerte unruhig flackerndes Licht durch Maueröffnungen. Ich machte Nennuin darauf aufmerksam.
    „Dort oben soll ein Lager der Abgeschworenen sein“, meinte er. „Es gab schon Versuche sie auszuräuchern, jedoch die alte Bergfestung beherrscht die Wege vollkommen. Man bräuchte eine ganze Legion, um sie zu erobern. Darum soll sich der Jarl von Markarth selbst kümmern, statt dass wir unsere Leute in den Tod schicken.“
    In diesem Moment war ich froh, dass der reißende Fluss zwischen uns und der Festung lag.

    Am späten Vormittag überquerten wir den Karth, der sich dann teilte und in zwei Armen rechts von uns floss. Der Weg stieg weiter an, schwenkte vom Fluss weg und überquerte einen niedrigen Pass. Gegen Mittag machten wir an einer Abzweigung Rast. Außer einem hölzernen Wegweiser gab es hier nicht zu sehen. Ich holte also meinen Reiseführer heraus und überflog noch einmal die Seiten, die von Markarth berichteten. Was dort stand faszinierte mich. Eine Stadt, vollständig aus dem Felsen herausgeschlagen, Wohnungen, Tempel, ein ganzer Palast. Ringförmig sollte sie sich über die Wände eines tiefen Talkessels in mehreren Etagen erstrecken. Sie war ein Werk der Dwemer, ein Glanzstück dieser verschwundenen Rasse, welches ich heute schon in voller Pracht bewundern würde.
    So dachte ich jedenfalls. Bald jedoch kam die Ernüchterung, als wir nach der Rast in nördlicher Richtung weiterzogen, weg von der Stadt aus Stein. Etwas enttäuscht zog ich mich in die Kutsche zurück.
    Später war es wieder da, das inzwischen vertraute Rauschen des Flusses. Wir folgten nun dem Hochufer fast genau nach Norden. Langsam senkte sich die Sonne dem Horizont zu. Die Schatten wurden länger und immer noch rumpelte die Kutsche den unebenen Weg entlang. Schließlich, die Zeit des Abendessens war längst vorüber – obwohl wir auf eine Rast verzichtet hatten – bogen wir vom Hauptweg scharf nach links ab und bald darauf sahen wir einige strohgedeckte Hütten im letzten Licht des Tages vor uns liegen. Wir waren in Karthwasten angekommen.
    Moonlord ist offline
  4. #4 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    Kapitel 3 - Beim Frühstück

    [Bild: FALMER_O.png]


    h
    je, hatte ich schlecht geschlafen. Die Betten in diesem kalten Land waren so unbequem wie Betten nur sein konnten. Zusätzlich roch es in dem einzigen Raum des Hauses nach den Ausdünstungen zu vieler Personen und die allgegenwärtigen Schnarch- und Röchelgeräusche der anderen Schläfer machten es auch nicht einfacher.
    „Guten Morgen!“ trällerte eine junge weibliche Stimme aus der hinteren Ecke des Schlafsaals. Wie konnte man an solch einem Morgen schon so gut gelaunt sein?
    „Mor’n“, knurrte ich mürrisch zurück, wobei sich die meisten meiner Einsilbigkeit anschlossen. Na ja, wir waren uns schließlich noch nicht einmal vorgestellt worden. Doch das sollte sich schnell ändern.
    Es klopfte und eine Argonierin in der einfachen Kleidung des Dienstpersonals trat ein. „Meine Herrsssaften. Ich darf ssie ssum Frühsstück bitten.“
    „Komm in einer Stunde wieder, Echse!“, herrschte sie ein grauhaariger Altmer an, worauf sie sich kurz verbeugte und wortlos verschwand.
    Tatsächlich verging der größte Teil dieser Zeitspanne bis wir alle mit Morgentoilette und Ankleiden fertig waren. Wir trafen uns dann im Nachbarhaus, über dessen Eingangstür die großspurige Bezeichnung „Saal“ zu lesen stand. Nun, so verkehrt war die Bezeichnung dann doch nicht. Das Innere bestand wie unsere Unterkunft aus einem einzigen Raum mit freiem Blick zum Strohdach. In der Mitte war eine Tafel aufgebaut. An den Wänden standen diverse Fässer und Kistenstapel, welche unsere Vorräte enthielten und von unten, aus dem Kellerraum, hörte man Gesprächsfetzen der Dienerschaft, welche man dort untergebracht hatte.
    Ich setzte mich an den Holztisch zu den anderen. Wir waren acht. An der Stirnseite saß jener Altmer, der vorhin die Argonierin angebrüllt hatte, rechts von ihm erhob sich Nennuin von der Bank.
    „Werte Kollegen“, hob er an „ich freue mich, so viele angesehene Wissenschaftler in diesem zugegebenermaßen schäbigen Nest begrüßen zu dürfen.“ Verhaltenes zustimmendes Gemurmel setzte ein. Dann fuhr Nennuin fort: „Alle hier kennen mich inzwischen als den Befehlshaber unserer zuverlässigen Thalmor-Eskorte und als den von der Königlichen Forschungsgesellschaft von Alinor bestellten Organisator dieses Projektes, welcher sich um die weltlichen Bedürfnisse der Herrschaften kümmern darf. Heute ist es mir eine ganz besondere Ehre, Euch den wissenschaftlichen Leiter des Projektes vorstellen zu dürfen, den hochverehrten Dekan der Universität von Alinor, Fürst Alvasan.“ In einer theatralischen Geste verbeugte sich Nennuin vor dem grauhaarigen Altmer, während wir anderen den Erwartungen folgend Beifall spendeten.
    „Ich danke Euch, Nennuin.“ Alvasan sprach mit leiser, etwas heiserer Stimme. „Und ich danke jedem von Euch, der dem Ruf der Akademie gefolgt ist, um seinen Beitrag für unser hehres Ziel zu leisten. Doch greift zu, es wird der Etikette keinen Abbruch tun, wenn wir mit dem Frühstück beginnen. Der Inquisitor …“ er deutete auf Nennuin „ …wird uns gern der Reihe nach vorstellen während wir essen.“
    ‚Inquisitor?’ Ich wusste selbstverständlich, dass mein ehemaliger Schüler für die Thalmor arbeitete, er hatte es ja nie verheimlicht. Dass Nennuin aber über einen derart hohen Titel verfügte war mir neu. Bevor ich jedoch darüber nachgrübeln konnte, was das für unser Projekt – und für mich – bedeutete, erhob sich der Angesprochene erneut. Alvasan dagegen setzte sich gemütlich zurecht und ließ sich von der Argonierin Wein einschenken.

    Nennuin räusperte sich kurz, er schien nicht ganz glücklich zu sein. Vielleicht war er auch nur davon ausgegangen, dass der Fürst die weitere Vorstellung übernehmen würde.
    „Selbstverständlich ist es mir eine Ehre fortzufahren.“ sagte er. „Ich darf Euch Gräfin Tiluva vorstellen, unsere Mineralogin. Kein Stein ist vor ihr sicher.“
    Die Altmer erhob sich ebenfalls, leise kichernd. Sie war es auch, die schon am Morgen mit dem Versuch, Frohsinn zu verbreiten, gescheitert war. Doch es schien ihr nichts auszumachen.
    Tiluva war für eine Altmer klein und zierlich. Üppiges hellblondes Haar reichte ungebändigt fast bis zu ihren Hüften hinab. Ich schätzte sie auf höchstens achtzig Sommer, wobei ihr Ruf als Wissenschaftlerin für solch ein junges Ding gewaltig war. Während sie sprach gestikulierte sie lebhaft mit den Händen herum.
    „ … auf eine fruchtbare Zusammenarbeit, werte Kollegen. Wann immer es erforderlich ist, werde ich Euch alle Steine aus dem Weg räumen.“
    Na ja, Humor hatte sie. Tiluva nahm wieder neben mir Platz und zwinkerte mir zu. „Vorsicht vor der Vampirin!“ raunte sie.
    Ich wusste nicht so recht etwas mit dieser Bemerkung anzufangen und wurde auch schnell von Nennuin wieder abgelenkt.
    „Und hier neben mir: Ramaleth aus Silvenar, eine unserer beiden Bosmer-Kollegen, die beweisen werden, dass nur die Völker der Mer vereint dieses große Werk vollbringen können.“
    „Ramaleth. Biologin.“ Mit dieser knappen Ansprache war sie fertig und nahm demonstrativ eine Hühnerkeule in die Hand.
    Ramaleth stellte das genaue Gegenstück zu Tiluva dar. Dem Aussehen nach war sie steinalt, älter noch als Fürst Alvasan. Ihr Haar leuchtete lackschwarz, doch bei genauerem Hinsehen konnte man an den schlohweißen Stellen kurz über der Kopfhaut erkennen, dass sie kräftig mit einem Färbemittel nachgeholfen hatte. Ihr Gesicht, das einmal sehr hübsch gewesen sein musste, bestand aus einem Heer winziger Fältchen. Ich bemerkte, dass sie beim Essen nur ihre rechte Hand benutzte, während die Linke wie tot neben ihrem Teller lag. Ob sie die Vampirin war? …
    „… Professor Salenquil aus Falinesti vorstellen.“
    Beinahe hätte ich meinen Einsatz verpasst. Schnell stand ich auf.
    „Danke, danke, “ stammelte ich unvorbereitet „ich werde mich bemühen, das Vertrauen, welches die Akademie in meine Person gesetzt hat, zu rechtfertigen.“
    Als nächster wurde Harran vorgestellt, wieder ein Altmer der dem Beruf eines Heilers nachging und bereits mehrere Fachbücher über die Anatomie unterschiedlichster Kreaturen veröffentlicht hatte. Harran war selbst eher unscheinbar, brachte jedoch in seiner Rede so viele Hochrufe auf Alvasan aus, dass es der neben mir sitzenden Tiluva den leisen Ausspruch „Schleimer!“ entlockte. Sein kurzes Stocken bewies, dass er dies sehr wohl verstanden hatte. Er überging die Bemerkung jedoch und kam relativ schnell zum Ende.
    Dann war die Frau neben mir an der Reihe. Ich hatte bisher nur ihr Profil gesehen, welches die Gedanken eines alleinstehenden Mannes wie mich schon über längere Zeit beschäftigen konnte. Arethi, die als Mystikerin den Tempel von Auri-El vertrat, stammte aus Erstburg. Sie schien sich sehr viel in der Sonne aufzuhalten, denn ihre Haut besaß einen etwas dunkleren Farbton als man ihn bei Altmern erwartete. Auch ihre Stimme empfand ich als sehr angenehm. Sie hatte einen recht tiefen Klang und strahlte gleichzeitig Ruhe und Selbstsicherheit aus.
    „ … schließlich, und das stellt keinesfalls eine Wertung dar, kommen wir zu Magister Crothan …“
    Ich sah auf. Dieser etwas finster dreinblickende Hochelf war Crothan? DER Crothan? Ich hatte schon viel von ihm gelesen, denn wenn mich etwas neben meiner Arbeit interessierte, dann war es die Geschichte der alten Völker. Crothan war Archäologe und galt als Dwemerspezialist. Er galt auch als etwas „schwierig“. In der Zeit vor dem Großen Krieg war er ein führendes Mitglied der Kaiserlichen Archäologischen Gesellschaft in Cyrodiil gewesen. Dann gab es „Meinungsverschiedenheiten“ über die Bewertung einiger geschichtlicher Ereignisse und Crothan hatte „den niederen Rassen den ganzen Mist vor die Füße geworfen“, wie er es damals ausdrückte. Später dann hatte er mit Unterstützung der Thalmor eine eigene Archäologengilde in Alinor gegründet, welcher er jetzt vorstand.

    Nun, da wir uns alle vorgestellt hatten, beendeten wir unser Frühstück. Über den Geschmack und die Auswahl beschwerte sich niemand, was wohl einer kleinen Meisterleistung des Personals gleichkam. Ich ging ja nicht davon aus, dass jeder der Anwesenden allein und ohne Diener lebte, so wie ich es gewohnt war. Sie hatten zu Hause sicher einen wesentlich üppigeren Lebensstil genossen. Vielleicht trug aber auch nur die frische Bergluft dazu bei, den Appetit zu fördern.
    Während der letzten Viertelstunde hatte mir Tiluva einen kompletten Bericht ihrer Anreise gegeben. Ich kam dabei nicht ein einziges Mal zu Wort, sondern beschränkte mich darauf, mit gelegentlichem Nicken oder Kopfschütteln Interesse zu heucheln. Schließlich erlöste mich Alvasan, indem er mit einem Löffel seinen Weinkelch zum Klingen brachte.
    „Werte Kollegen.
    Wir alle wissen, wozu wir uns hier versammelt haben. Uns allen wurden durch unseren Inquisitor die Grundzüge des Projektes bereits erklärt, wobei ich mir sicher bin, dass er sich die größte Mühe gab, alles verständlich zu erläutern …“
    Der abschätzige Unterton Alvasans war nicht zu überhören. Ich sah zu Nennuin und war gespannt wie er reagieren würde. Doch zu meinem Erstaunen saß er einfach nur gerade da, hatte die Arme über der Brust verschränkt und zeigte sein unergründliches Lächeln. Ich wurde einfach nicht schlau aus ihm.
    „… lasst mich trotzdem noch einmal zusammenfassen worum es geht“, setzte Alvasan seine Rede fort. „Wir haben uns hier zusammengefunden, um ein ehrgeiziges Projekt ins Leben zu rufen, welchem die Königliche Forschungsgesellschaft von Alinor höchste Priorität zubilligt. Es geht um nichts Geringeres als die Falmer, unsere legendären Brüder und Schwestern aus ferner Vergangenheit, wieder zu denen zu machen, die sie einst waren.
    Wie wir alle wissen, besiedelten die Falmer einst dieses Land. Sie waren die Herren der weiten Tundren, der tief verschneiten Wälder und schroffen Berge, lange bevor menschliche Eindringlinge es sich aneigneten. Die Einzelheiten erspare ich mir. Wie die Geschichte verlief, ist hinreichend bekannt. Die Falmer wurden in vielen Kämpfen besiegt und zogen sich in die unterirdischen Städte ihrer Verwandten, der Dwemer zurück. Doch die Dwemer betrogen sie. Sie entwickelten eine Droge auf der Grundlage uns heute unbekannter Pilze, durch welche sie die Falmer gefügig machen konnten. Sie beraubten sie ihres eigenen Willens, ihrer Intelligenz, ihrer Magie und machten sie zu ihren Sklaven.
    Viele Jahre lang hatten sie damit Erfolg. Doch dann erhoben sich die Falmer, schlugen ihre Peiniger und zogen sich tief ins Innere der Welt zurück. Dort leben sie noch heute als degenerierte Monstrositäten, fast blind und voller Hass auf das Land über ihnen …“ In der darauffolgenden Pause herrschte betretene Stille, bis Alvasan wesentlich lauter weitersprach:
    „Diesen Zustand zu ändern, werte Kollegen, ist unsere Aufgabe. Für ein neues Zeitalter, ein goldenes Zeitalter aller elfischen Völker muss diese Provinz vom menschlichen Abschaum gesäubert und denen zurückgegeben werden, denen sie rechtmäßig gehört! Wir müssen und werden einen Weg finden, diese Verwandlung rückgängig zu machen! Wir werden die Droge der Dwemer finden, analysieren und ein Gegengift herstellen! Wir werden ein ganzes Volk auferstehen lassen zum Ruhme der elfischen Wissenschaft, als Zeichen unserer Überlegenheit und unseres Anspruchs auf diesen gesamten Kontinent!“
    Tosender Beifall erhob sich auf Alvasans mitreißende Rede, in den auch ich einfiel. Ein ganzes Volk von seinem unverdienten Leid zu erlösen, welch würdigeres Ziel könnte es für einen Wissenschaftler geben?

    Gräfin Tiluva wurde man so schnell nicht los. Als wir nach dem Frühstück zu einem kurzen Rundgang durch das Dorf aufbrachen, lief sie wie selbstverständlich neben mir her.
    „Ein wundervoller Ort, findet Ihr nicht?“ begann sie unsere Unterhaltung.
    „Nun, wenn Ihr drei strohgedeckte Scheunen wundervoll findet, warum nicht …“
    „Aber Salenquil, ich darf Euch doch so anreden? Seht Euch doch um. Dieser herrliche Hintergrund urwüchsiger Natur, dieses Blau des Himmels, die kleinen bunten Blumen am Weg. Da muss man einfach gute Laune bekommen. Ich finde es herrlich romantisch.“
    „Wisst Ihr, Gräfin …“
    „Tiluva genügt.“
    „Wisst Ihr, Tiluva, ich sage ja nichts gegen die Natur. Sie ist schön. Nur fragte ich mich gerade, wo die Erbauer dieser Häuser geblieben sind. Sie sehen so aus, als ob sie schon lange vor unserer Ankunft bewohnt waren.“

    [Bild: emskarthwastenolgxeb7zq5_thumb.jpg]
    Screenshot von EMS – leicht aufgehellt

    „Ach die. Das ist einfach.“ Tiluva lachte hell auf, brach dann aber plötzlich ab und ein trauriger Zug huschte über ihr Gesicht. „Kurz bevor ich mit dem Alten … mit Fürst Alvasan hier ankam gab es einen Überfall der Abgeschworenen. Die Thalmor, welche uns vorausgereist waren, konnten nichts mehr tun, als die Leichen zu bergen. Es ist traurig. Wären sie doch nur eher gekommen, sie hätten viele Leben retten können.“ Betreten sah sie zu Boden und brachte es fertig, einige Minuten zu schweigen.
    Wir hatten das letzte Haus, in welchem unsere „Schutztruppen“ untergebracht waren, passiert und näherten uns einer der beiden Silberminen.
    „Was meintet Ihr eigentlich, als Ihr mich vor einer Vampirin warntet?“ fragte ich, um das peinliche Schweigen zu brechen.
    Sie sah auf. „Habt Ihr sie nicht gesehen?“
    „Nein. Wen?“
    „Na Arethi. Sagt bloß nicht, Ihr hättet nicht bemerkt, dass sie rötliche Augen hat. Wenn sie eine Dunmer wäre, ja dann … aber sie ist Altmer. Eine Altmer mit roten Augen gibt es nicht, es sei denn, sie ist eine Vampirin! Ich schlafe jedenfalls immer mit einem dicken Schal um den Hals, seit sie bei uns ist.“
    „Seid Ihr sicher?“ fragte ich ungläubig. „Arethi ist die Gesandte des Tempels. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie eine Blutsaugerin ist. Der Tempel würde so etwas niemals in seinen Reihen dulden, oder?“
    „Hmh, vielleicht hat sie es dort verheimlicht … Vergesst nicht, dass sie Mystikerin ist. Sie kennt sicher genügend Tricks der Illusionsmagie, die ihre wahre Identität verschleiern und … oh, wie es aussieht sind wir da.“
    Während wir sprachen hatten wir die Mine betreten.
    Ich hatte schon einmal eine Mine besichtigen können, vor vielen Jahren, als ich mir mit meiner Familie einen Urlaub gegönnt hatte. Doch im Unterschied zu der war die Mine in Karthwasten nicht mehr als solche zu erkennen.
    Es begann schon im Zugangstunnel, der von zahlreichen Laternen hell erleuchtet wurde. Nur ein kurzes Stück weiter betraten wir das erste Gewölbe. Ich staunte nicht schlecht, war das wirklich eine Höhle? Der gesamte Boden war mit einer ebenen Schicht frischer Holzdielen ausgelegt. Die Wände und sogar die hohe Decke waren mit Stoffbahnen bespannt, so dass an keiner noch so kleinen Stelle das Gestein zum Vorschein kam. Alles war penibel sauber. An den Wänden standen Tische und hohe Regale aufgereiht, auf und in ihnen diverse Gerätschaften wie man sie zu alchemistischen Zwecken benötigte. Schränke voller Glasbehälter mit den unterschiedlichsten Zutaten gab es ebenso wie mehrere große Schreibtafeln an der Wand, auf denen Zwischenergebnisse notiert werden konnten. Ausreichend Licht spendeten drei große, vermutlich aus Cyrodiil importierte Welkynd-Kronleuchter an der Decke. Es gab lederbespannte Stühle, Garderobenständer mit Arbeitskitteln, kurz man hatte in der Mine ein komplettes Labor eingerichtet, wie man es sich an den Universitäten nicht besser wünschen konnte.
    „Dies hier …“ verkündete Alvasan stolz „… wird für die nächsten Wochen und Monate der Mittelpunkt unseres Lebens sein. Seht Euch um, Kollegen, begutachtet alles genau. Sollte etwas fehlen, so werde ich den Inquisitor persönlich dafür haftbar machen.“
    „Und das meint er auch so.“ flüsterte mir Tiluva zu. „Ich habe gesehen, wie Ihr vorhin Nennuin angestarrt habt. Gleich noch ein gut gemeinter Rat von mir: Haltet Euch an Alvasan oder haltet Euch an Nennuin, beides wird auf Dauer nicht möglich sein.“
    Ich dankte ihr leise dafür und nahm mir vor, über ihre Worte nachzudenken. Doch zuerst zog mich dieser Ort magisch in seinen Bann…
    Moonlord ist offline Geändert von Moonlord (03.12.2013 um 12:16 Uhr)
  5. #5 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    Kapitel 4 - Erste Experimente

    [Bild: FALMER_S.png]

    eit

    fast sechs Wochen hatte ich kaum das Sonnenlicht gesehen. Wir arbeiteten wie besessen, standen auf bevor es hell wurde und verließen die Mine weit nach Einbruch der Dunkelheit. Tiluva hatte einmal gesagt, ich solle mich vor der Vampirin in acht nehmen. Zu Anfang hatte mich ihre Warnung tatsächlich etwas misstrauisch sein lassen, aber als Arethi keine Anstalten machte, im Schlaf über uns herzufallen, legte sich meine Skepsis mit der Zeit. Und so langsam fühlte ich mich selbst wie ein Vampir.
    Nein, oh nein, nicht so natürlich. Ich bekam keinen Durst auf Blut und so, ich meinte nur, dass ich den Tagesrhythmus eines Vampirs anzunehmen begann, mich bei Licht in einer Höhle verkroch und nachts … ach lassen wir das. Zurück zu meiner Arbeit.
    Was hatte ich nicht bereits alles untersucht. Jeder Pilz, der in dieser Provinz aufzutreiben war, war mir gebracht worden. Ich hatte sie püriert, getrocknet, zu Pulver gemahlen, zerkocht und ausgepresst, hatte Tinkturen und Essenzen daraus gewonnen und wohl mehrere Dutzend Laborskeever mit meinen Tests ins Jenseits befördert.
    Einmal, gleich gegen Ende der ersten Woche, hätte ich mich beinahe selbst vergiftet, als ich mit den Sporen eines unbekannten Baumpilzes hantierte. Zum Glück klangen die Lähmungserscheinungen der Zunge schon nach zwölf Stunden ab und nur Tiluva schaffte es noch Tage später, mich damit aufzuziehen.
    Ja Tiluva, mit ihr und Ramaleth arbeitete ich als Gruppe eng zusammen. Während die Biologin fast immer in Begleitung Nennuins unterwegs war, um jede Einzelheit des Lebensraumes eines gefundenen Pilzes genauestens zu katalogisieren und dabei besonderen Wert auf mögliche symbiotische Beziehungen zu anderen Gewächsen legte, nahm Tiluva sich die Böden vor. Oder, wie ich es scherzhaft nannte, sie wühlte im Dreck.

    Zuerst hatten wir uns natürlich auf alles konzentriert, was unterirdisch gedieh, vom gemeinen Schimmerpilz bis zur Weißkappe. Später waren wir die diversen Boden- und Baumpilze der Waldgebiete durchgegangen, dann die Arten der Hjaalmarsch, welche sumpfige Böden bevorzugten. Immer weiter hatten wir unsere Suche ausgedehnt … und nichts gefunden. Keine Essenz, kein Pulver hatte die beschriebene Wirkung gezeigt.

    „Ich weiß nicht, was wir verkehrt machen“, gab ich zu, als Tiluva und ich uns einmal eine kurze Pause gönnten. „Wir haben alle bekannten Pilze analysiert, haben siebzehn neue Arten entdeckt, drei Unterarten bekannter Pilze und etwa zwanzig neue Wirkstoffe isoliert. Ramaleth kommt sogar auf fast fünfzig Pflanzen, die sie noch nicht kannte. Und trotzdem treten wir auf der Stelle…“
    „Vielleicht bringt die neue Testreihe ja endlich was. Zwei der Skeever zeigen gewisse Auffälligkeiten.“
    „Ich weiß“, stöhnte ich. „Die toten Skeever verfolgen mich schon im Schlaf.“
    Wir grinsten uns an. Trotz des gewaltigen Altersunterschiedes und Tiluvas Schwäche für endlose Monologe verstanden wir uns mittlerweile prächtig – als Kollegen, möchte ich betonen.
    „Möglicherweise“, sprach sie eine Vermutung aus, die mir auch schon gekommen war „ist es gar kein Pilz. Ich meine … nicht nur. Die alten Mythen könnten falsch interpretiert worden sein. Vielleicht ist es eine Kombination verschiedener Wirkstoffe, bei der Pilze eine große Rolle spielen, aber eben nicht allein verantwortlich sind. Die Dwemer waren brillante Techniker, wer sagt uns, dass sie uns nicht auch in der Alchemie weit voraus waren? Sie könnten durch die Reaktion ganz verschiedener vermischter Substanzen völlig neue Eigenschaften zu Tage gefördert haben, wie wenn … ach, mir fällt jetzt nichts Passendes ein. Was meint Ihr, Salenquil, können wir mit unseren Mitteln so etwas überhaupt nachvollziehen?“
    Erwartungsvoll sah sie mich an.
    Das war eine gute Frage. „Na ja“, begann ich „wir haben die modernste Ausrüstung, die man für Geld bekommen kann. Wenn es uns damit nicht gelingt … Ich glaube aber nicht, dass die Dwemer ganz andere Gerätschaften verwendet haben. Es ist nie etwas Derartiges gefunden worden.“
    „Oder es wurde falsch interpretiert.“
    „Ja, oder das. Ich habe gehört, dass Crothan aus Nchuand-Zel zurück ist. Für heute Abend ist eine Besprechung angesetzt, mit etwas Glück hat er ja Neuigkeiten für uns. Wir sollten ihn mal darauf ansprechen.“
    „Ich nicht“, schob sie diese Möglichkeit mit einer abweisenden Geste weit von sich. „Ich kann den alten Griesgram nicht ausstehen, und er mich auch nicht. Macht Ihr das mal lieber.“
    „Danke.“ Ich stöhnte gespielt auf. „Die gnädige Gräfin beliebt wieder, großzügig Aufgaben zu verteilen. Aber …“, schnell fuhr ich fort, bevor Tiluva zu einer Rechtfertigung ansetzen konnte „… es gibt leider auch noch eine andere Möglichkeit. Ich denke da an Magie. Könnte es nicht sein, dass man mit Hilfe eines Zaubers die Wirkung eines Trankes verändert?“
    „Nein, kann man nicht“, antwortete eine dunkle Stimme vom Eingang her an Tiluvas statt. Arethi kam in die kleine Nebenkammer, die uns als Pausenraum diente und setzte sich unaufgefordert mit an den Tisch. Ihre Augen glommen in dem beängstigenden rötlichen Ton, an den ich mich immer noch nicht gewöhnt hatte.
    „Eine Verstärkung oder Abschwächung bestimmter Eigenschaften mittels Magie ist möglich, mehr nicht. Nur muss man dabei bedenken, wie viele Falmersklaven täglich mit dem Mittel zu „versorgen“ waren. So etwas mit Magie zu schaffen, wäre viel zu aufwendig gewesen. Nein, es muss etwas gewesen sein, was man schnell und in großen Mengen herstellen konnte.“
    „Wie lauten denn Eure Vorschläge dazu?“ wollte Tiluva reserviert wissen.
    „Und wenn man gar keine großen Mengen braucht, sondern schon mit eine Kleinstdosis extreme Wirkungen erzielen könnte?“, warf ich ergänzend ein.
    Arethi hob die Schultern. „Keine Ahnung“, gab sie zu. „Von Alchemie verstehe ich leider nichts, aber deswegen bin ich nicht hier. Fürst Alvasan hat die Zusammenkunft vorverlegt, da Ramaleth schon früher zurück ist als geplant. Ich soll euch Bescheid geben, dass wir uns in einer Stunde draußen treffen. Zitat:’… die können ruhig auch mal frieren.’ Seid bitte pünktlich, der Alte hat so schon schlechte Laune.“
    „Na da freu’ ich mich jetzt drauf!“
    Tiluva stimmte mir zu.

    Eine Stunde konnte wahnsinnig schnell vergehen. In dicke Wintersachen eingehüllt verließen wir zu dritt die Mine und traten ins helle Licht der niedrig stehenden Nachmittagssonne. Die letzten Tage und Nächte hatte es fast ununterbrochen geschneit, sodass eine dicke Schicht blendenden Schnees das gesamte kleine Dörfchen einhüllte.
    Nein, eigentlich stimmte das nicht. Ich staunte nicht schlecht, als wir uns der kleinen Terrasse neben dem Dienergebäude näherten. Sorgfältig war hier jede hereingewehte Schneeflocke entfernt worden. Feuerschalen mit glühender Holzkohle standen in den Ecken und Fackeln steckten in eilig montierten Wandhaltern rings um das Geländer. Es war so warm hier, dass ich als erstes meine Jacke öffnete, bevor wir uns am großen Eichentisch niederließen, auf dem Becher mit heißem Met vor sich hin dampften. Es gab nur acht Stühle, wir würden unter uns sein.
    „Schön Euch wiederzusehen“, begrüßte ich Ramaleth, die, ebenso wie Harran, Crothan und Nennuin bereits Platz genommen hatte. Sie nickte uns freundlich zu. „Endlich wieder ein paar zivilisierte Gesichter, das ist schön. Ich habe sogar etwas Interessantes entdeckt, Ihr werdet begeistert sein.“
    Am liebsten hätte ich sie sofort danach gefragt, doch gerade in diesem Augenblick traf mit der obligatorischen Verspätung auch Alvasan ein.
    „Alle da? Gut, fangen wir an.“
    ‚Die Höflichkeit des Altmeradels …’, dachte ich sarkastisch. Fürst Alvasan hatte noch nie viel von Etikette gehalten, jedenfalls nicht denen gegenüber, die er als ihm unterstellt betrachtete.
    „Ich beginne gleich mit diesem Schreiben“, er wedelte mit einem Brief in der Luft herum, „das ich von der Königlichen Forschungsgesellschaft erhalten habe. Man fragt an, und ich darf bemerken, dass die Anfrage noch sehr höflich formuliert ist, wann man mit ersten Ergebnissen rechnen darf.“ Forschend blickte er einem nach dem anderen ins Gesicht. Auch wenn ich wusste, dass wir alle unser Bestes gaben, in diesem Moment fühlte ich mich so schuldig wie noch nie zuvor.
    „Ich brauche Euch nicht daran zu erinnern, werte Kollegen, dass dieses Projekt von der Regierung finanziert wird. Ergebnisse werden erwartet, und das schnell. Ihr alle geltet als herausragende Experten auf Euren Gebieten. Da ist es doch nicht zuviel verlangt, wenn … würde der Herr Inquisitor bitte sein Grinsen unterlassen? Danke! … wenn wir Alinor wenigstens einen Anfangserfolg präsentieren können. Bevor ich diese Sitzung wieder auflöse, will ich konkrete Vorschläge dazu hören. Crothan, fangt gleich mal an!“
    Der Angesprochene zuckte zusammen, fasste sich aber sofort wieder.
    „Hmh, nichts was Euch gefallen wird“, knurrte er. „Nchuand-Zel erweist sich als wesentlich weitläufiger, als wir angenommen hatten. Calcelmo, der sich eigentlich darum kümmern sollte, ist kaum ein paar Räume weit vorgedrungen. Der Herr Hofmagier hat tatsächlich Angst vor Spinnen, das muss man sich mal vorstellen. Gut, zwei Wachen sind bei der Bekämpfung draufgegangen, aber schließlich haben wir das Vieh gegrillt. Was dann kam, war alles unerforschtes Gebiet, ich musste ganz von vorn anfangen. Drei Falmerangriffe in vierzehn Tagen. Das nächste Mal schickt mir ein paar Soldaten mit, diese Markarth-Tölpel sind ja nur zum Metsaufen zu gebrauchen. So kann ich nicht arbeiten!
    Eine Ebene tiefer haben wir einen Raum entdeckt, der einmal ein Archiv gewesen sein könnte, oder eine Bibliothek. Nur das meiste darin ist unbrauchbar, verschimmelte Schriftrollen, die bei der leisesten Berührung zerfallen. Drei oder vier Inschriften an den Wänden, die wir noch nicht ausgewertet …“
    „Warum nicht?“ fiel ihm Alvasan ins Wort.
    „Weil sie verändert wurden, verflucht noch mal! Wahrscheinlich haben diese dämlichen Falmer dran rumgemeißelt, ich weiß es auch nicht, habe Calcelmo und zwei Leute da dran gesetzt, die versuchen die ursprünglichen Zeichen zu rekonstruieren. Das dauert eben seine Zeit.“
    „Hoffentlich nicht zu lange … weiter bitte.“
    „Es gibt kein „weiter“. Wenn wir etwas wissen, erfahrt Ihr es zuerst.“ Crothan ließ sich auf seinen Stuhl zurückfallen. Er sah noch mürrischer aus als üblich.
    Zuerst dachte ich, Alvasan würde ihn noch zurechtweisen, er schien es wirklich in Erwägung zu ziehen, wandte sich dann aber Ramaleth zu.
    „Ihr als nächste …“
    „Oh, wenn Ihr mich so nett darum bittet“, hob die Bosmer trotz der Situation lächelnd an, „dann kann ich es Euch wohl nicht abschlagen. Obwohl, ich befürchte, Euch ebenfalls enttäuschen zu müssen. Im Gegenteil, wir werden die Feldstudien sogar einstellen müssen, bis der Winter vorüber ist. Alle möglichen symbiotischen Verbindungen, die wir zwischen Pilzen und Wirtspflanzen feststellen konnten, führen in andere Richtungen. Allerdings ist uns dabei eine Zufallsentdeckung gelungen. Aus dem Myzel der Sumpfpilzschote lässt sich in Kombination mit zwei dort vorkommenden Flechtenarten ein Mittel gewinnen, das bei der Bekämpfung von Ataxie sehr hohe …“
    „Das interessiert mich nicht!“, fauchte Alvasan. Man sah ihm an, dass er bei Ramaleths Worten innerlich kochte. Nur mühsam beherrschte er sich.
    Ramaleths Euphorie über das neu entdeckte Heilmittel verschwand schlagartig. Beleidigt setzte sie sich wieder.
    Ich konnte es ihr nachfühlen. Sie hatte eine Entdeckung gemacht, die Tausenden helfen würde und wurde abgekanzelt wie eine blutige Anfängerin, die sich in ein Experiment ihres Meisters gemischt hatte. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass auch ich nicht Partei für sie ergriff. Ich weiß nicht, warum, vielleicht lag es an der allgemeinen Stimmung, die ich durch eine Bemerkung noch mehr anzuheizen befürchtete, vielleicht .. nein bestimmt war ich einfach zu feige, mich Alvasans Unmut zu stellen.
    Lange durfte ich jedoch nicht darüber nachgrübeln, denn gleich nachdem Alvasan – zur Beruhigung – seinen Methumpen geleert hatte, forderte er mich auf, über unsere Forschungserfolge zu sprechen.
    Ich berichtete so ausführlich es ging von den Versuchen, von den vielen Testreihen an den Skeevern und auch von den Vermutungen, die ich heute mit Tiluva und Arethi diskutiert hatte.
    Der Fürst hörte mir zu, seine Miene blieb dabei düster und verschlossen. Schließlich, als ich alles vorgetragen hatte, was mir einfiel, huschte ein zynisches Lächeln über sein Gesicht.
    „Sehr gut, dass sich hier mal jemand Gedanken macht“, höhnte er. „Zwei Skeever zeigen also auffällige Befunde, ja? Das ist gut! Das ist wegweisend! … Hoffen wir, dass diese „auffälligen Befunde“ endlich zu einem echten Ergebnis führen, aber ...“, sein Grinsen nahm beängstigend wölfische Züge an, „es wird Euch sicher freuen, dass diese Testreihen zukünftig optimaler gestaltet werden können. Crothan war so freundlich, seine erwähnten Falmerangriffe in einen Vorteil zu verwandeln. Er hat Euch drei Exemplare mitgebracht, an denen Ihr die nächsten Tests durchführen werdet. Aber bringt sie nicht gleich um.“
    Ein Raunen ging durch unsere Runde.
    Ich konnte nicht glauben, was ich da gehört hatte. Lebendige Falmer zu Versuchszwecken? Hatte Alvasan eben genau das vorgeschlagen? Das war ein schlechter Scherz, oder? Das konnte nur ein Scherz sein.
    Mit ihrer gewohnt ruhigen Stimme sprach dann Arethi aus, was wohl viele von uns dachten:
    „Fürst Alvasan, niemand hier bezweifelt Eure Kompetenz bei der Leitung dieses Projektes, doch sollte es nicht unser Streben sein, die Falmer von ihren Leiden zu erlösen? Wie könnt Ihr dann von uns erwarten, diese bedauernswerten Kreaturen für Tests zu missbrauchen? Im Namen des Tempels muss und werde ich solch einen Vorschlag ganz entschieden missbilligen.“
    „Nennt es ein Opfer für die Wissenschaft“, warf Nennuin gelangweilt ein, während er entspannt auf seinem Stuhl lümmelte und sich ganz ungeniert mit seinem Dolch den Dreck unter den Fingernägeln herauskratzte.
    Arethi fuhr herum. Das erste Mal überhaupt sah ich Zorn in ihren rötlichen Augen aufblitzen.
    „Wie könnt Ihr ...“
    „Er kann, und er hat Recht“, ergriff ausgerechnet Alvasan Partei für den Thalmor. „Wir können nicht einfach ein Gegengift herstellen, zu den Falmern gehen und erwarten, dass sie es schlucken. Das dürfte allen hier am Tisch klar sein. Nein, es ist viel wahrscheinlicher, dass wir sie zu ihrem Glück zwingen müssen, da sie kaum in der Lage sein werden, in ihrem jetzigen Zustand zu begreifen, dass wir ihnen nur helfen wollen. Bis dahin ist es leider notwendig, sie „in die Forschung einzubeziehen“. Wenn es Euch tröstet, dürft Ihr diese drei auch als Kriminelle betrachten, die mit ihren Angriffen ihr Schicksal selbst herausgefordert haben, mir ist es egal.
    Und was den Tempel betrifft, werte Priesterin, so könnt Ihr ganz sicher sein, dass Patriarch Enoth mein Vorgehen eindeutig billigt. Ihr dürft es gern nachlesen.“
    Damit schob er ihr einen der Briefe über den Tisch.
    „Weitere Fragen?“
    Niemand meldete sich.
    „Gut, dann belassen wir es für heute dabei. Die nächste Beratung wird genau in einer Woche hier stattfinden. Ich hoffe, dann höre ich bessere Nachrichten. Und nun möchte ich euch nicht weiter von Euren Pflichten abhalten. Einen schönen Tag noch.“
    Jeder schien es plötzlich eilig zu haben, an seinen Labortisch zurückzukommen. Ich machte da keine Ausnahme. Direkt nach der sehr schweigsamen Tiluva betrat ich die Mine und stürzte mich in meine Arbeit.
    Moonlord ist offline Geändert von Moonlord (04.12.2013 um 09:20 Uhr)
  6. #6 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    Kapitel 5 - Vampirgeschichten

    [Bild: FALMER_N.png]

    a?

    Schon etwas Neues?“
    „Nein.“ Ich schüttelte den Kopf und sah Tiluva an, die an meinen Labortisch getreten war. „Sieht nicht appetitlich aus, oder?“
    Sie winkte ab. „Das bisschen Schimmel“, sagte sie, „ich komme gerade aus Harrans Pathologenkammer. Da ist es gruselig.“
    'Das bisschen Schimmel' war eine graugrüne blubbernde und schleimige Masse, die in einem offenen Kessel vor sich hin köchelte. Einer spontanen Eingebung nach hatte ich Koboldgalle dazugegeben, wodurch das Ganze nach den Schweißfüßen eines Wiesentrolls roch. Tiluva schnupperte und verzog das Gesicht. „Aber hier stinkt es wenigstens schlimmer – Gleichstand.“
    „Ihr versteht es, mich aufzuheitern“, sagte ich lachend.
    „Dann kommt, lachen wir draußen weiter. Eurer Suppe wird schon nichts zustoßen.“
    „Nein, vermutlich nicht.“ Vorsichtshalber zog ich den Topf vom Feuer und stellte ihn auf einer Steinplatte ab. „Soll ich noch ein Schild mit der Aufschrift 'Nicht naschen!' dran hängen?“
    Jetzt lachten wir beide.
    Wieder einmal war es spät geworden. Wir verabredeten uns in einer halben Stunde zum Essen und suchten die Waschräume auf. Mit diesem Geruch in den Haaren hätte man mich niemals auch nur in die Nähe des Tisches gelassen.

