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Müde stapfte sie weiter. Manchmal stolperte die Banditin über eine verdorrte Wurzel von einem dieser toten Bäume, die unter den Kieseln verborgen waren und sich kaum in den harten Boden zu bohren vermochten. Die Eintönigkeit des Wanderns langweilte sie jedoch überhaupt nicht – das ganze Land strahlte eine solche Furcht aus, dass die junge Frau ständig unter Spannung stand. Dennoch ging sie weiter. Schritt um Schritt passierte sie Kiesgrube um Kiesgrube, tote Ebene um tote Ebene, Schlackfluss um Schlackfluss. Sie ging durch das Land der Angst.
Zu Fuß, schutzlos, allein. Hier gab es keine Stadtwache, kein verlässliches Reittier, keinen Kampfgefährten, keinen Freund. Niemand konnte ihr hier helfen. Sie war auf sich allein gestellt.
Beim Laufen betrachtete sie ihre linke Hand. Sie war von einer hässlichen Narbe, die quer über den Handrücken verlief, entstellt. Sie hatte sich beim Kampf gegen einen ausgewachsenen Feuergolem, der ihr hinter einer Anhäufung von Kies aufgelauert hatte, eine schwere Brandblase zugezogen, die nun langsam aber stetig zu heilen begann. Sie grinste böse, als sie sich an sein Ende und ihren Sieg erinnerte. Er hatte sie wohl wegen ihrer zierlichen Statur unterschätzt und sie für ein leichtes Opfer gehalten. Es war ein tödlicher Fehler gewesen.
Narya wischte sich im Gehen eine dunkle Strähne aus dem rußgeschwärzten Gesicht. Ihre Fingerkuppen strichen sanft über die kleine Narbe an der Augenbraue, die sie sich in der Arena Kazirs zugezogen hatte. Wenn ihr jemand erzählt hätte, dass es eine Steigerung zu der täglichen Angst in der Arena gab, dann hätte sie ihn ausgelacht. Nun, da sie jedoch allein durch das Land der Furcht reiste, gestand sie sich ein, dass die Atmosphäre in den Wüstenstädten selbst für eine, die auf der untersten Stufe der Gesellschaft vegetierte, weit weniger feindselig als in diesem Land war. Es gab an diesem Ort nur einen einzigen, aber dafür entscheidenen Vorteil: Sie war hier frei
Ihre blauen Augen blitzten bei diesem Gedanken auf. Man hatte sie in Ketten durch Kazir gezerrt, sie wie ein Schwein durch die hasserfüllten Menschenmessen in den engen Gassen der schwarzen Stadt gejagt und sie in den heißen Arenasand geschleudert, wo sie zur Belustigung der Bevölkerung zum erbarmungslosen Unmenschen verkam. Und doch: Kazir hatte ihr – seiner Philosophie entsprechend - eine Chance gegeben und sie hatte sie genutzt. Bis an die Grenzen trainiert und trotz aller Zweifel und Rückschläge nie die Hoffnung verloren, gekämpft trotz aller Feindseligkeiten und schier unüberwindbaren Herausforderungen und gesiegt – trotz oder gerade für einen hohen Preis. Sie war von ganz unten nach ganz oben aufgestiegen und hatte ihre Ketten nicht abgelegt, sondern zerrissen, wenn nicht gar gesprengt. Sie hatte Kazir aus freien Stücken verlassen und ihr eigener Wille hatte sie hierher geführt. Sie ging freiwillig an einen der dunkelsten, wenn nicht sogar den finstersten Ort der Menschheit. Vielleicht war das der einzige Grund, warum sie noch nicht wahnsinnig geworden war. Vielleicht hatte sie deswegen den Geschichten der Windkinder weder Gehör noch Glauben geschenkt. Vielleicht hatte sie bisher nur deswegen den verlockenden Stimmen der Schwarzen Städte, deren suchende Schatten wie gierig greifende Finger über das Land huschten und die Lee in ihre Finsternis tragen wollten, widerstanden. Vielleicht hatte sie nur deswegen der Angstfee getrotzt und den niederen Dämon besiegt. Das, was die junge Frau glaubte gelernt zu haben, war, dass es nur eine Sache gab, die sie wirklich zu fürchten brauchte: Die Angst selbst.
Angst lähmte und machte hilflos. Nichts fürchtet die Lee seit ihren ersten Erfahrungen in den Toten Landen mehr als die Spinnenfinger der Angst, die wie Wurzeln einer fleischfressenden Pflanze aus dem Süden, sich eng an den Boden gepresst hielten und in Windeseile an ihr Opfer heranrobbten und dann seine Beine mit ihren nassen Fängen umschlungen, sodass man sich nicht mehr regen konnte und tiefe Furcht den Menschen von innen verbrannte. Angst lähmt. Angst macht wehrlos. Angst
Macht
hilflos.
Sie ging weiter, einem dunklen Schatten ähnelnd, huschte sie durch das dunkle Land, unbemerkt, unerkannt und unbedeutend - oder unterschätzt? Narya, die einfache Kriegerin der Lees mit dem Schwert des Feuers auf dem Rücken. Lee, schoss es ihr durch den Kopf und ihre Augen blitzten erneut auf. In den letzten Monaten war ihr Gesicht schmal und ihre Züge hart geworden. Ihre Augen strahlten nicht mehr nur noch Freude aus. Kummer, Gram, Stumpfheit und tiefe Traurigkeit gesellten sich dazu und oft lag ein Schatten in ihrem Blick, der das Grauen, das ihr widerfahren war, mit einem gnädigen Schleier vor den nimmermüden Häschern der Erinnerung zu verbergen versuchte. Seit sie die Arena verlassen hatte, kam jedoch eine weitere Nuance hinzu. Grausamkeit. Es gab Momente, in denen der Blick der Lee eisig wurde und zugleich vor Hass sprühte. Sie selbst kannte diesen Zug an sich freilich nicht, doch nicht wenige Gegner waren vor ihrem letzten Atemzug bei einem Blick in die Grausamkeit der blauen Augen erschrocken.
Bei dem Gedanken an Lee stieg zum ersten Mal wieder etwas Wärme in die kalt umherjagenden Augen, die jede verdächtige Erhebung und jede Regung in der Umgebung zu regrestrieren versuchten, um gegen Überraschungsangriffe gewappnet zu sein. Lee. Wie gern hätte sie Feuersturm in seine Dienste gestellt und wie gern hätte sie mit ihren Freunden den Hof weiterhin gegen die gierigen Städter und die groben Grünpelze verteidigt. Ob die Orks den Paladinen im Minental immer noch den Blechbüchsenhintern auf Hochglanz polierten? Bei diesem Gedanken musste sie lachen. Paladine. Sie schüttelte verständnislos den Kopf über die Entscheidung für diese Art von Lebensform und trat hinter einen kleinen Stein, der ihr im Weg lag.
Der Stein schrappte ein paar Mal über den Boden, kippelte am Scheitel eines Abhangs und rutschte dann nach verlorenem Kampf um das Gleichgewicht doch hinunter. Naryas Blick folgte ihm und so merkte sie viel zu spät, welche fatale Folge ihre Unaufmerksamkeit hatte.
Der Dämonenlord schwebte schon seit einiger Zeit lautlos über ihr. Das also war die Frau, die einen seiner hoffnungsvollen Krieger getötet hatte. Nichts Besonderes. Wahrscheinlich eine talentierte Kriegerin, aber wegen ihres Menschseins doch eher ein Witz für einen Diener Beliars. Der Dämonenlord ging zum Angriff über. Eine seiner kalten Kugelgeschosse traf die Lee im Rücken und schleuderte sie vorwärts. Narya blieb die Luft weg, als das kalte Etwas sie direkt zwischen ihre Schulterblätter traf und sie mit voller Wucht mehrere Meter nach vorne schleuderte. Sie überschlug sich zweimal auf dem diamantharten Boden und landete schließlich krachend auf einem Hügel Kies nahe dem Abhang, den der Stein eben herunterkullert war. Eine Staubwolke stieg um sie herum auf und verdeckte ihrem Gegner die Sicht auf sein Opfer. Das jedenfalls wäre der Fall gewesen, wenn es sich um einen menschlichen Gegner gehandelt hätte. Rasch zog sie ihr Schwert. Sie versuchte den pochenden Schmerz in ihrem Rücken zu verdrängen, ging in die Knie und versuchte einen festen Stand für die bevorstehende Auseinandersetzung zu bekommen, während sie Feuersturm zum Schutz vor sich hin- und herkreisen ließ und angestrengt in die Staubwolke starrte um etwas zu erkennen.
Der Dämonenlord jedoch ließ sich durch eine einfache Staubwolke freilich nicht behindern und sandte seine Geschosse auf die Reise. Das Erste traf die Lee von schräg unten kommend mitten auf der Brust und katapultierte sie aus der Staubwolke heraus, nach oben über den Abhang. Einen Moment schien die junge Frau über dem Abgrund zu schweben. Dieser Bruchteil eines Wimpernschlages außerhalb der Staubwolke inmitten der Luft gestattet ihr einen Blick auf ihren Kontrahenten – und ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren, als sie erkannte, wen sie da vor sich hatte. Derweil ritzte das zweite Geschoss ihren Schwertarm auf und verleitet die Banditin dazu, aus Reflex die Hand zu öffnen, sodass Feuersturm in die Tiefe fiel. Kraft des Willens des Dämonenlords blieb Narya der Tod durch den Absturz aus dieser Höhe jedoch erspart. Vielmehr ließ er sie direkt auf den Scheitel des Abhangs aufprallen und dann hinunterfallen. So rollte sie den Abhang hinunter. Sie überschlug sich im Fallen, Kiesel rutschten unter ihre Kleidung und Rüstung und scheuerten, beim Aufprall auf Steinen holte sie sich blaue Flecken und schürfte sich die Haut an mehren Stellen ihres Körpers auf. Verzweifelt versuchte sie ihren Sturz abzufangen, oder sich wenigstens bestmöglich zu schützen, doch sie hatte dazu wegen der hohen Geschwindigkeit überhaupt keine Möglichkeit. Endlich war der Fall beendet.
Mit einem harten Aufprall landete sie am Fuß des Abhangs. Sterne tanzten vor ihren Augen und der Schmerz raubte ihre beinahe die Sinne, wenn nicht ein plötzlicher Hustenreiz sie durchschüttelt und bei Bewusstsein gehalten hätte, der von den aufgewirbelten Staubwolkenpartikelchen ausgelöst wurde, die sich beim Einatmen kratzend in ihre Luftröhre zu fressen schienen.
Stöhnend blinzelte sie und strich sich mit den staubigen Fingerkuppen über die Augen, um sie von ihrem grauen Schleier zu befreien. Rein zufällig sah sie dabei zur Seite und bemerkte gerade noch den Lichtstrahl, der gradlinig die Luft durchschnitt und auf sie zusauste. Aus Reflex spannte sie die Bauchmuskeln an, holte Schwung und katapultierte sich auf ihre Beine, die unter der plötzlichen Anstrengung beinahe nachgaben. Zischend traf der Lichtstrahl den Platz, an dem sie eben gelegen hatte und wirbelte erneut Staub auf. Der Dämonenlord glitt heran und Narya sah sich hilflos, aber noch nicht kopflos um. Sie hatte ihm nichts entgegenzusetzen außer ein paar Wurfdolchen, da sie Feuersturm verloren hatte. Sie wäre nicht soweit gekommen, wenn sie nicht wenigstens diese Möglichkeit nutzen würde. Daher schleuderte sie ihrem Gegner ihren Dolch entgegen, traf und wollte innerlich schon jubeln - doch die Waffe glitt durch den Dämonenlord hindurch, als sei dieser Luft. Jetzt erst begriff sie endgültig, welch Gegner sich ihr in den Weg stellte und blitzartig durchschossen Märchen von der Unbesiegbarkeit dieser Wesen ihren Geist. Es geschah in diesem Moment, als Panik in ihr aufzusteigen begann, dass ihr Hilfe suchend umherirrender Blick wenige Meter von ihr entfernt Feuersturm fand, das merkwürdigerweise in ihr soviel Hoffnung auslöste wie ein Stück Treibholz für einen Schiffbrüchigen in tosender See. Mit einem Hechtsprung wollte sie ihrer vermeintlichen Rettung entgegen setzen, doch es reichte nicht, wenn man allein die feurigen Geschosse eines Dämonenlords im Auge behielt und ihnen auswich und dabei seine anderen Möglichkeiten völlig außer Acht ließ. Die Kriegerin hatte nicht auf die Luft über ihr geachtet und so konnte die fürchterlichste Waffe dieses Dieners der Dunkelheit sie völlig unvorbereitet erfassen.
Der Blitz des dunklen Feuers fuhr erbarmungslos in sie herein und bereitete ihr die Hölle auf Erden.
Unglaubliche Schmerzen peinigten ihren Körper und jede Faser, jeder Muskel schien zunächst entsetzlich anzuspannen und dann berstend zu zerreisen. Sie vermochte kaum mehr zu atmen und hatte das Gefühl bei lebendigem Leibe von innen heraus zu verbrennen. Wie eine Geisteskranke wälzte sie sich auf dem Boden und schrie sich die Seele aus dem Leib. Welle um Welle von Schmerz duchjagte ihren Körper und dann ganz plötzlich war es vorbei. Keuchend krümmte die Banditin sich auf dem Boden. Ihr Puls raste und ihr Atem rasselte bei jedem Luftholen. Sie blutete an jeder unbedeckten Stelle ihres Körpers, da sie sich die Haut bei ihren Verrenkungen auf dem mit scharfkantigen Kieseln bedeckten Boden noch mehr aufgerissen hatte. Heiße Tränen rannen über ihre staubbedeckten und mit blutigen Kratzern gezierten Wangen. Ihr wurde speiübel. Zitternd übergab sie sich vor Schmerz. Ihr Erbrochenes war von zarten, roten Blutfäden durchzogen. „Scheiße“, stammelte sie und wusste, in welcher Situation sie sich befand. „Feuersturm“ war ihr einziger Gedanke und ihr Blick heftete sich starr auf das unschuldig schimmernde Schwert wenige Meter von ihr entfernt. Es war ihre einzige Hoffnung.
Zitternd strich sie mit den aufgeschrappten und blutigen Handinnenseiten über den feinen Kies bis ihre Hände sich neben ihrem Brustkorb befanden. Schwer atmend stemmte sie sich hoch, doch ihre Arme brachen unter der Last weg. Krämpfe durchschüttelten für wenige Wimpernschläge ihren Körper und Schweißtropfen rannen ihr vor Anstrengung das Gesicht herab. Ehe sie es schaffte sich aufzurichten, knickte sie erneut ein und nur mit Mühe vermochte sie schließlich ihre immer noch bebenden Beine dazu zu bewegen, sie zu tragen. Sie sah nicht nach oben, wo ihr Peiniger lauerte, sondern nur zu ihrem Schwert. Bei Attacken von diesem Herausforderer brachte es nichts in Deckung gehen. Schwankend stolperte sie auf Feuersturm zu und keuchte dabei vor Anstrengung. Ihr Herz hämmerte währenddessen so stark als wollte es ihren Brustkorb zerfetzen. Gleich, gleich, machte sie sich trotz allem bei jedem ihrer schwerfälligen Schritte Mut, während ihre Muskeln bei jeder noch so kleinen Bewegung zu zerreißen zu schienen.
Als sie noch ungefähr zwei Meter von ihrer Waffe entfernt war, jagte ein erneuter Blitz des dunklen Feuers heran. Diesmal hörte sie sein drohendes Zischen, als er die Luft durchschnitt, diesmal wandte sie sich um und sah der blitzschnell heraneilenden Gefahr ins Auge und diesmal vermochte sie den dunklen Schweif der fürchterlichen Waffe zu erblicken, die einen Fächer der Angst hinter sich herzog – doch es minderte nicht den Schmerz der Lee, als der Blitz sich in ihren Körper bohrte. Brüllend vor Pein sackte sie zusammen; sie hatte das Gefühl auseinander gerissen zu werden. Dieses Mal war die Qual stärker als bei der vorangegangenen Attacke und dieses Mal konzentrierte sich der Schmerz auf ihre Rücken, da der Dämon ihren Beinen und ihrem Kopf und Nacken nach hinten krümmte, sodass die Lee unglaubliche Verrenkungen auf den scharfkantigen Kieseln vollführte, während die Wirbelsäule zu brechen drohte.
Erst als der Dämon von ihr abließ, bekam sie die Kontrolle über ihren schmerzgepeinigten Körper zurück. Es war entsetzlich. Hektisch schnappte sie nach Luft wie ein Ertrinkender nach einem Grashalm im Wasser greift, dabei zitterte und wimmerte sie. Sie wollte sich aufrichten und weitergehen, doch ihre Muskeln und Glieder versagten ihr den Dienst. „Hilf mir“, flehte sie leise und versuchte sich erneut aufzurichten. Blut rann ihr Kinn hinab. Sie hatte sich bei der letzten Folterung auf die Zunge gebissen und nun rann der rote Lebenssaft in Strömen aus ihrer allmählich aufquellenden Zunge und verbreitete seinen metallischen Geschmack in ihrem Mund. Halt suchend krampften sich die Finger zu Klauen in den Kies. Sie fand nichts, woran sie sich hätte festhalten, geschweigedenn aufrichten können. „Hilf mir“, bat sie erneut und merkte gar nicht, dass sie dabei weinte wie ein kleines Kind. Ihre Stimme war brüchig, kaum hörbar und nur langsam gehorchten ihre Arme wieder ihren Befehlen. Trotz unsagbaren Schmerzen richtete sie ihren Oberkörper auf. Nur mit Mühe konnte sie einen neuerlichen Brechreiz unterdrücken. Es dauerte endlos lang bis ihre Arme sie hielten und ihr Flüstern war kaum mehr hörbar, dafür war das Blut, das sie beim Sprechen verlor, unübersehbar. Es spritzte bei jedem Wort, das sie sich abrang, auf den grauen Boden. Da sie nicht mehr Aufstehen konnte, robbte und krabbelte sie mit unsäglicher Mühe vorwärts. In ihrem Gesicht spiegelte sich unbeschreibliche Pein und maßloses Grauen. Ihre Wirbelsäule schien wie von einem glühenden Eisen durchstoßen.
Sie gab trotz der Schmerzen nicht auf, so wie sie es gelernt hatte, wobei ihr Geist momentan nur von einem Gedanken erfüllt war, der jedwede rettende Idee, sofern sie überhaupt existierte, aufsog und ins Nichts verbannte: Sterben. Ich werde hier und heute sterben, wenn ich keine Hilfe bekomme, erkannte sie und in ihrer Not wandte sie sich an den Einzigen, der ihr in dieser Situation vermutlich zu helfen vermochte.
“Hilf mir doch, Innos.“, wimmerte sie also schließlich unter Tränen und vermied es über die Schulter zu gucken, wo der Dämonenlord teilnahmslos und Unheil verkündend schwebte. Sie war nicht einmal mehr in der Lage weiterzukriechen - erbärmlich wie ein Wurm. Lass mich hier nicht sterben, flehte sie den Höchsten erneut um Beistand an, zog sich um eine Armlänge weiter vorwärts und brach danach zum wiederholten Male zusammen. Krämpfe durchzogen ihren Körper. Doch ihr Flehen fand beim Gott des Lichtes kein Gehör. „Hörst Du mich nicht oder bin ich Dir egal“, rief Narya daher vorwurfsvoll und so laut es ihre Stimme ihr erlaubte, doch der Gott des Lichts bleib stumm. Langsam, ganz heimlich und leise stahl sich ein anderer Gedanke in ihr Bewusstsein: „Was, wenn Innos sie sehr wohl hörte, aber sie für ihre Taten in den Arenen mit dem Tod strafen wollte? Was, wenn er sie absichtlich im Stich ließ?“ Sie fand keine Antwort, doch mit einem Male stieg Wut auf den Lichtgott in ihr auf. Hatte sie denn eine andere Wahl gehabt? Hätte er ihr nicht vor ihrer Gefangennahme helfen und sie dadurch vorm grausigen Schlachten in der Arena bewahren können? War es nicht vielmehr die Schuld des untätig abwartenden Gottes gewesen, die sie zu einem folternden Monster gemacht hatte? Wie Gift brannte sich dieser Gedanke in ihren Geist und so robbte Narya schweißüberströmt, mit zitternden Muskeln und voller Hass über Innos Indifferenz weiter auf Feuersturm zu bis der Dämonenlord zum dritten Mal zu seiner grausamsten Waffe griff. Diesmal schleuderte es sie sogar ein bisschen näher an ihr Schwert heran, doch die Krämpfe die ihren Körper durchzuckten, als er erneut ihr Rückgrat nach hinten bog, erlaubten ihr nicht nach der Waffe zu greifen. Die Qual, die die Banditin erlitt, war unerträglich und der Schmerz hätte ihr das Bewusstsein geraubt, wenn der Dämonenlord es zugelassen hätte. Doch eben das war wohl der grausamste Teil der Attacke, dass das Opfer die Schmerzen erdulden und letztlich an ihnen zugrunde gehen sollte. Die barmherzige Ohnmacht wurde von dieser Art der dunklen Magie nicht zugelassen.
