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    Vorwort

    Es ist das Jahr 399 der dritten Ära.
    Das letzte Jahr der Regentschaft des falschen Kaisers Jagar Tharn. Dem ehemaligen kaiserlichen Kampfmagier ist es gelungen Uriel Septim VII., rechtmäßiger Herrscher und Behüter Tamriels, in das Reich des Vergessens zu verbannen und sich mit Hilfe hoher Illusionsmagie als diesen auszugeben um an seiner statt zu regieren. Daraufhin brachte er dem Reich Leid und Elend, Jahrhunderte zuvor geeinte Provinzen verfielen in Zwist und schließlich in Krieg.
    Die Region in der diese Erzählung spielt befindet sich hoch im Norden an der Grenze von Hochfels zu Hammerfell. Beide Provinzen mussten zuvor viel Blut lassen im Krieg von Bend'r-mahk, in welchem sie mit vereinten Kräften gegen Himmelsrand zogen und vernichtend geschlagen wurden. Obgleich offiziell als beendet geltend, hielt das Töten an. Siegestrunken zog es nun viele Nord-Männer mit Hoffnungen auf leichte Beutezüge gen Südwest. Auf der anderen Seite waren viele Bretonen und Rothwardonen durchaus nicht bereit, die in den Friedensvereinbarungen angegebenen Gebietsverluste hinzunehmen und es formierte sich ein blutiger Widerstand. Vielen war es als hätte es nie einen Friedensschluss gegeben …

    Und inmitten dieses Chaos fand nun eine Rebellion kleineren Ausmaßes statt.
    Die Sichtung eines nahenden Trupp plündernder Nord zwang den Herren von Gut Nebelwacht, hoch oben in den an die Iliac-Bucht angrenzenden Wrothgarischen Bergen, sein Heim zu verlassen und der Bedrohung entgegen zureiten.
    Etwa zwei Dutzend seiner Gefangenen nutzen daraufhin die Gunst der Stunde und es gelang ihnen die Flucht aus den Klauen ihres Peinigers. Die meisten von ihnen waren für die Sklaverei bestimmt. Der Großteil waren Waisen, als sie hierher verschleppt wurden ... viele sind es erst geworden, nachdem das Monster auch auf ihre Eltern getroffen war.

    Einer von ihnen ist der Bretone Coras. Aus seiner Sicht wird hier erzählt, wie es den Flüchtigen ergeht.
    Und dann ist da noch Pyrrhus, ebenfalls Bretone aber im Dienst des Sklaventreibers, bestrebt um jeden Preis die Fährte der Ausreißer aufzunehmen, bevor sie ihm ein für alle mal entrinnt …
    Trinovas ist offline
  2. #2 Zitieren
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    Beeilt euch doch verdammt! Oder wollt ihr lieber von ihm getragen werden?“
    Müde hob Coras den Kopf an um zu sehen wie Matthien einige Meter voran energisch mit der Fackel wedelte um seine kleine Truppe zum Weitergehen zu bewegen.
    „Warum eigentlich seine Truppe“, dachte Coras mit einem Anflug von Trotz. „Es gab doch nie irgendeine Abstimmung darüber wer uns anzuführen hat!“ Doch dann wurde ihm schnell wieder klar, dass es genau genommen gar keine Alternative zu dem dicklichen Rothwardonen-Jungen gab. Zum einen war er mit seinen dreizehn Jahren der älteste und auch kräftigste unter ihnen. Die meisten anderen, der drei Jahre jüngere Coras eingeschlossen, waren eh schon viel zu sehr von der Anstrengung einen Fuß vor den anderen zu setzten geschwächt. Außerdem hatte er Angst und ohnehin keine Vorstellung davon, wohin er sie führen sollte. Matthien hingegen kannte den Weg in seine alte Heimat Hammerfell in- und auswendig, verfügte über fundiertes Kartenwissen und konnte die Richtung auch am Stand der Sterne bestimmen … behauptete er zumindest.
    Nicht, dass es irgendeine Rolle spielte. Coras wusste es hieß: entweder Matthien folgen und das Risiko in Kauf nehmen, dass er sie geradewegs in den sicheren Tod führte – oder gar nichts tun und warten bis dieser sie erreichte. Und ihm war ebenso klar, dass dies nicht lange auf sich würde warten lassen.
    Der Gedanke ließ ihn erzittern, als er mit den anderen keuchend die kleine Anhöhe erstieg, an dessen Spitze ihr selbsternannter Anführer ungeduldig mit der Fackel in der Hand auf sie herabblickte. Zielstrebig war er alle mal, das konnte man ihm nicht absprechen. Woher nahm er nur diese Energie?
    Coras war einer der ersten, die ihn erreichten. Atem schöpfend sah er sich um. Es war tiefste Nacht und die Dunkelheit schien alles um sie herum zu verschlingen. Direkt neben der einzigen Fackel zu stehen, die ihnen geblieben war, erhöhte seine Sichtweite dabei auch nicht unbedingt. Dennoch erkannte er, nach einigen Augenblicken, auf der anderen Seite der Anhöhe den Saum des Waldes, dem sie seit Tagen entgegenstrebten.

    „Wenn wir den erst einmal erreicht haben, wird Vanius uns nie wieder sehen!“, schossen ihm Matthiens Worte durch den Kopf. „Ja, ich habe mal von einer Räuberbande gehört, die sich dreißig Jahre in einem Wald versteckt hatte ohne je gefunden zu werden!“, hatte daraufhin Horrundor, ein kleiner, strohblonder Nord-Junge eingeworfen. „Sie haben dort einfach nur gewartet, bis irgendjemand vorbeikam, der dumm genug war ihn zur durchqueren und dann -“, er schlug mit seiner rechten Faust in die linke Handfläche,“Bäm! Keiner ist ihnen je entkommen.“
    „G-g-glaubst du etwa die sind immer noch da drin?“, fragte Lena ihn mit weit aufgerissenen Augen und zitternder Stimme. „Doch nicht in diesem Wald, du dumme Göre“, fuhr Horrundor die Bretonin an, obgleich sie nur ein Jahr jünger war als er. Caelius, einer der beiden hochnäsigen Kaiserlichen unter ihnen, konnte darauf nur seine Nase rümpfen. „Und auch in sonst keinem Wald, Schneemann.“, sagte er mit diesem herablassenden Ton der ihm eigen war. „Keine Bande von hirnlosen Kriminellen könnte sich derart lange vor Kaiser Uriels Soldaten verstecken. Er hätte ihre Köpfe noch bevor sie überhaupt ein einziges Jahr überstanden hätten.“ Sein jüngerer Bruder Lucius stimmte ihm wie immer eifrig zu.
    Coras erinnerte sich, wie wütend er dann geworden war. Wie konnte dieser Schönling immer noch an seinem ach so wunderbaren Kaiser festhalten?? Erkannte er denn nicht, dass Hochfels, Hammerfell und vermutlich halb Tamriel in Trümmern lag und der Kaiser keinen Finger rührte um die Zerstörung abzuwenden?
    Horrundor und Caelius hatten sich dann noch eine ganze Weile darüber gestritten, wer von ihnen denn nun ein räudiger Lügner wäre, bis Matthien sie zum Schweigen gebracht und verkündete hatte, dass es Zeit wäre wieder aufzubrechen. Es grenzte an ein Wunder, dass Caelius überhaupt bereit war sich einem nicht Kaiserlichen unterzuordnen. Sein erster Gedanke war es ja gewesen direkt zu Vanius zurückzukehren …

    „Wenn sie in diesem Tempo weitermachen, können wir uns auch gleich selbst aufhängen. Der alte Bluthund wäre uns sicherlich dankbar, wenn wir ihm die Anstrengung abnehmen.“ Unvermittelt holte die Stimme ihres Anführers Coras wieder in die Gegenwart zurück. Er wandte seinen Blick vom Wald ab und musste feststellen, dass Matthien wohl Recht hatte. Von den zehn, die ihre Gruppe noch zählte, hatten bisher gerade einmal vier, nämlich er selbst, Matthien, Caelius und Jart, ein weiterer, nicht sonderlich gesprächiger Rothwardon, die Spitze erreicht.
    Nach wie vor mit dem Aufstieg beschäftigt waren Caelius' Bruder, Lena, Horrundor, den das ganze mehr Kraft abforderte, als es ein Nord bereit war zuzugeben, Olga, ein Nord-Mädchen, und als letztes – Coras blieb fast das Herz stehen – Yana.
    Dabei war die gleichaltrige Bretonin nicht etwa letzte, weil sie besonders schwach wäre. Im Gegenteil: Wenn sie wollte wäre sie ihm schon Meilen voraus. Im Moment jedoch, trug sie einen nicht unerheblichen Ballast in Form des dreijährigen Rothwardonen-Mädchens - die nach ihrem Namen zu fragen jedem überflüssig schien - mit sich. Die meisten anderen hatten dafür gestimmt sie zurückzulassen, da sie ja eh nicht lange überleben würde. Yana wollte nichts davon hören und so war es ihr zugefallen, sich um die Kleine zu kümmern. Coras hatte sich enthalten.

    Als sie endlich alle wieder versammelt waren ergriff Matthien sogleich das Wort.
    „Wir müssen unbedingt ein besseres Tempo einlegen. Ich weiß ich habe gesagt wenn wir den Wald erreicht haben sind wir sicherer. Aber wer weiß, wie dicht der Bluthund uns auf den Fersen ist. Wir sind aufgebrochen am .. wann war das gleich? Ach ja, diesen Turdas. Vor vier Tagen. Vanius dürfte spätestens zwei Tage nach unserer Flucht los sein. Aber ich denke, wenn wir uns anstrengen erreichen wir Hammerfell trotzdem noch vor ...“.
    „Hammerfell? Was will ich in deinem Dreckloch von Provinz? Wir sollten nach Cyrodi-“, fing Caelius an doch Coras wurde es zu viel. „Cyrodiil!? Was glaubst du Schwachkopf denn wie man dahin kommt ohne über Hammerfell zu gehen? Bringt man euch 'Elite' denn überhaupt nichts bei?“ Der Kaiserliche warf ihm einen Blick zu der nicht mehr vor Verachtung hätte triefen können.
    „Er hat Recht, Caelius“, sprang Olga ein. „Ich bin übrigens immer noch der Meinung wir sollten nach Himmelsrand. Mein Onkel wohnt in Reach. Er wird uns sicher alle eine Zeit lang aufnehmen auch wenn ihr keine Nord seid.“
    Da brachen sie wieder alle in Streit aus. Die Bretonen und Rothwardonen wollten um keinen Preis nach Himmelsrand, solange diese im Krieg lagen, bei den Nord war es das selbe umgedreht und die beiden kaiserlichen Brüder empfanden eh jede Provinz außerhalb Cyrodiils als unwürdig der Ehre von ihren Schuhsohlen berührt zu werden. Matthien sah aus, als wäre er der Verzweiflung nahe, wähnte er sich doch schon fast am Ziel.
    „Wo wir auch hingehen, wir sollten es schnell tun. Und eine Stadt finden. Shani leidet an Fieber, sie muss dringend einen Heiler aufsuchen“, sagte Yana mit besorgter Mine. Caelius drehte sich genervt zu ihr um. „Wer bei allen neun Göttlichen ist bitte Shani?“ Sie funkelte ihn böse an.
    „Das Mädchen, das du schon vor vier Tagen sich selbst überlassen wolltest. Weil sie ja 'eh bald tot' sei. Tja, sie lebt aber noch wie du siehst und mir liegt viel daran, dass dem so bleibt!“ Die kleine Rothwardonin in ihren Armen schien fest zu schlafen.
    „Yana, wir ..“, setzte Coras an, „Selbst wenn wir einen Heiler finden sollten würde dieser sich wohl kaum bereit erklären sie umsonst zu behandeln.“ Enttäuscht wendete Yana ihm ihren Blick zu. „Du nicht auch noch, Coras. Bitte sag mir nicht, dass du mit dem da“, sie deutete auf Caelius, „einer Meinung bist. Willst du sie etwa einfach so hier liegen lassen?“
    „Solltet ihr Bretonen-Pack nicht besser zusammen halten?“, spottete Lucius bevor Coras zu einer Antwort ansetzen konnte. Immerhin wandte Yana ihren Zorn nun dem vorlauten Kaiserlichen-Bengel zu, der daraufhin eher elend als edel drein sah.
    „Beruhigt euch! Ihr alle!“, sagte Matthien mit lauter Stimme und blickte sie reihum nacheinander an.
    „Caelius, wenn es Kaiserliche sind, die du suchst, bitte – bleib einfach hier sitzen und ich bin sicher noch vor Sonnenaufgang können du und Vanius sich freudig in die Arme schließen.
    Yana, ich sag es nur ungern, aber es war deine Entscheidung die kleine mitzuziehen. Nun liegt sie auch in deiner Verantwortung.“ Diese fiel sofort ein. „Ihr Name is-“, aber Matthien unterbrach sie mit einer einfachen Geste und sie verfiel in mürrisches Schweigen.
    „Und Olga, wir können nicht nach Himmelsrand. Es ist schlichtweg zu weit, zu gefährlich. Wir müssten genau durch die letzten umkämpften Gebiete gehen und falls es dir entgangen ist – ihr Nord seid am gewinnen!
    Wir waren mal siebzehn. SIEBZEHN, bei Azura. Wir müssen nicht noch weniger werden.
    Ich sage wir bleiben bei unserem Plan: von hier schlagen uns hier durch den Wald und wenn wir auf der anderen Seite ankommen sind wir bereits in Hammerfell. Von dort kann dann meinethalben jeder seiner Wege gehen und ...“

    Doch wieder wurde er unterbrochen. Diesmal unerwartet von heißerem Gelächter.
    „Hammerfell? Halb Tamriel liegt zwischen hier und seiner Heimat und doch kennt Ji'Dar sich besser aus als ihr.“
    Es lag eindeutig Spott in der Stimme doch Coras hätte schwören können, weder Caelius noch Lucius den Mund haben öffnen sehen. Als sich alle dem Fleck Dunkelheit zu wandten, von dem die Stimme zu kommen schien, regte sich etwas und der Lichtschein der Fackel fiel auf … Fell. Und noch während Coras sich nach dem Besitzer der Katze umsah, erhob sich diese und stand plötzlich auf zwei Beinen vor ihnen. Noch dazu trug sie Kleidung – grobes, braunes Leder, welches sich kaum vom Fell abhob und mehrere Ohrringe. Nun, zumindest an dem einem Ohr, das sie hatte.
    Es blieb ihm nicht einmal Zeit entsetzt zu sein, da öffnete die Kreatur das Maul und stellte seinen Verstand auf eine weitere Zerreißprobe.
    Es kamen kleine spitze Zähne zum Vorschein, zwei strahlend grüne Augen fixierten Matthien, der drein blickte als bereute er bereits inständig die Entscheidung die Fackel geschwenkt zu haben, und mit einem Tonfall, der verriet wie amüsierend die ganze Situation auf ihn, sie oder es wirken musste, sprach die Katze.
    „Wenn ihr wünscht nach Hammerfell zu reisen, solltet ihr am besten die Richtung ändern oder ihr werdet nie wieder Gelegenheit dazu finden, mein Freund – ihr befindet euch auf direktem Weg nach Orsinium.“
    Trinovas ist offline
  3. #3 Zitieren
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    Elendig lang zog sich die Ödnis der Wrothgarischen Berge vor ihm her. Karge Felsen und ausgetrocknete Flussläufe. Seine braun-weiß gescheckte Mähre verfiel in einen immer langsamer werdenden Trab. Obgleich sehr trittsicher war das Tier doch nicht für die bergige Region geeignet. Abgesehen von seinem Reittier waren die einzig anderen Lebewesen, die er erspähen konnte, kleine Eidechsen, welche beim Geräusch von Hufen blitzschnell unter den nächstbesten Felsen huschten und Jagdvögel, die hoch oben am grauen Himmel ihre Bahnen zogen. Dieser verschwamm dabei vor seinen Augen allmählich mit den granitfarbenen Bergen …

    Die Berge hatten schon immer einen eher trostlosen Anblick geboten und galt seit jeher als lebensfeindlich. Der Krieg hatte nicht dazu beigetragen, etwas an diesem Status zu ändern.
    Schon zwei vollkommen niedergebrannte Ruinen ehemaliger Bauernhöfe hatte er auf seinem Weg erspäht. Nachdem die Raubzüge aus dem Norden sie passiert hatten, hatte sich scheinbar niemand die Mühe gemacht sie wieder aufzubauen.
    Dabei waren diese armseligen Anlagen natürlich keineswegs das eigentliche Ziel der Plünderer. Die wenigen Bewohner der Bergregion hatten schlichtweg Pech, dass ihr Gebirge hier Himmelsrand von den reicheren Regionen Hochfels abtrennte. Ansonsten verirrte sich kaum jemand hierher.

    Kein Wunder also, dass Graf Vanius sich ausgerechnet hier niedergelassen hatte um seine 'Geschäfte' ungestört betreiben zu können. Er war natürlich kein echter Graf auch wenn er sich gern so nennen ließ.
    Nein, Rethus Vanius aus dem fernen Cyrodiil war einst Söldnerhauptmann. Bis eines Tages einige seiner Leute den Aufstand probten. Der Putsch schien von langer Hand geplant und Vanius musste die Flucht antreten. Dabei machte er sich die gerade im ganzen Reich einsetzenden Unruhen zu Nutze. Es war das erste Jahr nachdem Kaiser Uriel seinen Verstand verloren und Tamriel sich selbst überlassen hatte. Inmitten der Verwirrung überschritt der Kaiserliche unbehelligt die Grenze zunächst nach Himmelsrand und später nach Hochfels. Und auch als dieser den ehemaligen Besitzer von Gut Nebelwacht 'ablöste', blieb dies weitgehend unbemerkt.

    Der Gedanke an den Kaiser versetzte Pyrrhus in Rage. Wie konnte es sein, dass dieser Unmensch noch immer unbehelligt in seinem goldenen Palast sitzen konnte, nach allem was er seinen Untertanen angetan hatte.
    Er machte seiner Unmut mit einem besonders harten Tritt in die Seite seiner Mähre Luft, wodurch diese wieder in einen schnelleren Galopp wechselte.
    Die Welt um ihn herum schien dennoch völlig still zu stehen. Die Umgebung blieb unverändert, unabhängig davon wie schnell er wie viel Weg zurücklegte. Einen Tag war es erst her, dass er Nebelwacht auf den Spuren der Flüchtigen verlassen hatte, doch auf ihn wirkten es eher wie hundert.

    Er fragte sich, wie diese sich wohl gefühlt haben mussten, als sie sahen, was vor ihnen lag. Pyrrhus wusste natürlich, dass sie am Tag ihrer Flucht noch schnell das halbe Lager leergeräumt hatten. Nahrungsknappheit dürfte von daher noch die geringste ihrer Sorgen dargestellt haben.
    Weitaus größer wird die Angst gewogen haben. Die Angst vor dem 'Monster', das sie an ihren Fersen geglaubt haben müssen.
    Der Beiname „Bluthund“ galt Vanius schließlich nicht nur wegen seiner Brutalität, sondern auch wegen seinem ausgesprochen guten Riecher für kleine Kinder, die er in jedem noch so tiefen Loch erschnüffeln konnte. Der Angstschweiß, der denen, die vor ihm rannten anhaftete, machte es ihm dabei noch leichter …
    Ja, so war er mal. Heute glich er wenn überhaupt eher einem kastrierten Stubenhund, dem man alle Zähne gezogen hatte. Dementsprechend war er alte Mann auch von vornherein dagegen gewesen, dass Pyrrhus sich auf die Spurensuche begab.
    „Der Junge ist längst tot, gib's auf, bei allen Neun! Wird’s wahrscheinlich nicht mal aus den verdammten Bergen gemacht haben. Steinlawine schätz' ich. Oder vielleicht ein Berglöwe. Einerlei – ich sage dir, sie sind alle tot!“
    Vermutlich hatte er Recht. Der Abstieg an den teilweise doch recht steilen Berghängen, erwies sich als gefährlicher als man dachte. Insbesondere, wenn die Furcht vor Verfolgern einem zu Gewaltmärchen zwang. Er selbst hatte im Dunkel der Nacht kein Weitergehen gewagt.

    Aber Pyrrhus brauchte Gewissheit. Sollte er ihre Überreste finden, würde es das natürlich vereinfachen, doch wollte er wenigstens einen Hinweis auf ihren Verbleib. Irgendetwas …
    Von einem halben Dutzend der dreiundzwanzig Ausreißer war ihm das Schicksal bekannt. Vanius hatte sie erwischt, nachdem er von seinem Intermezzo mit den Nord nach Nebelwacht zurückkehrte. Sie hatten den dummen Fehler gemacht nach Norden, also direkt in Vanius Arme zu laufen. Zwei starben, der Rest kam mit ihm zurück.
    Von der anderen, weitaus größeren Gruppe waren ihm nur Vanius vage Spekulationen bekannt. Mitleid empfand er bei der Vorstellung ihres Todes nicht. Die Narren hatten es doch selbst vorgezogen, ihren Herren und die Sicherheit seines Heims zu verlassen.

    Pyrrhus war auch nur ein Waise gewesen, als Vanius ihn damals aufgenommen hatte. 'Aufgenommen' traf es dabei noch nicht ein mal ganz. Gerettet war das treffendere Wort. Ein Schiffbruch. Vanius hatte ihm den Tod durch Ertrinken erspart und zum Kämpfer erzogen.
    Ja, bei weitem nicht alle seiner Kinder verkaufte er der ehemalige Söldner in die Sklaverei. Genau genommen nur die Unzuverlässigen und die, die seine Ausbildung nicht annahmen.
    Die anderen, all jene die es wert waren, unterwies er in der Kunst des Schwertkampfes. Bretonen waren ihm dabei am teuersten, verfügten sie doch auch über hohes Potenzial an magischer Begabung. Er hatte eigens einen Meister der Schule der Zerstörungsmagie in die abgelegene Gegend kommen lassen um Pyrrhus und seinesgleichen deren Geheimnisse zu lehren.
    Und dieser hatte seinen Herren nicht enttäuscht. Mochte er auch nie einen Fuß in eine Halle der Magiergilde setzen können, mit dem was der Altmer-Lehrmeister ihm gezeigt hatte, so wusste er die Macht der arkanen Künste im Kampf doch zu seinem erheblichen Vorteil zu gebrauchen. Es war kein Verlust. Wen kümmerte auch die Trockenheit der Theorie, wenn man auf Anhieb die Praxis meisterten konnte. Und das tat er …
    So baute Vanius sich nach und nach eine neue Söldnertruppe auf. Eine, die ihn garantiert nicht im Stich lassen würde. Irgendwann einmal, so hatte er ihnen erzählt, würden sie sich nach Cyrodiil begeben und sich an denen rächen, die ihn damals verraten hatten. Pyrrhus hatte diesem Tag sehnsüchtig entgegen gefiebert.
    Doch nun sah es so aus, als würde er nie eintreten. Der Bluthund verließ immer seltener die Abgeschiedenheit von Gut Nebelwacht auch wenn er weiterhin seine persönlichen Soldaten um sich scharrte.

    Für Pyrrhus war Vanius fast schon so etwas wie ein Vater geworden. Freilich war er es auch, der ihm seinen eher Bretonen-untypischen Namen gegeben hatte. Manch einer im Gut nannte ihn gar 'Pyrrhus Vanius', in Anspielung auf diese engere Verbindung als sie zwischen den meisten anderen und ihrem Meister bestand.
    Wie seine leiblichen Eltern ihn einst genannt haben, konnte heute niemand mehr sagen. Sie waren bei dem Schiffsbruch ums Leben gekommen. Vanius meinte das Schiff wäre wohl auf seinem Weg von Daggerfall nach Wayrest gekentert. Womöglich lebten sie ja mal in einem der beiden Städte. Es spielte keine Rolle. Selbst wenn er sie eines Tages erreichen sollte, wüsste er nicht wonach er suchen müsste um die Frage zu klären.
    Er selbst lag noch Monate lang im Fieberschlaf, vom Kopf bis zu den Sohlen mit Salzwasser gefüllt. Als er erwachte, konnte er sich an nichts mehr erinnern. Nur das Gesicht des Kaiserlichen rief einige verschwommene Bilder hervor. Verschwommen auch deshalb, weil er es durch die Wasseroberfläche hindurch erblickt hatte, kurz bevor ein starker Arm ihn heraus zog. Danach … alles wirre Träume und Dunkelheit. Endlose Dunkelheit.