    Das Abendessen verlief trotz unserer guten Vorsätze recht einsilbig, genau wie gestern und an den Tagen zuvor. Alvasan saß mit finsterer Miene an der Stirnseite des Tisches, wortlos kaute er sein Gemüse und warf mit missbilligenden Blicken um sich. Unter diesen Umständen konnte einfach keine Stimmung aufkommen.
    Zum Glück verließ uns Alvasan gleich nach dem Essen, Harran und Crothan folgten ihm. Kurz darauf zog sich Arethi zurück. Sie nahm jedoch nicht den Weg zum Schlafsaal, sondern wandte sich der Sanuarachmine zu, die nur etwa einhundert Schritte in nördlicher Richtung lag. Tiluva schaute ihr nach, bis sie hinter der Biegung verschwand, sie traute ihr immer noch nicht.
    „Ob sie sich jetzt einen zweiten Imbiss gönnt?“ Sie sprach die Frage so leise aus, dass nur ich sie hören konnte.
    „Wie meint Ihr das? Haltet Ihr sie immer noch für eine …?“
    Tiluva nickte nur. „Sie können sich ausgezeichnet verstellen … habe ich gehört. Manchmal monatelang ...“
    „... und währenddessen suchen sie sich Opfer, die niemanden interessieren?“, führte ich den Satz fort.
    „So in etwa. Wer weiß das schon.“
    Ich dachte an die beiden Falmer, die in der Sanuarachmine eingesperrt waren. Der dritte der Gefangenen war bereits gestorben, eine Folge der endlosen Tests, die unter Harrans Aufsicht an ihnen durchgeführt wurden. Immer wenn ich an ihn dachte, fühlte ich mich schlecht. Keine der Drogen, die ich, ja ich!, hergestellt hatte, hatte eine erhoffte Wirkung gezeigt. Müdigkeit, Erbrechen, einmal eine kurzzeitige Apathie waren die einzigen Erfolge bisher gewesen, nichts, was das Leben dieser bedauernswerten Kreatur wert gewesen wäre.
    „Wir haben niemals Bissmale an den Gefangenen bemerkt“, spann ich den Gedanken weiter, „doch wie sonst sollte sie an deren Blut gelangen?“
    „Hmh … Wiederherstellung? Ein Zauber, der die Male spurlos verheilen lässt?“ Sie klang selbst nicht sehr überzeugt davon.
    „Es gibt auch noch andere Möglichkeiten, an die Lebensenergie ihrer Opfer heranzukommen, meine Lieben.“ Erschrocken sahen wir uns an, dann über den Tisch. Ramaleth lächelte wissend zu uns herüber. Sie hatte sich so ruhig verhalten, dass wir sie gar nicht mehr bemerkt hatten. Schnell sah ich nach rechts in der Befürchtung dort auch Nennuin sitzen zu sehen. Doch er war zum Glück bereits gegangen.
    Die alte Biologin rückte ein Stück näher zu uns heran. „Vampire also ...“, sagte sie, „da gibt es eine besondere Art in Himmelsrand, die Volkihar. Man sagt sie besitzen eine Burg auf einer Insel im Geistermeer, doch bisher ist es noch niemandem gelungen, dies zu bestätigen.“ Sie fuhr sich mit dem Finger von links nach rechts am Hals entlang. „Man sagt auch, sie können die Lebensenergie ihrer Opfer absaugen ohne diese zu berühren.“
    „Klingt gruselig“, warf Tiluva ein.
    „Ja, aber wie hilft uns das jetzt?“ Ich sah da keinen direkten Zusammenhang. Die hiesigen Vampire stammten doch sicher von den Nord ab, der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung Himmelsrands. Eine Altmer wie Arethi passte da nicht so recht ins Bild.
    „Ich weiß auch nicht“, gab Ramaleth zu. „Ich dachte, Ihr hättet euch allgemein über Vampire unterhalten und wollte nur mein bescheidenes Wissen anbringen.“
    Diese Wendung kam mir nicht ungelegen, sie lenkte von Arethi ab, der ich zwar auch mit einer gewissen Skepsis begegnete, die ich aber nicht ohne Beweise verurteilen wollte. Ich ging deshalb auf Ramaleths Bemerkung ein.
    „Nun, haben wir auch, gewissermaßen.“ Jetzt noch etwas improvisieren und … „Wisst Ihr, unter den Dienstboten kursiert ein Gerücht, dass sich ein Vampir in der Gegend herumtreibt. Nicht, dass wir dem besondere Bedeutung beimessen, die Thalmor beschützen uns ja, es klingt nur sehr interessant. Aber Ihr scheint Euch mit den Mythen dieses Landes ja bestens auszukennen.“
    „Bestens auskennen wäre übertrieben“, schwächte sie ab. „Ich komme halt viel herum und schnappe einiges dabei auf. Wisst Ihr, Vampire sind nicht die einzigen Geschöpfe der Nacht, die man hier kennt. Mindestens genauso bekannt sind die Werwölfe. Besonders oft werden sie im Zentrum der Provinz gesehen, um Weißlauf herum. Vielleicht haben sie ja eine bestimmte Beziehung zu dieser Stadt, wer weiß.“
    „Wäre das nicht eine Aufgabe für Arethi?“ fragte Tiluva unvermittelt. „Ich meine, als Beauftragte des Tempels sollten solche Wesen doch in ihr Ressort fallen.“
    „Sicher, Ihr habt Recht.“ Ramaleth erhob sich. „Ich werde gleich einmal mit ihr reden. Es ist sowieso spät geworden und morgen breche ich nach Windhelm auf. Ich wünsche Euch noch einen schönen Abend.“
    „Danke, Euch auch.“
    „Ja, Euch auch, und seid vorsichtig“, murmelte Tiluva, was ich mit einer hochgezogenen Augenbraue quittierte.
    „Warum habt Ihr das gesagt? Das mit dem Gerücht?“, wollte sie von mir wissen. „Was, wenn sie ihr jetzt etwas antut?“
    „Weil sie Arethi auf Vampire anspricht? Nein, das halte ich für unwahrscheinlich, und außerdem habt Ihr sie doch eben auf Arethi angesetzt.“
    „Habe ich nicht, das war … na hoffentlich irrt Ihr Euch nicht.“ Sie sah mich mit einer Mischung aus Vorwurf und Schuldgefühlen im Blick an und wünschte mir dann ebenfalls eine gute Nacht.
    Da saß ich nun und grübelte darüber nach, was ich falsch gemacht haben könnte. Ramaleth, Tiluva, Arethi … warum war es nur immer so kompliziert. Statt alle an einem Strang zu ziehen, um unsere gemeinsame Aufgabe zu bewältigen, misstrauten wir uns gegenseitig. Nun, Tiluva und ich bildeten da eine Ausnahme, aber die anderen …

    Bevor ich auch den Schlafraum aufsuchte, musste ich mir erst etwas Bewegung verschaffen, frische Luft würde mich hoffentlich auf andere Gedanken bringen.
    Natürlich entfernte ich mich nicht weit von Karthwasten. Das wäre zu gefährlich gewesen wegen der wilden Tiere, und auch den Abgeschworenen war nie zu trauen.
    Ich ging ein Stück in Richtung des Karth-Flusses, bog dann nach links ab und erstieg einige halb verschüttete Stufen, die zu einem winzigen Plateau führten, von welchem man einen grandiosen Blick auf die Schlucht des Karth und die Berge dahinter hatte. Um diese Zeit stimmte das natürlich nicht, selbst in einer Nacht wie heute. Masser stand in seiner vollen Pracht am Himmel, wobei sein unterer Rand die Gipfel der östlichen Berge berührte. Millionen von Sternen sandten ihr Licht wie kleine funkelnde Edelsteine auf schwarzem Samt und ganz in der Ferne, weit hinter dem Horizont schimmerte ein Widerschein jener Nordlichter, die in diesem Land so häufig anzutreffen waren. Der Karth selbst jedoch war nicht zu sehen, nur sein allgegenwärtiges Rauschen drang bis hier herauf und vermischte sich mit dem Zirpen der Insekten, die diese kleine Wiese bevölkerten.
    Ich war nicht zum ersten Mal hier, der Platz zog mich immer wieder an, wegen seiner Schönheit und Ruhe. Auch anderen musste es einst so ergangen sein. Zwei kleinere Steintore standen hier und wiesen darauf hin, dass dies einmal ein Kultplatz oder ähnliches gewesen war, die Reste eines dritten lagen auf dem Boden. Moos und Flechten hatten sich mittlerweile darauf angesiedelt, die Natur holte sich zurück, was einst ihr gehörte.
    'Was einst ihr gehörte.' Der Satz kreiste eine Weile durch meine Gedanken. Waren wir nicht gerade dabei dasselbe zu tun? Einst gehörte dieser Kontinent den Mer und auch wenn niemand mehr sagen konnte, ob dieses Zeitalter so „golden“ war, wie wir es uns ausmalten, so erstrebten wir doch nur den ursprünglichen, von den Göttern gewollten Zustand wiederherzustellen, so wie die Natur selbst es uns vormachte. Was sollte falsch daran sein und warum beschlichen mich in letzter Zeit überhaupt Zweifel, ob das, was wir taten, wirklich gut war? Oder waren nur unsere Absichten gut, nicht aber die Methoden, mit denen wir sie erreichen wollten? Das kam schon eher hin.
    „Knack.“
    Ich schreckte aus meinen Gedanken. Wieder knirschte etwas, Schritte auf Fels, jemand kam.
    Ein Schauder rieselte mir kalt den Rücken herunter. Wer konnte das sein? Ein Tier? Nein, das waren ganz sicher die Geräusche von Schuhen oder Stiefeln. Siedend heiß fiel mir ein, dass ich nichts dabei hatte, um mich zu verteidigen, falls der Ankömmling böse Absichten verfolgte. Nicht einmal ein Messer hatte ich einstecken. Und zu Magie, vor allem Kampfmagie hatte ich nie einen Draht gehabt.
    So gut es ging drückte ich mich in die Schatten, doch es half nicht.

    „Ein schöner Abend, nicht wahr Professor?“
    Ich atmete auf. Es war Nennuin, der mich ansprach. Langsam trat ich in den Schein des Mondes hinaus.
    „Kein Grund zur Beunruhigung“, redete Nennuin weiter. „Die Kreuzung und auch die Bergseite sind gut bewacht. Ihr seid völlig sicher, außer vielleicht … vor einem Drachenangriff.“
    „Danke für die beruhigenden Worte“, erwiderte ich etwas verschnupft, da er sich offenbar über mich lustig machte. Er antwortete nicht darauf, aber trotz der schlechten Lichtverhältnisse glaubte ich, sein selbstzufriedenes Lächeln zu erkennen.
    Eine kleine Ewigkeit standen wir einfach nur da und starrten ins Dunkel.
    „Darf ich fragen, wie Ihr mit Euren Forschungen vorankommt, Professor?“ Nennuins Stimme hatte wieder einen versöhnlicheren Klang angenommen und ich ging gern darauf ein. Die Nacht war einfach zu herrlich, um sie mit kleinlichen Streitereien zu ruinieren. „Dürft Ihr, doch ich glaube nicht, dass ich Euch eine befriedigende Antwort geben kann. Es ist … kompliziert. Wir treten auf der Stelle. Irgendwie verstehe ich sogar Alvasan, der für uns vor den Geldgebern in Alinor den Kopf hinhalten muss. Kein Wunder, dass seine Laune so schlecht ist. Was wir bräuchten, wären alte Aufzeichnungen der Dwemer, oder Reste des Giftes, meinetwegen auch als eingetrocknete Kruste auf einem dreckigen Geschirrteil. Doch auch da hat Crothan noch nichts finden können. Es ist, als hätten die Götter sich gegen uns verschworen ...“
    „Nun, so weit würde ich nicht gehen, Professor. Nehmt lieber an, Auri-El habe beschlossen, unsere Geduld auf die Probe zu stellen. Eine Sache wie die unsere muss den Göttern einfach gefallen.“
    Er schwieg eine Weile bevor er mir etwas anvertraute:
    „Wisst Ihr, eigentlich sollte ich noch nicht davon sprechen, aber ausgerechnet in der Ostmark werden zum Teil noch unerforschte Dwemer-Städte vermutet. Wir stehen seit Wochen in Verhandlungen mit dem Jarl, um eine offizielle Ausgrabungsgenehmigung zu erhalten … der Form halber. Nun ist es soweit und schon morgen brechen Crothan, Ramaleth und ich nach Windhelm auf.“
    „Ich weiß, sie hat es erwähnt.“
    „Hat sie das? Nun gut. Wenn ich zurück bin, sollten wir vielleicht einmal einen Ausflug nach Markarth machen. Eine Alchemistin dort, eine Bosmer, könnte Euch sicher eine große Hilfe sein … wenn Ihr sie zur Kooperation überreden könnt. Als Angehöriger ihres Volkes sollten Eure Chancen größer sein.“
    Größer als was? Sollte das heißen, dass es den Thalmor nicht gelungen war, eine einzelne Frau von den Vorzügen einer Zusammenarbeit zu überzeugen? Sie waren wohl doch nicht so vollkommen, wie sie es gern hätten, doch ich war froh, diese kleine Unzulänglichkeit entdeckt zu haben. Gut, ich würde es versuchen und irgendwie freute ich mich sogar schon darauf, die Stadt aus Stein endlich kennenzulernen.

    Plötzlich aufkommender kalter Wind trieb mich wieder zurück ins Dorf. Auf dem Weg begegnete ich zwei Thalmor-Soldaten, die gerade ihre Wachschicht begannen, sonst war alles ruhig.
    Auch der Schlafsaal war dunkel uns still, von den Schlafgeräuschen der anderen einmal abgesehen. Ich legte mich hin und schloss die Augen. Lange lag ich so da, doch der erhoffte Schlaf wollte nicht kommen. Schließlich erhob ich mich wieder, warf mir meinen Mantel über und trat vor die Tür.
    Kalt war es geworden, elendig kalt. Der Wind, der mich ins Haus getrieben hatte, hatte sich zu einem kleinen Sturm entwickelt und blies winzige scharfe Eiskristalle vor sich her. Niemand, der jetzt nicht draußen sein musste, würde einen Fuß vor die Tür setzen.
    Ich tat es trotzdem, ich brauchte Gewissheit.
    Mit schnellen Schritten legte ich die kurze Strecke zur Sanuarachmine zurück, öffnete die Tür und betrat den spärlich beleuchteten Gang. Sofort näherten sich schnelle Schritte, die Wache kam.
    Ich weiß nicht, welcher Daedroth mich ritt, aber ich hielt der Soldatin eines meiner „Medizinfläschchen“, die ich aus Bequemlichkeit immer bei mir trug – so musste ich sie bei Versuchen nicht erst holen – entgegen und nickte ihr freundlich zu. „Alles in Ordnung, nur eine Vorbereitung für die morgigen Tests.“
    Sie überlegte kurz, fand aber keine Einwände. Offenbar war sie solche spontanen Aktionen von Alvasan und Harran gewöhnt. „Gebt mir bitte Bescheid, wenn Ihr geht“, war ihre einzige Bemerkung, bevor sie sich wieder der Wachstube und dem Würfelspiel mit ihren Kameraden zuwandte. Die Gefangenen konnten ja nicht fliehen und was sollte sonst schon passieren?
    Ich ging weiter, einen abschüssigen Gang entlang, der in einen hohen Raum mündete. Leises Stöhnen wehte mir entgegen, sodass ich mich wiederholt fragte, warum ich überhaupt hier war. Ich hätte sofort umdrehen können, doch ich tat es nicht, denn das hätte jetzt Misstrauen bei den Wachen geweckt.
    Das Stöhnen wurde lauter. Dann, nach mehreren dunklen Biegungen, wurde es heller in der Mine. Wieder stand ich in einer größeren Höhle, an deren Wänden zahlreiche Fackeln brannten. Rechts und links hatte man je drei Eisenkäfige angebracht. Es war die in meinen Augen schlimmste Sorte von Käfigen, da sie den Gefangenen keinerlei Raum für Bewegungen ließen. Die nahezu zylindrischen Behälter aus eisernen Gitterstäben hingen an großen Ringen frei von der Decke herab etwas zwei Fuß über dem Boden. Zwei von ihnen schwangen bei jeder noch so kleinen Bewegung der Gefangenen leicht hin und her, die anderen vier Käfige waren leer.
    Betroffen starrte ich die hilflosen Kreaturen an. Man hatte ihnen alles an Bekleidung abgenommen, was sie besaßen, bis auf ihre total verdreckten Lendenschurze natürlich. Wie sie so teilnahmslos auf dem bloßen Gitter den Käfigbodens kauerten boten sie ein Bild des Grauens. Abgezehrte knochige Körper, deren Haut wie vergilbtes Pergament über den Rippen spannte, längliche Gesichter mit großen flachen Nasen und winzigen Augenschlitzen, die verquollen und blutunterlaufen wirkten. Einer von ihnen hatte eine schwärende Wunde an der Hüfte. Ich wusste, dass Harran mehrfach versucht hatte, sie zu behandeln, jedoch der Falmer hatte die Verbände immer wieder abgerissen, selbst mit gefesselten Händen.
    Ob er wusste, dass er hier unten sterben würde, egal ob wir das Heilmittel fanden oder nicht? Ich befürchtete und hoffte es gleichzeitig.
    Ja, ich hoffte es, weil das bedeutete, dass die Falmer ihre Intelligenz noch nicht gänzlich verloren hatten, dass sie immer noch denken und fühlen konnten, dass sie noch mehr waren als triebgesteuerte Bestien. Und ich befürchtete es, weil, wie ich gerade bemerkte, genau dadurch meine Schuldgefühle neue Nahrung bekommen würden.
    Beschämt wandte ich mich ab … und stand Arethi gegenüber. Das Orangerot ihrer Augen glomm düster im Fackelschein ...
    Moonlord ist offline
  7. #7 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    Kapitel 6 - Spiel mit dem Feuer

    [Bild: FALMER_O.png]

    h,

    wo bin ich nur? Bei den Göttern …’ Vorsichtig blinzelte ich und schloss die Augen sofort wieder.

    „Herr? Ist der Herr wach?“

    Erneut öffnete ich die Augen, um dicht vor mir Ra’Shirrs Gesicht zu sehen. Sein zufriedenes Ausatmen hüllte mich in eine Wolke scharfen Mundgeruchs. „Ooh … mein Kopf!“ Vorsichtig erhob ich mich, wobei mein Diener mich stützte.
    „Wo bin ich?“ Ich sah mich um und erkannte langsam den Schlafsaal wieder. Grelles Licht flutete durch die Rauchöffnung im Dach herein. Die Sonne musste schon sehr hoch stehen.
    „Bitte vorsichtig, Herr, nicht schnell aufstehen. Sonst muss Ra’Shirr Eimer bringen.“
    „Einen Eimer? … Oh nein, mir ist nicht schlecht.“ Trotz meiner Versicherung blieb ich auf der Bettkante sitzen. „Nur mein Kopf … Bin ich verletzt?“
    „Nein … Ra’Shirr weiß nicht. Aber Ra’Shirr glaubt nicht, dass Herr Salenquil verletzt ist. Herr Harran hat untersucht, nichts gefunden.“
    „Klingt schon mal gut. Aber was ist passiert? Ich kann mich an nichts erinnern. Wo sind die anderen?“
    Der Khajiit schien kurz zu überlegen, welche Antwort jetzt die richtige wäre. Dann sagte er: „Ra’Shirr kann nicht sagen, was passiert. Wache hat Herr Salenquil heute Nacht gebracht und in Bett gelegt, dann erst Ra’Shirr gerufen. Herr Harran hat untersucht und gesagt, keine Verletzung. Und der hohe Herr Alvasan hat heute Morgen alle rausgejagt in die Mine, gleich nach ... nach ..., nein, geht Ra’Shirr nichts an. Herr Salenquil fragt bitte Frau Gräfin danach. Ra’Shirr hat nichts gehört.“
    „Gut Ra’Shirr, ist in Ordnung. Sage bitte Gräfin Tiluva Bescheid und sieh mal nach, ob noch etwas vom Frühstück übrig ist. Ich komme schon klar.“
    „Wie Ihr wünscht, Herr.“
    Ra’Shirr ließ mich allein, um meine Anweisungen auszuführen. Etwas Ruhe, das brauchte ich jetzt, ein paar Minuten, um meine Gedanken zu ordnen.
    Was war passiert? Ich erinnerte mich noch an mein Gespräch mit Nennuin bei den Steintoren. Danach war ich zu Bett gegangen, und dann ...? Ra’Shirr sagte, die Wachen hätten mich gebracht. Aber das ergab keinen Sinn, denn ich lag doch bereits im Bett, oder nicht? Wie ich es auch drehte, allein kam ich auf keine Lösung. Ich musste mit Tiluva sprechen, da es ja offenbar noch etwas gab, was mein Diener mir nicht sagen wollte, und ihm befehlen, mir dies mitzuteilen, wollte ich wiederum nicht. Auch wenn er kein Mer war, er gehörte irgendwie zu meiner kleinen Familie, ich konnte ihn doch nicht so behandeln, wie Alvasan mit dem Personal umsprang.
    „Etwas Brot und Käse, Herr.“ Ra’Shirr balancierte ein kleines Tablett herein, auf dem sich neben dem Genannten auch zwei Eier, ein Krug frisches Quellwasser und ein halbes gebratenes Huhn befanden. Das musste er schon vorher bereitgestellt haben, so schnell wie das ging. Ich grinste ... und wurde sofort wieder an meine Kopfschmerzen erinnert.
    Schwungvoll ging die Tür auf, Tiluva stürmte herein. Sie wirkte, nein, sie war besorgt.
    „Ihr habt uns ja einen Schrecken eingejagt! Was war bloß los?“ fragte sie, während sie Ra’Shirr den Wasserkrug abnahm und ihn mit der freien Hand wedelnd hinausscheuchte.
    „Das würde ich auch gern wissen“, entgegnete ich. „Mir brummt der Schädel und ich kann mich an nichts erinnern ...“
    „Hier, trinkt erst mal.“ Sie reichte mir den Becher hin. „Woran könnt Ihr Euch nicht erinnern?“
    „Na ja, was seit gestern Abend passiert ist. Ra’Shirr hat mir berichtet, die Wachen hätten mich ins Bett gebracht.“
    „Ach, diese geschwätzigen Diener.“ Sie seufzte. „Aber es stimmt. In der Nacht, es muss so um die dritte Stunde gewesen sein, weckten uns die Wachen der Sanuarachmine und brachten Euch herein. Ihr wart bewusstlos und ganz kalt. Harran hat Euch sofort untersucht aber nichts feststellen können, keine Verletzung, keine ...“ sie sah sich um, so als befürchte sie, dass Ra’Shirr noch mithörte, „ ... Bisse, nichts. So als ob Ihr ganz plötzlich von allein umgefallen wärt. Hattet Ihr das schon mal?“

    Sie sah mich prüfend an, aber ich verneinte entschieden. Plötzliche Ohnmachtsanfälle hätten sich in meinem Beruf niemals verheimlichen lassen.
    „SIE war übrigens auch im Raum und hat getan, als wüsste sie von nichts. Aber ich glaube ihr nicht!“
    „Schon gut. Ich verstehe Euch ja, aber wenn Harran nichts finden konnte ...“
    „Hmh.“
    „Erzählt mir bitte lieber, was weiter geschah“, forderte ich sie auf.
    „Ja klar. Wir haben dann abwechselnd bei euch gewacht, eigentlich nur Ramaleth und ich. Die anderen sagten, hier wäre es sicher genug und legten sich wieder hin.“
    „Moment, Moment.“ Mir fiel gerade etwas ein, was ich vorhin gar nicht beachtet hatte.
    „Ihr sagtet, die Wachen der Sanuarachmine brachten mich? Was, bei den Göttern, sollte ich dort gewollt haben?“
    „Also wenn Ihr das nicht wisst ...“
    „Das ist es ja gerade! Ich kann mich nicht erinnern! Nach dem Essen war ich noch bei den Steintoren und habe mit Nennuin gesprochen. Dann ging ich zu Bett und dann ... nichts mehr!“
    Ich war laut geworden, Tiluva sah mich erschrocken an.
    „Wollt Ihr, dass ich mit ...“
    „Nein, entschuldigt bitte, ... oder ja. Ich muss wissen, was diese Nacht passiert ist. Würdet Ihr mich in die Mine begleiten?“
    Nach kurzem Nachdenken stimmte sie zu.

    Meine Kopfschmerzen verschwanden langsam, als ich in die klare Luft vor der Hütte trat. Strahlend hell stand die Sonne am Himmel. Es musste fast Mittag sein und sicherlich würden die anderen sich bald zum Essen versammeln. Dann würden alle Erklärungen von mir verlangen, die ich nicht geben konnte. Zuerst brauchte ich selbst Antworten.

    Gemeinsam betraten wir die Mine.
    Eine Wache saß kurz hinter dem Eingang auf ihrem Stuhl und erhob sich sogleich.
    „Es tut mir leid, ich muss Euch bitten, die Mine zu verlassen“, sagte der Soldat.
    „Warum denn das?“ Tiluva wunderte sich. „Wir gehören zum Team, Ihr kennt uns doch. Die Mine ist für uns frei zugänglich.“
    „Nicht mehr! Wie gesagt, es tut mir leid.“ Der Soldat blieb höflich aber abweisend. „Anweisung von Fürst Alvasan persönlich.“
    „Kommt, lasst uns mit Alvasan selbst sprechen.“ Ich nahm Tiluva beim Arm und zog sie zum Ausgang. Etwas widerwillig folgte sie mir.
    „Was denkt sich der Alte dabei?“ Ungehalten blitzte sie mich an, sobald sich die Tür hinter uns geschlossen hatte. „Uns einfach so auszusperren! Dazu hat er kein Recht! Kommt, lasst uns zu ihm gehen, ich will wissen was das soll.“
    Ich hielt sie zurück, bevor sie losrennen konnte. “Wollen wir nicht zuvor mit jemand anderem sprechen? Mit Ramaleth zum Beispiel? Vielleicht weiß sie schon etwas über ... SIE und kann uns bei Alvasan unterstützen?“
    Tiluva stoppte kurz und sah mich entgeistert an. Dann jedoch fiel ihr meine Erinnerungslücke wieder ein und sie seufzte resigniert.
    „Ach ja, Ihr wisst es noch gar nicht. Ramaleth ist fort, zusammen mit Crothan und Nennuin ist sie heute früh nach Windhelm abgereist. Es gab noch einen Riesenkrach, weil ... nun weil das Thema beim Frühstück wieder auf ihre neuentdeckten Heilmittel gekommen ist. Ramaleth hielt es für wichtig, dass die Erkenntnisse sofort nach Alinor und Silvenar übermittelt würden, um sie dort zu wirksamen Medikamenten weiterzuentwickeln, doch Alvasan sagte wörtlich, sie solle sich dafür in Himmelsrand ein paar Kräuterweiber suchen, das wäre allemal ausreichend.“
    „Und Ramaleth?“
    „Sie hat ihn einen engstirnigen senilen Idioten genannt und dann den Tisch verlassen. Drei Stunden darauf sind sie abgereist, um noch heute Drachenbrügge zu erreichen.“
    „Zu schade, dass ich nicht dabei war.“ Die Vorstellung, wie jemand den Fürsten als Idioten betitelte, amüsierte mich. Ich selbst hätte das wohl nie gewagt. „Und er hat sich das einfach so gefallen lassen?“ fragte ich weiter.
    „Na ja, er hat ihr ein Schimpfwort hinterhergerufen, dass keinen Platz im Vokabular einer Dame hat.“ Sie sah sich um, ob jemand in der Nähe war. Als sie niemanden bemerkte fuhr sie im Flüsterton fort: „Aber er hat sich noch heimlich mit Nennuin getroffen. Ich weiß es von Drizza, der Argonierin, die sich manchmal bei mir ausweint. Ramaleth sollte sich lieber etwas vorsehen, der Alte könnte sich irgendeine Gemeinheit ausdenken, um ihr eins auszuwischen. In punkto Rufmord entwickelt er erstaunliche Qualitäten, und wenn er sich selbst mit Nennuin an einen Tisch setzt ...“
    „Dann können wir nur hoffen, dass sie sich wieder vertragen“, erwiderte ich. Tiluva nickte.

    Zu einem klärenden Gespräch mit Alvasan kam es heute nicht. Er blieb dem Mittagessen fern, hatte sich in seinem Labor eingeschlossen und Harran gleich mitgenommen. So blieben nur wir drei übrig, Tiluva, Arethi und ich. Relativ lustlos rührte ich in meiner Suppe herum und dachte wehmütig an das von Ra’Shirr servierte Huhn, das ich in der Hektik vorhin leider nicht gegessen hatte.
    Tiluva beobachtete die ganze Zeit Arethi, bis es dieser zuviel wurde. Geräuschvoll warf sie den Löffel auf den Tisch.
    „Was bitte, wollt Ihr von mir? Warum starrt Ihr mich so an?“
    „Sind alle Vampire anfällig für Feuerzauber?“ antwortete Tiluva ganz ruhig. Ich verschluckte mich vor Schreck an der Suppe und musste husten, jedoch keine der beiden nahm davon Notiz.
    Arethi verdrehte die Augen. „Woher soll ich denn das wissen?“
    „Nun, ich dachte, das gehört zu Eurem Beruf?“
    „Ja ... tut es auch“, sie atmete tief durch im Bestreben sich zu beruhigen „aber es ist nicht mein Fachgebiet.“ Arethi überlegte kurz. „Es gibt viele Arten von Vampiren, so weit ich weiß, und so ziemlich allen sagt man eine Anfälligkeit für Feuer nach. Eine Ausnahme dürften allerdings die Clans aus Morrowind bilden, die ... he! Was soll der Unsinn!?“
    Tiluva hatte die Hand über den Tisch gestreckt, mit der Fläche nach oben. Darauf tanzte eine kleine Flamme, zuckte hoch, schrumpfte wieder und züngelte plötzlich in Arethis Richtung.
    Diese ruckte so heftig zurück, dass sie beinahe samt Stuhl umgestürzt wäre. „Seid Ihr verrückt geworden? Lasst mich in Ruhe mit Eurem Kinderkram!“

    „Warum habt Ihr das gemacht?“ fragte ich Tiluva, nachdem Arethi wutschnaubend den Raum verlassen hatte. „War das klug?“
    Statt zu antworten zog sie einem Schmollmund, wobei ich unwillkürlich an Ardawen denken musste. Meine Jüngste hatte das auch immer hinbekommen und ihren alten Vater damit um den Finger gewickelt. Zum Glück schaffte Tiluva dies nicht.
    „Wenn, und ich sage absichtlich WENN sie eine Vampirin ist, dann ist sie jetzt gewarnt.“
    „Sie wäre ziemlich blöd, wenn sie bis jetzt noch nichts von unserem Verdacht mitbekommen hätte meint ihr nicht?“
    Sicher, da war etwas Wahres dran, ich nickte leicht. Vielleicht war Tiluvas kleine Provokation doch zu etwas gut gewesen. Immerhin hatte Arethi sich deutlich vor der Flamme erschrocken. Bedeutete dies, dass sie wirklich eine Blutsaugerin und damit anfällig für Feuer war, oder war es doch nur eine ganz natürliche, aus der Überraschung resultierende Reaktion? Ich hätte es nicht mit Bestimmtheit sagen können. Na ja, wenigstens hatte ich etwas Neues über Tiluvas Fähigkeiten gelernt.
    „War das vorhin ein Zerstörungszauber?“ versuchte ich, das Gespräch in eine neue Richtung zu lenken. „Ich wusste gar nicht, dass Ihr so etwas könnt.“
    „Ich bin eine Altmer, das liegt uns im Blut“, bekam ich prompt die Antwort. „Aber eigentlich“, fuhr Tiluva fort „kann ich es nicht, … nicht richtig. Genauer gesagt reicht es gerade mal, um den Kamin anzuzünden oder einen Becher Tee zu wärmen. Die Fähigkeiten meiner Familie liegen eher im künstlerischen und wissenschaftlichen Bereich als in der Magie.“
    „Dann passt bitte doppelt so gut auf“ sagte ich. „Selbst wenn sich herausstellt, dass unser Verdacht nicht stimmt, ist auch Arethi immer noch eine Altmer und eine ausgebildete Magierin dazu. Unterschätzt sie bitte nicht.“
    „Heh! Wer ist hier für die Warnungen zuständig?“ Tiluva konnte schon wieder scherzen. Wie leicht sie doch alles nahm …
    Später, wir hatten etwa eine Stunde im Labor verbracht, kam Ra’Shirr herein. „Bitte, alle herauskommen, Besucher sind da“ richtete er aus, unsere Mäntel bereits über dem Arm.
    „Ja, sofort.“ Ich brauchte noch etwas Zeit, da ich wieder einmal einen Kessel auf dem Feuer hatte, der kurz vor dem Kochen stand. Der Khajiit hinter mir zappelte unruhig herum, er wirkte sehr aufgeregt.
    „Wer ist es denn?“ fragte ich, nur um etwas zu sagen, während ich den Deckel schloss und das Feuer löschte.
    „Hohe Herrschaften, Thalmor von Botschaft, Herr Salenquil.“
    Nach dieser Antwort beeilte ich mich tatsächlich.

    Im Speisesaal, die Mahlzeiten waren wegen der kalten Jahreszeit jetzt generell von der überdachten Terrasse ins Innere des Hauses verlegt worden, waren bereits alle versammelt, als ich eintraf.
    „Entschuldigt bitte vielmals meine Verspätung“ sagte ich. „Ich musste erst sicherstellen, dass der Versuch …“
    „Ja ja, schon gut.“ Alvasan deutete mit einer ungeduldigen Geste auf den letzten freien Stuhl. „Setzt Euch endlich!“
    Sofort kam ich seiner Aufforderung nach. Bezeichnenderweise lag dieser letzte freie Platz zwischen Arethi und den Besuchern. Tiluva, nach der Mittagsaktion um möglichst viel Abstand bemüht, saß zwischen Harran und Alvasan eingequetscht, ein mehr als ungewöhnlicher Anblick.
    Nachdem ich Platz genommen hatte, stellte Alvasan unsere Gäste vor. Die Justitiare Onyen und Farawal kamen als Vertreter der Botschaft bei Einsamkeit. Sie überbrachten Grüße von Elenwen, der Leiterin dieser Botschaft und, hinter vorgehaltener Hand, Statthalterin der Provinz Himmelsrand. Dass sie zudem auch noch mit Alvasan weitläufig verwandt war, bekam ich erst im Verlaufe der Gespräche mit. Wundern konnte ich mich nicht darüber.
    Die Zusammenkunft nahm genau den Verlauf, den man von solchen Treffen erwarten würde. Zuerst wurden die üblichen Höflichkeitsfloskeln und Grußworte ausgetauscht, dann kam eine ausgiebige Vorstellung aller Anwesenden, welche Alvasan übernahm. Hierbei musste ich ihm zugute halten, dass er trotz aller Unstimmigkeiten der letzten Tage jeden von uns im besten Licht erstrahlen ließ, die Abwesenden eingeschlossen. Anschließend waren die Besucher dran. Mit blumigsten Worten lobten sie die hervorragende Zusammenarbeit der Königlichen Forschungsgesellschaft von Alinor mit den Thalmor-Behörden, schweiften zur Geschichte sowohl der Gesellschaft als auch der Thalmor ab, bezogen die momentanen politischen Verhältnisse Himmelsrands mit ein, verwiesen auf die Wichtigkeit unserer Aufgabe und und und …
    Am Ende des ganzen Geschwafels hatte ich bereits Mühe, meine Augen noch offen zu halten.

    Was dann jedoch kam, ließ mich mit einem Schlag hellwach werden.
    Onyen stellte ein Kästchen auf den Tisch, ungefähr so lang wie mein Unterarm. Er öffnete es mit feierlicher Miene und holte einen etwas vertrocknet aussehenden Pilz heraus, den er dann vorsichtig mitten zwischen uns auf der Tischplatte ablegte.
    Unwillkürlich erhob ich mich, um besser sehen zu können. Das war eine ganz neue Art, wie ich sie bisher noch nicht gesehen hatte. Gut, er war für den Laien etwas unscheinbar, wies einen Farbton irgendwo zwischen braun und violett auf, besaß einen flachen, in der Mitte etwas erhabenen Hut und gut ausgebildete blassrosa schimmernde Lamellen auf der Unterseite. Der Stiel war lang und dünn mit einer kräftigen knollenartigen Verdickung am Ursprung und mit winzigen dunkelbraunen Schuppen bedeckt …
    „Löscht das Licht!“ Die Anweisung Farawals, des zweiten Thalmor-Botschafters, holte mich ins Diesseits zurück. Sofort sprangen die Diener herum, um sowohl Fackeln als auch Kaminfeuer zu löschen. Zusätzlich verdeckten sie mit einem schwarzen, an Stangen befestigten Tuch die Rauchöffnung im Dach. Es wurde stockdunkel im Raum.
    Und dann, nach einem kurzen Augenblick der Stille, begann der Pilz von innen heraus zu leuchten.

    „Wo habt Ihr ihn gefunden?“ war meine erste und einzige Frage, nachdem das Licht wieder in den Raum gelassen worden war.
    Onyen lächelte uns an. „Das, werte Herrschaften, ist eine lange Geschichte …“
    Diesmal war es mir egal, wie lange die Rede des Thalmor dauern würde. Ich wollte alles über den Pilz erfahren, von dem ich das Gefühl hatte, dass er endlich den Durchbruch bei unserer festgefahrenen Suche bringen würde.
    Die Geschichte begann dann, wie erwartet, mit Politik. Es stellte sich heraus, dass es den Thalmor der Botschaft nach langen und geheimen Verhandlungen gelungen war, ein Abkommen, oder besser einen Nichtangriffspakt, mit den Abgeschworenen auszuhandeln. Die genauen Details interessierten mich nicht, wichtig für mich war nur, dass wir Zugang zu einer neu entdeckten Höhle im nördlichen Reach bekommen sollten, woher dieser Pilz stammte. Die Gegend war Abgeschworenenland und galt als äußerst gefährlich, sodass wir nicht befürchten mussten, dass uns jemand bei unserer Suche in die Quere kam, und ganz ehrlich, wer hätte das auch sein sollen?
    Darüber hinaus ging das Gerücht, so sagte jedenfalls Onyen, dass es irgendwo tief in der Höhle einen Schrein Auri-Els geben solle, den einzigen seiner Art in ganz Himmelsrand. Bei dieser Ankündigung wurde Arethi neben mir ganz hibbelig. Endlich gab es auch einmal etwas zu entdecken, dass in ihr Ressort fiel.

    Mittlerweile war es dunkel draußen geworden. Das Abendessen wurde serviert und immer noch diskutierten wir über die neuen Möglichkeiten, die uns der Fund und das Abkommen eröffnet hatten. Irgendwann hörte ich kaum noch zu. Ich hatte die Augen geschlossen und ging in Gedanken bereits unzählige Versuche durch, die ich in den nächsten Tagen anstellen würde.
    Moonlord ist offline Geändert von Moonlord (09.12.2013 um 10:59 Uhr)
  8. #8 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    Kapitel 7 - Auri-Els Segen

    [Bild: FALMER_N.png]

    icht

    freigegeben!
    Ich konnte es noch immer nicht fassen, der Pilz, den die Botschaftsangehörigen mitgebracht hatten, war nicht für meine Versuche freigegeben worden. Alvasan begründete dies damit, dass wir bisher nur über ein einziges Exemplar verfügten, und er hatte sicher auch Recht, aber wie sollte ich mit meinen Forschungen vorankommen, wenn ich das Objekt meiner Begierde nur anstarren durfte, um es mal so auszudrücken.
    Die ganze stinkende Brühe vom gestrigen Tage, die mir meine Versuche beschert hatten, hatte ich in den Ausguss gekippt. Es kam ja doch nichts dabei heraus und somit hatte ich, von der Katalogisierung meiner Arbeitsergebnisse einmal abgesehen, einen Großteil der nächsten Tage frei. Endlich kam ich dazu, mir die nähere Umgebung Karthwastens etwas genauer anzusehen.
    Das mit der näheren Umgebung war wörtlich gemeint. Jetzt, wo Nennuin unterwegs war, bestand Alvasan darauf, dass sich niemand mehr als auf Sichtweite von der Siedlung entfernte, wobei als einzige Ausnahme der Karthfluss galt, dort wo der Weg von der Handelsstraße abzweigte. Und selbst in diesen Fällen mussten wir uns von Thalmor-Soldaten begleiten lassen. Natürlich galt diese Anordnung nur zu unserem Schutz, was auch jeder einsah, denn wie hatte Tiluva gesagt? Karthwasten war vor unserem Eintreffen von Abgeschworenen überfallen worden. Wir konnten ja nicht wissen, ob es die gleiche Gruppe war, mit der wir den Waffenstillstand hatten, oder eine andere, die davon vielleicht nicht einmal etwas wusste.
    Außer dem Weg zum Fluss blieben noch meine Lieblingsstelle, das kleine Plateau mit den Steintoren, und ein Bereich vor den westlichen Bergen. Hier stieg das Gelände noch mäßig an, war nur mit einigen Wacholderbäumen bewachsen und somit recht übersichtlich. Ganz hinten, am Fuße der Felswand, befand sich eine alte Opferstelle. Wem sie geweiht war, wusste niemand mehr zu sagen, doch mit Sicherheit war es ein grausamer heidnischer Kult gewesen, wie die zahllosen, immer noch herumliegenden Knochen bewiesen.
    Einmal, seit meiner Erinnerungslücke waren zwei Tage vergangen, begleitete mich Tiluva dorthin. Irgendwie schafften wir es, unseren Begleitern soweit zu entkommen, dass wir zwar nicht außer Sicht- dafür aber außer Hörweite waren. Meine Kollegin nahm das auch gleich zum Anlass, das alte Thema wieder aufzugreifen:
    „Wie fühlt Ihr Euch?“ fragte sie.
    „Ganz normal, warum fragt Ihr?“
    Sie schaute mich so komisch von der Seite an, als würde sie nach Anzeichen für etwas suchen, was sie nicht fand.
    „Nun … Ihr wisst schon … seit der Nacht könntet Ihr Euch ja … mit etwas infiziert haben …“
    Ich war erst einmal sprachlos. Worauf wollte sie hinaus? Harran hatte mich noch einmal untersucht und festgestellt, dass ich kerngesund war, abgesehen von einem leichten Rückenleiden, welches ich mir wohl in den Jahren an der Universität zugezogen hatte, und einer Zahnfleischentzündung, mit der ich aber gut klar kam.
    „Wie genau meint Ihr das?“ fragte ich schließlich.
    Sie seufzte. „Es ist doch so“, hub sie an, „es gibt da gewisse Krankheiten, die zum Beispiel durch Skeeverbisse übertragen werden. In der Sanuarachmine treiben sich öfter mal Skeever herum, ich habe selbst gesehen, wie die Thalmor welche entsorgt haben. … und es gibt andere Krankheiten, die durch die Bisse anderer Kreaturen übertragen werden, … gefährlicherer Kreaturen, wisst Ihr?“
    „Ihr meint also, dass ich mich vor euren Augen in einen Vampir verwandle?“ fragte ich geradeheraus.
    „Nein! … oder … Ihr solltet sichergehen. Ich sage es ja nicht gern, aber der Segen Auri-Els heilt sämtliche Krankheiten, wie Ihr wisst.“
    „Den Segen eines Gottes bekommt man an seinem Schrein, wenn man ihn denn verdient hat“, wandte ich ein.
    „Oh, verdient habt Ihr ihn sicherlich.“ Sie grinste frech. „In der anderen Sache irrt Ihr. Nicht nur Schreine, auch Priester können den Segen ihres Gottes verleihen.“
    „Ihr wollt doch nicht etwa, dass ich …?“
    „Warum nicht? Was schadet es?“
    Ich schüttelte den Kopf. „Das kann nicht Euer Ernst sein! Ihr bezichtigt Arethi, eine Vampirin zu sein und mich gebissen zu haben. Gleichzeitig wollt Ihr, dass sie mich von den Auswirkungen ihres eigenen Bisses heilt? Da kann ich ja gleich einen Drachen bitten, mir die Brandblasen zu kühlen, die er verursacht hat.“
    „Aber genau deshalb wird es klappen!“ Tiluva gab so schnell nicht auf. „Die Vampirin wird sicher nicht wollen, dass sich ihre Krankheit schnell ausbreitet. Ein zweiter Vampir, der sich ernähren muss und dabei nicht ihre Erfahrung hat, könnte ihrer Geheimhaltung schaden. Sie wird die Gelegenheit gern ergreifen, um die Gefahr einer Entdeckung für sich selbst zu bannen.“
    „Oder sie ist doch keine Vampirin und spricht einfach ihren Segen über mich, von dem ich nicht einmal mitbekomme, ob er wirkt. Was habt Ihr damit bewiesen?“
    „Nichts“ gab sie nach kurzem Nachdenken zu. „Aber wie man es auch nimmt, Ihr gewinnt dabei.“
    Was sollte ich dazu noch sagen? Aber gut, ich tat ihr den Gefallen und versprach, mich segnen zu lassen, sobald wir zurück waren.

