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[GM]Sturmernte
Geändert von Estragon (09.07.2004 um 02:53 Uhr)
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Was treibt uns an? Was hält uns fern?
Was ist es, das uns sagt, wo unsere Ziele liegen? Wer führt uns dort hin? Wer hält uns von dort fern?
Wer hält das Gleichgewicht? Wer zerstört es?
Ist mein Feind, den ich erschlug, das Böse oder bin ich es, der dem Bösen dient? Auszug aus den Chaosthoretikum
I
Das Schiff war immer noch an Ort und Stelle. Es schwebte ruhig und irgendwie apokalyptisch über dem Erdboden. Endgültig. Estragon kletterte fast mit trotziger Inbrunst das Seil empor. Oben angekommen, schleuderte er die Sachen an den Mast und ging ans Steuer.
Er riss an dem Hebel. Unter seinen Füßen nahmen die Würfel ihre Arbeit des Treibens auf. Die magischen Steine summten freudig. Das Schiff zitterte leicht, dann erhob es sich. Stieg immer weiter auf.
Estragon riss an dem Steuer. Zog den Hebel zu sich. Das Schiff bewegte sich behäbig vorwärts. Kam immer höher.
Er drehte das Steuerrad und blickte zum Bug.
Es geht los... dachte er erschrocken, als hätte er es die ganze Zeit nicht glauben können. Doch nun stand das Unausweichliche vor ihm. Es ging wirklich los.
Das Schiff bewegte sich langsam vorwärts, richtung Kastell.
Geändert von Estragon (21.06.2004 um 04:27 Uhr)
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Beinahe andächtig schritt Rhodgar durch das Kastelltor, welches sich lautlos wieder hinter ihm schloss. In seinem Handschuh trug er das Tuch, in das er die gesammelten Kräuter eingewickelt hatte. Das Buch, welches zur Identifizierung und Abwägung der Pflanzen gedient hatte, war unter die rechte Achsel geklemmt worden, während er mit die linke Hand stets frei gehalten hatte. Im Falle einer Überraschung, ganz gleich ob positiv, ob negativ, war es immer besser, noch reaktionsfähig zu sein.
Gleich nach ein paar Schritten wurde der Magier allerdings abgefangen. Ein Dämon, knuffig klein und beinahe schon süß (wären da nicht die Flügel, die schuppige Haut, der Gestank, die Stimme und überhaupt seine Fratze gewesen - also eigentlich alles an ihm), materialisierte sich vor ihm, und gab zu verstehen, dass unverzüglich nach seiner Wenigkeit verlangt wurde. Was denn anliege, wollte Rhodgar wissen, bekam als Antwort nur das sägende Wörtchen "Laboratorium" zurück, und schon war der kleien Kerl auch schon verschwunden.
"Schlaukopf, da will ich doch sowieso hin!" rief Rhodgar dem Wesen unsinnigerweise noch hinterher, machte sich anschließend aber daran, seinen Weg zum Lab zu finden. Er wollte wirklich dorthin. Erstens, um die Kräuter abzuliefern. Aber er hoffte insgeheim auch darauf, dort auf Rena zu stoßen, denn mit ihr musste er unbedingt reden.
Diese Sache, die keinen Aufschub mehr duldete. Rhodgar spürte, dass es bald soweit war. Vielleicht lag es einem jeden Magier im Blute, Dinge zu sehen, Dinge zu wissen... Dinge zu fühlen. Verschwommen waren die Ahnungen, gar undurchsichtig. Doch spielte das überhaupt eine Rolle? Es würde beginnen, so oder so.
Schließlich stand der hohe Schwarzmagier vor dem Labor und trat ein. Und wirklich, wie er vermutet hatte, Rena war da, und ihre Augen... schon beim ersten Blick sagte etwas in Rhodgar dass sie bescheid wusste. Ohne Worte nickte sie zum kleinen Tisch herüber, an dem sich... ja, an dem sich Seraphin niedergelassen hatte. Rhodgar wollte beinahe schon erfreut und jubelnd auf seinen Freund zustürzen, doch auch er hatte dieses Etwas in seinen Augen. Dieser Glanz des Wissens, der ernste Ausdruck, auch ihm standen diese Dinge in die Glubscher geschrieben.
Er nickte nur stumm auf den Tisch, und erst jetzt fiel Rhodgar auf, dass dort ein Pergament abgelegt worden war. Rhodgar war in verschnörkelter, aufwendiger Schrift darauf gezogen worden.
Als die Widmung "In aufrechten Gruße, Estragon" seine Augen gestriffen hatten, und der Text gelesen war, da kehrte das Lodern, das solange erloschen war, nun auch in Rhodgars Augen zurück. Nun war es also soweit. Er sollte Seraphin und Rena, jene auf die seine Entscheidung gefallen war, vor das Kastelltor bringen. Dann würde es beginnen.
"Meine Freunde..." Er blickte seinen beiden Freunden tief in die Augen. "...folgt mir bitte. Wir haben nicht mehr viel Zeit." Bevor sie das Labor verließen, steckte er allerdings noch alles an Verbänden, Stützen und Kräutern ein, was Rhodgar wichtig erschien.
Während die drei durch die Gänge auf die Eingangshalle zusteuerten, begann der Magier von der Nachricht zu erzählen.
"Ich kann nichts erklären, dessen Sinn ich selbst nicht kenne. Ich tue nur wie mir geheißen. Packt alles ein, was ihr braucht, doch lasst hier was unnütz ist. Lasst unser Zeug von den Dämonen runterbringen."
Innerhalb von ein paar Sekunden schwebte sein Wunderbündel mitsamt Tragestab und Totenkopf (eine Erinnerung an die erste Reise mit Hilias) die Wendeltreppe hinunter, und landete vor seinen Füßen. Auch die Sachen seiner Freunde waren gebracht worden.
Noch einmal blickte Rhodgar zurück zu den Gängen, dann wandte er sich an seine beiden Begleiter.
"Können wir dann? Es kann nicht mehr lange dauern, dann wird des Rätsels Lösung vor unserer Haustür auftauchen."
Geändert von Rhodgar (22.06.2004 um 01:16 Uhr)
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Seraphins Sachen waren ebenfalls erschienen, wobei diese bei ihm einfach nur aus einem stattlichen Proviantbeutel bestanden welchen er sich mit einer schnellen Bewegung auf den Rücken schwang. Auch Rena schien bereit und nickte bestätigend so das Seraphin schließlich antwortete. "Meinetwegen können wir los." Und mit diesen Worten öffnete sich das Tor des Kastells und ließ die drei Schwarzmagier hindurchschreiten bevor es sich für sehr lange Zeit wieder hinter ihnen schloss.