    Neun Jahre lag dies nun schon zurück. Ein Schaudern durchlief den heute neunzehn Jahre zählenden Bretonen als er sich dies durch den Kopf gehen ließ. Niemand der ihn hier so sehen könnte, würde auf den Gedanken kommen, dass er dem Tod damals nur so knapp entronnen war.
    Mit fein gearbeitetem Kettenhemd gewappnet, einen blauen Reiseumhang um seine breiten Schultern tragend, das stets geschärfte Stahllangschwert in der Lederscheide von seiner linken Hüfte hängend und das allmählich erstarkende Sonnenlicht in seinem braunen Haar widerspiegelnd, überblickte er wie ein General vor der Schlacht, hoch oben von seinem Streitross herab, das Terrain.

    Am äußersten Punkt seines Blickfeldes hatte sich eine Art Hügel aufgetan. Bei den kleinen grünen Dreiecken, die dahinter zum Vorschein kamen konnte es sich nur um die Baumwipfel eines Nadelwaldes handeln.
    Würden die Kinder nach der Sicherheit der Bäume gelechzt haben? Hatten sie auch nur die geringste Ahnung wohin der Wald sie führte?
    Nun, bald würde er es mit Sicherheit wissen. Nach einem kurzen Moment der Überlegung gab er seinem Pferd die Sporen und hielt geradewegs auf das Dickicht zu.
    Trinovas ist offline Geändert von Trinovas (14.07.2013 um 00:52 Uhr)
  4. #4 Zitieren
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    Einer nach dem andern passierten sie in langgezogener Reihe den schmalen Pfad an der Flanke des Berges. Zu ihrer Linken erhob sich dieser in einer nahezu senkrecht ansteigenden Felswand; zu ihrer Rechten fiel er in einem weitem Geröllfeld steil bergab und mündete schließlich im Tal.
    Und dort begann auch der Wald, dem sie die letzten Tage noch sehnsüchtig entgegen gestrebt hatten.
    Als Coras seinen Blick, nicht länger als einen Atemzug lang, von dem sich vor ihnen schier endlos um den Berg herum ziehenden Pfad losriss, spürte er wie ihm augenblicklich ein Schaudern über den Nacken lief. Die Bäume, welche vor kurzem noch Schutz und Geborgenheit versprechen zu schienen, hielten nur noch Grauen und Verderben bereit. Vom Osten her, also direkt aus seinem Rücken heraus, tünchte die nun langsam aufgehende Sonne die sanft im Wind wiegenden Wipfel der Kiefern in einem mattem Rotton. Unter normalen Umständen sicherlich ein schöner Anblick. Doch in diesem Augenblick bedeute das Rot für Coras nicht weniger als das Rot ihres Blutes, nach welchem es den 'Bewohnern' des Waldes dürsteten musste.

    Er blickte wieder nach vorn. Glücklicherweise war der Pfad derart beschwerlich und mitunter ziemlich heimtückisch, dass ihm gar keine Gelegenheit blieb sich weitere Schauermärchen auszumalen. Gut zehn Meter weit voraus setzte der kleine Lucius dicht an die Felswand gepresst einen Fuß vor den andern. Sein Gesicht war schneeweiß, während er sichtlich bemüht war überall hin, bloß nicht nach unten zu schauen.
    Noch ein Stück vor ihm schritt Olga unbeeindruckt zügig voran. Der Nord lag die Höhe scheinbar im Blut, auch wenn Coras sich selbst weit weniger schlecht anstellte als vermutet.
    Nun ging der Pfad um eine Ecke und da sah er auch Matthien wieder.
    An einer Stelle traf der Pfad hier auf eine mannshohe steinerne Wand, die nicht umgangen werden konnte. Matthien lag oben auf dem Bauch und reichte den anderen seine Hand um ihnen heraufzuhelfen. Lucius musste er an beiden Händen komplett hochziehen. Erneut konnte Coras nur die Energie des Rothwardonen bewundern.
    Als er schließlich an der Reihe war erzählte Matthien ihm mit ausdrucksloser Stimme, dass es wohl nicht mehr weit sei. „Jart ist bereits vorangegangen und hat den Punkt gefunden, an dem sich dieser Todespfad endlich wieder in weites Gelände auftut“, sagte er.
    Das schien ihn jedoch nicht sonderlich aufzuheitern und als sich ihre Blicke trafen sah Coras, dass er immer noch mürrisch gelaunt war.

    Die Entscheidung, sich allesamt dem Khajiit anzuvertrauen fiel aber auch ungewohnt schnell und, was noch schwerwiegender war, überraschend einstimmig. Waren sie sich doch unter Matthiens Leitung nur am Hadern gewesen.
    „Wieso sollten wir dir vertrauen?“, hatte Caelius gefordert, nachdem der Fremde ihnen kurz und bündig klargemacht hatte, dass ihr Weg sie nicht nach Hammerfell bringen würde, er aber eine andere Route an der Seite des Berges kenne.
    „Tut es eben nicht“, erwiderte der Angesprochene mit einem Schulterzucken. „Ji'Dar zwingt niemanden sich zum Weiterleben zu entscheiden. Ji'Dar dachte lediglich etwas Gesellschaft könne ihm nur gut tun. Es reist sich niemals schön allein. Wirklich ausgesprochen öde.“
    „Wo zum Daedra kommst du überhaupt her, verflucht? Wie hast du uns gefunden?“ Matthien war außer sich gewesen voller Ungläubigkeit über das dreiste Auftreten des Eindringlings. „Und warum sollte mein Weg nicht der richtige sein? Wir müssen nur noch den Wald hinter uns bringen, das Wasser erreichen und von dor-“.
    Zum zweiten mal in dieser Nacht war Matthien von diesem heißeren Lachen unterbrochen wurden.
    „Nun, vermutlich schuldet Ji'Dar euch Antworten.
    Die kürzeste Antwort auf die erste Frage lautet wohl Elsweyr. Oh, warme Wüsten von Elsweyr ... Aber das ist es wohl nicht was ihr hören wollt. Hmm, einst war Ji'Dar Eigentum eines Edelmannes in Drachenstern in Hammerfell. Ein exquisiter Mann, könnte man sagen, mit einem exquisiten Geschmack was seine Diener anbelangt. Je exotischer desto besser, ja.
    Doch die Stadt wurde von Nord eingenommen. Heute ist sie geteilt in einen Abschnitt für die Eroberer und einen für … den Rest. Das Anwesen seines Meisters befand sich in ersterem.
    Sein Leben konnte Ji'Dar behalten, da er und der Meister gerade auf … sagen wir Geschäftsreise in Wayrest waren.
    Sein alter Meister war nun allerdings ebenso arm wir Ji'Dar selbst und so hat er ihn aufgegeben. Seitdem irrt er umher und versucht zu finden, wo er hingehört.“
    Die Stimme des Khajiit hatte bei dieser Erzählung einen harten Ton angenommen, das Funkeln aus seinen Augen war verschwunden.
    „Was eure zweite Frage angeht“, da hatte er wieder dieses Grinsen aufgesetzt, „Ji'Dar geht davon aus, dass ihr sie nicht ernst meinen konntet. Sein Volk hat gute Augen auch bei Nacht, ja, aber selbst ein Mottenpriester hätte euch hier sehen und selbst ein einohriger Khajiit euch hören können. Wer in Mitten dieser Einöde bei Nacht den einzigen Hügel besteigt, dabei eine Fackel schwingt und lautstark streitet, kann nicht ernsthaft darauf ausgewesen sein, unbemerkt zu bleiben, nicht wahr?“
    Coras wusste zwar nicht wer oder was ein Mottenpriester war, die Erklärung schien jedoch einleuchtend.
    „Wir brauchten das Licht“, murmelte Matthien wie zur Entschuldigung. „Wir mussten auch nachts laufen um unseren Vorsprung nicht zu verlieren. Vanius dürfte noch nicht nah genug sein um eine einzelne Fackel ausmachen zu können und den Abstieg ohne sie zu wagen wäre blanker Selbstmord gewesen.“
    „Folgt ihm und Ji'Dars Augen werden eure Fackel sein.“
    Daraufhin hatte sich sein Blick wieder an die grünen Augen des Khajiit gehaftet. „Wieso erzähl ich dir das überhaupt? Jetzt antworte auch auf die dritte Frage! Warum sollte dieser Weg nicht stimmen? Im Gegensatz zu dir stamme ich aus Hammerfell und kenne die Sterne meiner Heimat in- und auswendig. Ich sage dir, sie weisen uns korrekt!“, schloss er triumphierend.
    „Aye, die Gestirne lügen nicht. Ein Khajiit weiß das. Doch sagt mir, Freund, wann habt ihr sie das letzte mal gesehen?“ Er deutete auf den wolkenverhangenen, sternlosen Nachthimmel. „Euch ist bewusst, dass sie wandern, ja?“
    Darauf hatte Matthien nichts zu erwidern gewusst und dann ging alles auch schon ganz schnell. Noch einmal zuckte der Kater mit den Schultern, rief alle die leben wollten auf ihm zu folgen und ging die Anhöhe hinab. Nach und nach waren die zehn ihrer Gruppe ihm gefolgt, bis nur noch Matthien verblieb. „Ok, du … du darfst mit uns mitkommen“, presste er schließlich in einem letzten Versuch seine Autorität zu bewahren hervor und eilte an die Spitze der Gruppe.

    „Eigentlich hat Matthien uns bisher ja gut geführt“, reflektierte Coras. Das einzige Problem bestand darin, dass er schon viel zu lang auf Gut Nebelwacht festsaß mit er Folge, dass er die Entfernungsverhältnisse nicht mehr richtig einschätzen konnte. Während dieser dachte der Wald führe sie bereits zur Meerenge zwischen Hochfels und Hammerfell, hatte man ihnen nun erklärt, dass er stattdessen direkt nach Orsinium lief. An und für sich wäre dies auch kein Problem gewesen, wäre da nicht noch die zweite Warnung des Khajiit gewesen:
    Orsinium gehörte wieder den Orks! Ihr Anführer, irgendein Gortwog, hatte den alten Grafen im Zweikampf besiegt und das Land für sein Volk gefordert. Und diese duldeten keine Eindringlinge.

    Erneut durchfuhr Coras ein Schaudern als er den Wald über seine Schulter hinweg anblickte.
    Ein Glück, dass sie da schon den Punkt erreicht hatten, den Matthien ihm beschrieben hatte. Wären sie noch auf dem Pfad gewesen, hätte er womöglich das Gleichgewicht verlieren und fallen können.
    Hier fanden sie sich nun vollzählig auf einer weiten Wiese wieder. Die Sonne war mittlerweile vollends aufgegangen und zeigte ihnen endlich einen Weg der einfacher zu werden versprach.
    Doch zunächst sprach sich die Mehrheit, also alle außer Matthien, für eine Ruhepause aus. Sie waren den ganzen Morgen, die gesamte Nacht und den Großteil des Vortages durchgelaufen. Die Angst hatte sie eine Zeit lang über die Müdigkeit hinwegtäuschen vermocht, doch nun waren sie schlichtweg am Ende ihrer Kräfte.
    Im Schatten eines großen überhängenden Felsens machten sie es sich bequem. Er bat einigermaßen Schutz und der Raum unter ihm war groß genug für sie alle.
    Nachdem alle unter großem Stöhnen ihr Gepäck abgeworfen hatten, warfen sich einige gleich selbst dazu und schliefen sofort ein. Unter ihnen waren Lucius, Lena und Horrundor, die drei jüngsten. Das heißt abgesehen von Shani, der kleinen Rothwardonin natürlich. Coras beobachtete, wie diese erschöpft Yanas Hand losließ und sich setzte. Er fragte sich ob Yana sie den gesamten Pass über getragen hatte.
    Dabei war die Dreijährige bei weitem weniger ängstlich als man meinen sollte. Sie war auch es auch, die als erste die schockierte Stille gebrochen hatte, welche eingetreten war, nachdem der fremde Khajiit auf der Bildfläche erschienen war. Während alle anderen noch überlegten ob sie schreien oder rennen sollten, riss sie sich von Yana los und rannte auf ihn zu. „Katzeeee“, hatte sie freudig gerufen bevor sie sich in dessen Fell vergrub.

    Schließlich machten sich alle, die noch nicht zu müde dazu waren, über ihre Vorräte her. Er setzte sich neben Yana, die gerade dabei war Stücke von einem harten Laib Brot abzureißen und zwischen ihr und Shani aufzuteilten.
    Dabei warf sie dem Khajiit immer wieder verstohlene Blick zu. „Er ist schon merkwürdig, nicht?“
    Coras nickte nur. Als er das fremde Wesen zum ersten mal gesehen hatte, dachte er noch sein Verstand würde ihm versagen. Dann entsann er sich jedoch der Geschichten und es ging ihm ein Licht auf. „Natürlich! Die Khajiit, das Katzenvolk aus dem fernen Elsweyr.“ Wie hatte er nur so schwer vom Begriff sein können!
    Jetzt wollte er vor Yana allerdings nicht ängstlich wirken und gesellte sich zu ebenjenen hinzu. Er saß abseits der anderen und beobachtete sie mit sanftem Lächeln beim Essen.
    „Ich, ähem, ich denke … danke, dass du uns vor den Orks gewarnt hast. Wärst du nicht zufällig aufgekreuzt, wer weiß was dann ...“
    „Es sei wie es sei. Ji'Dar hilft wo er nur kann. Doch, wenn ihr einem bescheidenen Khajiit-Diener die Frage erlaubt, junger Bretonen-Herr, so seid doch so gut und erzählt ihm, wie ihr gedachtet die Meerenge nach Hammerfell zu überqueren. Meines Wissens nach trennt der Zulauf zur Ilac-Bucht die beiden Länder noch eine ganze Weile.“
    „Hättest du mich ausreden lassen“, keifte da unvermittelt Matthien „so hätte ich es dir gern erklärt!“ Er erhob sich und schilderte stolz seinen Plan. „An vielen kleinen Orten entlang dieser Küste befinden sich Außenposten der Alik'r-Krieger. Sie helfen Rothwardonen auf der Flucht vor Nord und anderen Verfolgern zurück in die Heimat zu kommen. Ihnen und allen, die sie Freund nennen, wohlgemerkt. Jarts Vater war einer von ihnen. Und? Gibt es an diesem Plan auch wieder etwas auszusetzen, oh allwissender Kater?“
    Der Khajiit schien sich nicht angegriffen zu fühlen. „Nun, Ji'Dar kennt keine Alik'r. Doch wenn ihr die Wahrheit sprecht … ja, ein sehr weiser Plan, mein Freund.“
    „Ich bin nicht euer Freund!“ Matthien legte sich auf die Seite und schien schlafen zu wollen.
    Etwas peinlich gerührt hielt Coras schließlich seine Hand aus. „Du brauchst mich übrigens nicht 'Herr' zu nennen. Mein Name ist Coras. Und du warst … “
    Obwohl er ihn mehr als einmal selbst erwähnt hatte, konnte Coras sich den fremdartigen Khajiit-Namen einfach nicht merken.
    „Ji'Dar“, antwortete er, als er die ausgestreckte Hand mit seiner Tatze annahm. „Es bedeutet soviel wie 'junger Dieb', wenn Ji'Dar nicht irrt.“ Als er seinen irritierten Blick traf, fügte der Khajiit mit abermals amüsiertem Gesichtsausdruck hinzu: „Keine Sorge, ihr seht nicht aus, als ob es viel an euch zu stehlen gebe.“
    „Ich würd dir auch nicht empfehlen es zu versuchen. Glaub nicht, dass ich dich so einfach aus den Augen lassen werde, nur weil ich dir gefolgt bin!“ Das war Caelius Stimme von irgendwo aus dem hinteren Teil ihres Unterschlupfs.
    Ji'Dar lachte auf. „Ihr solltet nicht zu viel Energie darauf verschwenden, Herr Kaiserlicher. Die Namen der Khajiit kann man im Allgemeinen nicht wörtlich übersetzen. Im Fall von Ji'Dar deutet er viel mehr auf das hohe Geschick hin, dass Ji'Dar an den Tag legt. Dieser Zusammenhang bleibt beim Übersetzen oft auf der Strecke. In jedem Fall ist Ji'Dar kein Dieb.“
    Coras wusste nicht so recht, was er darauf sagen sollte, da fragte ihn Yana, die mittlerweile dazugekommen war „Und was ist mit deinem linken Ohr passiert?“
    Das schien der Khajiit nicht erwartet zu haben. Er starrte sie mit großen Augen an und schielte dann beschämt zu Boden.
    „Der Meister hat Ji'Dar bestraft, nachdem er ihn erwischt hat wie er einen seiner Goldringe stehlen wollte.“
    Für einen Moment herrschte Schweigen. Dann brachen sie alle in schallendes Gelächter aus. Matthien am lautesten. Oh, es war ein wunderbarer Klang. Yanas herzliches Kichern, Olgas glockenklares, hohes Lachen, Matthiens Wiehern und selbst Caelius musste grinsen.
    Unter dem Felsvorsprung schallte es hundertfach wider und weckte die Schlafenden, die dann scheinbar ohne besonderen Grund einfach mit ins Gelächter einfielen. Das Abtrennen von Körperteilen zu Bestrafung schockierte niemanden. Vanius hatte oft genug davon Gebrauch gemacht.
    Coras Sorgen schienen ihn zu verlassen und wenn auch nur für einen Moment, fühlte sich so frei wie an dem Tag als sie aus Nebelwacht geflohen sind. Für nur einen Moment ...

    „REITER!“ Jarts Ausruf beendete ihn so schnell wie er gekommen war. Der zweite Rothwardon ihrer Gruppe benutzte seine Stimme so selten, dass ihr schierer Klang sowohl ungewohnt als auch alarmierend war.
    Sie zogen sich so weit als möglich in die Schatten zurück. Nur Matthien, Jart und Ji'Dar warfen sich flach auf den Bauch und robbten zum äußerstem Rand ihres Unterschlupfs vor.
    „Drei Stück. In voller Rüstung“, meldete ihr Anführer.
    Coras spürte wie sich Yanas Finger schmerzvoll in seinen Arm gruben als dieser der Atem stockte.
    „Vanius“, piepste Horrundor mit großen Augen. „Er hat uns gefunden, er wird uns holen, er wird uns ...“
    „Es nicht Vanius“, unterbrach Jart das Gebrabbel des Nord-Jungen. „Vanius hat kein Wappen. Diese hier schon. Einer der Reiter trägt einen Banner.“ Mit einer Hand das Sonnenlicht abschirmend, beobachtete er konzentriert die Fremden, die sich scheinbar in einiger Entfernung ihres Felsens Richtung Tal bewegten. „Einer von ihnen scheint trotzdem Kaiserlicher zu sein.“
    „Vermutlich auf Orkjagd. Die neuen Besitzer Orsniums halten sich nicht unbedingt an ihre Grenzen“, mutmaßte Ji'Dar.
    Jetzt konnte Coras sie auch sehen. Und tatsächlich zeigte das Antlitz des mittleren Reiters zweifelsohne die feinen Züge der Bewohner Cyrodiils auf.
    Horrundor wollte derweil keine Ruhe geben. „Er schickt Söldner nach uns, ja bestimmt, er wird uns alle tööööten!“ Er begann panisch zu zappeln und sah aus als stünde er kurz davor wegzurennen.
    „Coras, halt ihn fest verdammt, wir müssen nicht unbedingt entdeckt werden“, zischte Matthien.
    Er warf sich mit seinem ganzen Gewicht auf den drei Jahre jüngeren Nord und drückte ihn runter.
    „Halt still, Horrundor, sie hauen doch schon ab, sie werden uns nichts tun.“

    Doch noch während er versuchte ihm dies klarzumachen, huschte ein Schatten an ihm vorbei ins Freie. So schnell, dass keiner ihn hatte packen können rannte Caelius auf die Reiter zu.
    „Ich bin Kaiserlicher, ich bin Kaiserlicher! Hier, ein Kaiserlicher, hier!! Holt mich! Ich bin Kaiserlicher, einer von euch!!“
    Blitzschnell fuhren die drei beim Klang seiner atemlosen Stimme herum und zückten ihre Waffen. Als sie erkannten, wer sie da aufgeschreckt hatte, senkten sie diese wieder und blieben stehen. Nur einer von ihnen, der den sie als Kaiserlichen erkannt hatten, gab seinem Pferd die Sporen und hielt auf Caelius zu.
    Wie in Schockstarre beobachteten sie das Geschehen. Auch Horrundor hatte endlich aufgehört zu zappeln.
    Erleichtert war Caelius stehen geblieben und stützte die Hände von seinen Knien ab, bemüht wieder zu Atem zu kommen. Als der Reiter ihn fast erreicht hatte, richtete er sich wieder auf.
    „Ich bin Kaiser-“.
    Da blitzte das Schwert seines Kaiserlichen Artgenossens auf und spaltete ihm mühelos den Schädel. Fast schon lässig drehte sein Mörder um, steckte das Schwert weg und eilte seinen Gefährten entgegen, während Caelius Leichnam auf den Boden aufschlug. Coras spürte, wie ihm das wenige, das zu Essen er die Zeit gefunden hatte, wieder hochkam und er übergab sich auf die Wiese direkt vorm Eingag ihres sicheren, unentdeckten Unterschlupfs.


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    Unschlüssig hockte Pyrrhus über seinem Fund. War dieses eines der Kinder gewesen, die er suchte?
    Ein Kind war es in jedem Fall. Der Schädel war viel zu klein um der eines Ausgewachsenen sein zu können. Doch welcher Rasse mochte er angehört haben?
    Für einen Mer war die Stirn vermutlich zu flach. Orsimer hatten breitere Schädel, ebenso wie die reptilienartigen Agonier und Khajiit. Dieser Schädel musste von den Schultern eines Vertreters der Menschenrassen stammen. Vanius hatte dafür Sorge getragen, sie mit dem Inneren möglichst vieler Spezies vertraut zu machen …
    Aber da war noch etwas, dass er auch hätte erraten können, hätte er nicht diese 'Ausbildung' genießen dürfen: Die Todesursache.
    Direkt mittig war die Schädeldecke sauber entzweit. Darüber hinaus waren zahlreiche kleine Bissspuren auszumachen. Offensichtlich hatten sich die Tiere des Waldes ausgiebig an ihm genährt.
    Seufzend erhob Pyrrhus sich und gab dem Schädel einen Tritt, der ihn gut zwei Meter entfernt an einem Baumstamm zerschellen ließ.
    „Was mach ich hier überhaupt?“, fragte er sich verdrießlich. Was bedeutete schon ein Schädel zu einer Zeit, in der die Bewohner Tamriels nichts anderes taten, als sich diese gegenseitig einzuschlagen.
    Seit drei Tagen durchkämmte er diesen verdammten Wald ohne auch nur eine Ahnung zu haben worauf er suchen sollte. Fußspuren? Abgebrochene Zweige? Ein durch einen glücklichen Umstand liegengebliebenes Stück Pergament mit detaillierten Richtungsangaben?
    „Unsinn. Als hätten die Bälger schreiben können.“ Er dachte wirr. Die Situation aber schien tatsächlich aussichtslos. Wenn Vanius, der 'Bluthund', auf Jagd ging hatte er mehrere Reiter und, wie sollte es anderes sein, echte Bluthunde dabei gehabt. Pyrrhus hatte nur seine Augen und sein Schwert.
    „Der Junge ist längst tot, gib's auf, bei allen Neun!“ Wieder gingen ihm die Worte des alten Mannes nicht aus dem Kopf. Aber was, wenn er Recht hatte? War das da eben sein Schädel gewesen?
    „Nein, das … das hätte ich gespürt“, sprach er zu seiner eigenen Überraschung laut aus.
    „Na wunderbar - jetzt führe ich schon Selbstgespräche.“

    Als er zu seinem kleinen Lager zurückkehrte, war es bereits später Abend.
    Unter einer großen Fichte hatte er sein Zelt errichtet. Nun, der Begriff Zelt war etwas hoch gegriffen. Genaugenommen handelte es sich nur um eine weite Decke aus seiner Satteltasche, die er über einige niedrig hängende Zweige ausgebreitet hatte, doch die Konstruktion erfüllte ihren Zweck. Auf dem Boden lag eine zweite, allerdings wärmere Wolldecke, die ihm als Bett diente.
    Sein Pferd stand neben der Fichte und suchte in den abgelegten Satteltaschen nach Essbaren.

