Töten

Töten. Eine wunderbare Tätigkeit. Es wirkt befreiend, es trennt Bindungen so schnell und schonungslos wie eine Axt die Diebeshand. Wie schön wäre es doch, zu töten. Nur ein einziges Mal. Nur ein kurzer Moment. Nur eine einzige Person.


"Aufwachen, Kinder, sofort! Oder es gibt kein Frühstück! Na, wird's bald!"

So begann jeder Tag.Ich war Drohungen, Schläge und Tadel, obwohl ich Lob verdiente, gewöhnt. Tagein, tagaus wurden wir beschimpft ud gezüchtigt. So sah das Innere jenes Waisenhauses in Rifton aus. Nach außen hin wirkt natürlich alles so, als wäre alles in Ordnung. Grelod die Gütige, so nannte sich unsere Erzieherin, zwingte uns, niemandem von unserem Leiden zu berichten. Sie trichterte uns ein, dass sie alles nur für uns tat und zwang uns zu ewiger Dankbarkeit. Wir alle hassten dieses Weib. Meine Träume waren erfüllt mit Mordphantasien. Wenigstens in meinen Träumen konnte ich sie töten. Wie schön war doch der Gedanke, sie an einen Balken zu fesseln und ihr bei lebendigem Leibe Stückchen für Stückchen ein Stück Fleisch hinaus zu schneiden. Ich roch in meinen Träumen den Duft vom gebratenen Fleisch dieses Weibs, ich fühlte den Geschmack auf meiner Zunge, ich hörte ihre Schreie. So schön war der Gedanke, wie sie völlig wehrlos schrie und um Gnade bettelte. Diese Überlegenheit, dieses Gefühl der Genugtuung, diese Freude... Ein einziges Mal wollte ich mich so fühlen. Was war ich bereit zu geben, um auch nur einen kurzen Moment in dieser Lage zu sein. Nur für diese eine Person.

Ich wollte sie töten. Ja, töten. Ich war bereit zu töten.

Doch ich war schwach. Zu schwach. Sie war eine alte Frau, aber trotzdem stark im Vergleich zu mir, denn ich war ein Kind. Ein kleiner Waise. Abfall der Gesellschaft. Ich konnte sie nicht töten. Ich musste die Dunkle Bruderschaft rufen, das Schwarze Sakrament durchführen. Doch nun musste ich aufstehen, sonst galt es, bis heute abend zur nächsten spärlichen Mahlzeit zu warten. Auch die Speisen ließen andeuten, dass wir Abfall dieser Provinz waren. Entsprechend bekamen wir Reste. Trockenes Brot. Madiges Fleisch. Ungewürzte Suppe, die mit fauligem Gemüse zubereitet wurde. Für Grelod und ihre Kollegen war selbstverständlich alles vom Feinsten. Während sie aßen, strömte der Geruch ihrer Speisen in unsere Nasen, während wir an altem, trockenen Brot knabberten. Nach der Mahlzeit appellierten wir alle vor Grelod der Gütigen und dankten ihr für ihre grenzenlose Güte und das ach so leckere Essen. Dazu wurden wir natürlich genötigt. Während unseres Appells kam ein kräftger Nord-Mann in den Raum und warf einen lächelnden Blick auf uns.

"Brave Kindchen", so dachte er sich bestimmt. Anerkennend nickend sprach er zu Grelod der Gütigen:

"Das sind aber feine Kinder. Es ist rührend, wie gut Ihr zu ihnen seid. Frauen wie Euch müsste es mehr in Himmelsrand geben."
"Ich trage dafür Sorge, dass daraus mal wohl erzogene, kräftige Burschen und schöne Mädel werden, nicht wahr, Kinder?", sprach sie und blickte uns drohend anmutend an.
"Ja, Tante Grelod", entgegneten wir gezwungenermaßen.

"Fein", sprach der Nord warm lächelnd und begab sich mit einer der Angestellten in den Nebenraum, um etwas zu besprechen. Grelod sprach streng:

"Geht auf Eure Zimmer. Sofort."

Daraufhin ging sie ebenso in den Nebenraum, ohne darauf zu achten, dass wir auf unsere Zimmer gingen. Ich sah den Nord-Mann. Es war ein aufrechter und stolzer Mann, ein anerkanntes Mitglied, er hatte ganz sicher eine schöne Kindheit. Warum durfte nicht auch ich so werden? Womit hatte ich diese Behandlung verdient? Was konnte ich dafür, dass meine Eltern nicht mehr lebten? Die einzige Person, die mir im Weg stand, war Grelod. Ich brauchte sie nur zu töten. Einfach nur ihr Leben beenden. Nur dieses eine Mal. Bald war es so weit.

- Einen Monat später -

"Habt Ihr schon gehört? Grelod die Gütige wurde von der Dunklen Bruderschaft ermordet!"
"Ja, habe ich. Unfassbar, wozu man nur fähig sein kann. Die armen Kinder!", entgegnete die andere Wache.

Ich hörte dieses Gespräch der Wachen im Hintergrund. Die frohe Kunde, dass das Leben dieser Alten beendet wurde, überbrachte mir jener Vollstrecker der dunklen Bruderschaft vor einer Woche. Noch nie war ich so glücklich. Es gleichte alle Empfindungen des Hasses in mir aus. So schön war das Töten. Es löste alles, was sich in mir anstaute, in einem kurzen Moment. Nur die Nachricht "Es ist vollbracht" genügte. Ich hoffte, eines Tages als Vollstrecker jener Bruderschaft, die mich befreite, dienen zu dürfen. In ihrem Auftrag konnte ich töten, der Gedanke an die vielen Male, die mir das Gefühl der Genugtuung verschaffen konnten, war so großartig, dass mein neues Lebensziel nun war, ein Meuchelmörder zu werden. Aventus Aretino, der Vollstrecker der Dunklen Bruderschaft. Dies sollte mein Titel werden. Und Töten meine Leidenschaft.