Ein wenig störte es Seraphin schon, da war er gerade endlich wieder ins Kastell zurückgekehrt und schon ging es wieder auf das nächste Abenteuer. Doch die Hauptsache war, dass er Rhodgar und Rena an seiner Seite wissen konnte und eben diese Tatsache ließ ihn glücklich lächeln. Wo auch immer es hingehen würde, er war sich sicher, sie würden es meistern. Gemeinsam, wie sie es schon einmal getan hatten. Rhodgar grinste ihn zufrieden an und Rena lächelte ebenfalls. Sie spürten wohl das Gleiche wie er selbst, dieses undefinierbare Gefühl nach Ferne und Abenteuern das einen nicht mehr los ließ sobald es sich einer erstmal bemächtigt hatte. Und selbst wenn es sich entschied Seraphin loszulassen würde er es verzweifelt festhalten, denn um es gehen zu lassen war es einfach viel zu schön. Aber er glaubte eh nicht dass das passieren würde.
Die Sonne näherte sich langsam dem Horizont und die warmen Strahlen der Abendröte bahnten sich ihren Weg durch die Wipfel und Wälder von Khorinis. Vögel zwitscherten und selbst das Kastell sah heute nicht ganz so düster aus wie sonst. Doch irgendetwas lag in der Luft, etwas Endgültiges und plötzlich wusste Seraphin, das sie für lange Zeit weg sein würden. Es war wie damals als Hilias aufbrach um sein Schicksal zu suchen. Seraphin und auch die anderen hatten ihn nicht alleine gehen lassen wollen. Er selbst hatte es nie bereut, ihm gefolgt zu sein.
Verträumt starrten die dunklen Augen des Schwarzmagiers in die untergehende Sonne, dann wandte er plötzlich den Kopf und sah seine beiden Freunde an.
„Ich glaube, das hier wird groß werden…“
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Ihre Runen, ein Dolch, die vorsorglich schon bereit gelegten Heilkräuter, etwas Proviant und Wasser. Viel war es nicht, was sie an Materiellem auf diese Reise mitzunehmen gedachte. Dazu aber viel Nichtmaterielles: Spannung, Erwartung, Neugierde. Und die Freude darüber, wieder mit Seraphin und Rhodgar auf Wanderschaft zu gehen.
Weit waren sie ja erst einmal nicht gekommen, lachte die Magierin in sich hinein, denn schon unmittelbar hinter dem Tor war ihre Wanderung schon wieder zu Ende. Auf die entsprechenden Frotzeleien hin erklärte Rhodgar ihr und Seraphin, dass sie hier, genau hier auf Estragon warten sollten. Es war auch Ihren beiden Begleitern anzumerken, wie hibbelig und begierig sie waren, dass es endlich losgehen würde. Immer und immer suchten sie den Weg mit den Augen ab und hofften wohl darauf, Estragon dabei zu erspähen, wie er sich den Weg zum Kastell hinauf bahnte. Bei allen Befürchtungen, dass dieses Abenteuer durchaus auch schon erwartete Gefahren mit sich bringen würde und neue, noch unbekannte Bedrohungen auf sie warten mochten, dass sie alle bei dieser Reise durchaus Leib und Leben riskierten, bei allen diesen Befürchtungen konnte die Magierin doch nicht leugnen, dass die Vorfreude mittlerweile überwog. Sie alle dachten wohl daran zurück, wie es beim ihrem ersten gemeinsamen Abenteuer angefangen hatte, diese Gedanken brachten einen Tropfen Wehmut in die ansonsten in allen drei Gesichtern abzulesende freudige Erwartung. Seraphin hat es dann für alle in Worte gefasst: "Ich glaube, das hier wird groß werden...". Ja, das glaubte Renata auch.
Aber die Vorzeichen standen auch ausgesprochen gut, nachdem es lange Zeit geregnet hatte, war der Himmel mit grauen Wolken verhangen geblieben. Jetzt schien auch er ein Einsehen zu haben und die Reise der Gefährten begünstigen zu wollen. Die graue Decke war aufgerissen und zwischen einigen dicken Wolken hindurch beschien eine tief stehende Sonne die kleine Gruppe. Aber nur kurz währte dieses kleine Stückchen Himmelssegen: schon bald schob sich wieder etwas großes über das Kastell und vor die Sonne, so dass die drei Wartenden erneut im Schatten standen.
Geändert von Renata (22.06.2004 um 18:40 Uhr)
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Ein Schatten donnerte über die engen Täler und scharfen Klippen dahin. Diesem Schatten folgte ein seltsamer schwingender Ton, als wenn hunderte von Eiszapfen im kalten Winterwind sich an ihren starren Wurzeln biegen. Das Geräusch war sehr laut.
Das Unmögliche ist nur die Abwesenheit der Vorstellungskraft. Denn was man sich vorstellen kann, das kann man auch wirken, bauen, schaffen oder formen.
So hatten unbekannte Baumeister ein fliegendes Schiff gebaut, das mit geblähtem Segel über die Erdoberfläche dahin schoss.
Am Steuer stand der Schwarzmagier Estragon. Die Beine zu einem starren V eingestemmt, die Finger wie Klauen um das Holz des Steuerrades geschlagen. Die Brille so schwarz wie die Tiefe eines lichtlosen Brunnens.
Das fliegende Gefährt hob sich über eine schroffe Felsspitze und hatte endlich das Gebirgsmassiv überquert. Jetzt lag die weiten Wälder und Auen Khorinis voraus. Genau genommen ein sehr schöner Flecken zum Leben…
Doch dafür interessierte sich der Schwarzmagier jetzt nicht. Überhaupt, hätte er es je getan?
Seine kalten Augen suchten das zerklüftete Felsenhochland ab und er fand auf einem der höchsten Bergkegel sein Ziel.
Das Kastell der Schwarzmagier. Ein dunkler Ort und zum ersten Mal wurde sich Estragon der eigentlichen Größe dieses Monsters aus Stein und Magie bewusst. Doch er gestattete sich keine verblüffte Pause, sondern zog an dem Hebel neben dem Steuerrad, fühlte unter sich den Antrieb rumpeln und drehte am Steuerrad. Das Schiff fiel.
Estragon kippte es leicht in Seitenlage, zog runter und behielt immer die sich schnell nährende Kastellmauer mit ihren unbesetzten Zinnen im Auge.
Wie auf einem unsichtbaren Strudel reitend, jagte Estragon weiter hinab. Das Schiff zog immer größere Kreise. Dann hatte Estragon die Kastellmauer nicht mehr unter, sondern neben sich.
Mit einem lauten Reisen der Luft brüllte das Schiff um die letzte Ecke und passierte den Pfad, das Tor. Drei Menschen standen dort und waren kreidbleich. Estragon konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Seine tiefblauen Brillengläser beobachteten die drei Kastellbewohner mit kalter Schadenfreude. Das Schiff wurde langsamer. Der Schwarzmagier machte noch eine Runde um den großen Bau, damit sein Gefährt an Geschwindigkeit verlor. Dann kam es fast punktgenau vor dem Eingang zum halten. Estragon brachte es mit einer schnellen Steuerdrehung längsseits zum Pfad. Er legte den Hebel auf 90° zum Plankenboden ein, damit das Schiff in der Schwebe blieb.