    Er zog augenblicklich sein Schwert. Hecktisch blickte er sich um. Da! Unmittelbar hinter seinem Lager. In der Dämmerung war es schwer auszumachen, doch etwas bewegte sich in diesen Sträuchern.
    Ohne weiter Zeit zu verlieren ging er auf diese zu, hob sein Schwert mit beiden Händen an und schlug auf was auch immer sich da versteckt hielt ein. Sein erster Schlag traf direkt auf Stahl. Auch der zweite wurde pariert. Zum dritten wollte er es mit einem flachen Stoß versuchen, doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Ein Arm schnellte aus der Dunkelheit hervor und ein grelles, blendendes Licht traf seine Augen. Mit einer Hand wollte er diese schützen, während er mit der anderen versuchte das Schwert in Abwehrhaltung zu bringen, bevor es zu spät war.
    Doch statt kaltem Stahl kam ihm nur ein herzhaftes Lachen entgegen. Die Finger von denen aus der Lichtzauber gewirkt wurde senkten sich und Pyrrhus sah sich einer Bretonin in Kettenhemd und blauem Reiseumhang gegenüber, der selben Kleidung, die er auch trug. Im Gegensatz zu ihm steckte ihr Schwert mittlerweile jedoch wieder in der Scheide.
    „Lass das Ding lieber fallen, Pyrrhus. Ich war schon immer stärker als du.“ Ein spottendes Grinsen lag auf ihren Lippen.
    Er runzelte die Stirn, während er sein Schwert wegsteckte. Stärker? Sie wirkte doch eher zierlich fand er. Und doch hatte sie ihn mit ihren kleinem Zaubertrick überrumpelt. Vanius hatte ihnen oft klar gemacht, dass es keine unfaire Art zu kämpfen gab, sondern nur solche mit denen man gewann und solche mit denen man starb.
    „Was tust du hier, Mycena?“, murmelte er schließlich. „Hat Vanius dich geschickt mich zurückzuholen?“
    „So begrüßt du deine geliebten Brüder und Schwestern? Aber, aber Pyrrhus … wo sind deine Manieren geblieben?“ Er gab ihr keine Antwort, sondern beschränkte sich darauf sie ungläubig anzustarren. Sie schien es nicht weiter zu stören und sie grinste ihn weiter unentwegt an.
    „Wie hast du überhaupt bemerkt, dass ich hier war?“, fragte sie ihn.
    Er nickte in Richtung seines Pferdes. „Ich hab sie angebunden bevor ich heute los bin. Etwas unbeholfenes Vorgehen, sie zu befreien für jemanden der seine Anwesenheit geheim halten möchte.“
    „Achja … Nun, das mag zwar sein, aber das arme Tier war halb verhungert, als ich es hier gefunden habe. Außerdem wollt ich mich nicht vor dir verstecken.“
    „Ich bin heute sehr früh aufgebrochen und länger weggeblieben als gedacht“, murmelte er entschuldigend.
    „Und … etwas entdeckt?“ Einen Moment lang zog er in Erwägung ihr von dem Schädel zu erzählen, aber genaugenommen war er sich ja selbst nicht über dessen Bedeutung im Klaren. Er schüttelte den Kopf.
    „Ich muss dich noch einmal fragen – hat Vanius dich geschickt?“
    Das Lächeln auf dem Gesicht seiner Schildschwester erstarb. „Ich bin von mir aus aufgebrochen. Zurück möchte ich dich trotzdem holen. Vanius ist am toben. E nennt dich Verräter, weil du nicht auf ihn gehört hast und auf Nebelwacht geblieben bist. Aber du weißt doch wie er ist. Er wird dir verzeihen, wenn du jetzt gleich mit mir zurückkehrst.“
    „Ich habe nicht vor zurückzukehren, bevor ich weiß was aus diesen Ausreißern geworden ist. Nur weil er zu alt ist auf Jagd zu gehen heißt das nicht, dass wir anderen alle seinem Beispiel folgen sollten, nicht wahr? Und überhaupt. Was denkst du denn wir er reagieren wird, wenn ihm deine Abwesenheit auffällt?“
    Mycena zuckte mit den Schultern. Ihr rotblondes Haar, das sich bei ihrem kurzem Kampf zerzaust hatte fiel wieder lang. „Vermutlich gar nicht. Er lag die letzten Tage nur im Bett und hat kaum jemand von uns zu ihn gelassen außer um ihn zu waschen und Essen zu bringen. Sein Zustand scheint doch ernster als gedacht. Meister Enrion ist bei ihm.“
    „Was weiß ein Zerstörungsmagier über Heilkunst?“
    Wieder zuckte sie mit den Schultern. „Vermutlich mehr als wir anderen. Können wir uns nicht setzten? Es war nicht ganz einfach dich hier zu finden und etwas zu Essen würde mir auch ganz gut tun.“ Ohne seine Antwort abzuwarten legte sie ihre Waffe ab und machte es sich in seinem improvisierten Zelt bequem. Ungewollt ertappte er sich dabei wie er lächeln musste. Eigensinnig war sie ja schon immer gewesen.

    Kurz darauf saßen sie beide am Rand seines Zeltes und hatten direkt davor ein kleines Kochfeuer entzündet. Zu seiner außerordentlichen Freude war Mycenas Jagd heute erfolgreicher verlaufen. Sie hatte es zwar nicht auf lange flüchtige Kinder abgesehen, dafür aber auf besonders köstliche Wildtiere. So aßen sie gebratenen Hasen und Pyrrhus Unwillen bezüglich der unerwarteten Gesellschaft ließ für den Moment etwas nach. Gleich linker Hand rasteten ihre Pferde. Pyrrhus mittlerweile gesättigte Mähre und Mycenas Rappe, den sie kurz zuvor mit einem Pfiff hat hinzukommen lassen. Schwertgürtel und Kettenhemden hatten beide abgelegt.
    „Also“, begann Mycena zwischen zwei Bissen, „wie lange willst du dieses Spielchen noch beibehalten? Dreiundzwanzig sind geflohen, davon hat Vanius zwei getötet, vier zurückgeholt, die Leichen von sieben anderen, die entweder verhungert oder in Lawinen geraten sind hat er gesehen … und die letzten zehn werden es auch nie weit geschafft haben. Sie sind längst tot, warum willst du das nicht einsehen?“
    „Vanius glaubt sie seien tot“, entgegnete Pyrrhus. „Er hat aber keinerlei Beweise dafür.“
    „Na und? Hast du denn irgendwelche Beweise für das Gegenteil? Oder möchtest du dein gesamtes Leben in diesem Wald verbringen, um irgendwann auf ein paar ausgebleichte Knochen zu stoßen? Verdammt, das ist es doch nicht wert!“
    Pyrrhus blieb unbeeindruckt. „Findest du es nicht überhaupt merkwürdig, dass Vanius sich so wenig um ihren Verbleib schert? Er hat den Ausbruch ohnehin nur eher beiläufig erwähnt, als wolle er ihn gänzlich vor uns geheim halten. Was glaubst du was er dafür für einen Grund haben könnte.“
    Sie wand ihren Kopf ab. „Na warum schon? Pyrrhus, es waren doch nur zehn Kinder. Zehn ausgehungerte, schwache Kinder. Vanius hatte genug von der Sorte“, antwortete sie schließlich, wobei sie nicht ganz überzeugt klang. „Ich werde wohl nie verstehen, warum dir die ganze Sache so wichtig ist.“
    „Ich … ich bin mir selbst nicht ganz sicher. Irgendetwas an dieser ganzen Geschichte lässt mich einfach nicht los. Ich hab sogar schon Träume gehabt, die von diesen Ausreißern handeln. Daraufhin hab ich Vanius gebeten noch einmal mit ihm auf Spurensuche gehen zu dürfen. Ich dachte ich stünde in seinem Ansehen mittlerweile zumindest so hoch, als dass er mir diesen einen Gefallen tun würde. Aber der Mann ist alt und stur geworden. Angefleht habe ich ihn! Und jetzt sitzt er nur noch faul da oben herum rührt keinen Finger. Ich musste selbst handeln! Die nächste Chance hätte ich wohl frühstens nach seinem Tod bekommen und dann wäre es aller Wahrscheinlichkeit nach längst zu spät.“
    Sie sah in traurig an. „Pyrrhus … es ist auch jetzt zu spät. Und so wie du Vanius angefleht hast gehen zu dürfen, flehe ich jetzt dich an“, sagte sie und legte dabei eine Hand auf seine Schulter. „Bitte – komm mit mir zurück nach Nebelwacht! Dort warten lebende Menschen, denen du etwas bedeutest, die dich als ihren Bruder lieben. Die solltest du aufsuchen, nicht diese … diese Verräter, die Vanius verlassen haben und jetzt eh nicht mehr leben werden.“ Eine Träne lief ihr übers Gesicht. „Bist du dir überhaupt bewusst, wo dieser Wald hinführt? Du weißt doch, was man über die Gastfreundschaft der Bewohner Orsiniums sagt. Sie werden dich ...“
    „Ich habe keine Angst vor Orks“, unterbrach er sie, legte seinerseits eine Hand auf ihre, die nach wie vor auf seiner Schulter ruhte und blickte sie ernst an. Wieso nahm sie das ganze überhaupt für ihn in Kauf? Sicher, sie war in seinem Alter und hatte mit ihm auf Nebelwacht gelebt, solang er sich zurückerinnern konnte. Doch in all den Jahren hatten sie nie sonderlich viel miteinander zu schaffen gehabt. Irgendwie hatte sie auf ihn eher abweisend gewirkt. Nicht unfreundlich aber auch nie sonderlich vertraut.
    „Natürlich nicht“, fuhr sie ihn aus seinen Gedanken reißend gedrückt fort, „aber was ist mit dem Meer? Was wenn sie es, wie auch immer, irgendwann einmal durch die Berge, den Wald und Orsinium geschafft haben sollten? Wenn sie das alles überleben könnten würde ihnen der Weg durch Wayrest oder Menevia bis zur Küste der Iliac-Bucht wie ein Spaziergang vorkommen. Von dort aus könnten sie irgendwo auf einem Schiff anheuern schätze ich. Also, was würdest du tun, wenn du Spuren finden solltest, die darauf hinweisen, dass das ihr Weg war? Würdest du ihnen folgen wollen? Übers Wasser? Pyrrhus, du … du kannst nicht mit einem Schiff reisen, das weißt du.“
    In ihrem Blick lag Mitleid und ihre Stimme war am Ende ihres Satzes nicht mehr als ein Flüstern. Nun war es an ihm sich abzuwenden. Er schämte sich für diese Schwäche, doch er musste sich eingestehen, dass er das nie bedacht hatte. Seit Vanius ihn damals als kleinen Jungen aus den Trümmern des gekenterten Schiffes und seines alten Lebens geborgen hatte, war ihm jegliche Form von Seereisen zuwider. Er konnte keinen Fuß auf diese schwimmenden Särge setzen ohne panisch zu werden. Einmal, vor gut vier Jahren, hatte Vanius mit ihm und einigen anderen Arbeit in Hammerfell gehabt. Als sie jedoch am Hafen angekommen waren, von dem aus sie das Wasser überqueren wollten, war es mit ihm durchgegangen. Er wollte abhauen, doch Vanius hielt ihn fest, wollte ihn fast schon an Bord schleifen. In aller Öffentlichkeit hatte er ihn windelweich geschlagen, bis er schließlich aufgeben musste, da Pyrrhus partout nicht weiter konnte. Irgendwann hatte sein Meister über diese Schwäche hinwegzusehen gelernt. Wenn die Bälger allerdings tatsächlich vorhatten den Seeweg einzuschlagen wüsste er nicht, was er tun sollte. Selbst hier, unzählige Meilen vom Meer entfernt, spürte er wie ihm bei dem Gedanken kalt wurde.
    „Es ist noch weit bis dahin“, antwortete er leise. „Ich sollte schon eher eine Spur von ihnen finden, zumal ihr eh alle davon ausgeht, dass sie tot sind.“ Der Gedanke gab ihn ein merkwürdiges Gefühl der Zuversicht. Wie wahrscheinlich war es denn schon, dass sie es wirklich so weit schaffen könnten. „Ich werde sie finden. Auf die eine oder die andere Art.“
    Außerhalb ihres minimalistischen Lagers hatten sich derweil dunkle Wolken vor den Nachthimmel geschoben und es begann zu regnen. Erst nur schwach doch dann mit immer weiter zunehmender Intensität. Ihre Pferde wieherten unglücklich, doch es gab nichts, das sie dagegen tun konnten. Das kleine Kochfeuer bestand bald nur noch aus der Glut und tauchte sie in ein rötliches Zwielicht.
    Das Trommeln der Tropfen auf ihrer Zeltplane zwang sie die Stimme wieder etwas anzuheben. „Ich weiß du denkst, dass du das hier tun musst. Aber du hast auch andere Pflichten, nicht nur dir selbst gegenüber. Das hier ist nicht dein Platz. Komm zurück, Pyrrhus.“
    Schlagartig blickte er sie wieder an. „Du verstehst das nicht verdammt! Ich kriege keine Ruhe, wenn ich nie erfahre was aus diesen Kindern geworden ist. Und warum Vanius es selbst nicht erfahren will. Oder viel mehr, warum er nicht will, dass wir es erfahren. Du wirst mich bestimmt nicht davon abhalten, Mycena!“
    „Was denn? Willst du jetzt gleich aufbrechen? Bei Dunkelheit und Regen?“
    „Wenn du mir keine andere Wahl lässt“, entgegnete er und machte tatsächlich Anstalten sich zu erheben. „Das ist doch verrückt“, sagte sie und wirkte fast schon verzweifelt. Dann atmete sie tief durch und sprach mit wieder klarer Stimme weiter. „Bitte, beruhige dich. Wenn du mir schon sonst keinen Gefallen tun willst.“ Etwas widerwillig nahm er wieder Platz.
    „Pyrrhus … es gibt wichtigere Dinge im Leben als den Toten nachzueilen. Schönere Dinge. Ja, selbst hier in diesem Zelt.“ Draußen fiel der Regen mittlerweile in Strömen herab, während er mit trockener Kehle registrierte, wie die Hand, die sich gerade noch auf seiner Schulter befanden hatte, an ihm herabglitt. Mit weit geöffneten Augen verfolgte er ihren Gang über seinen Brustkorb, an der Seite seiner Taille entlang und wie sie schließlich auf seinem Oberschenkel zum Liegen kam. Sein Blick war derart davon gefangen, dass er erst bemerkte, wie weit sie sich zu ihm vorgebeugt hatte, als er ihr Flüstern direkt neben seinem Ohr vernahm. „Ich will dich nicht an diese Sache verlieren. Niemand von uns will das. Komm mit mir zurück nach Hause. Alles was du brauchst ist dort.“
    Und dann küsste sie ihn. Er konnte nicht anders als den Kuss zu erwidern. Als sich ihre Lippen voneinander lösten, lehnte Mycena sich auf der Wolldecke zurück und zog ihn an der Schnalle seines Umhangs zu sich herab. Ihr Ziehen war nur ganz schwach und doch konnte er sich ihr nicht entziehen. Sie war wohl doch schon immer stärker gewesen als er.
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    Wer da?“, fragte Coras in die Dunkelheit hinein, nachdem er das Geräusch von Schritten vernahm, das sich mit dem Prasseln des Regens vermischte. Letzterer wurde dabei allmählich lästig. Ausgerechnet als Coras in der Nacht seinen Wachdienst angetreten hatte, hatte er eingesetzt und seitdem nicht wieder aufgehört. Er kniff die Augen zusammen und konnte in einiger Entfernung das Auf und Ab einer kleinen Laterne ausmachen. „Endlich“, dachte er.
    „Ich da. Olga.“ Nun konnte er die Nord im schwachen Schein der Kerze auch erkennen. „Matthien sagt du kannst wieder reinkommen. Ich bin mit Wache halten an der Reihe.“ Sonderlich glücklich schien sie die Aussicht nicht zu stimmen. Mit 'rein' bezog sie sich auf das warme, regendichte Haus ein Stück weiter den Weg lang, aus dem sie gerade gekommen war. Auf Wachposten hatten sie nur eine weite Decke über dem Kopf um sich zumindest etwas vor dem starken Niederschlag abzuschirmen. „Ich hoffe wir hauen hier bald wieder ab“, sagte sie mit entsprechend verdrießlichen Ton. „Der ganze Ort ist unheimlich.“

    Coras war anderer Meinung. Zwei Tage war es nun schon her, dass sie das verlassene Dorf entdeckt hatten. Objektiv betrachtet war es eine absolute Dummheit gewesen, ausgerechnet hier zu verbleiben. Doch diesmal hatte die Müdigkeit über die Stimme der Vernunft, nämlich der Matthiens, triumphiert. Immerhin waren sie nach der Sache mit Caelius schon von ihrer letzten Raststätte, dem schützenden Felsen auf der weiten Wiese, geflohen. Einen weiteren Tag des Laufens konnten sie nicht hinnehmen, waren sie doch alle an ihrer Schmerzgrenze angelangt. Wenigstens hatte Matthien erreichen können, dass sie ständig drei von ihnen (Lena, Lucius und Shani ausgenommen) an den Ausgängen des Dorfes als Wachposten aufstellten.
    „Ich finde es hier nicht schlecht“, entgegnete er. „Wir haben einen funktionierenden Brunnen, Ji'Dar kann uns Fische aus dem kleinen Teich fangen und wir haben ein Dach überm Kopf.“ 'Ein' war dabei wörtlich zu nehmen. Das Haus aus dem Olga gekommen war, war das einzige noch intakte Gebäude. Die Wahl sich dort einzuquartieren war entsprechend einfach gefallen.
    „Ja schön und gut, aber dir ist doch wohl auch klar, dass wir hier nicht ewig bleiben können, oder?“ Sie war mittlerweile neben ihn gerückt, hatte ihrerseits eine Decke über den Kopf gespannt und starrte nach vorn in die Nacht. Da sie sich ihm nicht direkt zuwand musste er sich anstrengen, sie gegen den Regen überhaupt zu verstehen. „Jeden Tag den wir hier bleiben wird Vanius uns näher kommen. Ich möchte nur so schnell wie möglich in dieses Hammerfell von Matthien und Jart und dann nach Himmelsrand. Vielleicht wird Horrundor mich ja begleiten. Weißt du, ich habe einen Onkel in Reach, der ...“
    „Ich weiß, Olga“, unterbrach er sie, „ein Onkel, der uns alle aufnehmen wird, egal welcher Rasse wir angehören, richtig?“ Sie nickte.
    „Du kannst auch mitkommen, wenn du willst. Oder ... wo willst du eigentlich hin?“
    „Ähem ...“ Die Frage kam unerwartet. Tatsächlich, so fiel ihm auf, hatte er sich um das Danach noch nie irgendwelche Gedanken gemacht. Als sie flohen hatte Matthien sie damit überzeugt einen sicheren Weg in seine Heimatregion Hammerfell zu kennen und das die einzig realistische Möglichkeit wäre zu entkommen. Doch wie würde es dann weitergehen? Was war Hammerfell überhaupt für ein Ort? Und würde er seine Heimat nicht vermissen? Im Gegensatz zu seinen Mitflüchtlingen anderer Rasse hatte er noch nie etwas anderes als Hochfels gesehen. Sicher, sonderlich gute Erinnerungen verband er nicht damit. Seine Eltern hatte er nie kennengelernt, war in einem heruntergekommenen Waisenhaus in Wayrest aufgewachsen und nach seinem siebten Lebensjahr dort von Vanius zum Preis einer faulen Kartoffel erworben wurden. Danach drei Jahre voller Putzen, Stall ausmisten und Schwerter polieren auf Gut Nebelwacht (das Kämpfen brachte Vanius seinen Schützlingen nur bei, wenn er sich ihrer Loyalität sicher seien konnte, was bei ihm und den meisten anderen nicht der Fall gewesen war) und dennoch … er kannte ja gar nichts anderes.

    „Schon gut, du musst es nicht sagen, wenn du nicht willst.“, fiel Olga in seine Überlegungen ein und ihm wurde klar, dass er sie vermutlich die letzten fünf Minuten einfach nur angeschwiegen hatte. „Aber sag mal, willst du nicht endlich reingehen?“
    „Weißt du, ich glaub ich bleib noch eine Weile hier.“
    „Im Ernst? Hier draußen?“ Sie drehte sich zu ihm um und sah ihn ungläubig an, woraufhin er nur mit den Schultern zuckte. „Nass bin ich sowieso schon“, antwortete er, „und außerdem ist Lucius da drin.“, fügte er leise hinzu. Nach dem Tod seines Bruders war der junge Kaiserliche in eine Art apathischen Zustand gefallen. Coras konnte seinen Anblick einfach nicht ertragen.
    „Machst du dir etwa immer noch Vorwürfe wegen Caelius?“, fragte sie und verdrehte leicht die Augen.
    „Was? Wie kommst du darauf?“ Ihre Direktheit schockierte ihn. Er blickte sie an und erkannte im Kerzenschein die vielen Sommersprossen, die das Gesicht der Nord zierten.
    „Also … ich mein ja nur. Du hast die letzten zwei Tage kaum mit irgendjemandem geredet. In etwa seit er tot ist. War nicht schwer zu erraten, denkst du nicht auch?“ Sie zwinkerte ihm zu. „Aber mal ernsthaft – wieso machst du dir noch Gedanken um ihn? Ich konnte ihn noch nie ausstehen. Er ist … er war ein Arschloch.“ Der Blick, den sie ihm nun zuwarf verriet, dass sie es so meinte. Und sie hatte ja auch Recht. Caelius hatte alles in seiner Macht stehende getan, um als arroganter, widerlicher, Kaiser liebender Mistkerl angesehen zu werden. Aber er war immer noch einer von ihnen gewesen, oder nicht? Einer, der das selbe Schicksal hatte wie sie alle, der von einem verrückten Sklavenhändler gefangen genommen und aus seinem alten Leben gerissen wurde, der mit ihnen allen die Flucht angetreten hatte.
    „Tut doch nichts zur Sache“, sagte er schließlich kopfschüttelnd. „Abgesehen von Lucius und Lena schert sich doch eh niemand um seinen Tod.“
    „Natürlich nicht, warum sollten sie auch? Lucius vermisst ihn doch auch nur, weil sie Brüder waren. Vielleicht haben wir ja Glück und seine Arroganz ist gleich mit Caelius gestorben. Und Lena … ich glaube sie hat es nur nicht ganz vertragen, wie wir die Leiche entsorgt haben.“
    „Wir?“, wiederholte Coras. „Matthien war das. Zusammen mit Ji'Dar. Und natürlich hat Lena das nicht vertragen. Sie haben ihn den Berghang hinabgeworfen! Sie ist erst sieben.“
    „Ich bin erst neun! Und du erst zehn. Außerdem hat sie doch schon Leichen gesehen. Du weißt schon … die anderen, die mit uns geflohen sind. Die von dem Gesteinsrutsch erwischt worden. Was hätten wir auch anderes machen sollen? Er konnte nicht dort liegen bleiben.“
    Matthien hatte sich noch etwas brachialer ausgedrückt, wie Coras sich erinnerte. „Er muss weg. Wenn wir ihn hier verrotten lassen, ist er der perfekte Wegweiser für Vanius.“ Auch wenn er Recht gehabt hatte, die Erkenntnis hatte Coras doch hart getroffen. Caelius war da also bereits kein Mensch mehr, sondern nur eine unglücklich positionierte Sache. Ihr Anführer und Jart hatten ihn, oder es, schließlich an Armen und Beinen gefasst, zu dem schmalen Bergpfad zurückgetragen und den steilen Hang hinunter in Richtung Wald und aus ihrer aller Augen rollen lassen. Dort würde ihn keiner von Vanius Leuten jemals finden, da war er sich sicher.
    „Schon gut. Jedenfalls kümmert Yana sich nun mit um sie. Und die kleine Rothwardonin.“ Da musste er kurz auflachen. „Sie wäre eine gute Mutter, was?“
    „Ach, und du wärst dann gern der Vater, nicht war?“, kicherte Olga. „Ihr Bretonen haltet schon gut zusammen, das muss ich euch lassen. Besser als diese Kaiserlichen.“
    Sein Lachen blieb ihm im Hals stecken. „Ihr wirkt fast alle so, als freut ihr euch über seinen Tod! Nichtmal Matthien kümmert das, obwohl er gesagt hat er will niemanden mehr verlieren.“
    „Bei Talos, Coras! Denkst du ihn hätte es interessiert, wenn wir alle draufgegangen wären? Weiß du nicht mehr seine letzten Worte? 'Ich bin Kaiserlicher, holt ich, einer von euch'. Was glaubst du hätte er denen gesagt, wenn sie gewesen wären, wen auch immer er erhofft hat? Er hätte ihnen vermutlich gesagt, wir hätten ihn gezwungen mit uns mitzukommen. Das wir ihn bedroht hätten oder so was. Verdammte Schlange!“ Sie war immer wütender geworden und am Ende spuckte sie auf den Boden. Er wünschte sich er könnte ihren Hass teilen. Ihre Gleichgültigkeit, mit der sie Caelius Ableben hinnahm. Er empfand kein Mitleid. Warum auch – Caelius war ja selbst so selten dämlich gewesen, laut schreiend auf die Fremden zu zurennen. Unglücklicherweise war es eben dieser Mangel an Mitleid, der ihn nun Schuldgefühle empfinden ließ.

