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Lehrling
Trollkjerring - Die Hexe und der Wolf
Jahre hatte sie gewartet, Monat um Monat der Spannung war vergangen und sie konnte kaum glauben, dass es endlich begonnen hatte. Der Stein war ins Rollen gebracht. Nun musste er den Abhang hinunter getrieben werden und eine Felslawine mit sich reißen. Auch dafür würde sie sorge tragen. Sollte er tatsächlich gedacht haben, ihre Rache sei vollendet, so sorglos er sich in letzter Zeit durch die Welt bewegt hatte? Nie sollte er Zufriedenheit empfangen, das Wort ’Glück’ verstehen lernen. Es wäre reine Verschwendung, er hatte es nicht verdient. Sie hatte ihn beobachtet, Tag um Tag, Nacht um Nacht, und er hatte es nicht bemerkt. Sie musste ihm zeigen, welche Macht sie über ihn hatte, welche Macht sie über jeden hatte, der in seiner Nähe war. Ein freudiges Grinsen umspielte die Mundwinkel ihrer vollen, roten Lippen. Gleichwohl sie wusste, dass ihr Plan die ein oder andere Lücke aufwies, konnte sie sich dem Gefühl nicht erwehren, bereits jetzt gewonnen zu haben. Sie wollte ihn zerstören, das Geflecht seines Lebens durcheinander bringen, wie ihre Vorfahrin es gewünscht hatte. Ein Wunsch, der von Generation zu Generation weitergetragen wurde, bis der Moment gekommen war zu handeln.
Duria ließ sich auf den Holzstuhl vor einer großen steinernen Platte sinken, auf welcher ein schöner junger Körper lag. Die schlanken Finger der Hexe strichen über das lange, braunrote Haar der Schlafenden, hinab zur Stirn, über den Nasenrücken, die blassen Lippen. Fahle Haut und totes Fleisch. Und dennoch waren die Haare gewachsen. Duria hatte es bemerkt, bedachte die Tote mit großer Aufmerksamkeit, doch auch sie konnte sich diesen Vorgang nicht erklären. Hatte das Mädchen derart am Leben gehangen, dass ihr Körper selbst jetzt nicht einsehen wollte, dass er tot war? Die Zauberkundige hätte den Grund nur zu gerne erfahren, doch wusste sie, dass er ihr wohl auf ewig verschlossen bleiben würde. Seine Haare waren nicht gewachsen, er hatte sich in all den Jahren nicht verändert. Natürlich, den Tod hatte man an ihm sehen können, es war nicht leicht gewesen, seinen Körper so lange zu erhalten. Zwei Jahrtausende waren vergangen, eine verdammt lange Zeit, und Duria konnte sich nicht vorstellen, sich jemals wieder einer Sache so verbunden zu fühlen. Seit sie denken konnte hatte ihre Mutter ihr eingeschärft, den Mann im Sumpf nicht verwesen zu lassen, sie hatte viel Zeit für ihn geopfert. Und manchmal hatte sie seine Leiche an die Oberfläche kommen lassen, nur um bei ihm zu sitzen und ihn zu betrachten.
„Sein Haar ist früher von einem reinen Weiß gewesen“, das sind Mutters Worte gewesen, erinnerte sich Duria, „doch der Sumpf hat seinen Schandtaten erkannt und sie dem Ebenbild seiner Seele geschwärzt.“ Die alte Hexe hatte ihrer Tochter alles mitgegeben, was sie gewusst hatte, und war eines Tages einfach gestorben, hatte morgens in ihrem Bett gelegen, ein kalter Körper, der das Leben in einem Atemzug ausgehaucht hatte. Aber Duria hatte nicht geweint, denn eine Aufgabe war ihr übertragen worden, von der sie gewusst hatte, dass sie ihr und nur ihr allein zustand. Und nach dieser langen Zeit, in der sie sich um ihn gekümmert hatte, hatten überlieferter Hass und Abscheu ein Gefühl von Vertrautheit und Liebe in ihr geweckt. Es war merkwürdig gewesen, den Körper des Mannes nicht mehr schlafend im Sumpf zu wissen. Er war es gewesen, der sie auf Gorthar gehalten hatte, und als er verschwunden war, hatte sie weder ein noch aus gewusst. Doch eines hatte sie sich immer vor Augen gehalten: Er musste vernichtet werden. Ihrer Großmutter, ihrer Mutter und sich selbst zuliebe. Und damit würde dieses Hexengeschlecht dem Ende zugehen, einem Ende, welches sie selbst in Gang gesetzt hatte.
Duria dachte viel darüber nach, was wohl aus ihrer Zukunft werden würde. Am Liebsten hätte sie die Seele des Mannes zurück ins Jenseits geschickt, nur damit alles beim Alten war, der Gewohnheit und ihrem persönlichen Frieden halber. Was war, wenn der Mann, den sie hasste und gleichsam so sehr liebte, nicht mehr existierte? Wenn sie ihn auf denkbar grausame Weise zerstört hatte, seinen Leib und seine Seele? Was blieb ihr dann? Die kleine Stimme, die sich in ihren Kopf schlich, flüsterte ihr eine Wahrheit zu, die sie nicht hören wollte: Dann bleibt dir nichts.
Haar von braunem Ebenholz, feingliedriger Körper, Augen so blau wie die Farbe des Himmels – Duria hatte schon immer einen Sinn für materielle Schönheit besessen. Sie umgab sich gerne mit schönen Dingen, konnte Hässlichkeit nicht ertragen. Vielleicht, weil es sie zu sehr an das erinnerte, was unter der Oberfläche ihrer Anmut lauerte? Sofort, als der Gedanke in ihrem Gehirn Gestalt anzunehmen trachtete, verwarf sie ihn wieder. Sie dachte einfach zu viel nach, und dafür war nun weiß Gott keine Zeit.
In feine Kleider gehüllt verließ sie Höhle, die eisige Kälte dieser Jahreszeit schlug ihr entgegen. Nur von dem grauen Himmel und dem Gesang der Vögel begleitet, machte sie sich auf den Weg, und die Bäume schienen miteinander zu flüstern, während sie zwischen ihnen entlang schritt. Und als jegliche Geräusche erstarben, nur noch das Pfeifen des Windes einen vernehmlichen Laut darstellte, wusste die Hexe bereits, was dort hinten, neben einem breiten Baum stehend, auf sie wartete. Ein kleines blondes Mädchen war es, gekleidet in ein blutbespritztes Nachthemd.
Hastigen Schrittes eilte Duria ihm entgegen, und als sie bei ihm angelangt war, kniete sie sich vorsichtig hin, um ihm direkt in die Augen sehen zu können.
„Was tust du hier?“, fragte sie verwundert, „ich hatte dir doch gesagt, du sollst mir nicht nachkommen.“ Das Kind betrachtete sie mit unschuldigen braunen Augen, in denen ein Hauch von Verzweiflung lag. Es wandte den Blick von der Frau ab und betrachtete ihr Nachtgewandt.
„Ich hatte Angst allein...“, flüsterte es mit zittriger Stimme. Angst hin oder her, dachte Duria, dass das Mädchen hergekommen war, war nicht gut. Es hatte hier nichts zu suchen. Trotz dieser Gedanken lächelte die Zauberkundige und nahm das Mädchen in den Arm. Sie sagte: „Geh nun nach Hause und warte auf mich. Es wird nicht lange dauern.“ Als die Umarmung endete, warf das Kind der Frau noch einen kurzen Blick zu, dann ging es mit nackten Füßen den Waldweg entlang. Kopfschüttelnd sah Duria ihm hinterher. Wenn jeder Teil ihres Planes mit für sie unerhofften Wendungen aufwartete, konnte sie ihre Aufgabe gleich ganz vergessen. Und das war ja nicht Sinn und Zweck ihres Hierseins.
Bei den Toren der Stadt angelangt war Duria sich ihrer Rolle wieder sicher: Eine junge lebensfrohe Frau höheren Standes mit naiver Art und etwas merkwürdigem, aber durchaus liebenswürdigem Charakter. Sie erwiderte den knappen Gruß der Stadtwachen und schenkte ihnen eines ihrer schönsten Lächeln. Wenn ich eines kann, dachte sie verbittert, dann anderen Leuten zeigen, was für eine gute Schauspielerin ich doch bin. Auch während sie durch die Stadt wanderte und Ausschau nach einem großen dunkelhaarigen Mann hielt, war sie sich der Person, die sie spielte, sehr wohl bewusst. Nun durfte nichts mehr schief gehen. Und es würde nichts schief gehen, nichts dazwischen kommen, nichts den armen Irren retten können, der scheinbar der Meinung war, Katan einen Freund nennen zu können. Duria hatte Katan lachen sehen, wenn der Dunkelhaarige in seiner Nähe war. Ja, gescherzt und gelacht hatte er – mit welchem Recht? Wie vielen Menschen hatte er einst das Lächeln brutal aus dem Gesicht gewischt? Wie viele Menschen hatten dank seiner um verstorbene Familienangehörige trauern müssen? Hatte er es wirklich verdient, ein gutes Leben zu führen? Er kann doch nicht wirklich der Auffassung sein, sein erneuertes Dasein sei eine mildtätige Gabe irgendeines Gottes, vielleicht sogar ein einzigartiger und mehr als glücklicher Zufall, dachte Duria. Und falls dem so war, würde sie ihm schon bald zeigen, wer hier der wahre Herr über seinen Zufall war, wer in Wirklichkeit die Fäden zog. Ein kaltes Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab. Bald wird er nichts weiter sein als ein räudiges Häufchen Elend, das um Gnade winselt.
Und da sah sie ihn, den Dunkelhaarigen, der sich in die Felle toter Tiere gehüllt hatte. Dass er verletzt war, konnte sie von Weitem sehen, während er versuchte, die Konversation mit einem älteren Mann aufrecht zu erhalten. Als der Schwarzgewandete sie sah, war Duria, als würde er unwillkürlich zusammen zucken. Doch nicht etwa die aufkommende Genervtheit in seinen Augen war es, die die Hexe stutzen ließ. Da war noch etwas. Etwas, das tiefer ging, als sie zu blicken wagte. Er blickte so sorgenerfüllt drein. Aber egal, was ihm auf dem Herzen lag – Duria würde ihm einen Alptraum verschaffen, der um einiges schlimmer war als alles, was er bisher in seinem Leben erlebt hatte.
Die Frau schritt schneller aus, und als sie den Mann erreichte, fiel sie ihm um den Hals.
„Ach Khurad!“, rief sie und presste ein paar Tränen aus den Augenwinkeln, „es ist so schrecklich.“
„Niria...“ Sie wusste, dass er dem Drang wiederstand, sie zu fragen, was ihr so große Sorgen bereitete. Beinahe hätte sie gelacht bei der Erinnerung daran, wie sehr sie ihm in ihrer Person als Niria zugesetzt hatte. Und wenn schon; dann will er es eben nicht wissen – na und? Sagen werde ich es ihm trotzdem. Und – oh, oh, es wird ihm nicht gefallen, oh nein...
„Khurad...“, schluchzte Duria, ließ von dem Mann ab und ergriff seinen Arm, „Katan... er... ich habe ihn gesehen. Er ist gegangen. Also raus aus der Stadt. Ich habe gesehen, wohin er gegangen ist. Er ist verletzt... aber ich... ich wusste nicht... er braucht dich, du musst ihm helfen.“
Geändert von Duria (04.01.2006 um 03:02 Uhr)
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Khurad folgte Niria, die zielstrebig durch die verwinkelten und dunkeln Gassen der unteren Viertel Khorinis’ eilte. Ihre Schritte waren sicher, sie schien sich hier gut auszukennen. Der Jäger ertappte sich dabei, wie er sich fragte, was sie wohl in den letzten Jahren hier gemacht hatte…doch schon bald schweiften seine Gedanken völlig ab, während er sich weniger und weniger auf den Weg selbst konzentrierte. Er fragte sich, ob es nicht doch besser wäre, sich zuerst um Nyrdokil zu kümmern, schließlich konnte man nie wissen, in welche Abenteuer man verstrickt wurde und wie wichtig dabei der Einsatz einer Waffe war. Nyrdokil war zwar noch nicht zerstört, aber immerhin schien sich die Kerbe zu vergrößern…zumindest bildete er sich das ein. Khurad zerbrach sich zum zigsten Mal den Kopf darüber…er hatte in der letzten Woche nichts Neues herausgefunden, außer das Montaron, der Schmied des Einhänders, nicht auffindbar war. Sicher könnte er einen anderen Schmied aufsuchen, aber am liebsten hätte er dies gleich bei dem Hersteller seiner Waffe geregelt und nicht bei irgendeinem Hufschmied oder dergleichen. Nunja, er hatte nun besser zu tun…sein Blick wanderte vor zu seiner „Führerin“. Niria schien echte Eile zu haben. Der ehemalige Sumpfler runzelte die Stirn und folgte ihr weiterhin.
Das Umfeld veränderte sich langsam: Aus dem erdigen Boden wurde mehr und mehr eine richtige Straße mit Pflastersteinen, die Häuser rundherum waren weniger schäbig und auch die Leute, die man jetzt antraf hatten nicht diesen etwas misstrauischen Blick im Gesicht. Langsam näherten sie sich der Hauptstraße in Khorinis und Khurads Gedanken schweiften erneut vom Betrachten des Umfeldes ab. Die Sache mit der Bogen-Lehre machte ihm zu schaffen. Natürlich wusste er, dass er unter keinem Zeitdruck stand, der Waldläufer hatte immerhin nichts diesbezüglich erwähnt, aber was nützte es, wenn man die ganze Sache herauszögerte? Eben gar nichts…aber zuerst war Katan dran, dann würde er sich um den Rest kümmern.
Es dauerte eine Weile, bis sie sich plötzlich wieder auf einem normalen Bürgerweg befanden, der sie an verschiedensten Tavernen vorbei führte. Unter anderem auch an jener, in der er und Katan vorige Woche abgestiegen und auf die verrückte Frau gestoßen waren, der er nun folgte. Sie legte ein ordentliches Tempo an den Tag und Khurad tat sich relativ schwer, mit ihr Schritt zu halten und gleichzeitig durch die Menge zu gelangen, die sich um den Marktplatz befand. Er schrie zu Niria, dass sie doch kurz stehen bleiben solle oder wenigsten langsamer, aber er fand kein Gehör…die Leute rundherum schienen zu viel Laute zu erzeugen, dass sein Geplärre einfach unterging. Sie näherten sich den Stadttoren und ließen ein wildes Durcheinander hinter sich. Manche Bürger warfen Khurad noch ein paar Flüche hinter her, weil er sich hatte durchdrängen müssen.
„Katan, ist also außerhalb der Stadt?“, fragte er Niria und sie blieb kurz stehen um mit einem ziemlich besorgten Unterton zu antworten „Ja, und er ist verletzt. Komm, wir müssen uns beeilen…“
„Verletzt?“, fragte Khurad in ähnlich besorgtem Tonfall. Doch sie war schon aus der Stadt…es schien ernster zu sein. Deswegen beeilte sie sich also, konnte der ehemalige Sumpfler endlich seine Fragen beantworten und sein Misstrauen in Nichts auflösen. Beruhigt war er deswegen jedoch nicht…Katan war verletzt, kein gutes Zeichen.
Khurad atmete tief durch und eilte ihr nach. Sie bog nach links ab und ihr Tempo nahm noch zu. Der Jäger verstand nicht ganz, wie sie das durchhielt…schließlich war er doch gar nicht so schlecht, was Ausdauer betraf. Er schüttelte den Kopf und redete sich ein, dass es sicher an den Verletzungen lag, die er noch nicht ganz hinter sich gebracht hatte. Eine Stadtwache bremste ihn „Hey, warum so in Eile?“
Der ehemalige Sumpfler hatte keine Zeit für solche Spielchen, zwang sich aber ein Lächeln ab und meinte „Sie führt mich zu einem Freund…“, während er auf Niria zeigte, die ihm schon etwas voraus war. Sein Gegenüber grinste ihn an und meinte dann zu seinem Kollegen „Sie will ihn zu einem Freund führen, hast du gehört?“ Der andere prustete darauf los und fügte noch hinzu „So nennt man das also heutzutage.“ Beide lachten dreckig. Khurad meinte nur „Ähm…ja, ich will meinen Freund nicht warten lassen.“, und rannte dann weiter. Er ließ das Paar, die sich nun wohl schmutzige Witze erzählen würde, hinter sich und wurde rascher. Niria wartete ein paar Bäume später auf ihn, doch sobald er in ihre Sichtweite kam, eilte sie erneut los.
Dunkelheit hatte sich schon rund um sie herum ausgebreitete, als sie dem Pfad parallel zu den Stadtmauern nach Norden hin folgten. Der Himmel war klar und man konnte ein paar Sterne sehen, doch schon bald verließ Niria den Weg und die kahlen Bäume in dem Wald, in den sie nun gingen, versperrte die Sicht auf das Himmelszelt großteils. Khurad blickte sich einen Moment lang verwirrt um, als er merkte, dass er sie aus den Augen verloren hatte. Es war viel zu dunkel um etwas zu sehen und verzweifelt hielt er Ausschau nach ihr, bis weit vor ihm auf einmal ein Licht zu sehen war. Eine Stimme meldete sich „Komm schon…“
Es war Niria, die mit einer Fackel vor ihm wartete. Im Gegensatz zu ihm, schnaufte sie nicht, sondern atmete scheinbar geregelt. Wiederum wurde der ehemalige Sumpfler misstrauisch, aber redete sich wieder auf die Verletzung aus. Er folgte dem roten Punkt vor ihm und merkte, wie er sich schneller und schneller vorwärts bewegte. Seine Schulter meldete sich und als er seinen Herzschlag an dem wunden Punkt dort auf einmal spüren konnte, bat er seine Führerin, kurz anzuhalten.
„Wir sind gleich da…“, spornte sie ihn an. Außer Atem meinte er nur „Na gut…“, unterdrückte den Schmerz an der Schulter so gut es ging und folgte ihr. Der Boden wurde feuchter und Geäst behinderte das Fordringen und doch schien das Niria nicht viel auszumachen, während Khurad fluchend hinter ihr herlief. Sie blieb auf einmal stehen und meinte „Da ist gleich der Eingang.“ Sie hielt die Fackel etwas nach vor und er konnte ein Loch in der Felswand erkennen, was etwas größer als er selbst war. „Geh du vor…ich…trau mich nicht…“, meinte sie daraufhin und warf ängstliche Blicke auf die Höhle.
Langsam glitt Nyrdokil aus der Scheide und der ehemalige Templer schlich nach vor, während sie ihm folgte und somit Licht spendete. Sein eigener Schatten, der nach vorgeworfen wurde versperrte ihm die Sicht und nahm sie Niria ab. Dann betrat er die Höhle.
Er befand sich in einem etwas größeren Raum und es deutete nichts daraufhin, dass irgendwo noch ein Gang hinführte. Er wollte gerade einen fragenden Blick an seine Begleiterin werfen, als er den schlaffen Körper auf den Boden liegen sah. „Kat…“, fing er an und brach ab, als er den Körper einer Frau erblickte. Zuerst erkannte er sie nicht, doch als er sich hinkniete und den Kopf zu sich drehte wusste er, wer das hier war. „Aber das ist doch unmöglich?“, sagte er zu sich selbst.
Doch es bestand gar kein Zweifel…es handelte es sich um Cruel.