Er schnappte sich sein Seil und trat an die Reling. Seine Pfeife war schnell gestopft und entzündete. So schaute er die drei verdatterten Magierkollegen frostig an. Sein Mantel wurde von einer heftigen Böe aufgeworfen. Ein Rauschen lag in der Luft. Man spürte es mehr in den Knochen, als man es mit den Ohren hörte. Tot und Verderben…kannst du wirklich so leichtfertig über sie entscheiden?
Noch haben sie eine Wahl…
Die hatten sie nie…genauso wenig wie der Unterste auf dem Karobrett eine Wahl hat. Der Spieler zieht ihn nach belieben hin und her… nagte es weiter.
Schweig jetzt… brachte Estragon dieses lästige Rädchen zum Stillstand, legte zwei Ketten drum und goss noch heißes Eisen drüber.
Er sah in ihre Gesichter. Erstaunte Os. Aber er sah auch Vorfreude in ihren Augen. Ein Abenteuer erwartete sie…In der Tat. Das tat es.
Erfreut euch dieses Wunders…solange ihr das noch könnt… sprach etwas Boshaftes in ihm und Estragon war nicht völlig sicher, wem diese Stimme gehörte.
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Wer in aller Götter Namen sollte denn in dieser fast schon irrealen Welt und Zeit noch unterscheiden können, was Fiktion und was Wirklichkeit war? Wem sollte es denn noch vergönnt sein, von sich sagen zu können "Ich habe alles gesehen im Leben, zumindest alles Sehenswerte."? Rhodgar würde das ganz bestimmt nie sein, da machte er sich gar keine Illusionen. Was ihm da in die Optik geriet war einfach nur... gewaltig. Ja, gewaltig war das Treffendste, was dem Magier dazu momentan einfiel. Und doch kam es den Tatsachen noch nicht einmal annähernd so nahe, dass man sagen konnte, dass nun der passende Ausdruck gefunden worden war. Auch wenn er normalerweise nie um ein Wort verlegen war, hierzu fiel Rhodgar einfach nichts mehr ein.
Er rieb sich einmal die Augen. Rieb sie sich zweimal. Sogar ein drittes und viertes Mal. Aber es half nicht. Dieses monströse Gebilde blieb genau dort, wo es sich befand (oder doch nur zu befinden schien? Unglaublich!). Nämlich gute zehn Schritte über dem grasbedeckten Boden, der Fläche, auf der es eigentlich unwiderruflichen Gesetzten der Schwerkraft hingehörte.
Wieviele Augenblicke, Wimpern- und Herzschläge, wieviel Zeit verging? Rhodgar wusste es nicht, dachte nicht einmal darüber nach. Es war einfach zu abstrakt und unsinnig, was er da zu sehen bekam. Irgendwann konnte er sich dann aber aus der Ganzkörperstarre befreien, tat ein paar Schritte und blickte zu Estragon hinauf. Dieser Teufelskerl. Rhodgar hätte mit allem gerechnet. Mit schwimmenden Schafen, und Teleportationen, mit rollenden Fässern... aber doch nie im Leben mit einem fliegenden Schiff.
"Kann mich mal bitte jemand kneifen?"
Geändert von Rhodgar (22.06.2004 um 02:56 Uhr)
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Gut. Rena hatte ihm schon erzählt dass Estragon alles andere als normal war. Aber das… das war einfach fantastisch. Ungläubig fuhren Seraphins Augen über den hölzernen Giganten welcher jetzt nahezu lautlos aber dafür umso mächtiger über ihren Köpfen schwebte. Mit einem schelmischen Grinsen, dabei aber immer noch den Blick auf das fliegende Schiff gerichtet ging er an Rhodgar vorbei und kniff ihn abwesend in die Seite. Doch der Schwarzmagier ließ keinen einzigen Laut vernehmen, viel zu gefangen war er von der unglaublichen Erscheinung die sich den dreien gerade bot. Seraphin trat ehrfürchtig näher und betrachtete fasziniert dieses Wunder welches da direkt vor seinen Augen schwebte. Und es war ein Wunder, definitiv.
„Bei Beliar…“
Mehr bekam er nicht heraus und schließlich gab er es auf, seinen Gemütszustand in Worte zu fassen. Er schwankte irgendwo zwischen ungläubigem Staunen, absolut unbändigem Tatendrang und einer, noch nie zuvor so stark da gewesenen Abenteuerlust. Dann konnte er eben diesen Zustand nicht mehr ertragen. Jedenfalls nicht, ohne seinen Gefühlen Luft zu machen. Und er begann zu lachen. Kein abfälliges Lachen, sondern ein begeistertes, freudiges und irgendwie auch erschüttertes Lachen über das was er gerade vor sich sah. Doch am meisten herrschte Freude in seinem Innern.
„Oh ja…“, flüsterte Seraphin plötzlich, „das wird groß werden. Das ist es jetzt schon…“
Ein Leuchten war in den dunklen Augen des Schwarzmagiers erschienen und aus einer Bewegung heraus ließ er elegant den Stab kreisen, bevor er den Kopf hob und auf das Deck des fliegenden Schiffes spähte. Das Licht der untergehenden Sonne beschien eine Gestalt. Schwarze, lange Haare umrahmten ein raues Gesicht, welches jetzt prüfend auf sie herab blickte. Die Abendröte spiegelte sich in den dunklen Augengläsern dieses Mannes wieder und erweckte den Eindruck von zwei glühenden Kohlen.
Das war also Estragon.
Seraphin grinste. Was für ein Auftritt…
Geändert von Seraphin (22.06.2004 um 03:33 Uhr)
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„Kneif Du mich zuerst“ Das war ja wohl nicht wahr! „Seht Ihr das auch?“. Fast traute sie sich gar nicht, das zu fragen. Und um die beiden links und rechts von ihr anzusehen, ob ihnen auch das gleich ungläubige Staunen ins Gesicht geschrieben stand, dafür hätte sie die Augen von diesem Etwas nehmen müssen, für das sie im Moment noch keinen Namen fand.
‚Schiff’ sagten die Augen. ‚Unmöglich’ erwiderte der Verstand. „Seraphin, sag doch auch mal was…“. Der angesprochene lachte sogar und das, was er sagte, hörte sich gar nicht irrational an. Aber vielleicht war das auch nur Illusion, vielleicht waren ja Rhodgar und sie im Labor mit irgend etwas in Berührung gekommen, was ihnen dieses Hirngespinst vorgaukelte.
Das Ding war schön, ohne Frage. Ein prächtiges … Schiff eben mit Masten und Segeln, die in der Sonne leuchteten. Ein geschwungener Rumpf, der Kiel darunter, das Ruder am Heck, sogar ein Anker hielt es in seiner jetzigen Position. Alles, was man von einem… Schiff nur erwarten konnte. Aber DAS war definitiv kein Schiff. So wenig, wie ein Brückentroll ein Vogel war. Die Erscheinung brachte ein Summen mit sich, das das Zwerchfell im Bauch mit vibrieren ließ, einem rollenden Donner nicht unähnlich, wie er sich aus weiter Ferne anhört. Aber dieses Grollen steigerte sich nicht und viel auch nicht wieder ab. Es war einfach da.