    „Denkst du Vanius kennt den Bergpfad nicht, den wir gegangen sind?“, wechselte er das Thema.
    „Keine Ahnung. Andererseits ist es schon merkwürdig, dass wir noch nichts von ihm gesehen haben. Entweder er jagt uns nun im Wald, oder er nimmt den langen Weg um den Berg herum.“ Sie seufzte. „Horrundor meint sogar er hätte die Jagd auf uns ganz eingestellt. Er ist schon ziemlich naiv.“ Da musste er er ihr leider zustimmen. Eher würde er Kaiser werden, als dass Rethus Vanius sie einfach so ziehen ließ.
    „In jedem Fall hat Ji'Dar uns wohl das Leben gerettet“, zog er den Schluss.
    „Oh ja. Ein Glück, dass er uns gefunden hat. Ich habe vorher noch nie einen Khajiit gesehen. Er ist mir hundertmal lieber, als Cael-“. Sie sah davon ab, den Namen auszusprechen, als sich ihre Blicke begegneten. Schon wieder ein Angriff auf Caelius? Wie sollte er denn aufhören über ihn nachzudenken, wenn sie ihn immer wieder mit erwähnte?

    „Ich wünschte Vanius hätte uns schon das Kämpfen beigebracht. Dann bräuchten wir jetzt keine Angst haben, dass er es uns auf die harte Tour beibringt“, sagte sie nach einer Weile.
    „Stimmt.“ Coras war dankbar, für die Ablenkung und darüber, dass sie das andere Thema nicht wider aufnehmen mussten. Er erhob sich und schnappte sich im Aufstehen einen der umherliegenden Zweige, die sie aussortiert hatten, da sie zu nass waren um als Feuerholz verwendet zu werden. Wie eine Krieger-Statue hob er sein 'Schwert' mit der rechten Hand empor.
    „Ich würde sie alle vernichten und euch in Sicherheit bringen“, sprach er mit tiefst möglicher Stimme. Olga ließ nur wieder ihr klares, hohes Lachen hören.
    „Du? Nichts für Ungut, aber ihr Bretonen seid doch eher Schreibpult-Krieger, oder sollt ich irren? Eine waschechte Nord hingegen ...“ Sie nahm sich ebenfalls einen Zweig vom Boden und richtete die Spitze auf Coras Brust. Der Regen fiel währenddessen ununterbrochen weiter auf sie herab.
    „Wir sind ein Volk von Kämpfern und Helden.“
    Heldenhaft stupste sie ihn mit ihrer hölzernen Waffe an den Bauch und ein ausgelassener Kampf entbrannte. Sie rannten lachend umher und schlugen ihre Zweige aneinander und wann immer es ging auf die Körperteile ihres Gegners. Bald schon zählten Treffer und Abwehr nicht mehr und fuchtelten nur noch wild herum, mit der einzigen Absicht nie still zu stehen. So tollten die beiden herum, wie die sorglosen Kinder, die zu sein es ihnen nie vergönnt gewesen war.
    „Ich bin Tiber Septim, der mächtigste Mensch aller Zeiten“, rief Olga. „Und Nord, nebenbei bemerkt“, fügte sie lachend hinzu.
    „Dann bin ich Pelinal Weißplanke“, konterte Coras. Er wusste zwar nicht welcher Rasse dieser angehörte, aber in den Geschichten war er immer sein Lieblingsheld gewesen. „Der stärkste Mann aller Zeiten.“
    „Und auch der Mann, der Tausende Ji'Dars Volkes abgeschlachtet hat wie Vieh, weil er sie für Ayleïden-Teufelei hielt. Aber Ji'Dar geht nicht davon aus, dass ihr darauf hinaus wolltet.“

    Vor Schreck schrie Coras laut auf und warf den Zweig in hohem Bogen davon. Die Stimme des Khajiit kam so unerwartet, wie ihr erstes Treffen auf dem Hügel vor dem Wald, welches schon eine Ewigkeit zurückzuliegen schien. Diesmal stand er jedoch mit Matthien da, keine zwei Meter von ihnen entfernt. Olga schien ähnlich geschockt, auch wenn sie es besser verbergen konnte.
    „Was macht ihr hier, bei Azura?“, zischte Matthien. „Ihr solltet Wache halten und nicht Kindersoldaten spielen. Wenn ihr das wolltet, hättet ihr gleich auf Nebelwacht bleiben können!“
    „Gemach, mein Freund“, beschwichtigte Ji'Dar den Rothwardon. „Gewiss wäre jeder Feind von der Demonstration ihrer Kampfkunst abgeschreckt worden.“
    Obgleich im Dunkeln nicht erkennbar, verfärbten sich Coras Wangen rot. „Wir … wir haben nur ...“, setzte er an.
    „Ach vergiss es einfach,“ fiel Matthien ihn in seine Erklärung, die er gar nicht hatte. „Wir wollten euch eh sagen, dass ihr ins Haus gehen könnt. Legt euch schlafen. Ji'Dar und ich müssen etwas besprechen.“
    Olga leistete nur zu gern Folge und war schon auf dem Weg, als sie anhielt und sich zu Coras umdrehte. „Kommst du, Pelinal?“, fragte sie grinsend.
    Coras blickte zu Ji'Dar, dessen Mimik ähnliche Züge aufwies und der ihm zunickte. Beleidigen wollte Coras ihn mit dem Namen gewiss nicht. Er wusste ja nicht einmal, dass es diesen Pelinal tatsächlich gegeben hatte. Bisher war er davon ausgegangen, dass ein solcher Held nur einem Märchenbuch entstammen konnte. Der Khajiit schien jedoch in vieler Hinsicht gebildeter als das Gros von ihnen. Er und Matthien hatten ihre anfänglichen Wortgeplänkel, welche genaugenommene eh nur von letzterem ausgegangen waren, nach Caelius Tod beigelegt. Von da an arbeiteten sie zusammen und führten ihre Gruppe quasi als Doppelspitze. Man sah sie fast nur noch zusammen und Coras war sich sicher, dass sie nun besprechen würden, wie lange sie noch hier verweilen würden.
    Auf halben Weg zurück zum Haus meinte er zu Olga, dass er noch etwas bleiben würde - dieses mal war sie weniger erpicht darauf ihn nach dem Grund zu fragen – und kehrte zu den beiden zurück. Glücklicherweise hatte Ji'Dar ihm den Rücken zugekehrt, andernfalls hätte der Khajiit ihn auch im tiefsten Dunkel der Nacht erkennen können.
    Nach etwa zehn Minuten angestrengten Lauschens, hatte er alles gehört, was er wissen wollte. Bei Sonnenaufgang würden sie das Dorf verlassen und ihren Weg um Orsinium, an die Küste und schließlich nach Hammerfell fortsetzen.
    Erneut wurde ihm bewusst, dass sie ohne Ji'Dar nie im Leben auch nur bis hier hin gekommen wären. Er war jetzt schon beliebter als Caelius je hätte sein können und füllte dessen Lücke, wenn es den überhaupt eine gab, tausendfach aus. Die Schuldgefühle, die er bei dem Gedanken empfand, würden ihn wohl ewig plagen. Doch schon in wenigen Stunden würde ihre Reise weitergehen. Immer noch zu zehnt und doch einer weniger …
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    Lautlos trieb er auf dem schwarzen Fluss entlang, immer mit der Strömung. Er wusste weder wo er entsprang, noch wo er münden würde, doch allmählich beschlich ihn das Gefühl, dass er gar kein Ende besaß.
    Er blickte nach unten und wäre vor Schreck fast ins kalte Nass gefallen. Er saß in einem Boot! Einem winzig kleinen Fischerboot, so schätzte er. Seine panische Reaktion ließ es gefährlich stark schaukeln, doch sobald er den Blick nach vorn richtete, lag es wieder ruhig und seine unfreiwillige Reise setzte sich fort. Es gab keine Paddel, kein Ruder mit denen er das Gefährt hätte ans Ufer Steuern können. Zum Schwimmen war der Fluss zu breit und die Strömung zu stark. So blieb ihm keine Wahl als sich dazu zu zwingen nicht nach unten zu schauen und weiter treiben zu lassen.
    Immer weiter zog er sich durch karges Terrain ohne markante Veränderung. Hoch oben am Himmel schienen beide Monde mit starker Intensität und ermöglichten ihm so diese Sicht. Zu beiden Ufern konnte er einige Meter weit Gras erblicken, das dann jedoch von dichtem Nebel verschluckt wurde. Hinter diesen Nebelwänden erhaschte er vereinzelt Blicke auf kolossale Berge, höher als alles, was er je gesehen hatte, hundertfach höher als die Wrothgarischen Berge. Er konnte seinen Kopf fast komplett in den Nacken legen und doch blieben die Gipfel seinem Blick verborgen. Dies war kein Ort den er benennen könnte, kein Ort von dessen Existenz er wüsste. Was er wusste war, dass er hier gewissermaßen festgehalten wurde, obgleich er nicht sagen könnte von wem.
    Eine Fluchtmöglichkeit gab es nicht. Dafür müsste er das Wasser durchqueren, welches ihm vom Festland trennte, die Nebel durchwandern, die so weit und dicht waren, dass er in ihnen niemals die Orientierung würde behalten können und aller Voraussicht nach Berge erklimmen, die so gewaltig waren, dass selbst der Himmel nicht ihren Gipfel erreichen konnte. Ihm blieb nur sitzen zu bleiben und zu beobachten, wie das Boot ihn mit besorgniserregender Genauigkeit stets in der Mitte des Stromes hielt, als hätte es seinen eignen Willen. Die Welt um ihn herum lag noch immer in tiefer Stille.
    Eine Ewigkeit verstrich oder vielleicht auch nur ein kurzer Moment. Jeglichen Zeitgefühls beraubt konnte er es nicht mit Sicherheit sagen. Und dann änderte sich etwas.
    Erst bemerkte er es gar nicht, doch dann wurde ihm bewusst, dass er sich nicht weiterbewegte. Ohne dass er es wahrgenommen hätte war das Boot auf eine Sandbank aufgelaufen, die sich durch die gesamte Breite des schwarzen Flusses zu ziehen schien. Augenblicklich sprang er aus dem Boot und brachte es dabei wieder fast zum umkippen. Als seine nackten Füße das Wasser berührten, was wiederum keinen einzigen Laut verursachte, stellte er fest, dass dieses wider Erwarten keineswegs kalt war. Stattdessen spürte er es überhaupt nicht. Gerade wollte er sich Richtung Ufer aufmachen, da fiel das vereinte Licht von Masser und Secunda auf eine eigenartige Prozession und er hielt schlagartig inne.
    Schattenhafte Gestalten überquerten die Sandbank über den Fluss in beide Richtungen. Er ging näher heran und sah, dass sie alle Umhänge trugen und Kutten, die sie weit in ihr Gesicht gezogen hatten. Die vom linken zum rechten Ufer gehenden trugen blau, die anderen schwarz, so dass er sie im Zwielicht kaum ausmachen konnte. Wem sollte er sich anschließen?
    Da erkannte er, dass die meisten Schwarzgekleideten sehr klein waren. Kinder. Als sie auf seiner Höhe ankamen konnte er ihre Gesichter erkennen. Da war ein Mädchen mit blondem Haar und übersät mit Sommersprossen. Ein Khajiit, augenscheinlich nicht viel älter als seine Begleiter. Dann ein Junge, den man nicht mehr genau zuordnen konnte. Das Mondlicht fiel auf eine klaffende Wunde, die sein Antlitz mittig spaltete. Als nächstes zwei gedrungene Gestalten, viel größer als die vorherigen und mit breiter Schulter. Sie liefen nebeneinander und am vorderen konnte er für einen Augenblick grünliche Haut ausmachen. Orks, wie er zu bestimmen wusste.
    Dann waren sie vorüber und die andere Gruppe näherte sich. Diese Gesichter schienen ihm vertraut. Es waren bei weitem mehr als in die andere Richtung aufgebrochen waren und er hatte nicht die Zeit alle von ihnen zu besehen. Doch eine erblickte er ganz klar. Eine Bretonin mit rot-blondem Haar. Sie hatte kurz innegehalten und sich ihm zugewandt, ihr Blick ging jedoch direkt durch ihn hindurch. Dann setzte sie ihren Gang fort und er fühlte sich verloren. Sie alle waren gegangen und bereits in den dichten Nebelfeldern verschwunden.
    Nur einer war stehen geblieben. Genau ihm gegenüber, in der Mitte der Sandbank, stand ein Junge gekleidet in schwarz. Als einziger von allen sah dieser ihn direkt an. Sein Blicke ging nicht durch ihn hindurch sondern fixierte ihn mit unbestimmbarer Mine. Er warf seine Kutte zurück und ihm stockte der Atem. Es war ein Bretone, nicht älter als zehn. Sein Haar war braun, der Blick voller Sorge. Er erkannte diese Jungen. Sein gegenüber schüttelte traurig den Kopf, warf sich die Kutte über und ging den selben Weg, den auch die anderen in Schwarz Gekleideten genommen hatten. Er wollte seinen Arm nach ihm ausstrecken, doch er war zu schwer um ihn anzuheben. Er wollte ihm nachrufen, doch die Stimme versagte ihm. Er wollte …

    Schweißgebadet fand Pyrrhus sich in seinem improvisierten Zelt wieder. Neben ihm lag, noch immer schlafend, die rot-blonde Bretonin und hatte ihm ihren Rücken zugewandt.
    Es war früher Morgen und der Wald war vollkommen still. Es hatte in der Nacht scheinbar irgendwann aufgehört zu regnen, doch auch sonst war nichts zu hören. Für einen Moment kam in ihm die schreckliche Erinnerung an seine ihm versagende Stimme hoch. Er brauchte Gewissheit.
    „Hah!“, schrie er kratzender Morgenstimme in die Stille des Waldes. Ein kleiner Schwarm Vögel erhob sich aus einem nahen Baum und machte dabei seinerseits genug Krach um seine Sorge zu zerstreuen.
    Nun war auch Mycena erwacht. Mit verschlafenen Augen sah sie sich irritiert um, bemerkte seinen Blick der auf ihr ruhte und strahlte ihn an. Diesmal sah sie nicht durch ihn hindurch. „Morgen, Schreihals“, sagte sie mit einem Gähnen. Lasziv streckte sie sich, wobei ihr die Decke vom Leib fiel und ihren barbusigen Oberkörper entblößte. „Was soll der Lärm so früh?“ Sie grinste wieder auf ihre einzigartige Weise. „Solltest du nicht eher mich zum Schrien bringen?“
    Immer noch etwas benommen lehnte Pyrrhus sich zu ihr herunter und küsste sie flüchtig. „Die Nacht war …. wirklich schön“, formulierte er etwas unbeholfen.
    „Das will ich doch auch meinen“, antwortete sie. „Wenn ich mit dem Schwert nicht noch besser umgehen könne hätte Vanius mich doch schon vor Jahren an irgendein Freudenhaus in einer der großen Städte verkauft. Ich bin sicher er wäre mit mir reich geworden.“ Sie erzählte das ohne auch nur im entferntesten verstört zu wirken. Es schien fast schon so als erfülle sie ihre Vielseitigkeit an Begabungen mit großem Stolz.
    „Schon gut, Mycena. Leg dich einfach wieder schlafen.“
    „Ach was, früh aufstehen hat auch so seine Vorteile. Zum einen“, begann sie und küsste ihn nun selbst, „ können wir uns noch etwas vergnügen. Und zum anderen, wenn wir bald aufbrechen sollten wir noch heute Abend zurück auf Gut Nebelwacht sein.“
    „Ich werde nicht zurückgehen. Noch nicht.“
    Der Schlag traf sie hart. Aller Frohsinn fiel von ihr ab und sie schien der Verzweiflung nahe. „Wie bitte!? Verdammt noch mal, was soll ich dir denn noch anbieten? Pyrrhus, alles was in unserem Leben irgendeine Bedeutung hat liegt in diesen Bergen. Hör auf diese dumme Phantomjagd über uns andere zu setzten! Bedeuten wir dir etwa so wenig? Ziehst du eine Schar toter Kinder mir vor?? Und unsere Brüder und Schwestern? Wenn schon nicht für Vanius was ist dann mit ihnen? Was ist mit Talven, Renard, Toras, Arjane ...“ Sie zählte noch mehr Namen auf und jeder einzelne war wie ein Nadelstich in sein Herz. Toras, ein Nord, war sein bester Freund.
    Er ergriff ihre Hand. „Ich werde doch nicht ewig weg sein. Aber ich brauche zunächst Gewissheit. Ich habe schon wieder von diesem Jungen geträumt, weißt du. Der Bretone. Auch einer von den Flüchtlingen. Was auch immer es ist … er hat irgendeine Bedeutung für mich. Ich muss wissen was aus ihm geworden ist.“
    Sie schnaubte. „Ein kleiner Bretonen-Junge in einem Traum. Das ist alles was du hast. Ich … ich fürchte langsam du wirst wahnsinnig, Pyrrhus.“ Da stieß er sie von sich weg.
    „Sag das nicht noch mal!“, schrie er sie an. „Ich kann dir nicht sagen warum, aber ich muss das tun!“
    Er sprang auf und bekleidete sich hastig. Er würde erst später frühstücken. Wenn er hierblieb konnte er nicht sicher sein, das sie ihn nicht doch noch überzeugen würde zu bleiben beziehungsweise mit ihr zurückzukehren.
    Er hatte bereits sein Kettenhemd und den Reiseumhang angelegt, das Schwert umgeschnallt und war nun dabei die Satteltaschen zu befestigen. Mycena hatte ihn dabei aus mit Tränen gefüllten Augen zugesehen, jedoch nicht eingegriffen. Die weite Decke unter der sie geschlafen hatten ließ er liegen. Es schien doch falsch sie ihr wegzuziehen und außerdem war es nicht hilfreich ihren unbekleideten Körper zu sehen.
    Nun stand sie aber auf und lief, nackt wie sie war, auf ihn zu. Für einen kurzen Augenblick dachte, sie wolle ihn mit Zauberkraft überwältigen, doch sie umarmte ihn nur ein letztes mal.
    „Ich wünschte du wärst mit mir zurückgekehrt.“, sagte sie erneut. Er hielt sie fest und antwortete, „Ich bleib doch nicht für immer weg, Mycena. Ich werde zurückkommen.“
    Sie löste sich von ihm und sah ihn traurig an. „Nein. Nein wirst du nicht“, sagte sie leise.
    Darauf wusste er nichts zu erwidern. Er stieg auf sein Pferd und ritt davon, ohne zurückzublicken.

    Er versuchte sich an die Einzelheiten des Traumes zu erinnern. Wer war da noch gewesen? Ein Khajiit? Nun, er hatte schon welche gesehen, wenn er im Dienste Vanius in Hammerfell oder einer der größeren Städte in Hochfels unterwegs gewesen war. Doch wie standen sie in Zusammenhang mit seiner Jagd. Vanius hatte seines Wissens nach nie irgendwelche Khajiit gefangen genommen.
    Dann waren da noch diese Orks gewesen. Vermutlich nur eine Erfindung seines Unterbewusstseins, da er sich so nah an der Landesgrenze zu Orsinium befand.
    Eine Sache stand allerdings außer Frage. Der Junge, der ihn in seinen Träumen heimsuchte, war nach links über den großen Fluss gegangen. In den Nebel, seinen Gefährten hinterher. Den selben Weg würde Pyrrhus also auch nehmen. Der erste Schritt dahin war es, den Wald zu verlassen. Drei Tage hatte er hier zugebracht. Er war sich nun sicher, dass sie einen anderen Weg eingeschlagen haben mussten. Und diesen würde er finden.
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    Haltet die Klappe! Was ist denn nur los mit euch? Seid ihr ernsthaft so wild darauf hier draufzugehen?“
    Matthien war immer noch außer sich vor Wut über ihren Unwillen weiterzugehen. Er hatte sie alle in dem kleinem Haus, dem letzten unzerstörten Haus des Dorfes, versammelt und ihnen gerade die Entscheidung mitgeteilt, dass sie ihren Marsch bei Sonnenaufbruch fortsetzen würden. Der erste, der darauf in Einspruch gegangen war, war Horrundor.
    „Wieso müssen wir weiter? Zum ersten mal seit wir abgehauen sind haben wir ein Dach überm Kopf. Wir haben einen Brunnen, können Feuer machen, und wir haben einen Teich voller Fische. Ich will hier bleiben! Wenigstens bis wir wieder bei Kräften sind.“
    Matthien hatte den Achtjährigen mit einer Mischung aus Erstaunen und Zorn angestarrt. „Noch länger hier bleiben? Ist bei allen Nord das Hirn gefroren oder bist du die große Ausnahme? Aber schön. Mal abgesehen davon, dass wir nicht einmal wissen wer dieses Kaff zerstört hat und ob er vielleicht wiederkommt, hast du vergessen warum wir eigentlich auf der Flucht sind? Ich werde es dir noch einmal ganz langsam erklären. Vanius. Wird. Uns. Töten. Begreife das doch, Mann!“
    „Ach, hast du etwa Vanius gesehen? A-Also ich nicht! Er wird uns gar nicht mehr jagen, wir sind doch nur nutzlose Kinder für ihn. Davon hat er genug. Wir sollten hier bleiben! Und wenn du etwas anderes denkst, dann geh doch allein weiter du dämlicher fetter Rothwardon-Feigling!“
    Nicht nur Coras war von dem Temperament des Nord-Jungen überrascht. Selbst Matthien hatte das Verhalten des sonst so zurückhaltenden Horrundors für einen Moment die Sprache verschlagen. Vermutlich hatte die Aussicht auf weitere beschwerliche Märsche ohne sichere Versorgung mit Wasser und Nahrung, abgewogen gegenüber der auf den Komfort eines Hauses, einen kurzzeitigen Anstieg seines kaum vorhandenen Mutes ausgelöst. In jedem Fall hatte er erreicht, dass sie wieder ein mal stritten und völlig die Zeit aus den Augen verloren.
    Nach einem längeren Austausch an Beleidigungen durch den schmächtigen Nord und den breiten Rothwardon hatte sich auch Yana eingeschaltet. Zur Überraschung aller stand sie dabei auf Horrundors Seite. Auch sie war der Meinung, dass sie ihre momentane Position noch nicht aufgeben sollten. Shani, und nach Caelius Tod auch Lena, waren noch nicht bereit weiterzugehen, auch wenn sie es nicht aussprachen. Das Reden überließen sie lieber ihrer großen 'Schwester'.