    Zu Arethi ging ich allein. Ich wollte ja nicht, dass sich die beiden Frauen wieder in die Haare gerieten. Zumindest sprachen sie seit dem Frühstück schon wieder miteinander … das Notwendigste, aber es war ein Anfang.
    „Oh, seltener Besuch! Was verschafft mir die Ehre?“
    Ich hörte über den kühlen Unterton in ihrer Stimme geflissentlich hinweg und antwortete stattdessen, wie ich es mir vorher zurechtgelegt hatte:
    „Irgendetwas muss man mit seiner Freizeit ja anfangen. Und weil ich, wie wir alle hier, schon lange keinen Tempel mehr betreten habe, dachte ich …“
    „… dachtet Ihr, Ihr könntet aus Langeweile mit den Göttern Zwiesprache halten“ vollendete sie meinen Satz anders, als ich es geplant hatte.
    Sie schüttelte den Kopf. „Glaubt Ihr wirklich, das sind gute Voraussetzungen, um Euch einer Gottheit zu nähern?“
    Prüfend sah sie mich an, und ich glaubte, auch etwas Spott in ihren Worten vernommen zu haben.
    „N…nein, natürlich nicht“ beeilte ich mich zu versichern. Ich fühlte mich ertappt wie ein Schuljunge, der Süßigkeiten gestohlen hatte.
    „Ihr braucht nicht gleich rot zu werden.“ Diesmal war der Spott unverkennbar. „Ich erlebe oft genug, dass die Leute erst zu Auri-El finden, wenn sie keinen anderen Ausweg mehr sehen. Ein bisschen mehr Frömmigkeit würde Tamriel ganz gut tun, meint Ihr nicht auch?“
    Ich nickte.
    „Gut denn, weshalb seid Ihr wirklich hier?“
    Jetzt hatte sie mich in die Ecke gedrängt. Was sollte ich sagen? Nach kurzem Zögern entschied ich mich für die halbe Wahrheit.
    „Also, von dieser Nacht, … Ihr wisst schon, … da fehlen mir ein paar Stunden Erinnerung. Wer weiß, wie lange ich allein in der Mine gelegen habe, … und die Skeever, … wenn mich nun einer gebissen und infiziert hat. Harran hat zwar nichts gefunden, aber manche Seuchen haben eine lange Inkubationszeit. Da dachte ich, der Segen von Auri-El könnte – zusätzlich – nicht schaden, um …“
    „Ach daher weht der Wind.“ Sie winkte ab. „Eigentlich sollte ich Euch den Segen verweigern, oder besser noch, Euch zu einer Pilgerreise verdonnern. Aber diese Möglichkeit haben wir hier leider nicht. Nun denn, kommt in einer Stunde wieder, ich werde dann alle Vorbereitungen getroffen haben.“

    „Und? Was hat sie gesagt?“ Tiluva überfiel mich gleich hinter der ersten Biegung des Ganges.
    „Dass ich eine Pilgerreise antreten soll“ erwiderte ich schnippisch, um ihr auch einen Anteil an der Wirkung von Arethis Predigt zukommen zu lassen. Sie riss die Augen groß auf und starrte mich entgeistert an, sodass ich laut auflachen musste.
    „Nein, keine Angst. Ich soll in einer Stunde wiederkommen, erhalte meine Segnung und das war’s dann.“
    „Na dann, meinen Glückwunsch.“
    Sehr zufrieden klang sie nicht, Tiluva hatte sich wohl mehr erhofft.

    Nicht einmal zwei Stunden später war alles vorbei. Tiluva und ich saßen bei einem Becher Met am Tisch und wir überlegten uns, wie wir trotz der Einschränkungen, die Alvasans Verbote mit sich brachten, in den nächsten Tagen an unseren Forschungen arbeiten konnten. Freizeit war ja schön und gut, aber bei dem eingeschränkten Unterhaltungsangebot fiel es ohne sinnvolle Beschäftigung schwer, den Tag zu genießen.

    Es blieb bei den Plänen.
    Bereits am nächsten Morgen, am Frühstückstisch, verkündete uns Alvasan, dass die Thalmor-Delegation in Kürze zurück nach Einsamkeit aufbrechen würde und … dass Tiluva sie begleiten sollte.
    „Solange der Inquisitor nicht aus Windhelm zurück ist, habt Ihr sowieso nichts Sinnvolles zu tun“, erstickte er ihren aufkommenden Protest im Keim. „Eine kleine Luftveränderung, ein … zwei Wochen Kultur, oder was der Pöbel in Einsamkeit eben dafür hält, und schon seid Ihr wieder bei uns. Oder besser noch, wir treffen uns in Harmugsthal, einer Burg, die gerade etwas für uns hergerichtet wird. Das liegt dann sogar auf Eurem Rückweg. Noch Einwände? … Dann wäre das ja geklärt.“
    Als sie danach zu mir kam, redete ich ihr gut zu. Alvasan hatte in einem Punkt Recht, hier in Karthwasten gab es kaum etwas zu tun für uns. Sollte sie ruhig auf diese Reise gehen, die Thalmor würden schon für ihre Sicherheit unterwegs sorgen, und vielleicht erfuhr sie ja wieder einmal Neuigkeiten. Schließlich überzeugte sie die Aussicht, in der Stadt ein paar gute Kleiderhändler anzutreffen. Ich grinste ihr hinterher, als sie ging. Dieses Argument hatte auch bei meinen Töchtern immer gewirkt.

    Etwas wehmütig blickte ich Tiluva nach, als sie Karthwasten verließ. Es würde trostloser werden ohne sie, ohne ihre fröhliche Unbeschwertheit. Und ein ganz klein wenig beneidete ich sie auch darum, nach Einsamkeit reisen zu können, während ich weiter hier festsaß.

    „Na, wirkt der Segen schon?“
    Ich hatte gar nicht gemerkt, dass Arethi hinter mich getreten war und fuhr erschrocken herum.
    „Vielleicht findet sie ja eine neue Freizeitbeschäftigung in der Stadt.“
    Sie schien eine Antwort zu erwarten, aber ich ging nicht darauf ein. Was sollte ich auch sagen? Tiluva war in gewisser Weise besessen von ihrer Vampiridee, aber gerade mit Arethi wollte ich das nicht ausdiskutieren. Es wäre mir wie ein Verrat vorgekommen.

    Der nächste Morgen brachte graue Wolken. Sie hingen wie aufgespießt über den Bergen im Westen, türmten sich drohend auf und spien ihre nasse Last ins Tal als gäbe es kein Morgen. Niemals hätte ich gedacht, dass ein Gelände, welches dermaßen abschüssig war wie die Gegend um Karthwasten, einmal knöcheltief unter Wasser stehen könnte. Der Regen peitschte hernieder, nicht mehr tropfenweise sondern schon wie nasse Schnüre und das Wasser schoss die Hänge herab dem Karthfluss entgegen, alles mit sich reißend, was nicht fest genug verwurzelt war, um dieser ungestümen Gewalt standzuhalten.
    Ich saß im Schlafsaal und blickte in den Regen hinaus. Möglich wurde dies durch eine relativ neue Erfindung, die mit der letzten Lieferung von Alinor gekommen war, dem Fenster.
    Ja, ich weiß, es klingt albern. Fenster sind bereits seit Jahrtausenden im Gebrauch, … bei uns. Doch hier in den kalten Provinzen werden sie nicht benutzt, da sie die Kälte der langen Wintermonate ungehindert in die Häuser gelassen hätten. Dieses Fenster jedoch war anders. Es war … zweieckig. Zwei Kreisbögen bildeten oben und unten die Grundform, und da, wo sie zusammentrafen, hatte man jeweils einen großen modifizierten Seelenstein angebracht, der stetig etwas von seiner Energie abgab, um eine durchsichtige Barriere zu erzeugen, welche das Licht hereinließ und den Frost draußen hielt. Sie konnten mittels eines einfachen Rituals mit normaler Magie wieder aufgeladen werden, brauchten also keine Zufuhr neuer Seelen, was sie für jeden Magier einsetzbar machte.

    Natürlich war die Anschaffung ausgesprochen teuer. Wir hatten es auch bloß zu Testzwecken bekommen, weil Elenwen darauf bestand, es auszuprobieren, bevor sie in die Wände des Botschaftsgebäudes Löcher sägen ließ...

    Draußen auf dem freien Platz entstand Bewegung. Ich schaute genauer hin und sah drei dunkle Gestalten auf Pferden angeritten kommen. Sie trugen Regenumhänge mit großen, tief ins Gesicht gezogenen Kapuzen, doch darunter lugten Teile der typischen Thalmor-Rüstungen hervor. Sie stiegen ab, um sogleich das Gebäude der Wachen zu betreten, nur einer von ihnen suchte die Mine auf. Mich beschlich auf einmal ein ganz merkwürdiges Gefühl von Niedergeschlagenheit, so wie man es manchmal empfindet, wenn einem nahen Angehörigen etwas Schlimmes passiert. Ich konnte nicht einfach hier sitzen bleiben und warten, ich stand auf, griff mir meinen Regenumhang und trat hinaus ins Unwetter.

    „... nein, dass kann nicht sein! Wieso habt Ihr Dilettanten nicht besser aufgepasst?!“
    „Beruhigt euch, Arethi. Ich bin sicher, dass sie alles getan haben, was in ihrer Macht...“
    „Pah! Ramaleth ist tot und Ihr, Ihr ...“ Arethi schluchzte laut, dann entfernte sie sich mit schnellen Schritten in einen der hinteren Räume. Ich betrat das Labor und sah mich Alvasan und Nennuin gegenüber. „Was ist passiert?“ stieß ich hastig hervor.
    „Ach, der Herr Pilzkundler“ Alvasan atmete geräuschvoll aus während Nennuin einen Schritt zurücktrat, so dass sein Gesicht in den Schatten geriet. „Ihr habt es also auch gerade erfahren.“
    „Was ...?“
    „Es tut mir leid. Gerade brachte mir der Inquisitor die Nachricht, dass Ramaleth ...“
    „WAS? Bei allen hässlichen Daedra!“, fiel ich ihm ins Wort, ungeachtet der möglichen Konsequenzen, die eine solche Unhöflichkeit bei jemandem wie Alvasan nach sich ziehen würde. „Und warum ist Nennuin hier? Er war doch für ihren Schutz verantwortlich, oder nicht?“
    Kurz blitzte Zorn in Alvasans Augen auf. Er öffnete den Mund zu einer harschen Antwort, atmete dann aber nur ein zweites Mal laut aus und entgegnete wesentlich ruhiger als erwartet: „Ja, Ihr habt ja Recht, Nennuin war für sie verantwortlich, so wie die ganze Eskorte auch. Vielleicht ist es besser, wenn er es Euch selber erklärt. Ich werde dann mal Harran informieren“
    Er ließ mich mit Nennuin allein.

    „Kommt, setzt Euch erst einmal, dann redet es sich leichter.“
    Er zog sich einen Stuhl heran und wies auf den zweiten. Etwas widerstrebend folgte ich seinem Beispiel. Viele hier, Alvasan eingeschlossen, mochten Nennuin nicht, wohl weil er von seiner Art her oft überheblich wirkte, doch mir gegenüber hatte er sich immer korrekt verhalten. Wir saßen uns gegenüber und schwiegen beide eine ganze Weile, dann begann er zu erzählen.
    „Es passierte etwa eine halbe Tagesreise vor Windhelm. Wir ritten die Straße entlang, alles war ruhig. Die Gegend galt als sicher, was Banditen betraf, und so ließen wir vielleicht etwas in der Aufmerksamkeit nach. Dafür entschuldige ich mich, alles andere … Hinter einer Wegbiegung stießen wir auf zwei Höhlenbären, riesige Tiere und sofort aggressiv. Durch ihre schiere Größe sind sie schwer zu besiegen, nicht einmal Feuer schreckt sie ab, wenn sie erst Blut gerochen haben. Meine Leute und ich hatten alle Hände voll zu tun und dann … Wir hatten die Höhle etwas oberhalb des Weges zuerst nicht bemerkt. Der dritte Bär stürzte sich direkt auf Ramaleth, … es war zu spät...“
    „Zu spät“, hallte es in meinem Kopf nach. „Zu spät...“ Ich dachte an die wenigen Gespräche mit der alten Biologin zurück, die wir geführt hatten. Trotz ihres manchmal schroffen Auftretens hatte sie ein gutes Herz besessen. Ja, ich hatte sie gemocht, und die Leere, die ihr Tod hinterließ, fühlte sich schrecklich an. Ich sah Nennuin in die Augen, das heißt, ich wollte es, doch er war bereits wieder aufgestanden, sein Gesicht im Schatten des dürftig beleuchteten Raumes verschwunden.
    Bis heute weiß ich nicht, warum ich es dabei beließ.
    Moonlord ist offline
  9. #9 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    Kapitel 8 - In den Bergen

    [Bild: FALMER_E.png]

    s

    gab nur eine kleine Trauerfeier, Alvasan, Harran, die Soldaten, die Dienerschaft und ich, und Arethi natürlich, die die Bestattungszeremonie leitete. Wobei, Bestattung traf eigentlich nicht zu, da die sterblichen Überreste unserer Kollegin noch immer irgendwo in der Wildnis lagen, oder in … Ich dachte lieber nicht genauer darüber nach und schaute auf den leeren Sarg, welcher soeben den Flammen übergeben wurde.
    „Ich wünschte, Nennuin hätte sie mitgebracht“, flüsterte ich leise vor mich hin. „Wir hätten ihr beim Abschiedsmahl die letzte Ehre erweisen können.“
    Ra’Shirrs Kopf ruckte zu mir herum, erschrocken sah er mich an und drückte sich dann einen Schritt von mir weg.
    ‚Was denn?’, dachte ich, wobei mir wieder einfiel, dass ich nunmehr der einzige Bosmer der ganzen Gruppe war. Unsere uralten Traditionen, die Verstorbenen zu ehren, hatten die anderen Völker Nirns noch nie verstanden, ja die meisten lehnten sie rigoros ab oder ekelten sich sogar davor. Ich nahm es dem Khajiit nicht übel.
    „… und möge Y’ffre ihren Geist zu sich holen, auf dass er für ewig in der Gnade der Götter wandele.“

    Arethi ließ ihre Arme sinken, verneigte sich vor den Flammen und trat zurück. Ich blickte zu ihr herüber und dankte ihr im Stillen dafür, dass ihre letzten Worte an Y’ffre statt an Auri-El gerichtet waren. Das hätte ich ihr gar nicht zugetraut, sie hatte sich gut vorbereitet.
    Schweigend sahen wir zu, bis die letzten Reste des Sarges zu Asche zerfielen, dann ergriff Alvasan das Wort.
    „Eine große Wissenschaftlerin und liebe Kollegin ist von uns gegangen. Ich weiß, es wird nicht leicht sein, ihr Werk fortzuführen, doch ich bin sicher, sie hätte es so gewollt. Lasst uns ihr Andenken ehren, indem wir die Aufgabe, der sie sich verschrieben hatte, so wie wir alle hier, zu einem schnellen und ruhmreichen Ende führen.“
    „Ja, lasst uns gleich damit beginnen!“ Harrans Worte kamen so eifrig, dass unmöglich zu überhören war, wie sehr er sich von der Trauerfeier weg und in sein Labor wünschte. Selbst Alvasan warf ihm einen missbilligenden Blick zu.

    „Wenn Ihr morgen wieder in Eure Folterkammer kommt, ist das früh genug“, wies er ihn zurecht. „Heute werdet Ihr wie alle anderen einen Ruhetag einlegen.“
    Harran nickte kurz und wandte sich dann ab. Ich hörte ihn etwas murmeln, was wie „Tot ist tot, das hält mich nur auf“, klang, hoffte aber, mich getäuscht zu haben.

    Am Abend kam Alvasan zu mir, was er recht selten tat.
    „Würdet Ihr die Güte haben, mich ein Stück zu begleiten?“ fragte er. Natürlich stimmte ich zu, er hätte auch kein „Nein“ akzeptiert.
    Wir verließen Karthwasten ausnahmsweise ohne Begleiter und gingen zum Fluss. Nach dem letzten Regen war er gestiegen, an manchen Stellen sogar über die Ufer getreten und rauschte jetzt doppelt so wild wie sonst dem Geistermeer entgegen.
    „Ihr werdet morgen nach Markarth aufbrechen“, eröffnete er mir, als sei das die natürlichste Sache der Welt. „Nennuin wird Euch begleiten und diese Filzmatte von Diener auch.“
    Das kam etwas plötzlich. „Warum Markarth? Und schon morgen?“ fragte ich.
    „Wir sind Wissenschaftler“, begann er. „Wir haben zuerst unsere Aufgabe zu sehen, und dieser müssen wir auch unsere persönlichen Empfindungen unterordnen. Seid versichert, Ramaleths Tod tut mir leid, doch auch ihre Arbeit muss weitergeführt werden. Bis ich jemanden aus Alinor zugeteilt bekomme, der sie ersetzen kann, haben wir hier Sommer. Ihr werdet also nach Markarth gehen, zu dieser Hexe, von der Euch Nennuin sicher bereits erzählt hat, und Ihr werdet sie dazu bringen uns zu helfen.“
    „Andernfalls …?“
    „Unsinn! Es gibt kein Andernfalls! Wofür haltet Ihr mich? Ich habe schon gesagt, dass ich den Unfall persönlich bedauere, aber im Sinne unserer Sache muss ich darauf bestehen. Überredet sie, bietet ihr Gold … bis zur Höhe Eures eigenen Gehaltes werde ich das befürworten, aber bringt sie dazu, zu kooperieren. Sollte sie sich stur stellen, müsste ich sonst Nennuin bitten, das zu übernehmen und wir wissen ja beide, wie so etwas ausgehen kann …“
    „Ja, ich weiß, wie so etwas ausgehen kann.“
    „Gut, dann sind wir uns ja einig.“ Er wandte sich um und wollte schon gehen, als ich ihn noch einmal ansprach: „Habt Ihr Tiluva schon informiert?“
    Kurz verharrte er. „Nein“, sagte er dann, „aber danke für die Erinnerung. Ich werde noch heute einen Boten nach Einsamkeit schicken.“ Damit ging er endgültig.
    Wieder im Haus begann ich, meine Sachen für die Reise zu packen.

    Unser kleiner Trupp brach nach einem sehr zeitigen Frühstück auf. Wir waren nur sechs Personen, Nennuin mit drei Soldaten, Ra’Shirr und ich. Das sollte reichen, um schnell und sicher bis zur Stadt aus Stein zu gelangen, auch wenn wir auf Pferde verzichteten. Den Grund dafür sah ich bald, als wir uns statt zum Karth den Bergen zuwandten.
    „Ihr kennt doch die alte Kultstelle dort oben“, sagte Nennuin, der neben mir an der Spitze ging. Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. „Heute will ich Euch etwas zeigen, das Ihr in dieser Form sicher noch nicht gesehen habt, einen … aber nein, Ihr werdet es selbst sehen. Ich will Euch doch die Überraschung nicht verderben, Professor.“
    Ich schaute an der steilen Felswand hoch, die fast in den Wolken verschwand.
    „Na, da bin ich aber gespannt“, sagte ich „vor allem darauf, wie wir dort hoch kommen wollen.“
    „Es ist halb so schlimm wie es aussieht.“ Nennuin klopfte mir auf die Schulter und ging voraus. „Etwas weiter rechts gibt es einen ganz passablen Pfad. Ich bin ihn bereits zweimal gegangen, kein Problem ohne Gepäck.“

    Ganz so unbeschwert, wie Nennuin es dargestellt hatte, wurde der Weg dann doch nicht. Ohne Gepäck ging es zwar, aber ich war lange kaum vor die Tür gekommen, von ausgedehnten Spaziergängen ganz zu schweigen, und allein der steile Anstieg brachte mich ganz schön außer Atem. Auch die Soldaten in ihren schweren Rüstungen keuchten kräftig, am schlimmsten aber hatte es Ra’Shirr erwischt, der unsere Koffer hinterher schleppte. Als ich ihm anbot, wenigstens einen Teil des Gepäcks selbst zu tragen, schaltete sich Nennuin schnell ein: „Der schafft das schon, Professor. Khajiit sind meist stärker als sie aussehen, habe ich Recht, Katze?“
    Ra’Shirr straffte sich daraufhin und schritt etwas schneller aus, doch er tat mir leid.
    Kurz darauf rasteten wir. Die Hälfte des Aufstiegs war geschafft und die Aussicht atemberaubend. Die Dächer von Karthwasten tief unter uns waren in der klaren Luft deutlich zu erkennen, fast schien es, als könne man sie mit einem Steinwurf erreichen. Alles wirkte so friedlich, als ob dieses gefährliche Land das reinste Paradies wäre.
    „Es bleibt so steil, werdet Ihr das schaffen?“ fragte ich meinen Diener mit einem besorgten Blick auf den weiteren Weg. Nennuin verdrehte die Augen, doch das war mir egal.
    „Ja Herr, … Thalmor hat Recht, Ra’Shirr ist stark, Ra’Shirr wird alles tragen so weit Ihr wollt.“
    Wie um seine Worte zu bekräftigen schulterte er unser Gepäck und ging voraus. Kopfschüttelnd folgte ich ihm. Ich hatte es doch nur gut gemeint, doch ich sah schon, der Khajiit hatte seinen Stolz. Im Stillen bewunderte ich ihn sogar dafür.
    Weiter ging es steil bergan. Große Steine und kleines Geröll bedeckten zeitweise den kaum erkennbaren Pfad. Ra’Shirr schnaufte wie ein Imga in der Brunst, schwankte manchmal unter seiner Last, aber ging unbeirrt weiter.
    „Seht Ihr, Euer Versuch war von vornherein zum Scheitern verurteilt.“ Nennuin machte sich nicht einmal die Mühe, leise zu sprechen. Ra’Shirr verstand sicher jedes Wort.
    „Diese Katzen sind nicht nur zäh, sondern auch stur. Sie haben noch nicht so richtig verinnerlicht, was der Aldmeribund für sie tut, aber das wird schon noch.“
    Ich dachte eine Weile über seine Worte nach und fragte dann: „Ich weiß natürlich, was Ihr meint, Nennuin, aber nehmen wir mal an, ein Fremder würde Euch fragen, was der Aldmeribund für Anequina tut. Was würdet Ihr antworten?“
    „Ein Fremder?“ Sofort klang er wieder ungehalten. „Was für ein Fremder sollte das sein?“
    „Nun, jemand der nicht aus den Ländern des Aldmeribundes …“
    „Ein Barbar? Pah, der würde nicht mal auf so eine absurde Idee kommen.“
    „Nein, aber …“ ich überlegte fieberhaft. „ … einer der See-Elfen vielleicht. Trotz allen Ärgers, den wir in der Vergangenheit mit ihnen hatten, verfügen sie unbestritten über eine hohe Kultur und könnten …“
    Wieder fiel er mir ins Wort: „Warum sollte ausgerechnet die Maormer interessieren, was wir für ein Verhältnis zu Anequina haben? Überhaupt, den alten Feind als Vergleich heranzuziehen halte ich für geschmacklos. Kommt lieber, gleich sind wir da.“
    Wortlos nahmen wir die letzte Steigung in Angriff.

    Steinsäulen. Da waren sie wieder, die Relikte aus einer früheren Ära. Fünf hohe Säulen rahmten ein kleines Plateau dicht unterhalb des Gipfels ein. Einige weitere Felsbrocken und Bäume erschwerten die Sicht und ohnehin hatte ich während der letzten Stunde mehr auf den Weg geachtet, so dass ich den Platz erst richtig bemerkte, als wir ihn betraten. Ein Tisch stand hier, ein paar Kisten, deren Deckel aufgebrochen waren, und in einer Ecke ein zusammengesacktes Zelt. Alchemiezutaten lagen überall auf dem Boden verteilt, dazwischen … mir wurde sogleich schlecht beim Anblick … der Besitzer. Die wenigen Details, die ich sah bevor ich mich übergeben musste, reichten, um mir für die nächsten Nächte Albträume zu bescheren. Dem älteren Khajiit war offensichtlich die Kehle durchgeschnitten worden, und zwar so gründlich, dass die Klinge bis zu den Halswirbeln gedrungen war. Zusätzlich hatte man ihm noch das Genick gebrochen, der Kopf stand somit im rechten Winkel nach hinten und die leeren Augenhöhlen blickten jedem Ankömmling entgegen. Raubvögel und andere Aasfresser hatten ihr Mahl bereits begonnen, bevor sie durch unser Erscheinen gestört worden waren.
    „Geht’s wieder?“ Nennuins Stimme klang viel zu unbeteiligt für diese Situation, und das machte mich diesmal wirklich wütend.
    „Habt Ihr was damit zu tun?“ herrschte ich ihn an, wobei ich auf den Toten deutete. „War es das, was Ihr mir zeigen wolltet? Eure Untaten?“
    Nennuin hob abwehrend die Hände. „Ihr missversteht das, Professor“, sagte er. „Das war ich nicht, nicht persönlich jedenfalls … lasst es mich erklären.“
    „Nichts lieber als das! Legt los!“
    Ich setzte mich auf einen größeren Stein, sorgsam darauf bedacht, den Toten nicht noch einmal ansehen zu müssen. Der Altmer lehnte sich mir gegenüber an ein großes Gefäß aus einem gelblichen Material, vermutlich Dwemer-Metall. Die Soldaten ließen sich etwas abseits ebenfalls nieder, während Ra’Shirr in aller Stille damit begann, Steine zu sammeln, um den Körper seines Landsmannes später damit zu bedecken.
    „Habt Ihr schon einmal von Peryite gehört?“ begann Nennuin.
    Ich nickte. „Der Daedraprinz der Seuchen, unter anderem …“
    „Ja.“ Er drehte sich um und wies auf einen toten Baum. „Und dies hier ist einer seiner geheimen Schreine. Den wollte ich Euch zeigen, nicht den Toten.“
    Meine Augen folgten der Richtung, ich sah genauer hin und bemerkte kräftige grüne Ranken einer mir unbekannten Schlingpflanze, die den Stamm umklammert hatte. Etliche Totenköpfe von Menschen und Mer, ja selbst Trollschädel und ein Mammutkopf waren darum herum aufgeschichtet. Das ganze Ensemble hatte etwas zwingend Faszinierendes an sich, man konnte förmlich die Verderbtheit dieses Ortes spüren und wurde trotzdem davon angezogen, wie von einer verbotenen Frucht, die bekanntlich die süßeste ist.
    „Erzählt mir alles der Reihe nach“, forderte ich ihn auf. Eigentlich hätten meine Worte aggressiver klingen sollen, doch die düstere Atmosphäre des Schreines lenkte mich davon ab.
    „Wir kamen zufällig hier vorbei, noch vor der Reise nach Windhelm. Sie war der Meinung, hier oben besonders seltene Kräuter zu finden …“
    „Sie?“
    „Ja sie … Ramaleth. Jedenfalls fanden wir diesen Platz und kamen mit der Katze ins Gespräch. Na ja, eigentlich sprach nur Ramaleth mit ihm. Sie redete über alles dieses Biologen-Zeug und über das Gebräu in dem Kessel hier. Wie Ihr wisst, konnte Ramaleth sehr beharrlich sein, wenn sie sich erst einmal an etwas festgebissen hatte. Dann merkte sie nicht mehr, was um sie herum geschah … Das Gespräch ging dann in eine Richtung, die der Katze nicht zu gefallen schien. Ich bemerkte es erst nicht, war selbst abgelenkt durch diesen Baum … wir hätten ihn fällen sollen … und dann … die Katze wirkte einen Zauber hinter ihrem Rücken. Wer weiß, was sie vorhatte, vielleicht wollte sie Ramaleth ihrer grausamen Gottheit opfern. Zum Glück war eine meiner Soldatinnen schneller, sie … aber das Ergebnis habt Ihr ja gesehen. Ich fand es auch übertrieben, aber was sollte ich tun? Schließlich hatte sie Ramaleth das Leben gerettet …“ Er senkte niedergeschlagen den Kopf. „Ich wünschte, sie wäre bei Windhelm dabei gewesen, aber ich habe sie ablösen lassen, weil … nun weil ich die Rache Peryites befürchtete …“
    Immer erstaunter hatte ich Nennuin zugehört. Ich hatte ihm wohl tatsächlich unrecht getan, hatte nur den abgebrühten Thalmor in ihm gesehen, aber wenn es so war … Auch der Khajiit tat mir immer noch leid, selbst wenn er sich sein Schicksal selbst zuzuschreiben hatte. Ach, ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte. Alles war so kompliziert. Wieder einmal sehnte ich mich nach der Ruhe und Ordnung der Universität zurück.
    „Ihr sagtet, Ihr fürchtet die Rache des Daedroth. Was meint ihr damit?“ fragte ich, um die aufkommende Stille zu unterbrechen. „Und … Entschuldigt bitte meine Worte von vorhin.“
    „Keine Ursache, ich verstehe Euch ja, Professor … Nun, wir versuchten den Platz zu reinigen, indem wir den Baum zerstörten. Wie Ihr seht ging das nicht.“
    Ungläubig starrte ich ihn an.
    „Glaubt was Ihr wollt oder probiert es selbst. Weder lässt sich dieser Baum fällen noch verbrennen. Der böse Geist des Daedroth selbst muss darin wohnen. Seht!“ Nennuin streckte die Handfläche vor und schleuderte damit einen gleißenden Feuerball in die Baumkrone. Es zischte und knackte, Rauch wölkte auf, aber dann erloschen die Flammen und der Baum stand genauso da wie zuvor. Nicht eine einzige verkohlte Stelle war zu sehen.
    „Lasst uns so bald wie möglich von hier verschwinden“, bat ich.
    Nennuin stimmte mir zu und gemeinsam verließen wir den Ort.

    Jetzt ging es bergab. Wir liefen so schnell es ging, ohne dass es nach Flucht ausgesehen hätte. Eine in der Sonne blitzende Silbererzader ließen wir unbeachtet links liegen. Der Weg wurde etwas besser, schließlich hatten wir wieder eine gepflasterte Straße unter den Füßen, die auf eine kleine Ansammlung von Zelten zuführte.
    „Ein Militärlager der Legion“, ließ sich Nennuin vernehmen. „Ich denke nicht, dass sie uns Schwierigkeiten machen würden, aber willkommen werden wir auch nicht sein.“
    Da musste ich ihm zustimmen. Der Krieg war zwar schon einige Jahre vorbei, aber es gab auf beiden Seiten genügend Veteranen, die immer noch an den alten Feindbildern festhielten. Wir umgingen das Camp also, argwöhnisch beobachtet von den Soldaten, aber unbehelligt.
    Ein kleiner Bergsee, idyllisch inmitten unberührter Natur gelegen, tauchte vor uns auf. Hier rasteten wir, tranken von dem kristallklaren Wasser und aßen von unserer Marschverpflegung, die hier draußen in der frischen Bergluft viel besser schmeckte als ein ausgedehntes Mahl in Karthwasten.

    Etwas später standen wir vor dem nächsten Drachengrab. Dieses sah merkwürdig aus. Wenn wir mehr Zeit gehabt hätten, und viel mehr Soldaten, dann hätte ich darauf bestanden es zu erforschen. Ganz deutlich konnte man erkennen, dass das Grab geöffnet worden war … und zwar von innen. Ein großer Haufen herausgeschleuderten Sandes bildete eine Rampe, durch die sich eine tief eingedrückte Furche zog. Wenn allein der Schwanz eines Drachen solche Rinnen verursachte, dann wollte ich nicht wissen, wie groß so ein Monstrum werden konnte.
    Zum Glück bekamen wir es nicht zu Gesicht. Auch sonst kreuzte nichts Böses unseren Weg, abgesehen von einem einzelnen Bären, der jedoch keinerlei Chance gegen die Pfeile der Thalmor erhielt.
    Schließlich passierten wir noch einige behauene Steine, um dann vor uns die erste Farm auftauchen zu sehen. Wir hatten die Vororte von Markarth erreicht.
    Moonlord ist offline
  10. #10 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    Kapitel 9 - Die Stadt aus Stein

    [Bild: emsmarkarth01rda7k6ve51_thumb.jpg]
    Screenshot von EMS

    [Bild: FALMER_D.png]

    er

    Anblick war einfach überwältigend. Ich hatte das Glück, Markarth an einem der wenigen Tage zu erreichen an denen das Reach mit einer kristallklaren Luft gesegnet war, sodass man bis hinauf zu den Gipfeln der Berge sehen konnte. Und diese waren gewaltig. Der Talkessel, dem ein kleiner Nebenfluss des Karth entsprang, lag tief eingeschnitten zwischen schroffen Felshängen, die so steil wirkten, dass jeder Versuch, sie zu erklettern, von vornherein aussichtslos schien. Teilweise hingen sie sogar über und bildeten so natürliche Dächer für die meisten Häuser der Stadt, die jetzt in den Strahlen der Nachmittagssonne vor meinen Füßen lag.
    Die Straße stieg an, wand sich um eine niedrige erste Schutzmauer und führte an den Ställen vorbei, die, wie schon die Farmgebäude vorher, aus massivem Felsgestein gebaut waren. Vermutlich waren sie nicht nur daraus gebaut, sondern aus dem Berg selbst herausgeschlagen worden, wie es in dem Buch über die Stadt aus Stein geschrieben stand. Zu meinem Bedauern war ich kein Baumeister und konnte das deshalb nicht beurteilen, möglich schien es mir allemal zu sein.
    Und dann stand ich vor der Stadtmauer. Hoch und massig sperrte sie die Schlucht in ihrer gesamten Breite, nur ein einzelner Turm ragte darüber hinaus. Eine steile Treppe von enormen Ausmaßen führte zum Stadttor, vor dem nur zwei Wachen ihren Dienst versahen. Viel mehr brauchte man scheinbar auch nicht, denn ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie es einem Feind gelingen könnte, solch ein Bollwerk zu überwinden.

    Auf ein Wort von Nennuin zu den Wachen öffnete sich das große Tor für uns. Wir schritten hindurch und standen schon auf dem Markt. Na ja, „Markt“ war ein etwas übertriebener Ausdruck für die kleine Ansammlung von Verkaufsständen, die sich auf den schmalen Platz zwischen Mauern und Wasserlauf quetschte, doch dies blieb der einzige Makel des sonst so großartigen Ortes. Wo kein Platz war, konnte man auch keinen großen Markt, wie in Falinesti oder gar Alinor erwarten. Und später sah ich noch genug Läden entlang der Straßen, die in den Fels hinein gebaut worden waren.

    Später sah ich auch, dass man Ra’Shirr nicht mit uns in die Stadt eingelassen hatte.
    „Es war nicht notwendig“, meinte Nennuin nur achselzuckend auf meine Frage hin. „Markarth wurde von Elfen gebaut, da sollte man doch darauf achten, dass Rassen, die unter uns stehen, nicht allzu oft ihre Füße auf diesen Boden setzen, findet Ihr nicht?“
    Bevor ich mir noch eine Antwort darauf überlegen konnte fuhr er fort: „Wir werden ihn unten am Fluss wiedertreffen, wenn wir hier fertig sind. Dort treibt sich immer seinesgleichen herum, Händlerkarawanen, die … na ja, manchmal sogar ein gutes Angebot an Waren mit sich führen. Man sollte nur nicht so genau nach der Herkunft der Sachen fragen. Aber jetzt seht Euch erst einmal die Stadt an. Keine Angst, Ihr seid hier sicher, so lange Ihr nicht mutwillig eine Schlägerei anfangt. Trefft mich dann in … sagen wir … zwei Stunden in der Festung. Fragt einfach nach Ondolemar, dem Thalmor-Justitiar hier. Ich werde bei ihm sein.
    Ach ja, und stattet doch bitte schon einmal der Alchemistin einen Besuch ab, macht Euch einen ersten Eindruck von Ihr. Ihre „Hexenheilerei“ werdet Ihr ja finden. Und nun viel Vergnügen in der Stadt aus Stein.“

    Da stand ich nun plötzlich allein auf der Straße. Um mich herum herrschte das rege Treiben einer Stadt am späten Nachmittag. Ich sah heftig feilschende Straßenhändler, patrouillierende Wachen, Landarbeiter, die nach getaner Arbeit etwas Erholung suchten, eine kleine Prozession von Priesterinnen des hiesigen Dibella-Tempels, ein Grüppchen betrunkener Nord, die sich prügelten, wobei sie ihren Reden nach gar nicht mehr wussten, was der Grund der Schlägerei war, Bettler, die in dreckigen Nischen kauerten und hochmütige Adelige, die naserümpfend an ihnen vorbeistolzierten. Kurz, es gab so viel zu sehen, dass die erste Stunde wie im Fluge verging.

    Ich hatte gerade einen Tunnel passiert, der an einem Talos-Schrein vorbeiführte. Ja, ob ihr es glaubt oder nicht, die Anbetungsstätten dieses Götzen gibt es hier immer noch, trotz aller Abkommen mit dem Kaiserreich. Ich muss doch einmal Nennuin fragen, woran das liegt.
    Aber ich schweife ab.
    Ich hatte also diesen Tunnel passiert, dann ein paar Treppen und eine Brücke, bei der sich die Schmiede der Stadt befand, da sah ich einen Menschenauflauf an einem der kleinen Plätze.
    Ich ging dichter heran.
    Je näher ich kam, desto mehr konnte ich die Unruhe, Aufregung und vor allem Wut der Menge spüren. „Köpft sie!“, „Bringt die Sau endlich um!“, waren nur einige der Rufe, die ich vernahm. Ich fand eine Stelle, von der ich über die Köpfe der meisten hinwegschauen konnte und stellte fest, dass ich bei einer öffentlichen Hinrichtung gelandet war. Nun, das war nichts Schönes, aber auch nichts Besonderes in unseren rauen Zeiten. Normalerweise wäre ich weitergegangen, aber das Aussehen der Verbrecherin hielt mich davon ab.
    Die Frau war noch jung, dem Aussehen nach nicht älter als meine Tochter Ardawen. Statt normaler Kleidung trug sie nichts als rohe Tierfelle am Leib, was sie sogleich als eine der Abgeschworenen auswies. Am auffälligsten war, dass ihr beide Hände fehlten. Die Bandagen an ihren Armen waren dreckig und blutverkrustet, vermutlich war sie erst kürzlich bei einem Kampf den Wachen in die Hände gefallen.
    „… werdet Ihr wegen mehrfachen Mordes, Hochverrat, Banditentum und Ketzerei für schuldig befunden und auf Geheiß unseres hochverehrten Jarl mit dem Tod durch das Feuer bestraft.“
    Sie schrie entsetzt auf, als starke Arme sie packten, zurückzerrten und dann auf eine Scheiterhaufen zu stießen, der um einen Pfahl herum errichtet worden war. Sie versuchte sich zu wehren, doch es konnte ihr nicht gelingen, und die Menge feuerte die Wachen johlend zu noch mehr Brutalität an. Schon züngelten die ersten Flammen empor.
    Der Mob tobte vor Begeisterung, und mir fiel auf, dass nicht einmal ein Priester anwesend war, um ihr den letzten Weg zu erleichtern.
    Ich wandte mich ab.
    Was hätte ich auch tun sollen, wenn selbst die Götter wegsahen?
    Als ich mich umdrehte, wäre ich fast gegen eine alte Frau geprallt. „Entschuldigt bitte, …“
    „Nicht so stürmisch, junger Mann“, sagte sie. „Ihr seid nicht von hier, oder?“ Sie wiegte den Kopf hin und her. Eine ausgefallene Gesichtsbemalung, oder war es eine Tätowierung, gab ihr das Aussehen einer Hexe.
    „Nein“, antwortete ich.
    „Nun, dann habt Ihr ja eben einen guten Eindruck von dieser Stadt gewonnen.“ Sie schnaubte verächtlich. „Der Jarl und die Abgeschworenen, es ist ein ewiger Krieg. Mal gewinnen die einen, mal die anderen, und es gibt keine Familie in der Stadt, die nicht Opfer durch eine der Seiten zu beklagen hat. Aber das hier …“ Sie deutete auf die Menge, wo selbst die grässlichen Todesschreie des Opfers im Tumult untergingen, „ist nicht alltäglich. Normalerweise verschwinden Verbrecher in Markarth für immer in den Silberminen. Nur solche, die nicht mehr zur Arbeit taugen, werden öffentlich hingerichtet, damit der Mob auch seinen Spaß hat. Es ist eine Schande.“
    Während sie sprach, hatte sie mich am Ärmel von der Menge weg und mit sich gezogen. Ich blickte mich nun doch noch einmal um, nur um die dicke stinkende Rauchwolke zu sehen, die langsam am Berghang entlang zum Tal kroch.
    „Kommt mit in meinen Laden. Wie Ihr ausseht, könnt Ihr einen Schluck Branntwein jetzt gut gebrauchen.“
    Da hatte sie Recht. Ich folgte ihr also und stand kurz darauf vor dem Eingang der „Hexenheilerei“.
    „Seid Ihr etwa die Alchemistin?“ entfuhr es mir, obgleich das ja nun offensichtlich war. „Aber Ihr seid doch keine …“
    „Keine Bosmer?“ Sie kicherte. „Nein, das bin ich nicht, obwohl die Thalmor hier denken, dass ich eine bin. Ich lasse sie in dem Glauben, es ist besser fürs Geschäft, denn Bretonen sind bei ihnen weit weniger beliebt als die Nord, wie Ihr sicherlich wisst. Aber einen „Landsmann“ wie Euch kann ich nicht täuschen, was?“
    „Nein.“
    „Seht Ihr…“ Sie schloss auf.
    Das Innere der „Hexenheilerei“ unterschied sich nicht so sehr von einem normalen Alchemistengeschäft, wie ich erwartet hatte. Ein großer Verkaufstisch bildete das Zentrum des Raumes, wohlgefüllte Regale an den Wänden und ein Labor in einer Nische gehörten zur Standartausstattung. Wenn nicht die unverkennbare Unterteilung des Raumes in mehrere, durch Steintreppen verbundene Ebenen gewesen wäre, hätte man genauso gut in jeder beliebigen Stadt sein können.
    Wir nahmen an einem kleinen Tischchen Platz. Bothela, sie war es tatsächlich, hatte zwei Gläser geholt und eine dickbäuchige Weinflasche, in der sich jedoch ein stärkeres Getränk als Wein befand.
    „Meine Hausmarke“, erklärte sie lächelnd. „Nach einem alten Rezept aus Hochfels, das ich noch etwas verfeinert habe. Ihr werdet in Markarths Tavernen nichts Besseres bekommen, das versichere ich Euch.“
    Wir stießen an, und ich stellte fest, wie Recht sie hatte. Es war ein wirklich vorzüglicher Weinbrand, wie man ihn selbst bei mir zuhause nur äußerst selten zu kaufen bekam. Als ich mich bedankte, goss mir Bothela noch einmal nach. Dann stellte sie die Flasche weg. „Zuviel des Guten würde sich vielleicht ungünstig auf Euren Bericht auswirken, den Ihr Ondolemar von unserem Gespräch geben werdet.“
    Ich sah sie ganz entgeistert an. „Wie kommt Ihr …?“
    „Ach was.“ Sie winkte ab. „Ich bin in Markarth alt genug geworden, dass mir niemand mehr etwas vormachen kann. Die Thalmor versuchen seit drei Jahren, mich für ihre Zwecke zu gewinnen, aber ich will nicht. Mein Können gehört allen, die danach fragen, nicht nur einer Partei. Das könnt Ihr dem Herrn Justitiar ruhig sagen, er weiß es ohnehin und versucht es trotzdem immer wieder.“
    „Aber habt Ihr keine Angst, dass er andere Wege …?“
    „Angst? Nein. Er könnte mir nicht mehr antun als diesem bedauernswerten Geschöpf vorhin. Ich habe keine Verwandten mehr, auf die er Druck ausüben könnte, und der Jarl ist auf meiner Seite, weil ich ihm, wie auch seinem Vogt, bei gewissen privaten Problemen helfe. Ich denke, selbst wenn Ihr ihm erzählt, dass ich eine Bretonin bin, wird er es zähneknirschend akzeptieren. Doch nun sagt, aus reinem Interesse heraus, weshalb schicken die Thalmor schon wieder jemanden zu mir?“

    Nun, sie war ehrlich zu mir, also warum sollte ich ihr nicht die ganze Geschichte erzählen? Nennuin selbst hatte ja von mir verlangt, dass ich sie um jeden Preis für unser Projekt gewinnen sollte. Von Geheimhaltung war dabei keine Rede gewesen.
    Während Bothela aufmerksam zuhörte, berichtete ich von Anfang an. Ich erzählte ihr von meinen Studien in Falinesti, wo ich zum ersten Mal von der großen Aufgabe erfuhr, von der aufregenden Reise nach Karthwasten und den dortigen Forschungen. Besonderes Interesse schien sie an allem zu haben, was mit Ramaleth in Verbindung stand, selbst die Einzelheiten, welche nichts mit ihrer gemeinsamen Berufung zur Alchemie und Kräuterkunde zu tun hatten.
    „Wir standen uns einmal sehr nah, wisst Ihr.“ Ich sah bei ihren Worten ein verräterisches Glitzern in ihren Augen und nickte, obwohl ich davon nichts gewusst hatte.
    „Es ist viele Jahre her.“ Ihr Blick schien durch die steinernen Wände zu dringen, als sie das sagte. „Noch lange vor dem Krieg trafen wir uns in Chorrol. Es war eine schöne Zeit … damals.“ Sie sah mich wieder an. „Bären, sagtet Ihr?“
    Ich nickte wieder.
    „Bären … Habt Ihr gewusst, dass Ramaleth die Künste der Veränderung perfekt beherrschte? Sie hätte sich mit Leichtigkeit in einen Schutzzauber hüllen können, den kein Bär je zu durchdringen vermag.“
    „Ihr meint also, dass sie …?“
    „Ich meine gar nichts. Die Schlussfolgerungen überlasse ich gerne Euch. Doch seht Euch vor, mit wem Ihr Euch einlasst. Nicht immer hält der Schein, was er verspricht … Und nun lasst mich bitte allein.“
    Ich verstand das. Schließlich war es auch mir schwergefallen, von Ramaleth Abschied zu nehmen, auch wenn sie für mich nur eine nette Kollegin gewesen war. Für Bothela war sie womöglich weit mehr gewesen.