An der Reling lehnte Estragon – oder schien dort zu lehnen, denn noch hatte keiner bewiesen, dass das, was sie dort sah, auch Realität war – und blickte zu ihnen hinunter. Seiner Mine war nichts abzulesen, so wie immer also, seine Augengläser waren blau wie der Himmel über ihm. Vielleicht war Estragon ein Vogel. Oder ein Vogel ein Brückentroll. Und sie alle verrückt.
Geändert von Renata (22.06.2004 um 03:34 Uhr)
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Da standen sie. Standen und glotzten. Hielten sich selbst wahrscheinlich für toll oder berauscht oder der gleichen. Estragon wartete eine abgezählte Sekunde, während seine leuchtend blauen Brillengläser die abstruse Szene widerspiegelten
Erlösen wir sie…
Er warf lässig das Seil über die Reling. Rhodgar bekam es ab, blinzelte nicht einmal. Nun, Estragon würde ihn schon zu wecken wissen.
„Kann es sein, das der Gehängte eure dummen Schafgesichter ähnlich amüsant fand?“ Estragon lächelte ohne Zähne zu zeigen. Ein verkrüppelter Ausdruck ohne Humor.
Das brachte die gelähmte Stimmung auf eine, zugegebene sehr rüde Art und Weise zum kippen. Die drei zucken Gleichzeit zurück, als habe man ihnen einen Hieb versetzt. Der Gehängte war immer noch so eine Sache, über die sie nicht gerne sprachen.
„Kommt rauf.“ sagte Estragon knapp. Ein junger Bursche mit eine gewaltigen Hut war der erste. Hilias hatte ihn unter dem Namen Seraphin gekannt.
Dann folgten Rhodgar und Renata.
Alle standen sie einen kurzen Augenblick wie verlorene Kinder im Zauberland, wo Monster in den Schatten lauern könnten. Dennoch schien die Erwähnung des Gehängten ihrer Euphorie keinen Abbruch getan zu haben.
„Eure Sachen legt einstweilen dort hin.“ Estragon deute auf dem Mast in der Mitte des kleinen Decks.
Alle sahen sie wie in Trance auf die angewiesene Stelle. Estragon nickte und wollte wieder ans Steuer. Für seinen Geschmack war schon genug Zeit verloren gegangen.
Doch Rhodgar hielt ihn zurück. Natürlich Rhodgar. Denn er hatte immer Fragen. Immer wollte er alles wissen. Alles kennen.
„Estragon…was…“ Der hohe Schwarzmagier deutete um sich und wusste nicht weiter. „Was ist das hier?“ fragte er schließlich.
„Ein Schiff.“ sagte Estragon, als läge das auf der Hand. Damit ließ er die anderen wortlos zurück und stellte sich hinter das Steuer.
Die drei Magier sahen sich etwas verwirrt und ratlos an.
Estragons Brille war jetzt leicht rötlich gefärbt. Ein sicheres Zeichen, das die Erregung nun auch ihn befallen hatte. Doch war sie nicht so farbenfroh und ausgelassen wie die seiner neuen Gefährten. Bringen wir das hier zu Ende…zu jedwedem auch immer…
„Festhalten.“ sagte er und riss den Hebel zu sich. Das Schiff wurde wie von einem Gummiband gelöst und feuerte in die Höhe.
Dann strafften sich die Segel und es ging los. Nach Laiér. Zurück zur Hochstadt.
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Der Schub hatte Rhodgar mit sich gerissen, als hätten tausend unsichtbare Arme gleichzeitig an ihm gezogen. Stöhnend klammerte er sich an der Reling fest, während er und auch die anderen immer weiter auf den Boden gedrückt wurden.
Nur Estragon stand, wie er nach einem fragenden, beinahe schon empörten Blick festgestellt hatte, wie ein Fels in einer peitschenden Brandung hinter dem Steuer. Es war unmöglich zu erkennen was sich hinter seinen Augengläsern abspielte. Schon komisch. Gerade jetzt, in diesem ungünstigsten aller ungünstigen Zeitpunkte, an eine Art Geländer geklammert, durchfuhren Rhodgar Fragen über Fragen. Wozu brauchte Estragon diese Dinger überhaupt? Und warum wechselten sie ständig die Farben? Mussten auf alle Fälle ein immens mächtiges magisches Artefakt sein.
Rhodgar versuchte noch kläglich einen Zusammenhang herzustellen zwischen Magie und Gläsern, dann aber stoppte das Schiff(er konnte sich mit dem Gedanken noch immer nich anfreunden. Was ein ordentliches, rechtschaffendes Schiff war das gehörte auf die See, zwischen die Gischt und die Spree. Ein echtes Schiff durchschnitt mit seinem Bug die Wellen wie ein Messer zimmerwarme Butter, aber es flog doch verdammt nochmal nicht durch die Luft. Wenn das jedes Schiff so machen würde, was wäre denn dann?) abruppt, und dementsprechend heftig riss es den hohen Schwarzmagier darauf in die Lüfte.
Zustände waren das! Erst wurde man auf die Planken gedrückt, und dann von ihnen weggestoßen. Wenn die Götter gewollt hätten, dass die Menschen eines Tages fliegen würden, dann hätten sie ihnen Flügel anstatt Arme wachsen lassen, so sah es nämlich aus. Aber obwohl, andererseits, einen Knochenarm hatte Rhodgar ja bereits, da lag die Vermutung doch gar nicht mal so fern, dass es im Sinne des Dreigestirns war, die Menschen durch die Lüfte zu schicken.
Wie deutlich wird, Rhodgar hatte ziemliche Flugangst. Ihm behagte der Gedanke nicht, einen falschen Schritt zu tun, der dann auf ewig der letzte gewesen sein konnte. Aber einfach abspringen konnte er jetzt auch nicht mehr.
Nun gab es kein Zurück mehr, die Wahl war getroffen, die Würfel gefallen. Eine weitere Runde des Narren´s Spiel war angepfiffen worden.
"Sagt, Estragon, wohin wird uns dieses Ding genau bringen? Was wird uns erwarten? Ihr habt mir einiges unter der Esche erzählt, doch es ist als wären meine Erinnerungen durchlöchert und ausgelaufen. Warum machen wir das eigentlich alles?"
Dabei sah er mit vor Schreck geweiteten Augen hinunter auf den Boden. Da, ganz klein, da war die Spitze des Kastelltums noch sichtbar. Es sah alles so winzig aus.
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Immer noch taumelig von dem, was sie da gesehen hatte, stand Renata an Deck, oder dem, was bei einem normalen Schiff das Deck gewesen wäre. Ihr wurde nicht viel Zeit gegeben um sich wieder zu fangen.
