Scheinwelt



Inspiriert durch eine Wahre Gegebenheit, die sich zwar nicht so heftig, aber in ähnlicher Weise abspielte und durch "Valentino makes his Day" von Punkpferd und Trucker B. Ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!

„Was soll ich nur anziehen? Werden auch alle kommen?“ unaufhörlich bahnten sich diese Fragen ihren Weg durch Valentinos Kopf. Schon seit Tagen konnte er an nichts anderes mehr denken. Alles wurde aus seinem Kopf gestrichen, bis auf diese wenigen Gedanken, die für ihn jedoch von entscheidender Bedeutung waren.
Heute war sein Geburtstag, zwar kein runder, weshalb ihn die Jahreszahl wenig interessierte, aber sein Geburtstag. Wie jedes Jahr wurde dieser Tag von ihm missbraucht, um das obere Viertel von Khorinis in eine festliche Pracht zu hüllen, wie man sie das ganze Jahr nicht sieht.
Sicher war an diesem Morgen schon die ganze Stadt auf den Beinen, jeder versuchte sich so schön und elegant herauszuputzen, wie es nur ging. Die einen taten dies, weil sie von ihm höchst persönlich eine Einladung erhielten, die anderen, um eventuell noch eingeladen zu werden. Denn eins war sicher:
Über diese Feier würde sich Khorinis noch Wochen später die Mäuler zerreißen und diejenigen, die nicht da waren und nicht mit erzählen konnten waren in dieser Zeit nun mal die Außenseiter, mit denen sich niemand abgeben wollte. In den zwei bis drei Wochen störte sich auch niemand an Valentinos arroganter Art, da der Klatsch und Tratsch um diese Feier einfach zu interessant war.
„Welches Parfüm soll ich anlegen? Sitzen meine Haare richtig?“ Es war unbestritten, das Valentinos Hauptaugenmerk nicht auf der Versorgung seiner Gäste, die ohnehin schon meisterlich organisiert war, lag. Vielmehr ging es ihm, als berüchtigter Schürzenjäger darum, seinen Ruf zu verteidigen. Beinahe jede Frau von Khorinis erhielt eine Einladung von ihm und er hoffte, dass jede seiner Bitte nachkommen würde. Valentino konnte sogar bewirken, dass die Wachen des Oberen Viertels etwas milder gestimmt wurden und auch die hübschen Frauen der einfachen Bürgerklasse zu ihm gelassen wurden.
Die Stunden vergingen und Valentinos Tracht, ein mit goldenen Streifen verziertes, seidenes Hemd, gepaart mit einer Hose, so prächtig, wie kaum eine Zweite und einem Duft, bei dem selbst die stolzesten Frauen schwach werden würden, verhalfen ihm, die ersten Gäste, die sich um die Mittagszeit im oberen Viertel sehen ließen, wohlwollend zu empfangen.
Auch die ersten Damen, die sich sehr aufreizend kleideten und beinahe noch schöner dufteten, als der Gastgeber selbst, konnte er bereits begrüßen. Durch das Getuschel und die Erzählerei hielten es nun auch die Gäste aus dem oberen Viertel für angebracht, ihr Gesicht der Öffentlichkeit zu zeigen. So kam es, das sich kurz nach der Mittagsstunde bereits alle der Eingeladenen und sicher noch ein paar mehr im Oberen Viertel von Khorinis einfanden.
„Ich danke euch für euer zahlreiches Erscheinen!“ rief Valentino mit lautstarker Stimme in die erzählende Menschenmenge. Schlagartig verstummte diese und lauschte nun den Worten ihres Gastgebers.
„Wie ihr wisst, habe ich heut Geburtstag!“ kurz wurde er durch einen einstimmigen Gruß aller seiner Gäste unterbrochen, wofür er sich ebenfalls bedankte.
„26 Jahre ist es nun her, dass ich in diese Welt gesetzt wurde und jedes einzelne davon habe ich in vollen Zügen ausgenutzt. Frei von Arbeit, reich an Gold und mit den Schönsten Frauen um mich herum wurden diese Jahre ein wahrer Segen für mich.“ Dies war wieder einer der Momente, in dem die Khoriner ihn am liebsten grün und blau geschlagen hätten, so wie Regis und Coragon es kürzlich taten.
„Soviel der schönen Worte. Diejenigen von euch, die gerne etwas Essen möchten, sollten sich im Rathaus einfinden. Dort hat man für uns ein Buffet der ersten Klasse bereit gestellt und Larius war so nett, uns alle Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen.
Vor dem Haus des Richters habe ich einen Stand mit Getränken errichten lassen. Von kühlem Bier, über edlen Sekt bis hin zum seltensten Schnaps sollte doch für jeden etwas dabei sein!“ Valentino liebte es einfach, seinen Reichtum so reichhaltig und protzend zur Schau zu stellen, die Bevölkerung allerdings sah auch dies als eine der vielen schlechten Eigenschaften Valentinos an.