    Draußen vor der Tür erwartete mich die Nacht. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie schnell die Zeit vergangen war und den Termin bei Nennuin schon um mehr als eine Stunde überzogen. Nun, es war nicht mehr zu ändern, also begab ich mich zur Festung.
    Wie alles hier war auch Festung Unterstein von außen nicht viel mehr als eine große Tür in der Bergwand. Innen jedoch staunte ich nicht schlecht über die Ausmaße dieses gigantischen Bauwerkes. Eine Höhle, so hoch, dass man die Decke im Halbdunkel nur erahnen konnte, empfing mich. Nicht nur die Gemächer des Hofes waren hier untergebracht, nein, es war eine halbe Stadt für sich, mit einem Museum, das ich mir vielleicht später noch ansehen würde, mit den Räumen der Wachen, der Diener und der Thalmor-Gesandtschaft, mit der Halle der Toten und selbst dem Zugang zu einen alten Ausgrabungsstätte, die noch viel tiefer ins Gebirge hinein zu führen schien.
    Durch einen gut beleuchteten Gang schritt ich auf den Thronsaal zu. Der Jarl hatte sich bereits von seinen Tagesgeschäften zurückgezogen und nur die Wachen standen dort noch herum, doch ich wurde relativ freundlich in einen Seitentrakt geleitet, den man den Thalmor überlassen hatte.

    „Ah, der Herr Professor. Ihr kommt spät!“ Nennuin erhob sich von der Tafel, als ich den Raum betrat. Das Abendmahl war bereits in vollem Gange, niemand hatte sich die Mühe gemacht, auf mich zu warten, woraus ich gut auf den Grad der Wertschätzung schließen konnte, den man mir hier entgegenbrachte.
    „Es tut mir leid, ich wurde aufgehalten“, sagte ich.
    „Doch nichts Ernstes, nehme ich an?“
    „Nein.“
    „Nun, dann ist es ja gut. Darf ich Euch Justitiar Ondolemar vorstellen? Er vertritt die Interessen des Bundes hier in Markarth, eine Aufgabe, die man nur mit dicken Kissen ertragen kann.“
    „Schlaft Ihr erst einmal ein paar Jahre auf diesen elenden Sarkophagen, die man hier Bett nennt, “ erwiderte der Altmer an der Stirnseite des Tisches, „dann werdet Ihr die Vorzüge eines guten Kissens zu schätzen wissen.“
    Ich lachte pflichtschuldigst über den Witz, wenn es denn einer war, und nahm dann auf dem angebotenen Stuhl Platz.
    Sofort nahm Nennuin wieder das unterbrochene Gespräch am Tisch auf. Es drehte sich natürlich um die Hinrichtung am heutigen Nachmittag, wobei ich so tat, als wäre ich nicht selbst dabei gewesen. Man sprach auch über die Hintergründe, einen Überfall auf einen reichen Händler, der das Glück gehabt hatte, mit dem Jarl verschwägert zu sein und deshalb von ausreichend Wachen begleitet worden war. Und man war sich einig, dass das Urteil völlig zu recht verhängt worden war. Nur die Art der Strafe, und darin stimmte ich ihnen vorbehaltlos zu, war einfach barbarisch, ein Beleg dafür, dass die Bewohner Himmelsrands die Leiter der Zivilisation noch nicht weit genug erklommen hatten.
    An diesem Abend wusste ich ja noch nicht, dass Ondolemar höchstselbst dem Jarl die Art der Hinrichtung empfohlen hatte.

    „Wird sie nun mit uns kooperieren oder nicht?“ Diese Frage stellte mir Nennuin in unserem gemeinsamen Gästezimmer, nachdem ich ihm haarklein von meinem Besuch bei Bothela berichten musste. Die einzigen Details, die ich dabei ausgelassen hatte, waren ihre bretonische Abstammung und der Umstand, dass sie Ramaleth gekannt hatte. Beides schien mir nicht geeignet, es Nennuin auf die Nase zu binden, er hätte ja danach fragen können.
    „Ich weiß es nicht“, gab ich zu. „Sie war nicht gänzlich abweisend, falls Ihr das meint. Ich denke, wenn ich sie morgen noch einmal besuche, können wir zu einer Übereinkunft kommen.“
    „Ja, tut das.“ Mehr sagte er nicht.
    Vor dem Einschlafen musste ich schmerzvoll an Ondolemars Bemerkung über Kissen denken. So eine Stadt ganz aus Stein hatte durchaus nicht nur Vorteile …
    Moonlord ist offline
  11. #11 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    Kapitel 10 - Bothela

    [Bild: FALMER_A.png]

    m

    nächsten Morgen weckte mich lautes Scheppern vor der Tür. Erschrocken sprang ich auf und wurde mit einem schmerzhaften Muskelkrampf bestraft. Mein ganzer Rücken war verspannt, eine Folge der höchst unbequemen Gästebetten. Stöhnend schleppte ich mich zur Tür um nachzusehen. Die ganze Aufregung stellte sich schnell als unnötig heraus, da nur einer Wache der Schild aus der Hand gefallen und gegen die Metalltür gekracht war. Als Erklärung bekam ich lediglich ein paar genuschelte Worte zu hören, die ebenso gut eine Entschuldigung wie ein „Schert Euch ins Reich des Vergessens“ bedeuten konnten. Ich fragte lieber nicht nach, sondern schlug die Tür schwungvoll wieder zu. Nennuin knurrte verärgert in seiner Ecke, versuchte dann aber weiterzuschlafen. Ich hingegen zog mich an. Alles war besser als noch länger auf dem harten Stein zu liegen, und so verließ ich das Zimmer.
    Auch wenn manches nicht so bequem war, so musste man den dwemerischen Erbauern der Festung noch zugutehalten, dass sie das komfortabelste Badezimmer erschaffen hatten, das ich in Himmelsrand bisher gesehen hatte. Es gab sogar warmes Wasser, nur wenn man an einem der großen Wandräder drehte.
    Die Idee war einfach genial und die Umsetzung konnte doch auch nicht so schwer sein. Während ich gemütlich in dem großen Badebecken lag überlegte ich, dass man nur einen großen Behälter bräuchte, der ständig geheizt wurde, und dann ein Verteilungssystem von Leitungen … Hmh, das sollte ich mir mal bis zu meiner Rückkehr nach Falinesti durch den Kopf gehen lassen. Wenn sich ein paar Adelige oder reiche Kaufleute davon begeistern ließen und ich einen geschickten Schmied fand … Aber ich schweife ab. Auch wenn die Aussicht auf ein Zubrot zu meinem Professorengehalt sehr verlockend war, so war das doch Zukunftsmusik.

    Das ausgiebige Bad hatte mir gut getan. In der Küche fand sich schnell eine hübsche Magd, die mir ein Frühstück bereitete, und so trat ich noch bevor die Sonne aufging hinaus auf die Straßen von Markarth.
    Die Luft war klar und frisch. Tief atmete ich durch. Natürlich konnte ich zu dieser frühen Stunde noch nicht die „Hexenheilerei“ aufsuchen, doch gegen einen ausgiebigen Spaziergang war nichts einzuwenden. Gemächlich schritt ich die Straßen entlang, blieb hier und dort stehen, um ein wundervolles, aus dem Stein gemeißeltes Wandrelief oder auch die kleinen duftenden Blüten einer üppig wuchernden Kletterpflanze zu bestaunen. Langsam füllte sich die Stadt mit Personen, die eilig ihren Arbeitsplätzen zustrebten. Ich erreichte den Markt, wo ich bei einem Juwelierstand zwei hübsche Silberketten erwarb, eine mit einem Saphir für Ardawen, die andere mit einem Rubin für Lioweth als Anhänger.
    Nennuin würde wie immer nicht sehr begeistert sein, sie dem nächsten Boten in die Heimat mitzugeben, doch er würde es tun und so konnte ich meinen Töchtern wenigstens ein Lebenszeichen von mir senden.

    Eine Weile später hatte ich die Schmiede wieder erreicht. Ghorza, so hieß die Schmiedin, wie ich später erfuhr, war gerade dabei, ihren Lehrling zusammenzustauchen, weil er sich ihren Worten nach „zu dumm anstellte, ein Feuer zu schüren“. Mir tat der junge Mann leid, wie er so geknickt dastand und das Donnerwetter über sich ergehen ließ.
    „Guten Morgen“, rief ich, was die Ork aufschauen ließ und ihrem Opfer Gelegenheit gab, sich in eine andere Ecke zu verkrümeln. „Ich weiß, dass es kein großer Auftrag ist, aber würdet Ihr bitte mein Messer schärfen?“
    Sie sah mich groß an, dann nickte sie. „Ja, kann ich machen. Zeigt mal her.“
    Ich gab ihr den Dolch, den ich mehr zur Zierde als zum Gebrauch bei mir trug. Er war tatsächlich noch nie besonders scharf gewesen. Ein kurzer Blick, ein Stirnrunzeln, dann rief sie nach hinten: „Tacitus! Hier, schärft den Dolch! Das werdet Ihr ja wohl hinkriegen.“
    Zu mir gewandt fuhr sie fort: „Es kommt wirklich selten vor, dass jemand nach solchen … Sachen fragt, aber wenn ich Euch so anschaue … nichts für ungut. Ihr habt sicher wichtigere Dinge zu tun, als Euch um scharfe Waffen zu kümmern. Eine elfische Klinge aus den Schmieden von Arenthia, würde ich sagen, gute Arbeit aber leider schlecht gepflegt. Na ja, da kann Tacitus gleich etwas üben … wenn es Euch nicht stört.“
    Es störte mich nicht. Wer hätte auch etwas dagegen haben können, wenn junge Leute einen anständigen Beruf lernten? Übungen gehörten nun mal dazu.
    Ich musste kurz an meine Studenten denken, als ich ihm so zusah. Was sie wohl machten?
    Alter Narr, schalt ich mich in Gedanken selbst. Was sollen sie schon tun? Lernen natürlich! Von anderen ebenso fähigen Lehrern, oder fähigeren …
    „Winkelt die Klinge nicht so stark an“, rief Ghorza gerade. „Es soll am Schluss noch was davon übrig bleiben!“
    „Ja, Meisterin“, kam es schüchtern zurück.
    Aus einer Eingebung heraus fragte ich Ghorza, ob sie in der Stadt geboren wäre. Sicher, es ging mich nichts an, nur … na ja die Neugier …
    Sie schwieg erst eine Weile, bevor sie schließlich zu erzählen begann:
    „Drei Jahre sind es erst, seit ich aus einer der Orkfestungen gekommen bin. Wisst Ihr, ich war schon dort Schmiedin und selbst für die Ansprüche meines Volkes nicht schlecht. Aber ich war auch die Tochter des Häuptlings und als Ogrul starb … Yamack, der neue Häuptling, hat sofort Ansprüche auf mich erhoben. Doch seine fünfte Frau wollte ich nicht werden, und so schnappte ich mir bei Nacht mein Werkzeug und ging zu meinem Bruder Moth in die Stadt. Ich kann nicht sagen, dass ich es bereut habe. Bei den dauernden Schlägereien geht viel kaputt, selbst Rüstungen. So habe ich mein Auskommen und kann sogar noch einen Lehrling ausbilden. Schade nur, dass er sich so ungeschickt anstellt…“
    Wie auf Kommando tauchte Tacitus auf, den Dolch in der Hand. Ghorza prüfte ihn gewissenhaft. „Na ja“, sagte sie schließlich. „Dafür kann ich Euer Gold nicht annehmen, aber schärfer als vorher ist er immerhin.“
    Auch ich betrachtete die Arbeit. Für mich sah es recht gelungen aus, von der kleinen Welle, die die Klinge Ghorzas Worten nach jetzt aufwies, konnte ich nichts erkennen, und wenn, dann hätte sie mich nicht im Geringsten gestört. Ich bedankte mich noch einmal bei beiden.

    Inzwischen war es spät genug, dass ich annehmen konnte, Bothela hatte ihre „Hexenheilerei“ bereits geöffnet. Dem war auch so. Sie schien mich sogar erwartet zu haben. Als ich den Laden betrat, roch es verführerisch nach frisch gebackenem Kuchen und würzigem Kräutertee.
    „Kommt, setzt Euch“, begrüßte sie mich wie einen alten Freund.
    „Danke, aber …“
    „Kein aber.“ Sie schmunzelte. „Ich habe nicht mehr viele Freunde, müsst Ihr wissen … nicht mehr viele, die noch am Leben sind. Und da Ihr mich nicht an die Thalmor verraten habt, denn sonst wäre ich nicht mehr hier, zähle ich Euch ab heute dazu. Kommt, greift zu.“ Sie hielt mir ein Tablett mit kleinen Fruchttörtchen hin. Sahen die lecker aus …
    Ich entschied mich für eines, das mit roten Beeren und Zuckerguss verziert war, führte es an den Mund und hielt plötzlich inne. Erschrocken schaute ich auf die Regale neben uns, welche vollgestopft waren mit Tränken, Mixturen, Pulvern, Pasten und sicher auch Giften. Gifte! Wenn dies nun ein Test war, wenn …
    Bothela lachte herzlich. „Die alte Kräuterhexe, nicht wahr?“, sagte sie. „Ja, da wird so manchem ganz komisch. Aber keine Angst, weder der Kuchen noch der Tee sind vergiftet.“ Zum Beweis nahm sie selbst ein Stück und biss hinein.
    „Ich habe über Euer Angebot nachgedacht“, sagte sie, nachdem wir fast alles aufgegessen hatten. „Es ist ja nicht so, als ob man die Wahl hätte, wenn einen die Thalmor um etwas „bitten“. Da ist es mir lieber, ich nehme Euren Vorschlag an, als dass sie mir jemand anderen schicken.
    In Falkenring soll da vor ein paar Wochen ein ganz merkwürdiger Unfall passiert sein. Der Schmied hatte sich wohl geweigert, ihre Rüstungen zu reparieren. In der Nacht darauf muss er dann vergessen haben, das Herdfeuer zu löschen, sodass ihm sein Haus bis auf die Grundmauern abbrannte. Nun ja, „Unfälle“ kommen eben vor.“
    Wie sie das so sagte, und vor allem wegen der freundlichen Bewirtung, bekam ich ein richtig schlechtes Gewissen, sie da hineingezogen zu haben. Selbst wenn ich mir sagte, dass die Idee ja gar nicht von mir sondern von Nennuin stammte, so fühlte ich mich trotzdem schuldig.
    „Ich könnte ja sagen …“, hob ich an.
    „Nein, nein. Lasst mal.“ Sie winkte ab. „Im Grunde genommen ist Euer Vorhaben ja gar nicht so übel. Die Falmer wieder in zivilisierte Geschöpfe verwandeln, so ein Ziel muss man sich erst einmal setzen. Eine wirklich großartige Idee, selbst wenn sie von den Thalmor stammt, und diese armen Geschöpfe hätten es auch verdient, geheilt zu werden. Ja, ich werde Euch helfen, aber …“ jetzt sah sie mich streng an, „… nur Euch. Sagt diesem Nennuin, dass ich Markarth und mein Geschäft nicht verlassen werde. Wenn er etwas für mich zu tun hat, dann werde ich es hier tun und nirgendwo sonst. Ich hoffe, Ihr versteht das. Ich bin eine alte Frau und möchte einmal bei den Gräbern meiner Verwandten bestattet werden und nicht irgendwo in der Wildnis enden.“
    Natürlich sah ich das ein.
    Wir tranken noch einen Becher Tee, dann verabschiedete ich mich. “Die Götter mögen Euch beistehen“, wünschte sie mir auf den Weg.

    Nennuin erwartete mich bereits vor der Festung.
    „Hat sie zugestimmt?“, war seine erste Frage.
    „Ja, sie hat. Aber sie möchte in ihren eigenen Räumen forschen“, erwiderte ich.
    „So? Möchte sie das? Nun gut, vorerst sollte das machbar sein. Und … gute Arbeit“, fügte er hinzu, bevor er sich umdrehte und die Tür aufstieß. „Kommt, Ondolemar lässt das Mittagessen etwas vorziehen. Gleich danach brechen wir auf.“
    Ich folgte ihm, auch wenn ich absolut keinen Hunger mehr hatte.

    Nur mit leichtem Marschgepäck beladen brachen wir auf. Das Großteil unserer Ausrüstung, hauptsächlich Vorräte für Karthwasten, aber auch einiges kleinere Forschungszubehör wie Reagenzgläser oder ein Satz silberner Seziermesser, hatte Ondolemar bereits gestern zum Lager der Khajiitkarawanen bringen lassen, welches sich ein gutes Stück außerhalb der Stadt am Karthufer befand.
    Vier Stadtwachen hatte man uns als Begleitschutz mitgegeben. Es schien nötig zu sein, denn am heutigen Vormittag hatte es wieder einmal eine großangelegte Schlägerei auf dem Markt gegeben und die Gemüter kühlten sich in Markarth nur ganz langsam ab. Der kleine Juwelierstand, an dem ich noch früh morgens die beiden Ketten gekauft hatte, lag in Trümmern. Gerade sammelte die Besitzerin ihre Waren vom Boden auf, während ihr Gatte mit einem dicken Knüppel in der Hand daneben stand und argwöhnisch mehrere zwielichtige Gestalten im Auge behielt, die nur zu gern beim Aufräumen „geholfen“ hätten. Im Vorbeigehen dankte ich Y'ffre dafür, dass er mich rechtzeitig von hier fort geleitet hatte.

    Nennuin gab sich ungewohnt redselig. Den ganzen Weg lang kommentierte er den neuesten Klatsch und Tratsch, den er bei unserem Aufenthalt gehört hatte: Übergriffe der Abgeschworenen, Unruhen unter der Bevölkerung wegen der letzten Steuererhöhung, den Tod des Kommandanten der Stadtwache, welcher von ein paar Tagen sturzbetrunken in den Karth gefallen und elendig ersoffen war, dann die „Unschicklichkeit“ der immer kürzer werdenden Damenmode und die wilden Gerüchte über eine Werschlammkrabbe, die angeblich am Fluss ihr Unwesen trieb. Besonders bei der letzten Beschreibung musste ich grinsen. Ich stellte mir den armen Kerl vor, wie er sich unter den Monden in ein nasses Krustentier verwandelte und ahnungslose Fischer in die Waden kniff.
    Passend zum Thema vernahmen wir kurz darauf das Rauschen des vorbeiziehenden Flusses und dann tauchten die Zelte vor uns auf. Wir hatten das Khajiitlager erreicht.

    „Ah, Herr Salenquil, Herr Nennuin, willkommen im Lager der Khajiit. Hatten die Herren einen angenehmen Aufenthalt?“ begrüßte uns Ra'Shirr, kaum dass wir die Zelte erreicht hatten.
    „Danke Ra'Shirr, ja, diese Stadt ist wirklich einmalig“, antwortete ich, während Nennuin die Begrüßung einfach überging.
    „Ist alles bereit?“ fragte er stattdessen.
    „Gewiss doch, Herr.“ Wenn Ra'Shirr über das völlige Fehlen von Höflichkeit verärgert war, dann ließ er es sich nicht anmerken. „Wir haben zwei Fuhrwerke, angespannt und marschbereit, wie Ihr es befohlen habt.“
    „Worauf wartest du dann noch? Los!“
    „Sofort, Herr.“

    „War das wirklich notwendig?“ sprach ich Nennuin an, nachdem der Khajiit gegangen war, um die Wagen auf den Weg zu dirigieren.
    „Was meint Ihr?“
    „Ihr hättet ruhig etwas freundlicher sein können. Ra'Shirr hat uns höflich begrüßt ...“
    „Er ist ein Khajiit. Die verstehen es nicht anders.“ Nennuin unterstrich seine Worte mit einer verachtenden Geste, die wohl gleichzeitig das Gespräch beenden sollte. Doch diesmal ließ ich nicht so schnell locker.
    „Er ist mein Diener", warf ich ein. „Wenn Ihr ihn missachtet, missachtet Ihr auch mich.“
    Ich weiß, der Spruch war nicht sehr originell. Ich hatte ihn einmal in ähnlicher Form von einer Wache gehört und mir fiel so schnell nichts Gescheiteres ein. Aber irgendwie zeigte er trotzdem seine Wirkung. Nennuin wollte erst zu einer kräftigen Erwiderung ansetzen, stieß dann aber nur geräuschvoll die Luft aus und sagte: „Wenn Ihr meint … Aber Ihr solltet nicht so weich sein, Professor. Er ist keiner Eurer Studenten, denen man schnell mal einen kleinen Fehler verzeiht. Diesen Katzen muss man ständig zeigen, wo ihr Platz ist, sonst bilden sie sich noch ein, sie wären vollwertige Bürger des Bundes mit gleichen Rechten und so. Vielleicht würden sie sogar einen Sitz im Rat beanspruchen. Seht sie Euch doch an. Könnt Ihr Euch vorstellen, von so einem Flohbeutel regiert zu werden? Ich kann es nicht. Aber macht was Ihr wollt. Kommt bloß nicht nachher angerannt und sagt, ich hätte Euch nicht gewarnt.“
    Damit ging auch er auf die abfahrenden Wagen zu, kletterte auf den vorderen und es ging los. Ich musste mich beeilen, auf den zweiten aufzuspringen, um nicht laufen zu müssen.

    Die Straße war in noch schlechterem Zustand als diejenige, welcher wir damals von Falkenring aus gefolgt waren. Es gab beinahe mehr Schlaglöcher als ebene Stellen, und so kamen wir äußerst langsam voran. Nach einer Stunde Durchgeschütteltwerdens war ich abgestiegen und lief jetzt hinter den Wagen her.
    „Wünscht Ihr, dass Euch Ra'Shirr ein Pferd besorgt?“ fragte mein Diener, der neben mir ging.
    „Nein, Danke Ra'Shirr. Vom Reiten verstehe ich nicht viel. Ehrlich gesagt machen mir Pferde sogar etwas Angst, und dann der Geruch von verschwitztem Fell … Oh, das war nicht … entschuldigt.“
    Ra'Shirr verzog die Lippen zu einem breiten Grinsen. „Schon gut Herr Salenquil. Bei Euch weiß Ra'Shirr, dass es nicht böse gemeint war.“
    Ich sah ihn dankbar an. Seine muskulöse Gestalt steckte in einem hellgrauen, sauber gewaschenen Leinenhemd und einer ebenso sauberen braunen Hose, die ihm bis zu den kurzen Lederstiefeln reichte. Die ordentlich gestutzte Mähne war fein gebürstet, ich konnte mir nicht vorstellen, dass darin Flöhe hausen sollten, wie Nennuin es behauptet hatte. Wenn ich ihn mit manch einer feinen Dame in Festung Unterstein verglich, die ihren Körpergeruch nur mit Duftwässerchen kaschierten statt sich ordentlich zu waschen, dann fragte ich mich, ob nicht zumindest in dieser Provinz einige Khajiit in höheren Ämtern einen kulturellen und sozialen Gewinn darstellen würden.

    Plötzlich hielten die Wagen an.
    „Bleibt zusammen und achtet auf die Umgebung!“ ertönte eine Stimme von vorn. „Sieht nach einem Überfall aus. Wir schauen uns das erst mal an.“
    Moonlord ist offline Geändert von Moonlord (10.12.2013 um 11:34 Uhr)
  12. #12 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    Kapitel 11 - Banditen!

    [Bild: FALMER_B.png]

    leibt

    zusammen, bleibt bei den Wagen!“, hatte es geheißen und wie so oft hatte ich der Aufforderung Folge geleistet. Doch dann rann die Zeit dahin, nichts geschah und meine Neugier siegte. Immer noch dicht an den Wagen entlang bahnte ich mir einen Weg nach vorn.
    Ich hätte es lieber nicht tun sollen, denn der Anblick, der mich erwartete, würde mich noch Tage später in meinen Träumen verfolgen. Ja, hier hatte ein Überfall stattgefunden. Eine kleine Kutsche lag umgestürzt am Boden, in der Nähe ein Zugpferd und die Leichen dreier Einheimischer. Dies allein sah man ja leider öfters in unseren unruhigen Zeiten, aber hier war es besonders widerlich. Wir waren garantiert nicht die ersten, die die Toten gefunden hatten, nein, große Raubtiere waren schneller gewesen, hatten die Leichen aufgerissen und regelrecht zerfleddert. Dazu war der Boden von langen Krallen aufgewühlt.
    „Ein Säbelzahntiger und ein Bär“, sagte Ra’Shirr leise hinter mir. Ich sah ihn überrascht an. „Woher …?“
    „Als Ra’Shirr nach Cyrodiil kam, war er auch Jäger. Hier, diese Spuren …“, er zeigte sie mir, „stammen vom großen Bär. Er hat gefressen, wurde gestört und hier … stand auf den Hinterbeinen im Kampf.“ Ra’Shirr zog mich etwas weiter auf den umgestürzten Karren zu. „Da hat sich Säbeltiger angeschlichen. Hier, hinter dem Wagen. Die Spuren sind fast so wie die von Khajiit, nur größer.“ Er berührte den lehmigen Boden, wo der Fußabdruck deutlich sichtbar war. „Heute bei Sonnenaufgang, nicht viel älter.“
    Ich war erleichtert. Wenn der Kampf einen halben Tag her war, dann bestand wohl keine Gefahr mehr, auf eine der beiden Bestien zu stoßen.
    „Hier finde ich euch endlich, Professor“, ertönte Nennuins Stimme vom Weg her. „Ich hatte Euch doch gebeten, bei den Wagen zu bleiben bis alles sicher ist.“
    „Aber die Bestien sind lange weg“, warf ich ein. „Wir sollten diese armen Leute begraben und endlich weiterfahren.“
    „Begraben? Ach ja, richtig, das sollten wir. Ich werde unsere geschätzten Khajiitfreunde gleich darum bitten, Gräber auszuheben.“ Er warf einen gehässigen Seitenblick auf Ra’Shirr. „Aber nicht die Tiere machen mir Sorgen. Das Pferd und wenigstens einer der Nord sind eindeutig erschossen worden. Darum fordere ich Euch jetzt auf, zu den Wagen zurück…“
    In diesem Moment schlug der Pfeil neben uns ein.
    „In Deckung!“
    Die nächsten Worte gingen in Rumpeln und Poltern unter, mit dem eine Ladung Felsbrocken direkt hinter den Wagen auf die Straße krachte. Pfiffe und wüste Schlachtrufe folgten, zusammen mit einem wahren Hagel von Pfeilen, die wohl nur deshalb nicht trafen, weil mich Ra’Shirr über die schmale Böschung zum Fluss gestoßen hatte.
    „Hier entlang, zur Brücke!“ Auch Nennuin war uns gefolgt und wies jetzt auf das steinerne Bauwerk, welches nur ein paar Schritte vor uns den reißenden Karth überspannte. Wir stolperten los.
    Über uns auf der Straße klirrte bereits Stahl auf Stahl und auch auf der Brücke tauchten jetzt verwegene Gestalten auf.
    „Könnt Ihr schwimmen, Herr?“ rief mir Ra’Shirr von hinten zu. Er schaffte es nur knapp den Kampflärm und das Rauschen des Flusses zu übertönen.
    Bevor ich ihm erklären konnte, dass ich nicht gerade ein guter Schwimmer war, enthob mich Nennuin dieser Antwort. „Nein! Zu gefährlich. Weiter unten kommen wieder Stromschnellen, das schaffen wir nie. Wir müssen vor der Brücke hoch. Bleibt dicht bei mir, Professor!“
    Gehorsam kletterte ich hinter ihm die steile Böschung hinauf und flehte Y’ffre inständig an, dass man uns von der Brücke aus noch nicht gesehen hatte. Denn dann wäre es für die Banditen ein Kinderspiel, oben auf uns zu warten, um uns in aller Ruhe abzuschlachten.
    Y’ffre zeigte sich wieder einmal hilfsbereit. Wir erreichten die Straße genau an der Stelle, wo zwei unserer Thalmorsoldaten eine ganze Gruppe Banditen in Schach hielten. Mehrere Tote und Verletzte lagen herum. In diesem Moment bewunderte ich die Kampfkraft und Geschicklichkeit meiner Elfenbrüder, auch wenn ich nur einige Augenblicke Zeit dafür bekam. Nennuin schlug mit einem Blitzzauber mitten in unsere Gegner hinein, sodass sie durcheinander purzelten wie Spielfiguren. Doch von der anderen Seite nahte bereits Verstärkung.
    „Den Pfad hoch, in die Mine!“ schrie Nennuin.
    Wir rannten los.
    „Da werden sie doch wohnen“, warf ich ein.
    „Ich weiß. Aber in den engen Stollen können sie ihre zahlenmäßige Überlegenheit nicht ausspielen.“ Nennuin ließ sich nicht beirren und schon gar nicht in seine Entscheidung hineinreden. Aber zu Diskussionen war jetzt sowieso keine Zeit. Die Soldaten deckten uns den Rücken so gut es ging, drei weitere Khajiit und ebenso viele der Schutztruppe stießen unterwegs zu uns, da sie den gleichen Gedanken gehabt hatten, und so schaffte es unser Trupp fast vollständig bis zur Mine. Lediglich die beiden Kutscher fehlten noch.

    „Kurze Pause!“
    Während drei der Thalmor vorsichtig etwas weiter in den Gang vordrangen, ließ uns Nennuin an einer Stelle Rast machen, die zwar nicht in völliger Dunkelheit lag, aber so weit vom Schein der nächsten Fackeln entfernt war, dass man den unebenen Boden so gerade noch erkennen konnte. Dicke Holzbohlen stützten hier die Decke ab. Wir lagerten im Schutz einer kleinen Nische, die wohl ein begonnener und schnell aufgegebener Stollen war. Auf der anderen Seite hingegen führte ein Abzweig zur nächsten Erzader. Er war nur ein paar Schritte lang und der kleine Hohlraum dahinter leer, doch im Schein eines Kohlebeckens funkelte es intensiv.
    Wir fliehen vor Banditen ausgerechnet in eine Goldmine, na wenn das keinen Stil hat … dachte ich.
    Ziemlich ausgepumpt lehnte ich an der Wand und atmete tief durch.
    „… beide tot. Die Barbaren haben zuerst auf die Kutscher geschossen, aber die Pferde könnten noch leben, zumindest die meisten. Die wollten sie wohl …“
    Die Stimme des Soldaten, der Nennuin gerade Meldung machte, entfernte sich wieder, sodass ich den Rest nicht mitbekam. Doch was ich gehört hatte, klang schon allein recht hoffnungslos. Die Wagen waren weg, die Kutscher ermordet, und wir steckten in einer Goldmine fest und wussten nicht einmal, wie viele Gegner wir tatsächlich hatten. Es stand denkbar schlecht.
    „So, das müsste reichen“, sagte Nennuin, als er schließlich zu mir kam. „Wie geht es Euch? Seid Ihr verletzt?“
    „Nein, danke“, antwortete ich. „Was meint Ihr? Sie werden doch bald kommen, oder?“
    „Ja, aber sollen sie ruhig.“ Er grinste. „Ich habe hinter dem Eingang eine Blitzrune gelegt. Das dürfte sie von dummen Ideen abhalten.“
    Ich konnte nur hoffen, dass er Recht behielt.

    Kurz darauf war es soweit. Die Tür wurde nicht einfach geöffnet, sie flog regelrecht aus den Angeln.
    Obwohl ich darauf gewartet hatte, zuckte ich doch so heftig zusammen, dass ich mir den Kopf schmerzhaft an der Felswand stieß. Oha, das würde eine schöne Beule geben … falls ich es noch erleben durfte. Gerade sah es eher nicht danach aus, denn in der Türöffnung erschien der Bandit, der sie eingeschlagen hatte. Er füllte sie fast aus. Ich glaube, ich hatte noch nie so einen riesigen Menschen gesehen. Er war gut anderthalb Köpfe größer als ich und dabei so breit wie zwei Männer. Seine Kleidung konnte ich im Gegenlicht nicht erkennen, was ja auch egal war. Dafür sah ich den schweren Kriegshammer um so deutlicher, dessen Stiel er mit beiden Händen umfasst hielt. Langsam, so als würde er mit jedem Schritt meine aufsteigende Furcht genießen, näherte er sich, die Waffe immer noch vor dem Körper haltend. Schon sah ich sein Haar, das in langen ungepflegten Strähnen bis über die Schultern hing. Kleine Knochen waren darin eingeknotet und hüpften mit jedem seiner Schritte auf und ab. Sein Mund verzog sich zu einem hässlichen breiten Grinsen, das faulige Zahnstümpfe freilegte.
    Da tat er den verhängnisvollen Schritt.
    Die Explosion der Blitzrune erfüllte den Gang schlagartig mit blendender Helligkeit. Es zischte, knisterte und schmorte gleichzeitig, und der Schmerzensschrei des Mannes schallte unmenschlich laut zu uns herüber, bevor er zu einem jämmerlichen Häufchen Asche verging. Unmittelbar darauf schoss ein zweiter Blitz in die Banditen, die ihrem Anführer dicht gefolgt waren, und holte noch einige von den Beinen. Wie viele es waren, konnte ich nicht sehen, denn die Thalmorsoldaten schoben sich in mein Blickfeld und sandten ihre Pfeile den fliehenden Angreifern nach.
    Der erste Versuch war gescheitert.

    Nennuin führte uns ein Stück weiter hinter die nächste Biegung, jedoch nicht ohne vorher eine neue Blitzrune zu platzieren. Auf dem kurzen Wegstück bemerkte ich erst, dass Ra'Shirr deutlich hinkte.
    „Seid Ihr verletzt?“ fragte ich ihn.
    „Nicht sehr, Herr Salenquil“, kam schnell die Antwort, doch der Tonfall strafte ihn selbst Lügen. „Ein Pfeilschuss am Oberschenkel. Nur eine Fleischwunde.“
    „Ich sehe mir das gleich einmal an“, sagte ich.
    Ra'Shirr sträubte sich erst, aber bis zum nächsten Halt hatte ich ihn davon überzeugt, dass jemand wie ich, der an einer naturwissenschaftlich geprägten Universität unterrichtete, auch eine Grundausbildung in Heilkunde nachweisen müsse. Das stimmte vom Wortlaut her, doch sicherheitshalber verschwieg ich dabei, wie viele Jahrzehnte dieser Heilkunde-Grundkurs bei mir inzwischen zurück lag.
    Aber manche Dinge verlernt man eben nicht, manche muss man so oft anwenden oder wenigstens in Anwendung sehen, dass man sie nicht vergessen kann.
    Als ich dann die Verletzung sah, musste ich unwillkürlich an die langen Monate zurückdenken, in denen zwei Hörsäle der Universität vorübergehend als Lazarett für unsere Armee gedient hatten.
    Ra'Shirr hatte nicht gelogen, es war eine Pfeilwunde, ein Streifschuss, der einen tiefen Schnitt in der Haut hinterlassen hatte. Der Khajiit hätte Glück gehabt, ein Verband, etwas Ruhe und gut, nur war der Pfeil ganz offensichtlich vergiftet gewesen. Die Ränder dieser normalerweise harmlosen Wunde klafften unnatürlich weit auf und das Fleisch darunter begann bereits, sich dunkel zu verfärben. Außerdem sonderte es einen widerlichen Geruch ab. Mir fiel nur ein Gift ein, das so eine Reaktion bewirkte, eine Mischung aus Jasbaytraubensaft und Koboldschemel.
    Die Götter mögen ihm beistehen, war mein nächster Gedanke, bevor ich ihm befahl, möglichst ruhig liegenzubleiben. Mit meinem Gürtel band ich sein Bein so fest ich konnte ab, darauf hoffend, dass die Vergiftung sich dann nicht so schnell weiter ausbreiten würde. Trotzdem, es sah schlecht für Ra'Shirr aus.

    In der nächsten halben Stunde beschäftigte ich die Khajiit damit, unsere geretteten Taschen (es waren leider nur zwei) und den ganzen bisher gesicherten Bereich der Mine nach einem möglichen Heilmittel durchsuchen zu lassen. Hochwertige Heiltränke zu finden, daran verschwendete ich nicht mal einen Gedanken, es wäre zu schön gewesen, doch sogar Skeeverfell, die Samen des Stachelgrases oder ganz gewöhnlicher Knoblauch besaßen die Eigenschaft, Vergiftungen wenigstens zeitweise aufzuhalten. Sie fanden zwar nichts, aber da sie gar keine Lebensmittel entdeckten, konnte ich wenigstens auf einen späteren Fund hoffen. Irgendwo mussten ja auch Banditen ihr Vorratslager haben.
    Nennuins Fluchen hörte ich schon, noch bevor ich ihn kommen sah. „Was, bei allen heidnischen Götzen, ist denn jetzt wieder los? Warum werfen die Felltaschen alles durcheinander? Wir könnten immer noch auf Banditen stoßen, verflucht noch mal!“
    Ich ließ ihn erst herankommen, bevor ich ihm erklärte, dass Ra'Shirr schwer verwundet war und unbedingt schnelle Hilfe benötigte. Nennuin knurrte nur, drehte sich um und ging. „Dämlicher Katzenfreund“, hörte ich ihn trotzdem noch sagen. Das war dann auch mir zu viel.
    „Das habe ich gehört“, rief ich ihm nach. „Glaubt Ihr etwa, nur weil Ihr einen hohen Rang bekleidet, muss ich mich von Euch beleidigen lassen? Ra'Shirr ist nicht nur mein Diener, er ist auch ein Bürger des Aldmeri-Bundes. Und sind die Thalmor nicht dazu da, um die Bürger unserer Länder zu beschützen? Wenn Ra'Shirr nicht bald Hilfe bekommt, wird er sein Bein verlieren oder sogar sterben. Wollt Ihr das verantworten? Ich fordere Euch also auf, alles zu tun, was in Eurer Macht steht, um dem Khajiit zu helfen, sonst werde ich ...“
    „WAS? Was werdet Ihr dann?“ Nennuin hatte kehrt gemacht und war mit zwei Sprüngen bei mir. „Werdet Ihr mich bei Alvasan anschwärzen? Oder einen Brief an die Botschaft schreiben? Bitte, nur zu, tut Euch keinen Zwang an. Ihr werdet schnell feststellen, welchen Erfolg es Euch bringt, Bosmer.“ Jetzt stand er so dicht, dass sich unsere Nasen fast berührten, und auch wenn ich wegen seiner Herzlosigkeit sehr wütend auf ihn war, so ließ mir diese unangenehme Nähe doch alle Worte im Halse stecken bleiben.
    „Sagt mir nie wieder, was ich zu tun habe“, zischte er mir noch zu bevor er sich erneut abwandte und langsam in den Tiefen der Mine verschwand.

    Zwei oder drei Stunden später saßen wir immer noch am selben Fleck. Ra'Shirr hatte Fieber bekommen und atmete schwer, doch es gab auch gute Nachrichten. Vorräte waren entdeckt worden, unter anderem auch jede Menge Knoblauch, der nun als streng riechende Paste auf Ra'Shirrs Wunde aufgetragen war. Außerdem gehörte die Mine jetzt uns. Da nur drei der Banditen, alles ältere Männer, zurückgeblieben waren, hatten die Thalmor leichtes Spiel gehabt. Dabei war es nur logisch, dass keiner der drei überlebt hatte. Nach der „Säuberung“, oder dem Abschlachten, je nachdem von welcher Seite man es betrachtete, hatten sich die Soldaten zum Eingang begeben. Nun warteten wir darauf, wie es weitergehen würde.
    Endlich, nach einer weiteren gefühlten Ewigkeit, kam ein Soldat zu uns. „Die Banditen sind weg“, richtete er aus. „Der Kommandant hat angeordnet, dass wir nach Markarth zurückkehren. Eilt euch.“
    Ich staunte. Nicht deswegen, weil Nennuin statt selbst zu kommen einen Untergebenen geschickt hatte, sondern deshalb, weil wir wieder nach Markarth gehen würden. Hatten meine Worte doch etwas bewirkt? War er zu der Einsicht gekommen, dass man Ra'Shirr in der Stadt viel besser behandeln konnte, als in Karthwasten? Hatte ich ihm gar unrecht getan und er war doch nicht so kaltherzig wie ich dachte?
    Doch nach einigem Nachdenken und vor allem nach den Blicken, die er uns im Vorbeigehen am Eingang zuwarf, wurde mir schnell klar, dass ich mich keinesfalls in ihm getäuscht hatte. Es ging ihm kein bisschen um den Khajiit. Auch bis nach Karthwasten war es nicht weiter als zurück nach Markarth, und sowohl Harran als auch Alvasan waren brillante Heiler, die Ra'Shirr sicher retten könnten. Nennuin ging es nur darum, dass unsere Vorräte gestohlen worden waren. Nur deshalb wählte er den Weg zurück, um Ersatz zu beschaffen und möglicherweise den Jarl zur Verfolgung der Banditen zu bewegen, denn wenn ich eines begriffen hatte, dann das: Nennuin verzieh niemandem so schnell etwas. Wer es sich einmal mit ihm verdorben hatte, der würde es noch Jahre später zu büßen haben. Der Gedanke daran, dass ich mich heute ebenfalls in die Reihe der in Ungnade Gefallenen eingefügt hatte, behagte mir ganz und gar nicht, aber wenigstens konnte ich darauf vertrauen, dass ich auf der richtigen Seite stand und Alvasans Hand mich um des Projektes Willen schützte. Die Banditen waren da wesentlich schlechter dran.