Dem Steuermann, den, den sie als Estragon kannte, schien es ein fast schon grimmiges Vergnügen zu bereiten, seine drei Gefährten nicht zur Besinnung kommen zu lassen. Kaum dass ihre Sinne sich halbwegs wieder zurecht fanden, in dem sie ein schwebendes Schiff als gegeben akzeptierten, schleuderte er selbiges Schiff wie von einem Katapult geschossen zurück in das Element, für das dieser Segler gebaut worden war: in die Luft, in die Wolken. Steil war der Aufstieg, an aufrechtes Stehen auf dem jetzt schiefen Deck war nicht mal zu denken. Die auf die Aufforderung von Estragon am mittleren Mast abgelegten Bündel folgten der Schwerkraft und schlidderten über die Bohlen, bis sie am Heck von der Kajütentür unter dem Platz des Steuermannes gebremst wurden. Nur weil sie sich an die Reling festklammerten, folgten die drei Flugschiff-Neulinge ihren Reisebündel nicht rutschend zum Heck. Aus dieser Position bot sich der Magierin ein geradezu gespenstischer Blick. Im Heck das Steuerrad, dahinter Estragon, den Blick in Richtung Bug, hinter ihm die Latten und Sprossen einer Reling, dahinter dann – nichts, nur noch Luft. Und ein Kastell, dessen Innenhof sie zwar aus einer ungewohnten Perspektive betrachten konnte, das aber allzu schnell kleiner wurde.
Zunächst waren es nur dünne weiße Rauchfahnen, die sich vor die dunkle Festung da unten schoben, sie wurden aber schnell dichter und verschleierten nach und nach den Blick auf die Heimstatt der Schwarzmager, die jetzt nur noch als winziges Gebäude spielzeuggleich hinter dem Heck des fliegenden Schiffes lag. Dann war nur noch Weiß um sie herum, Wolkenschwaden überzogen das Deck wie dichter Nebel. Sie stiegen immer noch. Stiegen, bis die Schleier über ihnen lichter wurden und den Blick auf den dahinter liegenden blauen Himmel zuließen. Erst nachdem sie die Wolkendecke vollständig durchflogen hatten, richtete ihr Steuermann den Segler wieder auf, bis auch das Deck wieder eben und wagerecht war. Wie unter Schock hielt die Magierin immer noch die Reling umklammert. Dieses Schiff hier mochte vielleicht nicht schaukeln oder wippen wie seine Schwestern in den Meeren dieser Welt – trotzdem fühlte sich Renata so Seekrank, als würden sie harte Wellen und nicht duftige Wolken durchfahren.
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Estragon hebelte das Steuerrad ein, als er den rechten Kurs eingeschlagen hatte. Ein dicker Holzblock, den er einfach aus dem Ständer des Rades ziehen konnte, dieser dann in die Speichen griff und so eine Kursänderung von selbst ausschloss.
Estragon rückte seine Brille zurecht, strich das Haar glatt nach hinten und knotete es mit kräftigen Zügen zusammen.
„Gut.“ sagte er und schritt die drei Stufen auf das Deck zurück. Ohne die fragenden und leicht grünen Gesichter seiner Gefährten zu beachten, öffnete er die Tür zur Kajüte und stieg in den Laderaum hinab. Er wandte sich dem Heck zu und durchschritt die Pforte zur Schwebekammer. Die Metallkugel an der Decke gab ein leises Summen von sich. In dieser 2 mal 2 großen Kugel waren die magischen Steine eingeschlossen. Von oben, direkt vor dem Steuerrad, konnte man die Kugel durch eine Luke öffnen und so an die Steine gelangen. Hier unten sah man jetzt den äußeren Mantel der holen Kugel. Zwei Griffe erwuchsen an beiden Seiten aus dem Metall.
Wie sollte man nun diese Dinger aufladen können?
„Estragon?“ Zaghaft von oben. So zaghaft, das er nicht erkennen konnte, ob Renata oder einer der Männer gerufen hatte.
Er kümmerte ihn auch nicht. Er musste nachdenken. Die Reise würde noch ein wenig dauern, obwohl es dieses Mal wohl schneller gehen würde. Zwei, vielleicht drei Tage.
„Estragon? Was machst du da unten?“ Er hörte das Poltern von Füßen, die unsicher die Treppe abstiegen. Er verdrehte die Augen und massierte sich das Nasenbein. Die Kopfschmerzen kamen wieder, doch diesmal schienen sie die ganz natürliche körperliche Abneigung gegen das Sonnenlicht zu sein.
„Estragon?“ Renata. Sie lugte vorsichtig in die kleine Kammer.
„Was machst du hier?“ fragte sie.
„Nachdenken.“ sagte der Magier resignierend. „Aber dem ist ja jetzt wohl ein Ende gesetzt. Ich habe ein paar Hängematten gefunden. Da vorne.“
Er deute durch den leeren Laderaum, der sich bis zum Bug erstreckte. Dort lagen Taue, Leinen und Ölzug, ein paar Enterhacken. Und ein Bündel Hängematten.
„Ich denke, ihr könnt euch hier unten einrichten. Wir brauchen zwei tage oder weniger bis zur Hochstadt. Ruht alle euch aus. Ich erzähle euch, was ich weiß. Morgen.“
Renata schaute verdutzt drein. Der Magier drängte sich sacht, aber bestimmt an ihr vorbei, durch die enge Luke.
Wieder an Deck, sah er Seraphin am Mast mit geschlossenen Augen lehnen. Rhodgar hielt sich verkrampft an der Kajütenaußenwand fest.
Der Schwarzmagier betrachtete sie mit kaltblauen Brillengläsern. Dann ging er vor zum Bug, setzte sich dort hin und stopfte in aller Ruhe seine Pfeife. Diese Momente des Friedens waren kostbar. Was Kostbar und selten ist, geht allzu schnell verloren. Drum musste man sie nutzen und auskosten, so gut es eben ging.
Die Sonne war hier, über den Wolken, noch ein rötlicher Schein im Westen. Im Osten ragte bereits die Dunkelheit der Nacht über alles hinweg. Das flauschige Weiß des Wolkennebels zog unter ihnen dahin, riss manchmal auf und entblößte die winzigen Gehöfte, Häuser und Bauten des khorinischen Volksgeschlecht.
Estragon betrachte diese Formation wie ein Forsch ein neuartiges, auf schrecklich aufregende Weise abstoßendes Korallenriff. Eine Plage, über Jahrhunderte gewachsen. Unaufhaltsam. Kein noch so harter Winter, keine noch so heiße Dürre, nicht die Pocken, nicht die Pest. Ja nicht einmal die Mächte des Bösen und der Vernichtung hatten dieses hässliche Geschöpf, das sich Menschheit nannte, tilgen können. Und so fraß sich dieser riesige Organismus aus unzähligen Individuen weiter durch den Kosmos, den sie Realität nannten.
Estragon wurde übel. Aber anderes als seinen Gefährten. Aus anderen Gründen. Schritte nährten sich von hinten.
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Als sich das donnernde Nach-oben-Stürmen gelegt hatte, und der Kahn in einer einigermaßen geraden und aufrechten Position durch das faszinierende Wolkenreich schwebte, hatte auch Rhodgar nach und nach seine Fassung wieder erlangt. Er testete zwar noch einige Male, ob er denn auch wirklich bei vollem Beuwsstsein und voller Handlungsfähigkeit war. Sofort schossen dem hohen Schwarzmagier dann die Fragen durch den Kopf, doch dieses Mal beschloss er aber, es dabei zu belassen, dass er sich nun einmal in einer Wunderwelt befand, und er nicht für jede Sache, so unglaublich und unvorstellbar sie auch sein mochte, eine Erklärung brauchte. Manchmal war es eben doch besser, einfach stillschweigend hinzunehmen, anstatt den Kern weiter zu hinterfragen. Besser und sicherer.
