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Genervt beförderte Taeris das triefend nasse Knäuel in eine Ecke an Deck. Es war unerwartet anstrengend gewesen das nasse Tau mit dem Fass am anderen Ende an Bord zurück zu ziehen. Kein einziger Pfeil steckte darin.
Müde gähnend löste Taeris die Sehne von seinem Bogen und wickelte ihn zusammen mit dem Köcher in ein recht zerfleddertes Tuch.
Schließlich klemmte er sich das Bündel unter den Arm und beschloss seinen Plan – sich unter Deck zu begeben und etwas Essbares zu suchen – in die Tat um zu setzen.
Wobei man wohl erwähnen musste, dass diese Planungen vom einsetzenden Regen beeinflusst wurden. Die See war zwar verhältnismäßig ruhig, aber der Himmel war seit Stunden rabenschwarz. Selbst das Mondlicht drang nur selten zu der Nussschale von einem Schiff durch, das dort einsam und allein durch die endlosen Gewässer des Meeres schipperte.
Dennoch goss es nun aus Eimern. Kein lautstarkes Donnern oder grelles Blitzen…einfach nur Regen.
Seufzend stieß Taeris mit der Spitze seines rechten Stiefels die kleine Tür zum unteren Deck auf und stolperte beinahe, als er das sperrige Bündel mit seinem Bogen und dem Köcher nach unten buchsieren und gleichzeitig die Türe hinter sich schließen wollte.
Nachdem er sich jedoch durch eine akrobatische Meisterleistung vor einem Sturz bewahren konnte, stand er nun leicht orientierungslos unter Deck. Warmes dämmriges Licht, das von einigen Öllampen ausging, beleuchtete die Schiffsmesse. Gut, „Messe“ war wohl etwas übertrieben. Eigentlich war es einfach nur ein etwas geräumigerer Raum mit zwei kleineren Tischen und ein paar Stühlen darin.
Erst jetzt fiel ihm auf, dass Musik den Raum erfüllte. Der Ursprung des Geträllers war anscheinend Win’Dar, der neben Sonja auf einem Stuhl saß und auf einer Flöte herumdudelte. Normalerweise hatte Taeris nichts gegen Musik… manchmal mochte er sie sogar. Aber irgendwie war dies heute…oder die ganzen letzten Tage über nicht der Fall gewesen.
Mit mürrischer Miene ging Taeris einfach an den beiden vorbei und holte sich einen Apfel aus einem Fass, das in der Ecke des Raumes stand. Nachdem er diesen eines prüfenden Blickes unterzogen hatte, drehte er sich wieder um, ging abermals an den beiden vorbei und ließ sich auf einem der Stühle am anderen Ende des „Raumes“ nieder.
Weder dieser Win’Dar, noch Sonja hatten sonderlich Notiz von ihm genommen.
“Hey..Barde…“
dabei sprach Taeris das Wort fast ungewollt abfällig aus.
“…tu mir´n Gefallen und spiel was leiser.. mein Kopf schmerzt so schon genug..“
beschwerte er sich und biss in seinen Apfel.
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Seufzend setzte Win'Dar das Instrument an und wechselte einen kurzen Blick mit Redsonja.
"Dann such ich mir halt eine andere Beschäftigung. Aber auf deine Verantwortung. Weißt ja, wie langweilig so eine Schiffsfahrt werden kann."
Leise pfeifend säuberte er das Mundstück und verstaute die Flöte wieder in seiner Tasche. Dann lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Sein Bein begann auf und ab zu wippen. Kurz darauf klopfte auch sein Fuß einen schnellen Takt.
Er sah Taeris beim Apfelessen zu, dann starrte er einige Zeit demonstrativ an die Decke, blickte zu Redsonja und verdrehte noch demonstrativer die Augen.
"Hey... Krieger..."
Die Berufsbezeichnung klang dabei wie ein Schritt in einen frischen Kuhfladen.
"... tu mir'n Gefallen und kau was leiser... is so schon schwer genug, sich auf die Umgebung zu konzentrieren..."
Taeris blickte zwar kurz auf, kaute aber weiter und versank wenig später wieder in den zweifellos düsteren Abgründen seiner Gedanken.
Da kam Win'Dar eine Idee. Zuerst kramte er lautstark in seiner Tasche herum. Eigentlich war diese Tasche der einzige Ort, in dem er Ordnung pflegte, doch das war eher eine Sache des Effekts. Schließlich zog er ein leeres Blatt und einen Kohlestift hervor, legte das Blatt vor sich auf den Tisch und begann eifrig darauf zu schreiben.
Dann, nach einer knappen Minute, blickte er auf und starrte überlegend in Taeris Richtung. Eine Hand tippte dabei unruhig auf das Blatt, die andere kraulte den Bart. Nach einiger Zeit des Grübelns grinste er breit und schrieb weiter, wobei er ab und zu zu Taeris linste.
Das Spiel wiederholte er einige Mal, bis er plötzlich aufsah, irritiert blinzelte und dann fragte:
"Fällt euch ein Reim auf "Miesmuschel" ein?"
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Taeris´ Augenlider verengten sich zu schmalen Schlitzen als er die beiden musterte. Mit einer verächtlichen Geste spuckte er den Rest des Apfels weg, der die Kerne beinhaltete und sah zu Win’Dar hinüber.
“Keine Ahnung was ´ne Miesmuschel sein soll….aber versuch´s mal mit…. “Aufdringliches Gekuschel“. Ich glaub´ das reimt sich ganz gut.“
Taeris gab sich alle Mühe, um ein hämisches Grinsen zu verbergen. Ein Blinder mit einem Krückstock, womöglich sogar dieser seltsame Kerl mit den weißen Haaren, der sie begleitete, konnte wohl sehen, dass die beiden recht gern ihre Zeit miteinander verbrachten. Sonjas Gesichtsausdruck in dem Moment, wo er die Tür aufgestoßen hatte, hatte Bände gesprochen.
Irgendwie war er sich sicher – obwohl er nicht wissen konnte was tatsächlich los war – dass Win’Dar darüber ungehalten reagieren würde… Zumindest glaubte er das.
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"Neee, passt nicht in den Kontext", meinte Win'Dar gutgelaunt und kaute leicht auf dem Ende des Kohlestifts herum. Da der scheiße schmeckte, ließ er es kurz darauf wieder bleiben.
Stattdessen schnippte er gekonnt und machte sich ans Schreiben.
"Genuschel. Das passt geradezu her-vor-rag-end."
Er kritzelte eifrig weiter, wobei er die Melodie des Liedes, das er kurz zuvor gespielt hatte, vor sich hinsummte.
"Eine Miesmuschel ist übrigens ein Tierchen, das in Flüssen oder Küstenregionen lebt. Ziemlich faule Gesellen, die den Großteil des Tages mit Fressen verbringen. Sie besitzen eine ziemlich harte Schale, weshalb man sie leicht mit einem Stein verwechseln könnte, wenn sie sie zum Fressen nicht öffnen müssten. Wenn sie sich öffnen, kann man sehen, dass sie im Inneren eigentlich ganz weich sind. Eigentlich sogar ziemlich schleimig. Interessant ist auch, dass sie über gar keinen Kopf verfügen. Brauchen sie auch nicht. Nur ein kleines Mäulchen. Zum Fressen. Wie gesagt, ziemlich faule Dinger. Oh, aber richtig zubereitet sind sie eine Delikatesse."
Er schrieb ein paar weitere Zeilen, bevor er den Kopf leicht hob und schelmisch grinste.
"Ich finde, das gibt eine gar vorzügliche Allegorie. Findest du nicht?"
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Ruhig ein- und ausatmend verharrte Taeris auf seinem Stuhl. Inzwischen hatte er sich darin so bequem zurück gelehnt wie man dies auf einem einfachen Holzstuhl tun konnte. Noch viel gemütlicher hatte er schließlich noch seine Füße auf den Tisch gelegt und blickte Win’Dar nachdenklich an.
“Verblödeter Barde…“
murmelte Taeris so laut, dass dieser es mit Sicherheit hatte hören können.
Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass dies mindestens schon der fünfte Krautstängel an diesem Tag sein musste, holte Taeris einen weiteren hervor und entzündete ihn mit einem Zündholz, das er anschließend zum Erlöschen brachte indem er es kurz ruckartig hin und her wedelte.
“Aber na ja… es ist mir allemal lieber außen hart und innen weich zu sein, als umgekehrt.“
sprach Taeris weiter.
….Falls es das war, was du mit deiner Allego…wasauchimmer meintest…
Aber wie auch immer. Was werdet ihr eigentlich machen, wenn wir in Khorinis ankommen? Muss doch sicher ziemlich wüst da aussehen.“
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Marvin verpasste wirklich nichts. Nur Dummheiten hatten sie im Kopf. Bald würde es eskalieren.
Typisch Männer.
Jetzt hatte sie den beiden Streithähnen aber lange genug zugehört. Das war ja nicht auszuhalten. Eigentlich hätte sie es geniessen müssen mit zwei der Personen auf dieser verfluchten Welt, die zu jenen gehörten, welche ihr mit Abstand am meisten bedeuteten in ihre alte Heimat zurückzureisen, aber ausgerechnet sie konnten sich einfach nicht vertragen. Es war zum Schreien und höchste Zeit mal ein Machtwort zu sprechen. Aber statt auf den Tisch zu klopfen wählte die rothaarige Kriegerin einen anderen Weg.
„Wir werden dort heiraten.“ Entgegnete Redsonja leicht genervt auf die Frage des ehemaligen Söldners und schaute Taeris herausfordernd an. „Wollen wir nicht etwas nach draussen gehen? Es regnet so schön und etwas Abkühlung würde euch beiden gut bekommen.“
Schlug sie vor, die Stille, die nach ihren letzten Worten eingetreten war ausnützend.
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"Tolle Idee", rief Win'Dar, der Millisekunden davon entfernt gewesen war, Taeris' Krautstengel auszuspucken oder mit einem Messer an die Wand zu pinnen. Einzig die Diskussion, welche Methode vorzuziehen sei, hatte verhindert, dass es nicht längst dazu gekommen war.
Kurz darauf war er auf den Beinen und hatte seine Flöte in der Hand: Ein unglaublich schriller und lauter Ton zerriss die Stille - zufälligerweise so nah an Taeris' Ohr, dass er zusammenzuckte.
"Hatte vergessen, sie auszublasen", meinte Win'Dar nicht im Geringsten entschuldigend und trollte sich in die Sicherheit des Regens.
Mit seinem Stinkstengel konnte ihm Taeris schlecht folgen. Und der Gedanke gefiel Win'Dar richtig gut. Diese Stinkerei ließ ihn innerlich kochen. Das war eine ganz miese Art von Angriff. Salz in offene Wunden streuen, das konnte dieser Söldner wohl. Aber der würde sich noch umschauen. Irgendwann musste er schlafen. Sollte ja Leute geben, die im Schlaf gestorben sind. Einfach nicht mehr aufgewacht. Tragisch.
Auch wenn er es wahrscheinlich nicht wusste, hatte sich Taeris mit seinem Kommentar in gefährliche Gewässer begeben. Win'Dar würde nicht zulassen, dass irgendjemand Gerüchte säte. Dieser Krautkopf würde zuerst Redsonja in Gefahr bringen, und dann ihn selbst. Dazu durfte es nicht kommen. Dazu würde er es nicht kommen lassen.
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Funkelnd blickte Taeris Sonja nach, die ihm zunächst einen fragenden und gleichzeitig auffordernden Blick zu warf, Doch Taeris rührte sich keinen Finger breit von seinem Sitzplatz weg. Mit steinerner Miene zog er an dem Krautstängel und stieß den Dunst rasch durch die Nase wieder aus. Er beschloss sie einfach zu ignorieren. Beide. Sollten sie doch über ihn denken was sie wollten. Diesem eingebildeten Fatzken an ihrer Seite würde er es schon noch zeigen… nur sollte er das am besten nicht unbedingt tun, wenn sie dabei stand….und schon gar nicht wenn dieser aalglatte Typ nur darauf wartete.
Die Tür des Unterdecks fiel wenig später lautstark ins Schloss. Mit einem Schlag war es still geworden. Lediglich das in Schiffen übliche Knarren der zahlreichen Holzplanken und das plätschernde Schwappen der Wogen an der Außenhülle des Kahns störten diese Stille ab und zu. Die Stille machte Taeris zu schaffen. Es war, als würden seine Gedanken diese Stille nutzen um noch laute rund penetranter auf ihn ein zu prasseln. Sie vermischten sich zu einem Brei aus Stimmen und Flüchen, Fragen…
Ruckartig erhob er sich von seinem Sitzplatz und drückte den Rest des Glimmstängels auf der Tischplatte aus.
Vielleicht war es besser dem heutigen Tag ein Ende zu setzen und sich schlafen zu legen….
Wobei es recht unwahrscheinlich war, dass er dieser Tage überhaupt richtigen Schlaf fand.
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Ja zu wem sollte sie jetzt? Wie sollte man sich zwischen Liebe und Freundschaft entscheiden?
Aber wie meist bei ihr siegte das Herz und so trat sie in eine stürmische, regnerische Nacht hinaus, die eine wilde Romantik besass. Der Wind, das Wasser, die Kälte. Alles liess Redsonja spüren, dass sie lebte. Aber sie lebte nicht nur, sie liebte auch und um ersten Mal in ihrem Leben konnte sie es ausleben.
Win'Dar stand bereits etwas weiter draussen im Regen, reckte sein Gesicht zum Himmel und liess es berieseln. Mit ein paar schnellen Sprüngen hatte Redsonja ihn erreicht. Kurz vorher bremste sie jedoch ab und näherte sich ganz langsam. Sie schob ihm die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht, streichelte zärtlich seine Wange und hauchte ihm einen Kuss auf den Mund.
„Und jetzt wollt ihr euch die ganze Zeit über bekriegen?“
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"Hrmpf", sagte Win'Dar.
Krieg ist so ein starkes Wort, dachte er, das ist irgendwie falsch, das passt hier nicht hin, das muss irgendwie subtiler gelöst werden.
"Ich will eigentlich gar nichts. Er hat angefangen."
Ein Stubs auf die Nase sagte ihm, dass die Antwort wohl nicht befriedigend war.
"Also bitte, er hat's wirklich rausgefordert", verteidigte sich Win'Dar. "Außerdem hab ich ein etwas schlechtes Gefühl bei der Sache. Was ist, wenn er mehr weiß, als er zugegeben hat? Ich mein, das könnte gefährlich werden, wenn er es rumerzählt oder sich verplappert. Für uns beide."
Taeris' Kommentar hatte ihn mehr aufgewühlt, als er zuzugeben bereit war. Das war genau die Art von Situation, aus der Probleme entstanden. Und die würden rammeln wie die Hasen und irgendwann kam die große Katastrophe. Davor hatte er Angst. Verdammte Angst.
"Ich mein, ich weiß, dass du auf dich aufpassen kannst. Vermutlich besser als jeder andere auf diesem Kahn. Aber . . . das ist etwas anderes. Diese Leute spielen nicht fair. Die kennen das Wort nicht einmal. Für die gibt es nur den Sieg - egal für welchen Preis. Und ich hab so eine Scheißangst, dass sie dir etwas tun könnten. Oder mir. So ehrlich muss ich sein. Ich würde mich lieber von einem Dämon langsam in Stücke reißen lassen, als mich von denen erwischen zu lassen. So grausam können nur Menschen sein."
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Sie schauderte, denn etwas in Win'Dars Stimme verriet mehr als seine Worte. Dies waren keine Ammenmärchen, die man den Kindern erzählte, damit sie den Keller mieden. Solche hätten bei Redsonja nämlich ihren Zweck verfehlt. Seit jeher hatte es sie gereizt herauszufinden was hinter dem Geschwätz der Erwachsenen war. Nein, die Vorstellung reichte aus, um sie richtig frieren zu lassen. Es war, als würde eine eisige Hand nach ihrem Herz greifen und versuchen es herauszureissen.
„Dafür können sich Menschen verändern.“ Entgegnete die rothaarige Kriegerin und versuchte den Wanderer mit einem halbherzigen Lächeln aufzumuntern. „Aber ich werde mit Taeris ein ernsthaftes Wörtchen reden. Auf ihn ist Verlass und auch wenn er dich nicht ausstehen kann, dann hoffe ich, dass er wenigstens mich nicht ausliefern würde. Schliesslich nenne ich ihn einen Freund.“
„Tu das Kindchen.“
Augenblicklich zuckte Redsonja zusammen, denn es war nicht Win'Dars Stimme gewesenen, die gesprochen hatte, sondern die eines alten Mannes. Der Kapitän bewegte sich geradewegs auf die beiden sich umschlingenden Gestalten zu. Sein Lachen drang trotz Wind zu ihnen hinüber, während sein Zeigefinger anklagend auf den Wanderer deutete.
„Willst du alle vernichten, die wissen was für ein Band euch beide verknüpft?“
Dabei kam er unentwegt näher und Redsonja packte eine plötzliche Angst. Diese Frage hatte sie sich gar nicht wirklich gestellt. Der alte Mann in Vengard hatte sterben müssen weil er in ein Netz verwickelt gewesen war, aber Taeris war nur per Zufall da und aufmerksam genug, um den Braten riechen zu können. Er kannte die ehemalige Söldnerin und Taeris würde nicht der letzte sein. Entweder sie mussten viel vorsichtiger werden, oder... Es gab mehrere Alternativen, aber eine war schlimmer, als die andere.
Plötzlich raste ihr Herz noch etwas unkontrollierter und schneller, denn Win'dars Muskeln spannten sich an.
Ist die Zeit des Kapitäns gekommen?
- Nein, bitte...
Aber sie wagte nichts zu sagen. Es würde kommen, wie es kommen musste und nötigenfalls konnte sie immer noch einschreiten.
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"Ich will gar nichts", wiederholte Win'Dar.
Doch etwas hatte sich geändert. Entschlossenheit hatte seine Züge verhärtet, als er die Stimme des Kapitäns hörte. In seiner Haltung lag etwas Lauerndes, ganz wie bei einer Katze auf dem Sprung, und es war sicherlich kein Zufall, dass sich seine Hand nach hinten unter den Mantel geschoben hatte.
"Wobei, vielleicht sollte ich mich korrigieren", meinte er nach kurzer Pause, "Denn ich will sehr wohl etwas. Ich will nicht in ständiger Angst leben, dass sich irgendjemand verplappern könnte. Ich will nicht eines Tages die Augen öffnen und erkennen, dass mir alles genommen wurde, was mir lieb und teuer ist."
Da war das dumpfe Pochen seines eigenen Herzens. Win'Dar schauderte leicht, als Adrenalin seinen Kreislauf flutete. Irgendwie genoss er das Gefühl. Es versicherte ihm, dass sein Körper ihn in dieser Situation nicht im Stich lassen würde.
"Allein der Gedanke reicht aus um mir den Schlaf zu rauben. Große Worte und Versprechen sind schön und gut, aber irgendwann wird jeder reden. Jeder. Und das kann ich nicht riskieren."
Seine Hand öffnete sich, um das Messer in Empfang zu nehmen. Doch was er zwischen die Finger bekam, war kein kalter Stahl, sondern eine warme Hand. Irritiert blickte er nach unten und sah, dass sich Redsonja an ihn klammerte.
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„Bitte...“
Flüsterte Redsonja. Das Wort erreichten nur knapp Win'Dars Ohren, dann wurde es vom Wind endgültig zerstreut. Indessen mischte sich der Regen unter die Tränen, welche sich in den Augen der ehemaligen Söldnerin zu sammeln begannen.
„Hohoho...“
Lachte der Kapitän lauthals.
„Gebt acht Kinder. Ich habe Narrenfreiheit, ihr nicht.“
Mit einem weiteren tiefen Lachen machte sich der alte Mann von Deck. Redsonja wartete bis er von dannen gezogen war, bis sie die Hand des Wanderers gleiten liess.
„Win'Dar.“ Sprach sie eindringlich und blickte ihn dabei direkt an. „Das würde uns höchstens etwas Zeit verschaffen. Das ist es nicht wert. Früher oder später erfahren sie es sowieso. Aber gemeinsam und mit der Unterstützung von einigen Freunden sind wir vielleicht stark genug das zu überleben, was kommen wird.“
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"Vielleicht, ja. Aber zu welchem Preis?"
Diesmal war er es, der nach ihrer Hand griff. Er brauchte irgendetwas, um sich festzuhalten. Einen Anker für seinen Verstand. Er hatte gute Lust, einfach laut zu schreien, um den plötzlichen Zorn und die Verzweiflung rauszulassen. Irgendetwas, womit er dieses verdammte Leck in seiner Brust stopfen konnte.
Das Problem war, dass er genau wusste, dass Redsonja Recht hatte. Sie würden es nicht ewig verheimlichen können. Menschen waren nicht so blind, wie er es sich manchmal wünschte.
Aber was dann?
Er wusste, wie es enden würde. In Schmerz, Verbitterung und Verzweiflung. Dann, irgendwann, schon fast eine Erlösung, ein unendlich qualvoller und unendlich langsamer Tod.
"Ich will dir so gerne glauben", flüsterte Win'Dar, "Aber ich komme mir unglaublich schwach und hilflos vor, weil ich nichts tun kann, um dich zu schützen. Ich dachte, es würde vielleicht reichen, wenn wir etwas mehr Zeit hätten. Aber das wird es nicht. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Früher... war alles irgendwie einfacher."
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Sie waren jetzt seit fast einer Stunde unterwegs und Vengard verschwand allmählich am Horizont. Das Handelsschiff, Windzeit war sein Name, trug sie geschwind über die schäumenden Wogen und das sanfte auf- und ab schaukeln schlug Versos auf den Magen.
"Tja, mein Lieber. Du wirst doch nicht etwa Seekrank werden", Kalyvala lächelte schadenfroh zu Versos hinab, der über der Reling hing und seinen Mageninhalt dem Meer offenbarte.
"Weißt du," Der Einhandlehrer wischte sich mit einem Lumpen den Mund trocken, "Das ich dir den Arsch aufreißen werde, wenn wir Khorinis betreten?"
Der Kunschafter zwinkerte seinem Gegenüber zu "Ja, genau das hoffe ich auch. Ich will dir endlich zeigen, was für ein guter Schwertkämpfer ich geworden bin!"
Kalyvala ließ seinen ehemaligen Lehrer alleine an der Reling zurück und schaute sich die beschäftigten Matrosen an. Ein Glück, dachte er sich, dass wir als Passagiere an Bord sind. Die armen Hunde müssen ganz schön schuften.
Er begab sich unter Deck und ging in die Kabine der vier Reisegefährten. Ardogon lag in seiner Koje und schlief. Vermutlich der Restalkohol im Blut, schoss es ihm durch den Kopf während er sich zeitgleich fragte wo Humpaaa steckte. Hier in der Kabine war er jedenfalls nicht. Seinen Freund suchend ließ er die Schiffskabine hinter sich und betrat einen langen Flur. Überall waren einfache Zimmer überfüllt mit Hängematten - er hatte die Mannschaftsquartiere entdeckt. Der Jäger sah sich um. Wo war Humpaaa. Bevor er diese Frage zu ende gedacht hatte fragte er auch schon einen der Anwesenden Schiffsleute:
"Hey du, Hast du meinen Gefährten Humpaaa gesehen?"
"Humpaaa? Name nie gehört. Aber vielleicht ist das der Wicht, der in die Kapitänskajüte gegangen ist", der gebräunte Seemann zuckte mit den muskulösen Schultern und wandte sich dem Würfelspiel mit einem seiner Kameraden zu.
Kapitänskajüte ... die ist doch direkt neben unserem Quartier. Hastig begab er sich den Weg zurück, klopfte und stieß die Tür auf.
Humpaaa saß mit dem Kapitän Godehart an einem Tisch, ein halb volles Weinglas in der Hand haltend.
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Irgendwie schmerzte sie die Aussage, dass früher alles einfacher war, obwohl sie regelmässig dasselbe dachte.
Damit sollte ich ihn im Moment nicht belasten. Ich muss jetzt stark sein. Er soll sich keine Sorgen um mich machen müssen...
Sie suchte seine Augen und ein kleines Beben rumpelte durch ihren Bauch, als Redsonja sie fand. Sie drückte seine Hand ganz sanft.
„Du hast es auch nicht geschafft mich einfach zur Strecke zu bringen. Sind die anderen so viel stärker als du? Zweifel schienst du damals ja keine zu hegen.“
Traurig aber wahr. Nur musste sie die Vergangenheit begraben. Sie konnte keine zusätzliche Belastung ertragen.
„Aber...“ Sie zögerte plötzlich. „Vielleicht solltest du mich bei Gelegenheit trainierten. Ich weiss, dass du Übungskämpfen aus dem Weg gehst, aber du bist der einzige, der mich darauf vorbereiten kann mich genau gegen das zu verteidigen, was sie sind. Und ich glaube du ahnst auch schon, was in mir zu keimen beginnt.“
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"Ich weiß nicht, ob ich dich auf das vorbereiten kann. Meine Ausbildung hat Jahre gedauert. Und wenn ich daran zurückdenke, bin ich ehrlich gesagt froh, dass du nichts davon weißt und ich werde den Teufel tun und dir irgendetwas davon beibringen. Einige der schlimmsten Narben stammen genau aus dieser Zeit."
Er schloss die Augen, als er spürte, wie sich Widerstand in ihm bildete. Es war ein schlechtes Thema und er wusste es. Gleichzeitig wollte er darüber reden, weil er noch nie mit irgendjemandem darüber geredet hatte. Doch es ging nicht. Der Widerstand war zu stark.
"Ich weiß nicht, wie ich das überhaupt ausgehalten hab. Eigentlich will ich es auch nicht wissen. Ist schon seltsam: Einerseits wünsche ich mir, meine Erinnerungen wieder zu haben, doch gleichzeitig fürchte ich mich davor. Ich fühle mich betrogen, weil ich glaube, dass mir etwas unglaublich Wichtiges genommen wurde. Doch da ist diese Angst. Angst herauszufinden, dass ich das alles freiwillig getan habe. Dass dieses andere Leben, von dem ich manchmal träume, nichts als eine Illusion war. Was ist, wenn ich meine Erinnerungen zurückbekommen sollte und feststelle, dass ich immer ein Mörder gewesen bin? Ich will das nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich das aushalten würde. Ich habe Angst, keine Ausflüchte mehr zu finden."
Er schüttelte den Kopf und lachte humorlos.
"Ah, Mist. Jetzt versinke ich auch noch in Selbstmitleid. Wenn das so weitergeht, kann ich mich ja bald selbst nicht mehr ernst nehmen..."
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„Ich verstehe dich ja, aber wir müssen etwas unternehmen. Ich bin mir ganz sicher, dass sie dich an einem deiner wunden Punkte packen werden. Das wird entweder deine Erinnerung sein oder ich. Es bleibt uns nicht viel Zeit uns darauf vorzubereiten. Vor allem weil wir wohl schneller sein müssen. Sie werden deine Vergangenheit sowieso gegen dich verwenden. Spätestens dann wirst du damit konfrontiert werden und zwar so wie „sie“ es wollen.“
Beschwor sie Win'Dar wieder einmal. Sie hatte keine Angst vor dieser Ausbildung. Sie brauchte nur zu verstehen wie „sie“ funktionierten, handelte, dachten und wo „ihre“ Schwächen lagen. Sie beabsichtigte nicht jene Mörder nachzuahmen.
Nur manchmal kommt es anders heraus, als du beabsichtigst, schon vergessen?
- Natürlich nicht, aber so weit waren wir schon Tausend Male. Soll ich mich etwa von der Furcht steuern lassen und gleich aufgeben. All die Träume, Wünsche, welche erst langsam aufkommen?
Natürlich nicht.
- Eben!
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Planken unter seinen Füßen...
Es war ein seltsames Gefühl für Humpaaa wieder auf die offene See hinauszusgeln, von Wasser umgeben zu sein war nicht seine Sache.
So beschloss er sich am besten gleich schlafenzulegen, und torkelte in die ihm zugewiesene Kajüte...
Es war Dunkel unter Deck, eine kleine Kerze brannte in dem, für die Kajüte eines einfachen passagiers, doch recht geräumigen Raumes. Die Einrichtung hier gefiel Humpaaa, der sich gleich in die bereithängende Hängematte legte.
Er starrte zur Decke, er konnte die Wellen an den Schiffsrumpf klatschen hören.
Er fühlte wie seine Augen schwer wurden, ein letztesmal blinzelte er...
...und blickte ins Licht der am Himmel stehenden Sonne, und Sekunden später in ein verdutztes Gesicht.
"Was zum vierarmigen Kraken hast du hierdrinnen zu suchen, bei allen heulenden und jaulenden Höllenhunden!", fluchte ihn der Mann an, der die Tür geöffnet hatte. Humpaaa erkannte ihn Augenblicklich, es war der Kapitän, der sie an Bord begrüsst hatte.
"Ich... schlafe?", erwiderte der Nordmann verwundert, sich keiner Schuld bewusst, und von auftreten des Kapitäns verdutzt.
"Soso, du schläfst also, Bürschchen. Du schläfst. DANN VERRATE MIR DOCH BITTE WARUM DU DEINEN ARSCH IN MEINE HÄNGEMATTE GESCHWUNGEN HAST UM ZU SCHLAFEN, UND NICHT IN DIE DIR ZUGETEILTE!!!"
Der plötzliche Ausbruch des Kapitäns hatte Humpaaa, schläfrig wie er war, völlig überrumpelt. Schützend wollte er die Hand hochreissen, verhedderte sich ind er Hängematte und flog mit lautem Knall auf die Planken.
Als er aufblickte sah er den Kapitän über sich, der im die Hand hinhielt.
"Jetzt komm ersteinmal wieder hoch, Neuling", grinste dieser, plötzlich viel freundlicher.
"Hast dich verlaufen an Bord meines schönen Schiffchens, hm? Wie eine Seeratte siehst du wahrlich nicht aus. Einen Wein auf den Schrcken?"
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Seufzend stieß Taeris das Fass wieder in die Ecke, in der er es mitsamt dem Seil aufbewahrte. Stundenlang hatte er heute an Deck gestanden und versucht dieses Mistding im Wasser zu treffen. Natürlich mit größeren Pausen dazwischen, damit es nicht allzu schnell langweilig zu werden drohte. Nichtsdestotrotz hatte er nur zwei Mal getroffen…und dafür fast drei dutzend Pfeile verschossen.
Erst dann hatte er festgestellt, dass sein Vorrat an Pfeilen sehr rapide zur Neige ging.
Wäre ihm dieser Umstand etwas früher eingefallen, hätte er womöglich sogar noch ein paar Pfeile übrig gehabt.
Und so löste er abermals die Sehne seines Bogens und verstaute den Bogen zusammen mit dem leeren Köcher sorgfältig.
Unter Deck ging er allerdings trotzdem nicht.
Sonja und Win’Dar waren dort. Es war zwar eigentlich ein sinnloses Unterfangen, sich auf einem höchstens fünfzehn Schritt langen Schiff aus dem Weg gehen zu wollen, aber das musste ja noch lange nicht heißen, dass man es nicht versuchen konnte.
Und so lehnte Taeris sich gelangweilt an die Reling und starrte nachdenklich aufs Meer hinaus. Er wusste nicht so recht, was er von diesem Win’Dar halten sollte. Eigentlich hielt er gar nichts von ihm. Aber wieso klebte Sonja dann an seiner Seite? Kannte er sie wirklich so gut wie er glaubte? Immerhin hatte er sie schon ziemlich lange nicht mehr gesehen.
Er atmete tief ein, versuchte sich keine Gedanken über diese Dinge zu machen. Das hatte er ohnehin den ganzen Tag über schon getan.
Doch plötzlich erleichterte ihm etwas dieses mühsame Unterfangen und zog seine Aufmerksamkeit auf sich.
Etwas helles bewegte sich in einiger Entfernung durch die Dunkelheit. Doch so schnell es aufgetaucht war, so schnell war es wieder verschwunden. Einige Augenblicke vergingen, ehe Taeris sich sicher war, dass sich dort etwas im Wasser bewegte. Ein großer Fisch? Ein Seeungeheuer? Die nächste schroffe Windböe brachte eigenartigen Lärm mit, der wie Gelächter klang.
Gebannt versuchte Taeris etwas in der Dunkelheit zu erkennen. War das….?
Taeris beugte sich über die Reling, versuchte etwas zu erkennen. Wieder leuchtete etwas im fahlen Mondschein auf. ….Ein Segel! Und es kam näher!
“Piraaateeeen!“
schrie plötzlich jemand vom Steuerrad aus.
Taeris ließ die Schultern sinken und seufzte. “Hätten die nicht kommen können, bevor ich vor lauter Langeweile alle meine Pfeile ins Meer geschossen habe…“ Dachte er bei sich und beobachtete skeptisch, wie das Schiff immer näher rückte.
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