    Die Sonne versank bereits hinter den Bergen, als ich die Stadt erreichte. Ra'Shirr hatten wir in der Obhut des Khajiitlagers gelassen, wo man sich sofort um ihn kümmerte. Ihn in die Stadt zu bringen ging nicht, die Wachen hätten sicher Schwierigkeiten gemacht uns durchzulassen, und auf Nennuins Fürsprache konnte ich nicht mehr zählen. So ging ich denn allein meinen Weg durch die abendlichen Straßen, bis ich an meinem Ziel angekommen war. Mehrmals klopfte ich laut gegen die Metalltür, bis sie sich endlich öffnete.
    „Ihr? Was ist geschehen? Ihr seht abgehetzt aus.“ Bothela öffnete die Tür ganz und ließ mich hinein.
    „Das erzähle ich Euch unterwegs“, sagte ich. „Bitte, Ihr habt doch sicher Gegengifte im Haus, Jasbay und Koboldschemel vermute ich, das heißt, ich bin mir sogar ziemlich sicher.“
    „Nein, aber kommt erst einmal herein.“ Sie zog mich in den Raum und ging dann eilig auf ihren Alchemietisch zu. „Ich habe so etwas nicht vorrätig“, sprach sie weiter. „Eine ungewöhnliche Kombination – für diese Gegend. Koboldschemel wird auch von den Abgeschworenen benutzt, aber meist in Verbindung mit Roten Bergblumen oder sogar mit Menschenfleisch. Da spielt Hexenrabenmagie mit rein. Wer immer das gemischt hat, muss viel weiter aus dem Osten kommen, aus Rift oder der Ostmarsch.“
    „Es waren Banditen, keine Abgeschworene“, bestätigte ich ihr.
    „Seht Ihr, … wartet, reicht mir bitte mal diesen Topf dort, den grauen ...“ Sie mischte einige Zutaten zusammen und ließ sie mehrmals aufkochen, bevor sie den Sud in kleine Fläschchen füllte. „So, nun lasst uns zu unserem Patienten gehen“, sagte sie und ich war wirklich dankbar, dass ich sie kennengelernt hatte. Bei Bothela würde Ra'Shirr in guten Händen sein.
    Moonlord ist offline
  13. #13 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    Kapitel 12 - Die verlorene Generation

    [Bild: FALMER_U.png]


    eber


    den Bergen im Osten stieg die Sonne auf. Ganz kurz nur drangen ihre Strahlen durch die schmale Lücke unter einer dunkelgrauen Wolkendecke. Sie schafften es kaum, einen Anflug von Helligkeit bis zu den Zelten zu bringen, die auf der Wiese am Karth aufgeschlagen waren. Zudem stieg Nebel auf. Dick und massig hüllte er das Khajiitlager ein, als wollte er es vor den Augen der übrigen Welt verbergen.
    Das wäre mir nur recht gewesen, denn je abgeschiedener der Platz war, desto mehr Ruhe konnte ich meinem Patienten verschaffen.
    Drei Tage waren vergangen, seit wir Ra’Shirr hierher gebracht hatten. Seitdem lag er auf einem Stapel Felle und dämmerte vor sich hin. Die Vergiftung war schwer gewesen, viel schwerer als angenommen, und nur Bothelas Heilkunst hatte ihm das Leben erhalten.
    Der erste Trank, den sie noch in ihrer Hexenküche gebraut hatte, sorgte dafür, dass Ra’Shirr in einen tiefen Schlaf fiel, der fast zwei Tage andauern sollte. Dann war Bothela zu Ri’saad gegangen, dem Anführer der Khajiitkarawanen von Himmelsrand, und hatte lange mit ihm gesprochen. Schließlich kam sie zurück, in Begleitung von wenigstens zehn der Katzenwesen. Auch Ri’saad war dabei und ein Junge. Er trug eine kleine Kiste bei sich, die er unter Bothelas wachsamen Augen äußerst vorsichtig auf dem Boden absetzte.
    Es war still im Zelt geworden. Nur der stoßweise schwere Atem Ra’Shirrs war zu hören. Die Bretonin sah uns alle der Reihe nach an, bevor sie sprach: „Es sieht nicht gut aus für diesen Mann. Das Gift ist stark, meine Tränke allein werden sein Leben nicht retten können. Deshalb werde ich etwas versuchen müssen, von dem ich bisher nur gelesen habe, aus uralten Aufzeichnungen der Dwemer. Ich kann nicht versprechen, dass es funktioniert, aber es ist der einzige weg, sein Leben zu erhalten.
    Doch bevor ich beginne werdet Ihr alle bei Euren Göttern schwören, niemandem etwas davon zu berichten. Die Zeit ist noch nicht reif dafür, alles Wissen der Dwemer wieder ans Licht der Welt zu bringen … Sollte es funktionieren und Ra’Shirr gerettet werden, so stellt es als den Willen der Götter hin. Schwört Ihr das?“
    Nach und nach stimmten die Khajiit ausnahmslos zu. Ri’saad hatte sie schon gut auf das Kommende vorbereitet.
    „Euch, Professor Salenquil, bitte ich, sehr genau zuzusehen“, fuhr sie an mich gewandt fort. „Ihr wisst, ich bin alt. Sollte mir einmal etwas zustoßen, so vermache ich dieses Wissen und den Apparat Euch.“
    Sie öffnete die Kiste, nahm erst eine dicke Lage Tundrabaumwolle heraus und dann ein kleines Gerät, dass aus einer Vielzahl gebogener Röhren zu bestehen schien. Große durchscheinende Tierblasen waren an zwei Stellen angebracht, sie hingen schlaff herab. Ein weiterer Griff förderte mehrere schmale Metallröhren zutage, spitz an einer Seite und an der anderen mit dünnen Schläuchen verbunden, wie man sie manchmal in diesen Dwemersphären fand.
    Bothela legte alles bereit, befestigte zwei der Schläuche am Apparat und winkte dann Ri’saad zu sich. Der große Khajiit kam herbei, entblößte seinen Arm und sie stach ihm eine der Röhren genau in die Armbeuge. Langsam lief sein Blut hindurch bis in die Blasen des Apparates, sodass sie anschwollen. Inzwischen hatte Bothela die Pfeilwunde an Ra’Shirrs Bein erneut aufgeschnitten und sein vergiftetes Blut pulste in großen Schüben heraus. Die zweite Röhre verband sie mit Ra’Shirrs Arm. Dann begann sie, durch abwechselnden Druck auf die Blasen, Ri’saads Blut in den Körper meines Dieners zu pumpen. Nach einer Weile löste ein zweiter Khajiit den Karawanenführer ab, dann ein dritter, und als schließlich der letzte von ihnen an der Reihe und auch Ra’Shirrs Beinwunde längst neu verbunden war, atmete sie erleichtert auf.

    „So haben die Dwemer Vergiftungen geheilt“, sagte sie später, als alle anderen gegangen waren, zu mir, „oder auch starken Blutverlust durch schwere Wunden ausgeglichen. Wenn ich alles richtig verstanden und richtig ausgeführt habe, wird er leben.“
    Ich war immer noch verwundert darüber, was ich gerade gesehen hatte. So viele Fragen schwirrten mir durch den Kopf, dass ich gar nicht wusste, wo ich anfangen sollte. Sie deutete meine Verwirrung wohl richtig, denn Bothela fuhr von allein fort: „Warum ausgerechnet ich dieses Wissen habe? Nun, nennt es einfach Glück. Als ich noch jünger war, viel jünger, begleitete ich zuweilen Calcelmo auf seinen Erkundungen von Nchuand Zel. Damals gab es die Spinnen noch nicht und auch die Falmer hielten sich vermutlich in viel tieferen Bereichen auf. Jedenfalls brachten wir den Apparat von einer der Touren mit. Calcelmo überließ ihn mir zur Untersuchung. Er hatte selbst so viele Dinge für seine Sammlung mitgebracht, dass er sich gar nicht um alles alleine kümmern konnte.
    Zuerst fand ich nicht einmal den Sinn heraus, also stellte ich es irgendwann weg. Dann, Jahre später, traf ich Ramaleth.“ Ein Anflug von Wehmut zog über ihr Gesicht, als sie daran dachte, doch schnell sprach sie weiter: „Sie fand die Kiste zufällig in meiner Kammer, und wie es der Zufall wollte, besaß sie Aufzeichnungen der Dwemer aus dem Norden Cyrodiils, größtenteils Skizzen, die eine recht genaue Gebrauchsanweisung dieser Apparate enthielten.
    Auch das ist schon wieder viele Jahre her, und ich fürchte, wir waren damals nicht konsequent genug, das Wiederentdeckte zu präsentieren, nicht einmal Calcelmo gegenüber, der sich heute wohl kaum noch an diese Zeit erinnern kann. Tja, und nun bin ich zu alt dafür. Ich will mir die ganze Aufregung nicht mehr antun, den ganzen Ärger, wenn die geldgierige Obrigkeit darum streitet, wer daran wie viel verdienen darf. Wenn meine Zeit gekommen ist, gehört der Apparat Euch. Die Aufzeichnungen allerdings … Ramaleth hat sie damals wieder mitgenommen und ich fürchte, Ihr werdet sie in Silvenar suchen müssen … Eines nur muss ich Euch sagen: Mischt niemals das Blut verschiedener Rassen, denn davor wurde ausdrücklich gewarnt.“
    Ich nickte und versicherte ihr, alles genau so zu befolgen, wie sie es mir erklärt hatte. Dann ließ sie uns allein.

    Die Khajiit besuchten regelmäßig unser Zelt, um Nahrung und Wasser zu bringen. Sie taten das so selbstverständlich, dass ich mich wie ein Teil einer großen Familie zu fühlen begann. Diese Erfahrung verwunderte mich fast noch mehr, als Bothelas Heilkunst, denn ich hatte die Khajiit immer als verschlossenes Volk betrachtet, das niemandem, der nicht seiner Rasse angehörte, vertraute und schon gar nichts umsonst hergab. Diebe, Schmuggler und Betrüger wurden sie genannt, doch nichts dergleichen konnte ich selbst feststellen. Wie sehr man sich doch täuschen kann, wenn man althergebrachten Vorurteilen Glauben schenkt …

    Auch Nennuin kam vorbei. Er hatte neue Vorräte organisiert und erwartete eigentlich, dass ich mit ihm zusammen nach Karthwasten aufbrach. Meine Weigerung schmeckte ihm gar nicht. Nach etlichem hin und her, bei dem ich ihm wütend vorschlug, mich doch einfach zwangsweise zurückschleppen zu lassen, verließ er mich mit den Worten: „Dann seht doch zu, wie Ihr allein sicher nachkommt. In spätestens zehn Tagen seid Ihr da oder ich lasse Euch abholen, und das wird dann nicht lustig!“
    Das glaubte ich ihm aufs Wort, doch merkwürdigerweise war es mir egal.

    Drei Tage waren seit unserer Ankunft im Lager vergangen. Bothela hatte wieder vorbeigeschaut und ein Stärkungsmittel dagelassen. Dann, gegen Mittag, schlug Ra’Shirr die Augen auf. „Vab’ato di …“
    Ich verstand ihn nicht und schüttelte nur den Kopf. „Ihr seid in Sicherheit, bei Freunden“, sagte ich, worauf er seinen Blick über die Zeltbahnen schweifen ließ. Dann nickte er schwach. Ich gab ihm Wasser, in das ich etwas von Bothelas Stärkungsmittel getan hatte. Ra’Shirr trank und schlief kurz darauf wieder ein.
    Gegen Abend konnte er sich bereits etwas aufrichten. Ri’saads Leute nutzten die gute Nachricht, um spontan ein kleines Fest zu feiern. Sie brachten es sogar fertig, für mich extra ein Huhn zu braten, nur damit ich nicht gezwungen war ihnen beim Essen zuzusehen. Von den ganzen Süßigkeiten, die sie vertilgten, bekam ich nichts ab und das wohl aus gutem Grund.

    [Bild: krysoskhajiit0jk50i1bp3v_thumb.jpg]
    Screenshot von Krysos1962 – leicht aufgehellt

    An den nächsten Tagen, als Ra’Shirr sich langsam erholte, hatten wir viel Zeit uns zu unterhalten. So erfuhr ich die Geschichte meines Dieners:

    Ra’Shirrs Großvater Dro’Saraf gehörte noch einer alten Handwerkerfamilie von Teppichwebern und –Händlern an. Sie besaßen eine eigene Manufaktur in Dünenstadt, von wo aus sie ihre Waren im ganzen Land verkauften und sogar Aufträge von solch berühmten Meistern wie Cherim aus Orkruh ausführten. Die Familie war recht wohlhabend, hoch angesehen und hielt sich, wie die meisten Khajiit, weitgehend aus den politischen Ränken zwischen einheimischem Adel und Kaiserreich heraus. So hätte es weitergehen können, doch eines Nachts kam es zur Katastrophe.

    Dro’Saraf war etwa 30 Jahre alt, so genau konnte Ra’Shirr es nicht sagen, als ohne Vorwarnung die Monde verschwanden.
    Ich glaube, jeder der nicht Khajiit ist, würde dem keine große Bedeutung zumessen. Gut, die Nächte wurden dunkler als gewohnt, aber sonst … Auch ich hatte so gedacht, denn ich selbst hatte in meiner Kindheit dieses Phänomen miterlebt.
    Für die Khajiit jedoch bedeutete es den Untergang einer ganzen Generation. „Wenn ein Kind geboren wird“, so erzählte er, „dann weisen die Monde ihm den Weg.“
    Ich verstand zuerst nicht was er damit meinte, bis er mir eine der wunderlichsten Eigenarten seines Volkes erklärte:
    „Wenn Ihr Euch die Khajiit anseht, in unserem Land, nicht hier, so werdet Ihr große Unterschiede erkennen. Ich zum Beispiel gehöre den Ohmes an, denjenigen von uns, die am häufigsten ihre Heimat verlassen. Dann gibt es die Suthay, die uns sehr ähnlich sehen, die Cathey, die Tojay, die winzigen Alfiq, die riesigen Senche und viele weitere. Ihr würdet sie zweifellos als eigene Rassen bezeichnen, doch das stimmt nicht. Wir alle sind ein Volk.
    Wenn wir noch ganz klein sind, dann ähneln wir uns sehr. Niemand könnte auf Anhieb sagen, was aus uns einmal werden wird, denn nicht das Aussehen unserer Eltern entscheidet darüber, sondern allein der Stand der Monde bei unserer Geburt. Aus dem Kind einer Alfiq-Familie kann ein Senche-raht werden und umgekehrt.
    Mit diesem Wissen stellt Euch einmal vor, was das Fehlen der Monde für uns bedeutete.“
    Ra’Shirr gab mir Zeit darüber nachzudenken.
    Je mehr ich mir die Zusammenhänge klarmachte, desto betroffener musste ich ausgesehen haben, denn er schaute mich wissend an und nickte nur.
    „Drei meiner Onkel wurden in den Nächten der Leere, wie diese Zeit genannt wird, geboren. Noch bevor sie das erste Lebensjahr vollendet hatten, traten die Missbildungen auf.
    Ich kann es Euch nicht beschreiben, da ich es nicht selbst mit ansehen musste, aber es muss grauenhaft gewesen sein. Zwei lange Jahre, in denen nicht ein einziges Kind geboren wurde, dass überlebensfähig war. Zuerst kamen noch die Wachen, um die Kleinen zu töten, doch bald überließ man es den Eltern selbst. Wer sich weigerte, kam ebenfalls um.
    Großvater Dro’Saraf verfiel in dieser Zeit der Trauer dem Skooma. Das Wiedererscheinen der Monde erlebte er nicht mehr.“
    Es dauerte lange, bis Ra’Shirr die Kraft fand um weiterzureden. Zu sehr hatten ihn die Ereignisse der Vergangenheit aufgewühlt. Ich ließ ihm Zeit, saß neben seinem Lager und wartete.
    „Mein Vater Mahadran“, erzählte er dann, „war erst zwei Jahre alt, als das Unglück begann. Dem Tod von Großvater Dro’Saraf folgte schnell der finanzielle Ruin. Niemand war da, um die Tradition weiterzuführen, die Manufaktur machte dicht, unser Haus wurde verkauft und die letzten, die von der Familie noch übrig waren, zogen aufs Land. Cori Darglade, ein armseliges Kaff im Nordwesten von Ne Quin-al wurde unsere neue Heimat.
    Vielleicht war das gut so, denn von den folgenden turbulenten Ereignissen bis zur Neugründung von Ne Quin-al und Pa’alatiin blieb das Dorf weitgehend verschont, von jeder Entwicklung allerdings auch.
    Es war hart für meinen Vater, die Familie durchzubringen. Wir hatten kein Land, kein Vieh. Eine Hütte gehörte uns, sonst nichts, und da wir nicht dem alteingesessenen Clan angehörten, blieb ihm nur, sich als Tagelöhner zu verdingen.
    So war es im Jahre 144, als ich als jüngstes von fünf Kindern das Licht der Monde erblickte. Als Kind sieht man die Welt ja mit anderen Augen. Ich kannte nichts außerhalb des Dorfes und der Steppe drum herum. Wenn das Essen wieder einmal nicht reichte, dann zogen wir eben herum, suchten süße Beeren an den Rändern des verbotenen Waldes, oder setzten uns an die Feuer vorbeiziehender Karawanen, wo wir oft eine Kleinigkeit geschenkt bekamen.
    Was Armut bedeutete bekam ich erst später mit. Damals, im strengen Winter des Jahres 151, als selbst das Gras auf der Steppe gefror, wurden zwei meiner Schwestern krank. Der Schamane der Dorfes war am Ende seiner Kunst, und der Heiler aus Dünenstadt, zu dem meine Mutter in ihrer Verzweiflung pilgerte, kam nicht, da wir nichts hatten, um ihn bezahlen zu können. S’Amunda und Si’Vendi sind gestorben … einfach so …“
    Wieder war Ra’Shirr lange still. Auch ich schwieg, denn nichts was ich hätte sagen können, schien mir geeignet, die Stille zu durchbrechen.
    „Wollt Ihr etwas trinken?“, fragte ich schließlich doch.
    „Nein, Herr Salenquil“, antwortete er. „Lasst Ra’Shirr erst zu Ende erzählen, es tut gut, die Erinnerungen zu teilen.“ Dann fuhr er fort:
    „Sobald ich alt genug dafür war schloss ich mich den Karawanen an. Mein Vater bestärkte mich darin, denn die einzige Alternative wäre gewesen, ihm als Tagelöhner zu folgen. So ging ich weg.
    Die Arbeit bei den Karawanen ist viel härter, als es für Außenstehende den Anschein hat. Tag für Tag unterwegs auf schlechten Straßen, bei Wind und Wetter, Staubstürme in den Wüsten, Moskitos in den Sumpfwäldern und immer wieder Banditen, denen man Wegezoll zahlen muss, wenn man sein Leben behalten will. Die Obrigkeit interessiert das natürlich nicht. Abends, nach einem langen Marsch, wird das Lager aufgeschlagen, die Tiere versorgt, die Waren abgeladen und überprüft, Feuerholz gesammelt und Ausrüstung repariert. Am nächsten tag beginnt dann alles von vorn.
    Doch wenn ich zurückblicke, hatte die Zeit auch etwas Gutes. Ich habe viel gelernt, viel gesehen und wurde sogar vom Großen Krieg verschont. Da wir auch oft genug Waffen und Verpflegung zu den Truppen transportierten, ließen uns die Rekrutierer der Armee in Ruhe.
    Irgendwann packte mich dann das Heimweh. Ich hatte lange nichts von meinen Verwandten gehört, wusste nicht wie es ihnen ging. Im letzten Kriegsjahr befuhren wir die Route von Anvil nach Silvenar, tief im Herzen Valenwalds, und trafen nur selten auf jemanden meines Volkes. Der Karawanenführer ließ mich nicht gern gehen, denn ich hatte bereits genug Erfahrungen gesammelt, um eine kleine Karawane allein führen zu können. Vielleicht hoffte er, dass ich eines Tages sein Nachfolger werden würde. Ich weiß es nicht, denn ich sah ihn nie wieder.
    Cori Darglade gab es nicht mehr. Dort, wo unsere Hütte einst stand, wucherte das Unkraut zwischen Mauerresten, den großen Baum daneben hatte man gefällt. Es war still und leer. Na ja, ganz stimmte das nicht. Hinter dem Hügel stand das neue Dorf, bestehend aus kleinen Häusern, die sich unter dem wolkenschweren Himmel zu ducken schienen. Einige der Leute kannte ich, aber längst nicht alle. Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten waren gekommen, Einheimische weggegangen oder einfach verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Das traf auch auf meine Familie zu. Niemand wusste, wo sie war, oder wollte es wissen und als ich zu intensiv nachfragte, landete ich für eine Woche im Gefängnis. Oh ja, die Elfen gab es früher nicht in unserem Dorf, jetzt gehörte ihnen das größte Haus.
    Dort konnte ich nicht bleiben, und so kehrte ich nach Cyrodiil zurück, schloss mich ein paar Jägern an, die lange in der Wildnis lebten, ging dann nach Anvil, um bei den Werften Arbeit zu finden, doch es gab mehr Hungrige als Arbeit vorhanden war. Schließlich traf ich durch Zufall auf Nennuin, der Leute mit Erfahrung für seine Expedition suchte. Ich erzählte ihm von meiner Zeit bei den Karawanen. Den Rest wisst Ihr …“

    In dieser Nacht saßen wir noch lange wach im Zelt. Ra’Shirr hatte mir sein Leben erzählt und ich … ich war mir nicht mehr sicher, ob überhaupt etwas, das ich seit meiner Jugend für richtig gehalten hatte, wirklich wahr war. Wo lagen die Unterschiede zwischen den Rassen wirklich? Was erhob uns über die Khajiit? Ra’Shirrs Leben mit all seinen kleinen Freuden und großen Schicksalsschlägen hätte genauso gut das eines Elfen sein können. Ich kannte viele, die im Krieg ihre Lieben oder ihre Heimat verloren hatten. Aber wenn es diese Unterschiede nicht gab, wofür hatten wir dann gekämpft?
    Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, denn mir wurde gerade bewusst, wie gefährlich diese Frage war …
    Moonlord ist offline
  14. #14 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    Kapitel 13 - Umzugsvorbereitungen

    [Bild: FALMER_N.png]

    ach

    ein paar Tagen Ruhe und guter Pflege war Ra'Shirr soweit genesen, dass wir an einen Aufbruch denken konnten. Wir mussten es sogar, da bis zu Nennuins Ultimatum nur noch ein einziger Tag verblieb und ich auf erneuten Ärger nicht sehr erpicht war. Mein Verhältnis zu den Thalmor war auf eine harte Probe gestellt worden. Einerseits betrachtete ich sie weiter als unsere Beschützer, was sie zweifelsohne auch waren, andererseits gab mir Ra'Shirrs Geschichte doch zu denken. Vermutlich war es so, dass in Zeiten des Krieges Angehörige jeder Partei irgendwie Dreck am Stecken hatten. Wir waren ja alle keine Heiligen und die Rekrutierer beider Seiten nicht wählerisch. Wer interessierte sich schon dafür, ob Hauptmann Soundso im früheren Leben ein gesuchter Krimineller war, wenn er nur genügend Feinde niedermetzelte. Die heutigen Soldaten, ob sie nun im Krieg gekämpft hatten oder nicht, hatten auch ihre individuellen Vorstellungen vom Leben. Sicher gab es genügend schwarze Schafe unter ihnen, die ihre Position zur persönlichen Bereicherung oder zum Ausleben niederer Instinkte missbrauchten. Das war zwar alles andere als schön, aber so spielte das Leben nun mal. Sollte ich deshalb die Thalmor als Ganzes verdammen, wo sie uns doch die Freiheit vom Kaiserreich gebracht hatten? Ich glaube, damit hätte ich zu vielen Unrecht getan, die wirklich edle Ziele verfolgten, Ziele wie unsere Aufgabe, die Falmer wieder ins Licht zu führen.

    „Die Kutsche steht bereit, verehrter Gast“, meldete Ri'saad persönlich, als er unser Zelt betrat.
    „Danke, wir sind gerade fertig.“ Ich stopfte noch meinen Regenumhang in die Packtasche, ganz obenauf, sodass ich ihn schnell zur Hand hatte, wenn das Wetter wieder einmal umschlug. Dann drückte ich dem Khajiit ein bereitliegendes Ledersäckchen in die Hand. Es enthielt 240 Septim, alles was ich an Barem noch bei mir hatte. „Ihr wollt uns wirklich nicht begleiten? In Karthwasten könnte ich Euch wesentlich angemessener für Eure ganzen Mühen entlohnen.“
    „Nein“, erwiderte er freundlich aber bestimmt. „Khajiit brechen schon morgen nach Weißlauf auf. Uns zieht nichts an Orte, wo wir nicht willkommen sind und keine Geschäfte machen können.“ Sein Blick wanderte von mir zu Ra'Shirr herüber. „Es war Ri'saad eine Ehre, einem Bruder helfen zu können. Lebt wohl und möget Ihr immer warmen Sand unter Euren Füßen haben.“
    „Lebt wohl, Ri'saad. Wo immer wir sind, werden wir Euren Großmut loben“, sagte ich im Versuch, mich seiner Redeweise anzupassen.
    Ri'saad lächelte als er das Zelt verließ.

    Dann war es soweit. Wir bestiegen die Kutsche, Ra'Shirr nahm die Zügel in die Hand und fuhr an.
    „Das wird aber auch Zeit“, hörte ich einen Ruf von der Straße her. „Fast wären wir ohne Euch weitergeritten.“ Ich staunte nicht schlecht, eine Patrouille aus Markarth zu sehen, die offenbar auf uns gewartet hatte.
    „Die Katzen haben uns darum gebeten“, erklärte der Anführer die Situation. Dabei deutete er auf das kleine Geldsäckchen an seinem Gürtel, in dem ich jenes wiedererkannte, das ich Ri'saad zuvor gegeben hatte. „Wir müssen sowieso nach Drachenbrügge, da begleiten wir Euch.“
    Dagegen war nichts einzuwenden.

    So kamen wir ohne Zwischenfall am Nachmittag in Karthwasten an. Die Wachen ließen sich gern dazu überreden, hier zu übernachten. So sparten sie sich den Aufbau ihrer Zelte und bekamen auch noch besseres zu essen als die kärgliche Marschverpflegung.

    Zuerst einmal sah ich mich wieder um. Ich war wieder zuhause.
    Komisch, ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas empfinden würde, doch die winzige Siedlung war mir in der letzten Zeit wirklich zu einer Heimat geworden, selbst wenn ich an die kleinen Ärgernisse dachte, die oft genug zwischen uns allen gestanden hatten.
    Nun sah ich die alten Holzhäuser wieder, die überdachte Terrasse, auf der die Mahlzeiten eingenommen und Versammlungen abgehalten wurden, die Wacholderbäume am Rande des winzigen Dorfplatzen, auf dem … Kistenstapel lagen? Was war hier los?

    „Salenquil! Endlich, ich freue mich ja so Euch wiederzusehen!“ Die helle Stimme schwirrte wie ein kleiner Vogel zu mir herüber und gleich darauf kam Tiluva von den Laboren angehüpft, stellte eine kleine Kiste auf dem Stapel ab und fiel mir in die Arme. Ich war so überrascht, dass ich gar nicht wusste, wie ich reagieren sollte. So hielt ich sie einfach fest und hörte ihrer Begrüßungsansprache zu.

    „Ach, es war so langweilig hier. Ich bin ja erst seit drei Tagen zurück, aber was meint Ihr was hier los ist. Nur Packen, Sortieren, Laborkram abbauen und so ...“ Sie zog einen Schmollmund dass ich lachen musste.
    „Nun, langweilig hört sich das nicht gerade an“, warf ich ein.
    „Ach nein? Ich bin Forscherin, kein Khajiit!“ Sie schubste mich weg, doch ich merkte sofort, dass auch ihr Zorn nur gespielt war. „Ihr wisst ja was ich meine, oder habt Ihr schon mal versucht, mit Harran oder Alvasan ein vernünftiges Gespräch zu führen? Ihr habt mir eben gefehlt. Übrigens … wie sehe ich aus?“
    Sie trat drei Schritte zurück, warf sich in Positur und drehte sich.
    „Wie ein aufgeplustertes Schaf“, hätte ich beinahe gesagt, verkniff es mir aber noch rechtzeitig, da Tiluva in diesem Punkt leider keinen Spaß verstand.
    Das Mittelding zwischen Kleid und Robe, das sie trug, war dermaßen mit Pelz und anderem Zierrat besetzt, dass ihre schlanke Gestalt darin wie eingezwängt wirkte.
    „Ihr habt es aus Einsamkeit, nicht wahr?“, versuchte ich mich um eine direkte Antwort zu drücken.
    „Ja, eine Kreation von Endarie. Sie führt den feinsten Laden der Stadt und schneidert für besondere Kunden sogar noch selbst.“
    „Es ist wirklich außergewöhnlich.“
    „Danke. Ich wusste, das es Euch gefällt.“
    Da war ich ja noch einmal davongekommen. Ich ergriff schnell die Gelegenheit, vom Thema abzulenken, indem ich mich nach den anderen erkundigte. Es gab nicht viel zu berichten: Alvasan und Arethi hatten sich gestritten und gingen sich jetzt aus dem Weg. Crothan war immer noch unterwegs, genau wie Nennuin, der wegen irgendwelcher Besorgungen nach Morthal geritten war, und Harran hatte sich mit einem Dutzend Skeevern in seinem Labor eingeschlossen.
    „Morgen dürft Ihr ganz sicher auch beim Packen helfen“, versicherte Tiluva mir. „Aber jetzt kommt erst einmal mit.“
    Im Vorbeigehen sahen wir, wie zwei Arbeiter große Planen über den Kistenstapel deckten.

    Beim Abendessen erwartete mich dann eine kleine Überraschung. Es war ein riesiges Buffet aufgebaut, wie ich es selbst bei feierlichen Anlässen in Falinesti selten gesehen hatte. Fürst Alvasan, in sichtlich gelöster Stimmung, begrüßte uns, ein Weinglas in der Hand. „Heute, liebe Kollegen ...“, erklärte er feierlich, „... begehen wir den Jahrestag unseres großartigen Sieges in der Schlacht um Skingrad, in der es uns mit Auri-Els Hilfe gelungen ist, trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit und schlechter Ausrüstung die Festung des Hexenmeisters ohne große Verluste zu erobern. Ich war dabei, als Graf Hassildor …“
    So ging das beinahe eine Stunde lang weiter. Immer wieder hoben wir die Gläser, prosteten uns zu und stießen auf die Heldentaten der Thalmor im allgemeinen und die Heldentaten Alvasans im besonderen an.
    Später, der Fürst hatte wohl etwas zu oft sein Glas geleert und war bereits gegangen, saß ich mit Tiluva noch allein am Tisch, und sie erzählte mir die Geschichte noch einmal aus der Sicht eines Verwandten, der ebenfalls an der Schlacht teilgenommen hatte:

    Es war in den ersten Wochen des Großen Krieges als die Thalmor-Heerführerin Arannelya nach Hammerfell marschierte. Anvil war längst besetzt und das noch immer im Wiederaufbau befindliche Kvatch keine Bedrohung, lediglich Skingrad stellte ein wenn auch kleines Risiko dar, und so wurde eine Abteilung des Heeres entsandt, sich um die Grafschaft zu kümmern. Zu dieser Abteilung gehörte auch Fürst Alvasan. Er war bei seinen Untergebenen eher gefürchtet als beliebt, doch unbestreitbar begabt, und deshalb standen seine Leute hinter ihm, was er auch befahl.
    Die Schlacht selbst – na, Schlacht ist vielleicht etwas zu hoch gegriffen.
    Der Angriff war für die frühen Morgenstunden geplant, doch daraus wurde nichts. Noch in der Nacht hätte nämlich eine Wagenladung Pfeile für die Bogenschützen eintreffen müssen, die man beim Aufbruch vom Hauptheer einfach vergessen hatte. Zum Glück für unsere Truppen kamen solche organisatorischen Pannen später nicht mehr vor, oder man hörte nie mehr davon.
    Die Pfeile blieben allerdings aus, auch als den halben Vormittag lang nach dem Verbleib des Karrens gefahndet wurde. Dafür traf ein Bote von Arannelya ein, der Alvasan noch einmal daran erinnern sollte, wie wichtig es war Skingrad auszuschalten und die Goldene Straße für uns zu sichern.
    „Kennt Ihr Skingrad? Nein?“ Tiluva sah mich fragend an. „Ich schon. Ich war einmal dort, kurz bevor wir hierher aufbrachen. Nachdem Alvasans Trupp die Stadt eingenommen hatte, war der Krieg dort praktisch vorbei. So ist vieles erhalten geblieben, auch die Stadtmauern selbst. Ich denke nicht, dass man sie so einfach erobern könnte, aber Alvasan hat das auch nicht getan.“
    „Also hat der Alte doch recht, wenn er seine Schlacht als Heldentat feiert, was?“
    „In gewisser Weise schon.“
    Tiluva nahm noch einen Schluck Wasser – vom Wein hatten wir beide genug – und fuhr dann fort.
    Der Angriff erfolgte dann genau zu Mittag. Niemand hatte damit gerechnet, da es allen bisher üblichen Strategien widersprach. Und sie griffen nicht die Stadt an, sondern das außerhalb dieser stehende Schloss. Es hatte nur einen Zugang über eine breite Steinbrücke und ein Holztor. Das war die Schwachstelle. Alvasan nutzte sie gnadenlos aus. Das Torhaus war zu schwach besetzt, um seinen Schwertkämpfern lange standzuhalten. Dann sammelte er alle Magier um sich, und gedeckt unter den breiten Schilden der sie flankierenden Soldaten zogen sie über die Brücke und brannten das Tor mit ihrer Magie nieder.
    Der anschließende Kampf dauerte fast bis zum Abend. Es musste gruselig gewesen sein. Jede der Wachen musste nicht nur getötet, sondern auch enthauptet oder verbrannt werden, da sie sich sofort wieder erhoben um als Zombies weiterzukämpfen. Der alte Hexenmeister muss der begabteste Nekromant gewesen sein, den Cyrodiil je hervorgebracht hat. Man erzählte sich später, dass er seine Kunst wohl direkt bei den Krecken gelernt hatte, was natürlich Unsinn war. Jedenfalls halfen Hassildor seine Zauber nicht. Sechs Stunden nach dem Fall des Tores ergab er sich schließlich und wurde als Gefangener nach Valenwald gebracht.
    Hier überlegte Tiluva kurz. Dann sagte sie:
    „Ich würde zu gern wissen, was mit ihm passiert ist.“
    „Wenn Ihr meint, ich als Bosmer könnte euch das sagen … nein. Ich habe mich nie sehr für Politik interessiert. Ich weiß nicht einmal, ob die Geschichte durch die Presse ging. Es ist damals so viel passiert. Doch sagt man nicht, dass Hassildor immer noch in Skingrad herrscht … oder wieder?“
    „“Ja, aber nicht Janus sondern sein Sohn Jacobus, von dem man vorher allerdings nie etwas gehört hat. Es ist auch erstaunlich, wie ähnlich sich Vater und Sohn sehen sollen … Aber zurück zu Alvasan. Er hatte wohl damit gerechnet, nach seinem Sieg befördert zu werden. Doch die Sache mit den vergessenen Pfeilen verhinderte es. Alles was er bekam war eine billige Tapferkeitsmedaille und ein feuchter Händedruck von Arannelya, als er wieder zum Hauptheer stieß. Es hat ihn so geärgert, dass er die Truppe verließ und nach Alinor zurückkehrte. Dank seiner vielen Freunde in den höchsten Ämtern ließ man das zu.
    Heute scheint er über diese Ungerechtigkeit, wie er es nannte, hinweg zu sein.“
    „Das haben wir alle gemerkt“, stimmte ich grinsend zu. „Alvasan, der große Kriegsheld von dem niemand was weiß.“
    Auch Tiluva kicherte belustigt.
    Es wurde noch ein langer schöner Abend unter dem Licht der Sterne.

    Am nächsten Morgen wartete Arbeit auf mich. Ich war, abgesehen von Harran, der letzte, dessen Laboratorien ausgeräumt werden mussten. Alles wurde gereinigt, sortiert und gut verpackt. Sowohl Tiluva als auch Arethi halfen mir dabei, da ihre Räume bereits so gut wie leer waren. Natürlich hätten wir auch die ganze Arbeit den Dienern überlassen können, doch vieles war zu wertvoll, um es durch unsachgemäße Handgriffe ruinieren zu lassen.
    Im Grunde genommen machte die Arbeit sogar Spaß. Tiluva plapperte den ganzen Vormittag fröhlich von ihren Erlebnissen in Einsamkeit, Arethi und ich warfen ab und zu ein paar Worte ein und so leerten sich die Räume zusehends.
    Nach dem Mittag, als wir wieder allein waren, fragte Tiluva ganz unvermittelt: „Könnt Ihr Euch vorstellen, dass im Blauen Palast eine echte Vampirin ein und aus geht?“
    Ich sah sie ganz entgeistert an. „Eine was …?“
    „Eine Vampirin. So wie … na Ihr wisst schon.“
    Da war er wieder, dieser Verdacht unserer Kollegin gegenüber. Tiluva würde sich wohl nie damit abfinden, dass Arethi nicht zu den Blutsaugern zählte. Nach wie vor gab es ja keinen Beweis.
    „Ich weiß nicht, Tiluva, wäre das nicht … sehr seltsam? Auch wenn die Bewohner des Palastes aufgeklärt sind und mit der Situation klar kommen, das Volk ist abergläubisch. Die würden vielleicht sogar den Palast stürmen, wenn sich so etwas herumspricht …“
    „Ist doch gar keine schlechte Idee“, fiel sie mir ins Wort. „Damit hätten wir einen möglichen Gegner weniger, wenn der nächste …“
    „Der nächste Krieg?“
    „Ja. Irgendwann müssen wir doch unseren Platz wieder einnehmen. Ich hoffe nur, es ist bald soweit, ich meine … damit wir es hinter uns haben und schnell wieder Frieden ist.“
    „Na ich weiß nicht … Aber zurück zum Thema. Seid Ihr sicher, dass es diese Vampirin gibt? Ich meine, habt Ihr sie gesehen? Und wenn, wovon lebt sie? Sie will doch nicht auffallen, oder?“
    Sie kaute auf der Unterlippe, bevor ihre Antwort kam:
    „Bestimmt holt sie sich im Gefängnis was sie braucht. Da stellt niemand Fragen. Und außerdem ist es gar nicht so offiziell, also … man redet nicht drüber. Nur Endarie hat es mir erzählt als ich zur Anprobe war. Na ja, ist ja auch egal …“
    „Stimmt. Dabei fällt mir ein, ich weiß immer noch nicht, warum wir eigentlich packen. Wenn wir nach Markarth umziehen, hätte ich ja gleich dort bleiben können.“
    „Wieso? … Ach, Ihr wart ja nicht da, als Alvasan es erzählt hat. Erinnert Ihr Euch noch an Onyen, diesen Inquisi… äh Justitiar von der Botschaft? Er hat doch von dem Abkommen mit den Abgeschworenen berichtet. Nun, wir ziehen genau vor ihre Haustür, nach Harmugstahl. Das soll eine Bergfestung sein, aber den Beschreibungen nach tippe ich eher auf eine Höhle. Wird sicher genauso bequem wie diese Mine hier, aber mit uns Forschern kann man so was ja machen …“
    Da hatte sie recht. Ich hoffte nur, dass sich diese Idee nicht als böser Fehler herausstellen würde. Abgeschworene, Banditen, … womit würden wir es noch alles zu tun bekommen?
    Moonlord ist offline Geändert von Moonlord (16.12.2013 um 10:17 Uhr)
  15. #15 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    Kapitel 14 - Die Geschichte von S'Abirad von Suri

    [Bild: FALMER_A.png]

    uf

    der Karte hatte es so nah ausgesehen. Ich hätte auf einen Marsch von drei bis vier Stunden getippt, was bei dem herrlichen Sonnenschein, den uns die Götter heute beschert hatten, ein Spaziergang gewesen wäre. Leider sah die Wirklichkeit immer etwas anders aus.
    „Die Berge sind zu unwegsam“, klärte mich Tiluva auf. „Ein einzelner Wanderer kommt vielleicht durch, wenn er die Gegend kennt, aber wir mit dem ganzen Gepäck hätten keine Chance. Freut Euch schon mal auf einen Tag mit Blasen an den Füßen oder, wenn Ihr die Kutsche bevorzugt, Blasen am …“ Sie grinste.
    Ja, ich „freute“ mich darauf. Immer noch hatte ich die holperigen Straßen von unserer Anreise im Gedächtnis, oder nur das kurze Stück von Markarth.

    Eine Stunde später brachen wir auf. Obwohl die Reise lang war, sie dauerte tatsächlich mehr als einen Tag, passierte nichts, worüber es sich gelohnt hätte, viele Worte zu verlieren. Zuerst überquerten wir den Karth, folgten dann der Straße nach Osten, später sogar nach Süden und kamen schließlich an einen anderen Fluss, den wir ebenfalls überquerten. Genau an dieser Stelle stand ein befestigtes Lager, welches man die Räuberschlucht nannte. Früher sollten hier Banditen „Wegzölle“ erhoben haben, doch ab und zu hatte auch der Jarl dieses Landstriches ein Einsehen mit den geplagten Reisenden und schickte einen Trupp Soldaten vorbei. Wir hatten gerade die Zeit nach solch einer Säuberung erwischt, das Lager stand leer und niemand behelligte uns.
    Danach ging es nordwärts, immer in Sichtweite des Flusses, bis wir spät am Abend eine uralte, mit Drachenköpfen verzierte, Brücke passierten. Wir hatten den Ort Drachenbrügge erreicht.

    In der Herberge „Fünf Schilde“ stießen wir auf Nennuin. Er hatte seine Geschäfte in Morthal erledigt und wartete bereits auf uns.
    „Ah, seine Heiligkeit Professor Salenquil“, begrüßte er mich spöttisch. „Habt Ihr Euren Patienten erfolgreich aufgepäppelt?“
    Ich beschränkte mich darauf, ihm einen bösen Blick zuzuwerfen. Ja, ich hätte etwas antworten sollen, doch mir fiel nichts Passendes ein. Nennuin schien das sogar noch zu belustigen. Wenigstens rettete mich die allgemeine Begrüßungsrunde vor einem längeren Gespräch. Ich überließ ihn lieber Alvasan.