Es war sehr eigenartig. Obwohl niemand diesen ganzen Trubel um den verwöhnten Schnösel wirklich wollte, so machte ihn doch jeder mit, ganz einfach um dabei gewesen zu sein und nicht als Außenseiter da zustehen.
Es wurde Nachmittag und die Feier war bereits in vollem Gange. Ab und an trudelten noch einige Gäste ein, die zwar ihre Verspätung entschuldigten, sich aber nicht davon aus der Ruhe bringen ließen und sofort in die Menge oder an das Buffet stürzten.
Nun war auch die Zeit gekommen, dem reichen Jüngling sein Geschenk zu überreichen. Doch was soll man einem der reichsten Bürger der Stadt, der sowieso schon alles hat, noch schenken?
„Ein wenig Mitgefühl und weniger Überheblichkeit!“ dachten sich die einen.
„Gesunden Menschenverstand!“ die anderen, doch keiner dieser Wünsche wurde an diesem Tag laut ausgesprochen. Stattdessen ergriff nun Lutero, ein langjähriger und guter Freund Valentinos, das Wort.
„Werter Gastgeber!“ erklang aus seinen Lippen.
„Da heut ja dein Ehrentag ist, haben wir Händler des oberen Viertels uns überlegt, was wir dir schenken könnten? Lange mussten wir uns austauschen, hin und her diskutieren, doch wir sind zu einem Ergebnis gekommen.“ Kurz danach klatschte er zwei mal in die Hände und ein quietschendes Geräusch war zu vernehmen. Nur wenige Sekunden später sah man zwei Sklaven, die einen großen, hölzernen Hänger hinter sich herzogen, auf dem sich etwas befand, verdeckt durch ein weißes Samttuch.
„Los, komm schon! Zieh das Tuch runter!“ befahl Lutero seinem Freund und Gastgeber. Nahezu im selben Augenblick zog er das schneeweiße Laken vom Hänger und erstarrte vor dem, was er erblickte.
„NEIN!!!“ stieß er unbeholfen aus, doch war es kein Ausdruck der Trauer, sondern viel mehr ein freudiger und positiv überraschter Ausruf der Freude. Mit sowas hätte er nie im Leben gerechnet. Im hellen Glanz des Sonnenlichts spiegelte sich sein Gesicht in einer goldenen Statue wieder, die ihm bis in letzte Detail ähnelte. Voller Freude und Begeisterung untersuchte er jeden kleinen Winkel dieses Kunstwerks. Die Vorstellung, die er seinen Gästen dabei bot, war amüsant und lustig. Es machte ihnen einfach Spaß, Valentino dabei zuzusehen, wie er sein Ebenbild auf eventuelle Mängel untersuchte.
„Danke Lutero, die bekommt einen Ehrenplatz in meinem Haus!“ gab er frohlockend von sich. Kurz darauf packten die Männer, welche die Statue schon hier her schafften, wie den Wagen und zogen die tonnenschwere Skulptur in Valentinos Haus.
Er selbst hatte nun den Höhepunkt erreicht. Das köstlichste Essen, der beste Wein, die schönsten Frauen, die Khorinis zu bieten hatte und schließlich ein vergoldetes Ebenbild seinesgleichen war und in seinem Besitz. Was konnte es schöneres geben.
„Valentino, komm doch bitte mal!“ Jäh wurde Valentinos Freudentanz im siebten Himmel allerdings unterbrochen, als eine der Wachen ihn zu sich bestelle.
„Was will denn der von mir? Sicher nur eine kleine Lappalie, die es zu klären gilt!“ redete er sich ein. Doch je näher er dem Tor des Viertels kam, desto mulmiger wurde sein Gefühl und als er es schließlich erreicht hatte, stieß er einen kurzen, aber von Überraschung und Angst erfüllten Schrei aus.
„Was machst du denn hier?“
„Wie, du kennt diesen Mann?“ fragte eine der Wachen etwas unbeholfen heraus. „Ich wollte ihm nicht glauben, als er sich für euren verschollenen Bruder ausgab, doch jetzt…“ weiter kam der Soldat nicht, da er durch einen aufbrausenden Wortschwall Valentinos unterbrochen wurde.
„Ich möchte, dass dieser Mensch verschwindet, er existiert nicht mehr für mich!“ stieß er kaltherzig und ohne Rücksicht aus.
„Aber ich… ich bin doch…“
„Auf jeden Fall nicht mein Bruder! Du bist für mich gestorben, das habe ich dir schon mal gesagt! Und jetzt verschwinde endlich, ich will mir von dir nicht den Abend vermiesen lassen“ dies waren die letzten Worte, die der Schürzenjäger seinem Bruder zu sagen hatte. Die Miene des Betroffenen wandelte sich daraufhin schlagartig zu einer deprimierten und niedergeschlagenen. Wo vor wenigen Minuten noch Hoffnung und Optimismus die Vorherrschaft hielt, ist nun Verzweiflung der alleinige Herr.
Betrübt wendete sich Valentinos Bruder, ebenso, wie er selbst von den Wachen ab, beide gingen ihre Wege. Doch zu sagen, dass es nur einem der beiden Schlecht ging, wäre gelogen. Auch Valentinos immer strahlendes Gesicht trübte sich nun zunehmend ein, je näher er seinen Gästen kam. Die Laune an der Feier war ihm nun ein wenig vergangen, dabei hatte sie ja noch nicht einmal richtig angefangen. Ein letztes Mal setzte er ein nun ein mehr als gezwungenes Lächeln auf und verkündete seinen Gästen, dass er sich kurz frisch machen müsse, gleich darauf aber wieder für sie zur Verfügung stände. Doch ob er dies wirklich beabsichtigte, konnte und wollte er gar nicht sagen.
Sobald er sein Haus erreicht hatte, zog er die Vorhänge vor das Fenster und verschloss die Tür hinter sich. Anschließend legte er sich in sein prächtiges Bett, welches in der oberen Etage seines Heims thronte. Zwanghaft versuchte er zu begreifen, was da gerade in ihm vor sich ging, doch er vermochte es nicht festzustellen.
„Was hatte er hier zu suchen? Warum war er hier?“`unweigerlich manifestierte sich diese Frage in seinem Kopf, hoffend suchte er nach einer Antwort, doch fand er in dem Gewirr aus tausenden Gedanken, die urplötzlich in seinen Kopf platzten, wie ein Schwall Besucher in Coragons Kneipe, keine Antwort.
„Hey, Valentino, was ist los, komm doch zurück! Es gibt hier ein paar Hübsche Frauen, die sich gerne mit dir unterhalten würden!“ Klang plötzlich die gehässige Stimme Lutero an seine Ohren.
„Valentino?“ Doch plötzlich war die Stimme nicht mehr fröhlich und heiter, sondern wurde fragend und nachdenklich. Nun wurde auch dem Schönling klar, dass er in diesem Haus nicht mehr lange die Zeit haben wird, in Ruhe nachzudenken. Deshalb eilte er umgehend die Treppe nach unten und suchte verzweifelt nach einem Versteck.
„Irgendeinen Ort muss es doch geben, an dem ich allein sein kann?“ überlegte er sich. Doch schon wenig später bemerkte er, dass dieser Ort nicht innerhalb seines Hauses lag. Hastig schaute er sich um, suchte nun nach einem Ausgang. So schnell wie möglich wollte er dieses Haus verlassen, dieses Viertel, diese Stadt. Er versank förmlich in Selbstmitleid und begann sogar zu weinen.
„Valentino?“ hallte es plötzlich aus ein paar dumpfen Schlägen hervor, die gegen seine Tür gerichtet waren. Mit jedem Mal wurden die Schläge härter, die Worte bestimmter, aber auch unsicherer.
„Verdammt, ist dir was passiert?“ Nun wusste er, dass er so schnell wie möglich weg musste, denn wenn Lutero einmal hier rein kommt und ihn antrifft, dann war es mit der Ruhe vorbei.
In seiner Eile erblickte er das Fenster seiner Küche und ohne nachzudenken, sprang er hindurch. Klirrend fielen die Glasscherben zu Boden und ein dumpfes Geräusch ertönte, als Valentino auf dem dreckigen Weg landete, der hinter seinem Haus entlang führte. Sofort rappelte er sich auf und rannte davon, noch ehe sein Freund die Tür einschlagen konnte, um nachzusehen, was los war.
„Valentino, wo bist du?“ hörte er Luteros Stimme schwach von Weitem an seine Ohren dringen. Doch interessiert hatte es ihn nicht wirklich. Er wollte nur noch weg von diesem Ort, weg von all diesen Heuchlern, die ihm nur etwas vor machten, damit er sich so fühlte, wie er es gern hätte. Er war bereit sein Leben, wie es bisher war, aufs Spiel zu setzten nur um zu erfahren, was ihn zu dieser Wahnsinnstat trieb.
Zu seinem Glück wurden die Wachen des Oberen Viertels und des Stadttores umgehend alarmiert und eilten hinauf. So gelang es dem Jüngling ohne Hindernisse die Stadt zu verlassen, um endlich allein zu sein.
Nach ein paar Minuten des Hetzens erreichte er den Hof des Bauern Lobart. Nie hatte er sich darum geschert, wie hart das Leben auf dem Land doch war, doch am heutigen Abend, war es anders. Im milden Licht der untergehenden Sonne erstrahlte der Bauernhof in einer Ruhe und Gelassenheit, wie er es sich momentan von seinem Leben nur wünschte.
Ob dies tatsächlich der Grund war, weswegen er sich dort in einer Scheune einnistete und versuchte, die Nacht über die Runden zu bringen, wusste er womöglich selbst nicht. Doch zum ersten spürte er, wie das Leben wirklich war: kalt, unbarmherzig und gnadenlos.
Einsam kauerte er sich in einen Haufen aus weichem, gleichzeitig aber kratzendem und störrischem Stroh. Dem alten Valentino in ihm gefiel dies überhaupt nicht, denn Luxus und Reichtum war das einzige, wonach er trachtete. Da war so ein Bett aus einfachem Stroh ein wahres Sakrileg. Der neue aber versuchte sich damit zu beruhigen, dass es wohl nötig sei, auch mal die 2. Wahl in Betracht zu ziehen, um ein größeres Ziel zu erreichen. Sein Ziel war es, Antworten zu finden und da kam ihm so ein ruhiger Ort wie gerufen.
„Warum nur? Warum?“ So sehr er sich auch bemühte, eine Antwort auf diese, scheinbar einfache Frage lies sich nicht finden. Es war zum verzweifeln. Was er auch unternahm, es half nichts.
Die Stunden schritten voran und je dunkler die Nacht wurde, desto mehr verfinsterte sich auch Valentinos Gesicht. Mit jedem Augenblick schien es ihm, als gehe ein weiterer Teil seines Lebensmutes dahin, bis er irgendwann so erschöpft war, dass er sich nicht mehr wachhalten konnte.

Fröhlich lachte am nächsten Tag die Sonne in den Stall, welcher Valentino als Bleibe für die Nacht diente. Doch ganz im Gegensatz zum heiteren Licht war die Stimmung des Schönlings an einem neuen Tiefpunkt. Noch nie in seinem bisherigen Leben fühlte er sich so schlecht und so niedergeschlagen. Wenn er es genau nahm, war es ohnehin das erste Mal, dass ihn eine Welle solch übler Gefühlsausbrüche überkam. Deshalb wusste er auch nicht, wie er damit umzugehen hat und fühlte sich vollkommen überfordert.
Doch was blieb ihm übrig? Sollte er etwa den ganzen Tag hier liegen bleiben und Trübsal blasen? Diesen Gedanken schüttelte er sich ebenso schnell aus seinem Kopf, wie das kratzende Heu von seinem dreckigen Anzug.
Fast unscheinbar glitt dabei jedoch ein Zettel von seinem Hemd herab.
„Wo kommt der denn her?“ fragte er sich plötzlich verwundert. Doch im selben Moment bückte er sich und hob das alte, schon leicht vergilbte Pergament auf und faltete es auseinander. Nur mit Mühe war die verschmierte Schrift zu entziffern, die er auf diesem Zettel vorfand.
„Derjenige, der das geschrieben hat, muss ja ebenso verzweifelt sein, wie ich!“ dachte er, als er die krakeligen Buchstaben erblickte. Als er aber zu lesen begann, stockte ihm schlagartig der Atem, von dem, was er erfuhr.

„Mein lieber Bruder!
Ich weiß, das Schicksal war mir nicht immer hold und hat mir ab und zu einen derben Streich gespielt, weswegen mein Vermögen, sofern man es überhaupt als ein solches bezeichnen konnte, wohl nie an deines herangekommen wäre. Bisher glaubte ich aber, dass dich das Gold noch nicht völlig geblendet hat, doch anscheinend habe ich mich getäuscht!
Auch deine verzweifelte Flucht von gestern Abend ändert nun nichts mehr an meiner Meinung. Ich habe dich zwar beobachtet, doch es kam mir noch nicht so vor, als ob du dich geändert hättest.
In dir sah ich bisher immer jemanden, zu dem ich aufblicken konnte, jemanden, der mir als Vorbild diente, an dem ich mich orientieren konnte und neuen Mut schöpfte. Doch gestern hast du dieses Bild in mir schlagartig vernichtet.
Den Grund kenne ich nicht und um ehrlich zu sein ist er mir auch ziemlich egal. Ich habe keine Lust mehr und glaubte dass du wenigstens wissen solltest, was mit deinem Bruder geschah. Tu mir wenigstens den Gefallen und vergiss mich nicht!“

Schlagartig, von einem Moment auf den anderen, brach Valentino in Tränen aus. Das erste Mal in seinem Leben bekam er zu spüren, was es heißt, zu Leiden und zu trauern. Am liebsten hätte er sich gewünscht, zu seinem Bruder zu gehen und ihn um Verzeihung zu bitten, doch dies war unter den gegebenen Umständen leider nicht mehr möglich.