    Nun saßen sie nach wie vor im Halbkreis um Matthien auf dem Boden und diskutierten wild durcheinander. Nur Ji'Dar war abwesend. Er hatte sich bereit erklärt, während des Gespräches draußen Wache zu halten, wo die Sonne bereits alles in ein schummriges Zwielicht tauchte.
    Schließlich hob ihr Anführer wieder die Stimme an. „Also schön. Ich habe euch gesagt so lange ich es verhindern kann, werden wir nicht noch mehr Leute verlieren. Die am Anfang nicht mit uns gegangen sind und bei dieser Felslawine umkamen … das war ihre Entscheidung. Ebenso wie Caelius Dummheit direkt auf seine Mörder zuzulaufen.“
    An dieser Stelle warf Coras dem kleinen Lucius einen schnellen Blick zu. Dieser hatte sich aus der Diskussion bisher weitgehend herausgehalten und auch jetzt, als wieder von seinem toten Bruder die Rede war, ließ er nur missmutig den Kopf hängen. Ihm schien inzwischen alles egal zu sein.
    Matthien fuhr indes ungestört weiter. „Euch jedenfalls will ich lebendig nach Hammerfell bringen. Und daher kommt es auch nicht in Frage, dass wir uns aufteilen und nur weiterzieht, wer nicht sofort Heimweh nach dieser Ruine hier bekommen würde. Entweder alle oder keiner! Aber wenn die Mehrheit noch nicht bereit ist, können wir von mir aus noch einen Tag bleiben und erst morgen aufbrechen. Einen Tag, nicht länger! Also gut“, er seufzte, „wer ist dafür noch eine Nacht länger hier zu bleiben?“
    Sofort eilte Horrundors Hand in die Luft. Etwas zögerlicher die von Yana und, als sie das sah, auch die von Lena. Shani, die in Yanas Schoß saß blickte verwirrt in die Gesichter der anderen, die sie nun anstarrten. Es war lächerlich. Die Dreijährige hatte doch keinen blassen Schimmer was überhaupt vor sich ging. Coras, der neben Yana saß, hörte, wie diese dem kleinen Mädchen ins Ohr flüsterte. Er hörte nur Fetzen davon - „Haus … warm … schlafen gehen?“ - aber Yanas Absicht war klar. Strahlend nickte die Rothwardonin mit dem Kopf und hob die Hand.
    „Vier“, sagte Matthien nach einem Moment. „Und wer ist dafür gleich weiterzugehen?“
    Widerstrebend hob Coras die Hand. Wirklich sicher war er sich nicht, doch das Gespräch mit Olga diese Nacht hatte ihm den kleinen Ort etwas weniger einladend gemacht. Vielleicht war es ja das Beste ihn zu verlassen. Die Nord hatte noch vor Matthien selbst ihr Zeichen gegeben und hielt ihren Arm in voller Länge nach oben. Jart hatte ebenfalls kommentarlos für einen Aufbruch gestimmt.
    „Wieder vier“, seufzte Matthien und sah in die Runde. „Was ist mit dir Lucius?“
    „Moment mal, und was ist mit Ji'Dar?“, wand Yana ein.
    „Vergiss ihn, er gehört doch gar nicht richtig zu uns“, kreischte Horrundor schnell. Irgendetwas sagte Coras, dass er die Befürchtung hatte Ji'Dar würde gegen ein längeres Verweilen stimmen.
    „Er meint er will sich nicht einmischen“, meinte Matthien und unterband damit ein weiteres Streitthema. „Wir machen das jetzt unter uns aus. Also Lucius – die Entscheidung liegt bei dir.“
    Zum ersten mal hob der Kaiserliche seinen Kopf und blickte sie reihum an. Sein Gesicht war eine Maske. Dann zuckte er nur mit den Schultern und beschränkte sich auf ein knappes „Gehen wir weiter.“

    Teils glücklich, teils enttäuscht über das Ergebnis der Abstimmung, suchten sie ihre wenigen Habseligkeiten zusammen. Darunter auch einige neue Errungenschaften, die sie erst in dem Dorf gefunden hatten. Zwei kleine Laternen mit einigen Kerzenstumpen, ein paar Meter Seil und ein rostiges Messer, das aber zumindest ausreichte Fisch zu zerteilen. Passend dazu hatte Ji'Dar abermals zwei Forellen aus dem kleinen Teich gefischt, die sie später essen konnten. „Das sollte Yana zumindest ein kleiner Trost sein“, dachte Coras. Dennoch war er bedacht darauf ihrem Blick bis auf Weiteres zu entkommen. Alle hatten dann noch schnell ihre Wasserschläuche aufgefüllt und es ging los.
    Eine Stunde später lag das verlassene Dorf bereits ein gutes Stück hinter ihnen und sie hatten abermals die Kuppe eines kleinen Hügels erklommen. Die Sonne stand längst hoch am Himmel, da hörten sie alle Ji'Dar zufrieden schnurren.
    „Es scheint ihr habt euch weise entschieden. Leben kehrt zurück in die Ruinen.“ Zuerst wussten sie nicht was er damit meinte, doch dann folgten sie seinem Blick und nach einer Weile erkannten sie es auch.
    Ein kleiner Schatten bewegte sich dort auf das Dorf zu. Ein einzelner Reiter und er kam aus der selben Richtung wie sie Tage zuvor. Coras konnte ihr Glück kaum fassen. Währen sie nur eine Stunde länger geblieben … das musste das Werk der Göttlichen sein.
    „Glaubst du mir nun?“, fragte Matthien Horrundor, aus dessen Gesicht sämtliche Farbe gewichen war. „Es war die richtige Ent-“
    „Seht nur!“, wurde er unerwartet von Lena unterbrochen. Ihre Augen schiene nach Ji'Dars die zweitbesten zu sein, denn sie erkannte, dass sich nun auch von der anderen Seite des Dorfes Schatten näherten. Vier, vielleicht fünf, und wiederum alle beritten.
    „Vanius?“, mutmaßte Jart.
    „Das … der eine kommt zumindest aus unserer Richtung, aber die anderen nicht“, warf Coras ein.
    „Vielleicht haben ein paar von seinen Leuten den Berg umrundet und er ist uns durch den Wald gefolgt“, flüsterte Olga.
    „Kommt, lasst uns abhauen“, sagte Matthien, nachdem sie die Neuankömmlinge minutenlang angestarrt hatten. „Auf dem Hügel werden sie uns bald sehen. Keine Ahnung, ob das Vanius ist aber wir sollten auf keinem Fall entdeckt werden.“
    In dem Punkt waren sie sich wohl alle einig und sie beeilten sich den Hügel auf der anderen Seite herabzusteigen um aus dem Blickfeld zu verschwinden. Alle bis auf einen.
    „Was machst du Idiot da?“, rief Matthien und alle drehten sich um.
    Lucius stand noch immer aufrecht auf der Hügelkuppe, der Blick starr geradeaus. Auf gewisse Weise machte der Anblick wahrlich Eindruck auf Coras. Der furchtlose Held, der sich weigert vor der Gefahr länger davon zu rennen und bereit war sich ihr zu stellen. Doch die Realität sah wohl eher so aus, dass Lucius nicht mehr den Willen aufbringen konnte weiterzulaufen. Er wollte nichts sehnlicher als dem ganzen ein Ende zu bereiten und seinem Verderben entgegenzugehen. Folgerichtig tat er den ersten Schritt den Hügel in Richtung Dorf hinabzusteigen. Womöglich glaubte er ja so seinem Bruder wiedersehen zu können.
    Coras schien als einziger zu diesem Schluss gekommen zu sein. Als er sich umblickte erkannte er, dass die meisten anderen ihm entweder geschockt oder irritiert nachblickten, Matthien immer noch anschrie und Shani, wohl deswegen, anfing zu heulen. Coras realisierte, dass es an ihm lag, etwas zu unternehmen. Ohne darüber nachzudenken stürzte er los und riss den überraschten Lucius zu Boden.
    „Lass mich!“, giftete dieser ihn an.
    „Nein!“, warf Coras zurück, während er den kleineren Jungen zu Boden drückte. „Willst du den selben Fehler machen wie dein Bruder?“
    „Ihr wisst doch nicht mal wer da unten ist. Ihr könnt doch weitergehen. Dann werden sie mich alleine retten, und?“
    Krampfhaft überlegte Coras, wie er ihn überzeugen konnte. „Und wenn es Vanius ist wirst du uns alle töten! Er wird sehen wo du hergekommen bist und dann hat er uns.“
    „Was macht das für einen Unterschied? Wir sind doch eh schon alle tot! Glaubst du ernsthaft an diesen Mist den Matthien uns erzählt? Dass wir Hammerfell erreichen und dann alle sicher sind? Dann bist du noch dümmer als mein Bruder!“
    Bei dessen Erwähnung traten Tränen in seine Augen und für einen Moment versuchte er sich nicht mehr aus Coras Griff zu entziehen. „Das ist doch eh was ihr alle denkt, nicht war? Nur ein dummer Kaiserlicher. Und ich nur sein dummer kleiner Bruder. Wieso solltet ihr euch um mich mehr scheren als um ihn?“ Er schluchzte als er das aussprach. Die Maske die er die letzten Tage getragen hatte war von ihm abgefallen.
    „Du bist nicht dein Bruder“, erwiderte Coras und löste seinen Griff. „Und der wollte sich auch nicht umbringen. Du trägst keine Schuld an seinem Tod. Niemand von uns tut das. Es macht doch keinen Sinn weiter darüber nachzudenken.“ Es war doch an der Zeit das auch Coras selbst dieses leidige Kapitel beendete.
    „Jetzt komm. Du hast noch eine Chance das ganze zu überstehen. Eine Sache solltest du Caelius auf keinen Fall nachmachen.“ Lucius hielt in seinem Geheule inne und sah zu Coras hinauf. Dieser warf dabei einen schnellen Blick in Richtung Dorf, wo die Gestalten mittlerweile scheinbar von ihren Pferden gestiegen waren. Wer davon der einzelne Reiter und wer von der größeren Gruppe war, konnte er nicht mehr ausmachen.
    „Was denn?“, fragte Lucius schließlich leise und Coras sah ihn wieder an.
    „Denk nicht du wärst auf dich allein gestellt. Dein Bruder dachte das wohl. Dass wir alle gar nicht zusammengehören würden oder zumindest, dass er als Kaiserlicher nicht zu uns gehörte. Deswegen ist er doch auch bei der erstbesten Gelegenheit davon gerannt. Weißt du noch was er gerufen hat? Du brauchst jedenfalls nicht den selben Fehler zu machen. Wir gehören alle zusammen und wir werden auch zusammen weitergehen! Du gehörst zu uns. Wenn du jetzt darunter gehst werden wir alle sterben, wenn du mit uns mitgehst haben wir zumindest alle noch eine Chance. Siehst du? Unser Schicksal ist in jedem Fall das gleiche.“

    Kurz darauf trafen sie wieder mit den anderen zusammen, Coras mit einer Hand auf Lucius Schulter. Matthien verkniff sich seinen Kommentar und nickte nur schroff in die Richtung die den Hügel hinab lief. Sie gingen weiter.
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  9. #9 Zitieren
    Krieger
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    Endlich lichtete der Wald sich und Pyrrhus erblickte Sonnenlicht. Drei Tage im Halbschatten der Bäume waren auch eindeutig genug gewesen. An der Stelle, an der es wieder in offenes Terrain ging, fand er eine recht steile Böschung. Er brauchte einige Anläufe um mit seinem Pferd nach oben zu kommen. Er zerrte wie verrückt an den Zügeln, doch das Tier war nicht allzu willig den Anstieg mitzumachen.
    Als er es schließlich geschafft hatte, blickte er in ein weites Feld endlosen Nichts. Hier an den Ausläufern der Wrothgarischen Berge, die hinter ihm noch immer hoch in den Himmel ragten, bildete sich eine trockene Heidelandschaft ab. Vereinzelt mischten sich kleinere Hügel in die flache Ebene, doch das war alles, das er an Veränderung ausmachen konnte. Nichtsdestotrotz war es ihm hundertfach lieber, als die Ödnis der Berge.
    Wo lang jetzt? Ach was solls. Sein verspätetes Frühstück, obgleich sehr hastig, hatte ihn schon lang genug aufgehalten. Er wollte nicht noch mehr Zeit verlieren und ritt vorerst einfach geradeaus in die sich vor ihm erstreckende Heide, wie um so viel Abstand wie möglich zwischen ihm und diesen dreifach verfluchten Wald zu schaffen.
    Herdfeuer war der Monat. Die Spätsommersonne schien unbarmherzig auf ihn herab und verbrannte in kürzester Zeit seinen Nacken. Dafür ermöglichte sie ihm auch eine gewisse Orientierung. Nach Süd-Ost führte ihn sein Weg nun, bestimmte er an ihrem Stand. Er zog die Kapuze seines Reiseumhangs über und dachte nach.
    Nach Süd-West, die Richtung, die auch der Wald nahm, ging es nach Orsinium, dem Reich der Orks. Wenn diese Kinder halbwegs gescheit waren, würden sie sich von da fern gehalten haben. Insofern war seine Wahl vermutlich gar nicht mal so schlecht.
    Während er so dahin ritt, drifteten seine Gedanken wieder ab. Er sah Mycena vor sich, wie sie ihm im Wald begegnet war. Dann Mycena nackt. Dann die anderen seiner Brüder und Schwestern auf Gut Nebelwacht, an die sie ihn erinnert hatte. Allen voran sein bester Freund Toras. Und dann Vanius. Der alte, schwache Mann, der ihm sein Leben gerettet, ihn aufgenommen und zum Krieger gemacht hatte. Sie alle hatte er verlassen, wegen einem Bretonen-Jungen aus einem Traum? Auf der einen Seite war er sich noch nie im Leben bei etwas so sicher gewesen, doch auf der anderen war es auch das dümmste, das er sich vorstellen konnte. Warum nahm er das alles auf sich? Seine Überlegungen führten zu nichts.

    Noch immer in Gedanken vertieft, sah er doch schon früh das Dorf, das sich da in einiger Entfernung vor ihm abzeichnete. Oder zumindest die Reste davon. Als er näher heran war, erkannte er, dass die meisten Gebäude nur noch Ruinen waren. Niedergebrannt und eingefallen, wie schon so viele auf seinem Weg. Nur eine der Hütten machte noch einen halbwegs bewohnbaren Eindruck. Von Bewohnern war dennoch keine Spur zu sehen. Ein kleiner Tümpel lag am Rand der Ortschaft und in der Mitte stand ein Brunnen.
    Es war ein kleiner Ort im Nirgendwo. Nicht einmal ein Palisadenwall schütze ihn. Die Plünderer, die hier durchgekommen waren, mussten leichtes Spiel gehabt haben. Viel zu holen hat es hier aber vermutlich nie gegeben.
    Er blickte auf die Landschaft jenseits des Dorfes. In eine Richtung versperrten ihm die Ruinen die Sicht, doch weiter Richtung Süden konnte er Hügel ausmachen. Er blinzelte. Für einen kurzen Moment schien es ihm, als hätte er da oben Bewegungen gesehen. Doch dann war es wieder weg. Sein Verstand spielte ihm wohl Streiche. Oder vielleicht auch nicht. Er beschloss sich nach einer kurzen Besichtigung des Dorfes den Hügel vorzunehmen. In jedem Fall würde er von da oben eine bessere Sicht haben.
    Er nahm gerade einen Schluck aus seinem Wasserschlauch, da vernahm er das Wiehern eines Pferdes. Und diesmal war es garantiert keine Einbildung.

    „Wer seid Ihr?“, krächzte ihm eine Stimme entgegen.
    Zwischen den Ruinen der Häuser tauchten auf ein mal Reiter auf. Vier an der Zahl. Sie mussten von der nicht einsehbaren Seite des Dorfes gekommen sein. Er selbst war bereits von seinem Pferd abgestiegen und hatte es an dem kleinen Tümpel trinken lassen. Die vier trotteten auf ihn zu und sein Herzschlag beschleunigte sich schlagartig.
    „Ich habe gefragt wer Ihr seid!“, krächzte die selbe Stimme erneut, diesmal fordernder. Pyrrhus erkannte ihn als Nord, ebenso wie zwei seiner Begleiter. Der vierte war tatsächlich Bretone. Sie alle trugen bunt gemischte Rüstungs- und Kleidungsstücke, rostige Schwerter und klobige Keulen aus Holz. Plünderer also. Allerdings keine sonderlich erfolgreichen, wie ihm schien. Sein Herzschlag beruhigte sich wieder.
    „Mein Name ist Pyrrhus und ich diene Rethus Vanius, dem Herren von Gut Nebelwacht hoch in den Wrothgarischen Bergen. Ich bin auf der Suche nach einer Gruppe toter Kinder. Und wer seid Ihr, Nord?“
    „Das kann dir egal sein, Bretonen-Abschaum! Was laberst du von Kindern? Hier gibt es keine und wenn sie tot sind, wen juckst dann wo sie sind. Du willst mich wohl verarschen, oder? Lass mich dir mal was sagen, Bengel! Euer Volk hat den Krieg verloren, ihr solltet einen Nord-Mann mit mehr Respekt begegnen!“
    Während er sprach, erkannte Pyrrhus, dass ihm die meisten Zähne fehlten. Unter einer Fellkappe schien er kahl zu sein und er war stark untersetzt. Die Arme eher drahtig als stark. Insgesamt also das Gegenteil eines typischen Nord.
    „Sprecht schon! Was wollt ihr hier? Dieses Dorf ist unser Stützpunkt, es ist dir nicht erlaubt dich hier aufzuhalten!“
    Pyrrhus lachte ihm laut ins Gesicht. „Stützpunkt? Das ist eine dreckige Ruine, mehr nicht. Geh ich recht in der Annahme, dass ihr vom Rest eurer Artgenossen verstoßen wurdet? Hier werdet ihr wohl kaum auf Beutezug sein. Ach und dass Hochfels damals den Krieg verloren hat, ist bestimmt nicht solchen Schreihälsen wie dir zu verdanken.“ Er wandte sich dem Bretonen zu. „Dann doch eher schon solchen Feiglingen wie dem da, der auf unserer Seite hätte stehen sollen!“ Pyrrhus spuckte dem Bretonen vor die Hufe seines Pferdes. Der Adressierte sah finster auf ihn herab, erwiderte jedoch nichts. „Jetzt lasst mich euch etwas sagen! Haut einfach ab, lasst mich in Ruhe und ich sag euren Müttern nicht, dass ihr hier ohne ihre Erlaubnis Räuber spielt“, schloss Pyrrhus.
    „Was soll der Scheiß? Rothgar, machen wir den dummen Kerl fertig und klauen ihm sein Pferd. Oh und dieses schöne Schwert da.“ Das war einer der anderen Nord. Dieser war zwar breit gebaut und hatte auch noch sein goldnes Haar, zusammengebunden in einem Pferdeschwanz, machte aber gleichzeitig den Eindruck eines ziemlich einfältigen Muskelprotzes. Der typische Barbar eben.
    'Rothgar', allem Anschein nach der drahtige Wortführer der Gruppe, war bei der Erwähnung des Schwertes erschrocken hochgefahren. Scheinbar hatte er die Waffe, die von Pyrrhus Hüfte hing, nicht einmal bemerkt. Nun sah er verärgert an Pyrrhus rauf und runter, als wollte er die Gefahr die von ihm ausging einschätzen. Dieser selbst blieb derweil völlig ruhig stehen und machte keinerlei Anstalten sein Schwert zu ziehen.
    „Also schön“, sagte Rothgar endlich mit einem schmierigen Lächeln. „Foril!“, bellte er.
    Der dritte Nord lächelte daraufhin grimmig, zog einen Kurzbogen und legte einen Pfeil ein. Dabei bemerkte Pyrrhus etwas irritiert, dass die Spitze, die nun genau auf ihn gerichtet war, im Sonnenlicht nicht diesen Glanz hatte, wie er ihn bei Eisen- oder Stahlpfeilspitzen gewohnt war. Nach einem Moment erkannte er, dass diese hier aus Stein bestand. Der Nord hatte sich seine Pfeile also selbst hergestellt! Etwas mitleidig musste Pyrrhus schmunzeln. Gab es irgendwo schlechter ausgerüstete Banditen als diese vier?
    Rothgar war indes keuchend von seinem Pferd hinabgestiegen und zog nun sein rostiges Kurzschwert aus der Scheide. „Du kennst den Ablauf, Foril. Wenn er Faxen macht, bring ihn um!“ Der Bogenschütze nickte stumm und Pyrrhus schenkte ihm ein spottendes Lächeln. „Ich freu mich schon mit dir zusammenzuarbeiten“, dachte er.
    „Also gut, Bretone. Beweg dich nicht! Ich nehm mir dein Schwert, gucke was du sonst noch so dabei hast und dann kannst du noch mal davonlaufen. Laufen, wohlgemerkt! Eran, hol sein Pferd. Und sieh nach ob du in den Satteltaschen etwas finden kannst!“
    Mit triumphierenden Blick setzte sich der Bretone in Bewegung und sah im Vorbeireiten auf Pyrrhus hinab. „Du nennst mich Feigling? Wenn ganz Hochfels aus solchen Maulhelden wie dir besteht, sollte es dich nicht wundern, dass ich die Seiten gewechselt habe.“
    Dann gab er seinem Pferd die Sporen und ritt auf Pyrrhus Mähre zu, die weiterhin ungestört aus dem Tümpel trank. Er sah ihm noch etwas nach, bis die krächzende Stimme Rothgars in wieder umdrehen ließ.
    „So … bringen wir das ganz schnell und unkompliziert hinter uns, Bretone.“ Er war nun ganz nah an Pyrrhus herangekommen. Sein Atem roch erbärmlich. Nach Met und faulem Fleisch.
    „Du stinkst“, sagte Pyrrhus, rümpfte die Nase und wand sein Gesicht ab. Foril zielte weiterhin auf ihn und der dritte Nord schaute nur dumm in der Gegend herum, die schwere Keule aus grobem Holz auf die Schulter gelegt.
    „Kann es sein das du doch lieber sterben willst, Dreckskerl? Bitte den Gefallen kann ich dir gern tun. Dann werden wir ja sehen wer besser riecht, wenn du erst einmal von Maden zerfressen und verrottet bist.“ Dabei ließ er ein dreckiges Lachen hören, was den beißenden Gestank, der von ihm ausging, noch unerträglicher machte.
    „Was haben wir denn da?“, murmelte er schließlich, als er die linke Hand an Pyrrhus Schwertgriff legte. Mit der anderen richtete er sein Kurzschwert auf ihn. Er zog es ein Stück weit aus der Scheide, während Pyrrhus ihn nun genau im Auge behielt. Ein Glanz nach Gier trat in die Augen des Möchtegern-Banditen, als hätte er noch nie ein echtes Schwert gesehen.
    „Mhmmm, nich schlecht, nich schlecht. Wo hast du das geklaut, Bursche?“
    „Ich würde das lieber loslassen, wenn ich du wäre“, zischte Pyrrhus so leise, dass die anderen Banditen ihn nicht hören konnten.
    „Willst … willst du mir etwa drohen?“ Auf einmal stand ihm Angst ins Gesicht geschrieben.
    „Die Warnung hattet ihr schon bekommen. Du hättest drauf hören sollen“, flüsterte er ihm zu.
    Die linke Hand des Nord hielt noch immer nutzlos den Griff von Pyrrhus Langschwert umklammert, während er viel zu langsam versuchte mit der rechten das Kurzschwert hochzureißen. In einer einzigen fließenden Bewegung riss Pyrrhus den verwirrten Mann mit der rechten Hand an der Schulter herum, während seine linke den Dolch von seinem Gürtel löste und ihn dem Nord in den Bauch rammte. Wie ein Messer durch Butter drang er durch die Glieder des schlecht verarbeiteten Kettenhemdes und Rothgar heulte laut auf vor Schmerz. Nahezu zeitgleich löste sich der Steinpfeil, der eigentlich für Pyrrhus bestimmt war, von Forils Bogen und drang in den Rücken seines Artgenossen ein. Pyrrhus hatte ihn im exakt richtigen Moment in die Schussbahn gezogen.
    Blut floss aus dem Mund dessen entsetztem Mund und sein Griff um das Langschwert hatte schließlich doch nachgelassen, sodass Pyrrhus es nun vollends aus der Scheide ziehen und das Leben seines Gegenüber mit einem schnellen Hieb durch dessen Kehle beendete.
    Das alles war so schnell abgelaufen, dass den rechtlichen Banditen erst nach einigen Sekunden klar wurde, was gerate geschehen war. Mehr Zeit als Pyrrhus benötigte. Noch während mit gezücktem Schwert auf die anderen zwei Nord zurannte, nahm er seine Finger zum Mund und ließ einen schrillen Pfiff ertönen. Aus den Augenwinkeln sah Pyrrhus, wie seine Mähre laut wieherte, sich aufbäumte und den überraschten Bretonen, der ihr gerade den Rücken zugekehrt hatte, mit den Vorderhufen in den Tümpel stieß. Dann galoppierte sie ihm entgegen.
    Der Bogenschütze war mittlerweile aus seiner Schockstarre erwacht und wollte einen neuen Pfeil einlegen, doch wieder war Pyrrhus schneller. Ein Schwertschlag auf die Vorderhufe seines ausgezehrten Pferdes ließ es unter ohrenbetäubendem Schreien einknicken und sein Reiter fiel herab. Pyrrhus tötete den wehrlosen Nord mit einem einzigen Stich direkt ins Herz.
    Sein Blick haftete dabei auf dem stärkeren dritten Nord. Der hatte es wenigstens geschafft von seinem Pferd abzusteigen. Mit seinem Holzknüppel hätte er von da oben nichts gegen Pyrrhus ausrichten können. Für einen Moment umrundeten die beiden sich und versuchten die Bewegungen des anderen vorherzusagen.
    „Das könnte sich tatsächlich noch zu einem richtigen Kampf entwickeln“, schoss es Pyrrhus durch den Kopf, doch da zerstreute der Barbar diese Sorge bereits.
    Brüllend rannte er auf Pyrrhus zu und schwang dabei die Keule über seinem Kopf. Mühelos wich er dem Schlag aus gab seinem Gegner noch einen Hieb auf den Unterschenkel mit. Der Nord schrie laut auf und fuhr stockend herum. Mit einer Hand hielt er sich die Wunde, während Pyrrhus ihn auf Abstand hielt. Mit dieser Keule konnte er ihm nur gefährlich werden, wenn er ihn direkt auf dem Kopf traf.
    Kurz darauf hielt der Bandit wieder auf ihn zu und setzte zu einem erneuten Schlag an. Diesmal führte er ihn jedoch horizontal schwingend aus, sodass Pyrrhus schnell zurückweichen musste. Das setzte sich eine ganze Weile fort, bis er mit den Rücken an die Wand eines eingefallenen Hauses traf. Gerade noch rechtzeitig duckte er sich vor dem nächsten Hieb weg und die Keule durchschlug mit voller Wucht die Wand der Hütte. Er wich vor dem Barbar zurück, der ihm einen wütenden Kampfschrei entgegen warf. Er schien seine Verletzung gar nicht mehr beachten zu wollen. Offenbar befand er sich in einer Art Blutrausch. Womöglich hatte er den hier unterschätzt...
    „Hör auf auszuweichen, Feigling!“, brüllte der gut einen Kopf größere Berserker auf Pyrrhus herab, nachdem dieser erneut gerade noch rechtzeitig den Kopf eingezogen hatte. Er versuchte ihm immer wieder mit Gegenangriffen zu begegnen, doch der Nord schlug sein Schwert jedes mal unermüdlich mit seiner klobigen Waffe weg. Er verfügte über sehr viel mehr Kraft als gehofft.
    „Wirst du nicht langsam müde, du verdammter Fleischberg?“, rief Pyrrhus ihm entgegen.
    „Harr, harr. Was is los, kleiner Bretone? War das etwa schon alles?“
    Abermals schlug er nach Pyrrhus aus und abermals blieb ihm nichts anderes übrig, als auszuweichen. Die Waffe des Nord mochte stumpf und primitiv sein, doch ihr Gewicht und die Wucht mit der er sie schwang machten es ihm unmöglich die Schläge zu parieren. Zeit etwas anders zu versuchen.
    Bei der nächsten Attacke wich Pyrrhus nur einen halben Schritt zurück und riss im letzten Moment sein Schwert hoch. Damit nahm er zwar in Kauf getroffen zu werden, doch er fügte dem Nord eine weitere Verletzung am Oberarm zu, sodass dieser brüllend seine Waffe fallen ließ. Aber auch Pyrrhus hatte einstecken müssen. Es traf ihn zwar nicht mit voller Wucht und doch ließ der Schlag in seine Magengegend ihn laut aufkeuchen und sein Langschwert gesellte sich zu der Keule auf dem Boden.
    Vor lauter Schmerz verpasste er fast, wie die linke Faust des Nords auf ihn herabging. Gerade noch rechtzeitig wich er aus und legte seinerseits beide Hände auf die nur von dünnem Leder geschützte Brust seines Gegners.
    „Was bei allen ...“, begann dieser mit weit aufgerissenen Augen, doch weiter sollte er nicht kommen. Es gab einen dumpfes Geräusch, irgendwie wie das ferne Donnern bei einem Gewitter, und der große Mann fiel vor Pyrrhus auf seine Knie. Sämtliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen, der Blick war Starr vor Entsetzten und Kälte. Der Frostzauber hatte ihn mit voller Wucht erwischt.
    Langsam löste Pyrrhus seinen Griff und nahm sein Langschwert auf. Dabei beobachtete er seinen Gegner. Noch immer zitterte dieser am ganzen Leib.
    Pyrrhus hatte eine Vorstellung davon, was er durchmachte. Meister Enrion, der Altmer der sie in Zerstörungsmagie unterwiesen hatte, hatte ein ganz eigene Lehrmethode gehabt. Sie hatten ihre Zauber aneinander ausüben müssen. Natürlich nicht so stark, dass man hätte sterben können, aber genug um „die Kraft die von ihnen ausgeht respektieren zu lernen“. So hatte er sich ausgedrückt.
    Als Pyrrhus den zuckenden Körper unter sich betrachtete, ging ihm nur durch den Kopf über welch unglaubliche Macht er da verfügte. An der Stelle, an der seine Hände ihn berührt hatten, war die Haut schwarz angelaufen. Erfroren. Nicht einmal die natürliche Kälteresistenz der Nord konnte vor derartiger Zerstörungskraft standhalten. Der Gedanke faszinierte ihn. Es war ihm unmöglich den Blick von diesem grausig schönen Schauspiel abzuwenden. In diesem Moment spürte er weder die Erschöpfung, die das Ausführen eines Zerstörungszaubers dieser Stärke mit sich führte, noch den Schmerz, wo die Keule auf seine Rippen getroffen war. Es gab nur ihn und sein zitterndes Opfer.
    Beendet wurde dies erst durch das Stöhnen des Bretonen, weiter hinten am Tümpel. Mit schmerzverzerrtem Gesicht lag dieser am Rand des Wassers und hielt sich die Rippen. Der Tritt seiner Mähre schien ihm die Rippen gebrochen zu haben. Als er sich nach dieser umsah, fand er sie ein Stück weiter zwischen den Ruinen. Der Kampf mit dem Nord schien ihr doch eine Nummer zu groß gewesen zu sein. Die ausgezehrten Pferde der Banditen hatten unlängst das Weite gesucht. Gut für sie. Ohne ihre Reiter würden sie wohl besser dran sein. Weniger glücklich erging es dem Pferd des Bogenschützen. Noch immer mühte es sich ab, sich wieder aufzurichten.
    Pyrrhus beendete erst seine Leiden, dann die des nach wie vor zitternden Nord und schließlich ging er langsam auf den verletzten Bretonen zu.
    „B-b-bitte“, keuchte dieser unter seinem Stöhnen, „iiii-ich weiß ni-icht, was … für Kinder. Ihr sucht … Aber i-ich … arghhh … helfen. Euch helfen.“
    „Natürlich könnt Ihr das.“ Pyrrhus bückte sich zu ihm herab und drehte ihn auf den Rücken, was einen erneuten Schmerzensschrei hervorrief.
    „Lasst mich. Ich will doch nur sehen, was Euch fehlt“, redete Pyrrhus leise auf ihn ein, ohne ihm dabei ins Gesicht zu sehen. Er riss die Kleidung auf. Der untere Teil seines Oberkörpers schien von den Pferdehufen komplett zerstört.
    „Ihr … müsst … Heiler finden“, presste der Bretone flehentlich hervor.
    „Gewiss“. Pyrrhus ließ seine Hand an die Kehle des Verletzten wandern, als wollte er den Puls führen. Dann gab es ein neuerliches Dröhnen und der Hals verfärbte sich in kürzester Zeit schwarz. Der Frostzauber war zwar schwacher, als der den er bei dem Nord eingesetzt hatte, doch an einer so verwundbaren Stelle mindestens genau so effektiv. Dem Bretonen schnürte es Luftröhre zu, kurz darauf war er tot.
    „Viel sauberer, als mit einem Schwert“, dachte Pyrrhus.
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  10. #10 Zitieren
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    In der Höhle wurde es schon früh dunkel. Ihr Ausgang zeigte Richtung Osten, weshalb die untergehende Sonne sie schon nicht mehr erreichte, als sich der Himmel außerhalb gerade erst begann sich rötlich zu verfärben. So saßen sie, dicht zusammengedrängt, ein Stück vom Ausgang entfernt zu beiden Seiten ihres neusten unterirdischen Versteckes auf dem kalten Boden, während die Dunkelheit sie nach und nach verschlang. Coras fiel es immer schwerer einzelne Gesichter auszumachen. Da sich aber schon länger keiner von ihnen mehr gerührt hatte, konnte er auch so mit ziemlicher Bestimmtheit sagen, wer wo zu finden war. Zu seiner Rechten saß Yana, und hielt Shani mit beiden Armen fest an sich gedrückt. Anscheinend wurde die kleine Rothwardonin erneut von Fieber geplagt und ab und zu packte sie ein Hustenschwall. Coras empfand zwar gewissermaßen Mitgefühlt, hatte sich aber im Gegensatz zu Yana nie ernsthafte Hoffnungen gemacht, das kleine Mädchen könne ihre Flucht überleben. Bei allen Göttlichen! Zu diesem Zeitpunkt machte er sich ja nicht einmal mehr Hoffnungen, dass er selbst lebend aus dem Ganzen herauskommen würde.
    Wie dem auch sei - nach Yana kam Lena, die zweite ihrer beiden kleinen 'Schwestern', ihr Kopf lag an Yanas Schulter gelehnt. Zu seiner Linken starrte Jart, dessen beharrliches Schweigen diesmal in der allgemeinen Stille der anderen unterging, unentwegt auf den Ausgang. Dort lag Ji'Dar und beobachtete mit scharfen Augen das Geschehen außerhalb der Höhle. Coras gegenüber auf der anderen Seite der Höhle saßen Matthien und Olga, etwas weiter im Inneren der Höhle Lucius und Horrundor.
    „Das ist doch dämlich! Wie lange willst du denn noch hierbleiben!?“, vernahm Coras nun von eben da ein ärgerliches Flüstern. „Den ganzen Tag haben wir hier drinnen gehockt. Wofür??“ Er meinte Olgas Stimme erkannt zu haben.
    „Hast du denn unterwegs irgendeine andere Höhle gesehen? Seit wir das Dorf verlassen haben nur offenes Gelände. Wir müssen hier bleiben. Eine Weile wenigstens.“
    Das war Matthien gewesen. Die Stimme ihres Anführers klang eher resigniert als streitsüchtig und hatte bei Weitem nicht den selbstsicheren Ton, der ihr sonst anhing. Ganz im Gegensatz zu der Olgas.
    „Ich will in überhaupt keine dumme Höhle! Ich bin eine Nord, kein Hase! Und überhaupt – kann sein, dass wir draußen leicht gefunden werden könnten. Dann könnten wir immer noch rennen. Hier drin sitzen wir in der Falle!“
    Matthien ließ ein trockenes Lachen erklingen. „Wegrennen? Vor Vanius Reitern? Selbst wenn wir uns alle zehn aufteilen würden, könnten sie uns in Ruhe einen nach dem anderen schnappen. Wir sollten einfach hier warten. Nur ein paar Tage. Damit wir sicher sein können, dass sie die Gegend verlassen haben.“
    „Wir wissen doch nicht mal, ob das wirklich Vanius war!“ Unerwartet war Horrundor aus dem hinteren Teil der Höhle seiner Artgenossin zur Seite gesprungen. „Da waren nur ein paar Reiter in dem Dorf und später noch mal einer auf dem Hügel, der uns fast gesehen hat. Na und? Vielleicht wollen die gar nichts von uns. Vielleicht hätten wir auch gleich in dem Dorf bleiben können und die waren die ganze Zeit Freunde. Und jetzt verstecken wir und wegen nichts und der echte Vanius kommt immer näher.“
    „Mach dir doch nichts vor. Ein Reiter kam aus der selben Richtung, wie wir. Der wird uns durch den Wald gefolgt sein. Der Rest kam von der anderen Seite, ist also um den Berg herum. Genau wie Vanius uns jagen würde. Wir hatten Glück, dass sie Ji'Dars Bergpfad nicht gekannt haben, aber jetzt … jetzt sind sie wieder hinter uns.“
    Der Teil mit den Freunden klang tatsächlich unwahrscheinlich, egal was für Leute das gewesen waren. Aber ansonsten hatte er gar nicht so unrecht, dachte Coras. Wenn das nicht Vanius gewesen war, brachte ihn jede Minute, die sie sich hier versteckt hielten, näher zu ihnen. Nachdem sie das Dorf verlassen hatten, hatten sie nur noch einen Reiter gesehen, der auf dem Hügel stand, auf dem Coras Lucius gerettet hatte. Sie hatten sich alle sofort auf den Boden geworfen, doch da war er schon wieder verschwunden. Trotzdem hatte Matthien nach gut zwei Stunden der Flucht darauf bestanden in dieser stinkenden Höhle Unterschlupf zu suchen. Lena hatte sie entdeckt, indem sie fast in sie hinein gestürzt war. Der Eingang war nur sehr schwer auszumachen, da er völlig mit Heidekraut überwachsen war. Soweit war sie die erste Möglichkeit sich zu verstecken, die sie nach dem Dorf gefunden hatten. Ansonsten war da, so weit das Auge reichte, nichts als trockenes Kraut, unterbrochen nur von einen vereinzelten Felsen und kleinen Bächen. Dennoch die Vorstellung, sich hier zu verkriechen niemanden sonderlich gereizt. Olga noch am wenigsten.
    „Und wenn wir morgen weitergehen und die Reiter auch erst dann wieder aus dem Dorf aufbrechen? Wir würden doch genau in ihre Arme rennen. Was dann?“
    „Sie hat Recht. Wenn wir jetzt aufbrechen haben wir zumindest einen kleinen Vorsprung“, äußerte sich Lucius zögerlich.“
    „Und hier können wir nicht bleiben!“, traute sich Lena zu Wort, nun da immer mehr auf Matthien einredeten. „Wenn wir zu lange hier bleiben treffen wir noch auf den Bären, dem die Höhle gehört.“
    Matthien verdrehte die Augen. Wenn es hier überhaupt einen gibt, wird der erst im Winter zurückkommen um hier zu schlafen.“
    „Gut. Bis dahin wären wir eh alle verhungert!“ Wieder Horrundor. „Wir haben doch so gut wie nichts mehr in unseren Rucksäcken. Und was noch da ist, ist steinhartes Brot und zähes Pökelfleisch. Wir müssen weiter um draußen irgendwo etwas Essbares auftreiben!“
    „Und Shanis Fieber wird schlimmer. Je länger wir hier warten, desto länger brauchen wir einen Heiler zu finden“, fügte Yana mit besorgter Stimme hinzu.
    „Mich hats auch erwischt“, jammerte Horrundor. „Muss von diesen dämlichen Wache schieben bei stürmendem Regen kommen!“
    Nun trat tatsächlich Wut in Matthiens Gesicht, doch bevor er antworten konnte, fuhr Olga ihn mit abfälligem Ton an. „Erkältet? Du bist ein Nord, hör auf dich wie eine Memme aufzuführen!“ Wäre es nicht bereits zu dunkel dafür gewesen - Coras war sich sicher - hätte er den Angesprochenen knallrot anlaufen sehen können.
    „Oh ja, ihr Nord seid die Größten“, sagte Matthien mit sarkastischem Ton. „Ich würde gern öfter auf eure tapferen Vorschläge eingehen, Olga, wenn uns nicht jeder einzelne davon umbringen würde.“
    „Ich will zumindest versuchen uns hier herauszubringen“, rief diese. „Wenn es nach dir ginge, würde wir doch brav hier in dieser Falle sitzen bleiben, bis Vanius kommt und uns abschlachtet!“
    „Still!“, kam es vom Eingang der Höhle. Schlagartig erstarb aller Lärm und angespannt wandten sie sich Ji'Dar zu, der angestrengt lauschte.
    „Was ist denn? Kommt da jemand?“, fragte Lena schließlich und sprach damit ihrer aller Befürchtung aus. Der Gedanke, dass ausgerechnet eben diese dumme, lautstarke Diskussion darüber, wie sie Vanius denn entkommen könnten ihn erst auf sie in ihrem Versteck aufmerksam gemacht haben könnte …
    „Nein“, antwortete er grinsend. „Ji'Dar ist nur genervt von eurem Geschrei.“
    Matthien musste lachen, die meisten anderen jedoch starrten den Khajiit nur ungläubig an. Coras selbst war fassungslos. Sie steckten in der Klemme. Matthien konnte sie nicht überzeugen hierzubleiben, Olga nicht ihn weiterzuziehen. Streit gab es unter ihnen oft, doch diesmal drohte er auszuarten. Bisher hatten Matthien und der Khajiit in solchen Fällen zusammen zu einer Lösung gefunden und jetzt machten sie nur dumme Scherze. So würden sie zu keinem Ergebnis kommen.
    „Also gut“, unterbrach ihr Anführer seine Gedanken und das wieder anschwellende Gemurmel um ihm herum, „ich sage, wenn wir sofort weitergehen sind wir tot, ihr wenn wir noch länger hier bleiben. Nicht die besten Aussichten. Hat irgendjemand weitere Vorschläge?“
    Zum ersten mal brachte Lucius sich auch mit ein. „Wir könnten uns ja … nunja … aufteilen und jeder macht, was er für die bessere Lösung häl-“.
    „Nein!“, sagte Matthien entschieden. „Wir werden uns nicht trennen! Weitere Ideen?“
    Coras schluckte. „Ja.“

    Als sie einige Stunden später alle zum Aufbruch bereit waren, war die Dunkelheit vollends über sie hineingefallen. Ji'Dar war bereits draußen und spähte nach Anzeichen von Reitern. Einer nach dem anderen verließen sie die Höhle. „Das ist mein Werk“, dachte Coras, der als einer der letzten losging und plötzlich fühlte er sich furchtbar. Sollte sein Plan aufgehen, könnte es gut sein, dass sie ihm allesamt ihr Leben verdanken würden. Wenn nicht … nun, dann machte es eh keinen Unterschied mehr.
    Jemand drückte sich an ihm vorbei nach draußen und er hörte Olgas Stimme im Vorbeigehen Murmeln „Ich denke immer noch, dass das Wahnsinn ist.“
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  11. #11 Zitieren
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    Die Schmerzen wollten ihn noch immer nicht verlassen. Keuchend schleppte Pyrrhus sich zu dem kleinem Teich um Wasser zu holen. Als er sich dann hinab beugte, kam er nicht umher sich zu fragen, was wohl schmerzvoller wog. Die Verwundung, die er sich im Kampf mit diesem Nord zugezogen hatte … oder die Schande bei diesem Barbaren mit seiner primitiven Holzkeule überhaupt vor Problemen gestanden zu haben. Nachdem seinen Trinkschlauch voll war, richtete er sich mit schmerzverzerrtem Gesicht und leichtem Stöhnen wieder auf und kam zu dem Schluss, dass es wohl ersteres war.
    „Verdammter Dreckskerl“, fluchte er und ließ das eben aufgefüllte Gefäß sogleich wieder fallen um sich die Stelle zu halten, wo die Keule ihn getroffen hatte. Seine Rippen mussten geprellt sein, wenn nicht noch Schlimmeres. In dem Moment hatte er davon nichts gemerkt. Auch dann nicht als er noch den letzten der Banditen nach Oblivion befördert hatte. In der Hitze des Gefechts nahm man seine Verwundungen kaum war.

    Vanius hatte ihnen ein mal erzählt, wie er damals als Söldnerhauptmann in Cyrodiil einen Zentaur bekämpft hatte. Erst nachdem er dem Biest den Kopf abgeschlagen und verwundert festgestellt hatte, dass dieser nicht zu Boden fiel, will er bemerkt haben, dass sich eines der Hörner tief in seinen Bauch gebohrt hatte. Dann erst kam der Schmerz.

    Ob erlogen oder tatsächlich so geschehen, die Geschichte hatte einen wahren Kern. Während seines kleinen Kampfes hatte Pyrrhus nur Augen für sein Schwert, seine Feinde und deren Ableben gehabt. Später dann, nachdem sein Kampfeseifer abgeklungen war holte ihn die Wirklichkeit wieder ein. Er hatte sich gerade die Spitze des nahegelegenen Hügel erreicht und wollte die Umgebung überblicken, da spürte er seine Verwundung und wäre fast zusammengebrochen. So blieb ihm nichts anderes übrig, als sich wieder hinab zum Dorf zu quälen. Seitdem hatte er die primitive Hütte, die er zwischenzeitlich zu seiner Behausung gewählt hatte, kaum mehr verlassen. Sie war halb eingefallen und jämmerlich klein, doch immerhin besser als nichts. Ein Haufen Möchtegern-Banditen jedoch, die diese armseligen Ruinen zu ihrem „Hauptquartier“ erklärten … nunja, man konnte nicht sagen, dass sie den Tod nicht verdient hätten.
    Gegenüber dem Eingang ließ er sich an der Wand herabsinken und blickte sich in seinem vorläufigem Quartier um. Was diese flüchtigen Kinder wohl daraus gemacht haben mochten? Viel Platz bot die Hütte ja nicht. Aber eng beisammen gedrängt sollte sie den zehn, die sie zu diesem Zeitpunkt höchstens noch gewesen sein durften, wenigstens für eine Weile als geeigneter Schlafplatz erschienen sein. Sofern sie überhaupt je hier gewesen waren, versteht sich.
    Und wenn sie es nun waren … würden sie genug Verstand gehabt haben Wachen aufzustellen während der Rest geschlafen hat? Oder hat die Angst vor ihren vermeintlichen Verfolgern allein sie ohnehin alle wach gehalten?
    In jedem Fall konnte Pyrrhus kein Mitleid für sie empfinden. Sie waren doch selbst Schuld, wenn sie denn unbedingt ausreißen mussten. Wären sie bei Vanius geblieben, hätten sie alle ihre Strohbetten, ausreichend Essen und ein dichtes Dach über ihren Köpfen gehabt. Dennoch hoffte er, dass sie dieses Dorf lebendig verlassen konnten. Es wäre doch irgendwie deprimierend, sollte seine ganze bisherige Suche an diesem Punkt enden.
    Der Gedanke an seine Suche verpasste ihm Kopfschmerzen, die sich zu den bereits vorhandenen dazugesellten. Er war kaum einen Schritt weiter gekommen und nun unterbrach er das alles auch noch, wegen so einer dummen Verletzung. Nicht, dass es einen Unterschied machen würde, wenn er den Worten Vanius Glauben schenkte.
    „Der Junge ist längst tot, gib's auf, bei allen Neun! Wird’s wahrscheinlich nicht mal aus den verdammten Bergen gemacht haben“, hallten ihm die Worte des alten Mannes durch den Kopf. Aber das stimmte nicht. Das konnte einfach nicht stimmen. Was auch immer Pyrrhus mit diesem Jungen verband war noch nicht abgerissen, so viel stand für ihn fest.
    Nein, er würde so schnell nicht aufgeben. Diese Genugtuung würde er Vanius gewiss nicht geben. Doch wie sollte er weitermachen? Nun, fürs Erste, so beschloss er, wäre etwas Schlaf wohl das Beste. Die eine Nacht … was machte die schon für einen Unterschied?
    Eine … einzige … Nacht.
    Und er nickte ein.

    Als er die Augen wieder öffnete, war die Hütte um ihn herum verschwunden und er fand sich inmitten eines dunklen Waldes. Der Himmel über den Wipfeln der Bäume war pechschwarz. Er hätte nicht sagen können woher, doch er spürte das Gefahr im Verzug war. Die ganze Szenerie war in ein unheimliches rotes Licht getaucht. Auf der Suche nach dessen Ursprung, bemerkte er wie um ihn herum Kinder sich panisch umblickten. Eines von ihnen, ein breiter Rothwardone-Junge, gestikulierte wild mit dem einem Arm, mit dem anderen hielt er eine Fackel. Dann konnte er am Rande des Lichtscheins eine Bewegung ausmachen. Irgendetwas schien die Kinder, die ihm im übrigen ignorierten, zu umkreisen. Sie fingen an wild durcheinander zu schreien und zu rennen, er selbst jedoch war unfähig sich zu bewegen und konnte nichts tun als sie in ihrer Angst zu beobachten. Ihre Gesichter blieben für ihn jedoch verborgen. Nur eines nicht …
    Gerade als der Lärm abklang, der rote Lichtschein erlosch, der Wald um sie herum verschwand – da bemerkte er, dass eines der Kinder noch vor ihm auf dem Boden hockte, den Blick nach unten gerichtet, die Arme um ihre Beine geschlungen.
    „Es ist deine Schuld“, hörte er die Stimme eines Mädchens. „Alles deine Schuld“, wiederholte sie, diesmal energischer. Von irgendwoher spürte er, wie ihm Ein Schauer über den Nacken lief.
    „DEINE SCHULD!“, schrie das Mädchen ihn nun an. Dann sprang sie auf und schrie weiter. Jetzt konnte er sie in aller Gänze betrachten. Ihr Haar war goldblond, das Gesicht voll von Sommersprossen. Sie war vielleicht neun Jahre alt und Nord durch und durch.
    Worauf sich sein Blick jedoch festsetzte, war das unterhalb ihres Gesichts. Sie war nackt aber ihr Körper schrecklich deformiert. Als hätte irgendetwas sie angegriffen und brutal verletzt. Unmöglich, dass sie das überlebt hätte. Und doch stand sie nun vor ihm und schüttelte ihn wie verrückt an den Schultern, während sie immer wieder ihre anklagenden Worte wiederholte. Auch wenn Pyrrhus selbst dies relativ kalt ließ – der Person, die von der Nord gerade an den Schultern gepackt wurde war es eindeutig zu viel. Schlagartig wurde es ihr schwarz vor Augen, sie fiel zu Boden und gleich drauf in Ohnmacht.
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  12. #12 Zitieren
    Krieger
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    „ … können hier nicht länger warten. Wenn er nicht aufstehen kann, muss er eben hier bleiben.“
    „Ich könnte ihn doch tragen ...“
    „Du? Das würd ich zu gern sehen. Mach dich doch nicht lächerlich. Du hast ja kaum noch die Kraft allein weiterzugehen.“
    „Irgendetwas müssen wir tun. Kann nicht noch mal jemand versuchen ihn aufzuwecken?“
    „Das hat doch keinen Zweck. … ist einfach so zusammengeklappt.“
    „Und wenn wir ihn ziehen? Seil genug haben wir doch ...“
    Coras ließ die Worte über sich ergehen, ohne sich wirklich ihrer Bedeutung bewusst zu werden. Dass sie über ihn sprachen, kam im nicht einmal in den Sinn.
    „Haltet die Klappe! Er ist doch kein Sack Mehl. Wir warten, bis er aufwacht.“
    War das Yanas Stimme? Er konnte es nicht mit Bestimmtheit sagen. Nachschauen konnte er auch nicht. Seine Augenglieder wogen ihm schwer wie Blei, und auch sonst schien er unfähig auch nur einen Muskel zu rühren.
    „Und wann soll das sein?“, störte eine der anderen Stimmen seine Gedanken. „Wir können nicht länger …“
    „Wir können!“ Wieder Yana. „Wir haben schon Olga verloren, also werden wir nicht auch …“
    Die Worte brannten in seinen Ohren. Olga verloren!? Der Traum – Olga zusammengekauert auf dem Boden hockend. Olga schreiend. Olga mit völlig entstelltem Körper. Olga wie sie schrie „Deine Schuld!“ Immer und immer wieder …
    Nicht alles nur ein Traum? Ein Zittern durchzog seinen Körper und er riss die Augen auf.
    Es war tatsächlich Yana, die sich über ihn gebeugt hatte und ihm nun mit einer Mischung aus Erstaunen und Erleichterung direkt in die Augen sah.
    „Na, das ging ja schnell“, kam das belustigte Kommentar von weiter hinten. Er drehte den Kopf ein wenig zu beiden Seiten. Matthien, Lena und Lucius blickten zu ihm herab. Ein Stück weiter saß Jart unbeteiligt auf einem umgefallenem Baumstamm und hatte den Kopf in die Hände gelegt. Noch weiter abseits sah er Horrundor, ihnen abgewandt, auf dem Boden. Ji'Dar hockte neben ihm, eine Tatze auf seine Schulter gelegt. Shani, die kleine Rothwardonin, erblickte er, wie sie sich hinter Yanas versteckte. Macht acht. Von Olga fehlte jede Spur.
    „Wa-? … Wo ist ...“, krächzte er, doch die Stimme versagte ihm. Schnell reichte ihm jemand etwas Wasser. Erneut setzte er an. „Wo ist … Olga?“
    Yanas Augen weiteten sich. Matthien hob ungläubig die Augenbrauen.
    „Du ... weißt es nicht mehr? Du warst doch selbst dabei“, sagte er. Einem nach dem anderen schaute Coras ihnen reihum in ihre Gesichter. Bei einigen meinte er noch Ungläubigkeit erkennen zu können, bei anderen Scham und bei wieder anderen bloße Angst. Allmählich dämmerte es ihm.
    Natürlich! Alle hatten sie in der Höhle gesessen und gestritten, was von da an der beste Weg wäre. Und er hatte ihnen eine Antwort geliefert. Keine auf den ersten Blick einleuchtende, aber nicht undurchdacht. Sie waren wieder in den Wald gerannt und es war seine Idee gewesen! Und warum auch nicht? Hier hatten ihre Verfolger sie ja schon gesucht und nicht gefunden. Oder zumindest hatten sie Reiter aus dieser Richtung kommen sehen. Hier dürfte Vanius sie also nicht mehr vermuten. Was war also naheliegender als diesen Weg zu nehmen? Trotzdem konnte Coras verstehen, was Olga ihm kurz vor Aufbruch aus der Höhle gesagt hatte. „Ich denke immer noch, dass das Wahnsinn ist.“
    Zurück in den Wald! Den unheimlichen, gefährlichen Wald, vor dem sie vor Ji'Dar gewarnt worden waren. Der Wald der sie geradewegs durch Orsinium führen würde, das nun zum ersten mal seit ewigen Zeiten wieder von Orks bewohnt wurde. Grausame, primitive und böse Kreaturen. Keiner von ihnen hatte jemals einen solchen zu Gesicht bekommen, doch natürlich hatten sie alle die Geschichten gehört. Wenn man denen glauben konnte, würden sie Mensch und Mer nicht einfach töten. Nein, sie würden einem bei vollem Bewusstsein die Gliedmaßen vom Körper reißen und dann zwingen ihnen dabei zuzusehen, wie sie diese fraßen, während man elendig verreckte. Schon im Waisenhaus in Wayrest hatte man ungehorsamen Kindern mit solchen Erzählungen, und der damit verbundenen Drohung, die Orks würden sie in der Nacht aus dem Bett und in ihr dunkles Reich holen, zu besseren Benehmen anhalten wollen. Und in genau dieses Reich waren sie nun also auf dem Weg …
    Für einen Moment lief es ihm bei dem Gedanken ein kaltes Schaudern über den Rücken. Dann schüttelte er ärgerlich den Kopf. Da saß er doch ernsthaft hier herum und dachte über so einen Mist nach. Alberne Kindergeschichten! Viel wichtiger war doch jetzt die Frage: Wo war Olga?
    War es möglich, dass sie wieder aus dem Wald geflohen und auf eigene Faust weitergegangen war? Immerhin hatte es ihr am meisten widerstrebt diesen Weg einzuschlagen. Doch wie weit konnte sie allein schon kommen? Noch bevor er den Gedanken weiterführen konnte, riss ihn erneut Yanas Stimme aus seinen Überlegungen.
    „Coras … sie ist tot.“

    Sein Blick wurde unscharf und sein Kopf schmerzte. „Was hast du gerade gesagt?“ Seine Stimme klang merkwürdig hohl und fremd. Alles um ihn herum begann sich zu drehen.
    „Nicht schon wieder ...“, hörte er Matthien noch rufen, bevor wieder alles schwarz wurde und er zu Boden ging. Sein Kopf schlug jedoch nicht auf. Er brauchte einen Moment um zu erkennen, dass Yana ihn gerade noch rechtzeitig abgefangen hatte und ihn jetzt in ihren Armen hielt. Einen Moment lang schämte er sich dafür, wie schwach er ihr erscheinen musste. Doch dann besann er sich, dass es jetzt Wichtigeres zu klären galt.
    „Wer hat sie … ich meine wie ...“
    „Horrundor hat einen Stein in diese Höhle geworfen. Gleich nachdem wir den Wald erreicht haben“, erklärte sie nun endlich, wenn auch zögernd. „Dabei hat er dann eins von diesen ekelhaften Monstern aufgescheucht. Du weißt schon … so eins das fliegen kann. Wie ein unglaublich abscheulicher kleiner Mensch mit Flügeln halt ...“
    „Kobold“, warf Jart wie beiläufig ein und legte gleich wieder den Kopf in die Hände. Yana nickte.
    „Genau. Ist aus der Höhle gekommen und wollte Horrundor gleich angreifen. Der hat angefangen zu schreien wie verrückt und wir haben erst mal alle gar nicht verstanden was los war, da stürzte es schon auf ihn zu. Olga hat noch am schnellsten kapiert was vor sich ging und hat einen Stein auf das Vieh geworfen um es von ihm abzulenken. Naja, es hat ja auch funktioniert. Nur war es dann noch viel wütender und hat sich ihr zugewandt.“ Er sah wie ihr eine Träne über die Wangen rann. Doch sie wischte sie einfach beiseite und sprach weiter. „Jedenfalls hat es dann wohl gemerkt, dass Olga kein so leichtes Ziel wäre wie Horrundor. Also hat es einen Blitz auf sie geschleudert. Diese Biester beherrschen Magie, bei allen Neun! Olga war schon da aber schon auf das Vieh losgestürzt.. Kurz bevor sie es erreicht hatte, wurde sie getroffen. Ihr ganzer Bauch wurde einfach so aufge- … Es war ganz schrecklich. Trotzdem hat sie sich es noch mit letzter Kraft geschafft es zu umklammern und umzuwerfen. Dann waren sie nur noch ein Knäuel und sind zusammen den Eingang der Höhle runter gestürzt. Das war ziemlich steil. Ich glaube nicht, dass es das überlebt hat. Olga hat uns wohl alle gerettet.“
    Dann brach sie erneut kurz ab um sich zu sammeln. Coras hatte die Erklärung wortlos über sich ergehen lassen. Aus den Augenwinkeln nahm er mehr unterbewusst wahr, wie die anderen sich schon mal zum Weitergehen bereit machten. Schließlich hatten sie nur vorgehabt so lange zu warten, bis er wieder bei Bewusstsein war. Nur Horrundor saß noch aud dem Boden und Ji'Dar hockte auch noch nach wie vor neben ihm.
    „Wir sind dann gerannt alle, so schnell wir konnten. Wir waren alle fassungslos, aber es hätte ja sein können, dass da noch mehr aus der Höhle kommen würden. Vielleicht … eine Stunde oder so später haben wir hier angehalten. Und auf einmal fällst du einfach um. Wir dachten erst du wärst nur so erschöpft gewesen, aber du hast dich auch nicht mehr gerührt. Ich hatte schon Angst du wärst … Aber Ji'Dar meinte immerhin atmest du ja noch. Du warst wohl einfach in Ohnmacht gefallen. Ich hätte ja nicht wissen können, dass dir was fehlt. Ich meine ja, du hast nichts gesagt oder so, aber das hat ja keiner von uns nachdem Olga, du weißt schon.“
    Sie sprach noch wieter, doch er hörte kaum zu. Sein Traum war also echt gewesen, schoss es ihm jetzt durch den Kopf. „DEINE SCHULD.“ Immer und immer wieder. Als Caelius gestorben war, hatte er sich Vorwürfe gemacht. Zu Unrecht, wie Olga ihm damals klar gemacht hatte. Nun war Olga tot und die Belastung hundertmal schwerer. Wer sollte ihn diesmal von plagenden Schuldgefühlen befreien? Hatte er es diesmal überhaupt verdient? Es war seine Idee gewesen! Seine Idee in den Wald zu gehen! Den Wald, den Olga nie mehr verlassen würde. Er erinnerte sich noch, wie sie dauernd von ihrem großzügigen Onkel in Reach, der Region in Himmelsrand, gesprochen hatte und davon wie er sie alle aufnehmen würde, ob Nord oder nicht. Keiner von ihnen hatte diesem Vorschlag viel Beachtung geschenkt, aber sie ließ sich darüber nicht die Stimmung vermießen. Ohne sich zu beschweren war sie mit ihnen weitergegangen. Sie war ihnen gefolgt. Erst Matthien, dann Ji'Dar und schließlich ihm selbst. Bis hierher.
    Wie kam jemand der noch Familie hatte überhaupt in die Hände eines Vanius? Verwundert stellte er fest, dass er sie danach nie gefragt hatte. Und es jetzt auch nicht mehr tun konnte. Er erinnerte sich, wie sie in dieser einen Nacht im Regen mit Stöcken Krieger gespielt hatten. Er war Pelinal Weißplanke. Wen sie sich ausgesucht hatte, hatte er vergessen.
    Er stand auf und Yanas Redeschwall verebbte.
    „Können wir weiter?“, fragte Lena. Er nickte, in Gedanken noch immer bei Olga, deren Tod sie ihr Leben verdankten.

    „Das ist alles nur deine Schuld, du dummer kleiner Schwachkopf!“, hörte er jemand mit ärgerlicher Stimme sagen. Er fuhr herum und sah, dass sie von Matthien stammte. Das war schon etwas harsch, fand er, auch wenn es nicht weniger kränkte. Aber Matthien war doch einer von denen gewesen, die für seinen Vorschlag gewesen waren.
    „Ich konnte doch nicht wissen, was ...“, setzte er mit schwacher Stimme an.
    „Was fällt dir auch ein einfach mit Steinen in irgendwelche Höhlen zu werfen?! Da hättest du sie auch gleich selbst reinwerfen können!“ Erst jetzt wurde ihm klar, dass nicht er, sondern Horrundor gemeint war. Dieser fing gleich wieder an zu schluchzen. Ji'Dar schien die ganze Zeit versucht ihn zu trösten.
    „Lass ihn in Ruhe“, rief Lena. „Es war doch keine Absicht gewesen.“
    „Was hat das mit Absicht zu tun? Wer einfach so mit Steinen um sich wirft, muss man damit rechnen, dass er irgendwann mal etwas trifft, dem das nicht gefällt.“
    „Aber er wollte doch nicht ...“
    „Er hat Recht!“, jammerte Horrundor lauthals. „Es ist meine Schuld. Hätte ich diesen Stein nicht geworfen, wäre sie jetzt noch hier. Und als das Ding mich angreifen wollte, habe ich nur geschrien und wollte wegrennen. Dann ist es erst auf sie losgegangen. Sie hätte es gleich getötet. Und jetzt werde ich sie nie wieder sehen!“
    Coras blickte den Nord-Jungen an, wie er da auf dem Boden kauerte und die Arme um die Beine schlang. Irgendwie kam er nicht umher ihm in seinem Geheule zuzustimmen. Langsam tat er einen Schritt auf ihn zu.
    „Nicht eure Schuld, junger Herr Nord, nein“, sprach Ji'Dar auf ihn ein. „Und Ji'Dar glaubt schon, dass ihr eure tapfere junge Artgenossin wiedersehen werdet, ja. Wenn er in dem Glauben der Nord richtig unterrichtet ist, so werden die tapfersten unter ihnen sich nach dem Leben in Sovngarde wiedersehen. Ist dies nicht so?“
    Da blickte der Junge mit tränenüberzogenem Gesicht zu dem Kajiit auf uns sagte mit gebrochener Stimme: „Dann weiß ich jetzt sicher, dass ich sie nicht wiedersehen werde. Sie war so mutig und so stark. Wie eine echte Nord. Und ich bin nur … ich habe Angst und ich bin schwach. Ich würde niemals in diesen Ort kommen.“
    Daraufhin wusste niemand etwas zu erwidern und sie schwiegen betreten. Alle bis auf Coras.
    „Da hast du verflucht nochmal Recht!“ Er hatte sich mittlerweile genau vor ihm aufgebaut und blickte auf ihn herab.
    „Olga hat uns allen das Leben gerettet. Nachdem du und beinah alle umgebracht hättest! Du bist kein bisschen besser, als Caelius. Der hätte diese Söldner doch auch fast noch zu uns geführt, wenn sie ihn nicht vorher abgeschlachtet hätten!“
    Er hörte wie Lena schockiert aufschrie. Yana wollte ihn beschwichtigen, doch er schüttelte sie ab. Lucius war bei der Erwähnung seine Bruders der Mund aufgeklappt, doch er sagte nichts. Coras schluckte. Um ihn ging es hier doch gar nicht. Also riss er sich zusammen.
    „Aber Caelius war zumindest eins nicht. Er war kein elender kleiner Feigling, der andere für seine Fehler sterben lässt! Ich an Olgas Stelle hätte mich geschämt überhaupt der gleichen Rasse anzugehören wie du! Seit wir auf der Flucht sind, hat sie stets ihren Mut behalten, ist ganz vorne dabei gewesen und hat sich höchstens noch beschwert, wir seien zu langsam, während du die ganze Zeit nur über jede Kleinigkeit meckerst und uns nur aufgehalten hast! Und jetzt das! Wo immer Olga jetzt auch sein mag, ich wünsche ihr, dass du ihr nicht dahin folgst.“
    Es tat so gut das loszuwerden. Und je wuterfüllter er es sprach, desto mehr konnte er es auch selbst glauben. Es war nicht seine Schuld, dass Olga tot war. Es war seine. Jemand anderes. Ich. Bin. Nicht. Schuld. So ging sein neues Mantra. Die Olga aus seinem Traum war nur eine Wahnvorstellung. Wenn die jemand verdient hatte, dann dieser armselige …
    „Wir gehen ohne dich weiter“, sagte er kühl. „Wenn du noch etwas Anstand hast, geh ihre Leiche suchen und beerdige sie.“
    Horrundor weinte nicht mehr. Er starrte ihn nur noch mit offenem Mund an und schien kurz vorm Zusammenbruch zu stehen. Von den anderen brachte ebenfalls keiner ein Wort heraus. Sie schienen alle zu fassungslos, von dem was gerade geschehen war. Coras, der innerlich bebte und auch äußerlich zu Zittern begann, wusste, dass es jetzt kein Zurück gab. Nicht, wenn er nicht bereit war die Schuld auf sich zu nehmen. Und das konnte er nicht. Das würde er nicht überstehen.
    Schweigend nahm er seinen Teil des Gepäcks auf und trat vor.
    „Los. Lasst uns gehen.“ Als er an Horrundor vorbei ging, blieb er kurz stehen. Nach einem kurzen Kampf mit sich selbst, gab er nach und sah ihn schließlich noch einmal an.
    „Du bist erbärmlich.“
    Mit diesem Abschiedsgruß lief er weiter. Er wagte es nicht sich umzudrehen. Er befürchtete schon, sie würden ihm nicht folgen, doch die Sorge weilte nur kurz. Einer nach dem anderen schlossen sie sich ihm an und ließen Horrundor zurück. In diesem Moment wagte es niemand, ihm zu widersprechen. Oder ihm zu erklären, dass es doch eigentlich genau so seine Schuld sei, was mit Olga geschehen war. Ji'Dar folgte als letzter. Noch immer brach niemand das Schweigen. So blieben ihm nur seine Gedanken um das zwischenzeitlich wieder einsetzende Schluchzen Horrundors zu verdrängen, bis sie außer Hörweite waren.
    „Du. Bist. Nicht. Schuld! Du. Bist. Nicht. Schuld! Du. Bist. Nicht. Schuld! Nicht. Schuld! Nicht Schuld. Nicht Schuld ...“
    Trinovas ist offline
  13. #13 Zitieren
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    Bei allem was heilig war. Und unheilig. Was sollte das bloß werden? Diese Träume wurden von mal zu mal intensiver. Gerade dieser letzte. Er hatte sich so … so echt angefühlt. Pyrrhus konnte sich zwar nicht entsinnen dieses entstellte blonde Mädchen jemals zuvor gesehen zu haben, aber genau genommen bestand für ihn gar kein Zweifel daran, dass sie zu jenen Ausreißern gehörte, denen er schon die ganze Zeit auf der Spur war. Mitleid empfand er zwar nach wie vor nicht, Angst einjagen konnte ihm der Anblick nach den Jahren in Varus Diensten auch nicht wirklich, aber unbehaglich hatte er sich schon etwas gefühlt. Es war nicht mal so sehr was sie ihm gesagt hatte oder wie sie ausgesehen hatte, als viel mehr die Art wie sie ihm erschienen war. Es war, als hätte sie sich durch den Traum hindurch direkt an ihn gewendet, als hätte sie ihn persönlich angeschrien. Was natürlich Unsinn war, er wusste ja nicht einmal den Namen des Balgs. Nein, die Erklärung war eine andere und eine ungleich unheimlichere dazu:
    Zum ersten mal hatte er direkt durch seine Augen gesehen! In all seinen vorangegangenen Träumen dieser Art hatte er quasi als Außenstehender auf das Geschehen hinabgeblickt. Seit dem ersten Traum vor einigen Monaten, der ihn überhaupt erst auf diese Ausreißer aufmerksam gemacht hatte, waren sie immer und immer wieder nach dem gleichen Muster abgelaufen. Nach und nach hatten sie ihm, einem Fingerzeig der Götter gleich, einzelne Stationen ihrer Flucht angedeutet. Und stets war dieser junge Bretone dabei gewesen. Doch noch nie hatte er dabei durch dessen Augen geblickt. Stattdessen hatte er ihn immer entweder von einem unbestimmtem Punkt von oben herab betrachtet oder er selbst war darin vorgekommen. Zuletzt bei dieser mysteriösen Flussüberquerung. Pyrrhus erinnerte sich wie der Junge resigniert den Kopf geschüttelt und dann den Weg ans linke Flussufer eingeschlagen hatte. Das war eine weitere Eigenart dieser Träume – nach dem Aufwachen hatte Pyrrhus noch immer ein ziemlich klares Bild des Gesehenen vor sich. Ihm vorangegangen waren dabei andere Kinder in der selben schwarzen Kleidung ... darunter auch ein blondes Mädchen mit Sommersprossen.

    Schlagartig fuhr Pyrrhus nach oben und schlug mit seinem Kopf an die marode Wand der Holzhütte. Fluchend griff er sich an die schmerzende Stelle. Als wären seine geprellten Rippen nicht schon schlimm genug. Abgesehen davon brauchte er seinen Kopf jetzt für weitaus Wichtigeres. Ein blondes Mädchen, das Gesicht voller Sommersprossen! Das selbe Mädchen, dass ihn nach Leibeskräften angeschrien hatte? Wenn ja, war sie jetzt wohl tot. An und für sich nicht weiter schockierend dachte er. Doch war es naheliegend, dass sie zumindest bis hierhin mit seinem mysteriösen Bretonen-Jungen unterwegs war. Und wenn er nun den selben Weg gegangen war, wie auch dieses Mädchen? Er könnte den Gedanken nicht ertragen, diesen Jungen tot zu wissen. Das würde seine gesamte Suche sinnlos machen und damit obendrein auch noch alle anderen bestätigen, die ihm das von Anfang an erzählt hatten. Vanius, Mycena, Toras ... Alle hatten sie ihn entweder bereits für verrückt erklärt oder waren enttäuscht, dass er sie verlassen hatte.
    Wieder einmal wurde Pyrrhus sich der Torheit seines kleinen Abenteuers bewusst und ungläubig schüttelte er den Kopf. Wie Mycena ihm nach dieser Nacht im Wald gesagt hatte: Alles was er hatte war er bereit gewesen aufzugeben, für einen Jungen, der vermutlich ohnehin schon ewig tot war, wie ihm wiederum Vanius versprochen hatte.
    Nein, daran durfte er jetzt nicht denken. Erstmals erkannte er einen tieferen Sinn in diesen Träumen, oder viel mehr Visionen, was auch immer sie nun waren. Er hatte Geschichten gehört in denen die Daedra, quasi die Gegenspieler der Neun, Menschen Visionen zukommen ließen. In einigen um ihnen Rat zu geben, in anderen um sie zu manipulieren und für ihre Zwecke zu missbrauchen. Pyrrhus wüsste allerdings nicht, was ein Daedrafürst für einen Nutzen daraus ziehen könnte ihn durch endlose Wälder und diese ewig kargen Berge zu schicken, nur um ein paar undankbaren Kindern nachzuspüren. Überhaupt hatte er wenig für diesen Glauben an solche übermächtigen Wesen übrig. Für die Daedra ebenso wenig wie für die Neun, deren Kapellen in jeder größeren Siedlung zu finden waren. Vanius hatte bei ihrer Erziehung nie sonderlich Wert auf diese Themen gelegt. Er hatte ihnen eher beigebracht wie man auf sich selbst aufpasst statt alles Vertrauen in irgendwelche übernatürlichen Phantasiegestalten zu setzten.
    Wie dem auch sei. Die Lösung dieses Rätsels würde warten müssen, bis er den Jungen gefunden hatte. Jetzt galt es erst einmal praktische Schlüsse aus diesem letzten Traum zu ziehen. Was nun in erster Linie zählte, war das Wo.
    Die Szene war von hohen Bäumen umrandet gewesen. Wenn das was er gesehen hatte tatsächlich geschehen ist, wovon er inzwischen fast schon überzeugt war, war dies wohl ein untrügerisches Zeichen, dass sie wieder in den Wald geflohen waren. Und ein weiterer Hinweis dafür, dass ihre Zahl schon wieder abgenommen hatte. Allmählich fragte er sich wie bis hierher überhaupt auch nur einer von ihnen überlebt haben konnte. Sie waren an dieser Stelle schon sehr viel weitergekommen, als er ihnen zugetraut hatte. Aber wie viel länger konnten ein Haufen Kinder einen solchen Todesmarsch noch überstehen? Und wie viele von ihnen konnten die andere Seite des Waldes erreichen. Nun, Pyrrhus war fest entschlossen es herauszufinden.

    Einige Stunden später trottete er auf seiner gecheckten Mähre einen schmalen, immer weiter vom Wald entfernenden Pfad entlang. Strömender Regen schlug im dabei ins Gesicht. Das Gewitter, das sich schon seit einiger Zeit angekündigt hatte, entlud sich nun in aller Stärke.
    „Hätte wohl kaum einem passenderem Zeitpunkt abpassen können“, dachte er bitter. Es war fast so, als hätten Die Götter seine frevelhaften Gedanken belauscht und waren nun entschlossen, ihm eines besseren zu belehren. Der Weg unter ihm war einfach nur Erde und das Unwetter hatte sie bereits stark aufgeweicht. Zu seiner rechten ging eine relativ steile Böschung herab, an deren Ende sich ein Bach in die entgegengesetzte Richtung schlängelte. An anderen Tagen mochte er nur ein unbedeutendes Rinnsal sein, doch im Moment hatte das Wetter ihn in einen beachtlichen Strom verwandelt. Er hatte sich entschlossen ihnen nicht tiefer in den Wald zu folgen. Das würde zu nichts führen. Wenn sie da drinnen auf Orks gestoßen waren, würde er eh kaum noch eine Spur von ihnen finden. Dass sie tot waren konnte er aber auch nicht glauben. Durfte es nicht. Und wenn sie überlebt hatten, musste sie irgendwann die andere Seite erreicht haben. Dort würde er seine Suche wieder aufnehmen und dann endlich erfahren wer …
    Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, die Gedanken in weiter Entfernung, bekam er nicht ein mal richtig mit, wie sein Pferd den sicheren Tritt verlor. Ein Schritt zu weit an den Rand der Böschung und die aufgeweichte Erde gab nach. Aufgeschreckt riss er an den Riemen, versuchte die Kontrolle wieder zu erlangen, doch zu spät. Die Vorderbeine seines Pferdes brachen ein und Pyrrhus warf es aus dem Sattel die Böschung hinab.. Noch bevor er am unteren Ende der Böschung aufkam, nahm er aus den Augenwinkeln war, wie sein Pferd über ihm ebenfalls hinabstürzte und dessen schwerer Körper immer näher kam. Das Geräusch welches das Tier dabei von sich gab, war schrecklich wie nichts von dieser Welt.
    Trinovas ist offline
  14. #14 Zitieren
    Krieger
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    Am Morgen des dritten oder vierten Tag nach Betreten des Waldes, sahen sie schließlich die ersten Anzeichen seiner Bewohner. Orks. Fast schon hatten sie geglaubt ihn verlassen zu können, ohne überhaupt etwas von ihnen mitzukriegen. Tag und Nacht waren sie gelaufen, hatten weniger Rast eingelegt als zu irgendeinem anderen Abschnitt ihrer Flucht und nun konnte das Ende wohl nicht mehr weit sein. Bald schon würde sich der Wald lichten und Orsinium für immer hinter ihnen liegen. Dann würde es ein entspannterer Weg durch die Weiten von Wayrest und schließlich bis zur Küste der Illiac-Bucht, in die Freiheit, werden …
    Doch noch war es nicht so weit. Im Moment saßen sieben von ihnen im Halbkreis auf dem nassen Waldboden, während der achte, Ji'Dar, ihnen von seinem Fund erzählte. Es war Morgengrauen, die Bäume und Gräser ums sie herum noch feucht vom Tau, die Sicht noch stark vom Nebel eingeschränkt. Sie hatten eine sternklare Nacht gehabt und die Kälte hielt noch an. Ihre schmutzigen Klamotten waren ganz klamm, ihnen war kalt, sie hatten Hunger und was sie nun hörten, trug auch kaum dazu bei ihre Stimmung zu heben.
    „Etwa fünfhundert Meter weiter östlich von hier“, erzählte der Khajiit ihnen mit für ihn ungewohnt angespannter Stimme. „Ji'Dar hat sie gesehen. Ja, große grünhäutige Bestien. Mindestens zwanzig Stück. Alles Krieger. Mit schwerer Rüstung und bis an die Zähne bewaffnet. Müssen dort irgendwas bewachen. Ein festes Lager jedenfalls.“
    „Wir sollten umkehren“, sagte Lucius sofort. „Irgendeinen andern Weg finden. Wieder raus aus dem Wald wenns sein muss.“
    „Wir müssen einfach nur einen größeren Bogen um sie einschlagen und am besten erst Nachts weitergehen“, erklärte Matthien darauf.
    „Unsinn, wenn wir hier bleiben, werden sie uns finden. Fünfhundert Meter! Sie müssen uns ja fast schon hören können“, erwiderte Lucius fast flüsternd und warf einen ängstlichen Blick über seine Schulter auf den Nebel, der das Grauen vor ihnen verbarg.
    „Stimmt, auf keinen Fall hierblieben“, stimmte Jart knapp zu.
    „Was haben wir davon einen Bogen um sie zu schlagen?“, meinte Lena panisch. „Woher wollte ihr wissen, dass wir dann nicht nur direkt anderen von denen in die Arme laufen.
    „So viele wird es hier nicht geben. Ich denke was Ji'Dar dort drüben gefunden hat wird eine Art Außenposten sein. Hier gibt es doch sonst nichts für die“, antwortete Matthien.
    „Du denkst“, zischte Lucius. „Du weißt doch genau so wenig wie wir alle, wieviele es da noch gibt.“
    So ging es noch eine Weile hin und her. Gedankenversunken hörte Coras ihnen nur mit halben Ohr zu und bemerkte kaum, als sie aufhörten zu reden. Auf einmal wurde ihm bewusst, dass alle anderen ihn ansahen. „Sie warten auf meine Entscheidung“, fuhr es ihm durch den Kopf. Die letzten Tage war er ihr unangefochtener Anführer gewesen. Er selbst hatte diesen Posten ja an sich gerissen. Nicht dass ihm eine Wahl geblieben wäre. Man konnte nicht einfach eigenmächtig jemanden verbannen und dann nicht die Autorität aufbringen, die nötig war diese Entscheidung durchzusetzen. Na schön. Er schluckte.
    „Wir machen es wie Matthien gesagt hat. Aber erst mal suchen wir uns ein besseres Versteck irgendwo im Unterholz und weiter von hier entfernt. Dort warten wir dann bis es dunkel ist und gehen weit außen um dieses Lager herum weiter.“
    Die Aussicht auf einen Tag Rast schien einigen von ihnen trotz der Umstände etwas glücklicher zu stimmen, sodass auch alle, die andere Vorschläge geäußert hatten nicht protestierten. Was ihm nur Recht sein konnte. Ihr weg durch den Wald hatte sich nicht nur wegen der Angst vor Orks sehr leise gestaltet. Es gab Spannungen unter ihnen, seit er Horrundor weggeschickt hatte, doch noch hatte sie keiner ausdiskutieren wollen. Am Anfang war es wohl einfach der Schock über seine Reaktion gewesen. Später dann vielleicht ihre Scham darüber, dass sie nicht eingegriffen hatten. Das brachte sie in die gleiche Zwickmühle wie Coras selbst. Die Sichtung der Orks hatte ihm wieder einmal mehr bewusst gemacht, wessen Idee es gewesen war in den Wald zu fliehen, obwohl sie alle wussten was sie dort erwarten konnte. Nicht die Horrundors jedenfalls …
    Doch jetzt noch zu versuchen etwas ungeschehen zu machen, wäre das absolute Schuldbekenntnis, welches keiner auf sich nehmen wollte. Also liefen sie verbissen weiter, jeden Gedanken an Horrundor in die hinterste Ecke ihres Verstandes verbannt. Coras selbst gelang dies immer weniger. Sein Schutzschild fing an zu bröckeln und auch das ewige Aufsagen seines Mantras „Du bist nicht Schuld“ erzielte längst nicht mehr die gewünschte Wirkung. Manchmal stellte er sich gerne vor, dass die anderen früher oder später eh Horrundor für Olgas Tod verantwortlich gemacht und ähnlich gehandelt hätten. Zumindest Matthien, der durch scheine Schimpftiraden ja überhaupt erst den Anstoß dazu gegeben hatte. Doch auch dieser Gedanke schien in mit jedem Tag des Schweigens mehr zu entgleiten. Was Yana anging, so hatte sie sich aus der Angelegenheit weitgehend herausgehalten. Stattdessen verwendete sie nun ihre gesamte Energie auf die kleine Shani und hielt sie und sich von den anderen entfernt. Dafür zumindest war Coras dankbar. Einen wirklichen Groll schien sie nicht gegen ihn zu verspüren, doch sie gehörte auch keinesfalls zu den Unterstützern seiner Entscheidung.
    Sie fanden ihr Versteck etwa zwei Stunden, behutsamsten, stummen Marsches in die entgegengesetzte Richtung des Ork-Lagers entfernt im Dickicht gleich am Ufer eines kleinen Baches, der in die vom Lager abweisende Richtung weiterfloss. Direkt am Wasser konnten sie sich einigermaßen frei bewegen und sollten sie sich verstecken müssen waren die dichten Büsche, wenn auch mit etlichen Dornen versehen, ideal. Hier hindurch zu kriechen war ziemlich mühselig aber zur Not machbar. Sie selbst hatten den Platz erreicht nach dem sie etwa fünfhundert Meter weiter stromaufwärts durch den Bach gewatet waren. Bis Anbruch der Dunkelheit wollten sie hier warten.
    Sie blieben drei Tage.

    Eines stand fest: die Orks außen herum zu umgehen erwies sich als weitaus schwieriger, als Matthien sich das vorgestellt hatte. Schon am Abend des ersten Tages in ihrem neuen Versteck, während sie schon dabei waren sich zum Aufbruch bereitzumachen, hatten auch die restlichen sieben von ihnen die Orks zu Gesicht bekommen. Ob es sich dabei um die selben handelte, die Ji'Dar am Morgen gesehen hatte, konnten sie nicht sagen und auch der Khajiit selbst war sich nicht sicher. Jart hatte sie zu erst bemerkt, aber nur einen Moment vor den anderen. Sie hatten leise ihren Weg besprochen, als der Rothwardone mahnend zischte und eine Hand hob. Wenige Augenblicke später bemerkten sie auch die anderen. Zunächst nur anhand des dumpfen Aufschlagens schwerer Stiefel auf dem Boden. Die sanfte Strömung des Baches hätte sie fast übertönt. Dann sahen sie sie auch. Auf der anderen Seite des Wassers! Keiner von ihnen brauchte in diesem Moment eine Aufforderung. Binnen weniger Sekunden waren sie unter die Büsche gekrochen und beobachteten mit angehaltenen Atem die Prozession am gegenüberliegenden Ufer. Im Zwielicht sahen sie besonders unheimlich aus. Im Nachhinein hätte Coras nicht einmal sagen könne ob ihre Haut tatsächlich grün war. Dafür war es schon zu dunkel gewesen. Was er aber mit Sicherheit sagen konnte, war dass sie groß waren und allesamt Rüstungen und Waffen trugen.
    Für die meisten von ihnen war es eine schlaflose Nacht gewesen deren Ende vom Lärm abermals vorbeiziehender Ork-Krieger geprägt war. Diesmal waren sie auf ihrer Seite des Baches. Oberhalb des Buschwerkes, sodass sie sie nicht wirklich zu Gesicht bekamen, umgekehrt aber auch von ihnen nicht entdeckt wurden. Keiner brauchte auszusprechen, in welcher unglücklichen Lage sie sich jetzt befanden. Sie fühlten sich umzingelt und in keine Richtung schien ein sicheres Durchkommen möglich. Sie konnten nichts weiter tun als in ihrem zusehends unsicherer werdenden Versteck zu bleiben und abzuwarten. Sie sahen später an diesem Tag noch weitere Orks. Es schien in diesem Wald nur so von ihnen zu wimmeln. Auch ihre Nahrungsknappheit wurde jedem Tag der verstrich schwerwiegender. Von den Dingen, die sie bei ihrer Flucht mitgenommen haben war kaum etwas übrig. Ein ganzen Lager hatten sie Vanius leergeräumt, womit sie bisher auch erstaunlich gut zurechtgekommen waren. Wohl nicht zuletzt, weil sie zusehends weniger wurden. Doch jetzt gingen diese Vorräte zu Neige. Dinge wie Pökelfleisch, Trockenfrüchte, sogar einige Süßigkeiten, die sie dort gefunden hatten, waren schon lange verzerrt wurden. Es war hauptsächlich Brot, was sie jetzt noch hatten. Hartes, gammliges Brot. Um es überhaupt noch kauen zu können mussten sie es erst einmal für eine Weile im Wasser einweichen. Auch wurden sie von Tag zu Tag weniger großzügig, was das Wegschneiden schimmliger Stellen anging. Außerdem hatten sie noch etwas Käse, dessen Konsistenz der des Brotes auch immer mehr ähnelte und der so verdreckt war, dass von seiner ursprünglicher Farbe kaum noch etwas zu erkennen war - sie waren dankbar für jeden einzelnen Krümel davon.
    Ansonsten waren sie auf das angewiesen, was sie unterwegs fanden, was wenig genug war. Zuerst in der kargen Gebirgslandschaft, das ohnehin sehr lebensfeindlich war und jetzt in diesem verfluchten Wald, wo jeder Gedanke an Nahrungssuche an den Horden herum streunender Orks endete. Die einzige Ausnahme hatte ihr kurzer Aufenthalt in dem zerstörten Dorf dargestellt, ihre letzte Station, bevor Coras sie in den Wald geführt hatte. Dort gab es einen kleinen Teich, aus denen Ji'Dar ihnen immer Fische geholt hatte. Fische gab es auch in diesem Bach. Kleine zwar, aber es gab sie. Zwar erwies er sich abermals als äußerst geschickt im Fangen dieser, doch da es kompletter Wahnsinn gewesen wäre jetzt auch nur zu versuchen ein Feuer zu entfachen, müssten sie mit rohem Fisch vorlieb nehmen. Den Fischer schien das nicht sonderlich zu stören, sodass ihm der Großteil seines Fangs bereitwillig überlassen wurde mit der Folge, dass er als einziger von ihnen einigermaßen gesättigt einschlief. Wenn er denn schlief. Nachts über lag er die meiste Zeit wach und hielt mit hellen Augen nach Bewegungen im Dunkel Ausschau. Mehr als einmal berichtete er ihnen von einzelnen Orks, die ihnen gefährlich nahegekommen waren, ohne dass sie das jemals mitbekommen hätten. Es war ja nicht so, dass sie nicht auch so schon mehr als genug zu Gesicht bekamen ...

    Irgendwann in der Nacht des zweiten Tages gab es einen Moment, zu dem Ji'Dar tatsächlich schlief und Coras nicht. Er lag zusammengekauert zwischen den anderen und versuchte die Kälte zu ignorieren. Links von ihm schlief Matthien, dem es in keiner noch so heiklen Situation sonderlich schwer zu fallen schien einzuschlafen. Es kam vor, dass sie ihn unsanft wecken mussten nur um sein verräterisches Schnarchen zu unterbinden. Auf seiner anderen Seite lag Yana, Shani fest in ihren Armen haltend und so gut wie möglich gegen die Kälte abschirmend. Vorsichtig warf Coras jeden von ihnen kurz einen Blick zu, vergewisserte sich, dass sie wirklich schliefen und robbte langsam aus dem Dickicht hervor. Am Rand der Büsche fand er Lucius, der hier Wache halten sollte, zusammengerollt schlafend. Er machte ihm keinen Vorwurf. Bisher war es nicht direkt nötig gewesen nach den Orks Ausschau zu halten. Wenn sie auf eine gewisse Entfernung an sie herankamen machten sie im Allgemeinen genug Lärm sie alle zu wecken. Abgesehen davon war es besser, wenn die anderen nicht mitbekamen wo er hinging.
    Am Ufer angekommen stand er auf und wand seinem Blick entgegen der Strömungsrichtung, von wo sie am Tag zuvor gekommen waren. Der Nebel war so direkt am Wasser noch viel dichter als tiefer im Wald. Über ihnen schien Secunda, der kleinere hellere Mond am Gestirn. Coras hatte ihn schon immer als schöner empfunden, als den größeren, blutroten Masser, dessen Farbe stets Unheil zu verkünden schien. Er hatte es nur selten erlebt, dass nur der kleinere der beiden zu sehen war, doch er war froh darüber, dass heute eine solche Nacht war. Vielleicht war es ja auch in gutes Omen. Als das Licht des Mondes auf die dichten Nebelbänke traf, tauchte es die Umgebung in ein gleißendes Weiß. Zu seiner Rechten sah er die Reflexion im Wasser schimmern. Das leise Rauschen des Stromes, war alles was zu hören war.
    Mittlerweile war er schon etwa dreihundert Meter weitergegangen, immer entgegen der Richtung der Strömung. Nichts war zu hören. Nach weiteren dreihundert Metern hielt bleib er stehen. Ein Stück weiter flussabwärts hatte er bereits die Schneise im Buschwerk passiert, durch die sie am Vortag ins Flussbett und später zu ihrem Versteck gelangt waren. An einer vom Mondlicht unberührten Stelle ließ er sich am Stamm eines Baumes nahe dem Wasser herabsinken. Sein Blick blieb auf den Nebel vor ihm haften. Wie lang er warten musste, bis er schließlich das Geräusch von Schritten vernahm konnte er nicht sagen. Secunda war allerdings schon ein gutes Stück weitergewandert.
    Eigentlich hätte er es schon eher bemerken sollen. Im Wald war es ihr bisher vermutlich einfacher gefallen, sich unbemerkt von ihnen zu entfernen. Und doch bemerkte Coras es erst seit sie auf diesem kleinen Fleck am Wasser festsaßen, von wo man sich weniger unauffällig wegschleichen konnte. Einigen von ihnen war sicherlich auch ihr zunehmender Hunger der letzten Tage aufgefallen. Sie zählten insgesamt nur noch acht. Lucius, der einige hundert Meter weiter stromabwärts auf seinem Wachposten schlief, er selbst sowie Matthien, Jart, Ji'Dar, Yana und Shani, die dort im Unterholz schliefen. Macht sieben.
    Coras kniff die Augen zusammen, als sich allmählich die Silhouette der letzten vom Nebel abzuheben begann. Langsam stand er auf. Entgegen seines Willens, war er von ihrem Mut durchaus beeindruckt. Nicht nur, dass sie scheinbar schon seit Tagen allein diese Nachtausflüge unternahm und sich damit in größte Gefahr begab, sondern auch weil sie als scheinbar einzige von ihnen seine Entscheidung Horrundor auf sich allein gestellt zu lassen nicht akzeptieren wollte. Und er war im Begriff beides unterbinden. Im Kopf legte er sich bereits die Worte zurecht, als der Schatten vor ihm begann Konturen anzunehmen. Jetzt ging er auf sie zu. Er würde ihr direkt ins Gesicht sehen. Ihr sagen, dass er sie zwar verstehen, ihr Verhalten aber auf keinen Fall weiter dulden konnte. Auch zu ihrer eigenen Sicherheit. Und wenn die Götter gütig waren, dachte er, als sie nur noch wenige Meter voneinander entfernt waren, würde sie ihn verstehen. Nur dass es nicht Lena war.
    Die Anspannung entfloh seinem Gesicht und seine Mine verfinsterte sich.
    „Was willst du hier?“, giftete er den bleichen Nord an. „Willst du uns anderen auch noch umbringen, indem du ganz Orsinium hierher lockst?“
    Horrundor blieb stehen. Wenn er überrascht war Coras hier anzutreffen verbarg er es recht gut.
    „Ich … ich musste zu euch. Sie war bei mir. Sie hat mir Essen gebracht. Sie … die Orks … sie haben Lena entführt.“
    Die Götter waren grausam.
    Trinovas ist offline

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