Gellerts desaströses Götterdebakel

auf Grundlage einer spontanen Anregung alibombalis


Gellert steckte seine zu groß geratene Nase durch den Spalt der Tür, die er gerade vorsichtig geöffnet hatte. Die Luft war rein, sein Vater fort, das Studierzimmer leer. Das war doch die Gelegenheit, sich einmal mit dem Zeitreisehelm zu beschäftigen.
Gellert schlurfte in seiner viel zu großen, mitternachtsblauen Magierkutte in den kreisrunden Raum, dessen hohe Wände mit Bücher, vollgekritzeltem Pergament und empfindlich wirkenden Gerätschaften auf schmalen Regalborten gefüllt war. Enden taten die Wände an einem wuchtigen Kuppeldach aus Glas, durch das man den Sternenhimmel draußen sehen konnte.
Gellert war klein, gerade mal eineinhalb Meter groß und zwölf Jahre alt. Aus seinen Segelohren wuchs trotz seines zarten Alters büschelweise weißes Haar und auf seiner Stirn hatten sich schon tiefe Denkerfalten eingebrannt. Die Augen waren schon beinahe so vollkommen weiß wie die seines Vaters, der ihm eingebläut hatte, dass das dreizehnte Lebensjahr die beste Zeit war, um seine magischen Kräfte zu mehren. Und sein Vater musste das ja wissen, schließlich war er der berüchtigste Magier aller Zeiten, der Atlantis im Meer versenkt und die Sterne am Himmel zu Sternbildern zusammengefügt hatte.
Gellert wollte seinem Vater Xardas in Nichts nachstehen. Schnell hatte er den Zeitreisehelm zwischen der Bettpfannensammlung in einem Regal gefunden. Dass sein Vater so viele Bettpfannen brauchte, war ihm nie komisch vorgekommen. Es war doch ganz selbstverständlich, dass man die benötigte, wenn man sich mehrere Tage in seinem Studierzimmer einschloss, um die Geheimnisse der Welt zu ergründen. Als er sich das letzte Mal für zwei Wochen eingeschlossen hatte, kam er am Ende mit einem Foto von Adanos bei der Vernichtung Jharkendars heraus.
Gellert hatte lange überlegt, wie er seinem Namen Berühmtheit verschaffen konnte. Er war zu dem Schluss gekommen, dass er den Stein der Weisen stehlen würde, noch bevor Zuben von ihm das ewige Leben erlangen konnte. So würde er, Gellert, unsterblich werden und der größte Schwarzmagier der Assassinen schon in jungen Jahren sterben. Das hieß natürlich auch, dass er die gesamte Geschichte Varants änderte: Ein Paukenschlag wie er dem zwölfjährigen Sohn eines Dämonenbeschwörers und einer Schicksalshexe gebührte.
„Gellert, was machst du da?“, keifte die durchdringende Stimme seiner Mutter und der kleine Junge zuckte, den Helm in der Hand, zusammen. Lyrca stand in der Tür. Sie hatte seinen Vater bei der Rettung der Welt vor Ixidia III. kennengelernt. Schon damals war sie alt, bucklig und warzenübersäht gewesen (das hatte zumindest sein Vater ihm erzählt), doch heute war sie obendrein noch schrumplig wie ein tausend Jahre altes Mammut.
Es war nicht wirklich verwunderlich, dass Gellert Mammuts kannte, denn Xardas hatte sie zwischen der Zerstörung der göttlichen Artefakte und der Zähmung des Regenbogentitans neu gezüchtet. Da in den vielen Jahren seit ihrer Ausrottung auch ihre natürlichen Feinde ausgestorben waren, hatten sie in Windeseile das ganze Östliche Archipel erobert.
Gellert stand jedenfalls da und starrte seine Mutter an. „Lass mich, Alte. Ich werde jetzt die Geschichte verändern!“, rief er selbstsicher und setzte sich den Helm auf den Kopf.
„Setz sofort den Helm ab, sonst sperr ich dich in die eiserne Jungfrau, du unverschämtes Balg!“, schrie die Schicksalshexe aus Leibeskräften und fuchtelte zornig mit ihrer knotigen Hand, während Gellert in einem Wirbel aus Licht verschwand. „Das hat er alles nur von seinem Vater. Ich muss unbedingt ein ernstes Wörtchen mit dem ollen Taugenichts reden“, schimpfte sie kopfschüttelnd und verließ das Studierzimmer wieder. „Andererseits bin ich jetzt allein. Ich könnte endlich mal wieder einen der gut gebauten Nordmänner herteleportieren… Oh ja, das mach ich!“