    „Genießt den Aufenthalt in Drachenbrügge“, meinte Arethi, als wir abends auf der Bank vor der Herberge saßen, um den Himmel zu betrachten. Filigrane Schleier in Blau- und Grüntönen zogen majestätisch vor den schimmernden Sternen dahin, während sich Secunda halb vor Masser geschoben hatte, ein atemberaubender Anblick.
    „Ja, es ist wunderschön hier“, antwortete ich. „Warum kann es nicht immer so friedlich sein auf dieser Welt?“
    Arethi sagte nichts, dafür ließ sich Tiluva vernehmen: „Habt Ihr Euch schon einmal gefragt, wie es sich anfühlt die Monde zu berühren? Ich würde zu gern wissen, aus welchem Stoff sie gemacht sind.“
    „Wenn man den Dwemern glauben kann“, kramte ich aus meinen Erinnerungen hervor, „dann bestehen sie aus Stein. Ich habe so etwas einmal gelesen, vor sehr langer Zeit. Wisst Ihr, ein damaliger Kollege an der Universität war ganz vernarrt in Dwemertechnologie. Er hat alles angeschleppt, was er nur bekommen konnte. Darunter war ein Bericht aus den Observatorien, die man heute noch ab und zu findet. Es heißt, mit dieser Technik ist es möglich, die Monde und die Sterne viel näher zu betrachten, und dabei wollen sie es eben erkannt haben, dass sie aus Stein gemacht sind.“
    Tiluva wandte sich zu mir um und ich glaubte so etwas wie Bewunderung in ihren Augen zu sehen. Es machte mich gleichzeitig stolz und verlegen.
    „Vielleicht stimmt es“, warf ich schnell ein. „Oder vielleicht haben sie sich auch geirrt. Das wissen die Götter allein.“
    „Hmh, die Götter müssen es wissen.“ Tiluva seufzte leicht. „Welch unglaublich starke Magie muss nötig sein, zwei so große Steine permanent schweben zu lassen. Ich beneide die Götter dafür nicht. Das muss doch langweilig werden …“
    „Bitte Gräfin, habt Acht was Ihr über die Götter sagt!“ In Arethis dunkler Stimme schwang eine leichte Rüge mit.
    „Sie meint es sicher nicht böse“, sagte ich schnell und Tiluva stimmte mir zu.
    „Ich weiß.“ Arethi bemühte sich, die gelöste Stimmung dieses Abends nicht zu verderben. „Es ist mir nur so rausgerutscht, der Eifer einer Tempeldienerin. Verzeiht bitte, Gräfin.“
    Eine Weile schauten wir nur dem Schauspiel der Nordlichter zu. Dann ergriff ausgerechnet Arethi noch einmal das Wort: „Einst gab es eine Zeit, lange vor dem Großen Krieg, da führte mich eine Pilgerfahrt durch viele Provinzen des Reiches. Ich sah Gramfeste vor dem Roten Jahr, sah die Sümpfe der Schwarzmarsch und die wandernden Städte Valenwalds, und ich sah die Weite der Savannen Anequinas, das damals noch Elsweyr hieß. Eines Nachts erzählte dort ein alter Khajiit eine Geschichte, an die ich mich erinnere, immer wenn ich in die Monde sehe. Sie erklärt, warum Secunda kleiner ist als Masser, und es ist auch eine Liebesgeschichte. Möchtet Ihr sie hören?“
    „Warum nicht?“ meinte ich.
    Als auch Tiluva ihr „Meinetwegen“ gemurmelt hatte, lehnte sich Arethi zurück und begann mit ihrer tiefen ruhigen Stimme zu erzählen.
    „Die Geschichte begann in einem kleinen Dorf am Rande der Wüste. Es war eine harte Zeit, auch ohne Krieg, denn schon lange war der Regen ausgeblieben. Das Korn auf den kleinen Feldern reichte kaum, um die hungrigen Mäuler zu stopfen und die Ziegen waren dürr und schwach, sie gaben nur wenig Milch.
    Nur einer Familie ging es gut im Dorf, der des Ältesten. Ri’Bassa war ein harter und geiziger Mann. Die Hälfte der Felder und Herden gehörte ihm allein, doch er teilte mit niemandem. Nur seine Tochter Suri lag ihm am Herzen, denn sie war schön und fleißig und würde, wenn er sie klug verheiratete, ihm noch mehr Ansehen und Reichtum einbringen.
    Eines Tages kam eine Karawane durch das Dorf. Die Händler boten ihre Waren feil, erzählten Neuigkeiten aus der weiten Welt und brachten damit etwas Abwechslung in den grauen Alltag. Abends wurde ein großes Feuer auf dem Dorfplatz angezündet. Man schwatzte und tanzte und war guter Dinge. Auch Suri sang und tanzte, besonders oft mit S'Abirad, einem jungen Krieger, der die Karawane begleitete. Die beiden verstanden sich auf Anhieb so gut, dass sie sich unsterblich ineinander verliebten.
    Als die Karawane am nächsten Morgen weitergezogen war, suchte Ri'Bassa seine Tochter vergebens. Suri war fort.
    In aller Eile sandte er die Männer des Dorfes aus, um sie zurückzuholen. Die Karawane war bald eingeholt, Suri gefunden und als Strafe für die Entführung wurden die Händler kurzerhand erschlagen. Nur S'Abirad ließen sie am Leben, weil Suri sich weinend vor ihn warf. Doch sie fesselten ihn und schleppten ihn zu Ri'Bassas Haus.
    Dort bat Suri ihren Vater noch einmal um S'Abirads Leben. Sie schwor bei den Göttern der Wüste, nur ihn heiraten zu wollen und niemand anderen.
    Ri'Bassa war zuerst wütend, doch als er sah, wie ernst es seiner Tochter war, gedachte er, sich den jungen Mann mit einer List vom Halse zu schaffen. Also sprach er zu ihm: „Du siehst, wie schön Suri ist, und du weißt schon, dass ich sie nicht jedem Dahergelaufenen zur Frau geben kann. Was also hast du für sie zu bieten?“
    Und S'Abirad antwortete: „Ich liebe Eure Tochter, Hoher Herr, ich werde für sie sorgen und sie mit meinem Leben vor allem Ungemach beschützen.“
    Doch Ri'Bassa erwiderte: „Dies gilt mir nichts, denn es wiegt nichts in meiner Hand. Bringe mir etwas, was sonst niemand besitzt, so soll Suri dir gehören.“
    Da war S'Abirad tief betrübt, denn er besaß nichts von Wert, was er Ri'Bassa geben könnte. Und als er traurig zum Himmel aufschaute, erschienen die Monde am Horizont, groß und leuchtend. S'Abirad fasste wieder Mut und in einem plötzlichen Entschluss sagte er: „So wie Ihr es wünscht soll es geschehen. Ich werde Euch ein Stück der Monde bringen. Dann sollt Ihr mir Suri zur Frau geben.“
    Ri'Bassa rieb sich die Hände, wusste er doch wie weit die Monde entfernt waren, und im Bewusstsein S'Abirad niemals wiederzusehen stimmte er zu.
    Am nächsten Morgen verabschiedete sich S'Abirad von Suri und trat seine Reise an ...“

    Hier wurde Arethi unterbrochen. Die junge Schankmaid trat heran, um uns einige Becher heißen Mets zu bringen. Dankbar nahmen wir die Getränke an. Es war empfindlich kühl geworden, doch niemand verspürte das Verlangen, schon jetzt die stickigen Räume der Herberge aufzusuchen. So kam ein warmer Schluck gerade recht.

    „Die Geschichte der Reise ist noch sehr lang und an vieles kann ich mich nicht mehr genau erinnern“, fuhr Arethi schließlich fort. „Aber S'Abirad hatte viele Gefahren zu bestehen und widerstand mancher Versuchung, die ihn vom rechten Weg abbringen wollte. Schließlich hatte er das Ende der Welt erreicht. Er stand auf einer Klippe über dem Meer, den Blick auf die Monde gerichtet, die in all der langen Zeit nicht näher gerückt waren. Da erkannte er, dass er sie nicht zu erreichen vermochte, was immer er auch tat. Er würde Suri wohl niemals wiedersehen. Darüber wurde er so traurig, dass er sich hinsetzte, um am Rande der Welt zu sterben. Viele Tage saß er so, aß nicht und trank nicht und bewegter sich nicht.
    Endlich hatte die Göttin der Winde Mitleid mit ihm.
    „Ich habe deinen Weg beobachtet“, sprach sie zu ihm, „und nichts was ich sah, hat nur den geringsten Tadel verdient. Dein Herz ist rein und dein Glaube stark. Darum will ich dir deinen Wunsch erfüllen.“
    Sie blies ihren Atem in Richtung des nächsten Mondes, worauf eine Brücke aus weißem Licht entstand, sanft leuchtend in der Nacht.
    „Geh nun und nimm ein Stück dieses Mondes. Und dann kehre zu Deiner Liebe zurück.“
    Die Göttin verschwand und S’Abirad tat wie ihm geheißen war. Jedoch war er bescheiden, er schnitt nur einen schmalen Rand des Mondes ab, damit er weiterhin rund und schön für alle anderen leuchten konnte. Damit kehrte er in das Dorf zurück.
    Als Ri’Bassa sah, dass S’Abirad sein Wort gehalten hatte, da konnte auch er sein Versprechen nicht brechen. Schweren Herzens stimmte er der Vermählung zu.

    So endet die Geschichte, auch wenn sie nicht erklärt, was mit den Teilen des Mondes geschehen ist. Doch seither, so sagen die Khajiit, ist der eine Mond etwas kleiner als der andere, aber beide sind nach wie vor schön.“

    [Bild: krysosdrachenbji6ty12493_thumb.jpg]
    Screenshot von Krysos1962

    Nachdem Arethi geendet hatte war es lange Zeit still. Ich schaute zu Secunda hoch und ertappte mich wirklich dabei, nach Spuren von S’Abirads Messer zu suchen. Ich glaube, ich lief rot an, nur merkten es die beiden Frauen nicht, da uns inzwischen sanfte Dunkelheit umschloss.
    „Eine schöne Geschichte“, meinte ich schließlich, nur um etwas zu sagen.
    Arethi nickte. „Ja, in ihrer ganzen Länge ist sie noch viel schöner. Der Khajiit hat damals zwei Nächte gebraucht um alles zu erzählen. Vor allem S’Abirads Weg bis zum Rand der Welt hat es in sich …
    „Ich fand sie ja etwas kitschig“, merkte Tiluva an. „Und ehrlich gesagt wundert es mich, dass sich eine Tempeldienerin wie Ihr es seid, so auf die Mythen anderer Völker einlässt. „Göttin des Windes“, „Sandgeister“, „Heiliger Atem der Wüste“ … müsstet Ihr so etwas nicht als blankes Heidentum ablehnen?“
    Selbst in der Dunkelheit glaubte ich einen lauernden blick in Tiluvas Augen wahrzunehmen. Ich schob ihn aber auf die reichlich bekannte Antipathie zwischen den beiden.
    „Ja, müsste ich“, gab Arethi überraschend freimütig zu, „und ich tue das selbstverständlich auch … normalerweise. In diesem Fall geht es aber nur um eine Geschichte aus alter Zeit, da sollte ein bisschen Aberglaube schon erlaubt sein, findet Ihr nicht auch? Soweit ich weiß besitzen die Khajiit keine Schrift. Alles was sie nicht mündlich weitergeben wird eines Tages verschwunden sein. Ich fände das traurig.
    „Das kann ja sein. Doch warum lernen sie nicht einfach Schreiben?“
    So langsam beschlich mich das Gefühl, dass die Gräfin heute ihren aggressiven Abend hatte, eine Seite die ich an ihr äußerst selten bemerkte. Bevor mir etwas einfiel, was die Situation entschärfen konnte, beantwortete sie sich ihre Frage bereits selbst: „Ganz einfach, weil sie nicht wollen. Die Katzen geben sich unnahbar, verschlossen, heimlichtuerisch. Das passt nicht in unsere Zeit. Sie legen gar keinen Wert darauf, sich als vollwertige Bürger des Bundes zu integrieren. Lieber bleiben sie unter sich und spielen Verschwörung. Meinen Vetter solltet ihr einmal hören. Er ist in Pelletine stationiert, wo er das ganze Drama täglich hautnah erlebt. Wenn er in seinem Urlaub heimkommt, werden ganz andere Geschichten erzählt. Wisst Ihr, dass höchstens zehn Prozent der Katzen Auri-El auch nur kennen? Das wäre nach meiner Meinung die Aufgabe des Tempels, die Heidenbekehrung in den eigenen Provinzen …“
    Tiluva war aufgesprungen und hatte jetzt – wieder einmal – eine offen feindselige Haltung gegenüber Arethi eingenommen.
    „Tiluva, bitte.“ Mein Versuch, ihre Hand zu nehmen und sie wieder auf die Bank zurückzuziehen, scheiterte kläglich. Tiluva entwand sich mir. Der Zauber der klaren Mondnacht war zerstört.
    „Ist doch wahr“, sagte sie. „Was tut die Priesterschaft denn den ganzen Tag? Zu Auri-El beten kann ich auch allein, wenn ich seiner Hilfe bedarf. Ein paar Hochzeiten arrangieren, ein paar Feste vorbereiten, das kann ja nicht so schwer sein. Da bleibt immer noch genug Zeit zum Blutsau…“
    „Tiluva!“
    War ich jetzt wirklich laut geworden? „Tiluva, bitte …“, setzte ich leise nach.
    „Schon gut.“ Auch Arethi hatte sich erhoben. Ihre orangefarbenen Augen leuchteten im Dunkel. „Ich gehe dann mal ein paar Dörfler aussaugen. Gute Nacht.“
    Damit wandte sie sich um und verschwand im Haus.

    Tiluva beruhigte sich nur langsam wieder.
    „War das wirklich nötig?“, fragte ich nach einer Weile, in der wir nur still nebeneinander auf der Bank gesessen hatten.
    Sie schniefte.
    „Heh, was ist los? Weint Ihr etwa?“
    „Nein!“ Es sollte fest klingen, doch ihre Stimme zitterte leicht. Ich nahm ihre Hand, die sie mir nun nicht mehr entzog und spürte ein leichtes Beben. Ich wartete.
    „Mein Vetter … der aus Pelletine …“, begann sie schließlich kaum hörbar. „Er und Sibeli waren erst ein Jahr verheiratet, als sie nach Torval gingen … Sibeli war meine beste Freundin, wisst Ihr, wir sind zusammen aufgewachsen … und dann …“ Sie schluchzte. „Schon auf der Hinreise wurden sie überfallen … Renrijra Krin, diese skoomasüchtigen Mörder … wie ich diese Katzen hasse …“
    Jetzt weinte sie hemmungslos. Ich nahm sie in den Arm und hielt sie einfach nur fest.
    Deshalb also hatte Tiluva so aggressiv reagiert. Nun verstand ich sie. Es war schwer, jemanden zu verlieren, mit dem man so viel Zeit verbracht hatte, die ganze Kindheit gewissermaßen. Ich musste an Sereth denken, die mir die dreihundert glücklichsten Jahre meines Lebens geschenkt hatte. Wie ähnlich Tiluva ihr war …
    Sanft strich ich ihr über die Haare und fühlte mich in die Zeit zurückversetzt, als sich meine kleinen Töchter bei mir ausgeweint hatten. Was war nur los in dieser Welt? Warum nur wurden immer nur die Besten unter uns so schwer von den Göttern geprüft?
    Erneut schaute ich zu den Monden empor, die jetzt langsam hinter dicken Wolken verschwanden. Ein schöner Abend hatte ein trauriges Ende gefunden. Was kam als nächstes?
    Moonlord ist offline Geändert von Moonlord (16.12.2013 um 10:19 Uhr)
  16. #16 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    Kapitel 15 - Ralas Land

    [Bild: FALMER_D.png]

    er

    neue Tag hatte kaum etwas mit dem vergangenen gemein. Wieder einmal war das Wetter umgeschlagen, so gründlich wie es nur im nördlichen Reach passieren konnte. Alles war grau. Vom Fluss stiegen leichte Nebel auf, legten sich zwischen die Häuser und schufen im ständig wechselnden Wind bizarre Schemen, die ein Eigenleben zu führen schienen.
    Als alles für unseren Aufbruch vorbereitet war, setzte leichter Sprühregen ein. Der Nebel wurde dadurch zwar auf Kniehöhe zusammengedrückt, hielt sich aber dort umso hartnäckiger.
    „Können wir nicht einfach einen Tag länger bleiben?“ fragte Tiluva, der die Geschichte von gestern immer noch anzumerken war. So wie sie um die Augen aussah, hatte sie mehr geweint als geschlafen und tat mir richtig leid.
    „Nein, können wir nicht“, war Alvasans Antwort. „Wir werden erwartet“, setzte er noch dazu. Damit zog er seinen Kapuzenmantel fest zu und ging los. Wir anderen folgten ihm.
    Gleich hinter der Sägemühle wartete ein Boot, welches uns über den kleinen aber reißenden Nebenfluss des Karth brachte. Unsere Pferde warteten bereits dort auf uns, beaufsichtigt von der Dienerschaft, und gleich darauf stiegen wir in die Sättel. Es ging los.

    Ein kaum zu erahnender Pfad führte dicht am Fluss entlang nach Süden. Der Boden war rutschig, besonders bei diesem Wetter, und strotzte nur so vor Geröll und Unebenheiten. Da ich kein geübter Reiter war, fiel es mir schwer, mich dem ständig wechselnden Rhythmus meines Pferdes anzupassen. Nach dem dritten Straucheln stieg ich genervt ab. Es brachte nichts, sich bei einem etwaigen Sturz des Tieres den Hals zu brechen. Ich war bei weitem nicht der einzige Fußgänger. Sowohl die Khajiit als auch unser Thalmor-Begleitschutz gingen neben den Pferden her. Ich hielt also niemanden auf.
    Kurz überlegte ich bei den Fuhrwerken mitzulaufen, wo Ra'Shirr schon wieder kräftig mit zufasste. Immer wieder musste in die Speichen gegriffen oder ein Rad mit Hebeln aus einer Bodensenke befreit werden. Etwas Hilfe hätten sie sicher zu schätzen gewusst. Aber ob Alvasan das gebilligt hätte? Stolz wie ein König thronte er auf seinem weißen Hengst, die Augen starr geradeaus gerichtet und trotzdem alles im Blick, was im Tross passierte. Mittlerweile kannte ich ihn gut genug um zu wissen, dass ich zumindest in seinem Beisein die Standesunterschiede zu wahren hatte.
    Und dann war da noch Gräfin Tiluva. So geknickt und durchgeweicht, wie sie mittlerweile auf ihrer Fuchsstute hing, musste ich auch Rücksicht auf ihre Gefühle nehmen. Sicher, nicht alle Khajiit waren gleich, das hatte ich ja von Ra'Shirr und den Händlern am Fluss erfahren. Es gab herzensgute Seelen unter ihnen, ebenso wie finstere und brutale Gestalten. Doch gab es die nicht in jedem Volk? Wie auch immer, ich konnte nach dem, was sie mir gestern anvertraut hatte, mich nicht so demonstrativ auf die Seite der Khajiit stellen. Es ging einfach nicht.

    Wir hatten gerade die Reste einer alten Kultstätte hinter uns gelassen als sie kamen.
    Pfeile schwirrten plötzlich um uns herum und dann schrie Tiluva schrill auf. Ich war so erschrocken, dass ich gar nicht daran dachte, in Deckung zu gehen. Mein Kopf ruckte wie von selbst herum, folgte dem Schrei und ich musste mit ansehen, wie die junge Altmer in hohem Bogen über den Kopf ihres Pferdes flog, während das Tier, von mehreren Pfeilen getroffen, unter ihr zusammenbrach.
    An Hilfe war nicht zu denken, dafür stand ich zu weit entfernt. Ich konnte nur zusehen und hoffen, dass ihr nichts weiter geschah. Ra'Shirr jedoch stand genau in Tiluvas Flugbahn. Geistesgegenwärtig hob er die Arme, fing sie auf und hielt sie einen Augenblick wie seine Geliebte in den Händen, ihre Gesichter nur eine Haaresbreite voneinander entfernt.
    Tiluvas zweiter Schrei war fast noch panischer als ihr erster. Beim Versuch sich aus den Armen des Khajiit zu befreien, plumpste sie doch noch auf den steinigen Boden, rappelte sich unter Flüchen, die ich hier lieber nicht aufschreibe, wieder auf und humpelte mit schmerzverzerrtem Gesicht in meine Richtung. Trotz der Gefährlichkeit der ganzen Situation um uns herum konnte ich mir kaum ein Grinsen verkneifen.

    Sogleich gab es anderes zu tun. Ich schaute mich kurz um. Nicht nur Tiluvas Pferd war erschossen worden, auch die Tiere von Alvasan, Arethi und Nennuin lagen verendend auf dem Boden. Harrans brauner Wallach war mit einem Pfeil im Hinterteil durchgegangen und bald außer Sichtweite.
    Den Reitern selbst war zum Glück nichts passiert, wenn man von einigen Prellungen absah.

    Hier wo wir gerade standen, führte der Bergpfad durch eine kleine Senke zwischen zwei niedrigen aber steilwandigen Felsblöcken hindurch. Auf diesen erschienen jetzt auch die Schützen, größtenteils Männer in Lederschurzen und mit Ketten aus Tierzähnen und Krallen behängt. Jeder hielt seinen schussbereiten Bogen in den Händen.
    „Bleibt stehen! Wehrt euch nicht!“, rief einer von ihnen zu uns herab. „Keine Magie, dann geschieht euch nichts!“
    Nennuin, der bereits die Hand gehoben hatte, um einen seiner gefürchteten Blitzzauber zu wirken, ließ sie auf einen Blick Alvasans hin wieder sinken.
    „Wartet noch“, raunte der Fürst ihm zu. „Wir haben ein Abkommen mit denen. Sie haben uns vielleicht nicht erkannt, aber sie werden sich daran halten müssen.“
    „Und wenn nicht?“ Nennuin blickte skeptisch. „Wenn sie nicht zu Bellocs Gruppe gehören?“
    „Dann werden wir sehen.“
    „Dort, seht!“ Harran hatte die drei zuerst entdeckt. Alle Blicke richteten sich nach vorn und ich spürte wieder Tiluvas Hand, die sich in meinen Arm krallte. Ich hatte gar nicht bemerkt wie sie zu mir getreten war.

    Drei Menschen näherten sich uns, darunter ein großer, verwegen aussehender Mann mit einem Kopfputz aus Hirschgeweih und Federn. Er war fast nackt, wie alle Abgeschworenen, die ich bisher gesehen hatte. Arme und Beine waren mit Lederriemen umwickelt, in denen ebenfalls Knochenstückchen und Federn steckten. Sein Gesicht war bartlos, der Schädel unter dem Kopfputz kahl und die Form von Augen und Ohren ließen auf etwas Elfenblut in seinen Adern schließen. Er war ein Bretone wie er im Buche stand. Nur ein Detail fiel sofort an ihm auf: Direkt über dem Herzen trug er eine schwarz verfärbte, mit großen Stichen vernähte Wunde auf der Brust.
    Damals wusste ich es noch nicht, aber ich stand einem der berüchtigten Dornenherzen gegenüber.

    Zwei Frauen begleiteten ihn auf gleicher Höhe. Auch sie waren nur in Felle gekleidet, jedoch so dürftig, dass es mir die Schamesröte ins Gesicht trieb. Wie konnten sie nur so herumlaufen? Damit forderten sie Übergriffe ja direkt heraus.
    Ein Blick in ihre Gesichter widerlegte jedoch meine Befürchtungen sofort. Nein, jeder der sich an einer der beiden vergriff musste lebensmüde sein. Fanatismus leuchtete in ihren Augen, vielleicht auch Wahnsinn, die Unterschiede sind dort ja fließend. Sie schienen es sogar zu genießen, begafft zu werden, so wie Sandvipern, die ihre Beute erst mit rhythmischen Bewegungen hypnotisieren, bevor sie ihre giftige Fangzähne in sie schlagen.

    Etwa zehn Schritte vor Alvasan hielten sie an. Die jüngere der Frauen – sie schien die Anführerin zu sein – trat noch ein Stück vor.
    „Was wollt Ihr?“ blaffte Alvasan, noch ehe sie den Mund aufgemacht hatte. Über das Gesicht des Dornenherzen zog ein Schatten.
    „Das ist kein guter Anfang“, flüsterte ich Tiluva zu, die sich daraufhin näher an mich drängte. Jedoch schien die Abgeschworene Alvasans Frage eher belustigend als provozierend zu finden. In einer obszönen Pose stellte sie sich vor ihm auf, grinste ihn an und erwiderte: „Willkommen in Ralas Land, Thalmor. Habt Dank für das Pferdefleisch, welches Ihr uns als ersten Teil Eures Wegzolls gebracht habt. Und nun seid brav, legt Eure Waffen ab und begleitet uns in Frieden. Rala freut sich schon darauf, Euch kennenzulernen.“
    „Wir gehen nirgendwohin!“ Alvasans Stimme klang fest. „Lasst uns passieren! Wir haben ein Abkommen mit Belloc, das uns sicheres Geleit im Reach garantiert.“
    „Oh, Belloc.“ Sie hob theatralisch die Hände und zog einen Schmollmund, der sie noch verdorbener aussehen ließ. „Der böse böse Belloc. Das ist aber schade, dass Ihr Euch ausgerechnet auf diesen garstigen Jungen beruft. Rala wird nicht erfreut sein, das zu hören. Oh nein, das wird sie nicht. Ich befürchte, der Wegzoll hat sich gerade verdoppelt.“
    „Jetzt!“ Alvasan sagte nur dieses eine Wort und Nennuin schlug zu. Die ganze Zeit schon hatte er seine magische Energie gesammelt. Nun entlud sie sich in einem gleißenden Blitz auf die Frau. Ich erstarrte. Hatte der Alte den Verstand verloren? Ihm musste doch klar sein, dass wir diesen Angriff alle mit unserem Leben bezahlen würden, da immer noch dutzende Pfeile auf uns gerichtet waren.
    „Y'ffre, erbarme Dich meiner Seele, führe sie heim zu den Geistern des Waldes ...“, flüsterte ich während sich Tiluvas Griff um meinen Arm löste. Ohnmächtig sackte sie neben mir nieder.
    Doch wider Erwarten bleiben die Pfeile aus. Ich schaute auf, erwartete, dass die Frau tot sein würde, dass nur ein Häufchen rauchender Asche von ihr geblieben war, jedoch sie lebte noch und nicht nur das. Obwohl ihre Haut oberhalb des Nabels, da wo Nennuins Blitz sie getroffen hatte, eine schwarz verschmorte Stelle aufwies, obwohl immer noch kleine Blitze um sie zuckten, stand sie da wie vorher und lachte dem Inquisitor schallend ins Gesicht.
    „Mehr haben die großen Thalmor nicht zu bieten?“ quiekte sie. „Wie habt Ihr es nur geschafft den Krieg zu gewinnen? Seht, so sieht wahre Magie aus. Spürt Ralas Macht!“
    Ihre Antwort warf uns buchstäblich um. Auf Nennuins Blitz antwortete sie mit Feuer, einer gewaltigen Explosion, die uns alle von den Füßen fegte. Alvasan, der ganz vorne stand, hatte es noch geschafft, einen Schild um sich aufzubauen, der das Meiste von ihm abhielt. Nennuin jedoch war zu langsam. Augenblicklich stand er in Flammen. Niemals hätte ich gedacht, dass ich einmal solch entsetzliche Schreie aus dem Mund eines Thalmor-Offiziers hören würde. Wimmernd wälzte er sich auf dem Boden, um die Flammen zu ersticken und lag schließlich still. Nur ein leises Schluchzen verriet, dass noch Leben in ihm war. Trotz allen Mitleids das er damit erweckte war es einfach würdelos.
    „Möchte sonst noch jemand sein Verständnis von Magie demonstrieren? Nein? Ihr auch nicht, alter Mann?“, wandte sich die Abgeschworene spöttisch an uns und vor allem an Alvasan. „Gut, dann werdet Ihr uns jetzt sicher folgen wollen.“ Sie drehte sich um, als ob dies die selbstverständlichste Sache der Welt wäre, nickte dem Dornenherz zu und schritt voran. Langsam folgten wir ihr. Was hätten wir auch tun sollen? Ich war mir sicher, dass alle drei zusammen zu weit schlimmerem in der Lage waren, als diese Demonstration gezeigt hatte.

    Zwei der Soldaten hatten Nennuin aufgeholfen und stützten ihn, während er mit unsicheren Schritten folgte. Harran ging neben ihm, ständig Heilzauber auf ihn wirkend, die aber erst einmal nur sein Leben erhalten und vielleicht die größten Schmerzen etwas lindern konnten. Nennuin sah furchtbar aus. Verbrannte Haut hing ihm in Fetzen im Gesicht und an den Händen, seine Rüstung war rußgeschwärzt, die Stoffteile verbrannt. Der sonst so hochmütige Alleskönner hatte seine Meisterin gefunden. Nur glücklich war ich darüber nicht. Eine ordentliche Abreibung hatte er für sein Auftreten in der letzten Zeit schon verdient, dies jedoch ging weit über das erträgliche Maß hinaus.
    „Was werden sie mit uns tun?“, fragte Tiluva flüsternd, nachdem wir bereits eine gute Stunde lang schweigend den dreien gefolgt waren.
    „Ich weiß es nicht. Vielleicht … eine Lösegeldforderung?“ Unsicher sah ich ihr ins Gesicht. „Zumindest haben sie uns nicht getötet, nur die Pferde ...“
    „Aber Nennuin ...“
    „Nennuin ist selbst schuld. Tut mir leid, es so hart sagen zu müssen. Er war immer so verdammt überzeugt von sich und seiner Magie. Irgendwann musste das ja mal schief gehen.“
    „Er tut mir auch leid“, seufzte sie. „Ich mag ihn nicht, aber das hat niemand verdient.“
    Damit sprach sie genau meine Gedanken aus. Ich konnte ihr nur zustimmen.

    [Bild: krysosbruca01zfbxkasc7l_thumb.jpg]
    Screenshot von Krysos1962

    Nach einer weiteren Stunde beschwerlichen Fußmarsches sahen wir unser Ziel auftauchen. Es war ein Lager, ein paar Zelte aus Tierfellen unter freiem Himmel mit Holzpalisaden drum herum, mehr nicht. Genau im Zentrum, neben einem großen Feuer, ließ man uns warten. Die Abgeschworenen, die uns gefangen hatten, es waren so um die dreißig, verteilten sich. Manche verschwanden kurz in den Zelten oder gingen wieder anderen Beschäftigungen nach, doch immer sahen genug von ihnen zu uns herüber, um den Gedanken an eine Flucht gar nicht erst aufkommen zu lassen.
    Auch das Dornenherz und die beiden Frauen, deren Namen wir immer noch nicht erfahren hatten, liefen mit den anderen herum. Zuerst hatten sie das Abladen der Wagen beaufsichtigt. Unsere gesamte Ausrüstung wurde auf mehrere große Stapel gepackt, sinnvollerweise nach der Größe der Kisten und Säcke sortiert, nicht nach dem Inhalt. Es würde viel Mühe machen, das alles wieder zu ordnen …
    Ach was, warum machte ich mir Gedanken darüber? Es gab wahrlich Wichtigeres.
    Ich hatte mich geirrt, was das Lager anging. Halb verdeckt von einem der größeren Zelte gab es eine Tür, die in den Berg hineinführte. Eigentlich hätte ich es mir denken können. Himmelsrand und ganz besonders das Reach waren ja dermaßen von Höhlen durchzogen, dass es sich am besten mit einem gigantischen Stück Totholz vergleichen ließ, in das Käferlarven ihre Gänge gefressen hatten.

    Eine Stunde hatten wir bereits gewartet, oder länger, als unsere „Freundin“ wieder zu uns kam. „Ihr … Ihr … und Ihr“, sie deutete dabei auf Alvasan, Arethi und mich, „kommt mit mir. Rala ist jetzt bereit Euch zu empfangen.“
    Schön, Rala war bereit. Ich war es jedenfalls nicht und auch Arethi zögerte kurz. Einzig Alvasan ließ ein knurriges „Na endlich“ hören, bevor er ihr energisch folgte. Es blieb uns nichts weiter übrig als es ihm gleichzutun.
    Wie vermutet ging es in die Höhle. Unsere Führerin lief so zügig, dass es fast unmöglich war, sich Details des Weges zu merken. Zum Glück war das nicht nötig, es gab kaum Abzweigungen und der Stollen führte ständig bergab. Allerdings bot sich so auch keine Gelegenheit uns abzusprechen, denn vier weitere Krieger waren uns dicht auf den Fersen, ja sie schoben uns beinahe vor sich her.
    Ralas „Thronsaal“ war klein, eine Kaverne die kaum zehn Schritt in jede Richtung maß, und sie stank nach Tod. Der Geruch war schon im Gang übel genug gewesen, jetzt erschlug er uns beinahe, sodass wir alle drei mit dem Brechreiz zu kämpfen hatten. Zu allem Überfluss zwang man uns, genau zwischen zwei Haufen verwesender Leichenteile stehenzubleiben. Es war grausam. Gliedmaßen aller möglicher Lebewesen lagen dort, bleiche Knochen, Hörner und Fellreste. Ich betete zu Y'ffre, dass es nur Tiere sein mochten. Die Antwort kam prompt, wenn auch nicht von meinem Gott.
    „Diese drei habe ich für Euch ausgewählt, Mutter Rala. Mögen sie Euch ein Genuss sein.“ Unsere Führerin verneigte sich tief und trat zur Seite. Der Blick auf einen Thron aus Knochen war frei, und darauf saß eine Gestalt, der man in seinen dunkelsten Träumen nicht begegnen mochte. Die Abgeschworene hatte sie „Mutter“ genannt. Wenn dies kein Ehrentitel war, so saß vor uns etwas, das einmal eine Frau gewesen sein musste. Jetzt jedoch sah sie einem Vogel viel ähnlicher, einem großen hässlichen Aasfresser im struppigen schwarzen Federkleid. Selbst die große gebogene Nase erinnerte an einen Schnabel, und die Beine …
    „Ein Hexenrabe“, hauchte Arethi entsetzt. Sie war totenblass geworden.
    Rala erhob sich ächzend, gebeugt trat sie ein paar Schritte auf uns zu und musterte uns.
    „Gut gemacht, Shia, gut gut. Leckere Häppchen für Rala.“ Eine ekelhaft graue Zunge fuhr über ihre dünnen Lippen. „Magie mundet lecker, Wissen schmeckt süß und Glaube schmeichelt dem Gaumen. Rala wird ein vortreffliches Mahl haben.“
    Sie kicherte und strich sich in einer Geste ekelhafter Vorfreude über den nackten Bauch. „Doch vorher sagt, was führt Euch in Ralas Land, kleine Häppchen?“
    Ich merkte, dass ich vor Angst keinen Ton herausbekam, während Arethi leise vor sich hin murmelte, die Augen geschlossen. Hilfesuchend schaute ich mich um. Doch wer würde uns schon beistehen? Shia sicherlich nicht. Sie hockte grinsend an der Seitenwand um das kommende Schauspiel zu verfolgen. Die vier Abgeschworenen hinter uns standen still und mit ausdruckslosen Gesichtern zusammen. Sie würden jede Flucht verhindern, das war sicher.
    Wieder stellte sich heraus, dass Alvasan für solche Situationen am besten geeignet war.
    „Ich bin Fürst Alvasan aus Alinor“, sprach er mit fester Stimme. „Ich bin der Leiter dieser Expedition unter dem Schutz der Krone von Alinor, und ich habe ein Abkommen mit Belloc von Druadach, das mir freies Geleit durch das nördliche Reach zusichert. Ich fordere von Euch, mich und meine Leute unverzüglich freizulassen.“
    „So so“ Rala war während Alvasans Rede noch näher herangetreten. Jetzt beugte sie sich vor um Alvasan genauer zu betrachten. Eine dicke Spinne fiel ihr dabei vom Kopf, fing sich an ihrem Faden ab und versuchte wieder hinaufzuklettern. Rala griff nach ihr und steckte sie sich in den Mund. Es knackte leicht. Unmittelbar darauf musste ich mit ansehen, wie sich Arethi neben mir übergab.
    „So so“, sagte der Hexenrabe noch einmal. „Alinor, ja? Thalmor, ja? Böse, böse Thalmor. Keinen Respekt vor der Magie des Reach sie haben, nein, nein. Ralas Land ist nicht Druadach. Bellocs Stimme zählt nicht in Ralas Land. Böser Belloc, hilft Thalmor, verrät alte Götter des Reach. Rala spuckt auf seine Knochen!“
    „Was genau wollt Ihr von uns?“ Alvasans Stimme klang jetzt nicht mehr so sicher wie noch kurz zuvor. „Wir haben Euren Göttern nichts getan. Die Thalmor bekämpfen den Ketzergötzen Talos, das ist wahr, doch nur ihn und seine Anhänger ...“
    „Ach, heute Talos, morgen ein anderer ...“ Sie schüttelte den Kopf leicht hin und her, sodass weiteres Ungeziefer aus ihren strähnigen Haaren fiel. „Morgen vielleicht die Götter des Reach … wer weiß ...“
    „Wollt Ihr Gold? Waffen? Ich kann es Euch besorgen“, versuchte Alvasan das Thema zu wechseln, welches in eine Richtung ging, die ihm nicht gefiel.
    Rala lachte meckernd. „Gold? Seht Euch um. Wozu sollten wir das brauchen? Waffen? Ha! Die Zähne des Wolfes, die Klauen des Bären sind Waffen genug. Nein, Fleisch braucht Rala, zartes saftiges Fleisch ...“ Schnüffelnd rückte sie noch näher an Alvasan heran, ihre Nase berührte beinahe sein Gesicht. Angewidert trat der Fürst einen halben Schritt zurück, mehr ging nicht.
    „Werdet Ihr Rala schmecken, großer Fürst aus Alinor?“ Sie kicherte und ließ dabei eine Reihe fauliger Zahnstummel sehen.
    „Rado îdh faer dofn, rado îdh, rado calad!“ [Finde Ruhe dunkler Geist, finde Ruhe, finde Licht!]
    Arethi hatte gesprochen. Sie hielt Rala ihre Handflächen entgegen, von denen Wellen beruhigender Magie ausstrahlten. Nachdrücklich wiederholte sie ihre Worte gleich noch einmal. Der Hexenrabe zwinkerte verwirrt, dann schüttelte sie sich. Shia und die Wachen hatte Arethis Zauber ebenfalls erreicht. Das Grinsen war aus dem Gesicht von Ralas Tochter gewichen, hatte einem entspannten Ausdruck Platz gemacht. Auch ich fühlte mich merkwürdig leicht und gelöst, ja fast schon geborgen trotz der unheimlichen Atmosphäre um uns herum.
    Rala fing sich am schnellsten wieder. „Glaube beherrscht starke Zauber.“ Anerkennend nickte sie Arethi zu. „Wird es Glaube schützen? Rala weiß noch nicht … Rala wird Glaube zuletzt essen ...“
    „Nein!“ Auch Alvasan hatte sich wieder gesammelt. Entschlossen hob er den Kopf, sah dem Scheusal direkt in die Augen „Nein! Ihr werdet uns nicht essen! Ich biete Euch Fleisch an, saftiges Fleisch, wie Ihr es noch nie gekostet habt. Lasst meine Begleiter gehen, dann werde ich Euch sagen, wo Ihr es findet.“
    Sie überlegte kurz, dann nickte sie. „Gut, geht!“ Kaum waren die Worte gefallen, da griffen uns die Wachen auch schon und schoben uns in den Gang. Alvasan blieb mit Rala und ihrer Tochter allein.

    Quietschend schloss sich die Tür hinter uns. Die Zelle war winzig und bereits mehr als zumutbar belegt. Drei der Thalmor-Soldaten mussten sich den Raum mit uns teilen. Es war so eng, dass nicht einmal für alle Platz zum Sitzen war. Sollte dies das Ende sein? Hatte Alvasan wirklich geglaubt, uns mit falschen Versprechungen freikaufen zu können? Fleisch, das Rala noch nie gekostet hatte … woher würde er es nehmen, wenn sie wirklich darauf einging?
    Kurze Zeit später hörten wir Schritte auf dem Gang. Eine weitere Tür öffnete sich. „Bitte tretet ein in eure Gemächer, hoher Herr“, erklang Shias spöttische Stimme. Dann fiel auch diese Tür ins Schloss.

    Die Stille währte nur ein paar Atemzüge lang, bevor gellende Schreie durch den Gang schallten, hohe schrille Schreie in einer Sprache die ich nicht verstand, einer Sprache, die reich an Zisch- und Klicklauten war. Bestürzt sah ich Arethi an. Sie nickte nur und eine Träne lief ihre Wange herab. Alvasan, dieses Scheusal, hatte tatsächlich Drizza geopfert, seine argonische Dienerin ...
    Moonlord ist offline
  17. #17 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    Kapitel 16 - Belloc

    [Bild: FALMER_W.png]

    ieviel

    Zeit wohl schon vergangen war? Stunden? Tage? Ich hätte es nicht sagen können. Alles war farblos, trostlos, eintönig, meine Welt auf die Enge einer winzigen stinkenden Kerkerzelle reduziert, die ich mir mit vier anderen Personen teilen musste.
    Durch die Ritzen der alten aber stabilen Holztür schimmerte flackerndes Fackellicht. Es genügte, um die rauen feuchten Wände erkennen zu können und die betrübten Gesichter der anderen. Mehr gab es ohnehin nicht, kein Fenster, kein Mobiliar, nicht einmal einen Haufen Stroh, auf dem man hätte ruhen können. So standen wir zusammengedrängt, schwiegen und warteten.
    Die Zeit verstrich.
    Ab und zu hörten wir Schritte im Gang, wenn die Wachen ihre Runden drehten. Es war der einzige Anhaltspunkt dafür, dass es außer uns noch anderes Leben gab.
    Wie sollte es nun weitergehen? Würde uns überhaupt jemand suchen?
    Soweit ich mich erinnerte war niemand bei dem Überfall entkommen, von Harrans Pferd einmal abgesehen, aber das würde schwerlich Hilfe holen. Alvasan hatte sicher auch in Drachenbrügge niemandem erzählt, welches Ziel wir hatten und welchen Weg wir nahmen …

    Alvasan … ich hasste ihn! Diese Selbstverständlichkeit, mit der er ein fremdes Leben geopfert hatte um sein eigenes zu retten, widerte mich an. Ich hatte Drizza zwar kaum gekannt. Erst jetzt fiel mir auf, dass sie eigentlich immer bei uns gewesen war, als wir noch in Karthwasten arbeiteten, wie ein gutmütiger Schatten, der sich um alles kümmerte und doch kaum wahrgenommen wurde. Hatte ich jemals mit ihr gesprochen? Ich konnte mich nicht erinnern.
    Meine Gedanken schweiften weiter ab zu meiner Arbeit in den Laboren. Es kam mir unendlich lange her vor. Wann hatte ich das letzte Mal vor meinen Reagenzgläsern gestanden? Wann die letzte misslungene Mixtur in den Eimer gekippt? So vieles war seither geschehen: Markarth und die Kolskeggr-Mine, das Khajiitlager am Fluss, Bothela, mein Zerwürfnis mit Nennuin, Drachenbrügge, der Überfall, Alvasans Verrat … Wem konnte ich noch vertrauen, wen zu meinen Freunden zählen? Bothela war weit weg. Sie würde wohl nie erfahren was mit uns geschehen war. Ra’Shirr und Tiluva – vielleicht hatte die Ironie des Schicksals sie sogar in die gleiche Zelle verbannt, irgendwo nebenan.
    Sicher gehörte auch Arethi dazu, die so schwer einzuschätzen war. Meist gab sie sich kühl und distanziert, unnahbar wie die Götter selbst, deren Interessen sie vertrat, manchmal jedoch schien sie verletzlich zu sein, hungrig nach Gesellschaft und Geborgenheit. Was dachte sie wirklich? Auf welcher Seite stand sie? Wie stark war sie?
    Die Demonstration ihrer magischen Fähigkeiten bei Rala hatte mich überrascht. Selbst Shia, die Nennuins Blitzangriff so mühelos weggesteckt hatte, war ihrer Macht erlegen. Ja, hinter Arethis Panzer aus distanzierter Gelassenheit steckte mehr als manch einer vermuten würde. Tiluva hätte sicher gesagt: „Seht Ihr, das sind vampirische Kräfte, die sie einsetzt. So machen sie ihre Opfer gefügig …“
    Arethis orangefarbene Augen leuchteten in der Dunkelheit. Welches Geheimnis verbarg sie vor uns? Ich hätte sie gerne danach gefragt, jedoch im Beisein von drei Thalmor-Soldaten brauchte ich mir nicht die leiseste Hoffnung auf eine Antwort machen.