Als er von ihr abließ, erbrach sie sich zum zweiten Mal. Die Blutfäden in ihrem Erbrochenen waren längst zu breiten, roten Adern geworden, was sie jedoch nicht sah, da sie kaum mehr den Kopf zu wenden vermochte. Blutige Schleier legten sich vor ihre Augen und tauchten die Welt um sie herum in ein Meer von Blut. Bei jedem ihrer schwerfälligen Atemzügen schien ihre Luftröhre von innen zerschnitten zu werden. Irgendwann drehte sie dann doch den Kopf -trotz stechendem Schmerz- zur Seite. Und dort, nur eine Armlänge von ihr entfernt, lag Feuersturm, ihre große und wohl einzige reale Hoffnung.
So nah und für einen Menschen, der solche Qual durchlitt, doch so fern. Narya konnte sich vor Schmerz einfach nicht mehr rühren. Heiße Tränen rannen aus ihren Augenwinkeln, vermischten sich mit Strömen von Schweiß und benetzten ihre staubbedecktes, mit Blut und Erbrochenem verklebtes Haar. Die Prophezeiung des Hohepriesters aus Kazir ging in Erfüllung. Hier, inmitten der Toten Lande, flehte Narya, die stolze Kriegerin der Wüste und der Lees, einem Kinde gleichend um Schonung, um ihr Leben. Pochend frass sich der Schmerz derweil in ihren Kopf und hinterließ das Gefühl, als müsse der Schädel der Lee zerbersten. Sie war kaum mehr in der Lage zu sprechen und dennoch tat sie es, weil Menschen sich stets an jede noch so kleine Hoffnung klammerten, um ihr Leben zu retten – egal wie sinnlos solche Handlungen auch erscheinen mögen. „A…Adanos…“, bat sie schluchzend unter Krämpfen und Tränen und zitterte am ganzen Körper. Sie keuchte und kalte Schweißströme rannen ihren Körper in Scharen herab, als wollten sie ihrem vom Feuer des Schmerzes verbrannten Körper Kühlung verschaffen. Bittend streckte sie ihre linke, verbrannte, blutverkrustete und verkrümmte Hand gen blutigen Himmel. „Adanos, hilf mir.“, winselte sie und realisierte nicht mehr, dass mehr und mehr Blut ihre Mundwinkel herabrann. Dann versagte ihre Stimme und ging in haltlosem, stillen Weinen unter. Der Dämonenlord schwebte immer näher an sie heran. Nicht nur Innos, sondern auch Adanos hat sich von mir abgewandt, schlussfolgerte sie und wusste, dass es in diesem Falle um sie geschehen war. Die Götter wollten ihren Tod. Mitleid und Erbarmen konnte sie von ihnen nicht erbieten. Der Dämonenlord kam noch ein wenig näher. Sie konnte sogar schon die rot glühenden Augen des Wesens erkennen.
„Kämpf“, hallte es da urplötzlich durch ihren Geist und die Stimme, die sie hierher getrieben hatte und während des ungleichen Kampfes bisher stumm geblieben war, meldete sich gewaltig zurück. Es war das letzte Aufbäumen vor dem sicheren Tod. Sie mobilisierte noch einmal all ihre Kraftreserven, fuhr blitzschnell den Arm in Richtung Feuersturm aus, ignorierte den stechenden Schmerz in ihrer Rückenmuskulatur, den diese ruckartige Bewegung auslöste und – wurde von einem vierten Blitz des dunklen Feuers getroffen.
Ihre blutbenetzten Fingerspitzen schwebten zu diesem Zeitpunkt Millimeter über den Griff der Klinge. Dieses Mal übertrafen die Schmerzen alles, was sie bisher erlebt hatte. Der Blitz schien sie von innen heraus zu verbrennen, und es kam der Banditin so vor, als durchzögen flüssige Ströme von Lava ihren Körper von der Wirbelsäule ausgehend durch die kleinste Pore bis in den entferntesten Winkel ihres Körpers. Die Wirbel krachten knirschend und knackend aufeinander als der Dämon ihren Oberkörper und ihre Beine nach hinten zusammenbog, sodass sich in grotesk anmutender Art und Weise krümmte und verrenkte bis sie fast ohmächtig vor Schmerz wurde.
Es sollte ihr Ende sein.
In diesem Moment, als sie allein war und diesem mächtigen Gegner nichts mehr entgegenzusetzen hatte und als selbst Innos und Adanos sich scheinbar von ihr abgewandt hatten und ihre Hilferufe nicht beantworteten, da geschah es, dass endgültig alle Hoffnung schwand und letztlich die Verzweiflung siegte und sie sich, weil sie ein Mensch war und nicht sterben wollte, an den letzten und grausamsten Helfer wandte, den es überhaupt gab. Lang und gellend jagten Naryas schmerzerfüllte Schreie unter der fürchterlichen Folter des Dämonenlords über die Weiten der Toten Lande. „Hilf mir“, schrie sie blind vor Schmerz, in einer Lache aus Blut, Schweiß und Erbrochenem liegend bar jeder Hoffnung, voller Verzweiflung. Vom dunklen Fluss bis zu den feurigen Hängen der Schwarzen Berge erklangen ihre klagenden und flehenden Schreie und lange sollte der Ruf der Verlorenen über die Weiten der Furcht bis hin zu den dunklen Wolken hallen. „Hilf mir, doch … Beliaaar.“
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29.03.2007 23:04
#162
Wenn man irgendwo in der Kanalisation einen Punkt erreichte, an dem es auch bei Nacht so hell war, als ob die Sonne zu scheinen schien, dann war man nicht im Reich der Toten, sondern in der Arena. Hier brannten Fackeln und Öllampen wie tausende kleine Glühwürmchen und der Lärmspiegel war ohrenbetäubend. Hier durfte man noch schräge Klamotten anhaben oder ein entstelltes Gesicht haben, es interessierte schlicht und einfach keine Sau. Das Gedränge war mörderisch, alle wollten irgendwo hin und niemand schien es scheinbar zu schaffen.
Sol kam durch einen der Haupttunnel aus dem Nordwesten zur Arena und hielt sich erst mal am Rande auf, schwamm aber mit dem Strom in Richtung Tribüne. Seine Augen schlossen sich für einen Moment und er versuchte den Geruch dieses Ortes zu erkennen. Es roch… nach Freiheit… nach Ruhm… nach Gold. Was für ein Kontrast gegenüber dem Gestank aus der Kanalisation.
Sein Blick schweifte die Tribünen der hohen Herren, derjenigen die genug Einfluss und, oder Geld besaßen. Wie fette Maden saßen sie auf einer abgesperrten, höheren Tribüne und ließen sich bewirten. Einige grinsten die weiblichen Bedienungen scharf an, andere johlten mit Freunden und Geschäftspartnern um die Wette, dritte wiederum sahen ungehalten, unfreundlich, einfach nur schleimig aus. Wenn Blicke töten könnten…
Einer dieser miesen Gestalten, ein hageres, knochiges Rattengesicht, durchbrach seinen Blick und er blieb kurz auf ihm liegen. Voller Abscheu musterten sich die beiden Fremden, obwohl sie sich noch nie in ihrem Leben gesehen hatten. Wäre die Ratte doch bloß in der Arena, er hätte es genossen… so war er es, der als Erster nachgab und wieder den Blick nach vorne richtete, vorne, das hieß in den schuppigen Hinterkopf eines anderen Dränglers. Welch ein Paradies für Diebe, die hier hemmungslos arbeiten konnten und die Creme de la Creme der Unterwelt beklauten, oder zumindest deren Diener.
Als Solaufein die Tribüne erreicht hatte, suchte er sich einen Platz an der Außenseite und nahm diesen ein. Der Kampf schien gerade zu beginnen, kein Wunder warum so ein Gedränge herrschte, in den Pausen war es schlimmer als sonst, aber wirklich Ruhe herrschte hier nie. Schon begann ein Anpeitscher die beiden Kontrahenten vorzustellen, Jubel brandete auf, als ein gewisser „Scheich Ali“ vorgestellt wurde. Sein Kontrahent hatte keinen Namen und wurde mit „Die Orksklaven“ angekündigt. Ja, sie hatten hier unten schon einen perfiden Humor, als sie drei Orks in die Arena zerrten. Eigentlich mochte dieser Kampf ungerecht sein, ein einziger Mensch gegen drei Orks, wäre da nicht die Tatsache gewesen, dass ein Ork ganz klar erkennbar ein Jüngling war und Sol hatte auch große Bedenken, ob der andere nicht gar ein Weibchen war. Nur einer ähnelte dem, was er unter einem echten Ork verstand und dieser hatte üble Verletzungen, die aber nicht von einem Kampf, sondern wohl eher von Quälereien stammten. Er war sich nicht sicher, ob es eine „Orkfamilie“ war, wollte darüber aber auch nicht näher nachdenken, der Kampf begann auch schon. Allerdings hätte es ihn mehr gefreut, wenn es ein echtes Duell zwischen zwei Morras geworden wäre. Die Orks waren nicht gepanzert, aber auch Scheich Ali hatte nichts außer seiner luftigen Kleidung an, aber vielleicht lag die Panzerung ja dort drunter verborgen. Außerdem waren die Orks nur unzureichend bewaffnet, drei Kurzschwerter, für Morras geschmiedet, lächerlich. Das war der große Nachteil der Arena, der Hang zu ungerechten Kämpfen. Nur selten fand hier ein Duell auf Augenhöhe statt, die Massen ergötzten sich lieber an viel Blutvergießen. Er grinste versteckt in sich hinein. Heute Nacht würden sie ihr Staunen bekommen und die Wettvermittler würden traumhafte Quoten erreichen.
Der Kampf selber wurde zu einer Farce. Die Orks waren kraftlos, ohne Kampferfahrung. Sol roch die Angst der Drei bis zu ihm. Und Scheich Ali war ein grausamer Mensch. Er schien Gefallen an dem Leid der Kreaturen zu finden, hielt anscheinend nichts von einer schnellen Befreiung der Schmerzen, brachte das Publikum jedoch in Rage mit seiner Metzelei. Der männliche Ork war noch der Einzige, der dem erfahrenen Söldner gefährlich werden konnte und diesen schaltete er gleich aus, indem er ihm beide Armglieder gleich zu Beginn abtrennte, ihn aber ansonsten in Ruhe ließ, während der Ork grausam verblutete. Danach spielte er seine Spielchen mit dem kleinen Ork und provozierte den anderen, wohl weiblichen, Ork so lange, bis dieser es nicht mehr ertrug und verzweifelt angriff. Da auf einmal kannte er keine Gnade mehr und schmetterte seine beiden Krummsäbel in ihren Magen, gewiss wohl, auch diese Kreatur war noch lange nicht tot. Als das Publikum schließlich den Scheich frenetisch feierte, kannte er auch kein Erbarmen mehr mit dem Jüngling und tötete diesen mit den drei Kurzschwertern, mit denen er den Ork an der Arenawand aufspießte, auch dieser Kreatur war ein schneller Tod nicht vergönnt.
Um ihn herum standen die Leute auf, jaulten wie Tiere, klatschten, trommelten. Dem Krieger war dieser Auftritt zuwider, aber er wusste nun, dass sich in den drei Jahren nichts geändert hatte und er zumindest einen würdigen Gegner treffen würde, dem er nur zu gern die Grenzen aufzeigen wollte. Noch ehe das Publikum wieder im Gedränge verschwinden würde, nutzte er die Bewegungsfreiheit und ging zu dem Platz, wo man hinwollte, wenn man in die Arena wollte. Ein dichtes aber kurzes Tunnelsystem verband die Arena mit den Gefängnissen und Verließen und nur über diesen Weg kam man in die Arena, es sei denn man war so dämlich und sprang über die Zäune. Schon seit er in die Nähe des nur wenig besuchten Platzes kam, hatten ihn Menschen gemustert, aber er beachtete diese Augen nicht. Sein großer Nachteil war, dass er hier niemanden mehr kannte, aber lebensmüdes Frischfleisch wurde hier nie abgewiesen, n i e. Solaufein fragte nach nichts, achtete nichts und war bestrebt einfach durch den Tunnel zu gehen, durch den er schon einmal gegangen war, aber wie erwartet hielt ihn jemand auf. Der Arenameister, jedenfalls einer von ihnen.
»Nicht so schnell du Wurm, wo geht’s denn hin, wenn ich fragen darf?« Silberzähne glänzten, Zahnlücken schimmerten. Entweder er verwechselte den Kerl mit einem der vielen Fressen die so aussahen, oder er hatte den Kerl tatsächlich schon mal gesehen.
»Noch nennt ihr mich Wurm, wenn der neue Tag beginnt werde ich euer König sein!«
»Wohahahahaha, hab ihr ihn gehört, König… K ö nig, uaaahahaha.« Der Krieger lächelte höflich, nein, er hatte nicht einmal schlimme Gedanken gehegt und ließ den Arenameister zu Ende lachen und wieder Luft holen, denn die würde er brauchen, würde er es wagen ihn noch länger aufzuhalten.
»Jetzt hör mal zu Meister, ich will kämpfen. Aber nicht mit euch. Wenn ihr so sicher seid, dass ich keine Chance gegen all eure unbesiegbaren Gladiatoren, Söldner, Wahnsinnigen und Kreaturen habe, dann solltet ihr es doch genießen meine Leiche im Staub zu sehen. Die Leute wollen neue Gesichter sehen, gebt ihnen neue Gesichter. Und jetzt lasst mich durch, ich habe nicht die ganze Nacht Zeit.« Er rempelte sich an dem Kerl vorbei und wollte schon durch den dunklen Tunnel gehen, als ihn eine weitere Stimme stoppte.
»Einen Moment noch. Habe ich euch schon mal gesehen? Mir wäre so, wisst ihr, bekannte Gesichter bleiben mir im Gedächtnis.«
»Ach ja?«, fragte Sol skeptisch und musterte den hünenhaften Alten mit den silbernen Locken. War er vielleicht doch nicht ganz vergessen?
»Hm… nein… ich komme nicht drauf. Aber eine Frage noch bevor ihr sterbt Jungchen. Was treibt euch dazu in diese Arena freiwillig zu gehen. Ich würde sagen eure Quote wird… hm… Eins zu Fünfzehn stehen. Im ersten Kampf…«
»Sagt bloß ihr veranstaltet Wetten? Nun, dann würde ich doch glatt antworten: Schnödes Gold.«
»In der Tat, ich veranstalte hier Wetten und das nicht erst seit gestern, schon seit über einem Jahrzehnt arbeite ich nun hier und bin so zu durchaus bescheidenem Wohlstand gekommen, unter anderem durch leichtsinnige Abenteurer wie euch. Warum gebt ihr mir nicht euer Gold für eine Wette? Wenn ihr tot seid, was wahrscheinlich ist, habe i c h wenigstens etwas davon. Und wenn ihr tatsächlich lebendig wieder herauskommt… nun, ein kleines Zubrot hat noch nie geschadet, oder nicht?«
Sol nickte nur gelangweilt und kramte dann den Schlüssel zu seinem Haus heraus, näherte sich dem Hünen ganz nah und steckte ihn in die Tasche des Mannes, während er flüsterte:
»Ihr habt mich da auf eine fabelhafte Idee gebracht Fremder. Der Schlüssel den ihr gerade bekommen habt ist der Schlüssel zu meinem Heim in der Adels- und Kaufmannsgasse in Unter-Gorthar. Das Haus und das Grundstück haben einen geschätzten Wert von tausend Goldstücken, wahrscheinlich mehr als hundert Mal so viel, nicht mitgerechnet der ganze wertvolle Krempel darin. Setzt es und wenn ich verliere macht damit was ihr wollt. Und einen wohlgemeinten Rat gebe ich euch obendrauf Alterchen. Setzt auf mich!...«
Sol riss sich von den Beiden los und tauchte in den tiefschwarzen Tunnel ein, der schon nach wenigen Fuß zu einer Verzweigung führte, bei der es zur Arena ging. Plötzlich riss sich der Arenameister los und rief ihm hinterher.
»Und welchen Namen hat der Todgeweihte?«
»Sol - au – fein«
Noch hatte es keinen weiteren Kampf gegeben, obwohl noch einige gefolgt wären, die Nacht war schließlich noch jung und an Kämpfern gab es hier nie zu wenig. Ob es daran lag, dass er den Arenameister so bloßgestellt hatte? Jedenfalls wurde es nun ernst und die neuen Kämpfer wurden ausgerufen. Zuerst erklang sein Name und die Masse buhte der Unwissenheit wegen, aber er hatte auch nichts anderes erwartet. Mit blassem Blick kam er heraus, zurück an die Oberfläche, zurück ans Licht, in hunderte Augenpaare blickten, die ihn wie ein Stück Vieh begutachteten. Nun – so konnte er sicher sein – musterten ihn wirklich alle. Was erwartete er als Gegner? Schickte der Arenameister gleich den Scheich heraus? Würde das Publikum seinen Gegner gleich frenetisch feiern? Nein!
Unter starker Gegenwehr zogen zwei Zuchtmeister einen wild schnaubenden Snapper in die Arena, worauf das Publikum plötzlich zu johlen und lachen anfing. Wollten die ihn verkohlen? Sein Blick ging nach Rechts, wo der einsame Platz war und wo nun der Hüne weit abseits stand und mit einem grinsenden Blick mit seinem Schlüssel wedelte. Ja glaubte dieser Einfaltspinsel denn wirklich… ja, er glaubte es wirklich. Er ging wirklich davon aus, dass er das nicht überleben würde.
Sein Blick ging nach Links, die gar nicht feinen Herren lachten und johlten mit, aber auch Rattengesicht war noch da und der blieb still und regungslos wie eh und je. Gedanken zappelten in seinem Kopf. Hatte er sich überschätzt? War es nicht reiner Selbstmord sich auf das… Nichts… zu verlassen? Hatte er überhaupt genug Kraft?
Rechts, Links… die Zuchtmeister ließen den Snapper frei und verschwanden eiligst hinter der Absperrung, das Gitter wurde verschlossen, eine Flucht unmöglich… der Snapper war ohne Zweifel hungrig, hatte seit Tagen nichts gegessen, kein zu unterschätzender Gegner, aber die Menge in seinem Rücken trieb ihn mit ihren Spottrufen nach vorne, ein Umdrehen, ein Aufgeben, ein Zeichen von Schwäche und er wäre ihr schönstes Opfer. Nein! Das würde er nicht zulassen! Das Schwert sprang in die Hand und er roch den Geruch des gorthanischen Erzes. Das Erz, das ihn nun beschützen würde, sein Angriff und gleichzeitig seine Verteidigung war, konnte er sich doch nicht auf eine Rüstung stützen. Sol griff an…
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30.03.2007 01:03
#163
Der Snapper besaß eine Wildheit die er nicht von diesen Tieren kannte, er war unheimlich aggressiv, schlug andauernd aus, biss zu auch wenn es nur Luft war und blieb keine Sekunde still. Solaufein hatte genau zwei Möglichkeiten. Ihn solange beschäftigen, bis ihm die Puste ausging, oder einen schnellen Angriff erfolgreich zu Ende zu führen. Welche der Optionen er wählte lag auf der Hand. Er wollte noch nicht zu seinen Dolchen greifen, obschon der Kampf mit ihnen das Ganze sicherlich einfacher gemacht hätte. Aber mit dem Snapper hatte er noch weniger Probleme als gedacht. Der Hunger machte das Tier unvorsichtig, ließ es blind und wahllos zubeißen. Diesen Umstand machte sich ein kluger Jäger zunutze und so deutete der Jägermeister eine Finte an und ließ das Tier mit einer Körpertäuschung ins vermeintlich Leere laufen. Aber sogleich sprang er ab, streckte den Arm lang und schlug dann zu. Wie ein Pfeil bohrte sich die Waffe in den Magenbereich des Tieres, das gerade noch scharf neben ihm sein Maul zuklappte und sich nun instinktiv krümmte. Doch noch ehe der Jubel und die Schmährufe an sein Ohr kamen, zog er das Schwert auch schon aus dem Körper der Bestie und schlug ein weiteres Mal zu. Dieses Mal in aller Ruhe und gezielt in das Herz, es gab kein großes Spiel mit dem klar erlegten Tier, kein Blutbad, kein Posieren mit der Leiche.
Stattdessen entlud sich die gefallene Anspannung und der Zorn über diesen Hohn und er streckte das blutverschmierte Schwert ins Publikum und dann in die rechte, einsame Ecke, wo der Hüne nicht mehr zu sehen war, wohl aber der Arenameister. Mit lauter, klarer aber grollender Stimme sprach er dann:
»Soll das Alles sein? Habt ihr nichts Besseres auf Lager als ein paar ausgehungerte Bestien? Oder fehlt euch der Mumm in den Knochen, gegen mich anzutreten? Merkt euch meinen Namen gut, denn ihr werdet in heute Nacht noch öfters hören! Sol – au – fein!«
Mit dem darauf folgenden Gelächter und den Buhrufen ging er zurück ins Dunkel der Tunnel, wo er wieder wartete bis der nächste Gegner feststand. Aber dabei geschah etwas außerordentlich Merkwürdiges. Die Zuchtmeister hatten sich beim Beseitigen der Snapperleiche keine sonderliche Mühe gegeben, das tote Stück Fleisch einfach an einen Rand neben den Eingang gezerrt. In den ersten Momenten störte ihn das auch nicht sonderlich, er beachtete die Leiche nicht einmal, aber plötzlich überkam ihn ein heiß-kaltes Kribbeln und er erlitt einen Schock, der sich daran äußerte, dass er für einen Moment zusammensackte. Er konnte es sich nicht erklären und hielt sich den Kopf und wieder herrschte für einige Momente Ruhe, so als ob nichts geschehen wäre. Doch der zweite Schock war umso heftiger und er konnte sich vor Schmerzen kaum mehr halten, krümmte sich auf dem Boden und ward beinahe bewusstlos. Doch auch ein zweites Mal ließ der Schmerz kurzfristig nach. Dieses Mal ignorierte er die Umgebung nicht und sah sich ganz genau um. Er entdeckte nichts und niemanden, wanderte einige Schritte umher.