Da er nun wieder einigermaßen in der Lage war, Schritte zu tun, näherte Rhodgar sich Estragon, und setzte sich neben ihn. Ganz egal, ob dieses humanitäre Mysterium es wollte oder nicht, darauf nahm er keine Rücksicht. Es war, Rhodgars eigener Einschätzung nach, schon ein feiner Zug gewesen, sich die Fragen und Löcherung zu verkneifen, sie unter die herrschende Hand der Zurückhaltung zu stellen. Da konnte er es sich jetzt auch erlauben, sich neben dem Schwarzmagier nieder zu lassen.
"Schon seltsam. Seht euch das an. Dort vorne kämpfen die letzten Sonnenstrahlen noch darum, uns ihr Licht schenken zu können, und hier herrscht bereits die Finsternis. Mit dem bloßen Auge erscheint die Entfernung winzig, nicht mehr als ein Fingerschnipp. Und doch sind diese beiden Orte soweit auseinander gelegen. Unser Auge täuscht uns."
Rhodgar legte eine kurze Pause ein. Das Panoroma wirkte nochmals auf ihn ein. War aber auch wirklich unglaublich faszinierend, wenn man bedachte wieviel tausende und abertausende Meter zwischen diesen beiden Gegensätzen liegen mussten. Und doch konnte man sie mit dem bloßen Auge erfassen.
"Ich denke, meine Augen werden im Bezug auf euch ebenfalls getäuscht. Sie sehen einen, verzeiht meine Ehrlichkeit, komplett verrückten Kerl, der mit einem fliegenden Schiff das Wolkenreich durchsegelt. Das ist alles genauso irreal wie der Fingerschnipp zwischen Sonne und Nacht."
Noch einmal schwieg Rhodgar für kurze Zeit. Dann aber redete er weiter.
"Ich sehe etwas fast schon Unwirkliches. Und was fühle ich? Werde ich euch sagen. Ich fühle, dass sich hinter dieser Illusion der Unnahbarkeit mehr verbirgt. Genauso wie es mehr hinter dem Horizont zu entdecken gibt, als man auf den ersten Blick sehen kann. Warum verbergt ihr das alles vor euren Mitmenschen... vor euren Freunden?"
Rhodgar hatte ein wenig gezögert, bis er Letzteres ausgesprochen hatte. Schon beim Gespräch unter der Esche hatte er Estragon als sehr verschlossen kennengelernt, und schnell gemerkt, dass er es mit Freundschaft nicht so wirklich hatte. Aber hier konnte er die Frage nach dem "Warum" einfach nicht unterdrücken.
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Estragons Brille bekam einen seidigen Glanz von hellem Blau. „Wir alle verbergen das, was wir selbst nicht verstehen können. Ich bin vielleicht nicht das, was du von mir denkst. Vielleicht bin ich einfach nicht der Freund, den du suchst. Was gibt es zwischen uns…nur die Erinnerungen, die wir teilen. Ein Leben, das verflogen ist, wie Staub in der Luft.“
Rhodgar sah enttäuscht auf seine Schuhe.
Estragon konnte dem jungen Mann nicht helfen. Nicht dabei. Und doch überkam ihn auf einmal das Bedürfnis, wenigstens etwas Trost zu spenden. „Aber freu dich, Rhodgar. Wir Duzen uns immer hin schon. Ich hab’s dir auf dem Innenhof ja angeboten.“ Er klopfte Rhodgar auf die Schulter. Dieser lächelte schwach. Es war nicht, das was er hatte hören wollen. Natürlich war es das nicht. Doch Estragon verstand noch nicht einmal die Hälfte von allem. Und was er schon begriffen hatte, machte ihm furchtbare Angst. Angst, nur eine weitere Figur in irgendeinem Spiel zu seinen. Vielleicht nur eine Nebenrolle in irgendeinem blöden Gossenstück, das die Götter zu ihrer Belustigung aufführten.
„Lass uns abwarten, was geschieht. Einfach abwarten.“ Dann wurde sein Tonfall wieder kühl, fast geschäftlich.
„Und jetzt hör auf mit dem Geheule. Das steht einem hohen Schwarzmagier des ZuX nicht allzu schicklich an.“
Die beiden Männer drehten sich um, als sich sanfte Schritte nährten. „Seraphin hat sich schlafen gelegt oder er versucht es zumindest.“ sagte Renata und setzte sich dazu, ließ die Beine baumeln und schien nach Worten zu suchen.
Estragon stopfte sich seine Pfeife neu und wartete gelassen mit grünen Augengläsern ab.
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Es hatte muffig nach Staub, alten Säcken und Alter gerochen, da unten im Laderaum. Viel war es nicht, was dort gelagert wurde. Durch die Ritzen zwischen den Deckbohlen hatte Sonne lange und sehr schräge Streifen Licht, in denen Staubflöckchen tanzten, herunter geschickt, Schritte kreuzten das Deck und am kurzzeitigen Verlöschen der Lichtstreifen im Laderaum hatte sie die Richtung erkennen können, in die der da oben sich bewegte. Die Bohlen des Deck waren dicht über ihrem Kopf entlang gelaufen und erzeugten trotz der Länge des Schiffes in der an die hohen Räume des Kastells gewohnten Magierin ein Gefühl der Beklemmung, so dass sie froh war, wieder auf dem Deck zu sein und den Himmel über sich zu haben.
Ein bisschen wehmütig registrierte sie, dass auch Estragon bei jeder sich bietenden Gelegenheit eine brennende Pfeife in der Hand hielt. „Jetzt, wo geklärt ist, wo wir schlafen werden, bleibt uns wohl wirklich nichts anderes als abzuwarten. Zwei Tage, wie Du sagtest, es sei denn, unser Kapitän hat Aufgaben für seine kleine Manschaft“ Die Sonne schickte sich an, unter der Wolkendecke zu verschwinden. Unter ihren Füßen glaubte die Magierin immer noch das Summen zu vernehmen, das sie im Laderaum gehört und bei Estragons Ankunft mit dem Schiff noch viel deutlicher wahrgenommen hatte. Aber hier, fern der Erde, war es weniger hart und dennoch deutlich als Vibration zu spüren. Dann sah Renata, dass Estragon das Steuerrad verkeilt hatte. „Womit navigierst Du oder weiß dieses Schiff alleine, wohin es fliegen muss?