    Metall klirrte leicht als sich der Soldat erhob. Er gähnte herzhaft und streckte sich so gut es ging. „Ihr seid dran“, sagte er zu mir, dann wechselten wir die Plätze. Die Zelle war so beengt, dass immer nur einer von uns im Sitzen etwas ruhen konnte während die anderen standen. Den Soldaten hatte man zudem die Rüstungen gelassen. Was sonst ein gutes Zeichen gewesen wäre, erwies sich jetzt für sie als besonders unangenehm, da es auch nirgends Raum gab, die Sachen abzulegen.
    Langsam ließ ich mich zu Boden gleiten, lehnte mich mit dem Rücken an die feuchte Wand und streckte die Beine aus. Ganz ging es nicht, aber nach dem langen Auf-der-Stelle-Stehen tat es meinen müden Muskeln doch ganz gut.

    Ich musste kurz eingenickt sein und erwachte von Schmerzen im Nacken. Im Sitzen zu schlafen war genauso anstrengend wie das lange Stehen selbst, vor allem wenn man es nicht gewohnt war.
    Arethi reichte mir ihre Hand und zog mich auf die Beine. Ich dankte ihr.
    „Hört! Da tut sich etwas“, flüsterte sie mir zu.
    Wirklich, ganz weit entfernt war Lärm zu hören, ganz leise noch, doch er wurde lauter, kam auf uns zu. Kampfgeräusche? Aber wer kämpfte da? Sollte es den anderen gelungen sein sich zu befreien?
    Bald schon hatte der Tumult den Gang vor unseren Kerkertüren erreicht. Kampfschreie waren zu hören und dumpfe Schläge, jedoch nur ganz selten das Klirren von Metall. Auch die Stimmen kannte ich nicht. Dann erschütterten schwere Detonationen den Gang. Selbst hier drin war die Hitze der Flammen zu spüren. Schrilles fanatisches Lachen drang herein. Das musste Shia sein, die dort kämpfte, aber gegen wen? Immer noch konnte ich mir keinen Reim darauf machen.
    Soweit ich es erkennen konnte, antwortete auch die andere Seite mit Magie. Eine hohe näselnde Männerstimme schrie eine Beschwörung, woraufhin die überhitzte Luft rasch abkühlte. Etwas war im Gang erschienen, etwas Großes, Kaltes. Der Boden zitterte unter stampfenden Schritten.
    „Ein Frostatronach! Sie haben Frostatronachen!", raunte einer der Soldaten hinter mir. Auch wenn er es nicht gesagt hätte, es wäre unverkennbar gewesen.
    Krachend splitterte die Tür, ein unförmiger Arm aus blankem Eis erschien und riss die dicken Bretter auseinander wie dünnes Papier. Dumpf grollend drehte sich das Wesen um, zog seinen Arm zurück und verschwand im Stollen.
    Wir waren frei.
    „Hier steckt Ihr. Beeilt euch bevor sie zurückkommen!“ Noch nie hatte ich mich so gefreut Tiluvas Stimme zu hören. Sie sah ziemlich zerrupft aus, wie sie jetzt schmutzig und mit strähnigen Haaren auf uns zu rannte. Die Zeit reichte gerade für eine kurze Umarmung, dann liefen wir los.
    „Sie sind dort entlang, also muss in dieser Richtung der Ausgang sein.“
    Keiner widersprach. So schnell es ging hasteten wir durch die Gänge, stetig bergauf. Unterwegs stießen wir immer wieder auf Kampfspuren, abgebrochene Pfeile, rußgeschwärzte Stellen an der Wand und auch Tote, etliche Tote. Die meisten von ihnen wiesen schreckliche Wunden auf, wie sie nur mit diesen selbstgebauten Waffen aus Tierzähnen und –krallen verursacht sein konnten. Und noch etwas fiel mir auf: Sämtliche Opfer waren Abgeschworene. Was war hier passiert? An eine Meuterei von Ralas eigenen Leuten wollte ich nicht glauben.
    „Habt Ihr etwas mitbekommen?“ fragte ich Tiluva.
    „Nein. Sie waren plötzlich da, haben die Tür aufgebrochen und sind weiter. Auch Alvasan und die anderen sind frei, sie müssten schon aus der Höhle raus sein.“
    „Dann lasst uns hoffen, dass wir nicht genau in eine Schlacht laufen.“
    „Glaube ich nicht. Der Kampflärm ist hinter uns.“
    Wir liefen weiter. Endlich tauchte die Tür vor uns auf.

    Zwischen den Zelten warteten die anderen bereits auf uns. Ra’Shirr kam uns entgegengelaufen, um den Soldaten ihre Schwerter zu bringen. Im Hintergrund zeterte Alvasan herum, weil seine eigene Waffe nicht schnell genug zu finden war. Harran sah ich nicht, vermutlich hatte er sich versteckt, sobald er sich halbwegs in Sicherheit wähnte. Nennuin saß im Schatten, gegen die Kisten gelehnt. Sein rechter Arm war bandagiert, seinen linken wickelte einer der Khajiit gerade ebenfalls ein.
    „Na endlich seid ihr da“, raunzte Alvasan quer über den Platz, als er uns entdeckt hatte. „Sucht Euch Waffen, macht Euch nützlich! Sie werden bald wieder herauskommen.“
    Er hielt jetzt eines der Reserveschwerter der Thalmor in der Hand, mit dem er auf den Eingang der Höhle wies.
    „Was? Ihr verlangt von mir, dass ich ein Schwert führe?“ entrüstete sich Tiluva. „Ich kann doch nicht …“
    „Dann zaubert eben!“ Damit war der Alte mit Tiluva fertig. „Hier, für Euch.“ Er warf mir ein Kurzschwert zu. Natürlich war ich nicht so dumm zu versuchen, es aufzufangen. Bei meinem Geschick mit Waffen hätte ich sicher genau in die Klinge gegriffen. Ich hob es auf und wog es unschlüssig in der Hand.“
    „Hier ist auch ein Bogen. Bosmer können doch damit umgehen … behaupten sie ja immer.“
    Ich schüttelte den Kopf. „Nicht alle. Ich habe es zwar mal gelernt, in meiner Jugend, aber … ich hatte nie Gelegenheit …“
    „Ja ja, nie fürs Vaterland gekämpft. Das kennt man.“ Mürrisch wandte er sich ab. Am liebsten hätte ich ihm selbst mit dem Schwert eins übergezogen, doch das war sicher der falsche Augenblick zum Frustabbau. Tief durchatmend nahm ich die Waffe, um mich neben die anderen zu stellen.
    „Der hat Nerven“, empfing mich Tiluva. „Glaubt er wirklich, ich würde ein Schwert anfassen wie eine alte fette Söldnerin? Wozu haben wir denn unseren Begleitschutz? Oh, ich würde ihm am liebsten …“
    „Genau diesen Gedanken hatte ich auch gerade“, erwiderte ich grinsend.
    Sie sah mich erst groß an, dann lachte sie auf. „Ihr seht ja auch komisch aus mit einer Waffe in der Hand. So kenne ich Euch gar nicht.“
    Ja, das Gefühl war vollkommen neu und leider nicht angenehm. Wieder betrachtete ich mir kurz das Schwert. Was sollte ich damit? Zu kämpfen hatte ich nie gelernt, worüber ich immer glücklich war. Allein der Gedanke, bald einem kampferprobten Abgeschworenen gegenüberzustehen machte mir Angst.
    „Versucht es mal damit.“ Die Soldatin neben mir reichte mir ihren Schild. „Na los, schaut nicht so verlegen drein. Ich komme auch ohne klar.“
    „Danke.“
    Gleich fühlte ich mich etwas besser.

    Das ganze Hin und Her hatte natürlich ein Weilchen gedauert. Nun standen wir unschlüssig vor den Fuhrwerken. Jeder wartete darauf, dass Alvasan etwas unternehmen würde, doch auch er zögerte. Würde er uns wieder in die Höhle führen, wo noch der Kampf tobte, oder würden wir hier warten und erst handeln, wenn die Abgeschworenen aus der Tür kamen? Die zweite Variante gefiel mir weitaus besser. Auch wenn ich kein Stratege war, sah ich einen großen Vorteil darin den kleinen Ausgang zu bewachen, aus dem höchstens zwei Angreifer gleichzeitig auftauchen konnten.

    So geschah es dann auch. Die Thalmor postierten sich mit gezogenen Waffen rechts und links von der Tür, Bogenschützen und Magiekundige mit genügend Abstand davor, während die Diener damit begannen, unsere Fuhrwerke wieder zu beladen. Alle, die keine Erfahrung im Kampf besaßen – so wie ich – behielten die Umgebung im Auge, um unsere Leute rechtzeitig warnen zu können, falls noch mehr dieser Abgeschworenen auftauchten.

    Als der erste Wagen beladen war öffnete sich die Tür. Sie schwang langsam auf, vorsichtig, aber niemand erschien. Nur ein dunkles Loch wie eine Wunde im Berg gähnte uns an. Augenblicke voller Ungewissheit verstrichen. Ich sah schon einen dieser Frostatronachen durch den Eingang gestapft kommen, aber stattdessen passierte etwas ganz anderes: Etwas flog durch die Tür, etwas Rundes, Schwarzes. Klatschend schlug es vor Alvasans Füßen auf, rollte noch ein Stück und blieb liegen.
    Hätte ich lieber nicht so genau hingesehen, es hätte mir die Alpträume der nächsten Nächte erspart. Vor uns im Sand lag der abgetrennte Kopf eines Hexenraben … Rala war tot.

    „Senkt Eure Waffen, wir kommen jetzt raus!“ Diese hohe näselnde Männerstimme kannte ich. Es war der Beschwörer, dessen Atronach unsere Zellentür zerlegt hatte. Gespannt wartete ich bis er aus der Höhle trat.
    Er war nicht groß, wie ich es erwartet hätte, kein hünenhafter Krieger wie dieses Dornenherz in Shias Gefolge. Nein, Belloc – er war es selbst, wie sich bald herausstellte – besaß nur die Große eines durchschnittlichen Bosmers, wirkte dafür aber unglaublich zäh und drahtig. Seine von der Sonne gebräunte Haut wies zahlreiche Narben auf. Die meisten stammten aus Kämpfen, doch bei einigen war ich mir nicht so sicher. Vor allem auf seiner nackten Brust bildeten die Narben ein Muster, sie stellten eindeutig einen stilisierten Wolfskopf dar. Hatte er sich diese Verletzungen etwa selbst beigebracht? Mir wurde fast übel bei dem Gedanken, dass sich jemand absichtlich Bilder in die Haut schneiden ließ …
    Alvasans nächste Worte lösten dann die Anspannung auf: „Belloc, mein Freund! Ihr kommt gerade im rechten Augenblick. Wie habt Ihr von unserem kleinen Missgeschick erfahren?“
    Der Mann lächelte, während seine Leute die Höhle verließen um die Zelte des Lagers in Besitz zu nehmen.
    „Oh, das habe ich nicht. Letzte Nacht ist mir der Geist des Großen Wolfes erschienen. Er sprach zu mir und sagte, dass Rala ihre Grenzen überschritten hat. Er sagte, der Moment wäre günstig, also befolgte ich seinen Rat. Seht Ihr, hier bin ich. Der Hexenrabe ist tot und dieses Land wieder gereinigt. Ich werde dafür sorgen dass es so bleibt. Der Große Wolfsgeist wird stolz auf mich sein.“
    Er klopfte Alvasan kameradschaftlich auf die Schulter, was dieser mir säuerlicher Miene über sich ergehen ließ.
    „Da die Befreiung nicht Teil unserer Abmachung war, werdet Ihr Euch selbstverständlich gesondert dafür erkenntlich zeigen, nicht wahr mein Fürst? Ich hätte da schon eine Idee.“
    „Wollt Ihr, dass ich beim Jarl von Markarth ein gutes Wort für Euren König einlege?“ fragt Alvasan.
    Belloc sah auf und lächelte. „Aber nicht doch. König Madanach zu befreien ist natürlich unser Ziel. Doch ich denke nicht, dass die Rettung einer kleinen Expedition genügend Gewicht haben wird, um dies zu veranlassen. Ich dachte da eher an die Kolskeggr-Mine. Wie ich hörte steht sie momentan leer, und es wäre doch schade, wenn sich erneut Banditen dort einnisten würden …“
    „Meinetwegen, das müsste sich arrangieren lassen“, stimmte Alvasan nach kurzem Abwägen zu.
    „Ich wusste es.“ Belloc lachte. „Mit Euch zu verhandeln ist immer wieder ein Vergnügen. Solltet Ihr einmal genug von Eurem Auri-El haben, dann kommt doch zu uns. Die Geister des Reach werden Euch gern willkommen heißen.“
    Alvasan musste sich abwenden, damit Belloc seinen verkniffenen Gesichtsausdruck nicht sah. Doch dieser lachte nur umso lauter.

    Noch am selben Tag setzten wir unseren Weg fort. Der größte Teil von Bellocs Leuten begleitete uns. Sie hatten sogar geholfen, die Wagen wieder zu beladen, um möglichst schnell aufbrechen zu können. Dabei hatten etliche Kleinigkeiten ihren Besitzer gewechselt, ein Umstand, den Alvasan großzügig tolerierte. Sofern es sich nicht um ganz wichtige persönliche Dinge handelte – und um unsere Laborausrüstungen – hatte er sogar verboten, etwas dagegen zu unternehmen.
    Mich betraf es kaum, doch Tiluva war sauer, da den Frauen der Abgeschworenen offensichtlich ihr Schmuck gut gefiel.
    „Das wird er mir alles bezahlen müssen“, murmelte sie.
    Ich legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. „Lasst es gut sein, Tiluva. Immerhin haben sie uns gerettet. Dieses Scheusal hätte uns vielleicht sogar nach und nach aufgefressen. Was hätte Euch Euer Schmuck dann genützt?“
    Sie lächelte gezwungen. „Na ja, zwei der Amulette sind verzaubert. Ich hätte sie schon gern zurück.“
    „Etwas Gefährliches?“
    „Nein. Das eine steigert Euer Charisma beim Feilschen. Ich trage es öfter, wenn mich in der Stadt der Kaufrausch packt. Nicht dass ich es nötig hätte, aber es beruhigt ungemein für beste Ware den kleinsten Preis herauszuschlagen. Und das andere …“ sie errötete leicht. „ … ist ein Liebeszauber. Ja, lacht nur. Eine Freundin hat es mir einmal geschenkt, weil … es gab da jemanden aus der Sportmannschaft unserer Schule. Er hatte nur Augen für diese Kuh Saldana, obwohl sie viel zu dick war und ihr Vater nur einen kleinen Stand am Markt besaß … Ich hab’ mich aber nicht getraut es zu tragen …“
    „Und ich glaube nicht, dass Ihr es nötig gehabt hättet“, fügte ich hinzu. „Ihr seid sehr schön.“
    Sie antwortete mit einem undefinierbaren Blick.
    „Ich bin schmutzig und verschwitzt“, sagte sie dann, „und ich könnte Eure Tochter sein.“
    So hatte ich es ja nicht gemeint.

    Arethi schloss zu uns auf. Ich war froh, dass sie mich aus dieser peinlichen Situation rettete, was sie jedoch zu sagen hatte gefiel mir nicht. Shia war verschwunden!
    Die Höhle verfügte über einen zweiten Ausgang, durch den sie mit einer Handvoll Krieger in die Berge entkommen war. Ihre Verfolger hatten schnell aufgegeben, das Land war zerklüftet und voller Verstecke, sie konnte inzwischen überall sein. Ich schaute Arethi besorgt an. Etwas sagte mir, dass uns Shia noch einmal begegnen würde.

    Eine Stunde darauf hatten wir die Furt erreicht. Der Fluss, ein kleiner Nebenlauf des Karth, dessen Namen ich nie herausbekommen hatte, rauschte schnell und reißend an uns vorbei. Zum Glück war er nicht tief, sein Wasser reichte uns kaum bis zu den Knien. Auf der anderen Uferseite wollten wir eine Rast einlegen. Wir alle waren nach den überstandenen Aufregungen müde genug dafür.
    Ich ließ mich erschöpft ins Gras fallen. Es war schon merkwürdig, vor Stunden noch steckten wir ohne jede Hoffnung in einem finsteren Kerkerloch fest und breitete sich der hellste wolkenlose Himmel über uns aus, den das Reach zu bieten hatte. Ein angenehmer leichter Luftzug blies durchs sattgrüne Gras, der Fluss rauschte und schäumte und kleine schnelle Vögel strichen dicht über dem Wasser dahin, auf der Jagd nach Insekten.
    Auch die Abgeschworenen sorgten für einen Imbiss. Mehrere von ihnen zogen Netze durch den Fluss, in denen sich schnell etliche Fische fingen. Andere jagten Schlammkrabben. Sie hatten eine interessante Technik gegen die wehrhaften Krustentiere entwickelt: Während ein Jäger die Krabbe ablenkte, indem er ihr einen langen Stock immer dicht vor die Scheren hielt, schlich sich ein zweiter an und schlug von hinten mit seiner schweren Keule zu. Meist reichten zwei oder drei Hiebe um den schweren Panzer zu knacken, sie hatten Übung darin.
    Bald schon brutzelte Fisch an langen Spießen über dem Feuer und Kessel voller schmackhafter Krabbensuppe wurden heiß.

    Die Rast hatte fast drei Stunden gedauert, doch das machte nichts. Der letzte Teil des Weges war kurz und auch für die Wagen leicht befahrbar. Schnell hatten wir den Eingang von Harmugstahl erreicht.

    [Bild: krysosharmugstq259bodpzr_thumb.jpg]
    Screenshot von Krysos1962

    Von außen wirkte die Anlage eher wie ein Grab, das in den Berg geschlagen war, als wie eine Festung. Mehr als die große Treppe vor dem Eingangstor gab es nicht. Eine Straße führte direkt daran vorbei, doch sie schien kaum noch benutzt zu werden, so sehr waren einige Stellen bereits zugewachsen.
    „Da entlang geht’s zur Druadach-Schanze und zur Höhle“, erklärte Belloc gerade Alvasan und beantwortete damit zugleich meine unausgesprochene Frage. „Wir treffen uns in sieben Tagen. Dann steht eure Eskorte bereit. Harmugstahl gehört Euch. Wir haben nachgesehen, weder Mer noch Mensch hält sich darin auf. Viel Vergnügen wünsche ich Euch mit Eurer neuen Behausung.“ Er lachte. Dann gab er seinen Leuten das Zeichen zum Abmarsch.
    Ich schaute ihm nach bis er zwischen den Felsen verschwunden war.

    Harmugstahl hielt keinem Vergleich mit Karthwasten stand. Diese Entdeckung musste ich machen, kaum dass mein Fuß den Boden der „Festung“ berührte. Wohin man sah war nichts als Staub und Dreck, die Wände schimmerten feucht oder leuchteten im Licht fluoreszierender Pilze. Wenn es wenigstens eine interessante Art gewesen wäre, aber dieser Schimmerpilz war in Himmelsrand so weit verbreitet, dass … oh, ich schweife ab.

    Da Nennuin wohl die nächsten Tage noch intensive Erholung brauchte, übernahm Alvasan die Einteilung der Arbeiten selbst. Das bedeutete für uns, sämtliche Laboreinrichtungen allein auszupacken, zu sortieren und einzuräumen. Der erzwungene Aufenthalt in Ralas Lager hatte ein ordentliches Chaos angerichtet. Kaum eine der Kisten kam an der richtigen Stelle an. Wir liefen hin und her, tauschten die Sachen aus und richteten uns ein, so gut es ging.
    Die Diener und selbst die Soldaten wurden zum Aufräumen abkommandiert. Bergeweise Schutt wurde aus den Gängen geholt, bis man dort wieder laufen konnte ohne dauernd zu stolpern, die Wände wurden abgefegt, Türen repariert und die „Haustiere“ entsorgt.
    Oh ja, Haustiere! Als Belloc versprochen hatte, dass sich weder Mer noch Mensch in Harmugstahl aufhalten würden, hatte er nicht gelogen. Nur diese mannsgroßen Frostbissspinnen musste er vergessen haben. Na ja, er hatte eben eine eigene Vorstellung von Humor und fand das sicher witzig.
    Moonlord ist offline Geändert von Moonlord (16.12.2013 um 10:22 Uhr)
  18. #18 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    Kapitel 17 - Harmugstahl

    [Bild: FALMER_D.png]

    er

    Raum war kaum wiederzuerkennen. Vor sechs Tagen noch war hier alles voller Spinnweben und Schutt, der von der Decke gefallen war. Frostbissspinnen hatten sich eingenistet, es stank nach Moder und verwesenden Tieren.
    Jetzt sah der Raum aus, als könne er genauso gut in einer richtigen Festung liegen, in der sogar Edelleute wohnen würden. Unzählige Kerzen verbreiteten ihr sanftes, flackerndes Licht, die rauen Felswände waren hinter aufgespannten hellen Stoffbahnen verschwunden, Feuerschalen gaben knisternd Wärme ab und schnell gezimmerte Regale schienen zu sagen: „Ja, hier wird gelebt und gearbeitet.“
    Natürlich ließ das Mobiliar noch zu wünschen übrig. Sechs Tage waren viel zu kurz, um eine ganze Höhlenfestung bewohnbar zu machen. Es war bisher der einzige vollständig hergerichtete Raum, aber es war ein Anfang.

    Wir saßen um den großen Holztisch in der Mitte herum wie vorher in Karthwasten auf der Veranda. Die benutzten Teller und Becher wurden gerade abgeräumt, Alvasans Versammlung konnte beginnen.
    Ich war gespannt, was er zu sagen hatte. Immer noch hatte ich ihm den Verrat an Drizza nicht verziehen – ach was, ich würde es ihm wohl nie verzeihen – doch ich wusste auch, dass wir ohne diese Entscheidung wahrscheinlich nicht hier sitzen würden. War ich deshalb nicht mitschuldig am Tod der Argonierin? Ich hatte lange darüber nachgegrübelt. Auch wenn ich es nicht vorausgesehen hatte, auch wenn ich damit nicht einverstanden war, Alvasans Tat hatte mir genutzt, sie hatte uns die Zeit verschafft zu überleben bis Bellocs Leute die Höhle gestürmt hatten …

    Alvasan erhob sich, es wurde still.
    „Werte Kollegen“, hob er an. „Vieles ist in den letzten Tagen passiert. Große Veränderungen sind eingetreten, für jeden von uns. Nicht alle diese Ereignisse waren positiv, das ist mir klar, nicht alle Entscheidungen, die getroffen werden mussten, sind auf Verständnis gestoßen …“ Er sah in die Runde, sein Blick verweilte einige Augenblicke auf jedem von uns und rief die unterschiedlichsten Reaktionen hervor: Harran wirkte nervös und gelangweilt zugleich. Er hielt nichts von unseren Besprechungen, die seiner Meinung nach nur dazu führten, dass er seine Arbeit unterbrechen musste.
    Tiluva erwiderte Alvasans Blick wobei sie mit einer Strähne ihres Haares spielte. Es war schwer zu sagen, ob ein Vorwurf in ihren Augen lag oder einfach die Neugier überwog, wie es weitergehen sollte.
    Bei mir musste dieser Vorwurf deutlich sichtbar gewesen sein, denn Alvasans Augen wanderten schnell weiter zu Arethi, um dort auf die schon sprichwörtliche ruhige Distanziertheit zu treffen, die sie so oft ausstrahlte.
    Als letzter kam Nennuin. Immer noch schwer gezeichnet von den Brandwunden lehnte er in seinem Stuhl. Doch der Schein trog, Nennuin war wach und aufmerksam wie früher, ihm entging nichts was zwischen uns gesprochen wurde.
    „Es gab Missverständnisse“, fuhr Alvasan fort, wobei er noch einmal direkt zu mir sah, „doch ich bin mir sicher, dass sie im Sinne unserer gemeinsamen Aufgabe bald ausgeräumt sein werden …
    Werte Kollegen, ich muss … ich möchte Euch alle noch einmal daran erinnern, dass wir alle hier sind, weil unser Land Großes von uns erwartet. Wem, wenn nicht uns, soll es gelingen, eine ganze Rasse aus den Tiefen unverschuldeter Dunkelheit wieder ans Licht zu führen? Dieses Land, Himmelsrand wie es heute heißt, hat eine große Vergangenheit. Es war meretisches Land, die Heimat der Falmer, unserer Verwandten, und die Heimat der Dwemer, ebenfalls von unserem Blut.
    Es war die Heimat zweier Völker, und sie wurde ihnen genommen, als die Invasoren von Atmora kamen. Sie verloren sie, da sie sich gegenseitig bekriegten anstatt geschlossen den Menschen gegenüberzutreten, ein Schicksal, dass auch uns getroffen hat. Morrowind, Valenwald, Alinor … jedes dieser Reiche stand für sich, als die Menschen ihr Imperium errichteten, jedes fiel der Gier der Eroberer zum Opfer und verkam zur Provinz. Doch die Thalmor haben aus der Geschichte gelernt! Eine neue Macht hat sich erhoben, eine vereinte Macht. Gemeinsam mit unseren Brüdern und Schwestern aus Valenwald haben wir gezeigt, dass die Kraft der Mer noch lange nicht erloschen ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich das wiedererstarkende Morrowind dem Aldmeribund anschließt und dann werden wir bereit sein, ein neues Zeitalter einzuläuten, ein meretisches Tamriel wiederaufzubauen. Wir werden die heiligen Länder der Ayleiden, der Dwemer und Falmer zurückgewinnen, wir werden wiedererrichten, was zerstört werden muss, um der neuen Ordnung zu weichen, und es denen geben, die seit Jahrtausenden ein Anrecht darauf haben.
    Die Dwemer sind verschwunden, die Ayleiden ausgelöscht, doch die Falmer, die ehemaligen Herren des Nordens, können gerettet werden. Ihnen gehört dieses Land. Sie werden es in Besitz nehmen, wieder wachsen und unter der Führung der Thalmor ihre eigene uralte Kultur wiederentdecken, bis die Zeit gekommen ist, ein uns ebenbürtiges Leben zu führen, gerettet aus der Dunkelheit, geheilt und frei.
    Und wenn unsere Enkel dann ihre Geschichtsbücher aufschlagen, dann werden sie unsere Namen lesen, die in einem Atemzug genannt werden mit denen berühmter Könige und Helden unserer Völker.
    Auch wenn unsere Erfolge bisher bescheiden waren, wir geben nicht auf! In jedem von uns schlägt das Herz eines Forschers, eines Visionärs. Wir sind die Wegbereiter der Zukunft Himmelsrands. Wir werden es schaffen!“
    Alvasans Rede war beendet. Mit hoch erhobenen Armen stand er an der Stirnseite der Tafel, wie ein Hohepriester, der sein Gebet verrichtet hatte.
    Ein paar Augenblicke verstrichen, in denen nichts geschah, dann sprang Harran auf, wobei sein Stuhl krachend umfiel. „Wir werden es schaffen!“, wiederholte er Alvasans letzten Satz. „Wer, wenn nicht wir?!“ Seine Begeisterung veranlasste Nennuin und Tiluva dazu, spontan Beifall zu klatschen, worin ich kurz darauf einfiel. Es war merkwürdig wie leicht das ging. Meine Zweifel an Alvasans Entscheidungen spielten auf einmal keine Rolle mehr. Hatte er nicht Recht? Alles worauf es wirklich ankam war doch, dass wie die Mittel fanden, ein Volk zu retten. Dass war unsere Pflicht und diese musste einfach über den Unzulänglichkeiten eines einzelnen stehen.
    Dass Arethi die allgemeine Euphorie nicht zu teilen schien fiel mir an diesem Abend nicht auf.

    Nach seiner Rede machte uns Alvasan mit den Plänen für die nächsten Tage vertraut. Schon morgen stand der Besuch in der Druadach-Schanze auf dem Programm. Nicht alle würden gehen, obwohl Belloc sicher nichts dagegen gehabt hätte. Alvasan zog es vor, nur Tiluva und Harran mitzunehmen, mich ließ er hier.
    „Wir werden weitere Proben dieses Höhlenpilzes mitbringen“, begründete er seine Entscheidung. „Da wäre es gut, wenn Ihr die ganzen Versuchsreihen schon einmal vorbereitet.“
    Auch wenn das noch so vernünftig klang wussten wir doch beide, dass es ihm nur darum ging, mich für meinen „Mangel an Vertrauen“ zu bestrafen. Ich zweifelte an ihm, also durfte ich nicht mitkommen – Punkt. Auf diese Weise wurden bei uns an der Universität manchmal die Novizen gemaßregelt.
    „So sei es, mein Fürst“, antwortete ich ihm, drehte mich um und suchte mein Labor auf. Alvasan knurrte mir etwas Undefinierbares hinterher.

    Am nächsten Morgen begann ich mit den Vorbereitungen. Arethi hatte sich bereiterklärt, mir dabei zu helfen, etwa zweihundert unterschiedliche Mischungen von Pilz- und Kräutersud anzusetzen, zu denen wir später die versprochenen Proben des Höhlenpilzes geben würden. Wenn man die ganze Zeit betrachtete, die wir dazu benötigen würden, dann war es sogar vernünftig, dass wir in Harmugstahl geblieben waren.
    „Warum habt Ihr nicht darauf bestanden, zur Druadach-Schanze zu gehen?“ fragte ich sie trotzdem. Als Antwort bekam ich die rhythmischen Geräusche eines Messers auf dem Schneidebrett. Arethi zerkleinerte ein großes Bündel getrocknete Lavendelstängel, schob die Schnipsel in einen bereitstehenden Mörser und nahm sich anschließend das Stachelgras vor.
    „Arethi?“
    „Es hat mich nicht interessiert.“
    „Das glaube ich Euch nicht. Die Gelegenheit, etwas über die religiösen Bräuche der Abgeschworenen zu erfahren, müsste Euch doch brennend interessieren. Ich weiß, dass Ihr dem Glauben anderer Völker aufgeschlossen gegenübersteht, ihr habt es selbst gesagt, letztens in Drachenbrügge.“
    „Habe ich das?“ Arethi sah von ihrer Arbeit auf. „Ich habe lediglich gesagt, dass ich die GESCHICHTEN alter Völker erhaltenswert finde. Ich bin eine Priesterin Auri-Els, vergesst das nicht!“
    „Bitte Arethi, ich weiß, was ich gehört habe.“
    Sie hob die Schultern. „Die Schimmerpilze sehen nicht besonders frisch aus. Ich geh’ mal in die Tunnel, da wachsen noch ein paar.“
    Sie nahm eine leere Tonschale in die rechte und ihr großes Messer in die linke Hand. „Bis gleich.“ Krachend fiel die Tür hinter ihr zu, es staubte ordentlich und eine Handvoll kleinerer Steinchen rieselte von der Decke herab. Ich seufzte, an Orten wie diesem sollte man Türen nicht mit dem Fuß schließen.
    Dann machte ich eben allein weiter.
    Als nächstes setzte ich mehrere Kessel mit Wasser an. Die Kräuter, welche ich noch im Mörser zerkleinern musste, wollte ich aufkochen, den Sud dann filtern und in bereitstehende Gläser abfüllen. Diese Flüssigkeiten dienten als Grundlage für alle Mixturen, die ich mit den neu entdeckten Proben ansetzen würde. Auf diese Weise reichten kleinste Stückchen des Höhlenpilzes für eine breit gefächerte Testreihe.

    Ich stand also am Labortisch und quälte den Mörser, während neben mir in den Kesseln das Wasser heiß wurde. Der Stößel klackte gegen den Mörser, Samenkapseln platzten, Wasser blubberte, brennendes Holz knisterte. All diese Geräusche waren an sich nicht laut, doch in ihrer Gesamtheit lenkten sie mich von etwas anderem ab, einem Knirschen und Schaben, das ganz leise anfing und dessen Ausgangspunkt ich zuerst gar nicht lokalisieren konnte.
    Als ich es bemerkte war es schon zu spät. Staub rieselte mir auf die Kleidung, gefolgt von kleinen Steinchen, die neben mir auf den Tisch polterten. Eines traf mich schmerzhaft am Handgelenk. Der Sprung zur Seite war ein Reflex, und er kam gerade noch rechtzeitig, er rettete mir das Leben. Krachend fielen Steine von der Decke, kopfgroße und größere. Einer rollte über den Tisch, wo er mehrere vorbereitete Probeschälchen zermalmte, einer traf einen Wasserkessel, kippte ihm um und löschte das Feuer. Der Großteil der Steinlawine ging jedoch genau vor der Tür nieder.

    Nur langsam verzog sich der aufgewirbelte Staub und noch länger dauerte es bis mein Herz wieder regelmäßig schlug. Es wurde still in meinem Labor, nur das Knistern der Fackeln war zu hören. Ungläubig starrte ich zur Tür, oder zu dem was davon noch zu erkennen war. Zu drei Vierteln war sie hinter einem Geröllhaufen verschwunden. Mitten darin lag ein Felsblock von der Größe eines ausgewachsenen Wolfes. Einen zweiten Ausgang gab es natürlich nicht.

    „Salenquil! Professor! Ist Euch etwas passiert?“ Die Stimme gehörte Arethi. Sie hatte den Krach gehört – vermutlich hatte das jeder in Harmugstahl – und versuchte nun die Tür aufzubekommen. Ihr Klopfen und Rütteln klang genauso hohl wie ihre Stimme selbst.
    „Mir geht es gut“, rief ich, „nur die Tür ist verschüttet. Bitte seid vorsichtig, damit nicht noch mehr herunterbricht.“
    Sie versprach es mir.
    Kurz darauf ertönten weitere Stimmen im Gang. Ra'Shirr war dabei, selbst Nennuin, der die Dienerschaft anwies, Werkzeuge zu besorgen.
    Zur Sicherheit zog ich mich in den hintersten Winkel des Labors zurück.
    Sie brauchten fast vier Stunden, um sich durch die stabile Tür zu hacken und anschließend mit Schaufeln und Brechstangen den Durchgang freizuräumen. Mehrmals rutschten noch Steine nach, und zum Schluss stocherte Ra'Shirr sogar entgegen aller Vorsicht mit einer langen Stange im Loch an der Decke herum. Er löste dabei einige weitere Felsbrocken, die wahrscheinlich sonst von allein heruntergebrochen wären.
    Endlich war der ganze Schutt weggeräumt, der aufgewirbelte Staub hatte sich wieder gelegt und wir schauten uns um. Ein Kessel war zerstört, einer der Labortische umgekippt, mehrere Schalen zertrümmert. Der Schaden am Mobiliar hielt sich zum Glück in Grenzen. Was wirklich schlecht war, war der Staub. Gesteinsbröckchen und -krümel hatten viele der vorbereiteten Mischungen verdorben. Es würde noch einmal Stunden dauern, alles wieder neu zuzubereiten.

    „Wie konnte das nur passieren?“, fragte Arethi, nachdem ich mich bei allen Helfern bedankt hatte. Nebeneinander strebten wir dem Ausgang zu.
    „Ich weiß es nicht. Plötzlich knirschte es und die Steine fielen herab. Tiluva sollte sich das mal ansehen, gleich wenn sie zurückkommt. Sie kennt sich am besten mit Steinen aus. Ich hoffe nur, der Berg hat nicht noch mehr solcher Überraschungen zu bieten.“
    „Das hoffe ich auch. Der Tag war wohl für die Daedra. Na ja, wenn Ihr wollt, helfe ich Euch wieder alles herzurichten.“
    „Danke, und ich verspreche Euch, keine dummen Fragen mehr zu stellen.“
    Stumm sah sie mich an, dann huschte der Anflug eines Lächelns über ihr staubverschmiertes Gesicht.
    „In Ordnung … Los, kommt, der Fluss wartet.“

    Jeder, der schon einmal freiwillig in einem klaren Gebirgsfluss Himmelsrands gebadet hat, wird wissen, wie es mir daraufhin erging. Das Wasser war mörderisch kalt, aber so wie wir aussahen, hätten wir einen halben Tag lang die Badezuber füllen müssen. Zum Glück hatte Ra'Shirr an genügend Tücher gedacht, in die wir uns nach dem Kälteschock wickeln konnten. Ich musste grinsen als ich sah, wie plüschig sein Fell nach dem Abtrocknen wirkte. Ra'Shirr war es sichtlich peinlich, schnell zog er sich ein neues Hemd über.
    Ein rasch entzündetes Feuer half uns beim Warmwerden. Gern hätte ich nach all der Aufregung noch ein wenig die Ruhe der Natur am Fluss genossen, doch es ging nicht. Wir hatten jede Menge Arbeit vor uns.

    Ich schaffte es trotzdem nicht, alles fertig herzurichten bevor die drei von Belloc zurück waren. Konsequenterweise war Alvasans erste Frage: „Was habt Ihr denn so lange getrieben?“
    Ich deutete nur zur Decke, wo jetzt eine gewaltige Aushöhlung gähnte. „Das Labor erweitert.“
    „Sehr witzig!“, meinte er, schaute sich die Stelle aber genau an. „Da soll Tiluva mal ein Auge drauf werfen. Hach, in diesem verfluchten Land kann man sich auch auf nichts verlassen.“
    Die Idee, Tiluva um eine Einschätzung zu bitten, hatte ich auch schon gehabt, hielt es aber nicht für nötig, ihm das jetzt zu sagen. Stattdessen teilte ich Alvasan mit, dass ich in zwei bis drei Stunden wohl alles vorbereitet haben würde.
    Der Alte ging und Tiluva betrat mein Labor.
    „Wie habt Ihr das denn hinbekommen?“, fragte sie kopfschüttelnd.
    Ich stöhnte. Jeder stellte hier die gleiche Frage. Eine Antwort darauf hätte ich selbst gern gehabt. So konnte ich ihr nur erzählen, was ich mitbekommen hatte: das Knirschen im Stein, Rieseln von Staub und dann den Krach, mit dem alles herunterkam. Es war wenig genug.
    Mit einer Fackel leuchtete sie die Bruchstellen ab, ihr Gesicht wirkte besorgt.
    „Das sieht nicht gut aus. Kein Wunder, dass wir auf so viel Schutt und Geröll in den Gängen gestoßen sind. Die Decke besteht aus Sedimentgestein, ziemlich dünne Schichten, von denen einige wasserlöslich sind.“ Sie hob einen der noch vereinzelt herumliegenden Brocken auf. „Hier, fühlt mal. Dieser Bereich ist feucht und leicht schmierig. Der Abbruch wird nicht der letzte gewesen sein … Eigentlich müsste ich Alvasan davon überzeugen, die ganze Höhle sofort sperren zu lassen.
    „Darauf wird er nie eingehen.“
    „Ich weiß.“ Sie machte eine Pause, in der sie noch einmal alles genau untersuchte. „Nun gut, vorläufig müsste es halten. Doch die Decken müssen abgestützt und mit Holz verschalt werden … in ganz Harmugstahl. Das wird dem Alten sicher nicht gefallen, aber wenn er selbst keinen Stein auf den Kopf bekommen will, sollte er sich schnell um Balken kümmern. Ich sag ihm gleich Bescheid.“
    In der Tür drehte sie sich noch einmal um und schenkte mir ein freches Lächeln.
    „Schön, dass Euch nichts passiert ist, … Papa.“
    Dann war sie verschwunden.
    Auch ich musste lachen. Unsere Freundschaft war somit wiederhergestellt.

    Später beim Abendessen erzählte ich die ganze Geschichte ein drittes Mal. Vor allem Harran warf dabei immer wieder besorgte Blicke nach oben. Es legte sich deutlich auf seinen Appetit.
    Nachdem Tiluva noch einmal die Struktur des Berges in allen Einzelheiten beschrieben hatte, stimmte Alvasan mit mürrischer Miene zu, die Sicherungsarbeiten in Harmugstahl durchführen zu lassen.
    „Wir können hier vorerst nicht wieder ausziehen“, sagte er. „Karthwasten ist zu weit von der Höhle entfernt und Belloc beschützt uns zwar, möchte uns aber nicht dichter als unbedingt notwendig bei sich haben. Das Lager dieses Hexenraben ist auch keine Option, die Räumlichkeiten sind zu klein und zu … na ja, sie stinken nach Tod.
    Nennuin, Ihr seid noch nicht wieder voll einsatzbereit, aber darum könnt Ihr Euch schon kümmern. Morgen werdet Ihr zu Belloc gehen und versuchen, Holz von ihm zu kaufen. Wir können nicht alles selbst fällen. Dann beginnt Ihr mit den Arbeiten. Ihr wisst, wie man das macht?“
    Nennuin nickte. Einer seiner Soldaten war früher Bergmann gewesen. Er kannte sich mit dem Ausbau der Gänge aus.
    „Gut, dann wäre das geklärt“, fuhr Alvasan fort. „Wir fünf brechen auch gleich morgen auf, zur Schwarzfallhöhle. Richtet Euch auf zwei bis drei Tage ein. Zwei Soldaten, zwei Träger kommen mit, der Rest bleibt hier bei Nennuin.“
    „So wenige?“ Es kam selten vor, dass Harran sich bei Besprechungen äußerte, und noch seltener, dass diese Äußerungen etwas anderes als Zustimmungsrufe waren, so selten, dass Alvasan ihn ganz betroffen anstarrte.
    „Natürlich … Weg und Höhle sollten sicher sein, jedenfalls der erste Teil der Höhle. Gegen ein paar Skeever werdet Ihr Euch wohl selbst verteidigen können.“
    Harran errötete. „J-ja, selbstverständlich kann ich …“
    „Die tieferen Ebenen sind noch nicht erforscht“, fiel Alvasan ihm ins Wort. „Wir müssen mit tierischen Bewohnern rechnen, mit Skeevern, Spinnen, im schlimmsten Fall mit Chauri. Ich erwarte von jedem von euch, dass er vorbereitet ist und vor allem vorsichtig. Über die genaue Strategie werden wir in der Höhle reden, nachdem wir uns einen ersten Überblick verschafft haben.
    Frühstück gibt es bei Sonnenaufgang, zur achten Stunde brechen wir auf. Noch Fragen?“
    Niemand meldete sich, es war ja alles gesagt.