Als er zufällig der Snapperleiche ein paar Schritte näher kam, wurde das Kribbeln wieder stärker. Er ging weiter auf sie zu und spürte eine enorme Anziehungskraft von dem toten Stück Fleisch. Und als er es fast fassen konnte, hörte er die Stimme in seinem Kopf. Es war mehr ein Säuseln das dem Wind mehr ähnelte als klaren Worten aus einem klaren Mund, aber es reichte um ihm den Befehl zu geben und seinen Verstand zu vernebeln.
Er stürzte sich auf den Boden und versuchte den Snapper mit bloßen Händen zu zerstückeln, als er aber merkte, dass seine Hände dafür nicht geschaffen waren, griff er instinktiv nach seinem Spießdolch und begann sein morbides Werk. Erst schnitt er dem Tier den Bauch auf, dann weidete er es aus. Er riss willkürlich Organe und Innereien in die Dunkelheit des Tunnels, tauchte seinen Kopf in die warme Masse. Seine Zunge schlängelte sich über die spitzen Knochen, saugte jeden Blutstropfen in den Rachen. Organe, Innereien, Fleisch, Knochen, das alles interessierte ihn nicht, spuckte er einfach aus, wenn es zwischen die Zähne geraten war, aber Blut, das brauchte er, jeden einzelnen Tropfen. Schlimmer noch als jedes Tier rüttelte und zerrte er an dem Tier, mit einer Wildheit die nicht zu beschreiben war. Aber als die ersten Tropfen seine Kehle benetzt hatten, kam er langsam wieder zu Verstand, hörte deswegen aber noch lange nicht auf, ließ es nur etwas ruhiger angehen. Seine Gier nach Blut ging so weit, dass er sogar die Klinge seines Schwertes ableckte, nur um dort die schon getrockneten Reste abzukratzen.
Aber plötzlich hörte er wieder Geräusche und er ließ von dem Tier ab. Es hatte ohnehin kaum mehr genug Blut für ihn. Der Schmerz und das Kribbeln waren von ihm gegangen und er war wacher und konzentrierter als je zuvor, seine Augen brannten in der Dunkelheit und seine Muskeln ebenso. Er kombinierte schnell und ohne Mühe. Natürlich, er hätte es wissen müssen… er hatte nicht irgendein Ritual praktiziert, er hatte das Blutritual ausgeführt, nun war seine Gier nach Blut nur allzu logisch zu erklären. Wie ein kleines, aber stummes Kind kehrte Solaufein zurück in die Arena. Die Neugier über die Wirkung des kleinen Trunks ließ ihn zapplig werden, was sagte die Masse zu ihm nun, was riefen sie ihm zu? Er hörte es nicht, nur ein gleichmäßiges Pochen war in seinem Ohr zu vernehmen. War das schon die Wirkung des Trunkes? Machte es ihn taub? Auch seine Augen schienen verändert, sie sahen nicht mehr in den vollen Raum, sondern schienen seltsam abwesend, nur auf den Eingang fixiert. Doch die Gedanken waren alles andere als betäubt, waren noch nie so einfach präpariert wie in jenem Moment. Er konnte die Bilder seines letzten Auftritts in der Arena von vor drei Jahren sehen und gleichzeitig die Konzentration auf den Gegner wahren, den Gegner, der nun langsam aus dem Schatten trat.
Als der gepanzerte Ork aus der Öffnung trat, jubelte die Masse, doch vereinzelt herrschte eine solch große Verachtung gegenüber den Grünfellen, dass Buhrufe gegen den großen Champion laut wurden. Noch vor einer Stunde bejubelten sie den grausamen Tod von drei Orks und nun das… wäre er noch er selbst, er hätte es nicht verstanden, doch nun hörte er nichts von seinem Publikum, war nur auf den Ork fixiert. Dieser schaute grimmig und sabberte, hielt seine riesige Axt in die Höhe und brüllte einen Kriegsruf. Das war das Zeichen, das überall gleiche Zeichen. Sol wartete nicht mehr auf irgendein eindeutigeres Signal und griff an. Nichts erinnerte mehr an den defensiv taktierenden Krieger, sein Blut war dermaßen in Wallung, dass er einfach losstürmen musste. Damit schien der Ork nicht zu rechnen. Noch immer mit seiner Axt posierend, holte ihn erst der Kriegsschrei des Menschen wieder zurück in die Wirklichkeit der Arena zurück. Wie Nadelstiche durchbrachen seine Schwertstiche die Rüstung, ließen die Haut aufplatzen und das orkische Blut zu Boden tropfen. Erst als er schon wieder auf beiden Beinen stand und noch einmal mit beiden Händen einen Gewaltschlag ansetzte, hob die Kreatur ihre Waffe und blockte. Erst da sah er überhaupt das wenige Blut an Körper und auf dem staubigen Boden, was ihn für einen Moment noch wahnsinniger werden ließ und in einen Wirbelsturm verwandelte, der über den Ork niederging. Die Kombinationen glichen allerdings wortwörtlich einem Wirbel, da er mehrmals um die eigene Achse wirbelte und dabei immer schneller als der Ork war. Nur dank seiner Kraft konnte das Tier überhaupt die Angriffe halbwegs stoppen, kamen sie doch mit einem Schwung, der den Ork eindeutig überforderte. Aber der Wahnsinn kostete einen ersten Tribut und ließ ihn für einen Moment unvorsichtig werden. Zwar hatte er die Axt des Orkes unter Kontrolle, nicht jedoch die linke Pranke der Urgewalt. Wie ein Steinschlag traf ihn die Faust und ließ ihn einige Fuß weit schlittern. Der Ork konnte jedoch nicht gleich kontern und musste erst einmal Luft holen. Die Verletzung war noch lange nicht tödlich oder eine ernste Gefahr, machte ihn aber anfällig. Doch nach nur wenigen Sekunden hatte er wieder die Kontrolle über sich und griff den Krieger an. Dieser kam gerade wieder zu sich als das vierhundert Pfund Monster auf ihn zustürmte und seine Axt vergeblich in die Höhe streckte, sie doch nur im Staub der Arena versenkend. Sol stand wieder und schloss für einen Moment die Augen. Er musste lernen, das Blut zu kontrollieren und spannte die Muskeln. Aber auch das Grünfell brauchte keine Tage um seine Axt mit der Urkraft wieder hochzubekommen und schleuderte sie nun quer gegen ihn. Im letzten Moment krachten Klingen aufeinander und die Funken sprühten. In jenem Moment gelang es seinem außerordentlich wachen Geist einen stillen Dank zu Meister Gunos zu senden. Diese Waffe war ein Meisterwerk, er hatte sie nicht genug gewürdigt, einen solchen Schlag eines Orks zu parieren ohne zu brechen, beeindruckend.
Schon wollte der Ork wieder zuschlagen, da wich er dem Schlag geschickt aus und tauchte darunter vorbei. Gleichzeitig versenkte sich sein rechter Stiefel in der Kniekehle des Gegners, der strauchelte. Wieder nahm Solaufein einen seiner schon bekannten Anläufe und der Ork ließ sich tatsächlich täuschen. Wieder deutete der Krieger einen Sprung an, stoppte ihn aber noch in der Luft, ließ seinen Schwertarm dann eine gerade Linie mit dem Schwert dicht am rechten Ohr des Orkes vorbei ziehen, griff beherzt mit der linken Hand zu, drehte das Handgelenk in eine unnatürliche Richtung und stach zu.
Als seine Pupillen den Winkel sahen und die Ohren das Geräusch hörten, konnte er sich sicher sein. Mit einer schwungvollen Drehung machte er kehrt und drehte dem Ork den Rücken zu, während sein Schwert noch immer im Hals der Kreatur hing. Eine geballte Faust wurde in die Höhe gestreckt und er riss sein spärliches Hemd vom Oberkörper und entblößte diesen. Noch hielt sich das skeptische Publikum zurück, doch vereinzelt rissen einige wenige ebenfalls die Faust nach oben, von weit hinten hörte er flüsternd seinen Namen. Nach nur einer Sekunde des Triumphs drehte er sich wieder um und zog das Schwert aus dem Hals, was den Ork in die Knie sinken ließ. Er war ein guter Krieger gewesen und hatte nur das Pech von diesem Abschaum gefangen worden zu sein. In jenem Moment wusste auch der grimmige Ork, das seine Stunde geschlagen hatte und ihre Augen trafen sich und schienen dasselbe zu denken. Ein stummes Übereinkommen unter Kriegern…
Auch wenn er deutlich mehr Sympathien gewonnen hätte, hätte er nun eine ähnliche Perversion betrieben wie der so genannte Scheich Ali, ließ er davon ab und verriet auch im Wahnsinn nicht seine Herkunft. Mit einem beidhändig geführten Hieb schenkte er dem Ork den Frieden des Todes und noch mit der blutbeschmierten Waffe deutete er erneut in die linke Ecke.
»Die Zeit der Spielchen ist jetzt endgültig vorbei. Hört auf mir Kreaturen zu schicken, schickt mir endlich euren größten Folterer, schickt mir den Champion!«
Die Menge jubelte, diese Worte von einem Fremden, ja, sie hatten ihn anders eingeschätzt, jeder schätzte ihn anders ein…
»Ihr seid ja wahnsinnig, wieso gebt ihr euch nicht mit dem zufrieden, was ihr erreicht habt? Warum wollt ihr unbedingt so grausam sterben?«
Doch die fordernde, herausgestreckte Schwertspitze sagte es, alle Worte waren hierzu gesagt, die Menge begann nun im Tenor einzustimmen und forderte fast einstimmig den Kampf.
Hektisches Treiben bei der Tribüne der Privilegierten, auch ihre Aufmerksamkeit war durch den Fremden geweckt worden, die Langeweile verflogen. Ihre Gesten waren eindeutig, die Lederbeutel, gefüllt mit Münzen, flogen fast durch den Raum, sie alle wollten diesen Kampf, sie alle…
»Du willst den Champion? Pah…« Der Arenameister sah abschätzig auf ihn herab und schien seine Chancen abzuwägen. »Dann sollst du ihn bekommen, Fremder!« Die Menge johlte, das war es, was sie hören wollten und die Leute rannten an den Wettstand, wo hoffentlich auch noch der Hüne wartete. Dieser Kerl hatte sich selber verraten. Würde er erst mal diesen Kampf gewonnen haben, würde sein Gesicht wieder etwas wert sein und dann könnte sich der Alte hier nicht mehr hintrauen, wenn er ihn betrogen hatte. Und das Haus? Was nutzte ihm ein Haus, in das er nicht hinein kam? Aber das waren Gedanken, über die er nicht weiter nachdenken wollte. Er blieb draußen in der Arena stehen, ging nicht noch einmal in den dunklen Tunnel. Ließ sich von der Menge aufpeitschen, peitschte sich selber auf, wollte so den Druck noch weiter auf den Arenameister verstärken, ihn nicht länger hinzuhalten.
Schließlich, nach einigen Minuten Verzögerung, wurde unter lautem Trommelwirbel und einer frenetischen Stimme der Champion angekündigt und dieses Mal hielt der Arenameister sein Wort. Als der Name „Scheich Ali“ fiel, tobten die Massen, kein Zweifel, der Champion war beliebt unter den Zuschauern, genoss einen hohen Stellenwert, hatte sich seinen Ruf durch seine brutale Art und Weise erarbeitet und gefestigt. Aber durch die vorherigen Kämpfe hatte er deutliche Einbußen bei seinem Publikum hinnehmen müssen, als – der Form halber – noch einmal sein Name angekündigt wurde, waren es wenige Hundert, die für ihn schrieen und wohl auch auf ihn gewettet hatten, diese Nacht würden sie reich werden…
Der Kampf begann, doch er begann unbefriedigend für alle. Sein Gegner nutzte die Macht zwei große Schwerter zu tragen gnadenlos aus um sich in die Defensive zu begeben und abzuwarten, machte dabei aber den Fehler den Angriff zu vergessen und zuzuschlagen. Und Sol? Er wartete auf den richtigen Zeitpunkt, führte sporadische Attacken, studierte aber seinen Gegner auch genau. Es war nicht einfach mit nur einem Schwert diese Deckung zu durchbrechen und nicht selber anfällig zu werden. So nahm er nach einigen Zügen auch seinen Spießdolch zu Hilfe. Es war nicht viel was er damit ausrichten konnte, aber immerhin etwas, sein linker Arm war nicht total unbeschäftigt.
Aber das Publikum duldete keine abwartenden, lauernden Kämpfe und machte Druck, sie wollten etwas sehen, sie wollten unterhalten werden. Das Schlimmste was man jedoch tun konnte war diesem Druck zu verfallen. Und der Scheich verlor als Erster die Kontrolle. Seine dreckige Visage entblößend, ließ er die Deckung fallen und griff an. Man bemerkte, dass er die Technik verstand mit zwei Schwertern gleichzeitig zu kämpfen. Aber was nützte die beste Technik, wenn man sie nicht anwendete? Allerdings war Sol zusehends abgekühlt, wirkte müde und träge, unendlich fertig und bewegungsarm. Die Angriffe des Hässlichen wurden immer schneller und irgendwie fühlte sich der Krieger auf einmal seltsam…
War es da wirklich ein Wunder, dass ihn ein Treffer direkt im Gesicht erwischte, war es wirklich nur Glück, dass es nur der Griff eines der beiden Krummsäbel war? Dieses Mal schlitterte er bis an die Bande und verlor tatsächlich einen Moment das Bewusstsein, was Ali aber bemerkte. Doch gerade deswegen brachte er den Kampf nun nicht zu Ende, sondern ließ sich erst wieder feiern. Welch ein Schicksal… genau so wie in seinem ersten Kampf in dieser Arena…
Die Bewusstlosigkeit dauerte nicht lange an, nach ein paar Sekunden hatte ihn das Leben wieder und an seiner blutig geschlagenen Lippe rann der Saft wieder zurück in den Mund. Hatte ihn das so schnell wieder zurückgeholt? Er rätselte noch, wollte aber Gewissheit. Seine Waffen hatte er während des Falls verloren, aber der Spitzdolch, er blieb ihm noch an seinem Gürtel. Nach ihm greifend, ritzte er sich eine kleine Wunde im Handteller, als er ihn erreichte. Das eigene Blut gierig aufsaugend, kehrte wieder ungewohnt schnell ungewohnt viel Leben in seine Adern und er sprang auf. Der Scheich war perplex, griff aber trotzdem sofort wieder an, noch bevor der Krieger an seine Waffen kam. Doch nun hatte er endlich wieder die Frische die er brauchte, dazu noch einen Plan.
Er rannte, rannte vor dem Säbelschwinger weg. Die Arena war nicht groß, viel Platz zum Rennen hatte er nicht, aber der Scheich erahnte dies und stürmte wütend hinter ihm her. Schon hatte er ihn eingeengt und wollte zuschlagen, als Solaufein sich wieder auf seine Akrobatik verließ und von der Wand der Arena einen Überschlag schlug. Noch ehe der Fremde, der scheinbar baff war, sich umdrehte, bohrte sich sein rechter Fuß in den Nacken des Fleischers. Gleichzeitig rammte er diesem den Spitzdolch in die linke Schulter, worauf dieser unter Schmerzen den einen Säbel fallen ließ. Unsagbar langsam nun trottete er in einer totenstillen Arena zu seinem Schwert, hob es gemächlich auf und sah den nahenden Scheich. Nun hatte er nur noch einen Arm, nur noch eine Waffe. Ein verzerrtes Gesicht attackierte nun fast blind und er tauchte nur unter dem Schlag hinweg, ging wie ein Spaziergänger an dem taumelnden vorbei und schlug das Langschwert blind in den Rücken des perversen Foltergottes. Nun war er geschlagen, aber sein Werk war noch nicht vorbei. Noch hatte er einen Dolch übrig…
Den Spießdolch spielend in der Hand auf und ab fallen lassend, kam er auf die einst so selbstsichere Gestalt zu. Nur Sekunden später ließ auch die rechte Hand die Waffe los. Damit hatte er sein Werk getan, auch wenn die Rache nicht vollkommen war. Aber es war ja auch keine wirkliche Rache gewesen, sondern nur ein Kampf.
Die Waffen wieder aus dem Körper ziehend, ignorierte er den vereinzelten Ruf nach dem Tod des alten Champions. Nein, seine Grundsätze konnte auch das Blut nicht vernebeln, er tötete keine Menschen, keine Artgenossen, noch nicht… der Mensch würde leiden, lange leiden, aber er würde nicht sterben, jedenfalls nicht durch die drei Wunden von ihm, was jedoch die Arenameister mit ihm machten, das war ihm herzlich egal. Diese kümmerliche Wurst, die schwächere Gegner verhöhnte und quälte und hier nun keuchend vor ihm lag… pah! Das sollte der aktuelle Champion sein? Die Qualität war ja nicht gerade gestiegen in drei Jahren, aber das kümmerte ihn nun nicht.
Die meisten mussten den Schock erst mal verdauen, dass nun der alte Champion geschlagen war, aber sie akzeptierten es und als er wieder aus dem Tunnel zur wahren Arena trat, waren die Sprechchöre schon lauter. Nun, er war zwar erschöpft und wollte eigentlich nur noch hier raus und in sein Bett, aber mal abgesehen davon, dass der alte Hüne schon in Sichtweite mit dem Schlüssel winkte und wohl auch einiges an Gold drauflegen würde, würde er es nicht verpassen noch ein kleines Bad in der Menge zu nehmen. Schlafen konnte er danach immer noch, zumal sich die Kanalisation schon morgen Abend wieder einen neuen Champion suchen musste, da er nicht vorhatte noch einmal zurückzukommen, sollte es die Situation nicht erfordern… und in spätestens drei Jahren hatten ihn wieder alle vergessen, aber nun war er erst einmal der König, der Alte war tot und der Neue war schon da, bereit seinen Platz einzunehmen, wenn es auch nur für die eine Nacht sein sollte, der König des gorthanischen Abschaums…
-
Sie hielt die Augen geschlossen, presste das Gesicht gegen die Schultern ihres Vaters. Sie klammerte sich fest. Klammerte sich an die Hoffnung, dass es doch noch nicht vorbei war.
Er würde sie nicht zurücklassen. Er war nicht herzlos, das wusste sie. Man sah es nicht, aber sie teilten dieselbe Hoffnung. Es war nicht vorbei. Er hatte einen Plan; so wie immer. Er ging die Möglichkeiten durch, genau wie sie selbst.
Es gab immer mehrere Möglichkeiten. Der Trick lag darin, sie wahrzunehmen. Warum sollte Shilendra ihr Leben so einfach aufgeben? Nur damit sie entkommen konnten? Das ergab keinen Sinn. Was hatte Shilendra von ihrem Plan, wenn sie dabei draufging?
Es musste hier nicht enden.
Frost hatte es selbst gesagt: Niemand wusste was passieren würde, wenn die Ketten zersprangen. Vielleicht würde alles einfach so weitergehen wie zuvor. Bevor sie in dieses seltsame Loch gefallen waren. Alles würde gut sein.
Sie öffnete ihre Augen einen Spalt weit. Die Unendlichkeit strahlte ihr aus einem orangeroten Ozean aus Wolken entgegen. Über ihr nur die wabernde Schwärze. Irgendwo die Ketten, die sich in der Dunkelheit verloren.
Verloren.
War es das? Vielleicht waren sie ja längst alle verloren. Verdammt, auf ewig durch die Unendlichkeit zu irren ohne zu registrieren, dass sie ihr niemals entrinnen konnten. Es war auch eine Möglichkeit. Eine von vielen.
„Sheyra!“
Sie blinzelte, fand sich in der Realität und als winziger Punkt an der Wand des Palas wieder.
„Reiß dich zusammen!“
Frost war mitten in der Bewegung eingefroren. Die Finger in die Mauerritzen gekrallt, hing er regungslos an der Wand. Solange Sheyra ihn nicht versehentlich erwürgte. Im Moment war sie auf dem besten Wege dazu.
„'tschuldigung“, murmelte sie.
Seltsam. Sie hatte nicht gemerkt, wie sie abgerutscht war.
„Halt dich fest. Wir haben es fast geschafft.“
Sheyra wagte einen Blick nach oben. Die Kante – also eigentlich das Fundament des Palas – hob sich als dunkle Klippe vor dem schwarzen Himmel ab. Irgendwo über ihr konnte sie die Silhouetten der Ketten erkennen. Und hinter ihnen einen schwachen, violettenen Schimmer, der sich im Himmel verlor. Wie weit waren sie bereits geklettert? Sie traute sich nicht, zum Fenster zurückzublicken. Unter ihr gab es nichts als orangerote Wolken. Wolken und Angst und Unendlichkeit. Was war es wohl für ein Gefühl, in den Himmel zu stürzen?
Ihr Vater schloss die Augen, sammelte Kraft. Sie konnte es fühlen. Seine Schultermuskeln hoben, verhärteten sich, seine Beine lockerten die Spannung etwas, der Stein knirschte unter dem Druck der behandschuhten Hände. Die Luft entwich aus seiner Lunge, Schultern und Brust fielen zusammen wie ein Blasebalg. Die rechte Hand löste sich von der Wand, schob sich nach oben, fand Halt. Das Bein folgte dem Beispiel, nahm das Gewicht auf, drückte den Körper nach. So ging es weiter, Stück für Stück. Schritt für Schritt. Er war eine Spinne. Eine kleine, schwarze Spinne, die ihren Faden verloren hatte und dennoch versuchte, der Unendlichkeit zu entfliehen.
Wie lange kannst du klettern, kleine Spinne?
Der Rhythmus ihrer Bewegungen war gleichmäßig wie der einer Maschine. Immer dieselben Bewegungen. Stets von derselben Kraft erfüllt. Diese stupide, unnachgiebige Kraft, die sie weiter nach oben trieb, der Dunkelheit entgegen.
Sheyra war so sehr in dem monotonen Rhythmus gefangen, dass sie das Ende beinahe nicht mitbekommen hätte. Es kam in Form eines plötzlichen Rucks, der sie über die Kante zog und Sheyra vom Rücken ihres Vaters purzeln ließ. Minutenlang blieb sie einfach liegen. Lauschte den keuchenden Atemstößen ihres Vaters, der sich neben ihr auf den Rücken gerollt hatte und in die Schwärze über ihnen starrte. Sie spürte die Reste von Erde und Moos und Gras auf dem harten Stein und die winzigen Insekten, Käfer und Asseln, die vor den ungebetenen Besuchern flüchteten. Sie spürte sie, so wie die Tierchen sie selbst spürten oder sahen, teilte für einen kurzen Moment ihre Aufmerksamkeit und ließ sich treiben, treiben auf der Unterseite eines schwebenden Palas irgendwo im Nirgendwo der Unendlichkeit.
Und während sie sich treiben ließ, bemerkte sie, dass sie nicht allein waren.
„Wir müssen weiter“, sagte sie plötzlich und stand auf.
„Eine Minute“, sagte ihr Vater, die Augen geschlossen haltend und sich um gleichmäßige Atmung bemühend. „Gib mir noch eine Minute.“
Sheyra griff nach seinem Arm und versuchte ihn hochzuziehen. Frost ächzte und öffnete die Augen. Dann schrie er auf und schlug eine Hand vors rechte Auge.
„Götter!“, keuchte er und kam taumelnd auf die Beine.
„Was hast du gesehen?“, fragte Sheyra, nach seiner Hand tastend.
„Sie sind hier. Kreisen über uns wie Geier. Komm!“
Die Ketten wuchsen aus dem Fundament, als wären sie ein Teil von ihm. Das Halteglied schien zur Hälfte sogar noch aus demselben Stein, der in ein schwarzes, matt glänzendes Material überging. Auf eine skurrile Art und Weise wirkte es geradezu natürlich. Was war auch seltsam an Ketten, die eine Burg an einem Himmel hielten, der aus nichts als blubbernder Schwärze zu bestehen schien?
In der Mitte des Fundaments war ein kreisrundes Loch wie ein Brunnenschacht. Dort kam das violette Licht her, strahlte als schimmernde Lanze gen Himmel, um sich in der Dunkelheit zu verlieren. Ein Brummen lag in der Luft, wie das Brummen eines großen Insektenschwarms. Es war in der Luft, im Stein zu ihren Füßen, sogar in ihrem Bauch, direkt unter ihrem Zwerchfell.
Die einzelnen Kettenglieder waren mehr als mannsgroß und als Sheyra ihren Fuß auf das unterste setzte, spürte sie die gesamte Kette erzittern. Sie schien nicht gestrafft, sondern ebenso wie die Festung einfach in der Leere zu schweben. In sanftem Bogen erstreckte sie sich bis in die Dunkelheit über ihr. Wie eine Nabelschnur zurück in die Realität.
Anfangs gestaltete sich der Aufstieg als einfacher als erwartet. Doch je höher sie stiegen, desto stärker wurde die Steigung. Schon bald kamen sie nur noch kletternd vorwärts. Das Material fühlte sich seltsam an; kein Metall, eher rauhes Horn. Wie Fingernägel. Und es war verdammt kalt hier oben. Nicht nur das, dieses Brummen erfüllte die Kette wie ein innerer Pulsschlag und...
„Sheyra!“
Sie reagierte einen Sekundenbruchteil bevor sie die Warnung hörte. Rechts von ihr begann sich die Luft zu verdichten. Zuerst war es nur ein Flimmern wie über einer aufgeheizten Straße. Dann ein Zischen wie eine Schlange, schwarzer Nebel, aus dem Nichts entstehend und dann ein Körper, Fänge die nach ihr schnappten und ein Kreischen, schrill, misstönend, die Welt zerspringen lassend.
Sheyra zog den Kopf ein und der Angreifer schoss wütend zischend über sie hinweg. Das Wesen hatte tatsächlich Ähnlichkeit mit einem Geier. Es hatte denselben krummen Hals und breiten Unterleib, dazu einen langen Schwanz mit gabelartigen Stacheln. Auf dem Hals saß ein Piranhakopf, dessen Kiefer im Wind klapperten. Der Körper des Wesens bestand aus Nebel und Schatten und schien immer wieder kleinere Fetzen zu verlieren. Der Piranhakopf wuchs aus dem Hals wie eine Maske aus gebleichten Knochen. Verärgert über den missglückten Angriff schraubte sich das Geiermonster klappernd und kreischend in die Höhe.
„Weiter!“, rief Frost unter ihr. „Egal was passiert – kletter einfach weiter.“
Sheyra schluckte und nickte. Sie hörte das leise Sirren, mit dem die Schwerter ihres Vaters aus ihren Hüllen glitten.
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31.03.2007 23:12
#165
Sein Kopf schmerzte als er an diesem Tage wach wurde, aber ein kaputter Blick aus dem nahen Fenster verriet dem Krieger, daß es schon lange Nacht war.
»Die Nacht nach der Nacht einer Geburt…«, murmelte Sol, während er sich aus dem Bett quälte und schon nach einigen Minuten wieder recht ausgeschlafen wirkte. Schon seit seiner Geburt schlief er gerne, war aber keiner dieser Langschläfer. Er hatte es schwer aus dem Bett zu kommen, ja, besonders wenn es früh am Morgen war, aber einmal aufgestanden schlief er nicht mehr ein und oft war er schon kurze Momente später wieder ganz der Alte. „Geburt“, so nannte er die Geschehnisse in der Arena in der Kanalisation von Gorthar. Er war zum zweiten Mal dort gewesen und hatte sich zum zweiten Mal die Krone aufgesetzt, war nun der neue Champion, auch wenn man ihn schon in einem Zehntag ersetzt hätte. Das Vergessen würde etwas länger dauern, aber es würde auch einsetzen, schneller als es ihm lieb war. Einen Champion zeichnete vor allem aus, dass er mehr als einen Kampf gewann, das Publikum begeisterte und auch nicht besiegbar schien. Eigentlich gehörte auch dazu, seinen Titel in Kämpfen zu verteidigen, aber dafür hatte er keine Zeit und auch überhaupt keinen Sinn. Deswegen würde es ein Nachfolger auch so schwer haben. Der Scheich war bestimmt einige Tage, wenn nicht gar Zehntage dort unten angetreten und hatte mehr als ein Duzend Kämpfe gewonnen. Er hingegen nur eine Nacht… und doch, die Nacht war eine Geburt gewesen, keine Legende zwar, aber er selber fühlte sich wie neugeboren. Auch waren die Erkenntnisse mehr wert als alles Gold, dass er noch zusätzlich von dem grauen Hünen bekommen hatte. Jeder Kampf war ein enormer Gewinn für ihn gewesen, auch der Hüne hatte seinen Reibach gemacht, auch wenn die ersten zwei Kämpfe riesige Verluste waren. Aber obwohl er diese zwei doch gewann, setzte die Mehrheit am Ende auf den Scheich, hielten ihrem alten Champion die Daumen und das Geld. Doch spätestens dort hatten findige Köpfe gemerkt, dass seine Zeit abgelaufen war und die Stunde des Fremden geschlagen hatte, was ihnen einen schönen Profit brachte. Solaufein hatte von dem Hünen einen Sack bekommen, keinen Beutel, einen Sack, was auf die Menge der Münzen hindeutete und natürlich auch den Schlüssel, aber nach seiner Rückkehr hatte er alles erst mal in eine Ecke gelegt und sich nicht weiter darum gekümmert.
Alles hatte eine Bedeutung im Leben, einen gewissen Wert. Das Gold war für viele Kreaturen das Oberste, nicht jedoch für einen Mann seines Schlages. Zuerst kam das Gold, danach der Ruhm und an der Spitze des Wertes waren die Erkenntnisse. Es war eines ein solch schwieriges, brutales und gefährliches Ritual wie das Blutritual a u s z u f ü h r e n, etwas anderes jedoch die Folgen zu spüren und mit ihnen umzugehen. Schließlich konnte man auch nicht einfach eine Phiole mit unbekanntem Inhalt trinken und sich dann überraschen lassen, ob der Inhalt einfache Milch, ein stärkender Trank oder gar ein tödliches Gift enthielt. Doch so ähnlich war er an die Sache herangegangen, blind, naiv und blauäugig. Sich einfach auf die Richtigkeit seiner Tat verlassen. Dafür hätte er fast zahlen müssen, denn dass es intelligentere und konsequentere Gegner wie den Scheich gab, die im Moment ihres Triumphes den Feind eliminierten und sich erst dann feiern ließen, stand außer Frage. Aber nun wusste er, welche Wirkung das Blutritual auf seinen Körper hatte und ließ seiner Phantasie freien Lauf. Gleichzeitig jedoch arbeitete er mit dem Wissen und entschloss sich, in den nächsten Tagen weitere Experimente mit seinem und fremden Blut zu erforschen.
Da er ohnehin gerade aufgestanden war und weder wieder einschlafen konnte noch wollte, machte er sich zunächst einmal ein ordentliches, wenn auch leichtes Frühstück und verrichtete seine Morgentoilette. Dass es dabei längst stockdunkel in Gorthar war und kaum mehr etwas los war in der Stadt, das störte ihn nicht, nicht im Geringsten. Bei seinem Gang vor die Tür bemerkte er jedoch den klaren Sternenhimmel und kam auch überhaupt nicht am hellen Licht des fast vollen Mondes vorbei, was ihn wieder an den Brief erinnerte, den er Ritley geschickt hatte. Es war nicht mehr lange hin, doch er wollte trotzdem noch einmal die Mondkarte studieren um sicherzugehen, dass er auch keinen Fehler gemacht hatte. Er hatte jetzt sowieso viel Zeit.
Ein paar neue Holzscheite auflegend, ließ er das Feuer im Kamin aufflammen und rückte den Studiersessel etwas näher. Ein kleiner Holzschemel diente als Ablage für die Füße. Eine Flasche Wein und ein silberner Kelch, der allerdings etwas abgestaubt werden musste, sollten ihm das Ganze zusätzlich versüßen. Doch bevor er sich wieder seiner aktuellen Lektüre über Gorthar widmen konnte, galt es noch zu essen, die „Einnahmen“ aus den Wetten zu zählen und zu kontrollieren, sie ordentlich im Hause zu sichern, die Mondkarte zu studieren, die Waffen zu putzen, die verschmutzte Kleidung zu waschen und bürsten, die Stiefel zu wichsen und in der Hausbibliothek den zweiten Band zu dem Buch finden, das über die Geschichte Gorthars handelte, sich nicht auf die Stadt beschränkte, historisch korrekt anmutete und nicht in eine Art Roman erzählt wurde, sondern auf fundierte Berichte und Fakten baute, dabei trotzdem sehr spannend zu lesen war.
»Tja… wie heißt es doch so schön? Arbeit zieht Arbeit nach sich.« Mit einem Seufzen, aber auch mit einer Portion Zufriedenheit machte er sich dran die Arbeiten so schnell es ging zu erledigen und dennoch die Sorgfältigkeit nicht außen vor zu lassen. Es war ihm ganz recht einmal nur stinknormale Arbeiten zu verrichten und nicht die ganze Zeit irgendetwas Großes leisten zu müssen und so verkam dieser Berg an Ordinärem zu einer willkommenen Abwechslung, die sogar mitunter richtig Spaß machte. Außerdem genoss er die tatsächliche Ruhe der Nacht, um seine frischen Gedanken neue Ufer erreichen zu lassen und die Konzentration für die kommenden Tage zu schärfen. Ein Anfang war gemacht, der Grundstein gelegt, aber mehr war es nicht…
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Zögernd, wie beim Versuch, eine alte Tür lautlos aufzuschieben, öffnete Frost sein rechtes Auge. Die Bilder brannten in seinem Kopf – wirre Farben, ineinander fließende Formen, schmerzhaft pulsierendes, grelles Licht – es war ein Kaleidoskop ständig wechselnder Motive, das vor ihm Karussell fuhr. Er war geblendet, verwirrt und hypnotisiert von dem rasend schnellen Wechsel, hatte Mühe, weiterhin die Balance auf dem hin und her schwingenden Untergrund zu halten.
Sein Auge nahm Informationen auf, die sein Gehirn nicht einzuordnen wusste. In der normalen Welt war die Sicht durch das Auge des Jägers bereits verwirrend genug. In dieser Zwischenwelt war es der Blick in die Fratze des Wahnsinns.
Aber er konnte sie sehen. Wenn er sich konzentrierte, sah er die körperlosen Existenzfetzen, die von allen Seiten näherkamen. Bis auf das geierartige Ding, das Sheyra angegriffen hatte, waren sie alle körper- und substanzlos. Nebelfetzen, unsichtbar für das Auge, darauf lauernd, ihrer Scheinexistenz zu entfliehen. Er wusste nicht, was sie trieb. Vielleicht waren es die Geister der bedauernswerten Seelen, die sich in diesem zeitlosen Ozean verloren hatten. Getrieben von der Erinnerung an ihr einstiges Leben und dem Verlangen nach einem richtigen Körper, trieben sie nun unsterblich durch diese Sphäre, stets auf der Jagd nach verirrten Neuankömmlingen.
Frost hatte jedoch ein Ziel und nicht vor, sich von ein paar Geistern aufhalten zu lassen.
Die Flammenschneide summte leise in seiner Hand. Die Klinge vibrierte leicht – entweder durch das Herausziehen aus der Scheide, oder weil sie die geisterhaften Wesen witterte. Vom Eisbrecher war hingegen nicht die leichteste Regung zu spüren.
Der Geistergeier zog mit klapperndem Kiefer weiter seine Kreise. Die anderen Geister kamen näher. Aus dem Nichts erschien ein dünner, schwarzer Strang, der sich wie eine Peitschenschnur wenige Schritt vor Frost schnalzend um die Kette wickelte. Kurz darauf zog sich ein menschenähnlicher Körper nach oben. Das Wesen seufzte, richtete sich langsam auf und streckte die viel zu langen Glieder. Die Arme hingen an den Seiten wie Wasserschläuche. Die Beine hatten sich halb um die Kette geschlungen. Wie bei dem Geier bestand der Kopf aus einer Art Maske; knochenbleich mit leeren Augenhöhlen, in denen nichts als die Schwärze lag, aus welcher der gesamte Körper bestand.
„Frost“, hörte er Sheyras Stimme in seinem Rücken, „Sie schneiden uns den Weg ab.“
„Bleib dicht bei mir“, erwiderte er, „Wenn ich das Zeichen gebe, rennst du los.“
„Was hast du -?“
Der Geist machte eine Bewegung, die an einen umstürzenden Sandsack erinnerte. Der Körper sackte nach vorne, während sich eines der Beine vorwärtswuchtete und neuen Halt suchte. Frost duckte sich und sprang vorwärts. Selbstmord, dachte er. Er verließ sich darauf, dass der Geist so reagierte, wie es ein Mensch getan hätte. Und dass für dieses Ding in etwa dieselben Naturgesetze galten wie für ihn selbst. Und eigentlich noch eine ganze Menge weiterer Faktoren, über die er besser gar nicht erst nachdenken wollte...
Bevor Sheyra reagieren konnte, machte ihr Vater bereits einen Satz nach vorn. Ihr Herz machte ebenfalls einen Sprung, während Frost in der Luft hängenzublieben schien; die Klingen wie verkümmerte Flügel zur Seite gestreckt, die Knie angewinkelt. Der Geist zuckte mitten in seiner Bewegung stehen und machte ein Geräusch, das halb wie Schluchzen, halb wie Stöhnen klang. Dann schwabbelte der linke Arm nach hinten, um dann wie ein Morgenstern nach vorne zu schnellen. Die Zähne der Knochenmaske klapperten haltlos aufeinander.
Welche Naturgesetze auch immer für den Geist gelten mochten, sie waren auf Frosts Seite. Der Arm verfehlte seinen Kopf dicht genug, um seine Haare durcheinanderzuwirbeln und hätte dafür beinahe Sheyra erwischt. Ihr Vater landete direkt an dem Punkt, an dem die Kettenglieder ineinandergriffen. Die Schwerter schnappten zu wie eine Schere und schnitten den Geist in der Mitte auseinander. Der schwarze Körper glitt einfach beiseite wie Nebel unter einem Windhauch. Die Maske verlor ihren Halt, klackte auf der Kette und verschwand in der Tiefe.
„Runter!“
Frost sprang erneut, setzte in hohem Bogen über Sheyra hinweg und landete leichtfüßig auf der knapp drei Handbreiten dicken Kette. Erschrocken klammerte sich Sheyra fest und schloss für einen Moment die Augen. Ihr Magen sprang im Takt der wild schwingenden Kette auf und ab.
Frosts Schwerter fuhren noch beim Landen auf die Maske des zweiten Geists nieder. Das Grinsen zersprang – klirrend splitterte die Maske und der Körper verpuffte in einer Nebelwolke. Ein schrilles Wehklagen erfüllte die Luft; weitere Geister erschienen aus dem Nichts, tauchten sowohl vor wie auch hinter ihr auf, klammerten sich mit ihren grotesk wirkenden Gliedern an der Kette fest; mal auf ihr stehend, dann einfach wie Fledermäuse mit dem Kopf nach unten hängend.
Frost wartete nicht auf den Angriff. Seine Stiefel fanden wie von alleine Halt auf dem unsicheren Boden. Mit zwei Hieben tötete (?) er zwei weitere Geister, woraufhin die verbleibenden plötzlich dematerialisierten und auseinanderstoben.
„Lauf!“, schrie er, das rechte Auge von blauen Flammen erfüllt.
Dann nutzte er die zurückschwingende Kette, um erneut zu springen.
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02.04.2007 23:50
#167
Zu einer leichten Nachtruhe hatte sich der Krieger erst am späten Nachmittag begeben. Es war ihm aus zweierlei Gründen nicht möglich den Schlaf des Gerechten zu schlafen. Denn einerseits war es ja noch hell, was man vielleicht mit ein paar Vorhängen oder dem Verrücken des Bettes in einem fenster- und damit lichtlosen Raum beheben hätte können, aber andererseits hatte er ja noch diese Verabredung dort unten am Hafen und da wollte er auf keinen Fall zu spät kommen.
Es tat gut in der Nacht zu arbeiten, auch wenn der Krieger diese Umstellung nicht zur Gewohnheit werden lassen wollte. Der graue Hüne hatte ihm doch tatsächlich „nur“ etwas über neunhundert Goldmünzen mitgegeben. Zwar war ihm die Summe erst einmal mehr als nur genug, aber in realistischen Verhältnissen gesehen war es verdammt wenig, ja, sogar nur die unterste Grenze für drei Wetten, bei denen er nie der Favorit war und dementsprechend Quote hatte. Er wollte nicht ausschließen, dass der Hüne da etwas getrickst hatte, aber vielleicht hatte die gorthanische Unterwelt auch einfach kein Geld mehr. Dieser kleine Makel würde mit Sicherheit nicht dafür sorgen, dass er noch einmal so bald zurückkehren würde. Er hatte den Großteil in dem Sack gelassen und diesen in einem neu angelegten Geheimfach unter dem Boden der Holzdielen versteckt. Man musste nur Ideen haben, dann konnte man sich auch halbwegs sicher sein, dass das Gold auch da blieb, wo man es hingetan hatte. Etwa zweihundert Münzen nahm er aber für sich und verstaute sie in einem kleinen Lederbeutel, der fortan an seinem Gürtel baumeln sollte, bis er sich irgendwann mal natürlicherweise oder auf unnatürliche Art und Weise verabschieden sollte und er nichts davon mitbekam.
Auch bei dem Rest war er gut vorangekommen. Die Mondkarte hatte tatsächlich gestimmt, jedenfalls konnte ihm sein Verstand keinen plausiblen Fehler nennen, den er gemacht haben sollte. Also musste Ritley auch den richtigen Termin haben, wenn er denn etwas davon verstand. Aber der Krieger zweifelte nicht daran, dass jemand wie Ritley, ein Magus und Heiler, etwas von solchen Dingen verstand. Eher noch, ob er denn überhaupt ein Interesse an einem weiteren Treffen hatte.
Aber auch die Zeit zwischen Nacht und Nachmittag wollte genutzt und nicht unnötig verschwendet werden und so hatte er wie angekündigt einige Experimente mit Blut gemacht. Es war schon fast so pervers wie die Praktiken des Scheichs in der Arena, aber er brauchte wenigstens kein schlechtes Gewissen haben, einem Lebewesen Leid zuzufügen. Er kaufte am Marktplatz einige Tiere, wobei er sich versicherte dass diese jüngst gestorben oder frisch geschlachtet waren. Darunter einen Feldhasen, ein Wildhuhn und einen Sperling. Als er wieder zurück bei seinem Haus war, ging er dort in den Garten der direkt an der riesigen, gut dreißig Fuß hohen Stadtmauer seine hintere Grenze fand. Dort war er perfekt abgeschirmt von irgendwelchen neugierigen Blicken. Er schnitt die Tiere nach und nach auf und beobachtete sich selber, seine Reaktion auf den immer gleichen Anblick von Blut. Doch durch den bloßen Anblick regte sich so gut wie nichts in ihm. Erst als er das Blut der unterschiedlichen Kandidaten zu sich nahm, spürte er eine leichte Veränderung, aber das war nicht das Gefühl, das er noch vor einigen Stunden gefühlt hatte. Zwar wurde er leicht benebelt, aber diese Wirkung hatte eher negative Auswirkungen anstatt gute. So erklärte er schließlich das Experiment für gescheitert und nahm an, dass auch andere Tiere keinen anderen Effekt hatten. Eigentlich hätte er die drei Tiere auch gut in einer Pfanne anbraten und verspeisen können, aber stattdessen begrub er sie lieber in seinem Garten, warum genau wusste er auch nicht so recht, es war so ein Gefühl dies tun zu müssen. Danach folgte der zweite Teil. Er nahm erneut ein scharfes Messer und ritzte sich die Haut auf, diesmal jedoch nicht an den Unterarmen, die noch immer unter dem Ritual zu leiden hatten, sondern an der Brust. Aber auch dieses Blut vermochte keinen Effekt mehr, nicht einmal die Beneblung erfolgte. Den Rest des Tages zog er sich zurück und dachte über diese Erkenntnisse nach, bis er sich am Nachmittag hinlegte.
Irgendwann kurz vor Sonnenuntergang erwachte er dann wieder, er hatte sich mit Absicht nur in den Sessel gesetzt und nicht ins Bett gelegen, so war es wahrscheinlicher, dass er nicht doch vollkommen wegdöste. Mit Spannung und großer Erwartung marschierte er sogleich zum Hafen, um dort am Pier Ausschau zu halten. Heute war Vollmondtag und in wenigen Stunden würde dieser auch wieder zusehen sein. Eine wirklich seltsame Art sich mit jemandem zu verabreden, aber die beste die es gab. Wenn wirklich ein solch schlimmer Krieg tobte, von dem man in Gorthar so wenig mitbekam, dann würde man wohl kaum einen Brief schicken können, welcher Bote würde den schon transportieren. Und für Brieftauben war die Entfernung wohl doch etwas weit, zumal er von dieser Möglichkeit auch nur flüchtig gehört und sie nie gesehen hatte.
Es herrschte Trubel auf den Straßen, die Menschen genossen den Feierabend, dachten nicht daran schon Ruhe zu geben und nach Hause zu gehen, die Kneipen und Gasthäuser waren nun gut gefüllt, Geschäfte dagegen waren leer. Es war schön so zu schlendern, auch wenn ihm die Laune schon fast wieder verging, wenn er die breite Straße sah, die schon fast bildlich anfing zu schimmeln, je näher sie zum Hafen herunter führte. Dennoch entschied sich der nachdenkliche Geist heute einen guten Tag zu haben und setzte ein fast dauerhaftes, leichtes Lächeln auf, als er sich dem verarmten Viertel näherte und es schließlich betrat.
Geändert von Solaufein (02.04.2007 um 23:53 Uhr)
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Ihre Beine setzten sich von alleine in Bewegung. Wenn sie in der kurzen Zeit, die sie mit ihrem Vater verbracht hatte etwas gelernt hatte, dann, sein Handeln in Situationen wie dieser gar nicht erst zu hinterfragen. Er mochte ein Arschloch sein, hin und wieder, ja. Sozialisieren zählte nicht zu seinen Stärken. Kämpfe schon.
Als Frost sicher wie eine Katze landete, einem Geist auswich und einen anderen zerhackte, flüchteten sich die verbleibenden Angreifer in ihre körperlose Existenz.
„Das ist die Gelegenheit“, hörte sie ihren Vater, „Los!“
Wenn eine Ameise auf dem Rücken einer sich bewegenden Schlange landete, hatte sie ein Problem. Sheyra konnte sich in diesem Moment lebhaft vorstellen, wie sich das kleine Insekt fühlen musste. Die Kette bewegte sich unter ihr wie ein aufgescheuchtes Tier. Sie wippte auf und ab, schwang seitwärts, dann wieder zurück. Ihr Magen bewegte sich im selben Takt. Dies war Wahnsinn in einer seiner reinsten Formen. Vielleicht hätte ein Seiltänzer seine helle Freude an dieser Situation gehabt. Sheyra war jedoch kein Seiltänzer, noch hatte sie dieselbe Ausbildung wie ihr Vater genossen. Sie hatte kämpfen gelernt, ja, aber hauptsächlich gegen Gegner aus Fleisch und Blut. Selbstmörderische Akrobatikeinlagen über einem orangeroten Wolkenmeer gehörten nicht dazu. Im Kampf hatte sie gelernt, das Wissen, dass ein einzelner Treffer den Tod oder lebenslange Verkrüppelung mit sich bringen konnte, auszublenden. Wenn sie sich hier einen Fehltritt leistete, würde sie sehr lange Gelegenheit haben um sich zu überlegen, wo der Fehler gelegen hatte. Und dieses verdammte Wissen wollte nicht aus ihrem Kopf.
„Weiter!“, rief ihr Vater, „Wir haben es fast geschafft!“
Sie blickte auf. Die Schwärze über ihrem Kopf war näher als je zuvor. Sie konnte sie wie heißes Pech wogen und blubbern sehen. Beinahe zum Greifen nah. In vielleicht zehn Schritt Entfernung verschwand die Kette bereits in der Dunkelheit. Götter, sie hatten es so weit geschafft...
Als sie blinzelte, stand der Geist vor ihr. Kein halber Schritt trennte sie von dem maskenhaften Totengrinsen. Sie riss den Arm vors Gesicht, duckte sich nach hinten. Etwas klapperte, berührte ihren Arm, dann kam der Schmerz und sie schrie auf.
„Frost!“
Der Geist hatte sich in ihre Schulter verbissen. Seine Zähne knirschten auf dem Metall ihrer Rüstung, in den Augen verlor sich die Schwärze. Sie wankte und wäre gestürzt, hätte sich der Geist nicht selbst an der Kette festgeklammert.
„Fang!“
Sie drehte den Kopf und griff zu, mehr instinktiv, als irgendetwas sehend. Ihre Hand fand den Eisbrecher. Vielleicht fand der Eisbrecher auch ihre Hand. Sie stieß zu. Und fühlte den Widerstand, als die Klinge an dem Geist abglitt.
„Was zum...?“
Frost schlug zu ohne sich umzudrehen. Er wusste, dass der Geist hinter ihm aufgetaucht war und sein Biss auf sein Genick zielte. Keine Hellsicht, eher einfache Mathematik, auf der Grundlage des Angriffes auf Sheyra.
Es gab nur einen Fehler in seiner Rechnung: Der Körper des Geists war hart wie Stahl.
Der Aufprall prellte die Flammenschneide fast aus seiner Hand. Er drehte den Kopf halb, sah das Grinsen unmittelbar neben seinem Ohr und ließ sich nach vorne fallen. Das Geräusch der zusammenschnappenden Kiefer erinnerte an eine Bärenfalle. Unter sich nichts als Wolken, über ihm ein zähnefletschender Geist – sein Sturz wurde plötzlich gebremst und er fand sich nur von den Ellenbogen gehalten in der Mitte des Kettenrings hängend wieder.
„Ich kann ihn nicht verletzen!“
Keine Zeit, sich um Sheyra zu kümmern. Sein Gewicht zog ihn nach unten und seine Schultern schmerzten. Der Geist über ihm schüttelte wild den Kopf, wobei seine Zähne klapperten. Frost versuchte die Beine zu heben, um sich irgendwo abzustützen, doch er rutschte ab. Irgendwo über ihm kreiste und zischte der Geistergeier.
„Verreck endlich!“
Sie hackte weiter auf den Geist ein, dann schrie sie auf, als sich die Zähne tiefer in ihre Schulter gruben. Ihr Angriff hingegen blieb wirkungslos. Die Geister schienen in ihrer kurzen Abwesenheit ihre Konsistenz geändert zu haben.
Sheyra versuchte den linken Arm zu heben und tastete nach dem Gesicht des Angreifers. Die Berührung war eiskalt. Kalt genug um zu brennen.
Wo war Frost?!
Niemand da, um zu helfen. Kein Frost, keine Redsonja, kein Win'Dar. Sie würde sterben, hier, in diesem Niemandsland, ein Nichts in der Unendlichkeit und niemand würde sich je wieder an sie erinnern. Niemand. Und niemand würde ihr helfen.
Nein. Da war jemand.
Sheyra stöhnte, als der Eisbrecher in ihrer Hand zu glühen schien. Da war ein Gefühl, wie ein Puls, der zuerst ihren Waffenarm hinauf, dann durch ihre Brust und dann durch ihre linke Hand schoss.
Dann zerplatzte der Geist in einem Geysir schwarzgrüner Körpersäfte.
Sheyra brauchte Hilfe. Plötzlich bog sich der Geist über Frost nach vorn und schnappte zu. In diesem Moment hatte er eine Idee. Und ließ sich einfach fallen.
Diesmal zerteilten die Kiefer keine leere Luft. Stattdessen schlossen sie sich um Frosts ausgestreckten Unterarm. Der Schmerz kam schnell und brutal. Doch der Dämonenpanzer gab nicht nach. Im Inneren des Geists rasselte etwas, als er Frost in die Höhe riss und wie ein Wolf seine Beute schüttelte.
Zwischen Tränen registrierte Frost, wie eine Knochenmaske vorbeiflog und ein Regen dunkler Flüssigkeit niederging.
Sheyras Finger hatten sich zu einer Klaue verkrampft. Blut tropfte von Gesicht und Rüstung. Ihr Atem ging schwer, die Augen waren geweitet. Mit wildem Blick drehte sie sich um und sah ihren Vater mit einem weiteren Geist ringen. Sein Arm hing zwischen den Kiefern fest, seine Füße tasteten nach Halt auf der Kette.
Bevor sie irgendwie reagieren konnte, tastete ein Strom pulsierender Energie nach dem Geist. Blaues Elmsfeuer zuckte über den schwarzen Körper, fraß sich tiefer, verwandelte ihn in Nebel. Dort, in weiter Tiefe, fast unsichtbar in der Ferne, glaubte Sheyra eine winzige Gestalt an einem der Fenster des Palas erkennen zu können.
Frost schrie auf und stieß zu. Einige der Blitze sprangen auf die Klinge über und tanzten über die Schneide. Das Schwert drang fast bis zum Heft in den Körper des sich windenden Geists ein. Das blaue Feuer breitete sich rasch aus, zerfraß den Geist von innen, verschlang die Dunkelheit bis nur noch die Knochenmaske mit den leeren Augenhöhlen an Frosts Arm hing. Die Kiefer zitterten, dann fiel die Maske ab und in die Tiefe.
Doch im selben Moment manifestierte sich ein weiterer Geist in Frosts Rücken.
„Hinter dir!“
Diesmal ließ er sich nicht fallen. Stattdessen stieß er sich ab – ein hoher, weiter Satz, der ihn in einem Salto über den hinterhältigen Angreifer hinweg trug. Noch vor dem Landen fing er den Eisbrecher auf.
Hatte sie das Schwert wirklich geworfen?
Wie auch immer – dies war einer jener Momente, in denen Sheyra deutlich wurde, wie Frost seinen Ruf erlangt hatte. Die Sicherheit, mit der er sich auf der wild bockenden Kette bewegte, war unglaublich.
Aber er war nicht perfekt und diesmal hatte er sich verschätzt.
Sein Fuß setzte schief auf der gekrümmten Oberfläche auf und rutschte ab. Irgendwie schaffte er es, einen weiteren Sturz zu vermeiden, doch er war für einen Moment abgelenkt. Darauf hatte der Geistergeier nur gewartet. Schnatternd stieß er herab und krallte sich mit peitschenden Schwingen in Frosts Gesicht.
Er war nur nicht gestürzt, weil er die Schwerter als Stütze missbrauchte. Der Angriff des Geiers drohte ihn nun jedoch aus der Balance zu werfen. Der Piranhaschädel schnappte nach seinem Gesicht, die Krallen rissen die Haut auf, die Flügel droschen auf ihn ein. Gerade als ihm das Biest die Nase abbeißen wollte, gab es ein erschrockenes Pfeifen und der Geier verwandelte sich in Sprühregen aus Blut.
Frost beging nicht den Fehler, sich nach der Ursache umzusehen. Manchmal war es besser, das Glück so zu akzeptieren, wie es kam. Seine Arme spannten sich, dann drückte er sich nach oben und in eine stabile Position. Der Geist vor ihm schwang seine wasserschlauchartigen Arme in seine Richtung. Da waren noch immer Blitze, die sich über die Klinge der Flammenschneide schlängelten. Als Frost beide Schwerter zur Verteidigung hochriss, gab es einen Peitschenknall. Die Blitze schlugen auf den Eisbrecher über, formten gleißende Lichtbögen zwischen den Schwertern. Als der Geist sie berührte, verwandelte er sich in Sekundenbruchteilen zu Asche.
Frost blickte zum Palas zurück und hob die Schwerter zum Gruß.
Danke. Wer weiß... vielleicht gibt es ein Wiedersehen. Anderenfalls... mögen die Götter mit dir sein...
Sheyra ging davon aus, dass sie es irgendwie geschafft hatten, denn sie fand sich auf dem Bauch liegend in den Ruinen des zerstörten Turmes wieder. Sie vernahm ein Stöhnen neben sich und sah ihren Vater. Die Schwerter lagen noch immer in seinen Händen und auf der Flammenschneide vergingen die letzten Blitze. Ein Stück hinter ihm befand sich ein gewaltiges Loch im Boden. Und in dem Loch dieselbe Schwärze, die sie gerade noch als Himmel gesehen hatte. Sie spürte Nieselregen auf ihrem Gesicht und die Luft war kalt. Doch es tat gut.
„Wir haben es geschafft...“
Ihr Vater ließ die Schwerter fallen und richtete sich ächzend auf. Dann erstarrte er. Sheyra bemerkte die zierliche Gestalt, die regungslos unmittelbar neben dem klaffenden Loch lag.
„Shilendra!“, stieß ihr Vater hervor und fiel neben der Magierin auf die Knie.
Er versuchte sie von dem Loch wegzuziehen und schlug ihr leicht auf die Wange, doch Shilendras Augen blieben geschlossen. Einzig ihr Mund öffnete sich etwas und Regentropfen begannen sich auf ihren Lippen zu sammeln.
„Shilendra, wach auf!“
Keine Regung. Sie lag in Frosts Armen wie eine Puppe.
„Wach endlich auf!“
Frosts Hand klatschte auf ihre Wange. Die Haut färbte sich nicht einmal rot.
„Sheyra, hilf mir. Wir müssen sie hier wegbringen.“
Sheyra kniete sich ebenfalls nieder und griff nach Shilendras Hand. Da registrierte sie den dünnen, schwarzen Strang, der sich um Shilendras Fuß geschlungen hatte.
„Was -?“
Frosts Augen weiteten sich.
„Götter, nein!“
Weitere Stränge wuchsen aus dem dunklen Loch. Obwohl Sheyra direkt vor Shilendra kniete, fuhren die Auswüchse einfach durch sie hindurch und schlangen sich um Shilendra.
„Das Schwert! Beeil dich!“
Sheyra rollte sich zum Eisbrecher, kam auf die Beine und schlug nach den Strängen. Die Klinge prallte auf den Steinboden und schlug Funken. Ihr Herz raste. Es musste eine Lösung geben...
Frost versuchte Shilendra festzuhalten, doch schien er den Kampf zu verlieren. Immer wieder drohte sie aus seinem Griff zu rutschen, immer wieder musste er seine Umklammerung lockern, um nachzugreifen.
“Sheyra!“
Denk nach! Irgendetwas!
Sie schlug noch einmal, doch sie fand keinen Widerstand.
“Verdammt, tu doch irgendetwas!“
Die Stränge zogen Shilendra Zentimeter für Zentimeter näher zu dem Loch. Ihr Vater stemmte die Füße in den Boden, doch rutschte er langsam ab.
Sie versuchte sich zu konzentrieren. Ihre Energie zu sammeln, wie damals, beim Kampf gegen Arjak. Suchte nach einem Brunnen, aus dem sie mehr Kraft schöpfen konnte.
Shilendras Beine waren bereits in der Dunkelheit verschwunden. Frost hielt sie nur noch an einem Arm. Er warf sich nach hinten, eine Hand um ihren Unterarm, die andere nach der Flammenschneide gestreckt.
Warum funktionierte es nicht? Warum zum Henker funktionierte es nicht?!
Frosts Finger kratzten Millimeter vom Schwert entfernt über den Steinboden. Seine Hand rutschte an Shilendras Arm ab, fand am Handgelenk neuen Halt. Die Dunkelheit schien wie Treibsand und Shilendra war bereits bis zum Oberkörper darin versunken.
Sheyra gab es auf, ließ das Schwert fallen und kickte die Flammenschneide in Frosts gestreckte Hand. Frost wälzte sich herum und schlug zu. Die Klinge glitt durch die Dunkelheit wie Wasser. Doch sie konnte sie nicht daran hindern, Shilendra weiter in die Tiefe zu ziehen. Bis auf ihren Arm und den Kopf war sie bereits vollständig versunken.
Frost ließ die Waffe fallen und versuchte mit der zweiten Hand nachzugreifen. In diesem Moment rutschte er ab. Sheyra sah, wie sein Zeigefinger sich wie ein Haken um Shilendras Ringfinger legte. Sie sah, wie Shilendras Gesicht in der Schwärze versank. Die Finger hingen aneinander wie die Glieder der Kette, über die sie in die Freiheit entkommen waren. Frosts Gesicht war vor Anstrengung verzerrt, als er nach vorne zu kriechen versuchte. Dann zerbrach die Kette. Shilendras Hand fiel nach unten, berührte kurz den Steinboden und glitt über den Rand in die Finsternis.
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05.04.2007 18:51
#169
Mit großen Augen sahen die drei jungen Recken für einen Moment auf den Einsamen, ehe sich ihre sanften Gesichtszüge wieder verformten, angetrieben vom Drill des Anführers.
»Los, los, L O S!« brüllte er und »Jetzt, drauf, drauf, Karl, mach schon!«
Ihre Oberkörper schwitzten, sie alle waren nackt, auch die Stadtwachen gaben sich die Blöße und ließen von einem nur hindernden, einschränkenden Harnisch ab. Niemand wollte hier Schwäche zeigen, niemand wollte sich als Verlierer fühlen. Eine Rüstung, pah, ein guter Krieger brauchte keinen Schutz. Das blanke Fleisch war der härteste Stahl, den sich ein Mann je verdienen konnte. Welche Prachtkerle sie doch waren, ein Anblick für die Götter, wie sie sie geschaffen hatten, diese Wahnsinnigen.
Für einen Moment spürte der Einsame keinen Luftzug mehr, hörte das Knacken der eigenen Knochen. Nein, er war nicht gekommen.
»Nein, er war nicht gekommen.«
Die Faust von Wilhelm traf seine Lippen, sie waren doch gerade erst verheilt und schon rissen sie wieder auf. Das Blut hielt sich in Grenzen, blutleer wie seine Leidenschaft waren sie.
»Jaaaa…« ein lang gezogener Schrei erfüllte den Platz. »So ist es richtig!«
Für einen Moment kam die jugendliche Unbekümmertheit in ihnen wieder zum Vorschein, selbst das Herz des jungen Solaufein, des Kalten, machte einen Freudensprung. Doch schon regte sich der Geschlagene wieder, holte die Jungsoldaten in den Ernst der Sache zurück, als der bebende Buckel eines Rückens wieder zur strammen Linie geformt wurde.
»Ist das alles?«, fragte ein sichtlich gezeichneter Krieger mit einem schalen Lächeln. Die Jungen grinsten und der Ausbilder bleckte die Zähne.
Sol hatte gewartet. Stundenlang gewartet. Doch niemand war zum Pier gekommen. Er hatte dem Mond seine Hoffnungen erzählt und stolz sein Haupt aufrecht gehalten und es nie gesenkt. Doch die Hoffnung war schon an jenem Abend gestorben. Auch die versprochenen zwei Tage ließ sich kein Magier blicken, kein Ritley, kein Freund. Er wünschte ihm stillheimlich den Tod, um ihn so wieder ehren zu können, doch etwas sagte ihm, dass jemand wie Ritley nicht sterben würde. Noch nicht.
Hatte er wirklich daran geglaubt, jemand so vertrauen zu können?
»Habe ich…?«
Die Luft für den Monolog blieb weg, als die Faust von Albwin seinen Magen zusammendrückte und er zurückwich, doch direkt danach setzte der Blonde nach und verpasste ihm einen Kinnhaken, der ihm die Zähne klappern ließ. Mit einem heftigen Ruck landete er schmerzhaft auf dem Rücken, konnte den Fall aber noch irgendwie mit den Ellenbogen abstützen, die nun dafür schmerzten.
Die Sonne schillerte und fiel ihm auf das Gesicht. Warme Strahlen erhitzten das ohnehin schon errötete Gesicht. Er rappelte sich auf. Die Jungs verschränkten die Arme siegessicher und lächelten milde. Auch Sol lächelte, wie er die drei Schatten dort vor dem Sonnenschein sah. Die Jungs waren klasse und hatten das Zeug zu echten Kriegern und doch… für einen Moment befielen ihn Skrupel, ihre hübschen Gesichter… nein. Der Mund schmeckte blutig, doch dieses Mal war es nicht das Blut, was daran so besonders war. Sie waren keine Waschweiber, sie waren Soldaten. Gute Soldaten. Und es war ein Zeichen von Respektlosigkeit, sie wie kleine Kinder anzusehen und zu behandeln. Sol nickte und kam wieder näher.
»Ihr kämpft wie alte Frauen!« warf er ihnen zu und lächelte ehrlich. Doch die Provokation zeigte ihre Wirkung und die Drei fühlten sich nun dazu herausgefordert, ihn gemeinsam anzugreifen. Doch schon als ihre barfüssigen Zehen die Sandschicht von den Steinen kratzten, erstarb sein Lächeln. Die Sonne verging nun in einem natürlichen Schattenwinkel, der auf sein Gesicht fiel und es beinahe schwarz färbte. Die Mundwinkel sanken ins Bodenlose und die Augen fielen in tiefe Depression. Mit leichten Schritten ging er voran, jeder Schritt eine Stunde oder mehr gefühlt.
Schon kamen die Gefühle in ihm wieder hoch, die – mal unterdrückt, mal verhöhnt – eine schwere Last auf sein Herz ausübten. Mit voller Wucht entluden sie sich nun, wie ein unterdrückter Blitzschlag, den die Wolken beim letzten Gewitter nicht gehen lassen wollten.
Es war wie eine Eisenkugel die auf dehnbaren Stein traf, als zuerst Karl dran glauben musste. Die Wucht hatte eine solche Kraft, dass sie den Jungsoldaten so von der Erde holte, dass er sich beinahe überschlug. Er fühlte dabei keinen Schmerz, Eisenkugeln fühlen keinen Schmerz.
Sie waren dicht beieinander, Sol wusste das. Seine Drehung war mörderisch schnell, seine Reflexe nicht nur göttlich, sondern das Ergebnis von jahrelanger Arbeit an sich selber. Und so oft er an sich und seinem Körper zweifelte, so oft gab er ihm all diesen Schweiß und diese wahrhaftig erlebte Quälerei zurück. Just in jenem Moment war es wieder soweit und die nicht minder harte Rechte von Wilhelm traf allenfalls eine verirrte Mücke in der Luft.
Der linke Ellenbogen des Einsamen streichelte den Adamsapfel des Jungen noch fast sanft, aber die aus vollem Schwung geschmetterte Rechte kannte keine Gnade mehr mit dem Gesicht des eigentlich Hübschen. Und wieder waren es die rechten Eisenstacheln, die zu einer Kugel vereint aber eigentlich vier Einzelne, das Ziel zerstörten, doch dieses Mal war das Ziel ein instabiles. Das Nasenbein des Jungen brach und er konnte den Bruch nicht nur hören, sondern sogar in seinen Fingern spüren.
Für einen Moment hielt der Krieger scheinbar die Zeit an, hielt sich schwer atmend in der Starre und riss die Augen weit auf. Seine schweißgebadeten Harre umspielten die Augen und einige Tropfen benetzten Augenbrauen, Lippen und die Schläfen.
»Bei den Göttern…« dachte er nur, während tausend Gedanken diese Worte formten. Ihm machte dieser Schlag, diese Bewegung, dies alles Angst. Große Angst.
Aber die Zeit konnten nur die Götter anhalten und so drehte er sich just in dem Moment um, wo Albwin schon da war, ja, er war schließlich direkt hinter den anderen, mit weit aufgerissenem Mund und Augen die dem Wahnsinn verfielen. Augen, die so wichtig für einen Krieger waren, Augen, die er liebte.
Wie ein Widder sprang er nach vorne, machte sich lang, streckte und dehnte den Torso und den Hals so weit es nur ging, so weit es seine Sehnen erlaubten. Stirn und Vorderkopf rammten sich in den Brustbereich des Jungen, dessen blanke Faust sein rechtes Ohr traf, aber in dem Moment lediglich kitzelte. Durch die Wucht fiel er und Sol setzte nach. Schon hatte er wieder die rechten Eisenstacheln zu einer Einheit verformt und ließ sie auf das Gesicht des Jungen sausen, aber kurz vor dem Einschlag schien der Elan zu sterben, die Eisenstacheln zu rosten oder zu verfaulen. Wie aus dem Nichts blieb sie schließlich vor dem Nasenbein des Jungsoldaten stehen, nicht mal ein Blatt Papier passte mehr dazwischen. Die angstvollen, geweiteten Pupillen von Albwin normalisierten sich wieder und auch sein Atem kam wieder zurück an sein Ohr, ein schneller, unrhythmischer, keuchender Atem.
Nach einigen Sekunden löste er sich aus der Starre, verformte die menschliche Waffe wieder zu normalen Fingern und reichte sie dem entzauberten Kerl, dem er beim Aufstehen half. Endlich konnte er wieder lächeln. Und auch die Jungsoldaten hatten ihren Humor nicht verloren, auch wenn Wilhelm sich noch die Nase hielt, der Bruch war schlimmer als man denken konnte.
»Potz Blitz, das war ja was. Da haste meine Jungs ja ganz schön überrumpelt. Respekt.« Der Einsame wies den Dank des Ausbilders mit ein paar beschwichtigenden Gesten von sich. Die Jungs hatten sich super geschlagen, aber auch wenn sie sich im Alter nur drei, vier Jahre auseinander dividierten, so waren es doch eben jene drei, vier Jahre, die er schon da draußen in der Wildnis lebte. Der Härte der Welt ausgeliefert, wenn man es so sagen wollte. Doch während er nur ein einsamer Suchender war, würden diese drei Jungs in drei, vier Jahren vielleicht einmal ganz woanders stehen. An der Seite einer großen Armee. Einer Abenteurergruppe. Oder wenigstens an der Seite eines schönen Weibs.
Sie gratulierten sich gegenseitig zu dem tollen Kampf und zogen wieder ihre Sachen an. Respekt spielte eine große Rolle, wenn man das Ideal des Kriegers verinnerlichen wollte. Doch während er noch Wilhelm etwas über die Schmerzen hinwegtröstete, musste er wieder an die Angst denken, die er bei diesem Schlag gespürt hatte. Es war nicht mal ein Schwert und doch war der Schlag gewaltig, aber erst jetzt, erst im Nachhinein, musste er sich eines eingestehen. Es war noch nicht das Ende… unbewusst hatte er einen Teil seiner Kraft zurückgehalten und zu diesem Teil gesellten sich noch der fehlende Wahnsinn und der fehlende Bluteifer, wie er ihn bei dem Ritual erlebt hatte. Selbst wenn sie hier nicht über psychologische Grenzen redeten, selbst die einfache, physische Dimension war noch nicht ausgeschöpft. Gerade nach seiner Aushungerung und der verlorenen Kraft, aber auch seinem Wunsch und seiner Gier nach mehr davon war dieser Fakt nach so wenigen Zehntagen kaum zu erwarten gewesen. Und nun musste seine Angst einem Stärkerem, Größerem weichen. Einem Etwas, das Gefallen an diesem Umstand fand. Allein die bloße Vorstellung, Albwin wäre kein Mensch gewesen, mit dem er übte, sondern vielleicht ein, ja, eine Kreatur, vielleicht ein Ork, sie brachte sein Blut zum kochen. Und doch schlug schon sogleich wieder die Vernunft in seinem Verstand an. Er durfte nicht leichtfertig mit dieser Erkenntnis umgehen, nicht nur um ihrer selbst willen ein erstes Opfer suchen. So flüsterte ihm sein Verstand sogleich: »Zügle sie und halte sie zurück, nur um sie im entscheidenden Moment freizulassen. Hungere sie aus, quäle sie, verhöhne sie und sie wird dir im entscheidenden Moment zu Diensten sein. Aber hüte dich auch, ihr im falschen Moment die Freiheit vorzuspiegeln, sonst wird sie dich verschlingen.« Ein Tier im Tier, ein Tier in ihm.
»So und jetzt lasst uns erst mal richtig gut zu Abend essen. Ihr seid natürlich eingeladen Solaufein.«
»Ich dachte schon, ihr würdet nie mehr fragen, ich sterbe vor Hunger.« Der Krieger nickte und schlug sofort in die Hand ein. Essen war gut, essen war sehr gut. Zusätzlich schlug er Karl noch einmal auf die Schulter und lächelte. Es war ein ehrliches Lächeln, denn der Suchende wusste sich immer gut zu bedanken, wenn er ein Stück des Rätsels gefunden hatte. Heute hatte er dies zweifellos. Ein guter Tag, ein sehr guter.
Sie alle hatten kleinere Blessuren davon getragen, aber sie waren stolz auf diese. Nur so konnte man mit dem Schmerz umgehen, aber sie alle waren Gorthaner, sie kannten keinen Schmerz. Was war da schon irgendein Wassermagier, hah, wer brauchte ihn schon. Sollte der doch auf dem Festland verfaulen, er hatte seine erarbeiteten Narben und Wunden, er hatte eine E r k e n n t n i s.
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Noch während der Wachmann ihnen den Rücken zugewandt hatte, tauschten Martinos und Kire vielsagende Blicke aus. Unauffällig drehten sich ihre Füße, gleichzeitig wandten sich die Köpfe und hielten Ausschau nach möglichen Fluchtwegen, um ihren beiden Aufpassern im Ernstfall zu entkommen.
Selbige waren natürlich nicht dumm und traten unverzüglich noch näher an die Fremden heran, als sie Verdacht schöpften und das Vorhaben der Krieger witterten. Plötzlich waren sie zwischen Wand und Piken eingekesselt ohne es gemerkt zu haben. Erst als die flüchtigen Blicke die Waffen der Wachen streiften, wurde Kire bewusst, dass es keinen anderen Ausweg gab als sich freizukämpfen. Vielleicht waren seine Zweifel und Ängste unbegründet, doch der Krieger war wie immer blind vor Zorn und Starrsinn, dass er alles andere aus den Augen verlor.
Es war fast als hätte man einen Schalter im Kopf des Drachenjägers umgelegt, als dieser vom einen auf den anderen Moment plötzlich seinen Körper spannte und sein Selbstbewusstsein in ungeahnte Höhen schnellte. Mit einem flinken Fußtritt traf Kire die eher leicht gepanzerte Wade seines Gegners, der unter dem extremen Gewicht der Rüstung, die auf seinen Knien lastete, damit schnell in die Beuge sackte.
Die zweite Wache reagierte jedoch sofort und versperrte den Fremden mit weit ausgestreckter Pike den Fluchtweg. Martinos schien zwar überrascht, reagierte jedoch nicht minder schnell, riss dem Mann das hintere Ende der Waffe aus den Händen und hämmerte sie ihm laut scheppernd gegen das unstabile Visier, unter dem ein qualvoller Schrei die umliegenden Bürger in Aufruhr versetzte.
Als die beiden endlich die Chance hatten zu entkommen, stolperten sie unbeholfen und zugleich unheimlich adrenalingeladen in die nächste schmale Gasse, die nicht allzu weit von der dicken Mauer entlang führte, die zwei Viertel voneinander trennte. Kire hörte nicht nur die schnellen und klapperigen Schritte seiner Verfolger hinter sich, als er sich risikofreudig durch die engen Gassen hangelte, sondern auch den Tumult von der anderen Seite der Mauer, der dumpf an seine Ohren drang und nur mit starker Konzentration entschlüsselt werden konnte. Konzentration, die ihm nun gewiss nicht blieb.
Auch das Tempo machte ihm zu schaffen. Mit einem Mal schienen seine durch die lange Reise bereits schwachen Lungen auszutrocknen. Wie ein staubiger Schwamm zog sich das Organ mit jedem Atemzug zusammen und jede Sekunde, die im Lauf verging, war wie ein weiterer Messerstich, der schlimmer als Hagel auf seiner Brust hämmerte.
Sein Sichtfeld trübte sich und die vielen Bretter und Kisten am Wegesrand verschoben sich allmählich in seine Bahn. Wie in einem Hindernisparcours wich er dem Gerümpel aus und hinterließ seinen Verfolgern freundliche Geschenke, indem er den Müll auf die Straße riss und mit allen Mitteln versuchte, sich die Wachen vom Leibe zu halten.
»Nach links«, brüllte Martinos in einem Moment, in dem die Wachen nicht mehr in Sichtweite waren und stürmte stattdessen den rechten Gang, in der Hoffnung er könne damit den Verfolgern einen Streich spielen. Kire hastete ihm nach und folgte ihm eine tiefe Treppe hinab, die auf die andere Seite der massiven Steinmauer führte. Keuchend nahm er den Lärm wahr, der langsam auf ihn zuhielt, die Chance im Tumult zu entkommen schien greifbar nahe. Als der Pulk immer näher kam, verlangsamten die Krieger ihren Lauf, um nicht auffällig zu werden. Die Panik ließ trotz nahender Sicherheit nicht von ihm ab. In Gedanken wollte er sich einfach auf den Boden werfen und seine schmerzenden Glieder von sich strecken, doch mit letzten Kräften zwang er sich nur noch die letzten Meter durchzuhalten.
Unauffällig und zugleich zielstrebig schlängelten sich die beiden durch die Menge. Ein Marktplatz hatte sie scheinbar vor ihrem Schicksal gerettet. Brüllende Menschen ließen ihn hastig umschauen. Die Töne donnerten in seinem Gehör und breiteten sich wellenartig in seinem Schädel aus. Kire ertastete seine Schläfen. Lärm. Donner. Schwäche. Schmerz. Lange machte sein Körper das nicht mehr mit.
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11.04.2007 01:33
#171
Die Tage gingen ins Land und langsam aber sicher war der Krieger auf der Suche nach einem neuen Ziel. Zeit seines Lebens war er immer rastlos gewesen und hatte sich nur einige Tage „Ruhepausen“ gegönnt, in denen er sich um banale Alltäglichkeiten kümmerte. So war es auch in jenen Tagen des ersten Zehntags nach der Vollmondnacht und die Stunden vergingen mit jedem Tag langsamer. In den Bädern der Stadt war er Gast gewesen, genau wie bei einem guten Barbier, der ihm die viel zu langen Haare wieder auf eine erträgliche Länge zurecht schnitt. Normalerweise machte er das ja selber, da es wahrlich kein Kunststück war mit einer Schere ein paar Haare vom Kopf zu schneiden, aber da die Zeit es zuließ, gönnte er sich diesen Luxus durchaus mit gutem Gewissen. Zudem spürte man, dass die Tage fortan wieder wärmer werden sollten. Der Frühling stand kurz vor der Tür und da waren schulterlange Haare nur hinderlich, zumal er auch keinen Gefallen an dieser Länge finden konnte. Genau genommen sah es sogar schrecklich aus und in solchen Fällen trieb ihn seine spärlich gesäte, aber manchmal sehr hartnäckige Eitelkeit dazu, schnell zu handeln. Sol gehörte zu den wenigen Menschen, die sich einen feuchten Dreck um ihr Aussehen für andere Personen kümmerten, denn es interessierte ihn nicht die Bohne, was andere über sein Äußeres dachten, allerdings besaß er selber einen sehr hoch gehaltenen Begriff von eigener Schönheit und versuchte deshalb, sich so gut wie nur irgendwie möglich zu gefallen. Sein Anspruch an die Ästhetik war dementsprechend und trieb zuweilen seltsame Blüten. Auch wenn der Einsame selten unter Menschen war und wenn, sich nur selten auf lange Beobachtungsphasen einließ, so imponierten ihm doch oft die kleinen Dinge im Leben. So achtete er auch weniger auf Gesicht- und Körperbau, sondern mehr auf die eigentliche Handlung der Protagonisten. Da wurde die schöne Maid schnell zu einer nicht beachteten Randfigur, während er der durchschnittlich aussehenden, aber betörend gut tanzenden Zigeunerin anerkennende Blicke zuwarf. Vielleicht liebte er deshalb auch die Tiere und Pflanzen mehr als andere Menschen, denn sie legten ebenso keinen Wert auf ihr Äußeres und glänzten durch den Augenblick.
Doch all dies belegte nur den Umstand, dass er zu viel Zeit hatte. Er gammelte, verlor sogar wertvolle Zeit. Er wusste nicht so recht etwas mit sich anzufangen und man kam kaum auf die Idee, dass es sich bei dem Rüstungslosen um einen waschechten Jäger handeln könnte. Es passte nichts, das Gesamtbild war schief. Er passte nicht in den Wald, nicht in die Stadt und erst recht nicht in das protzige Anwesen, so heruntergekommen wie er aussah. Dieses hatte er die letzten Tage genau unter die Lupe genommen und ein wenig nach seinem Geschmack eingerichtet, was hauptsächlich dazu führte, dass er einige Möbel umrückte oder in den großzügigen Keller räumte. Diese schweißtreibende Arbeit hatte zwar den Erfolg, dass ihm das Heim mehr zusagte, sorgte aber auch für arges Kopfschütteln bei ihm, als er damit fertig war. Warum tat er das eigentlich? Er hatte weder vor noch lange hier zu wohnen, noch wollte er sich mit dem Gedanken beschäftigen, sesshaft zu werden. Eine tiefe Sorge befiel den jungen Mann, er zweifelte an sich und der Welt und fragte sich, ob es vielleicht wirklich nicht besser und an dem Zeitpunkt sei, tatsächlich sesshaft zu werden und das Schwert an den Nagel zu hängen. Er spielte sogar ernsthaft mit dem Gedanken, sich nach einer Frau umzusehen und ein normales, gewinnbringendes Handwerk zu erlernen.
Diese Zeit bildete einen ziemlichen Tiefpunkt in seinem kurzen, zweiten Leben, aber die veränderte Denkweise und die absolute Leere in ihm gaben den Zweifeln neues Feuer. Dazu kam, dass es wirklich nichts mehr für ihn zu tun gab, seitdem ihn ein gewisser Wassermagier vergessen hatte. Die Reise an den Ort, den sie alle Festland nannten, war fest eingeplant gewesen und ohne einen Führer brauchte er gar nicht runter zum Hafen zu gehen und auf ein Schiff warten. Diese tief sitzende Tristesse lähmte sein ganzes Handeln, aber gleichzeitig konnten die Zweifel auch nicht die Oberhand gewinnen, lag doch tief in seinem Inneren ein Groll, der wie ein vergessener Bienenstachel fortwährend piekste, aber nie richtig zu stach. Kein Zweifel der Welt hätte diese Glut zum Erlöschen gebracht, die mächtiger war, als alles was er je gefühlt hatte und die taktisch klug nur abwartete, bis sie an die Oberfläche kommen sollte. Was waren schon ein paar Tage Verschwendung, wenn man dafür ein ganzes Jahr gewann, doch woher sollte dies der arme, bemitleidenswerte, kümmerliche Verstand des Jungen schon wissen. Die Macht eines Menschen setzte sich aus mehr zusammen, als aus Fleisch und Hirn… Wissen war Macht, aber es war nur eines von vielen Zahnrädern.
Wieder einmal saß er bis spät in die Nacht vor seinem Feuer im Sessel, hatte die Beine hochgelegt und dachte mit offenen Augen nach. Die Zeit kannte kein Erbarmen und ließ die Stunden nur so verrinnen, doch nichts tat sich im Haus.
Plötzlich aber stand er auf, ohne Schwung, ohne Elan, ohne Idee. Der einzige Grund war banal wie die ganzen letzten Tage, er hatte schlichtweg Hunger und Durst und wollte in die Küche, um dieses Gefühl zu beruhigen. Allerdings führte der Weg in die Küche vorbei in einen Raum, in den er bei den Umräumarbeiten das ganze Zeug gestellt hatte, was er nicht mehr brauchte, darunter ein hässlicher, mannsgroßer Spiegel. Da er einen Kerzenteller mit sich hatte, um nicht im Dunkeln zu stolpern, reflektierte der Spiegel die kurze Bewegung, die aber nur von seinem linken Auge wahrgenommen wurde. Allerdings gab es keine Reaktion darauf und er ging weiter in die Küche, nur um dort zu essen und zu trinken.
Eine halbe Stunde später kam er zurück, dieselbe Monotonie und Langeweile haftete ihm noch immer an. Er wollte jetzt eigentlich ins Bett schlurfen, aber wieder musste er an dem Raum mit dem Spiegel vorbei und wieder reflektierte das kleine Licht der Kerze seine Umrisse an dem Spiegel, diesmal nahm es das rechte Auge wahr. Für einen Moment aber sah es so aus, dass es wieder – wie zu erwarten schien – keine Bedeutung für ihn hatte. Doch dieses Mal blieb er drei Schritte später stehen und verharrte an dem unwichtigen Ort, seine Augen ins Nichts abgehend. Mit einer einzigen Regung schenkte er dem alt wirkenden Körper wieder Leben und dieses Zucken verriet alles. Noch waren die Bewegungen ähnlich langweilig wie zuvor, aber schon stand er wieder vor dem Raum und diesmal drehte er sich hin zum Eingang. Die Augen stibitzten neugierig, die Pupillen hüpften, ja, schon hatten sie das Objekt der Begierde entdeckt. Er machte ein paar Schritte, stellte die Kerze vor den Spiegel und musterte ihn. War er irgendwie besonders? Wertvoll? Enthielt er eine Botschaft? Sein Verstand, der noch nichts von dem Plan des restlichen Solaufeins wusste, kam wieder in Bewegung, aber er fand nichts und gab rasch auf.
Schon senkten sich die Schultern wieder, erlahmten die Pupillen, kehrte die Langeweile zurück, doch dann drehte er sich noch einmal um.
War er das etwa?
Er musterte die Gestalt im Spiegel.
»Natürlich bin ich das, du Idiot!«, sprach er laut zu sich selbst, richtete diese Botschaft aber deutlich an das, was er Verstand nannte. Doch schon meldete sich eine zweite, innere Stimme, ein zweites Ich, auch wenn es nicht das typische Konkurrenz-Ich war.
»Bist du sicher? Schau dich doch mal an!«, sagte er schon nur noch in Gedanken.
Seine Augen fixierten wieder den Punkt, wo eigentlich das Spiegelbild von Solaufein, dem Krieger, abgebildet sein sollte und sie wurden größer und größer und wagten nicht mehr zu blinzeln. Schon war das Spiel entschieden, dass mit einer Niederlage für seinen Verstand ausgehen sollte, es gab kein Entkommen mehr für ihn, er konnte sich nicht mehr von diesem Anblick losreißen. Von dem Anblick eines vollkommen Tristen, Elanlosen, Gelangweilten, kurz, eines Zweiflers. Schon vereinten sich beide Seiten wieder zu der Einen, zu der Einzigen und ließen den magischen Moment entstehen, in der nur die Seite handeln durfte, die in jenem Moment die stärkere war, aber auf die Macht aller Ichs von Sol zurückgreifen und sich ihrer Zustimmung sicher sein konnte.
Er erinnerte sich an seine Gedanken, seine kleine Eitelkeit, seine Liebe zur Ästhetik. Was seine Augen da sahen gefiel ihnen im Grunde genommen. Er sah wieder gut aus, nicht wohlgenährt, aber typisch knochig, nicht abgemagert. Der Schnitt seiner Haare erstrahlte in einem völlig neuen Glanz, gaben dem aufgerichteten Schädel mehr Würde, der Oberkörper war in guter Verfassung und noch lange nicht am Ende seiner Möglichkeiten, die Hände tödliche und doch geschickt-präzise Instrumente, die Beine wie stählerne Äste. Doch als er tiefer schaute, da bemerkte er den Fehler an all der Schönheit. Wie schön er auch war, wie sehr er sich auch in sich selbst verliebte, es war alles nur Fassade. Dort, wo einst die einzigartige Rüstung auf seinen Schultern lag, war nur kümmerlicher Stoff und doch, sie war zu ersetzen, sie war nur eine Rüstung… der unterdrückte Groll sandte einen kleinen Teil von sich an den Verstand, nun war es an der Zeit schien es.
»Sie ist nicht einzigartig! Sie ist kein Teil das ich brauche!« schrie er lauthals in den Spiegel hinein und sah, wie verräterisch seine Augen dabei funkelten. Doch bei dem Gezeter fiel im Eifer des Gefechts der Blick auf die rechte Hüfte, wo nun nichts war außer der Kleidung, aber normalerweise sein Schwert baumelte. Ja, er hatte ein mehr als gutes Schwert von Gunos bekommen, doch noch immer war Morgendämmerung weit fort von ihm.
Schmerzen durchzogen seine rechten Finger, übertrugen sich auf alles, was er mit ihnen berührte und schon bald musste er vor dem Spiegel knien, um es noch auszuhalten. Wieder schickte der unterdrückte Groll einen winzigen Teil seiner mächtigen Waffe, die aber ausreichte, um die Situation in seinem schon längst nicht mehr aufgeräumten Verstand zum kippen zu bringen. Und der Krieger musste mehr oder weniger hilflos mit ansehen, wie im flackernden Kerzenschein das Licht aus seinem Spiegelbild verschwand und scheinbar komplett in die Augen wanderte.
»Nein! Hör auf dich selbst anzulügen! Deine Rüstung ist und bleibt einzigartig! Du wirst sie nicht ersetzen können, wenn du einfach ihre Teile neu beschaffst.«
»N e i n!«, antwortete er seiner eigenen Stimme direkt danach, kämpfte einen inneren Kampf um sein ganzes Leben und musste sogleich wieder der Ersten das Sprechrecht zugestehen.
»Morgendämmerung!«
Der Groll hatte die mächtigeren Waffen und war unbesiegbar, ein Wort genügte, um seine restlichen Zweifel hinfort zu wischen. Es brauchte keine Zusätze wie: »ist fort«, »wurde dir geraubt«, »wirst du niemals ersetzen können« oder »ist einzigartig«. Mit diesem Wort schlug es alles, denn sein Verstand wusste genau, was es damit auf sich hatte. Drachenzahn, wie er das Schwert häufiger nannte, war nicht nur ein Stück Stahl, sondern es war nicht zu ersetzen. Es enthielt Leben, echtes Leben, göttliches Leben und es war an ihn gebunden. Für Solaufein – und nur für ihn – gab es kein Schwert der Welt, das diese Waffe gleichwertig ersetzen konnte. Der innere Streit war damit zwar beendet, nicht jedoch die Folgen. Denn komplett aus seiner Trägheit erwacht, füllte wieder neues Leben seinen Körper. Er sah die Vergangenheit vor seinem geistigen Auge, sah sich in voller Montur und mit seinem Schwert an der Seite, doch der Spiegel konnte ihn nun nicht mehr anlügen und zeigte das altbekannte Bild.
Das war sein Verhängnis.
Schmetternd traf die rechte Faust das instabile Stück, danach die Linke und noch einmal die Rechte. Das Glas splitterte und verteilte sich über den ganzen Raum, verletzte beide Hände und sollte eigentlich schmerzen, aber an Schmerz war bei dem Krieger nicht zu denken. Ein unbekanntes Glücksgefühl unterdrückte ihn. Noch vor ein paar Minuten hätte er sich als Erstes Gedanken gemacht, wie er bloß die ganzen Scherben wieder wegbekam, doch nun spuckte er nur auf den Boden, um dem Raum zu zeigen, wie egal er ihm doch war. Ohnehin war ihm nun alles Störende egal, die späte Stunde, die blutenden Hände, alles. Er hatte keine Vision bekommen, keinen Hinweis und keine Nachricht, aber eine Idee hatte es in seinem Kopf geschafft und er huschte in die Bibliothek, nur um dort sämtliche Bücher herauszusuchen, die für ihn interessant sein konnten. Keines der Bücher hatte einen sachlichen Hintergrund, sondern alle trugen Namen wie „Legende“, „Märchen“ oder „Sage“ in sich. Doch er wollte sie nicht zu seinem Vergnügen lesen, erhoffte sich keinen schönen Abend, suchte keinen Zeitvertreib. Denn während er äußerlich nur normale Augen besaß, sah sein Inneres nur noch ein Bild vor sich, das Bild von einem Mann, der eine ihm nicht unbekannte Rüstung und ein Langschwert trug… er wollte sie wieder haben und seine Augen verrieten, dass er bereit war jeden Preis dafür zu zahlen. J e d e n…
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Ritley hörte nur noch, dass sie bereit waren, am Kai anzulegen. Er hörte nicht mehr auf die vielen durcheinander geschrienen Worte sondern versuchte, seine Sachen so schnell wie möglich zusammen zu packen. Die letzten Tage hatten es in sich gehabt und geschafft, seine Lust auf eine Seereise für die nächsten Monate, wenn nicht sogar Jahre auf ein Minimum zu reduzieren, ja, fast vollkommen zunichte zu machen. Die letzte Reise mit und auf einem Schiff sollte ihn wieder zurück aufs Festland führen und dann konnte diese Art der Fortbewegung ruhig eine Zeit lang für ihn außer Frage kommen. Er war es Leid, diesem ständigen Geschaukele ausgesetzt zu sein. Abgesehen davon roch es nicht sonderlich angenehm auf einem solchen – von Männern dominierten – Schiff. Das allein wäre noch kein Grund gewesen, doch es machte sich sehr deutlich auf sein Gemüt bemerkbar, sich so unwohl zu fühlen.
Außerdem war er so müde wie schon lange nicht mehr. Es war keine Müdigkeit wie man sie verspürte, nachdem man eine Nacht nicht geschlafen oder einen Tag lang schwer gearbeitet hatte. Sie kam von Innen heraus und drohte, die Macht, die Kontrolle über den Rest seines Körpers zu erlangen.
„Ich muss schlafen“, sagte er sich immer wieder leise, vor sich hin gähnend, „ich muss ganz dringend schlafen.“
Doch wo sollte er schlafen? Gold hatte er freilich genug, um sich eine schöne, nette, warme, beschauliche Unterkunft zu suchen. Aber würde er soweit kommen? Hier, im Hafenviertel, dem Elendsviertel Gorthar's war nicht an eine solche Unterkunft zu denken. Hier gab es zwielichtige Spielunken.
Aber auch dort gibt es Betten, sagte er sich in aufflammender Aufbruchsstimmung, die ihn sogleich vom Deck springen ließ, nachdem das Schiff endlich festgemacht hatte und der Kapitän für seine Überfahrt entlohnt wurde.
Es kam dem Schwarzhaarigen vor, als würden die Preise immer weiter in die Höhe schießen. Recht verwunderlich, wenn man bedachte, dass hier immerhin keine Gefahr von Seiten der Orks drohten. Ganz im Gegensatz zu Khorinis stehend.
Kopfschüttelnd lief er nun weiter, fragte sich bei ein, zwei Hafenarbeitern nach einer billigen Unterkunft durch, die ihm auch missbilligend genannt wurde. Hier schienen die Leute von einem vollkommen anderen Charakter zu sein als in den anderen Vierteln der Stadt. Armut prägte ihr Leben zusammen mit eben diesem Drang, zu überleben, den Kindern ein halbwegs angenehmes Leben bieten zu können. Ständig verbunden mit der immer wieder vor Augen geführten Gewissheit, daran und darin zu scheitern. Die Armut war hier nicht nur ein Zustand: sie war der Fluch dieser hier lebenden Leute.
Umso mehr sich der Hohe Wassermagier damit befasste, umso klarer wurde ihm, dass etwas dagegen unternommen werden musste. Doch was sollte man dagegen tun? Gold spenden? Die Menschen würden damit ihre Schulden abbauen und sich mit Vorräten eindecken, die ihnen nicht einmal über den nächsten Winter reichen würden. Dann begann der Teufelskreis der Schuldenfalle erneut. Das hatte keinen Sinn.
Seufzend betrat der schwarzhaarige Magus die billige Schenke, deren äußerer Eindruck genau den der in ihr sitzenden Gäste wiedergab.
„Es sind dennoch Menschen“, sagte sich der Stabkämpfer, der sich nun einen freien Tisch gesucht hatte, den Wirt herbei winkte und hoffte, so schnell wie möglich ein Bett zu bekommen, „es sind dennoch Menschen. Nicht besser und nicht schlechter als ein jeder anderer...“
An Solaufein dachte der Mann in diesem Moment nicht. Der Krieger würde ihn bald wieder zu Gesicht bekommen, obgleich später als verabredet. Es ging nicht anders und so hoffte der Schwarzhaarige auf das Verständnis des Mannes. Und wenn er es nicht bekam, würde er auch keinen Groll gegen ihn hegen. Die Menschen kamen und gingen.
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13.04.2007 00:51
#173
Der Mensch war schon an sich ein überaus seltsames Tier, aber Sol setzte dem Ganzen doch deutlich die Krone auf. Er war keinesfalls besonders in seinen Dingen, stach nirgends heraus, war nirgendwo der Beste oder hielt sich gar für geeignet, einen solchen Titel zu tragen, war vielleicht noch nicht mal bereit für die schwere Last der Königs- und Kaiserinsignien, aber trotz allem war es außergewöhnlich, wie sich der Charakter des Einsamen von einen auf den anderen Moment veränderte. Es war nicht die erste dieser Veränderungen, die sich auch äußerlich sichtbar machte, sondern nur eine von vielen und vielleicht nicht einmal die meist Verwunderliche, aber sie war die Jüngste in einer langen Tradition. War es doch mit Sicherheit kein Fehler eines Menschen berechenbar zu sein, eine gute, einschätzbare Seele zu der man Vertrauen aufbauen konnte, so war er das genaue Gegenteil von diesen. Ein ewiger Wandel, eine nicht enden wollende Veränderung mit nur wenig Konstanten zog sich durch sein ganzes Leben und so war es auch nun.
War er noch vor wenigen Stunden eine tote Hülle gewesen, die sich nur selber vormachte zu leben und ernsthaft über Dinge wie eine vollkommen unwichtige Sache wie eine Hauseinrichtung nachdachte, die für einen Landstreicher wie er es war doch überhaupt keine Bedeutung hatte und nur Mittel zum Zweck war, so war er nun wieder ein vollkommen anderer Typ, beseelt von einem fremden Geist, oder wie er es Zeit seines Lebens ausdrückte, mit einer anderen Maske vor dem innersten Ich. Er liebte diese Vorstellung, liebte die Maskenspiele von fahrenden Künstlern. Obwohl diese Art von Kunst und Unterhaltung in einem Stamm wie dem seinen keine Tradition hatte und keine Aufmerksamkeit fand, so hatten die Weisen ihm doch diese Weisung mit auf den langen Weg gegeben. Und als er sie das erste Mal gesehen hatte, war er wie gebannt von ihnen. Sie trugen Masken, die tote Gesichter darstellten. Weinende, lachende, hinterhältig blickende, leere, müde, wütende, verzerrte und noch viele mehr. Sol hatte schon selber darüber nachgedacht, sich eine solche Maske oder auch mehrere zu besorgen, die Idee aber immer wieder verworfen. Wozu auch? Er war der Meister des Maskenspiels, hatte in Sachen Mimik noch nie seinen Meister gefunden und verstand es wie kein Zweiter seine äußere Maske einer inneren, anderen, wahren Maske anzupassen. So war es allenfalls Spekulation, wenn man in seinem Gesicht Antworten suchte, es sei denn, er trug seine wahre, einzige Maske.
Mit der „Maske des Fanatikers“ bewaffnet, saß er in seinem Sessel, aber auch nur für wenige Minuten, nur um wieder hoch zu eilen und an den Arbeitstisch zu hasten. Von dort aus ging es mit einem Buch zu einem weiteren Stapel, wurden Seiten gewälzt und verglichen, Notizen geschrieben und schon war er wieder in seinem Sessel. Schweiß musste von Stirn und Oberlippe gewischt werden, der nicht nur von der Hitze in dem Raum stammte. Es war ein warmer Tag gewesen, zweifellos, und es würde auch eine milde Nacht werden. Doch es waren nicht nur Feuer und Außentemperatur, die ihn schon lange dazu bewegt hatten, seine Oberkleidung auszuziehen und die Hose hochzukrempeln, sondern auch sein Arbeitseifer, der ansteckend wirkte. Sein Geist war befreit von allen Lasten und von den Zweifeln. Kein Teil von Sols Verstand dachte mehr an die Vergangenheit, an den Wassermagier, an seine Arenakämpfe oder an die Pläne sesshaft zu werden. Andere Fragmente waren wichtiger. Fragmente mit mehr Symbolkraft. Erinnerungen an den Ewigen Peiniger, Erinnerungen an Alpträume, real wirkende Rückblicke an die Sterbezeit, spürbare Schmerzreflexionen an die Zeit in der Burg des Minentals.
Schon bald hatte er sich eine hübsche Geißel geschaffen, jedes dieser Fragmente war ein Teil der Peitsche, die auf seinen Rücken zuschnellte. Es gab für den Eiferer keine bessere Motivation als an Niederlagen erinnert zu werden. Von ihnen lernte man, aus ihnen kam man gestärkt zurück. Nur war dieses Spiel über Sieg und Niederlage kein Spiel mehr und jeder Spieler wusste, dass es am Ende kein Unentschieden geben konnte. Zudem war es keineswegs sinnvoll gewesen, dem einzigen Spieler auf der einen Seite zu viele Niederlagen zu gönnen, als man das Spiel schon hätte gewinnen können. Die Rede war vom Spiel auf Leben und Tod und es war dem Krieger klar, dass es am Ende einen Toten und einen Lebenden geben würde. Nicht klar war ihm der Rest, zu viele offene Fragen, zu wenige Antworten, aber eine Erkenntnis war besser als keine, der erste und einzige Weg zum möglichen Sieg. Der Einsame wusste nicht, mit welchen Waffen er und vor allem sein Gegner wirklich kämpften, ob die Götter ihm überhaupt eine mögliche Chance eingeräumt hatten, seine Waffen mit genug Kraft versahen, aber er war optimistisch. Als gläubiger und getreuer Sohn blieb ihm auch nichts anderes übrig und hätte sich augenblicklich jedem Schicksal ergeben, wenn es nur gewünscht gewesen wäre, aber so lange sie ihm keine Befehle zukommen ließen, musste er so handeln, wie es ihm seine kümmerlichen Möglichkeiten geboten. Es gab Wesen und Kreaturen der Götter, denen er nichts entgegenzusetzen hatte. Sie hatten die unüberwindbare Haut aus Stein und Stahl, wo er nur mit schwachem Fleisch stand, sie hatten die Schnelligkeit von Vögeln, wo er sich auf das verlassen musste, was die Götter den menschlichen Beinmuskeln gönnten, sie hatten die Reichweite von Baumstämmen, wo er als ehrenhafter Nahkämpfer nur müde drüber lächeln konnte, sie hatten die Stärke, die für Laien einfach die von wahren Göttern sein musste, während er nur das beschränkte Menschenmaß entgegensetzen konnte und – nicht zu vergessen – einige von ihnen besaßen auch den scharfen Verstand und einzigartige Fähigkeiten, gegen die er wie ein hilfloses Tier wirkte, was er sicherlich auch war. Doch eines hatten sie nicht, ihren unerschütterlichen Glauben, den kein noch so starkes Ereignis ins Wanken bringen konnte. Und wenn die Götter persönlich auf Erden kommen würden und jeden töteten, den er liebte, so würde er doch noch immer vor ihnen knien und sie anbeten. Er konnte nicht anders, besaß keine eigene Wahl, war ihnen versprochen wie jeder andere Mensch auch. Ein Glauben, der ihn bislang am Leben hielt, sein oftmals des lebensmüdes Lebenslichtlein am Flackern hielt. Und wenn die Nacht besonders dunkel, die Kälte besonders eisig und die Zeit besonders hoffnungslos war, dann brannte es am stärksten und intensivsten.
Der Gedanke zuckte durch seine Hirnbahnen, drehte sich nach links, machte an der Kreuzung kehrt und marschierte direkt in seinen Sehnerv, nur um den kürzesten Weg hin zur Pupille, oder besser gesagt zur Hornhaut zu nehmen. Gedanken brauchten keine Zeit, jedenfalls war sie lächerlich gering. Hätte er dies alles versucht in Worte zu fassen, es wären Minuten, in Schriftform, Stunden geworden.
So führte er seine für Sekunden erstarrten Hände an die Augen und rieb sie. Auf den Rücken seines Verstandes traf ein weiterer Peitschenhieb, den er deutlich im Kopf hören konnte. Wieder übernahm der Fanatiker in ihm die Kontrolle über sein Tun und Handeln und ließ Sol weiter lesen, machte sich sofort wieder interessante Notizen, nahm zwischenzeitlich einen Schluck aus dem mit Wein gefüllten Kelch, nur um Momente später wieder aufzuspringen und eiligst zu den anderen Werken zu hasten. Er hatte etwas entdeckt, was vielleicht interessant sein konnte.
