Neubeginn

"In einer Zeit, die von der Geschichte vergessen wurde, herrschte ich als mächtiger König. Mein Reich war riesig, meine Reichtümer endlos und meine Macht unbegrenzt. Und dennoch... als das Ende meiner sterblichen Existenz näherkam, begegnete ich einem scheinbar unbezwingbaren Gegner: Meiner eigenen Sterblichkeit. Ich gab mich Molag Bal hin und opferte in seinem Namen tausend Unschuldige. Im Gegenzug gab er mir, meiner Frau und meiner Tochter ewiges Leben.
Und so habe ich selbst den Tod besiegt."


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Das Königreich Volkihar. Von den westlichen Dünen zum äschernen Ödland jener Insel im Osten, vom eiskalten Norden zum südlichen Dschungel der Bosmer erstreckte es sich. Es war ein großes Reich und nicht minder prächtig. Erobert von König Harkon, gefestigt durch den starken Arm seiner Herrschaft. Im Schloss der Volkihar, das sich in den Bergen nördlich des Herzlandes befand, wohnte die Königsfamilie. Eines Morgens:

"Ein weiterer schöner Tag ist angebrochen, Liebes."
Valerica, Harkons Frau, streckte sich und lächelte ihren Mann zufrieden an. Sie verließ das Bett und öffnete des Fenster des Schlosses Volkihar. Die Sonne schien ihr ins Gesicht, während eine leichte Brise die seidenen Vorhänge im Raum wedeln ließ. Es war ein schöner Anblick, wie sie am Fenster stand und das liebevolle Licht der Sonne genoss. Man konnte hier das Herzland des Königreiches sehen, in dem sich ein großer See mit vielen Mündungen befand. Dort verbrachte die Königsfamilie viel Zeit. Serana, Harkons Tochter, betrat den Raum und sah ihre Eltern am Fenster. Müde sprach sie gähnend:

"Guten Morgen."
"Guten Morgen, mein Mädchen", entgegnete ihre Mutter.
"Ich bin kein Mädchen mehr, Mutter!"
"Für mich wirst du immer mein Mädchen bleiben. Zieh' dich bitte an, wir werden gleich frühstücken."

Augenrollend verließ die junge Serana den Raum und man konnte hören, wie sie sich auf ihr Zimmer begab und den Kleiderschrank durchwühlte. Auch Valerica begab sich in ihre Kleiderkammer, um ihr Morgenkleid anzulegen. Harkon ließ sich im Schlafgewand auf dem Stuhl auf seinem Balkon nieder. Er betrachtete die Schönheit der Natur, die sich in der Sonne widerspiegelte. So schön der Anblick auch war, so sehr war er betrübt. Ein Feind, den er nicht bekämpfen konnte, quälte sein Gemüt. Es war ein Feind, dem jeder seiner Art ausgesetzt war – die Folgen seiner eigenen Sterblichkeit. Der Tod stand ihm unverweigerlich bevor. Noch nie war er einem Feind ausgeliefert, nur selten hatte er versagt in seinem Leben als Eroberer. Sein unabbändiger Wille ließ seine Feinde erzittern, die Geradlinigkeit seiner Handlungen zerschmetterte alle Felsen, die ihm in den Weg gelegt wurden. Nur so gelang es ihm, die Herrschaft seines Königreiches auszuweiten und dessen Reichtümer zu vervielfachen. Er war keineswegs ein Tyrann – das Volk liebte seinen König. All die Denkmäler und Lobeshymnen wurden nicht von ihm verordnet. Das Volk ehrte seinen König freiwillig auf diese Weise. Und doch hasste er sein Volk. So gütig er ihm auch entgegentrat, so tief war auch sein innerlicher Hass. Es war die Sterblichkeit und dessen Unvollkommenheit, die er so verabscheute. Da auch er sterblich war, so hasste er auch die Hülle, in der er steckte. Noch nie fühlte er sich wohl darin, immer hatte er das Gefühl, aufgrund dieser Hülle sein eigentliches Potential niemals entfalten zu können. Er wollte stark sein, doch er fühlte sich schwach und jämmerlich. Sein ärgster Feind, der Tod, dem er ausgeliefert war, verschaffte ihm dieses Gefühl. Dieses ewige Ausgeliefertsein zerriss seine Seele und schuf einen tiefen Hass. Seine Familie wusste, dass ihn etwas quälte, doch er sprach nie davon. Ganz sicher würde sie ihn niemals verstehen. Sie würde sagen, dass er doch so viel erreicht habe. Dass er doch ein guter König sei und an all die Siege denken solle. Doch das befreite ihn nicht von dem Gefühl, in der falschen Hülle zu stecken. Eine Hülle, die dem Tod ausgeliefert war, war schwach und verwundbar. Was wurde aus seinem Königreich, wenn er eines Tages gehen musste? Wie regierten seine Nachkommen? Wer war würdig, diese Pracht auch noch weitere tausend Jahre zu erhalten? Ihm fiel niemand ein.

"Du bist ja immer noch nicht angezogen", sprach Valerica, die bereits ihr Morgenkleid angelegt hatte, während Harkon grübelte.
"Oh, ich war in Gedanken, Liebes", entgegnete er und machte sich sofort in seine Kleiderkammer. Heute trug er für seine Verhältnisse eher schlichte Kleidung und begab sich mit seiner Familie in den Speisesaal. Dort war selbstverständlich alles vorbereitet und die Diener grüßten freundlich die Königsfamilie. All die gute Laune um Harkon herum machte ihn krank. Seine einzigen Gedanken galten seinem ärgsten Feind. So aß er auch heute unterdurchschnittlich wenig und stocherte nachdenklich in seinem Brei herum. Man sah ihm deutlich an, dass ihn etwas zutiefst beschäftigte, aber er weigerte sich vehement, darüber zu reden, was seine Familie auch belastete. Nach der in Schweigen gehüllten Mahlzeit begab sich König Harkon ohne Ankündigung zum Schlossgarten, um dort allein ein wenig frische Luft zu schnappen und in Ruhe nachzudenken. Am Ende der riesigen Gartenanlage befand sich eine Bank an einem Wäldchen, auf die er sich niederließ. Dabei bemerkte er nicht, dass bereits ein in schwarzer Robe gehüllter Mann regungslos darauf saß. Erschrocken rückte er von ihm weg und sprach:

"Wer... wer seid Ihr?!"

Ohne auf diese Frage zu antworten holte er aus seiner Robe ein uraltes, abgegriffenes Buch hervor und flüsterte zischelnd:

"Ich kann Euch verstehen."

Unmittelbar nach diesen Worten huschte er in das Wäldchen und verschwand im Dunkeln. König Harkon rief:

"Wartet!"

Doch er hörte nicht auf ihn. Harkon fühlte sich leicht unbehaglich, war allerdings sehr neugierig, was in diesem Buch stand. Vorsichtig, damit rechnend, dass Seiten bei Unachtsamkeit herausfallen könnten, schlug er es auf. Es war nicht in seiner Sprache geschrieben, doch als er blätterte, fiel ein Zettel aus dem Buch heraus. Dort stand eine Übersetzungsanleitung der Schriftzeichen geschrieben. Fasziniert von diesem Buch trabte König Harkon wieder in sein Gemach und setzte sich sofort an seinen Schreibtisch, um dieses Buch zu übersetzen. Als er erneut einen Blick auf den Zettel warf, fiel ihm auf, dass dort "Seite 20, 12. Absatz" stand. Harkon schlug diese Seite auf und machte sich sofort an die Übersetzung. Dabei stellte er fest, dass es sich um eine Beschwörungsformel zu handeln schien, die am 20. Tag des Abendsterns bei nicht stürmischen Wetter gesprochen werden müsse, um ein Wesen namens Molag Bal zu beschwören. Dieser Tag war heute. Und das Wetter war alles andere als stürmisch. Nun wurde Harkon unheimlich. Er hielt nie viel von überweltlichen Wesen, so hatte er noch nie etwas von Molag Bal gehört. Doch er fragte sich: Warum sollte er dieses Wesen beschwören? Und was meinte der Mann in der schwarzen Robe mit "Ich kann Euch verstehen"? Kannte er etwa seine Sorgen? König Harkon trabte hastig zu seiner Schlossbibliothek und suchte nach Büchern über Molag Bal.
Es dauerte lange, bis er etwas gefunden hatte, doch er wurde fündig. Murmelnd las er diesen Satz:

"Molag Bal, der daedrische Prinz der Herrschaft, Geißel der Sterblichen, wird am 20. Tag des Abendsterns bei nicht stürmischem Wetter (siehe dazu Seite 349) beschworen. Zu seinen Anhängern zählen all jene..."
Murmelnd übersprang er diesen Teil, als er die Überschrift "Segnungen" las.

"Als der Schöpfer des Untodes gehört zu seinen höchsten Segnungen der Fluch des Vampirismus. Der Träger dieser Segnung fristet eine endlose Existenz auf der Ebene Mundus und ist von jeglichen Auswirkungen des Alters befreit. Kläglich muss er..."

Die Überraschung war zu groß, als dass Harkon genügend Geduld aufgebracht hätte, weiter zu lesen. In ihm ging ein Licht auf, als hätte er die Lösung eines Problems gefunden. Mit einem Schlag verflog seine deprimierte Laune und sein Gemüt wandelte sich wieder zu jenem Eroberer, der er einst war. Er hatte nun wieder ein Ziel: Der Vampirismus. Ohne sich weiter darüber zu informieren, traf er alle Vorbereitungen für die Beschwörung. Viel war er bereit zu geben, um den Tod zu besiegen.
Für die Beschwörung des daedrischen Prinzen benötigte er, wie er noch herausfand, Löwenfell. Davon hatte er im Schloss mehr als genug auf Lager, schließlich war er König. Er hielt es nicht einmal für nötig, einen anderen Raum für dieses Ritual auszusuchen und führt es hier und jetzt durch – in der Kammer voller Felle. Mit geschlossenen Augen sprach er erwartungsvoll die Beschwörungsformel. Nachdem er dies tat, wartete er auf ein Zeichen. Er wartete und wartete. Doch nichts passierte. Er wartete noch länger, so lange, bis er ungeduldig wurde. Es passierte immer noch nichts. Offenbar hatte er die Formel falsch ausgesprochen, so kam ihm der Gedanke und er versuchte es erneut. Wieder wartete er und nichts passierte. Er versuchte es ein weiteres Mal und noch viele weitere Male, bis er nach mehreren Stunden wütend vor sich hinschrie:

"So ein dreckiger Hokuspokus! Ich werde diesen Schelm suchen lassen, dann will ich mal sehen, was er von seinem 'Scherz' hält, wenn er vor glühenden Kohlen in der Folterkammer steht!"

Doch trotz seiner Wut hatte er noch immer das Gefühl, irgendetwas falsch gemacht zu haben. Das konnte doch kein Scherz sein, meinte er, irgendetwas musste dahinterstecken. Er kam zur Erkenntnis, das Ganze etwas vorschnell in seiner hehren Erwartung angegangen zu haben und so kam er zum Schluss, den Zettel noch einmal genauer zu lesen. Dort stand nur der Hinweis auf die Seite im Buch. Auch die Seite im Buch wollte noch ein weiteres Mal überprüft werden. Nun bemerkte er auf dem unteren Teil der Seite, neben der Seitenzahl, einen weiteren Seitenhinweis, der auf die hinteren Seiten führte. Nach einiger Zeit der Übersetzungsbemühungen konnte er herausfinden, dass ein Ort beschrieben wurde... Ein Ort, der sich gar nicht so weit vom Schloss entfernt befand. Es handelte sich um einen Schrein, einem Schrein, der sich in einem Sperrgebiet befand. Dieses Gebiet hatte König Harkon sperren lassen, weil es dort nach Bestätigung der nahewohnenden Bevölkerungsteile spukte. Viele wollten dort nur Beeren, Pilze oder andere Früchte des Waldes sammeln und sie kehrten nie wieder zurück. Auch die Suchtrupps, die von König Harkon entsandt wurden, wurden nie wieder gesehen. Es war ein Gebiet, das nie vollständig erforscht werden konnte, doch man wusste, dass dort überdurchschnittlich große Vögel lebten und den Geräuschen nach, die von ihnen erhört wurden, handelte es sich um hochgefährliche Raubtiere. Wenn sich in ausgerechnet diesem Wald ein Schrein von jenem Molag Bal befand, musste Zweifel gehegt werden. Was für eine Kreatur war dieser Molag Bal? War dies eine Falle?
Seine Neugier und sein Stolz waren jedoch zu groß, als dass er die Sache auf sich beruhen lassen wollte. Und sein Wille, den Tod zu besiegen, kam hinzu. König Harkon, jener Eroberer ließ sich doch nicht von einem kleinen Wald kleinkriegen, schon gar nicht, wenn er ein klares Ziel hatte. So begab er sich in seine Rüstungskammer und rüstete sich mit effektiven Waffen und sicherer Rüstung, die nicht allzu schwer war, aus. Das Buch band er mit einem Lederriemen an den Gürtel und er machte sich auf zu seinen Ställen, um ein Ross herauszuholen.
König Harkon ritt gen Sonnenuntergang in jenes verfluchte Wäldchen, das gar nicht allzu weit vom Schloss entfernt war. Schon von der Ferne sah dieser Ort unheilvoll aus. Es war ein schwarzer Fleck im Horizont, aus dem weiße Nebelschwaden emporstiegen. Nur mutige Abenteurer wagten sich dort hinein und es erwies sich stets als deren letztes Abenteuer. Am Waldrand hielt König Harkon inne und lief wachsam, das Schwert griffbereit in der Hand, hinein. Ihm wurde mit jedem Schritt, mit dem er weiter in Richtung Dunkelheit marschierte, unwohler. Irgendetwas war an diesem Ort sonderbar. Er schien tot, wirkte aber gleichzeitig lebendig. Der Nebel wurde dichter, die Bäume schwärzer und der Himmel dunkler. Bald sah Harkon nichts mehr und schlussendlich verlor er die Orientierung endgültig. Gehüllt in Angst hoffte er, wieder am, Waldrand anzukommen, doch er fühlte sich, als würde er stattdessen immer tiefer in die Eingeweide waten. Nun war es so weit: Er stand auf dem Silbertablett, serviert zum Essen. Und es dauerte nicht mehr Lange, bis eine klauenartige Hand nach ihm griff und er in Ohnmacht fiel.

Als er seine Augen wieder öffnete, erblickte er die zwei Monde. War er nicht tot? Warum aber konnte er den Sternenhimmel sehen? Wurde er gefangengenommen? Warum aber trug er noch seine komplette Ausrüstung und war nicht gefessselt? Wurde er gerettet? Warum befand er sich aber noch in jenem Wald? Nein, er wurde verschleppt. Die Frage war nur: Mit welchen Motiven und wohin.
Er wagte es, seinen Kopf zu heben und schon bald spürte er, wie eine Hand, die ihm vertraut vorkam, ihm aufhalf. Nun bemerkte er, dass er in einem Zirkel von Leuten, die in schwarze Roben gehüllt waren, stand. Als er sich weiter umsah, bemerkte er eine riesige, monströse Statue. Es war eine echsenartige Kreatur aus Stein, die gierig ihre Hand ausstreckte. War dies der Schrein von jenem Molag Bal? Und die Leute hier seine Anhänger? Zwei der Gestalten traten hervor und nahmen ihre Kutten ab. Als Harkon deren Gesicht erkannte, blieb sein Atem stehen. Was tat nur seine Familie hier? Warum standen seine Frau und seine Tochter hier vor ihm, gehüllt in diesen schwarzen Roben und blickten mitleidsvoll in seine Augen? Das musste ein Traum sein, ein Albtraum. Und doch war es die Realität. Stotternd sprach Harkon:

"Was... was... was macht ihr hier?"
"Liebling...", entgegnete Valerica und streichelte ihre kühle Hand an seiner Wange, "Wir wollen dir helfen."
"Aber... aber wobei?!"
"Komm schon... meinst du, ich spürte nicht, was dich all die Monate quälte? Du willst dem Tod entgehen. Das willst nicht nur du, sondern auch wir. Und Molag Bal ist die Antwort. Er wird uns von unserer sterblichen Hülle befreien und uns segnen."
"Aber woher weißt du..."
"Ich war es, die dir das Buch gegeben hat. Ich war es, die dich hergeführt hat. Ich möchte mit dir diesen einen Schritt gemeinsam gehen. Mit dir und Serana."
"Du kanntest also die Antwort... aber warum hast du mir nichts erzählt? Du hast dir mein Leiden angesehen und nichts gesagt! Warum?"
"Weil ich dich kenne. Wenn du einmal weißt, was du tun musst, um dein Ziel zu erreichen, bist du nicht mehr aus der Ruhe zu bringen und begehst Fehler. Du hättest jeden Tag versucht, Molag Bal zu beschwören, ohne zu wissen, wie gefährlich es ist. Molag Bal ist ein daedrischer Prinz, er wird an einem bestimmten Tag beschworen. Und dieser Tag ist heute. Darum habe ich dir erst heute dieses Buch gegeben."
"Und wer sind alle die anderen hier?"
"Nun... das sind fromme Anhänger diesen Prinzen. Und sie wurden bereits gesegnet."

Die anderen Anwesenden legten ihre Kutte ab und der erste Eindruck war geprägt durch stechende Augen, die mit ihrer glühenden roten Farbe die Dunkelheit durchbohrten. Es lag ein Verlangen in ihnen, das einen Sterblichen, wie es Harkon noch war, in starkes Unbehagen verfallen ließ. Valerica sprach sanft:

"Dies sind jene, durch deren Adern das Blut dieses Prinzen fließt. Es sind Sterbliche, die ich aus ihrer Unvollkommenheit, in der sie einst gefangen waren, befreiten. Fürst Molag Bal vergibt einen Segen, der diese jämmerliche Art vollendet."

Nach diesen Worten blickte König Harkon Valerica tief in die Augen und erwiderte:

"Du verstehst mich also doch... All die Monate glaubte ich..."
"Sag nichts. Das ist Vergangenheit und schon bald nicht mehr von Belang. Wir werden ein neues Leben beginnen... ein ewiges Leben. Befreit von den Fesseln der Sterblichkeit, befreit vom schmutzigen Blut Anus."
"Ich... ich... ich bin sprachlos! Ich..."

Valerica presste ihren Finger auf seine Lippen und küsste ihn. Danach erwiderte sie:

"Ich dich auch. Lass uns diesen Schritt tun. Du bist der König. Ein Sterblicher, der trotz seiner Schwächlichkeit Herausragendes vollbracht hat. Dich wird Fürst Molag Bal als würdig empfinden. Tu' es."

Fürst Harkon, der nach den Versuchen vor einigen Stunden die Beschwörungsformel bereits auswendig kannte, bot dem Schrein das Löwenfell dar und sprach die Beschwörungsformel. Es dauerte nicht lange, bis er fühlte, wie etwas in seinen Geist drang und versuchte, in seinen Kopf zu dringen. Dies verursachte immense Schmerzen, sodass Harkon niederkniete und seine Hände auf den Kopf presste. Nun hörte er eine finstere Stimme:

"Noch ein Sterblicher, der kommt, um mir zu dienen. Ich wünsche Leiden und Tod. Ihr werdet mir beides bringen. Angesichts Eures Hasses auf die sterbliche Jämmerlichkeit, in der Ihr selbst gefangen seid, übertrage ich Euch eine Aufgabe, die Euch optimale Befriedigung verschaffen sollte. Wahrscheinlich. Ich will eine Masse sehen, die für ihren Anführer bis in den Tod gehen würde und von jenem dorthin geschickt wird. Als mächtiger König haltet ihr die Leben tausender Sterblicher in Euren Händen. Lasst sie fallen. Wenn Ihr Erfolg habt, sprecht zu dieser Statue, die ich Euch überreichen werde und ich werde Euch entlohnen. Wenn Ihr versagt, dann schreibt Euer Testament. Geht mir aus den Augen."

Die Schmerzen in Harkons Kopf vergingen und er kam wieder zu Bewusstsein. Um ihn standen immer noch die gleichen Anwesenden und Valerica und Serana schienen die Aufgabe, die ihm aufgetragen wurde, mitgehört zu haben, da Valerica sofort sprach:

"Lass uns keine Zeit verlieren."

Harkon brauchte nicht lange darüber nachzudenken, wie er diese Aufgabe vollstreckte. Intrige war die Antwort auf die Frage. Als Herrscher wusste er genau, was er tun musste, um das Volk in seinen eigenen Tod marschieren zu lassen. So verordnete er schon bald massive Steuererhöhungen, Ausweitungen der Abgabenlasten, den Ausbau des Militärs und eine Verschärfung der Justiz, sodass man schon für kleinste Vergehen zu Tode verurteilt wurde. Eine erbarmungslose Schreckensherrschaft begann, der die Masse der Menschen dieses Königreiches zum Opfer fielen. Alle erinnerten sich noch an die 'guten alten Zeiten', an das schöne Leben, das sie bisher führten und nahmen die Realität mehr und mehr wahr. Ein gefährliches Wort wurde geflüstert: Revolution. Schon bald begehrte das Volk auf, doch das Militär war inzwischen so stark, dass der Pöbel keine Möglichkeit zum Sieg hatte. Für das Militär wurden gezielt skrupellose Vollstrecker ausgewählt, die mit genügend materiellem Wohlstand völlig zufrieden waren.
So begann ein erbarmungsloser Bürgerkrieg, der die Städte und Dörfer brennen ließ und den Boden des Königreiches mit Blut tränkte. Tausende von Sterblichen fielen diesem Kampf zum Opfer. Es war an der Zeit, Molag Bal die Erfüllung seines Wunsches zu verkünden und das Geschenk des ewigen Lebens anzunehmen.
Zusammen mit Valerica und Serana, die sich schöne Kleider anzogen, stand er auf dem großen Schlossbalkon. In der Ferne brannten Städte und Dörfer, Blut wurde vergossen, doch im Schloss nahm das Leben in Luxus und Überfluss seinen gewohnten Gang. Der Gedanke, schon bald nicht mehr der sterblichen Art anzugehören, erfüllte beide mit Freude. Die Handlungen Harkons war kein Vergehen, sondern eine Wohltat, die dazu beitrug, das Ende der Geblüter Anus heranrücken zu lassen und Platz für deren Jäger, die Kinder Padomays, zu schaffen. Das Verdorbene musste getilgt werden.
Hand an Hand blickten Valerica und Harkon auf die kleine Molag-Bal-Statue, die auf das steinerne Geländer platziert wurde und Harkon begann, den Prinzen zu rufen. Wieder spürte er die Schmerzen in seinem Kopf, wieder hörte er seine Stimme:

"Ihr seid meinem Wunsch nachgekommen und wandtet die Mittel an, die ich meinen Dienern zu lehren pflege. Eine herausragende Leistung, die Euch und Eure Familie qualifiziert, mein Blut in Reinform durch Eure Adern fließen zu lassen. Nicht länger werdet Ihr Euch in den Fesseln der Sterblichkeit befinden, nicht länger werdet Ihr als Vertreter jener Art, die es zu jagen gilt, dienen müssen. Ihr werdet Jäger, Löwen unter den Schafen, oder kurz, meinesgleichen, sein. Ihr werdet die uralte Tradition, die ich zu hegen pflege, fortführen – die Geißelung der Sterblichkeit. So wie der sterbliche Jäger den Hasen als Beute betrachtet, werdet Ihr den Sterblichen als Eure Beute erwählen. Blutdurst wird Euch plagen, wenn Ihr Eurer Bedeutung zu lange nicht gerecht werdet. Lasst die Sterblichkeit hinter Euch und begegnet der Vollkommenheit. Ich erwähle Euch, Harkon, einst König eines Reiches aus Sterblichen, in meinem Namen als Fürst der Vampire unter Eurer Beute zu wandeln. Fürst Harkon wird Euer neuer Titel sein, über meine Kinder werdet Ihr herrschen. Es steht Euch frei, Eurer Familie den Segen zu gewähren, doch sie werden ihn nicht in Reinform empfangen. Es ist noch nicht an der Zeit, sie zu Töchtern Kalthafens zu erwählen. Ich beglückwünsche Euch, Eroberer. Von nun an habt Ihr auch den Tod besiegt und die Rechte zu einer neuen vampirischen Blutlinie errungen. Volkihar... wie Euer Familienname soll auch Eure Blutlinie heißen."

Tage später erwachte Harkon in seinem königlichen Bett. Seine Frau und seine Tochter saßen auf der Bettkante und lächelten ihn warm an. Valerica sprach:

"Du hast Fürst Bals Segen empfangen und fielst kurz danach in tiefen Schlaf. Das Blut, das er Euch verlieh, hat deine alte Hülle überwältigt. Doch nun bist du erwacht. Du hast es geschafft. Dein einst größter Feind ist besiegt. Deine vorherige Existenz ist vorbei – du kannst dein Potential nun entfalten."

Harkon verfügte nun über verschärfte Sinne und konnte, wie ihm auffiel, im Dunkeln sehen. Das Sonnenlicht, das durch die Fenster schien, war ihm unangenehm. Als er seine Frau und seine Tochter sah, fühlte er den Hunger, der ihn heimsuchte. Er konnte sich noch beherrschen. Valerica bemerkte dies und sprach:

"Tu' es. Segne uns."

Schlagartig biss Fürst Harkon in den Hals seiner Frau und seiner Tochter, die dann beide im tiefsten Schlaf der Wandlung fielen. Das Blut, das er aufgenommen hatte, stillte seinen Hunger und machte es angenehmer, im Sonnenlicht zu wandeln. Er deckte seine Familie, die nun schlief, zu und legte sich daraufhin seine königliche Rüstung an. Im Spiegel betrachtete er stolz sein verändertes Aussehen. Er war nun ein Vampirfürst – bleich, mit spitzen Zähnen ausgestattet und stechenden, die Dunkelheit durchdringende Augen.
Er fühlte jedoch eine Kraft in ihm schlummern, von der er Gebrauch machen konnte. Offensichtlich wohnte in ihm auch eine andere Gestalt inne. Nachdem er sich wandelte, sah er sich mit messerscharfen Klauen und fledermausartigen Flügeln ausgestattet. Er konnte nun über dem Boden schweben. Er fühlte, dass er noch viel lernen musste. Doch am besten lernte man bekanntlich in der Praxis. Es war an der Zeit, jagen zu gehen. Das Königreich aus Sterblichen, über das er einst herrschte, war nun endgültig untergegangen. Er flog zu einem der abgebrannten Dörfer des Bürgerkrieges und betrachtete die Leichen, die überall verstreut lagen. Während er dies tat, bemerkte er, dass sein verschärfter Geruchsinn ihn Beute in der Nähe aufspüren ließ.
Nachdem er sich umblickte, bemerkte er ein weinendes Mädchen, das an einem Balken neben den verkohlten Überresten ihrer Eltern saß. Es war offensichtlich Mittagszeit...

ENDE