    Die letzten Stunden des Tages nutzte ich, um die mitgebrachten Pilzproben kleinzuschneiden und zum Trocknen auszubreiten. Wenn alles klappte, wie Alvasan es sich vorgestellt hatte, würde ich gleich nach unserer Rückkehr mit den Tests beginnen können, mit getrockneten und frischen Proben gleichermaßen. Ich war schon gespannt darauf, ob wir diesmal endlich die gesuchte Wirkung erzielen würden.

    Am nächsten Morgen wurden die Pläne noch einmal geändert. Harran, der uns eigentlich begleiten sollte, blieb zurück. Genauer gesagt würde er kurz nach uns zu Belloc aufbrechen. Dem Alten war es lieber, den Holzkauf einem Vertrauten zu überlassen, als ihn in die Hände der Soldaten zu legen. Darüber hinaus sollte sich Harran bemühen, Versuchstiere zu bekommen. Skeever waren aufgrund ihrer natürlichen Aggressivität am geeignetsten, doch auch Hunde, Wölfe oder gar Schlammkrabben würden infrage kommen. Ein bisschen war ich froh, dass die drei Falmer, welche in Karthwasten gefangen waren, nicht überlebt hatten. Nein! Ich bin kein Barbar! Nicht dass mich jemand falsch versteht. Ich freute mich nicht über ihren Tod, der aus der Situation heraus sowieso unvermeidbar war, ich war nur froh, dass ihnen weiteres Leiden aufgrund falscher Dosierungen oder Nebenwirkungen der Präparate erspart blieb. Leider war es immer so in meinem Beruf, die Ziele konnten noch so hoch sein, die Tierversuche noch so vielversprechend abgeschlossen, irgendwann kam immer der Zeitpunkt, an dem neue Heilmittel direkt am Patienten getestet werden mussten. Ich mochte diese letzten Testphasen nie, bargen sie doch immer das Risiko, auf unerwartete Nebenwirkungen zu stoßen, doch ich konnte mit Stolz behaupten, bisher nur ganz wenige Patienten dadurch verloren zu haben, viel weniger als die meisten meiner Kollegen.

    Der Weg zur Schwarzfallhöhle verlief ereignislos, worüber wir alle froh waren. Wir überquerten den Fluss an derselben Furt, die wir auf dem Hinweg genommen hatten, hielten uns westwärts und folgten seinem Ufer. Schließlich bogen wir nach Norden in die Berge ab. Kurz vor Mittag hatten wir den Eingang erreicht, einen gähnenden Schlund im Fels. Was uns dort drinnen wohl erwartete?
    Alvasan ermahnte uns alle noch einmal zur Vorsicht, bevor er mit einem Thalmor-Soldaten die Führung übernahm. Der andere würde mit dem Khajiit am Schluss gehen, um uns notfalls den Rücken zu decken.
    „Na dann, viel Glück“, wünschte ich Tiluva neben mir, nahm eine Fackel und folgte dem Fürsten.
    Moonlord ist offline
  19. #19 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    Kapitel 18 - Die Schwarzfallhöhle

    [Bild: FALMER_F.png]

    insternis

    hüllte uns ein, der auch unsere Fackeln nur wenig anzuhaben vermochten. Kälte schlug uns entgegen, ein schwacher Luftzug brachte sie aus den Tiefen der Welt empor, es war feucht hier und von ferne drang leises Rauschen an mein Ohr.
    Nachdem wir die ersten Schritte getan hatten, sprachen Alvasan und Tiluva Lichtzauber aus. Kleine Kugeln gleißender Helligkeit stiegen über ihren Köpfen auf, die Sicht wurde schlagartig besser.
    „Dabei verbraucht man nur sehr wenig Magicka“, beruhigte mich Tiluva, die meinen besorgten Blick bemerkt hatte. „Ich halte das gut zwei Stunden aus, Alvasan sicher noch länger … Arethi?“ Die Angesprochene verneinte. „Ich nicht, die Schule der Veränderung liegt mir nicht so.“
    ‚Dafür ist sie aber eine begnadete Illusionistin’, dachte ich, hütete mich jedoch, das vor Tiluva laut auszusprechen.
    Im magischen Licht und mit den zusätzlichen Fackeln war der Gang jetzt einwandfrei ausgeleuchtet. Wir liefen so bequem wie auf einer Straße Falinestis zur Mittagszeit. Na ja, es wäre eine sehr schmale, unebene Straße gewesen, aber immerhin …
    Ein paar Biegungen weiter hatten wir die Quelle des Rauschens entdeckt. Ein Wasserfall schoss aus der Dunkelheit über uns herab, um in einem ebenso schwarzen Loch im Boden zu verschwinden. Äußerst langsam und vorsichtig, denn der Fels war hier sehr schlüpfrig, schoben wir uns an den Wänden entlang vorbei.

    „Nicht schon wieder Spinnen! Ich hasse diese Viecher!“ Tiluvas Leuchtkugel brach in sich zusammen, als die Konzentration nachließ. Gleich darauf erschien eine neue. In ihrem Licht sahen wir ein paar Schritte vor uns die ersten Spinnweben auftauchen. Sicherheitshalber zog ich mein Kurzschwert, das ich wieder bei mir trug.
    Es war nicht nötig, außer leeren Kokons fanden wir nichts.
    „Die Abgeschworenen werden sie erlegt haben“, vermutete Alvasan. „Sie waren hier und noch ein Stück weiter bis zu einer Erzader, sagte Belloc.“
    Ganz sicher war ich mir da nicht, vor allem nach dem „lustigen Streich“ mit den Haustieren in Harmugstahl. Vermutlich stimmte es aber doch, denn Spinnen machten keine Unterschiede, sie griffen alles an was sich bewegte und wären Belloc sicherlich sehr in die Quere gekommen.

    Wir gingen weiter, bis ein größerer Raum vor uns auftauchte. Er bestand zum überwiegenden Teil aus einem Abgrund, über den eine wenig vertrauenerweckende Hängebrücke führte. Tief unten rauschte ein Fluss.
    Bis jetzt hatten wir noch keine Abzweigungen entdecken können, auch keine Erzadern, sodass der einzige Weg über die Brücke zu führen schien. Belloc musste sie ebenfalls passiert haben, was mich ein klein wenig beruhigte, denn wenn sie ihn getragen hatte trug sie auch uns. Immer nur zu zweit bewegten wir uns vorsichtig über die schwankende Konstruktion. Sie hielt, und dafür war ich Y’ffre überaus dankbar.
    Drüben angekommen hatten wir die Erzader erreicht.
    „Mondstein. Eine ausgesprochen gute Qualität.“ Tiluva hielt mir einen aufgelesenen Brocken triumphierend entgegen. Ich sah nur halb hin, denn ich hatte etwas anderes entdeckt. Auf den Knien kroch ich unter einen wackeligen Holztisch, das einzige Möbelstück weit und breit, und brachte eine Handvoll winziger Höhlenpilze hervor. Ja, sie waren es, die gleiche Art, die die Abgeschworenen mitgebracht hatten. Sie waren noch sehr klein und es waren wenige, doch meine Abenteuerlust war plötzlich erwacht.
    „Wir müssen da runter!“ Mit diesen Worten hielt ich die Pilze Alvasan unter die Nase und deutete auf den Abgrund. Er schaute mich an, als ob er mich heute zum ersten Mal sah, doch dann nickte er. „In Ordnung, deshalb sind wir schließlich hier.“

    Unruhig trat ich von einem Fuß auf den anderen. Es dauerte mir einfach zu lange, bis Ra'Shirr mit den Seilen zurück war. Die meisten hatten wir mit der Verpflegung beim Eingang zurückgelassen, um in der Höhle nicht durch zu schweres Gepäck behindert zu werden. Das rächte sich jetzt.
    Endlich war er wieder da. Wir befestigten zwei der längsten Seile, eines schlangen wir um eine riesige Steinsäule und knoteten es gut fest, das andere zogen wir durch einen Eisenhaken, den Ra'Shirr in eine Felsspalte am Boden getrieben hatte. Die Konstruktion sah haltbar aus, und trotzdem frage ich mich heute noch, wie ich es damals geschafft hatte, völlig angstfrei in die Tiefe zu klettern. Der Forscherdrang musste alle anderen Empfindungen ausgeschaltet haben, die Vernunft eingeschlossen.
    Unten wartete ein reißender Fluss. Es gab nur einen sehr schmalen Sims, auf dem wir uns am Wasser entlang vorwärts bewegen konnten. Zur Sicherheit hatten wir uns angeleint, denn der Untergrund war glitschig und auch die glatt geschliffenen Wände boten wenig Halt. Aber wir schafften es … fast.
    Ich hörte nur einen Schrei, dann ein Platschen und das Sicherungsseil riss mich mit einem Ruck von der Wand. Panisch versuchte ich, wieder Halt zu bekommen, doch der Zug ging in die andere Richtung, drehte mich herum und brachte mich aus dem Gleichgewicht. Tiluva fluchte wie eine Herbergsdirne, bevor ihre Worte in einem Gurgeln untergingen. Zwei weitere Platscher, dann war ich an der Reihe. Dieser Kraft hatte ich nichts entgegenzusetzen, das Seil riss mich von den Beinen, ich fiel in den Fluss und trieb mit den anderen davon. Immer schneller wurde der Fluss, immer stärker das Rauschen von Stromschnellen vor uns. Rudernd, prustend und schreiend wurden wir davongespült, bis die rasende Fahrt genauso abrupt endete wie sie begonnen hatte. Unterhalb eines nur hüfthohen Wasserfalls teilte sich der Fluss, das Seil hatte sich an dem vorspringenden Felsen verfangen. Zerschlagen krochen wir ans schmale Ufer, um erst einmal zu verschnaufen.

    Es war uns nicht vergönnt. Der Lärm, den wir gemacht hatten, war nicht unbemerkt geblieben. Gleich fünf oder sechs große Frostbissspinnen – so genau konnte ich das in der Dunkelheit nicht sehen – kamen auf uns zu. Geistesgegenwärtig wirkten Alvasan und Tiluva fast zeitgleich ihre Lichtzauber, sie blendeten die Spinnen, hielten sie vorerst etwas auf Distanz, doch lange würde die Wirkung nicht anhalten.
    Schon schwirrten die ersten Pfeile an mir vorbei, die Soldaten griffen an. Links von mir war Doran, oder wie er hieß, auf eine der kleineren Spinnen gesprungen. Mit seinen bloßen Klauen zerlegte der Khajiit das sich heftig wehrende Tier, wobei Ra'Shirr es gleichzeitig immer wieder mit seiner „Küchenaxt“ angriff. Er hatte sie eigentlich mitgenommen, um Brennholz zu schlagen oder Jagdbeute zu zerlegen, als Waffe war sie aber genauso gut einsetzbar.
    Währenddessen hatten sich meine drei Kollegen auf die Magie verlegt. Jeder Altmer beherrscht ein paar Zerstörungszauber, das bringt man ihnen früh bei. Hier nun sah man, wie unterschiedlich die Begabung der einzelnen war. Alvasans Feuerbälle konnten sich sehen lassen, zwei Treffer reichten, um einer der Spinnen das Lebenslicht auszupusten. Auch Tiluva hielt wacker mit, wenn auch mit kleineren Flammen. Arethis Begabung lag weit hinter der der anderen beiden zurück, sie musste die Spinnen direkt berühren, um ihren Zauber wirken zu lassen, eine Nähe die gefährlich war. Das Tier richtete sich auf, gleich würde es sein Gift auf Arethi spritzen, und ich stand da und konnte nichts tun. Ich kam mir so nutzlos vor, mit einem Schwert in der Hand und trotzdem unfähig einzugreifen.
    Im letzten Moment wich Arethi aus. Die Spinne schnappte ins Leere und bekam dafür zwei Pfeile in den Kopf. Sie zappelte wild, versuchte sich noch einmal aufzurichten, doch die Kraft dazu ging ihr aus. Als letzte der Angreifer blieb sie vor uns liegen.
    Wenn Alvasan jetzt gefordert hätte weiterzugehen, hätte er womöglich eine Meuterei riskiert. Wir alle brauchten eine Ruhepause, selbst ich, der ja kaum am Kampf beteiligt gewesen war. Doch allein der Schreck saß mir noch so heftig in den Knochen, dass eine Beine zitternd nachgaben. Zum Glück dachte Alvasan gar nicht an den Weitermarsch, im Gegenteil, er zog sogar sein sorgsam gehütetes „Medizinfläschchen“ aus dem Rucksack und reichte es herum. Eigentlich machte ich mir nichts aus Branntwein, heute jedoch warf ich meine Prinzipien über Bord.
    Etwas erholt und innerlich gewärmt drangen wir weiter vor.
    Die Höhle musste einmal gut besucht gewesen sein, denn immer wieder stolperten wir über die Skelette menschlicher oder meretischer Bewohner, welche den Spinnen zum Opfer gefallen waren. Von den widerlichen Krabbeltieren bekamen wir zum Glück nur noch ein einziges zu Gesicht, ein wahrhaft gigantisches Exemplar, das aber unter einem geballten Pfeil- und Feuerhagel verendete, ehe es überhaupt merkte, woher der Angriff kam. Es war aus einem Stollen gekommen, der über und über von klebrigen Spinnfäden durchzogen war. Eine Truhe stand dort ganz am Ende, vollgepackt mit Silbergeschirr, ein paar Goldmünzen und leeren Seelensteinsplittern. Der letzte Besitzer lehnte dagegen, sauber abgenagt grinste uns sein Totenschädel an. Was mochte er – oder sie – in den letzten Augenblicken empfunden haben, als das ekelige Spinnenmonstrum durch den einzigen Zugang gekrochen kam? Ich glaube, ich wollte es lieber nicht wissen und schon gar nicht selber erfahren. Lieber beeilte ich mich zu den anderen aufzuschließen.

    Fackeln und Feuerschalen.
    Hier unten hatte dereinst jemand gelebt. Wie lange mochte das her sein? Was waren das für Leute? Minenarbeiter, Banditen? Flüchtlinge? Die Feuerschalen waren kalt, Asche und Staub in dunkel angelaufenem Metall, die Fackeln kaum mehr als verkohlte Holzstücke in rostigen Wandhaltern, natürlich alle seit langem erloschen. Wir ersetzten ein paar durch neue Kienspäne und hatten endlich wieder richtiges Licht, welches durch seinen flackernden Schein die Umgebung jedoch kein bisschen gemütlicher machte, eher das Gegenteil trat ein.
    Genau an dieser Stelle fiel mir auf, dass wir dem Ziel unserer Suche noch kein Stück näher gekommen waren, nicht ein einziger Pilz ließ sich sehen, Schimmerpilze zählte ich da nicht mit.
    Bei soviel Pech kann man schon einmal mürrisch werden, denke ich. Trotzdem tat mir Tiluva leid, die regelrecht zusammenzuckte, als ich ihren Hinweis auf einen aufwärts führenden Gang nur mit einem Knurren beantwortete. Ich entschuldigte mich sofort, hatte aber keine Lust auf ein Gespräch.
    Stumm stiegen wir den Gang hinauf. Die schöne Regelmäßigkeit der Fackelhalter sagte uns, dass der Weg richtig war, vermutlich gab es sogar einen zweiten Ausgang.
    Bevor es soweit war stießen wir jedoch auf die Überreste eines Lagers. Was den Bewohnern zugestoßen war sah man sofort. Trolle hatten sie überfallen, alles verwüstet und sich dann an den Leichen gütlich getan. Auch einer von ihnen hatte nicht überlebt, seine Gebeine wiesen die gleichen Zahnspuren auf wie die der menschlichen Opfer. Ja, Trolle kannten keinen Unterschied.
    Auch diese Tragödie war lange her, und so blieben wir kurz an diesem Ort um zu beraten.

    Es gab zwei Gänge, denen wir weiter folgen konnten. Einer davon führte wieder nach unten, meinen erhofften Pilzfunden entgegen, weshalb ich auch vorschlug, diesen zu nehmen. Ra'Shirr stimmte mir zu, wohl eher, weil ich es so wollte, als aus eigener Abenteuerlust. Doch er hätte auch gar nichts zu sagen brauchen, für Alvasan hatte seine Meinung keinen Wert, ebenso wie die der Soldaten, beide zwar Altmer wie er, jedoch im Rang so weit unter ihm, dass er es als unnötig erachtete, ihnen auch nur eine eigene Meinung zuzugestehen.
    Der Alte, Arethi und Tiluva wollten den Gang nach oben nehmen.
    „Lasst uns erst einmal den Ausgang finden“, redete Tiluva mir zu wie einem kleinen trotzigen Kind. „Danach können wir immer noch umkehren und den anderen Weg untersuchen. Über den Fluss zurück dürfte es schwierig werden.“
    Sie hatte ja recht. Da ich sowieso überstimmt war, nickte ich nur und wieder brachen wir auf.
    Der Weg stieg nur leicht an. Entsprechend lange dauerte es, bis endlich hoch oben Tageslicht durch einen Felsspalt fiel. Diesen zu erreichen war nicht möglich, doch es gab einen Seitengang und wenig später eine gut getarnte Steintür, die man mittels einer Zugkette öffnen konnte. Immer wieder staunte ich über diese Konstruktionen, waren sie doch auf einem technischen Niveau, das man den Bewohnern dieser Gegend gar nicht zutrauen konnte. Oder hatten wir es hier mit einem Werk der Dwemer, ja vielleicht sogar der alten Falmer selbst zu tun? Wenn wir doch nur endlich Erfolge erzielen würden, dann könnten auch solche Fragen bald gelöst werden.
    Wenig später starrte uns ein verdutzter Khajiit an, der Träger, den wir bei unseren Vorräten als Wache zurückgelassen hatten. Wir waren ganz in der Nähe des Eingangs wieder herausgekommen.

    Am nächsten Morgen stiegen wir erneut hinab. Vorbei am alten Lager wagten wir uns in den anderen Gang vor. Schnell zeigte sich, dass dieser Weg viel gefährlicher war als der vorige. Zur Abwehr der Trolle hatte man hier Fallen eingerichtet, einige funktionierten sogar noch. Ausgerechnet Alvasan löste sie dann aus, als er über ein am Boden gespanntes Seil stolperte. Wären Dwemer die Erbauer gewesen, dann hätten uns die herabrollenden Felsbrocken vermutlich alle erschlagen. So jedoch donnerte die ganze Ladung haarscharf an uns vorbei. Ich glaube, Alvasan verfluchte in den nächsten Augenblicken jeden Gesteinskrümel des Berges einzeln, nur sein eigenes Ungeschick erwähnte er nicht, und keiner von uns hielt es für ratsam, ihn darauf aufmerksam zu machen.
    Von nun an ertasteten wir buchstäblich jeden Schritt aber weitere böse Überraschungen blieben uns erspart. Immer weiter führte der Gang, gabelte sich und vereinte sich wieder und dann tauchte vor uns ein gewaltiger Höhlenraum auf. Dicke Säulen stützten die hohe Decke, auf dem Boden breitete sich ein kleiner klarer See aus eiskaltem Wasser aus. Es wäre ein wunderschönes Fleckchen gewesen, wenn es hier nicht so stark nach Verwesung gerochen hätte. Die Trolle mussten direkt vor uns ihr Lager haben.
    Wir schickten die Soldaten vor. Mit den Bögen im Anschlag schlichen sie am Ufer entlang. Wenig später hörten wir das Sirren der Sehnen und das Brüllen des ersten getroffenen Trolls. Dann ging alles sehr schnell. Die beiden verstanden ihr Handwerk, alle drei Trolle waren tot, bevor sie ihnen selbst gefährlich nahe kommen konnten.
    Damit war die Höhle zur Untersuchung freigegeben.

    Alvasan kniete sich erst noch bei den Trollen nieder. Ich wusste was er vorhatte und sah lieber nicht so genau hin. Trollfett war eine wertvolle Zutat für vielerlei Salben und anderes, die Beschaffung jedoch wenig appetitlich.
    „Hier Professor! Ich hab' welche!“ erschallte Tiluvas Vogelstimme aus einer kleinen Nische. Gleich darauf kam sie mir entgegen, zwei erstaunlich große Exemplare des gesuchten Pilzes in der Hand. „Da ist noch viel mehr.“
    Ich folgte ihr. Tatsächlich, vor mir breiteten sich großflächig Pilze auf dem Boden aus, und das Beste daran: es handelte sich um mindestens drei verschiedene Arten, die ich alle noch nie zuvor gesehen hatte. Ich war im Paradies …

    „Ae Auri-El, aran rodyn, lasta pith lîn iell ...“ [„Oh Auri-El, König der Götter, erhöre die Worte deiner Tochter ...“]
    Ich wandte mich um. In meiner Begeisterung für den spektakulären Fund hatte ich ganz eine weitere Kostbarkeit übersehen, die genau genommen noch viel wundersamer war an diesem Ort, als es sämtliche Pilzvorkommen sein konnten. Mitten aus dem See erhob sich eine flache Insel, auf der ein Schrein errichtet worden war. Er zeigte die Sonne, das Symbol des höchsten der Aldmerigottheiten, er trug das Zeichen Auri-Els. Alles hätte ich hier erwartet, nur das nicht.
    Während Arethi weiterhin kniend ihr Gebet verrichtete wanderte mein Blick über die Szene hinaus. Ein weiteres Bauwerk schälte sich aus dem dunkel, eine niedrige Kuppel aus poliertem hellem Stein, die ebenfalls Auri-Els Sonne krönte. Andächtig traten wir näher und verneigten uns ebenfalls in Ehrfurcht vor unserem Gott. Es war der Höhepunkt eines anstrengenden Tages, ach was, einer ganzen Ewigkeit. Jetzt gab es keine Zweifel mehr, wir wussten, dass die Erfüllung unserer Aufgabe dicht vor uns lag.

    Hätte Arethi nicht glücklich sein müssen?
    Nur Stunden, in denen wir uns alles genauestens angesehen hatten, begegnete mir ihr betrübter Blick.
    „Es öffnet sich nicht“, antwortete sie traurig auf meine Frage.
    „Was öffnet sich nicht?“ Ich wusste nicht, worauf sie hinaus wollte. Arethi seufzte.
    „Das Portal … Die Kuppel dort ist ein Portal, durch das man an andere Orte gelangen kann. Nur wenige wissen, dass die Falmer diese Art von Magie beherrscht haben, und wahrscheinlich weiß niemand mehr wie es funktioniert.
    Ich habe so etwas ähnliches schon einmal in Morrowind gesehen, in alten Festungen der Dunmer, die schon bei meinen Reisen lange aufgegeben waren. Ist es nicht traurig, dass die Magie der Alten langsam aus dieser Welt verschwindet? Wir halten uns für so mächtig und verstehen doch so wenig. Wie belebten die Dwemer ihre Wächtersphären? Wie funktioniert ein Dunmer-Propylon, wie ein Falmer-Portal? Ja ...“ sie sah mich direkt an „... ein Falmer-Portal, denn dies ist die erste magische Hinterlassenschaft einer verlorenen Hochkultur. Werden wir es je erfahren?“
    Ich konnte ihr keine Antwort darauf geben.
    „Vielleicht weiß Crothan ja Rat“, sagte Alvasan plötzlich hinter uns. „In ein paar Tagen will er uns in Harmugstahl treffen. Wir sollten ihn nicht warten lassen.“
    Dem stimmten wir zu. Was blieb uns auch für eine Wahl?
    Moonlord ist offline
  20. #20 Zitieren
    Felllecker  Avatar von Moonlord
    Registriert seit
    Apr 2011
    Ort
    Ostflohbisstal
    Beiträge
    8.205
    Kapitel 19 - Alte und neue Gesichter

    [Bild: FALMER_V.png]

    or

    fünf Tagen hatte ich mich in mein Labor zurückgezogen und es nur noch verlassen, um die notwendigsten Bedürfnisse des Körpers zu befriedigen. Schlaf? Was war schon Schlaf, wenn man das Gefühl hatte, so kurz vor dem Durchbruch zu stehen.
    Ra’Shirr versorgte mich mit Nahrung, nachdem ich mehrmals nicht zum gemeinsamen Essen erschienen war … nein, nachdem ich begonnen hatte, an den Zutaten herumzuknabbern. Ich weiß, man soll so etwas nicht tun. Ich habe es meinen Studenten auch immer wieder gepredigt, doch was soll man machen, wenn eine Portion Honig oder ein paar Hühnereier direkt vor der Nase stehen und der Magen knurrt? Eines weiß ich seitdem aber mit Sicherheit: Nie wieder roher Skeeverschwanz!
    Wie gesagt, Ra’Shirr versorgte mich, und auch die anderen halfen wo sie konnten. Arethi und Tiluva hatte man sogar schon in seltener Eintracht in der Umgebung Kräuter sammeln sehen. Die Khajiit hatten der Höhle einen weiteren Besuch abgestattet und sämtliche Pilzvorkommen leergepflückt, die sie finden konnten. Meistens jedoch waren sie damit beschäftigt, die Gänge und Kammern weiter auszubauen. Holz war von den Abgeschworenen geliefert worden und auch Harrans Versuchsskeever, an denen er nun mit Feuereifer seine Tests vollzog.
    Jeder hatte genug zu tun und die Zeit verging wie im Fluge.

    Auch jetzt wurde es bereits wieder Abend als Tiluva hereingestürmt kam.
    „Salenquil, endlich, wie haben es!“ rief sie ganz aufgeregt.
    „Was?“
    „Ich war gerade bei Harran … die Skeever … Ihre Verhaltensmuster …“
    Ich starrte sie an. Erst allmählich begriff ich, was sie mir sagen wollte: Die letzten Mixturen hatten endlich eine Wirkung gezeigt. Wir waren auf dem richtigen Weg. Ach was, wir waren ganz nah dran, den Durchbruch zu schaffen!
    „Welche Reihe war es?“ Ohne es zu bemerken hatte ich Tiluvas Schultern ergriffen und sie zu mir herangezogen. Sie störte sich nicht daran, war selbst viel zu aufgeregt.
    „237 D … die ockerfarbenen, zusammen mit Riesenflechte und Todesglockenblume.“
    Schlagartig war die Euphorie verschwunden.
    „Eine D-Reihe? Aber da haben wir ja …“
    Tiluvas Augen wurden groß als sie meine Bestürzung sah. Sie streifte meine Hände ab und trat wieder einen Schritt zurück.
    Eine D-Reihe. Das bedeutete, dass bereits drei Versuche mit der gleichen Rezeptur fehlgeschlagen waren. Ich bereitete sie überhaupt nur zu, wenn Zutaten übrig blieben, die ich sonst weggeworfen hätte. Ausgerechnet solch ein letzter Versuch sollte erfolgreich gewesen sein? Ich konnte es nicht glauben.
    „Ich muss zu Harran“, sagte ich bereits halb in der Tür.
    „Wartet, ich komme mit.“
    Gemeinsam hasteten wir den Gang entlang, hätten beinahe zwei Khajiit umgerannt, die einen Holzbalken für die untere Ebene trugen, und stürmten Harrans „Folterkammer“. Auch Alvasan war bereits dort.
    „Ah, der Einsiedler“, empfing er mich. „Seid Ihr endlich doch zu was gut.“
    Wie vor eine Wand gelaufen blieb ich stehen, doch er lachte nur: „Ein Scherz, Professor.“
    Er kam auf mich zu und zog mich zu den Käfigen. Drei fette Skeever saßen darin und schauten mich aus glasigen Augen an, keine Spur der üblichen Aggressivität.
    „Seht, sämtliche Reaktionen sind verlangsamt. Bei denkenden Wesen würde man von völliger Gleichgültigkeit sprechen. Auch das Schmerzempfinden …“ Er nahm eine lange Nadel und stach damit einem der Skeever kräftig ins Hinterteil. Dieser rückte etwas zur Seite, knurrte aber nicht einmal. „… ist stark herabgesetzt. Kurz, es ist die perfekte Droge um jemanden gefügig zu machen.“
    „Aber eine D-Probe … ist das sicher?“
    Alvasan und Harran nickten synchron. „Ganz sicher“, sagte letzterer. „Ich weiß auch nicht, warum die anderen nichts bewirkt haben, aber wir haben mit diesen drei Viechern frisch angefangen, es waren ihre ersten Tests.“
    In meinem Kopf schwirrten die Gedanken durcheinander. Fieberhaft suchte ich nach Antworten, die das Versagen dreier Tests erklären könnten. Hing es mit der körperlichen Verfassung der Skeever zusammen? Hatten die anderen Tiere vielleicht schon Rückstände voriger Versuche in ihren Körpern, die die Wirkung neutralisierten? Oder waren manche einfach dagegen resistent?
    Ich sah mich um und fand die Reste der Probe auf dem Tisch. Zum Glück war es eine der „Trockenreihen“, bei denen alle Zutaten nur zu einem feinen Pulver zermalen wurden, welches man dann zum Beispiel auf Brot streute.
    „Ich muss das untersuchen.“ Damit griff ich mir die Schale und war schon wieder auf dem Weg zurück, als mich Alvasans Stimme einholte.
    „Morgen, Professor … oder meinetwegen in der Nacht. In einer halben Stunde gibt es Essen. Ich erwarte, dass Ihr diesmal erscheint.“
    ’Na großartig! Beschwört doch einen Skamp, wenn Ihr Euch beim Essen einsam fühlt’, dachte ich, sagte aber zu. Alvasan hatte sich angehört, als ob er diesmal keinen Widerspruch dulden würde.

    Eine halbe Stunde war rasch vergangen. Ich schaffte es gerade noch, mich umzuziehen und wenigstens oberflächlich zu waschen, bevor die Zeit verstrichen war. Nach dem Essen, das nahm ich mir ganz fest vor, würde ich zuerst baden, bevor ich mich wieder im Labor vergrub. Alvasan hatte soweit recht, dass es jetzt, wo es fast geschafft war, auch auf ein paar Stunden nicht mehr ankam. Ruhig werden, nachdenken vor dem nächsten Schritt, keine Fehler zulassen … das allein zählte nun.

    So in Gedanken versunken betrat ich den Speisesaal.
    „Aber was …?“
    Wieso hatte mir niemand gesagt, dass Crothan wieder zurück war? Ein Blick auf Tiluva erinnerte mich daran, dass sie es mir gesagt hatte … gestern schon. Ich hatte es nur verdrängt, völlig abgelenkt von meinen Aufgaben.
    „Guten Abend“, schob ich schnell nach um meine Überraschung zu verbergen. Der Erfolg hielt sich in Grenzen.
    Obwohl außer mir schon alle anwesend waren gab es noch zwei freie Plätze. Ich setzte mich wieder neben Tiluva, sozusagen aus alter Gewohnheit, und nahm mir gleich zwei Backkartoffeln auf den Teller, dazu etwas scharf gewürzten Salat aus Tomaten, Lauch, Zwiebeln und feinen Kohlstreifen und eine Flasche Bier. Wasser hätte vermutlich besser dazu gepasst, doch heute war ich in der Stimmung etwas Alkohol vertragen zu können, nur um die Nerven zu beruhigen versteht sich.
    Die anderen hatten inzwischen ihre Gespräche wieder aufgenommen. Crothan berichtete ausschweifend über Mzulft, eine Dwemerruine, die er mit Genehmigung des Jarl der Ostmarsch in den letzten Monden besucht hatte. Seine Erlebnisse in Windhelm mussten schon gestern an der Reihe gewesen sein, die hatte ich wohl verpasst.
    Während des Essens hörte ich ihm zu. Er konnte gut erzählen, das musste man Crothan lassen. Die dunklen verlassenen Gänge der alten Dwemerstadt erwachten derart plastisch vor meinen Augen zum Leben, dass ich das Gefühl hatte, selbst dabei zu sein. Tiefer und tiefer ging es hinab, über langgezogene Rampen, übersät mit den Einzelteilen zerstörter Mechanoiden und verbeulten Einrichtungsgegenständen. Staub rieselte von der Decke, warme Dämpfe wallten über den Boden und das Rasseln und Stampfen unaufhörlich arbeitender Maschinenteile begleiteten einen auf Schritt und Tritt. Drei Ebenen tief waren sie vorgedrungen, bis sie vermehrte Funde von Überresten früherer Abenteurer vom Weitergehen abgehalten hatten. Diese Ruinen waren bewohnt, auch wenn die Dwemer schon lange verschwunden waren. Falmer hatten sich hier niedergelassen, diese verdorbenen bösen Geschöpfe, zu deren Erlösung wir uns entschlossen hatten.
    Als sie dann vor der nächsten großen Metalltür gleich eine ganze Gruppe von Leichen fanden, Menschen, Falmer und auch zwei Chauri, da hatten sie auf ein weiteres Vordringen verzichtet und sich lieber auf die Untersuchung dieser Ebene beschränkt. Mit Erfolg, denn Crothan hatte tatsächlich etwas gefunden, was uns vielleicht weiterhelfen konnte. Sie waren auf Kerkerzellen gestoßen, einen riesigen Komplex, und in diesen auf Kritzeleien an den Wänden, oder besser auf in die Wände geritzte Schriftzeichen, die eindeutig nicht dwemerisch waren. Crothan hatte akribisch Abdrücke anfertigen lassen, jede noch so winzige Linie auf Pergament gebannt und wartete nun auf einen Boten aus Markarth, wo er Calcelmo um Hilfe bei der Übersetzung gebeten hatte.

    Nachdem er mit seinem Bericht fertig war und der Tisch abgeräumt wurde, kamen wir auf die heutigen Ereignisse zu sprechen. Alle bestürmten mich mit Fragen, doch was konnte ich antworten? Ich wusste ja immer noch nicht, wie der unverhoffte Erfolg zustande gekommen war. So musste ich meine Kollegen auf morgen vertrösten, wenn ich die Reste der Probe noch einmal analysiert hatte.
    „Ich werde mich jetzt zurückziehen“, verkündete ich. „Die Arbeit ruft, schließlich möchten wir alle wissen, was heute geschehen ist.“
    „Nein, bleibt noch!“ Alvasan hielt mich auf und wandte sich dann an die Runde: „Bleibt alle noch! Ich möchte Euch noch jemanden vorstellen. Er ist vor kurzem eingetroffen und wird gleich zu uns stoßen.“
    'Ah, deswegen der freie Platz.' Jetzt fiel mir auch ein, dass während unseres Gesprächs einer der Diener erschienen war und kurz mit Alvasan geflüstert hatte. Ein Besucher also, der um diese späte Stunde noch im Reach unterwegs war. Er musste eine gehörige Portion Mut besitzen … oder Dummheit. Na ja, er war anscheinend unbeschadet eingetroffen und nicht mehr hungrig, denn auch das leere Gedeck hatte man abgeräumt. Ich überlegte noch, um wen es sich handeln könnte, als sich die Tür öffnete und ein … Bosmer den Raum betrat.
    Ich staunte nicht schlecht. Er sah aus wie der typische Waldelf aus dem Bilderbuch: mittelgroße drahtige Gestalt in brauner Hose und laubgrüner Jacke, den Jagdbogen über der einen und den Köcher über der anderen Schulter. Das Gesicht war scharf geschnitten mit klaren wasserblauen Augen und hellem halblangen Haar.
    „Darf ich vorstellen: Sethinir von der Akademie Torval. Unser neuer Biologe.“ Alvasans Stimme hatte etwas Feierliches.
    Der Bosmer nickte allen freundlich zu und setzte sich dann auf den freien Platz neben mich. Bogen und Köcher hängte er über die Stuhllehne.
    Sethinir aus Torval war also der Ersatz für Ramaleth. Ich war ehrlich erstaunt, kannte ich den Bosmer, der in der Hauptstadt Pelletines lehrte, nur vom Hörensagen. Er hatte einige Abhandlungen über die Kräuter der Küstengebiete und ihre Anwendungsmöglichkeiten in der Heilkunde und Alchemie verfasst, ganz ordentliche Arbeit aber nichts Umwerfendes. Wenn ich so darüber nachdachte, hatte ich sie damals nur kurz überflogen. Nun saß er hier und sah uns einen nach dem anderen an, wobei Alvasan mit der Vorstellung weitermachte.

    „Sehr erfreut, einen Landsmann persönlich kennenzulernen“, sagte Sethinir nachdem ich als letzter an die Reihe gekommen war. „Ich habe viel von Euch gehört und all Eure Werke regelrecht verschlungen.“
    „Oh, ich ebenfalls“, log ich aus purer Höflichkeit.

    "Wir werden sicherlich viele Gelegenheiten haben, uns darüber zu unterhalten. Doch sagt, was gibt es Neues in der Heimat? Welcher Weg hat Euch hierher geführt? Ich denke, das wird unsere Kollegen im Augenblick viel mehr interessieren als trockene Fachsimpelei.“ Bei den letzten Worten zwinkerte ich ihm zu.
    „Natürlich, Professor Salenquil, Ihr habt ja recht“, antwortete er. „Doch was Neuigkeiten aus Valenwald angeht, da muss ich Euch enttäuschen. Ich bin von Torval aus mit dem Schiff den Niben herauf bis zur Kaiserstadt gefahren und dann bei Bruma über die Berge. Valenwald habe ich vermutlich viel länger nicht gesehen als Ihr selbst. Alles was ich weiß sind unbestätigte Gerüchte, Provinzklatsch, der hier wirklich niemanden interessieren wird …“
    Na ja, eine der Damen hätte „Provinzklatsch“ schon interessiert, wie ich an Tiluvas Mienenspiel erkannte, aber da dies genau dem Image einer jungen blonden Altmer entsprochen hätte, hielt sie sich zurück.
    Sethinir berichtete nun in allen Einzelheiten über seine Reise, über eine Lawine am Fahlen Pass, der er nur knapp entronnen war, über den Angriff eines Wolfsrudels, dem er heldenhaft getrotzt hatte und über etliche weitere Etappen. Spätestens als er dabei war, wie er einen Riesen mit einem gezielten Schuss in die Achselhöhle tötete, erlahmte mein Interesse völlig und ich hörte nicht mehr zu.

    An diesem Abend wurde nichts mehr aus weiteren Tests. Nachdem ich das Versprechen an mich selbst eingelöst und ein ausgiebiges Bad genommen hatte, wurde ich so müde dass ich beinahe auf dem Weg zu meiner Kammer einschlief.

    „Neuer Tag – neues Glück.“ Wer diesen Spruch geprägt hatte, wusste nichts vom wirklichen Leben. Der neue Tagt brachte alles, nur kein Glück. Wieder hatte ich mich auf meine Forschung gestürzt, genau genommen auf die Reste der Probe 237-D. Körnchen für Körnchen nahm ich sie auseinander. Ich benutzte dafür eine gewölbte Glasscheibe, auch eine Erfindung der Dwemer, die sie zur Beobachtung der Gestirne verwendet hatten. So einfach diese Entdeckung war, so genial war sie auch, erlaubte sie doch, kleinste Gegenstände stark vergrößert zu betrachten.
    Trotzdem half es nichts. Die drei Bestandteile der Mischung sahen auch aussortiert ganz normal aus.
    Gegen Abend war ich mit meinen Ideen am Ende. Ganze fünfzehn Skeever hatten wir mit dieser Mischung gefüttert, fünfzehn verschiedene Ansätze einzeln zubereitet. Das Ergebnis war niederschmetternd, keine Reaktion, die über die bekannte Wirkung der einzelnen Giftstoffe hinausging. Sollte es wirklich purer Zufall gewesen sein? Göttliche Fügung? Ich glaubte nicht daran, ebenso wenig wie ich eine körperliche Anomalie der Skeever in Erwägung zog. Wenn es sich um ein Tier gehandelt hätte, dann vielleicht, aber drei Skeever mit der gleichen Abnormität? Nein, das war ausgeschlossen.
    Auch die folgende Krisensitzung brachte nichts. Wie sollte sie auch? Wir alle tappten weiter im Dunkeln. Harran schloss noch einmal kategorisch aus, sich bei der Mixtur geirrt zu haben. Ich glaubte ihm, hatte ich doch die Reste untersucht und sogar erneut getestet, auch ergebnislos. Doch wie konnte das sein? Bei einer dieser Riesenratten funktionierte es und bei der nächsten nicht?
    „Wir brauchen mehr Pilze“, versuchte ich die letzte Möglichkeit. „Eventuell verflüchtigt sich der betreffende Giftstoff schnell und unsere jetzigen Exemplare sind einfach nicht mehr frisch genug. Das verwendete Pulver stammt von einer der ersten Sammlungen. Wenn es daran nicht liegt, dann weiß ich auch nicht weiter.“
    „Meinetwegen“, knurrte Alvasan, der auch schon bessere Laune gehabt hatte. „wir werden noch einmal in die Höhle gehen …“
    „Obwohl Ra’Shirrs Trupp dort alles abgegrast hat, was zu finden war? So schnell wachsen nicht einmal Pilze nach“, warf Tiluva ein.
    „Nicht alles“, Alvasan schüttelte den Kopf. Ein hintergründiges Lächeln stahl sich auf sein Gesicht und gab ihm den Ausdruck eines Säbeltigers vor dem tödlichen Sprung. „Ihr vergesst das Portal. Ich glaube, Meister Crothan kennt einen Weg es zu öffnen.“
    Alle Blicke richteten sich auf den Archäologen. Auch er lächelte. Es war ein selbstgefälliges kaltes Lächeln. „Ja, es gibt einen Weg. Uralte Schriften aus Hochfels erwähnen einen Klangzauber, der diese Portale öffnen kann. Ich werde Euch in die Welt der alten Falmer führen. Es wäre doch gelacht, wenn wir dort nicht weitere Vorräte finden würden und wer weiß, vielleicht lösen wir ganz nebenbei noch ein paar Geheimnisse.“
    „Oder sterben bei dem Versuch.“ Arethis Einwurf kam unerwartet und schlug deshalb umso brutaler ein.
    „Wie kommt Ihr darauf?“, zischte der Alte. „Wisst Ihr etwa mehr als Meister Crothan, Priesterin?“ Die Betonung des letzten Wortes allen war Ablehnung genug. Uralte Welten wiederentdecken, welcher Forscher ließ sich davon schon abhalten? Sicher gab es manchmal Gefahren, man musste nur an die Dwemerstädte denken, aber mit der gebührenden Vorsicht …
    „Nein, ich weiß nicht mehr als er.“ Arethi holte tief Luft und fuhr sichtlich um Ruhe bemüht fort: „Aber auch ich habe viele alte Schriften gelesen. Diese Portale öffnen magische Durchgänge, welche den Passanten über große Entfernungen versetzen können, vielleicht sogar in andere Sphären. Es gibt zu wenige Aufzeichnungen darüber, niemand kann sagen, wie es wirklich funktioniert und was uns erwartet. Denkt Ihr nicht auch, dass die Erbauer Sicherungen vorgesehen haben? Was ist, wenn das Portal ins Nichts führt, oder über einem bodenlosen Abgrund endet?“
    Auch wenn ich sehr dafür war, das Portal zu benutzen, so Unrecht hatte sie damit nicht. Alvasan schnitt jedoch alle weiteren Spekulationen mit einem Satz ab: „Dagegen werden wir uns absichern. Ein Freiwilliger wird vorgehen.“
    Und wer würde dieser Freiwillige sein?
    Moonlord ist offline
Seite 1 von 2 12 Letzte »

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •