Der Wind ließ Halvors Haare wehen, im Laufe der letzten Zeit war er nicht mehr zum Barbier gegangen, um sie kürzen zu lassen, und so hingen sie, wenn nicht gerade wie in diesem Moment der Wind danach griff, verfilzt bis zum Rücken hinunter. Den Bart hatte er sich die ganze Zeit selbst rasiert, kleinere Narben verteilten sich über seine gesamte untere Gesichtshälfte, das Messer war mit der Zeit immer stumpfer geworden.
Der Wind blies in Halvors Kleider, im Laufe der letzten Zeit hatte er sich nicht mehr die Mühe gemacht, sie zu wechseln, und so stand er nun in verdreckten, stinkenden und obendrein noch löcherigen, braun-grauen Kleidern dort. Er hatte einmal einen halbherzigen Versuch gestartet, die Löcher zu stopfen oder die Kleider zu reinigen, doch hatte er es aufgrund der Missmutigkeit und Faulheit nicht auf die Reihe bekommen, sich genug Mühe zu geben.
Versager.
Halvors schmutzig braune Hände zitterten, doch war die Temperatur nicht der Grund für sein frösteln, seine Knappheit an Geld hatte es ihm nicht gewährt, noch länger genügend Alkohol zu besorgen, um seine Sucht zu stillen. Wie sehr sehnte er sich nach einem guten Tropfen, den er sich völlig genüsslich, seine Abhängigkeit befriedigend, die raue Kehle hinunterschütten würde, um seine zitterigen Hände in den Griff zu bekommen.
Halvors schmutzig braune Hände schmerzten, fehlten doch an der linken Hand der Ring- und Mittelfinger und an der rechten Hand der Daumen, die Wunden hatten sich entzündet, doch er hatte sich nicht darum gekümmert, einen Arzt aufzusuchen, lieber hatte er Kardifs Schnapsvorräte geplündert, um die Schmerzen mit Alkohol zu stillen, der Alkohol, der ihm in der Nacht, als er sturzbetrunken und gereizt sein Schwert gegen einen Fremden gezogen, und sich prompt selbst tief in die Hände, die Finger ab, geschnitten hatte, zu seinen Schmerzen überhaupt erst verholfen hatte.
Trinker.
Dieb.

Halvors Gesicht lag in tiefen Falten, auch seine Erfahrungen mit anderen Menschen hatten Tribut gezollt, und zwar einen solchen, der alle anderen Unglücke nach sich gezogen hatte.
Die rote Laterne war, nachdem Fenia immer abweisender geworden war, seine einzige Zuflucht gewesen, für einige Goldstücke, die doch immerhin einen ganzen Wochenlohn bedeuteten, konnte er sich dort das erkaufen, was er woanders nicht mehr bekam.
Halvors Gesicht schmerzte, als Fenia ihn betrunken in der roten Laterne fand, und ihm prompt mit einem Kerzenständer mitten ins Gesicht schlug, und er spuckte drei gelbe, blutige Zähne aus, wie viele er verschluckt hatte, wusste er selbst nicht.
Aufgrund des Betrugs hatte Fenia ihn verlassen, und alleine konnte Halvor sich nicht genug Geld verdienen, um überhaupt noch richtig leben zu können, Lehmar war der einzige Ausweg gewesen, doch beide schienen gewusst zu haben, dass er die Schulden nie und nimmer zurückzahlen könnte, und der Tag war gekommen, dass vor allen aus der Stadt zur Rechenschaft gezogen wurde, vielerlei Gestalt geächtet.
Versager.
Trinker.
Dieb.
Stricher.
Trinker.
Dieb.
Betrüger.

Die Probleme hatten Halvor erschlagen und ihn abhängig von allem gemacht, ließen ihn immer noch Qualen durchleiden und hatten ihn sein Leben vergessen lassen. Und so hatte er gemerkt, dass er eigentlich schon seit längerer Zeit am Sterben war, schon seit mehreren Jahren starb er innerlich, und als die Probleme geballt auf ihn eingeprescht waren, hatte er das getan, was ihm als einziger Ausweg erschienen war, er war aus der Stadt geflüchtet, Hals über Kopf, ohne sein Hab und Gut, ohne Freunde, ohne Leben.
Feigling.
Nun stand er dort, neben Jacks Leuchtturm, das sonst imposant wirkende Gebäude warf nur einen bedrohlichen Schatten auf den Rand der Klippe, an der das Gras heruntergedrückt war, versteckt von rissigen, braunen Lederschuhen, aus denen die Zehen mit ihren gelben, unförmigen Nägeln heraus ragten.
Halvor wusste, was zu tun war, er würde ihnen zeigen, dass es nicht so war, er würde das tun, was sie nicht erwarteten, und ihnen damit ein für alle Mal das Gegenteil beweisen.
Der ferne Erdboden schien sein Fluchtziel auf das er nun langsam zuschritt, dieses eine Mal würde er es ihnen zeigen, und ein für alle Mal flüchten, wie er es damals getan hatte, als er die Stadt verlassen hatte.
Feigling.

Halvors dreckige Zehen fühlten die große Leere, er machte sich steif wie ein Brett und schloss die Augen, war bereit den Aufprall zu fühlen. Doch nun merkte er, wie er insgeheim, selbst unter den Trauernden, genannt werden würde.
Feigling.
Der Moment war gekommen, dass Halvor eine Entscheidung treffen musste, und er tat es endlich, und tat die entscheidenden Schritte.
Und als er gemächlich, seine verspannten Muskeln zu einem Lächeln zwingend, direkt am imposanten Leuchtturm vorbei, den weichen, erdigen Weg wieder hinunter ging, direkt auf die Stadt zu, überhörte er die zwitschernden Vögel, die neckisch „Feigling“ zu rufen schienen, denn er wusste es besser.