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04.01.2006 19:53
#3
Schon lange hatte Lazyman seinen Schüler nicht mehr in der Stadt angetroffen. Eigentlich wollte er es nicht, doch irgendwie machte sich der Einhandlehrmeister Sorgen um Katan. Der Grauhäutige war zwar kein "normaler" Schüler, um den man sich noch kümmern musste, schließlich war er wesentlich älter als Lazy und wahrscheinlich auch erfahrener im Leben, aber trotzdem beunruhigte die Abwesenheit Katans den jungen Waffenknechten.
Doch über seinen heutigen Auftrag vergaß er seine Sorgen, denn er musste auf Akils Hof nach dem Rechten sehen. Angeblich wären dort irgendwelche Banditen unterwegs. Na, dafür war Lazyman ja der richtige Ansprechpartner. Diese Leute mochte er so wie so schon nicht und dann sollte er sie auch noch vertreiben. Solche Aufträge konnte es ruhig öfters geben, denn diese kleinen, schäbigen Diebe, die sich nur auf die Höfe der kleinen Bauern wagten, konnten meist nicht einmal gut kämpfen, so dass man sehr schnell mit ihnen fertig werden konnte.
Auf dem Hof angekommen wurde er schon von Akil empfangen, der ihm allerdings mitteilte, dass sich alles schon geklärt hätte. Ob es nur Angst vor weiteren Übergriffen war oder ob es der Realität entsprach vermochte Lazyman nicht zu sagen. Mehr als nachfragen konnte er aber nicht und so musste der Hauptmannsadjutant unverrichteter Dinge wieder abziehen.
Vielleicht war dies aber auch gut so, denn als Lazy wieder in der Stadt und auf dem Weg zur Kaserne war, begegnete ihm Katan. Normalerweise würde der Lehrmeister seinen Schüler fragen, wo er denn gewesen sei und warum er nicht zum Training erschienen wäre, doch bei dem Grauhäutigen erschien es Lazyman irgendwie unangemessen. Aus irgendeinem Grund fand er es nicht für passend, dass sich der deutlich Ältere vor ihm zu rechtfertigen hatte und so gingen sie direkt zur Ausbildung im einhändigen Kampf über.
"Ich grüße Euch, Katan. Wir wollen nun mit Eurer Ausbildung im Schwertkampf fortfahren. Bitte folgt mir doch zum Übungsplatz." Noch immer hatte der Lehrmeister keinen schöneren Platz zum Erlernen neuer Techniken gefunden, als die kleine Ebene unterhalb der Kaserne. Und sein Schüler hatte sich auch noch nie über diesen Platz beschwert, also warum sollten sie sich einen anderen Platz suchen?
"Wir werden heute noch eine weitere Grundlagentechnik erlernen: Den 'Rotationsschlag'. Ihr werdet es häufig mit mehr als nur einem Gegner zu tun bekommen. In diesen Fällen ist es immer sehr praktisch, wenn man sich seine Kontrahenten auf Distanz halten kann und man selbst entscheidet, wen man wann und wie angreift und sich nicht den Willen der anderen aufzwängen lässt. Dazu dient der Schlag, den ich Euch heute zeigen werde."
Lazyman zog sein Schwert und begab sich in Kampfhaltung. Vorher meinte er aber noch, dass der Grauhäutige lieber zurück treten sollte, da man bei diesem Schlag lieber nicht zu nahe am Ausführenden stehen würde. Nachdem er genug Platz hatte, setzte der Meister im einhändigen Kampf dann zu einer kleinen Kombination aus normalen Schlägen an. Dann, mittendrin, streckte er seinen rechten und linken Arm aus und begann, sich so schnell zu drehen, dass er alle gedachten Gegner um ihn herum nicht nur verblüfft, sondern auf Garantie auch getroffen hätte. Nach zwei Umdrehungen brach er dann ab, um den Rotationsschlag zu erklären:
"Es ist eigentlich ziemlich einfach. Ihr müsst nur darauf achten, niemals, auch beim Drehen nicht, Eure Gegner aus den Augen zu verlieren. Das könnte tötliche Folgen für Euch haben... Eines ist vielleicht noch wichtig für Euch: Es gibt zwei Möglichkeiten, wie die Drehung erfolgen kann. Wenn Ihr glatten Boden unter Euren Füßen habt, könnt Ihr auch mit dem rechten Bein Schwung holen und Euch nur auf dem linken Fuß drehen. Der Nachteil hierin besteht darin, dass Ihr keine hohe Geschwindigkeit erreichen könnt und diese auch sehr schnell wieder verliert. Dafür wird Euch auf keinen Fall schwindlig. Dreht Ihr euch nämlich mit beiden Füßen und seid somit um ein Vielfaches schneller, dann wird es höchstwahrscheinlich so kommen, dass Ihr nach einiger Zeit Schwindelgefühle bekommt und sich das dann negativ auf den weiteren Kampfverlauf auswirken kann. Trotzdem solltet Ihr beide Varianten beherrschen, wenn Ihr auf alles gefasst sein wollt!"
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Lehrling
Katzen und Mäuse – lief nicht alles im Leben letztendlich darauf hinaus? Nie hat man selbst die Kontrolle, man richtet sich nach den Regeln, die andere für einen aufgestellt haben. Und man ist zufrieden damit. Was war, wenn irgendwann einfach alles aus dem Ruder lief, die für selbstverständlich erklärten Gesetze gebrochen waren und die Menschen einander nicht mehr kontrollieren konnten? Chaos. Ein interessanter Gedanke, fand Duria, während sie den Rücken des knienden Mannes betrachtete. Und? Wer war nun der wahre Jäger, die Katze, und wer die Beute, die kleine Maus, die sich in den Schatten der Felsmauern geduckt nach einem Versteck umsah? Das leise Lachen der Hexe klang freudlos, während sie ihren Körper in die ursprüngliche Form zurückversetzte. Die kleine dumme Niria, dachte die Frau, das hast du gedacht, was ich bin. Ein Paradebeispiel überheblichen Verhaltens.
„Habe ich meine Rolle nicht gut gespielt?“, sagte sie laut, doch die Frage galt eher ihr selbst als dem Mann, der bei diesen Worten herumwirbelte und den schlanken Körper der Zauberkundigen mit verwirrtem Blick musterte. Er öffnete den Mund, wollte etwas sagen, klappte ihn dann aber wieder zu.
„Fehlen dir die Worte?“ Sie lachte. „Kann ich mir vorstellen.“ Dann wurde ihr Gesicht ernst. Sie machte einen Schritt auf den Mann und den toten Frauenkörper zu, und seine Hand zuckte zum Schwert, welches er ohne nachzudenken aus der Scheide zog. Ein gehetztes Reh, dachte Duria. Ein passender Vergleich. Glaubte er wirklich eine Chance gegen sie zu haben, so verwirrt er momentan war? Die Fragen, die sein Gehirn in Massen ausspuckte, waren für die Frau ein offenes Geheimnis. Er fragte sich, was Cruel hier machte; eine junge Frau, die er noch nie in seinem Leben gesehen hatte, sie aber dennoch durch Katan kannte. Er fragte sich, wo Niria abgeblieben war und wehrte sich gegen die Tatsache, dass diese in Wirklichkeit Duria war, die Hexe, die er bereits in Aktion gesehen, als sie Katan seinen Körper zurückgegeben hatte. Duria erhob einen Arm und zeigte auf Khurad, dessen Mund kurz darauf ein erstickter Laut verließ.
„Kannst du dich nicht mehr bewegen?“ Gelassen ging Duria auf ihn zu und ließ sich neben ihm auf den Boden sinken. „Was für ein schönes Schwert. Es ist nicht ungefährlich, eine Hexe mit scharfen Gegenständen zu bedrohen, das könnte unangenehme Folgen haben.“ Die Waffe entzog sich Khurads Griff und landete klirrend auf dem felsigen Boden der Höhle. Lächelnd betrachtete Duria die Klinge, dann beugte sie sich zu Khurad hinüber und nahm seinen Kopf in die Arme. Ihr Blick ging in weite Ferne, als sie sagte: „Hast du dich schon mal gefragt, was für ein Mensch du früher gewesen bist? In einem früheren Leben, meine ich. Hast du nicht? Ach so ist das, du glaubst gar nicht daran. Willst du wissen, was ich denke? Ich denke, dass jeder Mensch, der bereits einmal gelebt hat, irgendwo in seinem Inneren die Vergangenheit versteckt. Er selbst kann sie nur nicht wecken. Ist wohl auch besser so. Ich weiß nicht, ob viele Menschen wiedergeboren werden. Ich glaube aber nicht. So etwas passiert selten und auch nur dann, wenn...“ Die Hexe atmete einmal tief ein, dann sprach sie weiter, „wenn jemand seine Finger im Spiel hat, der die Macht dazu besitzt. Ich besitze diese Macht nicht, nein... Sie wurde mir weitergereicht für bestimmte Zwecke – ich wüsste nicht einmal, dass so etwas möglich ist, wäre ich nicht ausgiebig darüber aufgeklärt worden. Wenn ich jemanden sehe, der bereits einmal gelebt hat, dann erkenne ich ihn, weißt du. Ich sehe es in seinen Augen.“
Für einen Moment hielt Duria inne, doch ihr Blick blieb starr auf die gegenüberliegende Felswand gerichtet. Sie erinnerte sich, als sie Khurad zum ersten Mal gesehen hatte. Wissend hatten seine Augen bei ihrem Anblick aufgeblitzt, gleich so, als würde er sie kennen. Hatte er es nicht bemerkt? Wahrscheinlich nicht. Und wenn doch, dann hatte er den Gedanken, diese unheimliche Ahnung verworfen, dass es etwas auf dieser Welt gab, was sie unweigerlich miteinander verband. Katan hatte sich nur Sorgen um sich selbst gemacht und gar nicht gemerkt, was er ihr auf dem Präsentierteller vor die Füße geworfen hatte. Damals hatte Duria noch nicht gewusst, was sie mit dem Wissen um Khurad anfangen sollte. Es war wie ein Geschenk, das man erhielt und nicht wegwerfen konnte. Ein Schatz schlummerte in dem Schwarzgewandeten, Erinnerungen, die nur darauf warteten, geweckt zu werden.
„Ich werde dir ein Geheimnis verraten“, sagte die Frau mit mädchenhafter Stimme. „Etwas, was nur dir gehört, dir ganz allein. Ist das nicht aufregend?“ Ob er das alles wohl genauso interessant fand wie die Hexe selbst? Es stand zu bezweifeln, aber Duria konnte spüren, wie sein Geist sich unter ihrer Kontrolle wand wie ein verwundetes Tier. Eine kleine Maus... Ich nehme dich mit auf eine kleine Reise, dachte Duria, du solltest dich geehrt fühlen. Du brauchst dich nicht zu wehren, es ist sinnlos. Und du kannst mir vertrauen. Es wird eine Offenbarung sein, für uns beide.
Die Lippen der Frau begannen, fremde Worte zu flüstern, eine längst vergessene Sprache, die nicht einmal sie selbst verstand. Doch sie wusste, was diese Anreihung unbekannter Vokabeln für eine Auswirkung hatten, auf Khurad wie auch auf sie selbst. Ein Schauer ging ihr über den Rücken, vergleichbar mit der Berührung einer eiskalten Hand. Sie schloss die Augen, Khurad dabei wie ein Kind in den Armen haltend, und summte den Zauber nun, während sie spürte, wie der Boden unter ihr sich entfernte. Alles um sie herum schien sich zu bewegen, wurde schneller und schneller, ein Taumeln, dann –
Duria öffnete die Augen. Sie stand auf einer Wiese, über ihr ein wolkenverhangener, nächtlicher Himmel. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, denn sie war sich Khurads Anwesenheit bewusst. Er stand neben ihr, immer noch von ihrem Zauber gefangen. Er konnte sich nicht bewegen, er konnte nicht sprechen. Sein Blick war ausdruckslos, doch Duria spürte, wie es unter der gleichgültigen Oberfläche brodelte.
„Da wären wir“, sagte sie und atmete auf, „Schön hier, nicht? Aber es könnte besseres Wetter sein. Es fängt sicher bald zu regnen an. Wir sollten uns beeilen, damit wir nicht nass werden.“ Suchend blickte Duria sich zu allen Seiten um. Irgendwo hier musste ein Haus stehen, abseits der Stadt auf einer grünen Wiese am Waldrand. In nicht allzu weiter Ferne konnte sie ein Licht erkennen. Ja, dort musste es sein. Als würden sie einen gewaltigen Sprung tun, standen sie bereits vor dem Haus. So real sich diese Umgebung auch anfühlte, es war nur eine Erinnerung, die tief versteckt in Khurads Unterbewusstsein schlummerte. Hier konnte Duria tun und lassen, was sie wollte. Nur ändern konnte sie nichts.
„Hier hast du gewohnt, Khurad“, meinte sie zu ihm. In seinen Augen regte sich ein Fünkchen, nicht mehr und nicht weniger. Der Mann war schon immer ein Einzelgänger gewesen, schoss es der Hexe durch den Kopf. Er hat nie viel davon gehalten, sich mit Menschen zu umgeben. Ein Klappern durchbrach die Stille. Darauf hatte Duria gewartet. Sie wandte sich um und sah einen Trupp bewaffneter Männer auf das Haus zu spazieren, an ihrer Spitze ein Mann, der Khurad nur allzu bekannt war. Auch in der Dunkelheit war das schneeweiße Haar zu erkennen, welches dem Herrn der Männer bis auf die Schultern herabfiel. Sie bildeten den perfekten Kontrast zu der schwarzen Rüstung, die ihm in so manchem Krieg gute Dienste geleistet hatte. Die Tür zu dem kleinen Haus öffnete sich und eine schwangere Frau mit angsterfüllten Augen trat heraus. Hatte sie gewusst, dass der Kriegsherr kommen würde? Der Mann, der sich hinterdrein in die Dunkelheit schleppte, hatte es gewusst, ganz sicher. Duria stockte der Atem bei seinem Anblick – er sah wirklich aus wie der Khurad, der in ihrem Armen in der Höhle lag, während sie ihn durch die Geschehnisse seiner Vergangenheit führte. Wie aus einem Gesicht geschnitten. Die Verbände an seinem Körper verrieten schwere Verwundungen, seine Haltung allerdings, als er sich gegen den Türpfosten lehnte, sprachen eine andere Sprache.
Der Trupp machte vor dem Haus halt und die beiden Männer bedachten einander mit abschätzenden Blicken. Dann glitt die Aufmerksamkeit des Kriegsherrn Katan hinüber zu Khurads schwangerer Frau.
„Was wollt Ihr?“, knurrte Khurad, als er Katans Interesse an seiner Ehefrau erkannte. „Wollt Ihr ein weiteres Mal beweisen, was für ein grausamer Mensch Ihr seid?“
„Wisst Ihr“, sagte Katan, „das ist es, was ich an Euch so sehr geschätzt habe, Darneg. Ihr redet nicht lange um den heißen Brei herum.“
Khurad sah aus, als würden nur seine Verletzungen ihn davon abhalten, Katan mit einem Satz an die Kehle zu springen.
„Was wollt Ihr?“, fragte er noch einmal.
„Nichts Bestimmtes“, entgegnete Katan und strich sich durch das Haar, „Ich interessiere mich halt für das Wohlergehen meiner Landsleute.“ Mit einem schiefen Lächeln fügte er hinzu: „Insbesondere wenn es sich um jemanden Eures Standes handelt, Darneg. Euer Rücktrittsersuchen...“
„Was ist damit?“
„Ich bin damit nicht einverstanden.“ Hasserfüllt starrte Khurad, der zu dieser Zeit Darneg geheißen hatte, den Kriegsherrn an. „Warum nicht?“, wollte er mit grimmiger Miene wissen.
„Wollt Ihr Euch über mich lustig machen? Einen Mann wie Euch werde ich nicht einfach ziehen lassen, dem solltet Ihr Euch bewusst sein. Der einzige Weg, aus meinem Dienst entlassen zu werden, ist zu sterben.“ Mit diesen Worten wandte Katan sich ab und gab seinen Männern ein Zeichen, woraufhin diese an ihrem Herrn vorbeistürmten. Zwei der Männer packten die schwangere Frau bei den Armen und zerrten sie in Richtung der Haustür, an welcher Khurad sich erfolglos gegen weitere Angreifer zur Weht setzte. Die markerschütternden Schreie von Khurad Ehefrau zerrissen die Nacht, während die beiden Menschen in das Haus gezerrt und darin gefesselt wurden.
„Das werdet Ihr bereuen!“, brüllte Khurad, als Katans Männer das Haus verließen und eine brennende Fackel auf das Strohdach warfen, welches sofort Feuer fing.
„Schade um Darnegs Frau“, hörte Duria Katan sagen, welcher das Schauspiel gelangweilt verfolgt hatte, „aber was soll man machen?“
Der Anblick des brennenden Hauses verschwamm vor Durias Augen, ein Brüllen erreichte ihr Gehör und riss sie mit grausamer Bestimmtheit in die Gegenwart zurück. Da waren sie wieder, die steinernen Wände der Höhle, der kalte Fußboden, Cruels Leiche. Duria wurde von einem Schwindel gepackt, ihr war, als müsste sie sich übergeben.
Erst kurz darauf merkte sie, wer dort geschrieen hatte. Es war Khurad.
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Katan schätzte Menschen, die nicht lange fackelten und sofort auf das zu sprechen kamen, was sie wollten. Zu viele Worte waren Verschwendung, man brauchte sie nicht. Wieso sollte er jemanden nach seinem Befinden fragen, wenn es ihn letztlich doch nicht derart interessierte, dass er es unbedingt wissen musste? Und so folgte er der Anweisung seines Lehrmeisters, ihn zur Kaserne zu begleiten, mehr als bereitwillig. Die letzten Tage waren lang gewesen, er hatte wenig geschlafen und sich der Ablenkung halber die Techniken verinnerlicht, die der Gardist ihn in vorangegangen Lehrstunden beigebracht hatte. Irgend etwas lag in der Luft, Katan konnte es spüren. Die Sorge darum, dass etwas Unvorhergesehenes geschehen würde, hatte ihm die Konzentration und den Schlaf geraubt. So hatte er Lazyman einfach nicht gegenüber treten können. Am Ende hätte der Grauhäutige sich noch mit seinem eigenen Schwert während einer Übungsrunde abgestochen! So hatte er die Tage damit verbracht, sich auszuruhen und die Nächte, in Khorinis nach Khurad Ausschau zu halten – möglichst ohne dem Gardisten dabei über den Weg zu laufen. Anstatt zu verschwinden aber hatte sich das ungute Gefühl sich in Katan gefestigt. Sein Training noch länger zu vernachlässigen lag ihm jedoch fern und erst an diesem Tag war ihm der Gedanke gekommen, dass das Erlernen weiterer Techniken mit dem Einhandschwert möglicherweise eine gute Hilfe war, sich auf kommende Gefahren einzustellen.
Interessiert sah er Lazyman zu, wie dieser ihm eine weitere Möglichkeit, seine Gegner möglichst schnell zu Boden zu kriegen, eröffnete. Er war nicht ganz bei der Sache, seine Gedanken kreisten um Khurad. Ob dem Freund wohl etwas zugestoßen war? Niria hatte er auch nicht mehr gesehen, seit diese sich in das Schwerttraining eingemischt, und Katan sie fortgeschickt hatte. Sie ist wohl wütend auf mich, dachte er. Sehr gut, dann hält sie sich wenigstens vor mir fern. Aber ob sie wirklich eine Frau ist, die lange wütend auf jemanden war? Ich wage es zu bezweifeln.
Katan zog sein Schwert. Er hatte nur die Hälfte von dem mitbekommen, was Lazyman gesagt hatte, aber das machte nichts. Das Wichtigste hatte er verstanden und der Ausführung des sogenannten ’Rotationsschlages’ aufmerksam gefolgt. Eine interessante Technik, so etwas hatte er noch nie gesehen. Selbst als er in seinen Erinnerungen kramte, um herauszufinden, ob er etwas derartiges in seinem früheren Leben beigebracht bekommen hatte, musste er feststellen, dass diese Art des Schwertkampfes vollkommen neu für ihn war. In Gedanken ging er durch, was er machen musste – Lazyman hatte ihm in der Reihenfolge freie Wahl gelassen. Drehung auf beiden Beinen, Drehung auf dem linken Bein, Drehung auf dem rechten Bein. Letzteres würde ihm wahrscheinlich am einfachsten fallen und da er geistig nicht voll anwesend war, sollte er sich vorerst auf Übungen beschränken, bei denen er nicht Gefahr lief, zu versagen. Er stellte sich auf und führte ein paar einfache Schläge aus, die ihm bereits bekannt waren, bevor er mit dem linken Bein Schwung zu holen begann. Die Umgebung wurde unkenntlich, doch ließ er die Gegner, die er sich vor dem inneren Auge ausmalte, keinen Moment aus dem Blickfeld verschwinden. Mal davon abgesehen, dass er ohnehin nicht wirklich schnell war, verlor der Mann plötzlich das Gleichgewicht und konnte nur im letzten Moment einen Sturz verhindern. Etwas derartiges hatte er vorausgesehen, wusste jedoch nicht, wo genau sein Fehler gelegen hatte. Er bedachte Lazyman mit einem fragenden Blick.
„Die Arme“, sagte der Lehrmeister, der seinen Schüler aufmerksam beobachtet hatte. Die Arme?, fragte sich Katan. Die Arme. Aber natürlich! Lazyman hatte beide Arme von sich gestreckt, um besser Schwung holen und das Gleichgewicht halten zu können, wo hingegen Katan den plumpen Versuch unternommen hatte, etwas schier Unmögliches möglich zu machen. Er zuckte mit den Schultern. Dann eben noch ein Versuch. Erst eine weitere Schlagreihenfolge, dann streckte er die Arme von sich und begann, sich auf dem Bein zu drehen. Und es funktionierte. Etwas Stolz über dieses für ihn noch unbekannte Können beendete Katan diese Übung. Vielleicht hätte er nicht einen seiner Gegner getroffen, vielleicht hätten sie sich auf dem Boden gerollt vor Lachen über diese schlampig ausgeführte Übung, aber der Grauhäutige hatte nicht das Gleichgewicht verloren, er war nicht umgefallen. Das war schon einmal einiges wert. Später, wenn er die Technik verstanden hatte, würde er sie so oft wiederholen, bis er meinte, seine Feinde damit in Angst und Schrecken versetzen zu können. Wahrlich, eine außergewöhnliche Übung. Nun versuchte er es auf dem linken Bein stehend. Der Kriegsherr hatte vorher gewusst, dass dies nicht so leicht sein würde wie mit dem rechten. Seine Vermutung bestätigte sich in drei Gleichgewichtsverlusten. Dies aber war nichts gegen das Ungeschick, welches er auf beiden Füßen drehend bewies. Ein Schwindelanfall übermannte ihn, das Schwert rutschte ihn aus den Händen und flog in hohem Bogen über den Hof, bevor es klirrend zu Boden kam. Tief durchatmen, dachte Katan, als er seine Waffe holte. Das wird schon noch, dachte er, immerhin bin ich nun um eine Erfahrung reicher. Mit einem Blick zu Lazyman prüfte er, ob dieser vorhatte, ihm die grundlegende Regel zu erklären, man solle sein Schwert während des Kampfes besser nicht einfach wegschleudern, da dies die Überlebenschancen deutlich verringere, doch der Gardist machte auf Katan nicht den Eindruck, als wollte er irgendetwas sagen.
„Kann ich Euch auf ein Bier einladen?“, fragte der Kriegsherr, weniger vor Erschöpfung und dem Wunsch nach einem Bier, als aus Frustration. Er machte keine Anstalten, seinem Lehrmeister die fehlende Konzentration zu erklären, er brauchte sich nicht rechtfertigen. Und selbst wenn – war es im Endeffekt nicht egal? In einem Kampf um Leben und Tod konnte Katan schlecht sagen, er wolle die Sache auf später verschieben, da er sich Sorgen um einen Freund und eine Sache machte, von der er nicht einmal wusste, was sie war.
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Was waren dies für Erinnerungen?
Das konnte doch nicht er gewesen sein?
Darneg…das konnte einfach nicht wahr sein.
…und Katan hatte seine Frau umgebracht?
Khurad wusste nicht, was er glauben sollte, hatte keine Ahnung, ob dies alles nur ein Traum gewesen war, ein böser Traum. Diese Frau wollte ihn nur hereinlegen. Hexen taten so was, das war bekannt…sie wollte irgendeinen Nutzen daraus ziehen, anders konnte es nicht sein. „Nein…“, murmelte er immer wieder vor sich hin, während er den Kopf schüttelte. „Nein.“, „NEIN, Ihr lügt!“, hörte er sich plötzlich schreien.
„Du kannst es ruhig leugnen, aber ganz tief in dir drinnen, weißt du, wie es wirklich ist…wie es eigentlich war…“, sagte sie mit spöttischem Tonfall.
„Hört auf…“, wehrte sich Khurad gegen das Gesagte und versuchte Erinnerungen, die sich in seine Gedanken zu drängen versuchten, aus seinem Kopf zu verbannen. Es konnte einfach nicht stimmen. „Kämpfe nicht dagegen an…“, schien sich ihm eine Stimme in den Kopf zu fressen.
„Das alles hat dir Katan angetan. Katan und niemand anderes!“, sagte die Hexe.
„Nein…“ Khurads Stimme war schwach „…das glaube ich nicht. Ich glaube dir gar nichts.“
Die Höhle schien sich zu verdunkeln, der Jäger nahm nichts mehr wahr, außer Dunkelheit und diese Stimmen. Er versuchte dagegen anzukämpfen, die Stimmen zu ignorieren, einfach alles zu vergessen…doch seit er dieses Haus gesehen hatte, diese wunderschöne Frau…das war kein Traum. Darneg…er sah ihm wirklich ähnlich. Eine leise Stimme im Hinterkopf sagte ihm, dass dies alles nicht wahr wäre, dass die Hexe alles nur erlogen hatte, doch die Erinnerungen rissen ihn mit wie ein tosender Fluss. Das Haus wurde klar sichtbar, erneut sah er die Flammen…es war gleich, wie jenes Bild, das ihm die Hexe gezeigt hatte, doch dieses Mal fehlte sie selbst. Er bekam alles aus seiner Sicht mit…noch einmal musste er sehen, wie seine Frau vor seinen Augen weggeschleppt wurde, wie das Haus brannte und wie er unter diesen entsetzlichen Qualen gelitten hatte. Noch einmal tauchte der selbstgefällige Gesichtsausdruck Katans auf. Dies waren keine Träume, keine Halluzinationen, kein böser Zauber eine Hexe, es waren Erinnerungen, seine Erinnerung. Er hatte Darneg geheißen und nun lebte er unter diesem falschen Ich, Khurad. Nein, er war nicht Khurad…dies war nur ein neuer Körper, und ausgerechnet eine Hexe hatte ihm dies vor Augen führen müssen. Wie dumm war er doch gewesen…Darneg, ja…Darneg…
„Darneg!“, weckte ihn eine schrille Stimme. „Hör auf!“
Er lag am Boden seine Kopf dröhnte und aus einem ihn unverständlichen rann Blut über sein Gesicht. Noch vor nicht allzu langer Zeit hatte er sich mit nichtigeren Fragen beschäftigt und es war alles mehr oder weniger in Ordnung gewesen. Nun war alles vorbei…er hatte eine Lüge gelebt, er hatte sein wahres Ich vergessen….
„So ist es gut…ich habe nichts davon, wenn du dich selbst umbringst.“, sagte sie mehr zu sich selbst. „Khurads Charakter, der noch in dir steckt, wird sich dagegen wehren, doch du hast einen starken Willen, Darneg. Kämpfe dagegen an…“ Er flüsterte seinen neuen Namen, seinen eigentlichen immer wieder vor sich hin, bis sein Hals ausgetrocknet war und seine Stimme heißer. Er hörte nicht auf das, was sie sagte. Am liebsten wäre er allein gewesen und hätte sich eingegraben. “Khurad…“ Er schüttelte den Kopf und seufzte.
Endlich, als er eine Zeit lang da gelegen war, konnte er wieder einen Gedanken fassen. Die Hexe hatte Recht. Es gab nur einen, der daran schuld war. Er hätte gelebt, wäre mit seiner Frau zusammen gewesen und hätte all das kriegerische hinter sich lassen können, um endlich Frieden zu finden, doch jemand hatte ihm alles weggenommen. Der Kriegsherr war schuld, er hatte ihm all dies Leid beschert und selbst jetzt war es nicht vorbei. „Katan!“
Der Schrei hallte an den Wänden wider…
„So siehst du es also endlich ein?“, fragte die Frau, die ihm nun die Augen geöffnet hatte. „Ja…“, meinte er. Einige Zeit verging, wo er nur so da saß und seine Augen starr auf einen Punkt richtete. Danach meldete sich der Rachedurst erneut. „Wo finde ich ihn…?“, meinte er mit einer kalten Stimme, die untypisch für Khurad gewesen wäre.
„Keine Sorge, ich bringe dich zu ihm und zusammen werden wir ihn töten.“ Auch ihre Stimme war eisig. „…und hör mir gut zu. Du wirst tun, was ich sage. Ein Alleingang wird dir nichts nützen, selbst wenn Katan noch nicht seine volle Stärke zurückerlangt hat. Du weißt, wie leicht ich dich aufhalten kann.“ Er hörte gar nicht zu. All seine hasserfüllten Gedanken waren auf eine Person gerichtet: Katan.
Darneg hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als er sich schließlich aufrichtete. Plötzlich war das Schwert auf die Frau gerichtet die nur mit einem Finger winkte und böse grinste. Auf einmal wurde er nach hinten geworfen. Unsanft flog er gegen die Wand und alle Luft wurde aus einer Lunge gestoßen, als er auf dem Boden landete. „Bei jedem erneuten Versuch wirst du mehr meiner Kraft erfahren…“, drohte sie ihm. Mit einem erneuten Wink schaffte sie es, sich Cruel über die Schulter zu legen und verließ danach ohne ein weiteres Wort die Höhle, während er sich nur sehr mühsam aufrichtete. Überraschenderweise tat ihm nichts außer jenen Stellen weh, die er sich gerade gestoßen hatte. „Umso besser…“, dachte er sich und bewegte sich in Richtung Ausgang.
Geändert von Khurad (04.01.2006 um 22:10 Uhr)
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04.01.2006 22:08
#7
Hatte Lazyman da richtig gehört? Katan hatte ihn wirklich auf ein Bier eingeladen? Konnte das sein? Er war doch gar kein gesprächiger Mensch und so ein enges Verhältnis zu Lazy hatte er auch noch nicht aufgebaut, als dass man es Freundschaft nennen konnte. Was war also der Beweggrund des Grauhäutigen, seinen Lehrmeister auf ein Bier einzuladen?
Der Waffenknecht war sich nicht sicher, warum sein Schüler das tat, doch nahm er dieses Angebot sehr gern an. Nicht nur, weil es dann etwas besseres Bier aus der Taverne geben würde und er nicht an den Freibierstand musste, sondern auch, weil er sehr wohl die Unkonzentriertheit Katans mitbekommen hatte. Ganz anders als sonst, war jener heute überhaupt nicht bei der Sache gewesen. Irgendetwas war mit ihm los, doch war es nicht Lazymans Art, ihn darüber auszufragen. Entweder er würde es von selbst erzählen oder eben nicht.
In der Taverne angekommen, suchten sich die zwei einen Tisch etwas abseits des größten Trubels und der Grauhäutige bestellte für jeden von ihnen ein Bier. Es dauerte einige Zeit, doch nachdem die beiden Krüge auf dem Tisch standen war der Ärger des Hauptmannsadjutanten über den Verlauf des Trainings verflogen. Voller Genuss hob Lazy seinen Krug an, um mit Katan anzustoßen.
Doch jener schien sich nicht wirklich über das Bier zu freuen. Fast schon sah es so aus, als wenn er sich gezwungen sah, diesen Krug zu leeren. Gehörte er etwa tatsächlich zu jenen, die sich nicht an einem wohl schmeckendem Bier erfreuen konnten? Aber wenn dem so gewesen wäre, warum hatte er sich dann eins bestellt? Bestimmt nicht nur, um Lazyman einen Gefallen zu tun. Dafür war Katan einfach nicht der Typ.
Letztendlich erhob er aber doch noch seinen Krug, um mit seinem Lehrmeister anzustoßen. Doch während Lazy schon nach wenigen Zügen absetze, trank der Grauhäutige den halben Krug in einem Zug leer. 'Nicht schlecht.', dachte sich der Hauptmannsadjutant, 'Mit diesem Zug könnte er auch bei den Trinkgelagen unter den Rekruten bestehen. Ganz sicher würde er immer zu den ersten gehören.'
Der Gardist wusste nicht, was er von seinem Gegenüber halten sollte. Hätte er ihn ermahnen müssen, nicht so hastig zu trinken? Nein, das würde Katan ganz sicher wissen, was das für Folgen haben konnte... Aber er machte auch nicht den Eindruck, als wäre er jemand, der ständig trinken würde und somit einiges gewohnt war. Und Lazyman hatte wahrlich keine Lust, nachher einen betrunkenen Schüler am Tisch sitzen zu haben. Wohin sollte er ihn denn dann bringen?
Ja, wohin? Lazy wusste so gut wie gar nichts über seinen Schüler. Nicht einmal, wo er die Nächte verbrachte, konnte der Waffenknecht mit Sicherheit sagen. Zwar hatte er dem Grauhäutigen mal empfohlen, sich im Hotel "zum schlafenden Geldsack" einzuquartieren, aber ob Katan diesem Rat nachgekommen war, wusste er nicht. Auch sonst wusste Lazyman nicht viel über ihn. Selbst, ob er für oder gegen den Großbauern war, entzog sich der Kenntnis des Waffenknechten. Nur eins konnte er sagen: Normalerweise war Katan mit Fleiß bei der Sache und war bestrebt, sich die Fähigkeiten des Schwertkampfes anzueignen.
Darum war der Lehrmeister auch mehr als überrascht, dass sein Schüler heute nicht voll und ganz bei der Sache gewesen war. Sollte er ihn wirklich mal fragen, was denn los wäre? Aber das wäre wiederum eine Unanständigkeit gewesen, die sich eigentlich nicht gehörte. 'Wenn jemand Probleme hatte, würde er diese schon von selbst erzählen.', so jedenfalls hatte Lazymans Vater immer gesprochen.
Jedoch beschäftigte diese Sache den Waffenknechten so sehr, dass sein Wissensdurst gegen seinen Anstand gewann und Lazy sich entschloss, seinen Schüler doch zu fragen, warum er so unkonzentriert bei der Ausbildung gewesen war. Das Bier, welches Lazyman getrunken hatte, machte es ihm einfacher, die Frage auszusprechen, da er nicht stundenlang überlegen musste, was denn nun die passenstens Worte gewesen wäre:
"Sagt mir, Katan, ich hatte den Eindruck, dass Ihr heute bei den Übungen nicht ganz auf Eurem gewohnten Niveau gearbeitet hattet..." Vielleicht war es doch so besser. Wenn der Grauhäutige antworten wollte, so konnte er an diesen Satz anschließen und wenn nicht, konnte er es eben so gut bleiben lassen. Auf alle Fälle würde ihm Lazy auf diesem Wege nicht direkt ein Gespräch aufzwängen, denn er ahnte schon, dass Katan darauf nicht brannte...
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Lehrling
Duria hatte eine solche Reaktion nicht erwartet. Khurad hatte die Reise in sein früheres Leben vollkommen anders aufgenommen, als sie es sich vorgestellt hatte. Wieder etwas, was entgegen ihrem eigentlichen Plan verlief. Die Menschen waren schwierig, sie hätte sich weitere Möglichkeiten offen halten sollen als einfach fest daran zu glauben, dass alles so verlief, wie sie es gerne gehabt hätte. Anstatt das Khurad er selbst geblieben war, glaubte er nun daran, er sei Darneg. Die Hexe war neugierig gewesen und hatte versucht, es ihm einzureden, allerdings nicht damit gerechnet, dass er diese Botschaft überhaupt und dann noch in so kurzer Zeit aufnahm und verarbeitete. Und da war diese Bösartigkeit, die in seinem Blick lag. Wenn er sie ansah, schienen seine Augen gelbe Blitze zu sprühen. Dieser Darneg musste Katan wahrlich gehasst haben, wenn Khurad eine solch heftige Reaktion zeigte. Als sie in die Nacht hinaustrat wurde ihr bewusst, dass sie eigentlich hätte damit rechnen müssen. Darneg hatte in einem Zustand reinen und unverfälschten Hasses sein Leben verloren. Sein einziger Gedanke musste Katan gegolten haben, dem Mann, der seine Frau und auch ihn selbst getötet hatte. Es würde schwer werden, Khurad in seiner derzeitigen Lage zurückzuhalten. Nun war daran nichts mehr zu ändern und sie konnte nur hoffen, dass sie sich am Ende nicht gezwungen sah, den Schwarzgewandeten zu töten.
Die Leiche Cruels über Durias Schulter war angenehm leicht. Ohne Zauberei hätte sie sich damit abgeplagt. Wobei... ohne Zauberei wäre sie niemals in die Situation gekommen, eine Leiche mit weiter wachsenden Haaren durch die Gegend zu tragen, einen rachsüchtigen Schizophrenen im Schlepptau. Duria wandte sich noch einmal um, damit die Höhle verschwinden konnte. Die Behausung hatte ihre Dienste getan, die Hexe brauchte sie nicht mehr. Ein Wink mit der rechten Hand genügte und das Gestein, welches in dem furchtbaren Wald merklich deplaziert wirkte, brach in sich zusammen. Das meiste darin war ohnehin nur Illusion gewesen, ein Abklatsch dessen, was sich in ihrem wahren zu Hause befand.
Khurad betrachtete die Stelle, an der sich die Höhlenöffnung befunden hatte, nur kurz, dann wandte er sich der Frau zu und zog eine Augenbraue nach oben. Du möchtest gerne wissen, was ich vorhabe, dachte Duria, aber das wirst du sehen, wenn es soweit ist. Mach dir keine Sorgen, ich habe alles geplant und du wirst deine Rache bekommen. Aber wer weiß, vielleicht wird dir Katans Blut nicht so gut schmecken, wie du es dir gerade vorstellst.
Die Höhle lag nicht weit entfernt von der Stadt, doch wieder hatte Duria das unangenehme Gefühl, dass sie unendlich weit zwischen den Bäumen entlang gehen mussten. Sie fühlte sich beobachtet von den alten Riesen, den stummen Wächtern, die zu allen Seiten des Pfades standen. Ja, Riesen sind sie, aber doch keine Wächter. Sie beobachten mich nicht, weil sie es nicht können. Sie denken nicht, sie fühlen nicht. Sie sind genauso mitleidlos wie das Holz, auf das das Blut der Ehefrau Darnegs und ihres ungeborenen Kindes gefallen war. So weit sie in ihrer prächtigen Größe auch blicken können, sie wissen rein gar nichts vom Leiden der Menschen.
Die Frau war froh, als sie den Wald hinter sich gelassen hatten und nun auf die Tore der Stadt zugingen. Hinter diesen Mauern hielt Katan sich auf.
„Seid Ihr Euch wirklich sicher, dass wir Katan hier finden werden?“, knurrte Khurad ungeduldig und ließ die Hand über dem Knauf seines Schwertes schweben. Als er Durias genervten Blick auffing, sagte er rasch: „Katan schläft nicht in der Stadt. Er trainiert dort nur. Als ich ihn das letzte Mal sah, hat er darauf verzichtet, in einer Taverne zu schlafen und mir gesagt, dass er die Nächte im Wald verbringt.“
„Das mag ja alles sein“, sagte die Hexe, „aber heute ist er zufällig nicht dort. Heute Nacht ist er in der Stadt.“ Hoffentlich ist er in der Stadt, dachte sie nun und verspürte den Drang, ihren Kopf gegen einen der Bäume zu schlagen. Sie hatte angenommen, dass Katan in irgendeinem Gasthaus ein Zimmer bezogen hatte. Nachts hatte sie keinen großen Wert darauf gelegt, ihn zu beobachten – und er wiederum hätte ihr als Niria sicherlich eher seine gesamte Lebensgeschichte erzählt, als ihr zu sagen wo er schlief. Wieder so eine Sache... sie hatte von Anfang an gewusst, dass es zu früh war, um die geschmiedeten Rachepläne umzusetzen. Er war überhaupt nicht durchdacht. Khurad seine Vergangenheit aufzuweisen war erst in letzter Sekunde von ihr entschieden worden. Allerdings konnte an ihrem Plan nun schief gehen, was wollte – solange sie Khurad in ihrer Gewalt hatte, gehörte Katan ihr. Wenigstens in dieser Hinsicht konnte sie sich selbstgerecht auf die Schulter klopfen.
Khurad zuckte mit den Schultern. „Und nun? Habt Ihr vor Wurzeln zu schlagen, während Katan weiterhin sein Unheil treibt?“
Fassungslos sah Duria ihn an. „Wurzeln schlagen und auf ewig bei diesen Bäumen leben?“ Hastig schüttelte sie mit dem Kopf. „Nein, das habe ich nicht vor.“
Ein verwirrter Ausdruck trat in das Gesicht des Mannes. Er musste es nicht verstehen. Was nun zu tun gedachte, war heikel. In die Stadt eindringen, Khurad Katan angreifen lassen, damit die Miliz sich dazwischen drängte und alles den Bach runter ging? Lange hatte sie über dieses Problem nachgedacht, sich gefragt, wie dieses Hindernis überwunden werden konnte, war aber zu keiner zufriedenstellenden Antwort gekommen. Irgendwann, als sie nachts wachgelegen hatte, war ihr schließlich ein Geistesblitz in den Kopf geschossen. Sie war eine Hexe, ein entsprechender Zauber würde die Stadt schon für einige Momente lahm legen. Nur für kurze Zeit, das wusste sie, aber es sollte reichen, Katan erfolgreich davon zu überzeugen, ihrem Willen besser nachzukommen. Sie hatte nämlich immerhin eines von vornherein einkalkuliert: Die ganze Sache würde ohne das Einsetzen aufwändiger Zauber nicht über die Bühne gehen können. Schon jetzt war sie merklich geschwächt, Khurad die Vergangenheit seines längst vergessenen Lebens aufzuzeigen war anstrengend genug gewesen. Nun noch die Einwohner einer ganzen Stadt und die Menschen, die sich in unmittelbarer Nähe befanden, für einen kurzen Moment in ihrem Treiben innehalten lassen. Khurad unter ihrer Kontrolle zu halten durfte ohne der Kraft, Magie zu wirken, unmöglich sein. Sie konnte also nur darauf bauen, dass er ihr danach nicht anmerkte, wie geschwächt sie war. Bisher hatte er das auch nicht mitbekommen.
„Willst du mal was Tolles sehen?“, fragte sie ihn mit einem verschmitzten Lächeln. Dem grimmigen Blick des Mannes war anzusehen, dass er darauf eine entsprechende Antwort wusste, also sprach Duria schnell weiter: „Ich habe mich gefragt, wie man so viele Menschen für eine gewissen Zeitraum davon abhalten kann, sich in meine Angelegenheiten einzumischen.“
„Unsere Angelegenheiten”, korrigierte Khurad. „Wir haben eine Abmachung, schon vergessen?“
„Unsere Angelegenheiten, natürlich“, schnaubte Duria verächtlich und rollte mit den Augen. Als Khurad hatte er ihr besser gefallen. Er war ruhig und sanft gewesen, als Darneg war er bösartig und verschlagen. Wenn nicht er es war, der ihr am Ende in den Rücken fiel! Was sie vorhatte jedenfalls wollte sie nicht weiter ausführen. Sie hatte es zwar für interessant befunden, ihm von vornherein zu sagen, was geschehen würde, doch legte der Mann darauf scheinbar keinen allzu großen Wert.
„Stümper“, flüsterte sie, ließ Cruels Körper auf den Boden nieder sinken und bereitete sich vor.
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„Findet Ihr?“, meinte Katan und bedachte seinen Gegenüber mit einem forschenden Blick. Er hatte gedacht, allen möglichen Fragen entkommen zu können. Lazyman hatte sich bisweilen als nicht sonderlich neugierig herausgestellt und der Grauhäutige war in gewisser Weise sogar froh darüber gewesen, dass er nicht nach seinem Verbleib ausgefragt worden war. Aber natürlich, sein Verhalten musste einfach eine Menge Fragen aufwerfen und es war das gute Recht des Gardisten, sich darüber ein Bild machen zu können, weshalb Katan ihm in der letzten Zeit strikt aus dem Weg gegangen war. Vielleicht hätte er es darauf bewenden lassen, dachte der alte Kriegsherr, hätte ich heute im Training besser abgeschnitten. Nur leider war dies nicht der Fall. Selbst er musste sich eingestehen, dass seine kläglichen Versuche das Schwert zu führen lächerlich und bemitleidenswert gewesen waren. Zu seiner Frustration gesellten sich Gereiztheit, Übernächtigung und das ungute Gefühl, dass hier irgendetwas im Argen lag. Der Mann hob den Bierkrug an die Lippen und nahm den letzten Schluck des Alkohols daraus. Einfach widerliches Zeug. Früher hatte er es sich nicht eingestanden, aber von Bier war ihm schon immer schlecht geworden. Normalerweise brachte es allein der Geruch von Alkohol fertig, dass er angewidert die Nase rümpfte. So aber nicht heute, denn dies war der Tag, an dem seine schlechte Laune einen absoluten Höhepunkt erreicht hatte. Und in einem jener seltenen Momente, in denen er sogar dem Alkholgenuss frönte, konnte er Lazyman auch den Grund seiner Abwesenheit nennen. Er hielt den Krug noch eine kurze Weile in der Hand, dann stellte er ihn geräuschvoll auf dem Holztisch ab.
„Ich weiß auch nicht“, begann er und machte eine wegwerfende Handbewegung, „irgendwie...“ Lazyman hörte ihm schon gar nicht mehr zu und Katan erkannte sofort den Grund dafür. In der Taverne war es still geworden. Aber nicht nur das... Der Grauhäutige erhob sich und ging zu einer Bedienung, die gerade dabei gewesen war, einem Mann sein Bier auf den Tisch zu stellen. Mitten in der Bewegung hatte sie innegehalten; und so stand sie jetzt noch da. Ebenso alle anderen, die sich in diesen Räumen befanden.
„Was zur Hölle...“, flüsterte Katan beunruhigt. Und so was passiert immer an solchen Tagen, dachte er. War ja klar, dass irgendetwas geschehen musste, er hatte es bereits erwartet. Nicht dieser Größenordnung entsprechend, aber wenigstens eine kleine Schlägerei oder ein paar Banditen, die ihm die Seele aus dem Leib prügelten. Irgendetwas in die Richtung, jedoch nicht, dass sämtliche Menschen in seinem Umkreis urplötzlicher jeder Statue hätten Konkurrenz machen können. Als der Grauhäutige sich umwandte, erkannte er, dass Lazyman sich erhoben hatte. Er ist beunruhigt, dachte Katan, genau wie ich. Irgendwas geht hier nicht mit rechten Dingen zu. Und ich werde wohl leider noch darauf kommen, was das ist. Die Tür zu dem Gasthaus öffnete sich und die Augen beider Männer zuckten in deren Richtung. Schritte waren zu vernehmen, die sie ihre Schwerter ziehen ließ. Wer auch immer das war, er führte nichts Gutes im Schilde. Eine Gestalt erschien im Türrahmen und der alte Kriegsherr musste zwei Mal hinschauen, bevor er glauben konnte, wen er dort sah.
„Du bist das!“, rief er erleichtert aus und ließ sein Schwert sinken, „Khurad, hast du eine Ahnung, was hier vor sich geht?“
„Khurad?“, antwortete der Schwarzgewandete und trat mit gezogenem Schwert auf Katan zu. Ein Grinsen umspielte seine Lippen und einen derartig hasserfüllten Ausdruck hatte der Grauhäutige noch nie in den Augen seines Freundes gesehen. Ein beängstigender Anblick. „Erinnert Ihr Euch denn nicht an mich, Katan?“ Er lachte. „Das sieht Euch ähnlich. Ihr habt Euch noch nie einen feuchten Dreck um die Leute geschert, die Ihr tötet.“ Khurads Augen wanderten hinüber zu Lazyman. Verwundert zog er eine Augenbraue hoch. „Was soll das denn?“, rief er an eine Person gerichtet, die vermutlich hinter ihm stand, „Ihr macht so einen großen Wind um diesen Zauber und dann funktioniert er nicht einmal richtig?“
Zauber? Katans Augen verengten sich zu Schlitzen, während er in seinen Erinnerungen kramte. Was auch immer Khurad da von sich gab, es hatte mit etwas zu tun, was der Grauhäutige so schnell wie möglich vergessen wollte. Und als der Schwarzgewandete zur Seite trat, um einer Frau den Weg in die Taverne freizumachen, erstarrte er.
„Ihr!“, knurrte er grimmig. „Ich hätte wissen müssen, dass Ihr das alles ausgeheckt habt.“
Die rothaarige Frau, die sich neben Khurad gestellt hatte, lächelte amüsiert. „Lange nicht gesehen, Katan. Ich meine, dass ich bisher nicht das Vergnügen hatte, mich Euch vorzustellen. Mein Name ist Duria.“
„Ihr könnt Euch nicht in Euren kühnsten Träumen ausmalen, wie egal mir Euer verdammter Name ist.“ Katan war zornig. Jetzt, wo alles gut zu laufen schien, trat die Hexe wieder auf den Plan und hatte die Absicht, das alles zu verderben. Warum auch immer – er wollte Antworten. Und zwar schnell.
Duria warf sich die Haare in den Nacken und richtete ihre Stimme mit auffallend kühlem Unterton an Khurad. „Mein Zauber ist keinesfalls fehlgeschlagen. Kümmert Euch um Euren Teil der Abmachung und überlasst mir das Denken.“
„Abmachung?“, fauchte Katan, „was für eine Abmachung soll das denn bitte sein? Hört mir jetzt mal genau zu. Sagt mir sofort, was Ihr mit Khurad angestellt habt, oder ich werde Euch jeden Knochen im Leibe brechen, das schwöre ich.“
„Ach ja?“ Sie grinste. „Ich denke, Khurad möchte Euch das gerne selbst mitteilen, werter Kriegsherr.“ Der Grauhäutige bekam immer mehr das Gefühl, dass er etwas verpasste. Irgendwas war an ihm vorbei gegangen, er verstand es einfach nicht. Weder den Schwachsinn, der aus Khurads Mund gekommen war, noch die Tatsache, dass Duria besondere Betonung auf die Bezeichnung ’Kriegsherr’ gelegt hatte. Es musste etwas aus seiner Vergangenheit sein, aus seinem früheren Leben – aber was, verdammt, sollte Khurad damit zu tun haben? In der Zeit, als der Grauhäutige Kriegsherr auf Gorthar gewesen war, hatte der Schwarzgewandete noch gar nicht gelebt. Ja, nicht mal dessen Großeltern waren zu dieser Zeit auch nur annähernd in Planung gewesen!
„Khurad...“, versuchte Katan es ein weiteres Mal, doch der Freund unterbrach ihn.
„Du brauchst es gar nicht versuchen. Duria hat es mir gezeigt, ich habe alles gesehen. Und nun bin ich gekommen, um deinem Leben ein Ende zu bereiten. Ich habe dir damals Rache geschworen, erinnerst du dich?“
Nein, tue ich nicht. Aber das ist dir wohl egal. Khurad hob das Schwert und ging zum Angriff über. „Der Moment, auf den ich solange habe warten müssen...“, presste er zwischen den Lippen hervor, als er auf den alten Kriegsherrn zupreschte. Mit viel Glück konnte Katan das Schwert seines Gegners mit der eigenen Waffe abwehren, hatte Lazyman ihm doch vor einiger Zeit weitere Techniken des Blockens beigebracht. „Khurad“, brachte er unter Anstrengung heraus, „du machst einen gewaltigen Fehler.“ Der Schwarzgewandete grinste und sprang zurück, um einen weiteren Streich mit seiner Klinge auszuführen. Der Grauhäutige sah die Klinge auf sich niedersausen, konnte aber nichts tun, um sie zu stoppen. Jetzt werde ich sterben, dachte er in der letzten Sekunde, die ihm noch verblieben war, und schloss die Augen. Die Lebenden zu den Lebenden, die Toten zu den Toten.
Das Klirren zwei wuchtig aufeinander prallender Schwertklingen durchbrach die Stille, und als Katan die Augen wieder öffnete, blickte er direkt auf den Rücken seines Lehrmeisters, welcher den tödlichen Schlag im letzten Moment abgeblockt hatte.
„Ich sehe mir das nicht länger mit an“, sagte Lazyman und stieß seine Waffe von der Khurads ab. Der Schwarzgewandete machte ein paar Schritte zurück. Blinder Zorn funkelte in seinen Augen und Katan wusste, dass es ihm egal war, wie viele Menschen er aus dem Weg räumen musste, um an den Kriegsherrn ranzukommen, den er aus welchem Grund auch immer mit einem Mal hassen gelernt hatte.
„Er hat recht“, ertönte Durias Stimme, die sich auf einen Stuhl gesetzt hatte und einen selbstgefälligen Eindruck machte. „Es ist genug. Vorerst.“
Khurad schien da anderer Meinung zu sein, denn er ignorierte die Worte und ging zu einem weiteren Angriff über. Lazyman machte sich gerade bereit, sich zu verteidigen, als der Jäger wie angewurzelt stehen blieb. Seine Miene verriet, dass er vor Wut schäumte und dieses plötzliche Innehalten nicht seinem freien Willen entsprang. Schlagartig ruckte sein Schwertarm nach oben und die Waffe viel zu Boden.
„Ich habe gesagt, es reicht“, sagte Duria bestimmt. In ihrer Stimme schwang Ärger mit. Dass es Unstimmigkeiten zwischen den beiden gab, war nun mehr als offensichtlich. „Hört zu, Katan“, sprach sie weiter, „wenn Ihr Eurem Freund hier etwas Gutes tun wollt, dann –“
„Freund?“, knurrte Khurad, dessen ganzer Körper verkrampft war von der Anstrengung, gegen die Macht der Hexe anzugehen, „Ich habe mich wohl ver –“ Sein darauffolgendes Stöhnen ließ darauf schließen, dass Duria ihm ein weiteres Mal mit Gewalt ihren Willen aufgezwungen hatte. Sehr gut, Khurad, dachte Katan bitter, mit ihr hast du wirklich einen Glücksgriff getan.
„Wenn Ihr ihm etwas Gutes tun wollt“, sagte die rothaarige Hexe ruhig, „dann geht nach Gorthar. Dort gibt es ein Tor, welches sich nur für Euch öffnen wird. Und ich rate Euch an, dort hinzugehen. Und das nicht nur um Khurads Willen...“ Die Frau nickte zum Eingang. Als Katan sah, was dort auf dem Boden lag, erstarrte er. Cruel! Tatsächlich, sie lag einfach so da, einsam und zerbrechlich, vereint mit dem Tod.
So schnell alles begonnen hatte, so schnell war es wieder vorbei. Mit einem Mal waren Khurad, die Hexe und der Körper Cruels verschwunden und an ihre Stelle trat das gesellschaftliche Treiben der Tavernenbesucher. Keiner achtete auf die beiden Männer, die nahe der Eingangstür zurückgelassen worden waren.
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Gerade noch eben hatte das Gefühl des Hasses in ihm gelodert und er hatte sich schon vorgestellt, wie er seine Rache an Katan ausführen würde und plötzlich war er umgeben von Eis, Schnee und Kälte. Von einem Moment auf den anderen. Die verdammte Hexe hatte ihn verraten, dabei hätte Katan nicht die geringsten Chance gehabt…er hätte ihn am liebsten zermalmt, unter endloser Pein. Ewiges Leid hätte nicht gereicht…Katan hatte sein Leben zerstört, ihm seine Frau genommen, seine Heimat in Asche verwandelt…er knirschte mit den Zähnen, als er noch einmal die Miene des Kriegsherrn vor sich sah. Es war ihm egal gewesen…
„Was soll das!?“, schrie er die Hexe an und richtete sein Schwert auf Duria. Es war still bis auf den eisigen Wind, der hier wehte. In der Schwerthand kribbelte es, als sie einen irren Blick auf ihn warf. Immer heißer wurde der Griff und plötzlich musste er loslassen. Zu spät, er hatte sich schon in seine Haut gebrannt. Ohne nachzudenken legte er die Handfläche in den Schnee. Anfangs war es angenehm, bis es auf einmal brannte wie Feuer. Er keuchte vor Schmerzen, als Duria meinte „Ich hab dir schon gesagt: Wenn du mich angreifst oder dich gegen mich stellst, wirst du es bereuen. Nach jedem Mal wird der Schmerz größer sein. Wenn ich wollte, wärst du schon tot. Überleg dir besser, was du tust…“ Ihre Stimme triefte nur so von unterdrückter Wut.
Darnegs Zorn ließ ein wenig nach „Warum dann das Ganze…ich hätte ihn erledigt!“
„Schluss damit…du willst doch, dass er leidet? Du hättest dies beinahe gerade selbst verhindert…ohne zu überlegen hast du dich auf ihn gestürzt. Er wäre tot gewesen, bevor deine Raserei ein Ende genommen hätte.“, erklärte sie.
Widerwillen musste er zugeben, dass dies stimmte. Sie sprach weiter, doch er hörte nicht zu. Katan würde für das leiden, was er ihm angetan hatte…nein, ihm und Khurad. Sie beide hatten unter Katan gelitten. Er war sein Freund gewesen, doch bestimmt hätte er sich gegen den ehemaligen Sumpfler gestellt. Er wusste das, er kannte Katan genau…er benützte die Menschen, wie es nur ging und wenn er sie dann nicht mehr brauchte, warf er sie weg. Der Kriegsherr war allein darauf bedacht, sich seine Wünsche zu erfüllen. Wer und wie viele dafür sterben mussten war egal, selbst wenn es sich um Unschuldige handelte.
„Wie lange?“, fragte er und schien Duria zu unterbrechen. „Habe Geduld und folge mir…“ Sie sagte darauf nichts mehr und schritt einfach los. Die Kälte war Darneg egal. Die Flamme in ihm würde so schnell nicht erlischen. Erst wenn Katan tot war…und die verdammte Hexe wollte, dass er wartete. „Töte sie!“
„Lass sie für das leiden, was Katan dir angetan hat!“
Stimmen in seinem Kopf…er wusste nicht von wem sie stammten. Er zitterte, aber nicht aufgrund der Kälte, sondern ob der Willenskraft, die er aufbringen musste, um diese Gedanken aus seinem Kopf zu verbannen und die Hand vom Schwert zu lassen. Was war mit seiner Ausbildung? Erinnerung von irgendeinem Waldläufer drängten sich in seine Gedanken…irgendein Versprechen, dass er ihm gegeben hatte. Nein, das er Khurad gab, damit hatte er nichts zu tun. Komische Personen, eigenartige Erlebnisse wurden erneut wach…Kriege, die er unter dem Banner Katans gefochten hatte. Auch er hatte Unschuldige Leide lassen. Er sah weinende Mütter, brennende Häuser, Verletzte am Boden…Tränen des Schmerzes traten ihm in die Augen. Die Erinnerungen taten Weh, fraßen sich in seinen Kopf, welcher von der Fülle dieser zu platzen drohte. Er fand sich wieder auf dem kalten Boden kauernd. Schneeflocken legten sich auf ihn, doch es war ihm egal…
Jemand fuhr ihm beruhigend mit der Hand über den Rücken und sprach leise auf ihn ein. Er wusste, dass es Duria war und er wollt es nicht. Er kroch nach hinten, richtete sich auf und starrte sie an. Sie wendete ihm den Rücken zu und stapfte weiter. Darneg folgte ihr, obwohl er keine Kraft in den Beinen hatte. Den Schmerz der Erinnerungen und die Stimmen, die ihm einerseits sagten, er solle Duria nicht vertrauen und andererseits genau das Gegenteil behaupteten, versuchte er zu ignorieren. Es gelang nicht…und er folgte ihr weiterhin, wenn auch unsicher.
Der Tag zog sich dahin…es war kalt, einsam und das Land war öde. Schnee und Eis herrschten über das Gefilde…in der Ferne am Rande der Eiswüste waren Wälder zu sehen, doch bis sie einmal dorthin kommen würde, dauerte es schon noch. Darneg erinnerte sich plötzlich an eine riesige Zitadelle aus Eis…Khurads Erinnerungen kamen wieder in ihm hoch. Erneut war nichts Positives darin enthalten. Er schüttelte den Kopf…verdrängte alles, bis nur mehr Leere übrig blieb. Das Wandern wurde zu eine monotonen Sache. Darneg dachte gar nicht darüber nach, wohin ihn Duria führte, schaute sich gar nicht um, wo sie waren, und fragte sich auch gar nicht, warum die Hexe so in Eile war. Es war ihm egal, solange er im Endeffekt Katan treffen würde und ihm heimzahlen könnte, was er ihm angetan hatte. Ein fernes Wolfgeheul schreckte ihn kurzzeitig auf…es war nicht das eines Normalen, es ließ ihm das Blut gefrieren und er blickte sich beunruhigt um. Nichts konnte er erkennen und als er in Durias Gesicht blickte sah er darin nicht den gleichen misstrauischen Ausdruck, sondern ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen. Sie flüsterte irgendwas, das wie „Ja, kommt nur her…“, klang. Erneut beunruhigte ihn die Hexe. Was hatte sie nur vor, warum tötete sie Katan nicht auch gleich?
Der Drang, sein Schwert zu ziehen kam erneut auf, doch er schafft es, sich beherrschen. Khurads Gedanken drängten sich wieder in den Vordergrund. „Was führst du im Schilde, verfluchte Hexe?“…
Darneg hatte gesprochen, ohne es gewollt zu haben. Die Hexe drehte sich zu ihm um und warf ihm einen Blick zu, der dem Gebiet in dem sie sich befanden, alle Ehre machte. „Töte sie…sie kontrolliert dich mit einem Zauber…“
Darneg wanderte weiter…er merkte gar nicht, dass seine Schwerthand erneut auf Nyrdokils Griff lag und der brennende Schmerz wieder aufkam. Katan würde leiden…ja, das würde er…
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Lehrling
Ein schöner Tag, dachte Duria. Meist beherrschten gnadenlose Schneestürme die Weiten Harvetheims. Tage, an denen sie ihre Höhle nicht verlassen konnten, an denen sie sich eingesperrt fühlte. Gorthar hatte ihr weitaus besser gefallen und das nicht nur, weil sie die Nähe Katans gespürt hatte. Der Schnee, die Kälte, sie hatte es satt. Und obwohl ihr erschöpfter Körper nach Ruhe verlangte und der Frau nach einer warmen Stube war, hatte sie einen kleinen Rundgang mit Khurad machen wollen. Der Mann sollte sich der Umstände dieses Gebietes wohl bewusst werden. Daneben hoffte sie, auch er würde durch den langen Marsch müde werden. So, wie er sich nun benahm, traute sie ihm zu, dass er sie hinterrücks erstach während sie schlief. Ewig wach bleiben allerdings konnte sie nicht, und so dachte sie schon einmal darüber nach, wie sie ihn am besten von der Höhle fernhielt. Er hatte sich zu einem unangenehmen Zeitgenossen entwickelt, den sie nur ungern in ihrer unmittelbaren Nähe wusste. Und ihm würde sie nun Zugang zu ihrer Höhle gewähren!
Ein Wolfsgeheul durchbrach die Stille und Duria musste unwillkürlich lächeln. Hier waren sie, ihre Kinder. Das Heulen ging durch Mark und Bein und sie wusste, sie war zu Hause. Wölfe hatte es auch auf Gorthar gegeben, aber keine, wie sie auf dieser Insel lebten. Duria hatte ihnen nie besondere Aufmerksamkeit geschenkt und auch keine wesentliche Intelligenz zugeschrieben. Zu ihrer Überraschung aber hatte sie feststellen müssen, dass an diesen Tieren weit mehr war, als sie geahnt hatte. Sie hatte sich nie darüber Gedanken gemacht, dass es nur zwei Arten von Wölfen auf Harvetheim gab. Einmal jene Tiere mit schneeweißem Fell, die die südliche Ebene am großen Berg eingenommen hatte, und dann solche mit schwarzem Fell, die sich südöstlich auf dem Sortvargplan befanden und nahe des Waldes lebten. Nur letztere trauten sich bis in die Nähe dessen, was die auf der Insel lebenden Menschen als Varulvplan bezeichneten, denn der Varskog-Wald grenzte an dieses Gebiet. Über die Grenzen allerdings wagten auch sie sich nicht hinaus. Durchaus intelligente Lebewesen, die den Kampf ums Überleben in den eisigen Steppen und Wäldern jeden Tag aufs Neue führten, sich von den anderen Wolfclans abgehoben hatten und die Wildnis beherrschten. Mit der Zeit war Duria gar aufgefallen, dass die beiden Clans rivalisierten und um ihre Gebiete kämpften. Sie sind den Menschen gar nicht einmal so unähnlich, dachte die Hexe nun. Ihr einziger Wunsch ist das Überleben, ihr einziger Zweck der Krieg.
„Sagt mir jetzt gefälligst, wo wir hier sind“, riss Khurad sie schroff aus ihren Gedanken. Wütend wirbelte sie herum, versuchte aber ihre Stimme ruhig zu halten, als sie zu sprechen begann: „Sagte ich nicht, dass du nur Geduld haben musst?“ Machen die Wölfe ihn nervös?, fragte sie sich. „Siehst du den Gletscher? Dort wollen wir hin.“
Khurad bedachte sie mit einem genervten Blick. „Warum?“
„Geduld gehört wahrlich nicht zu deinen Stärken“, seufzte sie und fügte in Gedanken hinzu, dass Khurad auch von selbst darauf kommen müsste, dass es dort ein Versteck oder ähnliches gab, wo sie unterkommen konnten. „Es gibt dort eine Höhle. Und nun schneller, es wartet bereits jemand auf uns.“ Sie wandte sich zum Gehen und hoffte, Khurad würde stillschweigen und die Torturen des Marsches einfach über sich ergehen lassen. Gleich waren sie angekommen, wozu also die Eile?
„Ach ja?“, meinte Khurad entgegen ihrer Hoffnung, „und wer soll das sein?“
Duria schmunzelte. Wenn der Mann erst einmal sah, wer – oder besser was bereits ungeduldig ihre Ankunft erwartete, würde er bestimmt aufhören, sein großes Mundwerk unter Beweis zu stellen. Schmunzelnd sagte sie: „Das ist eine Überraschung.“
Er war nicht erfreut über die Antwort, das konnte er in seinen Augen sehen. Es war nicht verwunderlich in Anbetracht der Tatsache, wie viele böse Überraschungen er in derart kurzer Zeit über sich hatte ergehen lassen müssen. Dennoch fragte er nicht weiter und folgte der rothaarigen Hexe bis zu dem gewaltigen Gletscher, der sich fast die gesamte Nordküste der Insel entlang zog. Auch für sie war es ein immer wieder überwältigender Anblick, wie das Eis im Schein der Sonne glänzte und glitzerte.
„Dies ist der Isfonn“, sagte sie und benutzte auch hier den Namen, den die hier ansässigen Menschen dem Gletscher gegeben hatten. Sie hatten für alles einen Namen. Sie grenzten die unterschiedlichen Gebiete ab, hielten sich möglichst von den Wolfsebenen und dem Gletscher fern – ja, sie mussten wirklich für alles eine Bezeichnung haben. Wie gering ihr Denkvermögen doch war. Anstatt einen Blick über den Rand des eigenen Tellers zu riskieren und die Insel als Ganzes zu sehen, gebrauchten sie die unterschiedlichsten Namen und zerpflückten die Insel in unterschiedliche Ebenen. Die Frau schüttelte den Kopf. Selbst ihre Höhle war vor diesem Übergriff nicht gefeit geblieben – Kjerringhul nannten sie die kleine Öffnung, die den Weg in ein verzwicktes Geflecht aus Gängen und Höhlenräumen freigab.
Duria duckte sich und ging durch die schmale Öffnung hindurch, Khurad folgte ihr auf dem Fuße. Da er mindestens einen Kopf größer war als sie und breiter gebaut, hatte er größere Schwierigkeiten, sich hindurch zu schieben. Und er hielt sich nicht zurück, seinen Unmut darüber lautstarken Ausdruck zu verleihen.
Plötzlich blieb Duria stehen. Ein kleines Mädchen versperrte ihr den weiteren Weg, das Mädchen, welches ihr in den Wald bei Khorinis gefolgt war. Ein sanftes Lächeln huschte über die Lippen der Frau.
„Hallo meine Kleine, wie geht es dir?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort aus den traurigen Augen lesen konnte. Immer noch trug es das blutbefleckte Nachthemd und der Frau wurde bewusst, dass sie zu lange weg gewesen war. Sie gebot dem Kind, in die Höhle hinein zu gehen und schob es vorsichtig vor sich her, bis sie das Ende des Ganges erreichten. Das Fell, welches die Kälte aus dem Gang von dem Raum fernhalten sollte, wurde beiseite geschoben. Ja, ich bin wieder zu Hause, dachte Duria ein weiteres Mal, als sie die ihr wohlbekannte Umgebung betrachtete. Der eisige Boden war mit Fellen ausgelegt und obgleich der Gletscher aus Eis bestand und es keinen Kamin gab, in dem Flammen züngelten, war es angenehm warm.
Duria bückte sich zu dem Kind hinab. „Nun komm’, wir müssen dir etwas anderes anziehen. Es kann ja nicht angehen, dass du so herum läufst.“ Einen kurzen Moment sahen sie sich schweigend in die Augen, dann schlang das Mädchen ihre Arme um den Hals der Frau, die es kurzerhand hochhob.
„Fühl dich ganz wie zu Hause“, wandte sie sich an Khurad, der sie mit nachdenklich gerunzelter Stirn musterte.
„Ist das Euer –“ Er brach den Satz ab, bevor er ihn vollkommen ausgesprochen hatte.
„Mein...?“, fragte Duria nach und kniff die Augen zusammen. Dann traf sie ein Geistesblitz. „Oh - oh nein. Nein, wirklich nicht. Sie ist nicht meine Tochter.“ Sie lachte. „Sie ist mir irgendwann einfach zugelaufen.“ Mit diesen Worten und einem Zwinkern trat sie in einen Gang, der sich auf der linken Seite des Höhlenraumes neben der kleinen Schlafnische befand.
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06.01.2006 09:07
#12
'Was bei Beliar war denn das gewesen?' Noch eine ganze Zeit hatte Lazyman fassungslos da gestanden. Es wollte einfach nicht in seinen Kopf hinein, was da gerade passiert war. Wieso hatte der Mann einfach angegriffen? Vor allem verwunderte Lazy, dass Katan und er scheinbar vor kurzem noch Freunde gewesen sein mussten und nun wurde der Grauhäutige scheinbar ohne Grund angegriffen?
Und was für eine Rolle hatte diese Frau dabei gespielt? Als der Einhandlehrmeister den Schlag, welcher Katan mit Sicherheit zu Boden gestreckt hätte, abblockte, hatte sie ihn auf eine merkwürdige Art angesehen. Es war ein konzentrierter Blick gewesen. Fast so, als wollte sie ihn damit durchbohren. Faszinierend, aber zugleich auch erschreckend. Wenn sie schon durch bloße Willenskraft in der Lage war, den Angreifer aufzuhalten und ihn erstarren zu lassen, musste sie sehr mächtig sein. Lazyman erfuhr einen Teil dieser Macht, denn er konnte sich von dem Blick nicht lösen. Erst, als sie ihre Augenlider zuschlug, war es ihm möglich, sich von ihrem Anblick zu befreien und sich wieder auf den Kampf zu konzentrieren.
"Katan, sagt mir, was hat das alles zu bedeuten? Wer waren diese Frau und ihr Handlanger?" Zunächst schwieg der Grauhäutige. Es dauerte eine ganze Zeit, ehe er recht wortkarg und leise auf die Fragen antwortete. Die Frau sollte eine Hexe mit dem Namen Duria gewesen sein, die es nun anscheinend irgendwie geschafft hatte, Khurad unter ihre Gewalt zu bringen. Jener war wohl wirklich mal ein Freund Katans gewesen, weshalb er auch nicht verstand, warum er angegriffen wurde.
"Gorthar - Ich muss nach Gorthar! Sofort!" Mit diesen Worten wandte sich Lazymans Schüler von seinem Lehrmeister ab und ging zum Ausgang der Taverne. Lazy versuchte in seinem Gedächtnis wenigstens ein paar Schnipsel über "Gorthar" zu finden, doch es war zwecklos - noch nie hatte er von diesem Gebiet gehört. Somit wusste er weder, wo es lag noch wie man dorthin gelangen konnte. Nur eines stand fest: Es musste ziemlich weit entfernt liegen, denn sonst hätte der Hauptmannsadjutant schon irgendwelche Erzählungen gehört, was man dort alles vorfinden würde.
Katan war schon fast zur Tür raus. Nun musste sich Lazyman entscheiden: Würde er mit ihm gehen? Eigentlich verband die beiden nichts und der Waffenknecht schuldete seinem Schüler auch keinen Gefallen. Aber wenn er dort wieder auf diesen Khurad treffen würde, wäre sein Tod beschlossene Sache. Lazy wusste nicht warum, aber ihm gefiel dieser Gedanke überhaupt nicht. Außerdem meldete sich bei ihm wieder sein Wissensdurst, der nach Antworten auf die Fragen verlangte, die sich durch diesen Zwischenfall ergeben hatten.
"Wartet!", rief er daraufhin seinem Schüler zu. Nach wenigen Schritten war er wieder mit ihm auf gleicher Höhe. "Wenn es Euch recht ist, werde ich Euch begleiten." Dem Grauhäutigen schien dieser Vorschlag gar nicht zu gefallen. Sicherlich wäre er lieber allein und auf sich gestellt gereist. Somit bekundete er auch sein Unbehagen über den Einfall Lazymans. Jener erwiderte jedoch: "Katan, so seid doch vernünftig! Ihr habt eben bemerkt, dass es nur von Vorteil sein kann, einen geübten Kämpfer dabei zu haben. Woher wollt Ihr wissen, was für Gefahren Euch erwarten werden? Selbst, wenn es 'nur' dieser Khurad ist. Auf dem Weg dorthin könnten wir außerdem die Zeit sinnvoll nutzen und Eure Ausbildung fortsetzen. Dann seid Ihr bald gerüstet für einen harten Kampf und braucht keine Unterstützung mehr!"
Nun sah man dem Grauhäutigen an, dass er ernsthaft überlegte, ob er nicht doch das Angebot seines Lehrmeisters annehmen sollte. Jener hatte ihm gerade vor schweren Verletzungen, wenn nicht sogar vor dem Tode bewahrt. Also war er nicht, wie Khurad, gegen ihn. Und warum wollte er denn allein reisen? Doch nur, weil er kein Mann vieler Worte war, sondern lieber schwieg. Lazyman hatte ihm jedoch noch nie eines, dieser von ihm so verhassten, Standard-Gespräche aufgezwängt. Im Gegenteil - er hatte bisher kaum mit ihm gesprochen. Wenn er mal mit ihm ein paar Worte wechselte, dann bezogen sie sich auf seine Ausbildung. Und als Mitglied der Stadtwache war er sicherlich ein Stück weit erfahren und würde keine Last darstellen. Auch könnte es sicherlich nicht schaden, einen guten Kämpfer an seiner Seite zu haben.
"Also gut, Lazyman. Begleitet mich, wenn dies Euer Wunsch ist. Doch nun lasst uns zum Hafen gehen. Wir müssen uns beeilen, nach Gorthar zu kommen." Der Gardist wusste nicht warum, aber ein Stück weit war er froh über diese Antwort. Vielleicht lag es einfach daran, dass sich so die Chancen deutlich erhöht hatten, dass er von Katan etwas mehr über Duria und Khurad erfahren würde. Zu ihnen hatte Lazy nämlich einige Fragen, doch er würde sie Katan noch nicht stellen. Wenn Katan es für richtig und notwendig hielt, würde er seinen Lehrmeister schon einweihen.
So eilten die beiden zum Hafen, um nach Gorthar zu gelangen. Doch wie kam man dahin? Weder Katan noch Lazyman hatten eine Antwort darauf. Jedoch wusste der Waffenknecht, dass es einen Kartenzeichner im Hafenviertel gab. Sicherlich könnte er ihnen sagen, welchen Weg sie einschlagen mussten, um schnellstmöglich an ihr Ziel zu kommen.
Anscheinend schlief er gerade, denn er war nicht an seinem üblichen Platz anzutreffen, doch der Grauhäutige drängelte darauf, ihn aus dem Bett zu holen. Er wollte keine Zeit verlieren. Nun kam ihnen das erste Mal wirklich zu Gute, dass Lazyman zur Stadtwache gehörte, denn in dieser Position, war es sein gutes Recht, Leute aus ihrem Bett zu scheuchen und sie konnten sich dann nicht einmal darüber beschweren.
Etwas grimmig öffnete der Kartenzeichner dann nach mehrmaligen, immer lauter werdenden Klopfen seine Tür. "Wir wollen nach Gorthar! Sage uns, wie wir dorthin gelangen!", forderte der Hauptmannsadjutant ihn auf. "Gorthar? Was bei Beliar treibt euch dorthin? Na - soll mir ja egal sein, doch viel kann ich euch nicht berichten. Doch was ich weiß, will ich gerne sagen, wenn ihr mich danach wieder in mein Bett zurück lasst!" Mit einem kleinen Grinsen im Gesicht nickte Lazy und wartete nun gespannt darauf, was der Kartenzeichner ihnen berichten konnte.
Nach seinen Aussagen konnte man wohl von Drakia - einem weiteren Lazyman unbekannten Ort - direkt nach Gorthar übersetzen. Ob es auch möglich war, diesen Ort von Khorinis' Hafen aus zu erreichen, wusste er nicht, da es bisher noch niemand versucht hatte. Viel mehr wollte beziehungsweise konnte er nicht sagen. Der Kartenzeichner gab ihnen nur noch den Tipp, sich zwei Mal zu überlegen, ob sie wirklich dahin wollten, denn die Reise dorthin, genauso wie der Aufenthalt in Gorthar würden kein Zuckerschlecken sein. Danach verschwand er wieder zurück in seine Hütte.
Fragend sah Lazyman zu Katan. Was nun? Der Kartenzeichner war keine wirkliche Hilfe gewesen. "Es tut mir leid. Ich kenne niemanden, der sonst wissen könnte, wie man nach Gorthar gelangt. Was wollt Ihr nun tun? Wollen wir zunächst zu dieser ominösen Siedlung 'Drakia' reisen? Oder kennt Ihr einen anderen Weg?"
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Darneg wanderte durch die Gänge der riesigen Höhle Kjerringhul, welches sich um den Unterschlupf der Hexe handelte. Eis zog sich teilweise über den nackten, schwarzen Fels des Unterschlupfes. Ein ständiges Tropfen war zu vernehmen und kleine Rinnsale bildeten sich, welche sich aber schon bald nicht mehr gegen die erbarmungslose Kälte, die hier herrschte, erwehren konnte und zu Eis gefror. Er folgte den Eisrinnen unbewusst und wusste bald nicht mehr, wo er sich genau befand. Das Heim Durias war ein kompliziertes Geflecht aus Gängen, das teilweise durch dicke Eiswände abgegrenzt war. Zwischendurch hatten sich Risse im Boden aufgetan, die in unvorstellbare Tiefe hinab gingen und so mancher Weg führte in Sackgassen. Darneg konnte sich einfach nicht vorstellen, dass man hier leben konnte…es war unwirtlich, öde, einsam und eisig kalt. Ein weiterer Beweis für die schwarze Seele dieser Hexe, deren Inneres hier scheinbar wieder gespiegelt worden war. Er gelangte in Gänge, deren Eiswände so glatt waren, das man sich darin sehen konnte…manchmal verzerrt oder zu klein. Es lag etwas Unnatürliches in der Luft, als würde sich das ganze Umfeld bald in Nichts auflösen und als reine Zauberei entpuppen. Darneg war sich sicher, dass dies kein Gebilde der Natur war, alles nur Hexerei. Der Unterschlupf musste schon lange da gewesen sein. Riesige Stalagmiten hatten sich gebildet und zeigten eindrucksvoll, wie lange es wohl gedauert haben musste, um so was zu entstehen lassen. Fasziniert von den Eisgebilden, die sich plötzlich rund um ihn befanden, ging er herum und betrachtete alles so genau wie er konnte. Nie im Leben hätte er sich vorstellen können, dass es so etwas in dieser Welt gab…reine Hexerei, anders konnte es nicht sein. Die Schönheit einer riesigen Skulptur aus Eis, die einen Drachen zeigte, hätte ihn fast die Tränen in die Augen getrieben. Voller Ehrfurcht schritt er aus der Halle und gelangte in einen engen Gang, der ihn in einen kleinen Raum brachte, der von Eissäulen gestützt wurde. Langsam legte er seine Hand auf eine der Stützen und stellte erstaunt fest, wie glatt es doch war. Selbst die besten Steinmetze der Schläferhallen hätten nicht annähernd so etwas mit Stein zusammen gebracht.
„Gefällt dir, was du siehst?“, vernahm er eine Stimme hinter sich. Etwas erschrocken wich er vor der Hexe zurück und konnte nur nicken. Sie hob plötzlich zu erzählen an „Diese Höhlen waren die Geburtsstätte meine Vorfahren. Jeder meiner Ahnen hatte mitgewirkt beim Ausbau der Hallen mit der makellosen Schönheit der Skulpturen und Säulen. Jahre, Jahrzehnte hatte es gedauert, bis ich auch nur einen Hauch dessen erahnen konnte, was sich alles hinter diesen endlosen Gängen, Sälen und Hallen verbargen, doch ich habe sie alle erforscht…all jene Kreaturen gesehen, deren Eindringen selbst meine weisen Vorfahren nicht verhindern konnten. Tiefe Schwärze habe ich erblickt, die weit über dein Vorstellungsvermögen hinausgehen…“ Mit einer von Trauer verzerrten Miene starrte sie ins Nichts. „Aber es ist alles nicht real.“, meinte Darneg. „Nur Hexerei. Es steckt nichts Natürliches in den Höhlen…es ist…“
„Nein!“, unterbrach sie ihn mit überraschend viel Wut. „Einst war hier ein riesiger Gletscher…die Höhlen wurden auch nur von meinen Ahnen erforscht und langsam zu ihrer Vorstellung geformt. Ach, wie lange es gedauert haben muss, welche Geduld dahinter gesteckt haben musste, kannst du nicht verstehen. Du hast nicht die geringste Ahnung, was sie alles dafür geopfert haben, was ICH alles opfern musste. Du bist ein kümmerlicher Mensch.“
Darneg wurde zornig, konnte sich gegen die Wut nicht aufbäumen. „Jetzt hast du die Chance, sie wird dir nichts entgegen bringen können. Tu es, bring es hinter dir, zieh dein Schwert!“, quälten ihn die Stimmen. Das Klirren, als er Nyrdokil aus der Scheide zog, hallte an den Wänden wieder. Er wollte einen Schritt nach vorne machen, mit dem Schwert Duria entgegen treten…aber er stand starr, konnte sich nicht bewegen. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie ihn betrachtete. „Du willst es einfach nicht verstehen…du kannst nicht gegen mich antreten.“, sagte sie unter bitterem Tonfall. Das Mädchen von vorher erschien hinter ihr. Sie hatte sauberes Gewand bekommen. „Was machst du mit ihm?“, fragte sie.
„Er wird für das bestraft werden, was er mir versucht anzutun.“, antwortete sie.
„Ich will nicht, dass du ihm Schmerzen bereitest.“, sagte das Mädchen mit erschrockenem Gesichtausdruck.
„Ah willst du das nicht?“, fragte Duria das Kleine. Diese schüttelte den Kopf. Die Hexe blickte ihn an und meinte „Dann wirst du darüber nachdenken müssen, ob du mir wirklich was antun willst. Du wirst meine Höhle verlassen und feststellen, das kein Weg von der Insel führt…solltest du je wieder zurück nach Khorinis kommen wollen, musst du dich mit mir verbünden. Denk an das, was dir Katan angetan hat…denke immer daran, dass nur ich dir helfen kann, deine Rache auszuführen. Ich bin die einzige, die dich von hier fortbringen kann. Erst, wenn du dich mir vollkommen unterwirfst, werde ich dir den Weg zeigen.“ Die Worte brannten sich in sein Gedächtnis ein. Er sah nicht einmal, dass Duria die Lippen bewegte. „Nun geh!“, befahl sie schlicht. Als er endlich aus dem Griff der Hexe war ging er nicht…er lief. So schnell ihn seine Füße voran brachten, rannte Darneg und verließ die Höhle und die Hexe. Er würde sich allein auf die Suche nach Katan machen, er brauchte keine Hexe, der er sich unterwerfen musste. Es musste ein Weg von der Höhle führen, anders konnte es nicht sein.
Aber was sollte er machen, falls die Hexe wirklich Recht behielt und wirklich kein Weg von hier fortführte? Was war mit dem unheimlichen Wolfsgeheul, das er vernommen hatte? Könnte er überhaupt alleine auf dieser Insel überleben?
Darneg würde es wohl darauf ankommen lassen müssen…
Er wanderte los, in irgendeine willkürliche Richtung, Hauptsache weg von dieser Höhle. Schon bald merkte, wie seine Füße ihn in Richtung Wald trieben. Dort wollte er hin, Wälder waren zu Hause…Darneg wusste selbst, dass dies nicht seine Gedanken waren, doch es machte ihm nichts aus. Er dachte an das Leben, wie es hätte werden können. Er hatte seine Frau wirklich geliebt und sie hätte ihm einen Knaben zu Welt gebracht, dem er dann sein ganzes Wissen beigebracht hätte. Darneg hätte ihm gezeigt, wie falsch Krieg war und ihm alle Dinge ausgeredet, die ihm zu einem Handlanger Katans gebracht hatte. Nur zur Verteidigung hätte er seinem Sohn das kämpfen beigebracht…nicht für den Krieg. Der Verlust seines nie geborenen Sohnes und der seiner Frau überwältigten ihn, trieben ihm Tränen in die Augen, die ihm die Kälte des Landes nur noch stärker fühlen ließ. Katan würde dafür büßen. Warum hat ihm sein Freund verraten? Nein, nicht Freund, der Kriegsherr von damals…aber er war auch sein Freund gewesen, unter Khurad, aber das war vorbei, Khurad war eine kleine Ära in seinem Leben gewesen und das war allein Katans schuld…oder hatte Duria Mitschuld? Er wusste es nicht, er wusste nur eines: Katan sollte sterben, damit er seine Rache bekam.
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Katan grinste schief. Ob er einen anderen Weg kannte? Noch zu genau erinnerte er sich an das letzte Mal, als er sich auf die Reise nach Gorthar begeben hatte. Als Beförderungsmittel hatte ihm ein Boot der Größe einer Nussschale den Dienst erwiesen. Mehr tot als lebendig war er auf der Insel angekommen und durch die Gegend geirrt, bis er schließlich eine Stadt gefunden hatte. Verwahrlost und ohne Geld. Der Grauhäutige wusste, dass es ihm nichts ausmachen würde es noch einmal auf diesem Weg zu probieren, schlug diesen Gedanken aber nicht vor, da er sich bereits denken konnte, was Lazyman davon halten würde. Doch musste es noch eine andere Möglichkeit geben, nach Gorthar zu gelangen ohne dabei wertvolle Zeit und Geld zu verschwenden.
Nachdenklich kratzte er sich am Hinterkopf. „Ich schlage vor, wir sehen uns erstmal bei den Docks um. Irgendein Kapitän wird sich schon finden lassen, der uns für etwas Geld überschifft.“ Gesagt, getan. Die beiden Männer gingen zu den Docks, doch zu dieser späten Stunde stand nicht zu erwarten, dass ein Bootsführer noch auf den Beinen war. Und selbst wenn, mitten in der Nacht brannte wohl niemand darauf noch die Segel zu setzen. Einen Versuch aber war es wert und Katan besah sich einige Schiffe, bevor er resigniert stehen blieb. Es musste einfach jemanden geben, der sie für einen guten Preis übersetzen würde!
„Zu so später Stunde auf den Beinen?“, kam eine Stimme von der Seite und die Männer wandten sich in die Richtung, aus der sie gekommen war. Ein alter, spindeldürrer Mann saß auf dem Deck eines alten Kutters und umklammerte den Bierkrug mit seinen knorrigen Fingern, als ging es um sein Leben. Ein Grinsen erschien auf den aufgesprungenen Lippen. Der Grauhäutige zog eine Augenbraue nach oben und musterte den Kutter des Mannes. Das Segel war häufiger geflickt, der Mast ein paar Mal repariert worden und bei jeder Welle knarrte das Holz auf besorgniserregende Weise.
Das darauffolgende Lachen des Alten verwandelte sich in ein lautes Husten. „Meine gute alte Bernadett hat schon so manche Fahrt auf den Meeren hinter sich gebracht!“
„Das wage ich nicht zu bezweifeln“, sagte Katan und wandte sich zum Gehen, als der Kapitän der Bernadett abermals das Wort erhob. „Ihr habt meine Frage noch nicht beantwortet“, sagte er, „was lauft ihr Landratten zu dieser Zeit noch den Hafen hoch und runter?“
„Das geht Euch nichts an“, war der einzige Kommentar des alten Kriegsherrn. Er gab Lazyman mit einem Zeichen zu verstehen, dass dies ganz bestimmt die letzte Möglichkeit war, die er für eine Überfahrt nach Gorthar in Angriff nehmen würde.
„Sucht Ihr vielleicht jemanden, auf dessen Schiff Ihr unterkommen könnt? Ich hab’ zwar grad nicht viel Gold bei der Hand, aber einen stämmigen Burschen wie Euch könnte ich vielleicht gebrauchen, junger Mann. Irgendjemand muss ja das Deck schrubben!“ Er lachte über seinen eigenen Witz. Katans Miene blieb steinern, als er entgegnete: „Ich werde niemandes Deck schrubben. Wir suchen nur jemanden, der uns auf dem schnellstmöglichen Weg nach Gorthar bringen kann. Wie Ihr also seht, besteht kein Interesse. Ihr haltet uns auf.“
„Nach Gorthar wollt ihr zwei also.“ Der Mann spielte mit einer weißen Strähne seines dünnen Haares. „Ich könnte Euch ja –“
„Niemals.“
„Schaut Euch mein Schiff doch an – es ist alt, aber noch seetauglich. Und ich nehme Euch für die kleine Überfahrt auch nicht viel Geld ab. Sagen wir... siebzig Goldstücke und die Sache ist unter Dach und Fach.“
Der Grauhäutige musste ernsthaft über dieses Angebot nachdenken. Jeder andere hätte wahrscheinlich deutlich mehr erwartet. Wobei jeder andere in diesem Hafen ein besseres Schiff vorzuweisen und daher ein Recht darauf hatte, sich einen hohen Preis auszahlen zu lassen. Zudem bestand nach Katans Einschätzung die Gefahr, dass der Kutter sank. Und das vielleicht bereits, wenn die Segel gelichtet wurden. Vor dem geistigen Auge sah er den Mast brechen und das Schiff untergehen, während der Alte immer wieder ’Bernadett!’ rief und den verzweifelten Versuch unternahm, dass Wasser mit einem löchrigen Holzeimer abzuschöpfen. Dachte der alte Kriegsherr gerade tatsächlich darüber nach, sich an Bord dieses Kutters zu begeben und dem Alten sein Leben in die Hände zu legen? Verdammt noch mal, ja, das tat er. Und lausige siebzig Goldstücke waren ein guter Grund dafür. Er hatte nicht das Geld, sich auf ein heiles Schiff zu begeben. Wieso also das Risiko nicht eingehen und es auf einen Versuch ankommen lassen? Wenn das Schiff sank, würde er das schon schnell genug bemerken und konnte sich dann immer noch Gedanken darüber machen, wie die Situation zu retten war.
Über sich selbst und seine Entscheidung den Kopf schüttelnd sagte er: „In Ordnung. Siebzig Goldstücke.“
„Sehr gut“, rief der Alte aus und grinste vergnügt, „dann mal her mit dem Geld. Und dann geht schnell noch Proviant besorgen.“
„Proviant?“, fragte Katan ungläubig, „der ist doch im Preis inbegriffen.“
„Nein. Ihr bezahlt mir das Geld für die Überfahrt, nicht für Essen. Und dann könnt Ihr Euch kurz umsehen, bekommt zwei Decken von mir und sucht Euch einen Platz auf dem Oberdeck zum Schlafen.“
„Auf dem Oberdeck?“, knurrte der Grauhäutige. Dieser Mann war unverschämt. Ja, einfach nur unverschämt und dreist. „Warum zur Hölle auf dem Oberdeck? So werden wir einfach von Bord gespült, wenn ein Sturm aufkommt.“
Der alte Kapitän zuckte mit den Schultern. „Ihr wollt ja nicht für mich auf dem Schiff arbeiten.“
Zornesfalten hatten sich auf Katans Stirn gebildet und er wusste, dass die Ader an seiner linken Schläfe gefährlich zu Pochen begonnen hatte. Doch statt zu explodieren sagte er: „Na gut. Ihr kriegt das Geld, wir helfen für die Zeit der Reise auf dem Schiff aus und dafür kriegen wir Essen und eine gute Stelle zum Schlafen unter Deck. Meinetwegen!“
Mit diesen Worten holte er seinen Geldbeutel hervor, schmiss ihn dem gerissenen Kapitän vor die Füße und stapfte an Bord.
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06.01.2006 23:34
#15
Etwas besorgt und mit tausend Zweifeln im Kopf betrat Lazyman dieses schwimmende etwas, denn die Bezeichnung "Boot" hatte es nicht wirklich verdient. Wahrscheinlich würde der Waffenknecht hier nicht eine ruhige Minute bei Nacht haben. Sei es nun, weil der alte Kahn bei jeder Welle schrecklich knarrte oder weil die Angst vor dem Untergang ihn wach halten würde. Dass die Gefahren gleich hier in Khorinis beginnen würden, hatte Lazy so nicht eingeplant.
Gleich als erstes wollte der Hauptmannsadjutant sehen, wo sie denn schlafen würden, wenn sie denn dazu kommen würden. Eigentlich hätte ihm gleich klar sein müssen, dass man hier keinen ordentlichen Schlafplatz erwarten konnte, aber mit so einem Nachtlager hatte er nicht gerechnet. Da schlief er ja noch lieber unter freiem Himmel im Minental als hier. Es lagen einfach ein paar Decken auf den Planken, die auch noch feucht waren. Daraus schloss Lazyman, dass anscheinend der Kahn nicht einmal dicht war, sondern es von oben reinregnen konnte. 'Oh Innos! Worauf habe ich mich da nur eingelassen?'
Doch nun gab es kein Zurück mehr. Der Alte legte bereits ab. Lazy kniete sich hin, um zu Innos zu beten, dass er sie doch bitte am Leben halten möchte. Dann tat er etwas, was er zuvor noch nie getan hatte. Auch, wenn bisher Innos seine Geschicke geleitet hatte, so sprach der Einhandlehrmeister dieses Mal auch kurz zu Adanos, dass er das Wasser ruhig halten würde, damit sie heil Gorthar erreichen konnten.
"Ey! Hier wird nicht faul rumgesessen! Ihr schrubbt jetzt erstmal beide das Deck, schließlich soll es bei Sonnenaufgang blitzen und blinken!", riss ihn der alte Kapitän aus seinem Gebet. "Wieso wir beide? Hier, er will doch unbedingt nach Gorthar!", meinte Lazyman und zeigte dabei auf Katan. Es war ja auch so, dass Lazy wirklich nur der Begleiter war und diese ganze Geschichte nur aufgrund von Katans "Freund" stattfand.
Moment mal! Waren das eben wirklich seine Gedanken gewesen? Natürlich würde er Katan bei dieser Aufgabe helfen! Das verstand sich doch von selbst - er hatte sich als Begleiter angeboten, also würde er ihm auch beistehen und das nicht nur, wenn es galt, ein Rudel Snapper auszuschalten. "Entschuldigt, Katan. Natürlich helfe ich Euch. Das eben war nur ein - äh... - ein Scherz. Verzeiht, wenn er nicht so gut ankam.", versuchte sich der Gardist vor seinem Schüler zu erklären, denn eigentlich wollte er nicht in Ungnade bei ihm fallen. Schon gar nicht, wenn sie jetzt die nächsten Tage zusammen auf engstem Raum und dann noch auf hoher See gemeinsam verbringen würden. Katan hob eine Augenbraue, aber sagte nichts dazu, sondern machte sich schweigend an die Arbeit.
So mussten die zwei "Gäste" also das Deck schrubben. Dafür würden sie vor Regen geschützt sein und hatten nicht für Proviant sorgen müssen - auch ein Vorteil. Ob der Aufwand das rechtfertigen würde, musste sich aber noch zeigen. Zwar war das Deck nicht groß, dafür war es erst vor langer Zeit geputzt worden, so dass sie bis spät in die Nacht hinein damit beschäftigt waren.
Erschöpft wollte sich Lazyman in sein "Bett" fallen lassen, da sah er das Dilemma: Seine Vermutung hatte sich bestätigt und es war wirklich Wasser auf die Decken getropft und nicht gerade wenig. Doch er war zu müde, um sich jetzt noch darüber aufzuregen und versuchte irgendwie, die feuchten Decken nach unten zu packen, damit ihm beim Schlafen nicht allzu kalt werden würde.
Aber so richtig kam er nicht zur Ruhe: ständig wälzte er sich hin und her, so dass er schon böse Blicke Katans hinnehmen musste, denn jener wollte wirklich einschlafen. Dann endlich hatte Lazyman eine geeignete Position zum Schlafen gefunden. Er lag auf dem Rücken und schloss die Augen. Sein Magen war aber anscheinend nicht der Meinung, dass es schon Schlafenszeit wäre, denn er arbeitete kräftig - und dass nicht gerade zum Behagen Lazymans. Er entschied sich, dass es wohl das Beste wäre, noch einmal raus zu gehen, um etwas frische Luft zu schnappen.
Kaum war er draußen, da übermannte ihn dann auch schon die Übelkeit und er spuckte sein Abendessen ins Meer. 'Na prima! Ich bin seekrank! Das kann ja eine heitere Fahrt werden...', dachte der Einhandlehrmeister bei sich, als er versuchte, seinen Körper wieder unter Kontrolle zu bringen. Nun konnte er nur hoffen, dass sich dieses Spiel nicht die ganze Nacht fortsetzen würde, denn dann würde er nicht ein Auge zu tun, sondern die meiste Zeit draußen in der Kälte verbringen...
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Das Wetter schien hier immer gleich zu sein. Wolken bedeckten den ganzen Himmel und der Nebel verhinderte die Sicht auf ferne Dinge…dennoch schneite es nicht und ein eisiger Wind wehte über die scheinbar endlosen Eisflächen. Darneg hatte sich von Khurad leiten lassen, dem es weiter und weiter in Richtung Wald zog. Die Baumreihen waren schon relativ nahe und seine Gedanken waren bei seinem von Katan zerstörten Leben. Selbst, wenn es sinnlos war, quälten ihn immer dieselben Fragen: Wie hätte es werden können? Wäre es ein Sohn geworden? Was hätte ich ihm alles beibringen können? Wie wäre mein Leben verlaufen, hätte mich der Kriegsherr nicht getötet oder was wäre aus mir geworden, hätte ich mich nie Katans Gefolgschaft angeschlossen?
Es brachte absolut nichts, sich solche Fragen zu stellen, das wusste er selbst. Das Verlustgefühl wurde nur noch größer und schürte seinen Hass auf den Kriegsherrn nur weiter. Nichts könnte ihm dies alles wiederbringen…er durfte nicht in der Vergangenheit leben, sondern musste sich auf das konzentrieren, was vor ihm lag. Doch was lag vor ihm? Darneg konnte nicht anders, als schwarz für seine Zukunft zu sehen. Er glaubte nicht, jemals die volle Kontrolle über seinen oder besser gesagt über Khurads Körper zu erlangen. Noch immer schwang der ehemalige Sumpfler in ihm mit und leitete ihn teilweise, führte ihn zu unüberlegten Handlungen. Eigentlich war nur er daran schuld, dass ihn die Hexe ausgestoßen hatte, zumindest bis er sich ihr unterwerfen würde und das wollte er nicht. Eigentlich war er froh darüber, aus den Fängen Durias zu sein…er hasste Magie, hatte sie schon immer gehasst. Ein Punkt, worin er und Khurad eins war. Nur ein Zauber hatte ihn auf dieses Land gebracht und nur dieser würde ihn der Hexe nach wieder zurück bringen. Auf das wollte er es aber nicht ankommen lassen, niemals…erst wenn er dieses ganze verfluchte Winterland abgesucht hatte. Er mochte das Gebiet hier nicht besonders…es war zu leer, zu öde. Auch Khurad mochte dieses nicht…eigenartige Gedankenfetzen kamen ihm in den Kopf, als er die Erinnerungen des ehemaligen Templers aufnahm. Die Zitadelle aus Eis, die er schon einmal gesehen hatte, merkwürdige abstoßende Bestien, die der Hölle entsprungen zu sein schienen, ein Ritual, das grausamer nicht sein konnte und dann dieser Drache. Nein, auch hier waren die beiden eins, sie mochten das Land nicht und das obwohl sie beide die Einsamkeit schätzten. Eigentlich waren sie sich sehr ähnlich, wenn sich auch Khurad gegen die Wahrheit streben wollte, dass er die Widergeburt Darnegs war. Er verbannte die Frage, ob das nicht auch alles ein böser Zauber der Hexe sein könnte, aus seinem Kopf und betrat den Wald.
Nadelwald, nichts anders war hier zu entdecken und eigentlich auch nicht zu erwarten. Wenigstens waren am Boden keine Büsche und störende Äste, die ihm das Vordringen behinderten. Je weiter man in den Wald drang, desto dichter wurde er. Wieder war dieses unnatürliche Gefühl in der Luft zu spüren. Man vernahm keine Tiergeräusche, was Darnegs Instinkte zusätzlich warnte und zu dem Einhänderschwert greifen ließ. Ein Wolfsgeheul durchbrach die Stille und ließ ihn erschaudern. Irgendetwas sagte ihm, dass dies keine normalen Tiere waren…auf diesem Land schien alles anders, unheimlich. Er fühlte sich verfolgt, gehetzt und Widerwillen wurde sein Schritt schneller und er fing an, sich umzusehen. Ein plötzlicher Gedanke in ihm, ließ ihn anhalten. Es hat keinen Sinn, zu fliehen…
Also wartete Darneg…warten auf die Unausweichlichkeit eines Kampfes. Er konnte nicht sagen, woher die Bestien kommen würden und er war sich auch nicht sicher, ob es wirklich Wölfe waren. Ein eigenartiges Déjà vu kam ihm in den Kopf. Er sah Alptraumgestalten mit langen Fängen, Hörnern und geifernden Mäulern vor sich…doch sie tauchten nicht auf. Nichts tauchte auf…keine Bestien waren zu sehen, das ungute Gefühl war weg. Etwas unruhig machte er sich wieder auf den Weg, obwohl er nicht wusste, wohin er eigentlich ging. Darneg stapfte durch den Schnee, folgte einem unsichtbaren Weg und näherte sich einem Hügel. Nur wenige hohe Bäume wuchsen darauf und es wurde bald sichtbar, dass ein Höhleneingang tiefer in das Untere des Hügels ging. Obwohl er sich innerlich dagegen strebte, die Höhle zu betreten, wusste er jedoch, dass dort drinnen irgendwer leben musste. Die Möglichkeit, dass sich dort ein Mensch befand, war nicht ausgeschlossen. Darneg musste es herausfinden, vielleicht traf er dort jemanden, der wüsste, wie man von der Insel gelangte.
Vorsichtig und erhobenen Schwertes näherte er sich der Höhle. Schreie und Knurren drang aus der Höhle und Darneg wäre umgekehrt, hätte ihm nicht eine innere Kraft dazubewogen, weiter zu gehen und dem menschlichen Wesen dort drinnen zu helfen, von dem zweifelsohne die Schreie kamen. Ein Gang führte hinab in Dunkelheit. Hätte er eine Fackel dabei gehabt, hätte es sie wohl angemacht. Dennoch war genug Licht, so dass man ein paar Meter sehen konnte und das musste reichen. Sein Griff um den Schwertgriff wurde fester, als die Geräusche näher kamen. Er gelangte in eine große Höhle, in der ein Kampf tobte. Ein Tier, das einem Wolf nicht unähnlich sah, jedoch größer war und eine immense Bedrohlichkeit ausstrahlte kämpfte mit einem anderen etwas, das mit Fell bedeckt war. Darneg konnte nicht erkennen, was es war, doch schien es unbewaffnet zu kämpfen. Es war kleiner als der Wolf und konnte sich dem Anschein nach nicht mit gefährlichen Zähnen oder Krallen wehren…wenn er nicht einschritt, wäre es wohl der Untergang des Tieres. Er hatte Mitleid und stürzte sich von hinten auf das wolfsähnliche Tier, das ihn noch nicht entdeckt hatte. Ein Schrei drang aus der Kehle der kleineren Wesen, als es von dem größeren Tier attackiert wurde, und mit Erschrecken stellte Darneg fest, dass es sich auch um einen Mensch handelte, wenn er auch sehr beharrt war. Er griff an und erwischte den großen Wolf ziemlich gut…ein Glückstreffer. Das Biest heulte auf und richtete seine Aufmerksamkeit nun auf ihn. Mit der großen Pratze versuchte er Darneg an die Wand zu schleudern, welcher sich vorher aber gerade noch ducken konnte und dem Schlag um ein Haar entging. Mit Nyrdokil versuchte er, dass Tier aufzuspießen, traf aber seinerseits nicht. Ein Hin- und Her entstand und nur die Einmischung des anderen Menschen führte dazu, dass Darneg eine Chance hatte, dem großen Wolfen entgegen zu treten, ohne gleich von ihm verletzt zu werden. Ein kurzer Moment, in dem der Wolf abgelenkt war, reichte, damit Darneg den tödlichen Stoß setzen konnte und es heulend zu Boden ging.
Er wollte sich gerade hinknien, um zu rasten, als sich das menschliche Wesen auf ihn stürzte. Überrascht wurde er von der Faust getroffen und ging zu Boden. Er rutschte zurück und weiterhin drang sein Widersache auf ihn ein. „Hör zu, ich bin kein Feind!“, versuchte er den anderen zu besänftigen, doch dieser wollte nicht hören. Darneg versuchte mit irgendwelchen Floskeln das Menschliche des anderen wieder hervorzurufen, der sich scheinbar für ein Tier und Darneg für einen Feind hielt. Es nützte nichts und er wurde an die Wand gedrängt. Dann, als er die Hexe und Magie erwähnte, hörte dieser endlich auf, ich zu attackieren und wich erschrocken zurück. „Nein….Nein!“, schrie dieser, als Darneg seine Hand ausstreckte und eine Geste vollführte, so wie sie die Hexe immer gemacht hatte, als sie eine Zauber ausführte. Dann verstand er…der andere schien Duria zu kennen und sich vor ihr zu fürchten.
„Keine angst…ich bin kein Feind.“, sagte Darneg und legte mit einer übertriebenen Geste das Schwert nieder und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Sein Gegenüber, der sich nun zu einer Wand gekauert hatte, schien ihm nicht zu trauen. „Duria...“ Bei dem Namen zuckte der Mensch zusammen „…ist auch meine Feindin. Ich will dir nichts Böses, verstehst du?” Der andere verstand nicht, sondern legte seine Hände auf die Ohren und schüttelte den Kopf, während dieser die Augen schloss. Darneg seufzte und näherte sich dem verängstigtem Menschen. Als dieser ihn erblickte, kroch er weg von ihm. Er näherte sich, doch der andere wollte ihm nicht nahe genug kommen, richtete sich sogar einmal auf und machte eine drohende Geste. Darneg überlegte, wie man Tiere auf seine Seite brachte. Bald fiel ihm etwas ein und er ging zurück zum Schwert, hob es auf und verließ die Höhle. Er wusste, wie er den Menschen, oder was davon übrig geblieben war, auf seine Seite gebracht. Er hoffte, es würde klappen…
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Lehrling
Irgendwann wirst du schon Hunger kriegen, dachte Duria und ließ sich auf einen Holzstuhl in der Hauptkammer ihrer Höhle sinken. Vor wenigen Stunden hatte sie sich in ihr Bett gelegt nur um resigniert festzustellen, dass sie trotz ihrer Erschöpfung nicht einschlafen konnte. Zu viele Gedanken wirbelten in ihrem Kopf herum. Khurad war blindlings in den Wald gerannt und nur ein Eingreifen Durias hatte ihn vor dem sicheren Sterben durch ein Rudel schwarzer Wölfe bewahrt. Eigentlich, so wusste sie, war es ein Fehler auf ihre Kosten gewesen, ihn aus der Höhle zu werfen und sich selbst zu überlassen. So musste sie ständig darauf achten, dass ihm nichts geschah. Noch brauchte sie ihn. Was würde Katan denken, wenn er hier ankam und nicht wie erhofft den Freund vorfand? Mit Khurads Tod wäre ihr ganzer Plan ruiniert, das durfte sie nicht zulassen. Und nun hatte seine Dummheit ihn zu Mogdar gebracht, einem kleinen Mann, den sie im Wald ausgesetzt hatte, nachdem er ihr nicht mehr von Nutzen gewesen war. Der gute alte Mogdar, der sich ihr den Weg gestellt und teuer dafür bezahlt hatte. Zu einem kleinen Häuflein Elend war er geworden. Sie hatte ihm so wenig Aufmerksamkeit geschenkt, dass sie nicht mal gewusst hatte, dass er noch lebte. Es war schon ein Wunder, dass er sich gegen die Wölfe hatte behaupten können, die es nicht gerne sahen, wenn andere Fleischfresser in ihren Gebieten wilderten. Im ersten Moment war sie zornig gewesen, dass Khurad und er aufeinander getroffen waren, doch inzwischen hatte sich ihre Haltung geändert. Warum die Sache nicht zu ihrem Vorteil nutzen? Mogdar hatte wieder den wahren Khurad erweckt, die mitfühlende Gestalt, die nicht nur Augen für seinen ärgsten Feind hatte. Er wollte dem Mann im Wald helfen, das war offensichtlich. Wollte er sich auch mit ihm anfreunden? Nach alledem, was Duria mit ihm angestellt hatte, war es schon ein Wunder, dass er überhaupt noch menschliche Laute über die Lippen bekam.
„Liriana?“, rief Duria und schnippte mit dem Finger, „Liriana, sei so gut und komm’ einmal her.“ Schon nach wenigen Momenten kam das kleine Mädchen, stellte sich neben den Stuhl und sah die Hexe fragend an. Diese hob es auf und setzte es auf ihren Schoß. Nachdenklich strich sie über das Haar des Kindes.
„Erinnerst du dich noch an den Mann, der eine Weile bei uns gelebt hat?“
„Ja.“ Die Stimme des Kindes klang tonlos.
„Dieser Mann, Khurad, der uns gar nicht schnell genug wieder verlassen konnte, hat ihn im Wald gefunden. Was sagst du dazu?“
Es antwortete nicht. Duria musste sich über das kleine Mädchen wundern. Es war schon immer wortkarg gewesen, doch in der letzten Zeit sprach sie nur das allernötigste. Als spürte es, was vor sich ging, und dass es selbst eine Rolle in diesem Spektakel spielen würde.
„Du hast den Mann von damals doch gemocht, oder?“, fragte die Hexe weiter und das Kind nickte. „Und den anderen, diesen Khurad?“ – „Weiß nicht.“
„Du möchtest den beiden doch sicherlich einen Besuch abstatten.“ Sofort, nachdem diese Worte Durias Mund verlassen hatten, sprang Liriana von ihrem Schoß. Sie wirkte fast panisch, als sie hastig mit dem Kopf schüttelte. Die Rothaarige hatte eine solche Antwort bereits erwartet. Wieso fragte sie das Mädchen eigentlich noch, ob es überhaupt wollte, wozu sie es zwang? Natürlich wollte sie es nicht, das war in der Vergangenheit so gewesen und würde auch in Zukunft so sein. Dennoch ließ Lirianas Abwehrhaltung sie etwas zornig werden. Du hast nicht das Recht, dich mir zu widersetzen, dachte sie.
„Liriana“, hob die Hexe an, „ich kümmere mich nun schon seit vielen Jahren um dich – und du kannst nicht sagen, dass es dir bei mir schlecht ergeht. Damals habe ich dich bei mir aufgenommen, als kein anderer dich haben wollte, und jetzt willst du mir nicht einmal diesen kleinen Gefallen schuldig sein?“
Liriana blickte zerknirscht drein. Sie schien mit sich selbst zu ringen und jede weitere Entscheidung genau zu überdenken. Das war der Moment, in dem Duria sich in ihre Gedanken einschlich und sie veränderte. Es sind nur zwei kleine armselige Menschen, nichts Wert in den Augen der Welt. Was macht es schon aus, ihnen eine Macht zu zeigen, die sie niemals erreichen würden?
Duria zog eine Augenbraue nach oben und wartete Lirianas Entscheidung ab. Zu ihrer Freude nickte das Kind und sagte: „Ich mag nicht, wenn du böse mit mir bist.“ Dann verschwand es hinter dem Fellvorhang, welcher die Höhle von dem Gang nach draußen abgrenzte. Mogdar würde diesen Tag nicht überleben, Duria wusste das. Und Khurad würde es beweisen, dass die Hexe über alles und jeden auf dieser Insel verfügte wie es ihr gefiel. Tatsächlich hatte sich ihr Hexengeschlecht auf Harvetheim einen Namen gemacht. Die Bücher in dieser Höhle erzählten die Geschichte längst vergangener Tage, als die erste ihrer Zunft den Fuß auf diese Insel gesetzt hatte. Andere waren ihrem Ruf gefolgt, hatten sich ihr angeschlossen und nach vielen Jahren harter Arbeit die Früchte ihrer Arbeit bestaunt: Die Höhle in dem Gletscher. Viele Menschen hatten hier Zuflucht gesucht und ein warmes Heim gefunden. Für lange Zeit waren die Hexer die einzigen Menschen auf dieser Insel gewesen. Friedlich hatten sie zusammen gelebt und die Natur erforscht. Doch dann war eine dunkle Phase gekommen, eine Zeit, in der die Stürme derart über die Insel gefegt waren, dass die Gemeinschaft die Höhle nicht hatten verlassen können. Von einem Tag auf den anderen war das Zuhause zu einem Kerker geworden, in dem die Hexer und Hexen auf engsten Raum zusammen gepfercht waren. Ein trauriger Gedanke, dass es schließlich nur eines einzigen Mannes bedurft hatte, die hart erarbeitete Idylle zu zerstören. Duria wusste nicht, wer es war. Sein Name war längst untergegangen und tauchte in den Büchern nicht mehr auf, jedenfalls nicht mehr, als er wahnsinnig geworden war. Die Hexe hatte den obersten Zauberer der Sippschaft, Zardin, in Verdacht, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass irgendein anderer die Macht besessen hätte, so viele Zauberkundige aus ihrem Heim zu vertreiben. Aufzeichnungen zu folge hatte der Großteil der Gemeinschaft die Nacht in den Stürmen nicht überlegt, nur wenige hatten sich retten können. Und diese hatten eine andere Möglichkeit gefunden, die Zeit zu überdauern. Aus einem kleinen Versteck am Waldrand war nach vielen Jahren eine große Siedlung erwachsen, darauf konnten sie stolz sein. Nur schien ihnen die Möglichkeit der Zauberei abhanden gekommen zu sein, hatte sich Generation um Generation immer weiter im Sand verlaufen, bis dieser Haufen Wilder übrig geblieben war, der sich vor Duria fürchtete und nicht einmal wusste, dass sie enge Bande zueinander bezogen. Ja, sie hatten Angst vor ihr, die sie von dem Hexer abstammte, der ihr Leben zu einer Qual gemacht hatte.
Nein, dachte Duria dann, das wissen sie überhaupt nicht. Sie haben einfach nur Angst vor mir, weil ich und alle Hexer und Hexen, die zuvor auf dieser Insel gelebt haben, grausam zu ihnen waren.
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Darneg und Khurad wurden eins, als er seine Instinkte schärfte und die Schritte sanfter und immer leiser wurden. Der Wald rundherum schien nicht mehr zu existieren. Seine Konzentration war ganz auf sein Ziel, sein Opfer, gerichtet. Er hatte lange gesucht, bis er endlich einmal ein Tier gefunden hatte, das sich zu jagen lohnte. Fast hätte er aufgegeben, aber schon bald war ihm gekommen, dass es irgendwelche Tiere geben musste, die von den Raubtieren gejagt wurden. Schließlich war er auf eine kleine Lichtung gelangt, auf der einige Rehe lagerten. Sie hatten ein eigenartig geschecktes Fell, das Darneg noch nie an solchen Tieren gesehen hatte. Wahrscheinlich war es eine Eigenart dieser Insel. Langsam bewegte er sich aus seiner Deckung heraus und die Tiere schienen nichts zu bemerken. In den letzten Minuten war ihm ein Ablenkungsmanöver eingefallen, dessen er sich nun bediente. Er nahm einen Schneeball, der durch das Eis, schwerer und deswegen leichter zu werfen war, und warf ihn genau auf die andere Seite der paar Rehe. Sichtlich erschraken sie, als der Ball landete. Währenddessen näherte sich ihnen Darneg schon laufend und erhobenen Schwertes. Das Tier, das er angepeilt hatte, war zu flink für ihn, aber ein anderes, das sich scheinbar nicht ganz auskannte lief ihm verängstigt fast direkt in die Klinge. Angeschlagen machte Darneg kurzen Prozess mit dem Reh. Der Schnee war vom Blut rot gefärbt und er machte sich daran, das wichtigste Fleisch herauszuschneiden. Nachdem er dies gemacht hatte, ließ er den Rest für die Aasfresser übrig, die sicher bald auftauchen würden.
Mit ein paar ordentlichen Stücken Fleisch machte er sich wieder auf den Rückweg zur Höhle. Tiere gewann man für sich, wenn man ihnen etwas zu essen gab…vielleicht würde es auch bei diesem verängstigen Menschen funktionieren, in dessen Inneres ein Tier zu schlummern schien. Es wurde schon dunkel, als er fast die Höhle erreicht hatte. Ein unheimliches, markerschütterndes Heulen war plötzlich zu vernehmen und Darneg erstarrte…es war ihm für seinen Geschmack zu sehr in der Nähe gekommen. Sein Schritt wurde schneller und mit jedem Schritt noch mehr. In der Höhle hoffte er, sicher zu sein. Obwohl er sich mit Schwert in der Hand schon sicherer fühlte, machten ihm doch die Dunkelheit und der aufkommende Nebel etwas zu schaffen. Irgendein Übel lauerte in seiner Nähe und er wollte nicht unbedingt einen Kampf mit diesem haben. Seine Besorgnis schwand schon ein wenig, als endlich die Höhle in sein Blickfeld kam. Darneg hatte es eilig, sie zu betreten und vergaß dabei, eine Fackel anzumachen. Nur ziemlich erschwert durch seine kalten Finger, schaffte er, etwas Licht in die Umgebung zu bekommen und betrat mit der Fackel die Höhle.
Der Halbmensch kauerte in der Mitte der Höhle an einem kleinen Lagerfeuer. Wiederum erschrak er, als er Darneg erblickte, und wich zurück. Er hatte wohl einiges durchgemacht…dachte sich der weiche Teil in Darneg oder eher in Khurad voller Mitleid. Er hockte sich einfach vor das Feuer, nahm eine Keule heraus und ließ sie oberhalb der Flamme vor sich hinbrutzeln. Man konnte es dem Fremden ansehen, wie hungrig dieser war und wie diesem das Wasser im Mund zusammen lief. Als er fand, dass das Fleisch so halbwegs durch war, hielt er sie dem Mann entgegen. Dieser warf einen gierigen Blick auf das Essen, das ihm angeboten wurde. „Nimm sie.“, sagte Darneg mit freundlicher Stimme. Noch etwas misstrauisch wagte dieser sich nach vor, nur um bei jeder Bewegung etwas zusammen zu zucken oder zurück zu weichen. Auf einmal hatte er die Keule aus Darnegs Hand gerissen und riss ein Stück Fleisch nach dem anderen herunter. Gierig schlang er sie herunter und war bald fertig. Inzwischen hatte der wiedergeborene Krieger schon die nächste Keule über dem Feuer gebraten. Dieses Mal hielt er sie ihm aber nicht gleich hin, sondern meinte „Wenn du mir ein paar Fragen beantworten kannst, gebe ich dir noch mehr von diesen Keulen.“
Der andere schaute ihn verwirrt an und nachdem er eine Weile nichts sagte und Darneg relativ hoffnungslos den Kopf schüttelte, vernahm er plötzlich ein Geräusch von hinten. Mit einem Surren war Nyrdokil gezogen und er stand aufrecht, wurde aber daraufhin nach hinten zur Wand geschleudert. Er spürte, dass sich ihm eine Krallenhand über den Rücken gezogen hatte und er aus dem Schnitt blutete, die diese hinterlassen hatte. Darneg, sowie Khurad erwarten das Ende. Stattdessen vernahm er einen Aufschrei, der von seitens des Fremden kam. Ein Knurren, das ihm durch Mark und Bein ging folgte daraufhin. Die Schmerzen auf seinem Rücken wurden ihm nur zu bewusst und es wurde ihm kurzzeitig schwarz vor Augen. Stöhnend richtete er sich auf und musste mit Erstaunen feststellen, dass die Bestie, was auch immer sie gewesen war, verschwunden war und der fremde Mann blutig und übersät mit Rissen und offenen Wunden am Boden lag. Scheinbar hatte er doch länger die Augen geschlossen gehabt. Darneg stellte mit Entsetzen fest, dass der Mann noch nicht sein ganzes Leben ausgehaucht hatte. Aus einem inneren Zwang heraus näherte sich ihm und kniete neben ihn nieder. Überraschend schnell packte ihn dieser mit den Händen an dem Brustteil seines Harnischs und zog ihn näher zu seinem Gesicht. „Werwolf von Hexe…keine Flucht…“, stammelte er voller Angst vor sich hin, bis nach ein paar Sekunden, die Darneg wie eine Ewigkeit vorkamen, die Kraft dessen Hände nachließen und der Mann zurücksank. Reglos lag dieser am Boden und Darneg musste erst die Erlebnisse verarbeiten, derer er gerade teil wurde. Verzweiflung machte sich in ihm breit…ein Werwolf…keine Flucht? Es war nur zu klar was dies bedeutete, aber konnte er es diesem Mann wirklich glauben? Warum war eigentlich er von dem Biest verschont gewesen? War es wirklich ein Werwolf gewesen…lauter Fragen, auf die er keine Antwort wusste und das machte ihn fertig. Wenn er wenigstens wüsste, woher er Antworten bekommen könnte. Seine letzte Hoffnung war mit dem Mann gestorben. Das Land war vielleicht riesig, wo sollte er den hingehen? Ein kleiner Teil in ihm hatte schon aufgegeben…vielleicht hatte die Hexe recht gehabt. Es erschien alles so sinnlos…
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16.01.2006 21:49
#19
Worauf hatte er sich da nur eingelassen? Nicht nur, dass er immer noch seekrank war. Nein - damit hatte sich Lazyman ja mittlerweile abgefunden und es als Reaktion seines Körpers akzeptiert. Aber dass dann auch noch diese schreckliche Reise kein Ende nehmen wollte - dafür machte er Katan höchst selbst verantwortlich. Sie wären bestimmt längst schon da gewesen, hätten sie nur den Landweg nach Drakia genommen und wären dort übergesetzt. Wahrscheinlich hätten sie dann auch noch das Gold gespart. Aber nein, Katan musste ja unbedingt auf diesen alten Kahn aufsteigen.
Warum nur war Lazy mit ihm gegangen? Er war Katan keinen Gefallen schuldig gewesen und hatte eigentlich auch sonst keinen Grund gehabt, ihm zu folgen. Mittlerweile verstand er selbst nicht mehr, warum er vor ein paar Tagen mit ihm zusammen diesen schäbigen Kahn bestiegen hatte. Und dann dazu noch dieser alte "Kapitän". Jener sah die beiden Passagiere als seine untersten Lakaien an und ließ sie die schmutzigsten Arbeiten machen, die anfielen. Als Dank erhielten sie trockenes und nicht gerade schmackhaftes Essen und einen Schlafplatz, auf den es reinregnen konnte.
Langsam reichte es dem Hauptmannsadjutanten. Mehr als alles andere wünschte er sich, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, egal wo. An Land musste er sich wenigstens nicht übergeben - wie jetzt gerade. Ein schreckliches Gefühl, vor allem, weil sein ganzer Körper dabei verkrampfte. Beim besten Willen - so wollte und konnte er nicht mehr weiter reisen.
Aus den Augenwinkeln konnte der Waffenknecht erkennen, wie sich Katan an Deck begab. Ob er nach seinem Einhandlehrmeister sehen wollte oder ob es ihm in der Kabine einfach nur zu stickig geworden war, konnte Lazy nicht sagen. Aber dieser Blick, welchen der Grauhäutige ihm zuwarf... Er brachte das Fass zum Überlaufen:
"Ja! Macht Euch ruhig noch über mich lustig! Dafür werdet Ihr zahlen, Katan! Jede einzelne Minute auf diesem Kahn werdet Ihr mir vergelten! Warum nur, bin ich mit Euch gekommen! Löst doch Eure Probleme allein!", keifte Lazyman den Grauhäutigen an. Völlig zu Unrecht, denn jener hatte einfach nur in die Richtung des sich Übergebenden geblickt. Dabei hatte er weder die Miene verzogen noch einen lustigen Gesichtsausdruck gemacht.
Doch nun wandte sich Katan schweigend ab und ging wieder zurück unter Deck. Erst jetzt wurde Lazy bewusst, was er da eigentlich gesagt hatte. Aber war das wirklich er selbst gewesen? So kannte er sich doch gar nicht! Allerdings war er bisher auch noch nie in einer so angespannten Lage gewesen - und das auch noch über einen so langen Zeitraum. War es da nicht verständlich, dass ihm die Nerven durchgingen? Nein - war es nicht! Einem Diener Innos' durfte so etwas nicht passieren und schon gar nicht, wenn er so erzogen worden war, sie Lazyman - immer auf Anstand und Höflichkeit bedacht.
Der Einhandmeister entschloss sich, Katan zu folgen und ihn um Verzeihung zu bitten - diese Anschuldigungen konnte er einfach nicht unkommentiert im Raum stehen lassen: "Katan?", fragte er leicht vorsichtig, um zu sehen, ob der Grauhäutige überhaupt zu einem klärenden Gespräch bereit war. Als sich dieser aber umdrehte, fasste der Waffenknecht dies als eindeutiges "ja" auf. "Ich bitte Euch um Verzeihung. Das, was ich eben gesagt habe, war nicht so gemeint. Mir sind einfach die Nerven durchgegangen - das muss wohl daran liegen, dass wir schon so lange auf See sind und mir ständig übel ist. Nehmt Ihr diese Entschuldigung an?"
Noch ehe Katan eine Reaktion zeigen konnte, schrie der Kapitän von oben: "Land! Land in Sicht!" Doch die erwartete, überschwängliche Freude blieb sowohl bei Lazyman als auch bei Katan aus. Eigentlich auch nicht seltsam, wenn man bedenkt, dass der Kapitän bereits die letzten drei Tage mehrfach mit diesem Ausruf ankam, das so genannte "Land" sich aber immer als etwas größere Sandbank oder einfach nur als ein Schiffswrack auf einer Untiefe entpuppt hatte.
"Kommt raus ihr Landratten! Ihr müsst beim Anlegen helfen!" Sollten sie etwa endlich ihr Ziel, Gorthar, erreicht haben? Lazyman konnte einen erfreuten Gesichtsausdruck nicht unterdrücken, als er an Deck kam und sah, dass sie wirklich in einen Hafen einliefen. Das musste Gorthar sein - endlich würde er seine Übelkeit loswerden und sie konnten ihren Weg fortsetzen. Von diesem Gedanken motiviert packte er beim Anlegen mit an, so dass dieser Vorgang binnen weniger Momente abgeschlossen war.
Die dicken Mauern und der festungsartige Charakter der Stadt ließ seinen eben noch fröhlichen Gesichtsausdruck jedoch gleich wieder einer ernsten Miene weichen. Dies war kein Ort an dem man alt werden wollte. Sicher, in Khorinis herrschte im Moment auch nicht gerade die beste Stimmung, aber es war noch lange nicht so kalt wie hier. Ein Glück würden sie hier nicht allzu lange bleiben, hoffte Lazyman jedenfalls. Aber wie würde sich ihr Weg nun fortsetzen? Lazy kannte sich hier überhaupt nicht aus und konnte es nicht sagen. Er kontrollierte nur noch einmal, ob er sein Schwert und das bisschen Proviant, was übrig geblieben war, bei sich hatte und blickte dann zu Katan, auf dass dieser den Weg weisen würde...
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Lehrling
Der größte Teil der Insel bestand aus offenem Schneeland. Hier gab es keine Flucht und selbst, wenn man es bis in einen der beiden größeren Wälder hinein schaffte, war eines Tod bereits besiegelt. Die Wölfe mochten die größte Gefahr dieser Gegend darstellen, waren bei Weitem aber nicht die einzige. Wann würde Khurad das endlich lernen? Duria hatte ihre mächtigste Waffe, ihren Werwolf, zu ihm geschickt, um es ihm begreiflich zu machen und die Bewegungen seines Geistes hatten der Hexe offenbart, wie aufgekratzt er über diese Begegnung war. Dennoch befand er sich immer noch in dem Wald. Dachte er darüber nach, zu ihr zurückzukehren? Sie wusste es nicht. Aber das machte jetzt nichts. Katan und sein kleiner Freund waren hier noch nicht angekommen, das hätte sie gespürt. Sie musste ihre Kräfte sammeln und das konnte sie nur, wenn sie sicher war, nicht während des Schlafens eine Klinge in den Rücken gestoßen zu bekommen. Kurzum: Sie fühlte sich momentan nur wohl, weil Khurad nicht in der Höhle war. Und aufpassen musste sie auf ihn gerade auch nicht. Des Nachts wachte Liriana über ihn. Irgendwie hatte das Mädchen den Mann ins Herz geschlossen und Duria glaubte nicht, dass sie zulassen würde, dass ihm etwas geschah. Zumal die Rothaarige es dem Kind eingeschärft hatte. Ohne Khurad würde diese ganze Sache kein gutes Ende nehmen, dem war sie sich gewiss…
Wo aber blieben Katan und der andere Mann, Lazyman? Sie hatten sich bereits auf den Weg gemacht, hatten das Tor aber noch immer nicht durchschreiten können. Aus welchen Gründen auch immer. Es machte ihr zuschaffen, dass die beiden so lange brauchten. Lag Katan am Ende doch nicht so viel an Khurad, dass er sein eigenes Leben dafür aufs Spiel setzen würde? Sie musste es herausfinden.
Langsam erhob sie sich von ihrem Stuhl und durchmaß den Raum mit schnellen Schritten. Es hatte einige Zeit gebraucht, bis sie sich in diesem Höhlensystem auskennen gelernt hatte, doch inzwischen bereitete es ihr keinerlei Probleme mehr. Es war schön gewesen, jeden einzelnen Raum und Gang erkunden zu können, ohne zu wissen, was hinter der nächsten Ecke auf sie wartete. Auf diese Weise war sie auf einige Geheimnisse gestoßen, die ihre Mutter ihr nicht offenbart hatte. Der Weg, den sie einschlug, führte in einen stark abfallenden und dunklen Gang. Er war nicht verzweigt, zeigte keine Besonderheiten. Und führte direkt in den Raum, den die Hexe sich als Verlies eingerichtet hatte.
„Wie geht es uns heute?“, fragte sie gleichgültig und erweckte mit einem Fingerzeig die Flammen auf den Fackeln zum Leben. Am anderen Ende des kahlen, kalten Raumes presste eine Gestalt sich gegen die Höhlenwand, drängte sich soweit in die Schatten wie es ging, in der Hoffnung, Duria würde sie einfach übersehen. Dabei war die alte Frau erst seit ein paar Tagen hier. Die Hexe hatte sie aus dem Menschendorf ganz in der Nähe geraubt, ihre Familie würde sie niemals wieder sehen.
„Wenn Ihr artig seid, werdet Ihr schon bald wieder bei Euren Liebsten sein“, log sie und bückte sich zu der alten Frau hinab. Der Körper zuckte zusammen, ein Wimmern war zu hören. Erbärmliche Menschen… „Ich werde Euch nach Hause bringen, aber zuerst müsst Ihr etwas für mich herausfinden, denn darum seid Ihr hier. Hört mir jetzt gut zu, in Ordnung? Dann wird Euch auch nichts geschehen und Ihr werdet wohlbehalten nach Hause zurückkehren.“
Die alte Frau bewegte sich nicht, machte keine Anstalten, der Rothaarigen direkt ins Gesicht zu sehen, war aber hellhörig geworden. „Es ist nur eine Kleinigkeit“, sprach Duria weiter, „wartet einen Moment, ich werde Euch Euren Teil bei dieser Sache sofort näher bringen. Ihr braucht wirklich keine Angst zu haben.“
Sie wandte sich um, sodass sie in die Mitte des Verlieses blicken konnte, und hob eine Hand, um einen Zauber zu wirken. Normalerweise liebte Duria diese Effektheischerei mit absonderlichen Körperhaltungen, Handbewegungen und den bunten Lichtern, die man ganz nach Belieben tanzen lassen konnte, doch es bestand keine Notwendigkeit, dies auch zum Ausdruck zu bringen, und so zeigte sie nur auf eine Stelle im Raum und sagte im Kopf eine kleine Formel auf. An dem Ort, auf den ihr Finger wies, begann der Boden sich zu krümmen. Kleine Eiskristalle brachen hervor, wuchsen an, wurden größer, spitzer, gefährlicher. Mit ohrenbetäubender Lautstärke krachten sie aus dem Boden, wanden sich ineinander und ließen schließlich klare, fast menschliche Konturen erkennen.
„Bring meinen Körper nach oben in das Zimmer neben der Haupthalle. Dort wirst du bleiben und über mich und die Höhle wachen. Falls dieser Khurad, der sich Darneg nennt, zurückkommt, dann sei besonders achtsam und lass ihn nicht in den Raum, in dem mein Körper liegt.“ Das waren die Befehle und obwohl das Wesen aus Eis keine Reaktion zeigte, wusste Duria, dass es verstanden hatte.
Die alte Frau trat aus der Höhle ins Freie. Es war ein schöner, wenn auch wie immer äußerst kalter Tag. Der Himmel war kaum bewölkt, die Strahlen der Sonne füllten die Alte mit einer wohligen Wärme. Es war still um sie herum, kein Lüftchen regte sich, kein Vogel zwitscherte, kein Wolf heulte in der Ferne. Wüsste man nicht um die tödlichen Gefahren, die sich hinter der flüchtigen Schönheit verbargen, man hätte sich fast wohl fühlen können. Die Frau machte ein paar Schritte nach vorne, sich ihres schwachen Körpers wohl bewusst, und verharrte anschließend für wenige Minuten. In zwei Tagen wird das Eiswesen wieder verschwunden sein, dachte Duria bekümmert, bis dahin muss ich wieder zurück sein, ansonsten ist mein Körper allem und jedem schutzlos ausgeliefert.
„Dann wollen wir doch einmal sehen, was Katan und Lazyman so treiben…“
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