Gellert wurde fast schlecht, während er den Zeitenstrom hinabgeschleudert wurde. Wie er bestimmen konnte, wo und wann er abgesetzt wurde, wusste er nicht. Er schrie einfach so lange, bis er auf einer Wiese mit türkisem Gras aufschlug. Benommen den Kopf hebend erkannte er erst gar nicht, wo er war. Er hörte bloß eine männliche Stimme: „Und wenn ich es dir doch sage! Der ewige Frieden hat nicht mal ein Jahrzehnt gehalten! Thorus und Gorn schlagen sich die Köpfe ein und verheizen dabei sämtliche Bürger des Morgrads, wenn wir nichts unternehmen!“
„Wo bin ich denn hier gelandet?“, murmelte Gellert und setzte sich auf. Sein Blick wanderte im Kreis, doch alles was er sah war eine türkise Wiese, die am Horizont in rosafarbenen Wolken verschwand. Ein Fluss aus Kakao schlängelte sich mitten durch die Ebene und lockerte das Bild ein wenig auf, genau wie die beiden Sessel aus Drachenhaut, die irgendwo im Nirgendwo standen und auf denen zwei Menschen saßen.
Der eine, mit dem ihm zugewandten Gesicht, war der der gesprochen hatte. Nun unterbrach er sich und stand von seinem bequemen Sitzmöbel auf. „Wer bist du?“, rief er dem jungen Magier zu.
Gellert atmete einmal tief durch und sagt dann hochtrabend: „Ich bin Magier Gellert und kam im Wunsche den Stein der Weisen zu stehlen, als mich die Schicksalsgöttin plötzlich hierher verschlug. Sagt, wie ist Euer Name?“
„Ich habe keinen“, antwortete der Fremde.
„Quatsch, jeder hat einen Namen“, entfuhr es Gellert verdutzt. Sofort schlug er sich die Hände auf den Mund. Das hätte er auch überheblicher formulieren können. Was sollten die Fremden denn für einen Eindruck von dem zukünftigen größten Magier der Welt denken? „Verzeiht meine ungestüme Ausdrucksweise, doch ich muss innerlich lachen, wenn ich einen erwachsenen Menschen sagen höre, dass er keinen Namen hat. Sogar einem Niemand wurde zu jeder Zeit ein solches Mittel zur Identifikation gegeben!“
„Nun, dann interessiert dich ja vielleicht, wie mein Name lautet“, erhob sich nun auch die zweite Gestalt. Sie hatte mit dem Rücken zu ihm gesessen. „Mein Name ist Xardas. Besser bekannt als der Dämonenbeschwörer, der die Macht Beliars aus dem untoten Drachen von Irdorath stahl, das Mysterium um die Barriere von Khorinis löste und die heiligen Artefakte Adanos vernichtete.“
Gellert klappt der Mund auf. Das war sein Vater, vor gar nicht mal so vielen Jahren! „Welches Jahr schreiben wir, Va- äh, Xardas?“
„Wir schreiben das Jahr 1001 der 4. Ära nach…“, begann derjenige, der behauptet hatte, keinen Namen zu tragen, wurde jedoch von Xardas mit einer Geste zum Schweigen gebracht.
„Sprich nicht von dieser primitiven Zeitrechnung in meiner Gegenwart“, sagte der Dämonenbeschwörer herablassend. „Wir befinden uns im sechsundfünfzigsten Quadranten des achten Äonen und streben auf die dritte Verzwirblung der fünfzehnten Quadratur zu.“
Gellert nickte vage. Sein Vater hatte ihm schon mal von der Sternenzeit erzählt, ganz verstanden hatte er das damals allerdings nicht. „Und wo darf ich mich in diesem Moment glücklich schätzen zu residieren?“, erkundigte Gellert sich gehoben und mit einem Naserümpfen, das er sich perfekt von seiner Mutter abgeguckt hatte.
Der angebliche Namenlose schien dem Gespräch nicht mehr folgen zu können. Xardas schob die knotigen Hände in die Ärmel seiner Kutte und antwortete abermals: „Wir befinden uns in Fairygothania, das erst in vierundsiebzig und einem achttausendstel Äon entdeckt wird und zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch als Unbekanntes Land bei der weltlichen Bevölkerung bekannt ist.“
„Hm. Und wie weit ist Varant von hier entfernt?“, Gellert hob den Zeitreisehelm auf, der ihm bei seiner Landung vom Kopf gefallen war. Wenn er in einer Vergangenheit gelandet war, in der sein Vater schon existierte, war die Zeit schon mal gar nicht so falsch. Nur der Ort war absolut befremdlich.
„Siehst du die rosafarbene Wolkendecke am Horizont? Hinter ihr liegt das Meer der Tränen des Fellans und hinter ihm die Einöde des Berions. Hast du sie durchquert, kommst du zum Rücken der buckligen Murdra, die das Unbekannte Land von Varant trennt.“
„Jetzt hör doch auf dem Kind Sachen an den Kopf zu werfen, die es eh nicht versteht“, mischte sich der Namenlose plötzlich wieder in das Gespräch ein. „Wir müssen nach Myrtana und den Krieg beenden!“
Xardas wandte sich entrüstet seinem namenlosen Anhängsel zu. „Nein! Du darfst nicht zurück. Das wäre fatal für das Gleichgewicht des dionischen Retikulums!“
„Pah, ich gehe!“
„Das werde ich verhindern!“
„Wirst du nicht!“, und mit einem saftigen Tritt in die Weichteile schickte der Namenlose den größten Magier der gegenwärtigen Zeit zu Boden. Er warf einen letzten trotzigen Blick auf den ächzend daliegenden Mann und stapfte dann los.
Gellert starrte seinen Vater einen Moment verwundert an. Letztendlich war es ihm jedoch egal. Er setzte wieder den Zeitreisehelm auf und verschwand in einem Wirbel aus Licht.

Als er wieder von dem Zeitenstrom auf eine Wiese geklatscht wurde, empfand er gemischte Gefühle. Zum einen war dies nicht der Sand von Varant, zum anderen hatte dieses Gras dankenswerterweise einen natürlichen grasgrünen Farbton. Als er sich umsah, musste er jedoch feststellen, dass er es noch schlimmer erwischt hatte, als beim ersten Mal.
Er war von einer strahlenden, einer dunklen und einer hellblauen Nebelgestalt umgeben. Gellert ahnte sofort, dass es das göttliche Triumvirat war.
„Huch! Adanos, wer ist das? Etwa der Spion der Titanen, auf den wir schon so lange warten?“, tönte die dunkle Gestalt. „Dann sollten wir ihn vierteilen und anschließend ertränken!“
„Es muss die Pizza humanus speciale sein, die ich vor annähernd dreihundertsechsundzwanzig Jahren bestellt habe! Endlich“, dröhnte die Lichtgestalt.
„Aber das kann nicht sein! Er bewegt sich noch!“, warf die himmelblaue Nebelgestalt ein.
„Siehst du Innos? Doch ein Spion!“, freute sich der Dunkle.
„Ruhig, Beliar. Hören wir uns doch an, was er zu sagen hat“, schlug der Himmelblaue vor.
„Wenn es doch kein Spion ist, habe ich eine bessere Idee, Adanos!“, fiel Beliar seinem Bruder beinahe ins Wort. „Verarbeiten wir seinen Körper doch einfach zu einem großen Berg im Rücken der buckligen Murdra! Ich glaube, ich habe in unseren Planungsskizzen zur Erschaffung des Morgrads noch eine Lücke entdeckt, durch die ein Mensch nach Fairygothania gelangen könnte!“
„Oh nein, der kleine Kerl wird kein Berg!“, rief die strahlende Gestalt. „Er wird mein erster Avatar!“
„Du willst also doch nur wieder Krieg mit Beliar spielen!“, erboste sich der Blaue wieder. „Ihr seid wie die kleinen Kinder!“
Gellert sah sich hastig um. Er durfte nicht länger hier bleiben. Wenn er zu einem Avatar wurde, was würde sein Vater dann nur sagen? Endlich fand er den Helm, griff nach ihm und setzte ihn auf.
Doch es war zu spät: Ein Blitz der Lichtgestalt schlug in seinem Körper ein und ließ ihn erbeben, ehe der Zeitreisehelm endlich seine Arbeit tat und den kleinen Gellert mit dem Zeitenstrom fortriss.
„Du hast ihn pulverisiert, Innos!“, brüllte Adanos zornig.
Tatsächlich war der junge Magier jedoch wieder auf Zeitreise, dieses Mal allerdings mit einem merkwürdig erfüllten Gefühl im Magen. Er war sich sicher, dass es die göttliche Macht Innos war, die ihn durchströmte.

Verzweifelt und deprimiert schlug er mal wieder irgendwo auf. Als er die Augen öffnete, war jedoch alles um ihn herum schwarz. Dann erschien sein Vater vor ihm.
„Gellert!“, donnerte er und sofort wurde die Schwärze scharlachrot. „Was fällt dir ein meinen Zeitreisehelm zu nehmen? Auch noch ohne ihn zu kontrollieren! Erst landest du bei dem als episch in die Geschichtsbücher eingegangenen Kampf zwischen mir und dem zukünftigen König Myrtanas…“
„Welcher der vielen Könige?“
„Der, der vor kurzem von einem Dino lebendig begraben wurde“, antwortete Xardas rasch, ehe er seine Wutrede fortführte: „…und siehst dabei zu, wie er mich impotent tritt und so die jahrelange Fehde zwischen uns auslöst – und dann pfuschst du auch noch in die Schöpfung! Du hast Innos Kraft in dir aufgenommen! Wenn ich dich jetzt mit zurücknehme, haben die Götter ein für alle Mal wieder Einfluss auf dieser Welt!“
„Aber du bist doch auch mit Beliars Macht durchdrungen“, wandte Gellert desinteressiert ein.
Xardas hüstelte. „Ääh, die verlor ich bei einer Wette in der toten Harpyie.“
Ehe er fortfahren konnte, wurden er und Gellert von einem Sog erfasst, der sie fortriss.
„Was ist das, Vater?“, fragte Gellert nun schon interessierter.
Xardas vergrub das Gesicht in den Händen. „Deine Mutter. Hast du dich etwa erwischen lassen?“
„Kann ich jetzt auch nicht mehr ändern“, erwiderte sein Sohn achselzuckend.

Und schon schlugen sie in dem Pentagramm in Xardas Studierzimmer auf. „Hab ich dich endlich!“, keifte Lyrca sofort los. „Wie konntest du nur dein Studierzimmer offenlassen! Sieh nur an, was du angerichtet hast!“
Xardas richtete sich zu voller Größe auf: „Du dekonstruktive alte Kräuterhexe hast den Einfluss der Götter zurück in diese Welt geholt, indem du Gellert hierher brachtest! Ich hätte ihn erst von seiner neugewonnen Macht befreien müssen und das auch bestimmt getan, aber mein unmögliches Weib musste mir ja dazwischenfunken!“
„Aaaber…“
„WAS?!“, schrien Mutter und Vater im Chor und sahen auf ihren Sohn herab.
„Wenn Vater von Fortriantes XXXVIII. so stark getreten wurde, dass er impotent wurde, dann war das schon lange vor meiner Geburt. Das heißt ja, dass ich gar nicht der leibliche Sohn sein kann.“
Vater und Mutter tauschten einen Blick.
„So hab ich das noch nie betrachtet“, gab Xardas zu und zwirbelte seinen Ziegenbart um seine altersfleckigen Finger. „Ich schließe mich in meinem Studierzimmer ein. Je nachdem, wie das Ergebnis meiner Überlegungen lautet, kann ich dich olle Wetterhexe ohne Gewissensbisse endlich allein mit der Göre zurücklassen oder ich muss mir eingestehen, dass Fortriantes weniger stark zutritt als ich annahm.“
Mit einem Schlenker seiner Hand beschwor er einen Wind, der Lyrca und Gellert hinaus beförderte und die Türen hinter sich zufallen ließ. Das Schloss klickte dreiunddreißig Mal, dann war alles ruhig.
„Giftiger, alter Zausel“, grummelte die Schicksalshexe und erhob sich. „Gellert, geh und sag den Skeletten im Erdgeschoss sie sollen denen im achten Stock beim Putzen helfen, sonst schaffen sie das nie bevor der epische Kampf gegen die Amethystdrachen auf unserem Dach losgeht. Ich muss mich noch um Rhobar I. kümmern. Ich habe ihn vorhin beschworen und noch gar keine Zeit gehabt ihn auch zu benutzen.“
Sie verschwand am Ende des Ganges hinter einer Ecke und ließ Gellert allein zurück. Er zuckte die Achseln und erhob sich. Jetzt würde er erst mal mit Innos‘ Macht herumexperimentieren und sich auf den nächsten Avataren Beliars vorbereiten, der ihm nun gewiss bald nach dem Leben trachten würde.

The end.

Vatras: „Aaaah, die Sprache der Erbauer. Das heißt… Huch! „The End“ heißt übersetzt, dass Adanos dieses Kapitel mit einer neuen Sintflut beendet hat!“