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Seraphins Körper hatte nach den Strapazen seiner Ausbildung und der nur höchstens einen Tag zurückliegenden Stabkampfprüfung endgültig aufgegeben. Auch Estragons einzigartiger Flugstil hatte nicht gerade zu seiner Beruhigung beigetragen. Obwohl Seraphin zugeben musste das er es nach einer gewissen Zeit der Eingewöhnung sogar langsam begann zu genießen. Jetzt allerdings lag der Stabkämpfer zwischen ein paar alten Leinensäcken und hatte es sich gemütlich gemacht. Seine Augen waren geschlossen und von dem alten, schwarzen Hut überdeckt. Hier unten im Lagerraum herrschte eine wundervolle Ruhe und zwischen dem ganzen alten Gerümpel fühlte Seraphin sich seltsam wohl. Es war interessant und entspannend zu gleich gewesen, seinen Blick durch die teils vertrauten, teils fremden Dinge wandern zu lassen und immer wieder Neues zu entdecken. Doch all diese Sachen waren von einer dicken Staubschicht überzogen und mussten ihre besten Tage schon lange hinter sich gelassen haben. Nach einiger Zeit waren ihm dann die Lieder zu gefallen und sein Atem immer leiser und ruhiger geworden. Auch hier unten hörte man dieses stetige Summen welches auf dem ganzen Schiff allgegenwärtig zu sein schien, doch hatte es eine fast beruhigende Wirkung auf Seraphin und er schwankte in einem seltsam Zustand von Halbschlaf und nachdenklichem Grübeln. Wo war er da jetzt bloß wieder hineingeraten? Fliegende Schiffe und böse Mächte… das ergänzte sich gut aber ließ auf Großes schließen.
Und dieser Estragon.. Seraphin hatte ihn schwer einschätzen können doch trotzdem waren ihm sofort eine Menge Sachen aufgefallen die ihn irgendwie an Hilias erinnerten, jedenfalls den Hilias, den er zu Anfang zu Gesicht bekommen hatte. Estragon redete ebenfalls nicht viel und wirkte verschlossen, genau so wie es der Waffenknecht zunächst gewesen war. Doch dieser hatte sich schließlich langsam aber sicher gegenüber seinen Freunden geöffnet als er erkannte, dass sie auch wirklich seine Freunde waren. Ob es bei Estragon ähnlich war? Und in welchem Verhältnis stand seine Person zu Hilias Schicksal? Es gab noch so viele Fragen die der Tod des Erwählten Innos offen gelassen hatte, so viele Dinge die unerklärt gelieben waren. War dieser verschlossene Schwarzmagier mit dem ausdruckslosen Gesicht vielleicht die Antwort auf all diese Fragen? Seraphin wusste es nicht, aber er wusste dass Estragon zumindest mit Hilias zu tun hatte, auf irgendeine Art und Weise, auch wenn er ihn so gut wie noch gar nicht kennen gelernt hatte.
Seufzend erhob sich der Stabkämpfer langsam aus seinem kleinen Lager und richtete sich auf. Er würde heute eh keinen Schlaf mehr finden, da konnte er genau so gut versuchen, mehr Dinge über das Ziel dieser Reise in Erfahrung zubringen. Und er war wirklich neugierig. Vielleicht würde er ja diesmal mit Estragon sprechen können und nicht nur eine kalte Antwort, bestehend aus zweieinhalb abspeisenden Worten, erhalten. Vielleicht wären es diesmal ja sogar drei. Grinsend begab der Schwarzmagier sich mit ruhigen Schritten ans Oberdeck.
Die Planken des Luftschiffes, die Masten und die Takelage, Segel und Brücke, alles war in seltsames Zwielicht getaucht. Das mochte daran liegen dass es auf der einen Seite der Welt dunkel zu werden schien während auf der anderen Seite die Sonne einfach nicht untergehen wollte. Und das man am Himmel verfolgen konnte wie beides ineinander überging. Der Anblick war einfach nur fantastisch und Seraphin blieb mit leuchtenden Augen an der Reeling stehen. Alles sah von hier oben so klein aus und die Welt schien sich am Horizont zu krümmen, als wäre sie einfach nicht dafür bestimmt auf diese Weise von eines Menschen Auge erblickt zu werden. Träumend richtete Seraphin sein Gesicht in die untergehende Sonne und der Fahrtwind strich durch seine weißen Haare welche wild hin und her wirbelten. Ganz tief unter sich meinte er das silberne Band eines Flusses auszumachen der sich durch das Grüne Meer des Waldes schlängelte. Es war einfach nicht zu beschreiben.
Nachdem Seraphin sich endlich satt gesehen hatte drehte er sich um und machte Rhodgar, Renata und Estragon auf der Brücke des Schiffes aus. Sie schienen sich zu unterhalten und Seraphin schritt langsam zu ihnen herüber. Estragon saß auf ein paar zusammengerollten Seilen und hatte sich seine Pfeife angezündet – ein Merkmal was Seraphin einen kleinen Stich in die Brust fahren ließ. Erinnerungen an Hilias barsches Gesicht kamen in ihm auf, ein Gesicht hinter dessen Narben und Zeichen sich ein großer Mann und guter Freund befunden hatte. Doch er war gestorben, hatte sein Schicksal gesucht und gefunden. Umso unfairer war es, jetzt wieder an ihn erinnert zu werden. Der Pfeifenrauch stieg in die Nase des Schwarzmagiers und für einen Moment schien er Estragons Gestalt zu verzerren. Serapins Augen weiteten sich hoffnungsvoll als er plötzlich einen roten Vollbart und ein narbiges Gesicht zu erkennen glaubte, dessen Züge sich zu einem schroffen Lächeln verzogen und ihn freundschaftlich ansahen – um dann wieder zu verschwinden und Estragons kalten, ausdruckslosen Augengläsern Platz zu machen.
Einen Moment ärgerte Seraphin sich über sich selber, wie konnte er nur so naiv sein. Doch es war einfach nicht zu ändern, gute Freunde hinterließen Spuren. So war das eben. Und es war gut so.
Schließlich stoppte Seraphin und stellte sich neben Renata während er abwesend ihre letzten Worte vernahm.
„…wohin es fliegen muss?“
Seraphin seufzte leise.
Hilias… sei meinem Meister nicht böse. Auch er ist nicht unfehlbar… selbst er ist es nicht…
Die Sonne schickte ihre Blutroten strahlen und in der Dämmerung zeigten sich bereits die ersten Sterne am Himmel. Einer schien besonders hell zu leuchten während Seraphin plötzlich eine Stimme in seinem Geist zu hören glaubte.
…niemand ist unfehlbar…
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„Immer der Sonne nach. Das weiß ich.“ antworte Estragon auf Renatas Frage und nahm den Neuankömmling genauer unter die Lupe. Der warf einen kurzen, aber schmerzlichen Blick auf die Pfeife des Schwarzmagiers und schaute dann betroffen zu Boden. Estragon zuckte innerlich die Schultern.
„Also ich werde euch erzählen was ich weiß. Wir gehen an einen Ort der sich Laiér nennt. Dort gibt es Schiffe wie dieses hier. Wenn wir dort sind, muss ich etwas überprüfen. Wenn ich falsch liege, werden wir noch eine kleine Schuld abarbeiten, die ich bei den Mächtigen dort habe. Magische Steine wieder aufladen. Kein große Sache. Wenn ich aber richtig liege…“
Estragon starrte zu Boden. Scheine Brillengläser waren feurige Vernichtung auf Glas gebannt.
„Betet einfach das ich mich irre…sonst steht uns allen Krieg ins Haus. Dort, in Laiér ist eine boshafte Macht angesiedelt. Rhodgar habe ich davon berichtet.“ Der hohe Schwarzmagier nickte.
„Diese Macht hat mich ausdrücklich vor dem Wiederkehren gewarnt. Hat mir…Kopfschmerzen gesandt und…einen Aufpasser, den selbst die Kastellmauern nicht aufhalten konnten.“
Die drei Gefährten zuckten ungläubig zurück. „Nein. Das glaube ich nicht. Nichts kann dies Macht besitzen.“ hörte Estragon es von Rhodgar.
Er erwiderte einen gelassenen Blick. „Nennst du mich lügner?“ Rhodgar wollte sofort die Kopf schütteln, doch die Dame des Kastells schaltete sich ein.
„Ihr seid in der Halle zusammen gebrochen…die Dämonen. Sie waren nicht zu eurem Schutz da…“ sagte Renata wie im Traum. Entsetztes Begreifen trat in ihr Antlitz.
„Sondern zum Schutz des Kastells vor mir…oder besser, dem was ich mitführen könnte.“ schloss Estragon lächelnd. „Aber wie dem auch sei. Die Dämonen verschonten mich und ich trag immer noch beides, die Schmerzen und den Wächter mit mir.“
Er klopfte seine Pfeife aus.
„In Laiér werde ich Antworten erhalten.“
„Zu welchem Preis?“ fragte Seraphin und schaltete sich zum ersten Mal ein.
Estragon funkelte ihn mit rötlichen Augengläsern an. „Das wird sich zeigen…“
Geändert von Estragon (23.06.2004 um 03:58 Uhr)
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Mittlerweile hatte die Nacht alles umschlossen, die letzten tapfer streitenden Sonnenstrahlen waren der Dunkelheit gewichen, und dadurch hatte nun auch das bizarre Lichtspiel an Deck ein Ende gefunden. Unter dem Schutz des Firmamentes, an dem tausende Sterne wie kleine Glitzerpunkte aufgehängt waren, segelte der Kahn fast lautlos, ja schon idyllisch durch die matten Grau- und Schwarztöne, die gerade noch als Wolken einstufbar waren.
Rhodgar hatte den Erzählungen von Estragon aufs Neue gebannt gelauscht. Es war immer wieder zu fantastisch, diese Geschichten auf sich wirken zu lassen.
Und wäre der hohe Schwarzmagier in der Vergangenheit nicht mit Dingen konfrontiert worden, die jenseits allem realen Denken gelegen hatten, so hätte er nicht die Hälfte von dem geglaubt, was Estragon von sich gab.
Es war eine Welt sondergleichen, in der die vier ihr Dasein fristeten, so sah Rhodgar das zumindest. Jeden Tag wurde man aufs Neue daran erinnert, dass man nie genug sehen konnte. Jede Erfahrung, so unscheinbar und nichtig sie auch immer sein mochte, war ein Puzzlestück des Rätsels, was sich dann wohl Leben nannte.
Und zum Leben gehörte auch das Bewusstsein des Momentes.
Und was war dieser Moment für Rhodgar? Er sah in Estragons Augen, oder besser gesagt, versuchte es. Denn seine Blicke wurden von der Brille abgehalten. Wenn er es recht bedachte... hatte er eigentlich schon je zuvor die Augen des Schwarzmagiers gesehen?
Sie konnten doch soviel über eine Person aussagen. Sie waren quasi die Wiederspiegelung all deren Dinge, die im Inneren des Menschens ihren Platz hatten. Bei dem einen strahlten sie Wärme und Geborgenheit aus, beim anderen wiederrum Eiseskälte und Desinteresse.
"Was wir auch immer zu bezahlen haben werden, das werden wir aufbringen. Was immer verlangt wird, wir werden es tun. Das schwöre ich euch, bei meiner Seele."
Bei solchen Worten war es in der Norm der Fall, dass Rhodgar seinem Gegenüber tief in die Augen sah. Einfach nur, um sie zu erforschen. Um verstehen zu lernen, was sie in diesen Momenten auszudrücken versuchten. An ihnen konnte man einen Menschen einschätzen lernen. Einschätzen, wohlgemerkt, aber nicht berechnen. Beides aber war bei Estragon sowieso unmöglich. Rhodgar schaute nur auf rote Glasflächen, in denen er sein Selbst gespiegelt sah.
Geändert von Rhodgar (23.06.2004 um 04:38 Uhr)
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Das was Estragon ihnen erzählte, hatte sie in groben Zügen schon von Rhodgar erfahren. „Deine Erklärungen sind knapp, aber ich hatte nichts anderes von Dir erwartet.“ Renata lächelte in Estragons Richtung, wohl wissend, dass es ihm nichts bedeutete. Es war auch eher für sie selbst als für ihn bestimmt, erinnerte sie diese Knappheit an eine ganz andere und doch ganz ähnliche Situation. „Knapp und sie gebären viele viele neue Fragen,“ die Farbe von Estragons Augengeläser wechselte zu hellgelb „die ich aber jetzt nicht stellen will, keine Sorge“ worauf das Gelb wieder zu hellrot wurde. „Dieses Wunderschiff bringt mich noch viel zu sehr zum Staunen, als dass ich von noch mehr oder noch größeren Wundern hören wollte.
Diese Macht, von der Du sprachst, macht mir Angst. Wenn sie in der Lage ist, ins Kastell einzudringen – auf welchem Wege auch immer – und die Dämonen alamiert genug waren, um das Kastell vor dieser Macht schützen zu wollen, muss dieses Etwas sehr mächtig und gefährlich sein. Aber lasst uns aufhören davon. Wir werden noch eine Zeitlang unterwegs sein und Dich wahrscheinlich noch zwei lange Tage lang mit Fragen löchern können“ Eine Aussicht, die ihrem Kapitän vielleicht zusätzliche Kopfschmerzen bereitete, er schwieg und paffte vor sich hin, die Augengläser blieben im Schatten. „Seht Euch lieber mal diesen Himmel an, ganz anders als von der Erde aus. Die Sterne sind viel deutlicher, klarer und heller. Und seht mal, eine Sternschnuppe“. Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und sah dem rasenden Lichtpunkt hinterher, der den samtschwarzen Himmel kreuzte. Sie fuhren auf ein gefährliches Abenteuer zu, im Moment wollte sie nicht daran denken und sich an den Wundern dieser ersten Etappe erfreuen, mit den anderen zusammensitzen wie sie es Kastell auch tun würden. Aber Estragons Worte spukten ihr immer noch im Kopf herum „Stellt Euch das mal vor, man hätte eine ganze Flotte von fliegenden Schiffen wie dieses, sie würden den Himmel bevölkern wie die Vögel, man könnte mit ihnen überall hin reisen, ohne vor Meeren oder Gebirgen halt machen zu müssen. Einfach unglauglich.“
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