Seine Hände schlugen das Buch mit dem Titel „Die Sage des Wunschlosglücklichen“ auf, blätterten aufgeregt und zapplig durch bereits gelesene Seiten und blieben schließlich auf der Seite liegen, die er suchte. Wild suchend zuckten seine Pupillen und führten die Finger über die verwischten Zeilen in dem aufwendig illustrierten Buch, die handgemalten Bilder erfüllten wirklich ihren Zweck, aber wichtiger war ihm der Text.
Dann bebte der Finger, fing an zu zittern und zu vibrieren. Es stimmte überein. Er hatte etwas entdeckt. Die Anspannung brach aus ihm heraus, beruhigte sich aber schnell wieder.
Kurze Zeit später stand er am weit geöffneten Fenster in seinem eigentlich wunderschönen Haus, für das er jedoch weder Blicke noch Anerkennung hatte und sah hinaus. Der Mond war nahezu verschwunden, die Sterne matt und rar. Eine milde Böe, nicht warm, nicht kalt, fand den Weg in sein Arbeitszimmer, wirbelte einige Blätter durcheinander, versuchte ihn zu durchdringen. Wie ein Fels leistete er Widerstand und öffnete ein klein wenig die Unterlippe. Die rechte Hand formte sich zu einer Faust, war nur notdürftig versorgt, schmerzte, noch mehr als die Linke, schon den ganzen Tag, auch er vermochte den Schmerz nicht ewig von sich fernhalten und blickte ihm doch gleichgültig in die Augen, war Eifer doch eines seiner zahlreichen Gegenmittel dafür. Die Faust in die Höhe gestreckt, suchte sie im Himmel ihren Gegner, signalisierte den Göttern und allen aufmerksamen Beobachtern seinen Plan, war seine Kriegserklärung an den scheinbar Unsichtbaren, ein Symbol, ein Zeichen.
Er war älter, erfahrener, erwachsener. Und – dies war entscheidend – er hatte sich verändert. Suchte nicht mehr die direkte Konfrontation, den schnellen Sieg. Und wie ein alter Veteran sammelte er alle möglichen Verbünde um sich. Zwar war er immer noch der Einsame und besaß keine fremden Seelen als treue, fleischliche Verbündete an seiner Seite, formte sich aber selber zu einer nicht mehr berechenbaren Waffe. Hatte er doch das Gefühl gehabt, sein Feind wusste immer nur zu gut über ihn Bescheid, konnte seine Schritte im Vorfeld mit Gegenmaßnahmen beantworten. Zwei neue Verbündete hatte er so schon gefunden, den Groll und das Blut. Und beide ergänzten sich vortrefflich mit zwei ihm eigenen Fähigkeiten. Sie vereint bildeten einen nie da gewesenen Charakter, den auch sein mächtiger Feind nicht lesen konnte, davon war er überzeugt.
Sein erster Schritt auf der großen Spielbühne der Welt sollte ein einfacher und vom Feind mit Sicherheit erwarteter sein, aber er ließ sich die Zeit und leistete sich die Sorgfalt, um im entscheidenden Moment mit aller Macht zuschlagen zu können. Er würde sich seine Rüstung und sein Schwert zurückholen, kostete es auch was es wollte. Die Situation war nahezu aussichtslos, hatte ihn der Feind doch nahezu ansatzlos und ohne Hinweise zurückgelassen, nur bestand das nicht zu unterschätzende Detail im Punkt, dass er gar nicht mehr auf einer Suche, auf einem Rachefeldzug sein sollte. Sol war sich bewusst, dass sein mächtiger Widersacher nicht lange brauchen würde, bis er es herausfinden sollte, dass nun auch sein Plan einen ersten Makel besaß, doch dann wäre es schon längst zu spät. War man am Leben gab es immer eine Möglichkeit an Antworten zu kommen, man konnte alle Menschen der Welt fragen und fragen lassen, oder eine verdammt große Summe Gold sammeln und diese für eine Antwort ausschreiben, aber so was war zu einfach und würde gerade deswegen nicht funktionieren. Man konnte aber auch einfach seinen Kopf einsetzen und auch Möglichkeiten einbeziehen, die wider jede Logik erschienen. Und genau dies hatte er getan und es schien, als ob ihn sein Glück diesmal nicht im Stich gelassen hatte…
Die Botschaft war nun Wirklichkeit und er wand sich wieder vom Fenster ab. Zwar hatte er schon seine erste Spur gefunden, doch wollte er lieber noch etwas weiter arbeiten, noch gab es ein paar Bücher, noch war die Spur zu vage, um danach zu handeln, noch fehlten Stücke, um wirklich seine Nase in den Wind zu halten, noch fehlten entscheidende Antworten, um loszuziehen. Es konnten auch alles nur Erfindungen von Schriftstellern mit zu viel Zeit seien, er brauchte einen letzten, echten Beweis, ein Werk zu seinem Fund, aber er spürte, dass er auf der richtigen Spur war.
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Andy ging es nicht besonderes gut seit dem er die Stadt betretten hatte. Er wusste nicht warum aber er musste Schwitzen und hatte ein Komisches Gefühl in der Magengrube das er nicht kannte. Außerdem hatte er schreckliches Kopfweh und so suchte er sich eine Kneipe um sich dort auszuruhen. Der Wind war zwar Kühl aber er brachte ihm keine Abkühlung. Er ging durch die Sonne zu einem Gasthof. Als er es betrat wurde ihm noch übler, denn die Luft im Kneipeninnern war abgestanden und roch stark nach Alkohol und verbrannten Tabak. Andy schaute sich in der Kneipe um auf einen Tisch sah er einige Weinflaschen auf einem Tisch war ein Gebratener Fasen oder Hähnchen zu sehen. Der Geruch des gebratenen Fleisches stieg Andy sofort in die Nase und sein Magen begann zu Knurren.
Der Bogenschütze ging an den Tresen und bestellte sich ein Glass mit Frischen Quellwasser das er ja dem Alkohol ab geschworen hatte, Nach dem er so viele Albträume gehabt hatte. So suchte er sich einen Freien Tisch aber fand keinen weil die Kneipe gut gefühlt war in der Mittagszeit. So suchte er die Tische ab um zu entscheiden zu wem er sich setzen sollte. Schließlich fiel sein Blick auf einen Wassermagier. Andy kannte die Robe noch sehr gut weil er damals in Jakendar von einem Wassermagier verarztet wurde und dieser ihm einen Eisensplitter aus dem Bein gezogen hatte. Dieser war Übrig geblieben von einem Kampf gegen einen Orkspäher in den Wäldern rund um die Tempelanlage. Andy fasste al seinen Mut zusammen und entschied sich zu dem Wassermagier zu setzen. Er nahm sein Wasser und schritt zu dem Wassermagier. Dieser saß am Tisch und aß gerade etwas. Der Magier hatte langes schwarzes Haar das bis zu seiner Schulter reichte. Die Blauen Augen versprühten eine unheimliche Wärme so dass Andy ganz vergaß dass er Aufgeregt war. Denn er hatte noch nie mit einem so hohen Magier gesprochen. Andy trat an den Magier heran und Fragte "Entschuldigung werter Wassermagier dürfte ich mich an ihren Tisch gesellen?" Der Magier schaute zu Andy und nickte nur, Andy nahm an das dass ein Ja sein sollte und so setze er sich zu dem Mann. Eine Zeitlang sagte der Magier und Andy nichts doch dann brach Andy das schweigen. Ich habe neulich einen weiteren Wassermagier getroffen im Minental. Seit ihr mit auf das Festland gegangen oder seit ihr immer noch In Jakendar. Der Magier aß weiter dann sagte er....
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Ritley war gerade mit Essen fertig, als die Frage seines Gegenübers ihn ziemlich überraschte. Bisher war der schwarzhaarige Magus davon ausgegangen, dass die meisten – wenn nicht sogar alle - Menschen, die auf Khorinis gelebt hatten um das Schicksal der Wassermagier wussten. Allem Anschein nach war dem aber nicht so. Stirnrunzelnd musterte er den ihm gegenüber Sitzenden einen Moment, entspannte sich dann wieder und setzte nach einem Schluck Wasser zu reden an.
„Nun. Als die Orks nach Jharkendar kamen waren wir nicht sehr überrascht. Wir ahnten schon, dass etwas Dergleichen passieren würde, konnten nur nicht wissen was genau es sein und wann geschehen wird. Unsere fleißigen Brüder und Schwestern schafften es, das Wichtigste zusammen zu packen, sodass wir den Rückzug antreten konnten. Am Ende – wir hielten sie auf, so lange es uns möglich war – wurden wir aber zur Flucht gezwungen, die uns zu unseren Verbündeten führte. Es waren die Piraten, die sich in dieser schweren Zeit bereit erklärt hatten, uns zur Seite zu stehen um dem gemeinsamen Feind zu entrinnen. Viele tapfere Männer und Frauen mussten ihr Leben lassen, konnten sich nicht mehr rechtzeitig auf die Schiffe retten. Wir aber, die, die überlebten segelten in eine ungewisse Zukunft. Auf dem Weg zum Festland wurden wir von den anderen getrennt und landeten an der Küste der Wüste. Ein unbarmherziges Land, das kann ich euch sagen, doch auch die neue Heimat, die wir so dringend brauchten. Wir fanden Unterschlupf bei den hiesigen Nomadenstämmen, die uns von der Vergangenheit der Wassermagier berichteten. Dort leben wir bis heute, im Wüstenvolk Adanos', dass sich dem Gleichgewicht verschrieben hat so wie einst die alten Kulturen.
Jharkendar ist im Übrigen nicht vollständig zerstört worden. Erst vor wenigen Wochen befand ich mit zusammen mit meinem Gefährten dort oben, hoch in den Bergen um zu rasten. Einige Gebäude sind bis auf die Grundfeste zerstört, andere stehen noch wie unberührt dort und haben ihren alten Stolz nicht verloren. Die Zauber der mächtigsten Magier waren es, die die bewerkstelligten.
Doch verzeiht mir, wenn ich euch damit langweile. Ich neige jedes Mal dazu auszuschweifen, wenn ich diese Geschichte erzähle. Was treibt euch hierher nach Gorthar, Reisender?“
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Andy lauschte der Stimme von dem Wassermagier. Er hatte gar nicht gemerkt wie schnell die Zeit vergangen war. Die Geschichte erinnerte Andy an seine Vergangenheit und das was ihm widerfahren ist. Da er etwas von Wüstenvolk hörte musste er nach den Magier noch fragen wo er es finden könnte. Wenn es ein zusammen Schluss von den Wassermagier und den Piraten ist. Müsste es dort ja auch ein paar Ex-Piraten geben. Zu mindesten die die Andy schon kennen gelernt hatte im Piratenlager. Vielleicht sogar Stevie den er noch von der Schatzsuche kannte und Dragonsgirl die er erst vor ein paar Wochen wieder gesehen hatte. Der Magier hatte Andy eine Frage gestellt und Andy beantworte sie ihm gerne. So erzählte er dem Magier warum er in Gorthar ist. "Ich bin auf der Suche nach Hinweisen für mein Volk die Aleuba." Er erzählte ihm alles über sein Volk. Der Magier nickte ab und zu als Andy das mit den Spitzenohren erklärte "Außerdem bin ich auf der Suche nach einer Neuen Gilde für mich. Ich habe die Clans des Nordens verlassen und habe mich auf den Weg gemacht das Festland zu erkunden um so eine geeignete Gilde für mich zu finden. Aber seit her war ich ohne Erfolg. Aber erzählt mir mehr von dem Wüstenvolk Adaons und euerem Gefährten. Ist er auch hier vielleicht können wir zusammen auf die Reise gehen. In der Gruppe ist es immer besser zu reisen als alleine Finde ich." Der Magier trank etwas von seinem Wein und Andy sah dass die Flasche bald leer war. Er rief den Wirt zu sich um noch eine Flasche des Weines für den Magier zu bestellen. Nach dem das Glas wieder voll war begann der Magier weiter die Geschichte zu erzählen.
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„Nun, ich befinde mich eigentlich auf der Suche nach... einem alten Gefährten. Als ich von hier gegangen bin war er noch in Gorthar und ich hoffe, dass sich seitdem nichts daran geändert hat. Ich verspüre keine Lust, das halbe Land nach ihm abzusuchen. Doch wenn er zuerst noch etwas über das Wüstenvolk erfahren wollt, so werde ich der Letzte sein, der sich diesbezüglich in Schweigen hüllt.“, meinte der Hohe Wassermagier und nahm einen erneuten Schluck aus seinem Weinbecher, den er daraufhin zur Seite stellte.
Langsam rieb sich der Schwarzhaarige die müden Augen und versuchte ein Gähnen zu unterdrücken.
„Das Wüstenvolk besteht aus zwei unterschiedlichen Zweigen, wie ich es selbst gerne nenne. Zum einen haben wir die mächtigen Krieger der Nomaden, die sogar mit zwei Schwertern gleichzeitig kämpfen können. Zum anderen haben wir die Wassermagier. Die meisten sind von der Insel Khorinis mit aufs Festland gekommen, ein paar haben sich uns auch dort schon angeschlossen. Die ehemaligen Piraten haben sich in die Nomaden eingegliedert, da ihnen die Magie nicht sonderlich liegt und sie von den Wüstenstämmen noch viel lernen können. Wir haben unseren Hauptsitz in der Wüste. Wo genau sich dieser befindet sollte nach Möglichkeit geheim bleiben. Es drohen nicht nur Gefahren von Monstern, die in der Wüste hausen. Auch die Assassinen, deren Karawanen wir des öfteren überfallen und die Orks haben es auf uns abgesehen. Viel änderte sich mit der neuen Heimat in Bezug auf die Orks nicht. Nun, wie auch immer... Ich hoffe ihr nehmt es mir nicht übel, wenn ich euch die genaue Lage von Al Shedim – so heißt dieser Ort – nicht nennen kann. Es ist einfach ein unkontrollierbares Risiko, das ich nicht eingehen möchte. Wenn ihr wollt kann ich euch dorthin mit nehmen, solltet ihr wirkliches Interesse daran haben, mehr über uns zu erfahren. Doch wie gesagt: vorerst bin ich hier in Gorthar auf der Suche nach einem alten Gefährten. Und wenn ich ehrlich bin sollte ich mich auch langsam daran machen, aus dieser Taverne zu kommen. Ich glaube kaum, dass er von alleine auf mich stoßen wird.“
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Andy war erstaunt das zu hören. Mit Zweischwerten kämpfen das war schon immer sein Traum gewesen und wird es bald wohl nicht mehr sein. Das was der Wassermagier da erzählte gefiel Andy sehr und so dacht er nach. Die Piraten sind mit den Nomadenkriegern verbündet und die Nomaden sind mit den Wassermagieren verbündet. So wie es aussieht habe ich meine neue Gilde gefunden. Ich werde irgendwie versuchen sie davon zu überzeugen das ich auf ihrer Seite stehe und nicht auf der, der Orks. Das wird aber schwer ich muss mir was einfallen lassen. Wenn ich dem Magier helfe seinen Gefährten zu finden legt dieser vielleicht ein Gutes Wort für mich ein.
Andy sah wie der Magie gerade aufstand und gehen wollte. So rannte er ihm hinterher und sagte dann "Ich würde mich freuen wenn ihr mir den Ort Al Shedim zeigen könntet. Ich finde das was ihr erzählt habt über die Nomaden und den Wassermagiern klingt alles sehr interessant. Und ich denke ich werde mir das mal ansehen wenn ich darf. Außerdem wollt ich fragen ob ich euch bei der Reise begleiten kann. Und ob ich vielleicht helfen kann eueren Freund zu finden?" Der Magier lief weiter und dachte anscheinet nach und Andy folgte ihm dann sagte der Magier "Ja das kannst du machen aber ich denke mal das wird kein leichtes Unterfangen."
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Ritley nickte seinem neuen Begleiter zu. Hoffentlich wusste der Mann, worauf er sich damit einließ. Wenn nicht konnte die Sache wohl ein sehr unangenehmes Ende für sie beide nehmen. Obgleich der Hohe Wassermagier eher davon ausging, dass er noch glimpflich davon kam. Doch gut, erst sollte man mit den Geschehnissen, die einem dem Untergang bereiten sollten konfrontiert werden. Davor ließ sich nur schwer ein objektives Urteil fällen.
Kopfschüttelnd machte sich der Schwarzhaarige nun daran, seine Rechnung beim Wirt zu begleichen und sich dann aus der Taverne zu begeben. Zum Glück – und Adanos' sei Dank – wusste er gerade noch, wo das Anwesen seines Gefährten zu finden war. Solaufein wohnte ganz anders, als Ritley zuerst gedacht hatte, was die Überraschung vollkommen werden ließ.
Die Nacht hatte sich schon lange über die Stadt der vielen Gesichter gesenkt und dennoch war es angenehm mild. Zuletzt als sich der Magus hier befand konnte man Nachts noch leicht ins Frösteln kommen, was nun nicht mehr der Fall war. Stattdessen vertrug man nicht einmal mehr den Mantel, da einem sonst der Schweiß aus allen Poren drang.
Gedanken, Gedanken, Gedanken. Und letzten Endes haben sie keinen Sinn, weil das, was passieren wird ohnehin schon bestimmt ist. Sie dienen lediglich dazu einem das Gefühl zu geben, Kontrolle ausüben zu können, wiederholte der Hohe Wassermagier die Worte eines alten Freundes, der in seinem Armen auf Khorinis gestorben war, in Gedanken.
In diesem Augenblick bewahrheiteten sie sich wie noch niemals zuvor. Und dennoch... Kopfschüttelnd trat er nun einen Schritt nach vorne und machte sich bemerkbar, indem er deutlich hörbar an die Türe des Anwesens klopfte.
„Dort wohnt der Mann, den ich suche, Andy. Wenn wir Glück haben ist er gerade hier. Wenn nicht werden wir zurück kehren und morgen Früh noch einmal nachschauen.“
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14.04.2007 00:17
#180
»Ich glaub ich spinn!«, dachte sich der Krieger, als er schon fast die Notizen zu seinem jüngsten Werk vollendet auf Pergament gebracht hatte. Es war eine mühselige Arbeit, das wälzen von so vielen Seiten, das Lesen von unzähligen Wörtern. Sol las ja prinzipiell gerne, aber er war nicht für das Lesen gemacht, eher schon zum lauschen von Geschichten an irgendwelchen Lagerfeuern in finsterer Nacht. Es war ein Wunder, dass er überhaupt die Sprache und Schrift beherrschte, er, der Sohn von Barbaren. Die schnell ermattende und Kräfte auslutschende Arbeit ließ sich noch am besten bewerkstelligen, wenn man zwischendurch ein bisschen dem Geist freien Auslauf gönnte und sich in der Zwischenzeit um mehr weltliche, fleischliche Dinge wie Muskeln kümmerte. Viel wichtiger noch als ihr Aufbau war der tägliche Kampf mit dem Schwert, doch da es – neben den Dolchen – ohnehin seine einzige Waffe war, konnte er sich wahrlich ein Meister im Umgang mit ihr nennen, musste er doch nicht ständig entscheiden, mit was er denn nun in die Schlacht ziehen wollte, wie diese ganzen anderen Idioten, die sich Meister in x, y und noch z nannten.
Leider waren die weiteren Nachforschungen seit seiner Entdeckung von letzter Nacht nicht mit großem Erfolg gekrönt, um genau zu sein hatte er stattdessen gar nichts mehr gefunden. Die Sagen, Legenden und Märchen waren allesamt schön und bei dem ein oder anderen Buch machte er sich auch weiterhin Anmerkungen, da dies und jenes noch irgendwann einmal einen Nutzen haben konnte, doch für die Suche dienten sie nicht, man musste auch bedenken, dass die meisten Werke reine Erfindung des Geistes des Schreibers waren und die Hausbibliothek wahrlich nicht vor Werken strotzte, zumal der Magus einst die wichtigsten Werke mitgenommen hatte. So hatte er auch am späten Nachmittag noch auf dem Marktplatz eingekauft und sich ein paar Vorräte besorgt, seine Taschen geleert und seine Siebensachen ordentlich gepackt. Sein Eifer kannte keine Grenzen und so wollte er schon morgen Nägeln mit Köpfen machen und nach Khorinis übersetzen, um dort zum Kastell zu kommen. Aus alten Tagen wusste er, dass sich dort eine immens große Bibliothek befand, in der er selber schon einmal war. Hier würde er mit Sicherheit Erfolg haben und weitere Informationen und Anhaltspunkte bekommen. Doch bis dahin war an Schlaf vorerst nicht zu denken, die letzten zwei Werke wollten gelesen und die Waffen frisch geputzt werden. Und ausgerechnet jetzt störte man ihn!
Doch die Störung war nicht nur äußerst unpassend – sie kam i m m e r äußerst unpassend – nein, es konnte überhaupt nicht sein, dass er ausgerechnet h i e r gestört wurde. Bis auf wenige Stadtwachen, die er bestochen, oder besser gesagt, entlohnt hatte auf sein Haus acht zugeben, wusste niemand, dass hier jemand wohnte. Alle hielten das Anwesen nur für leer stehend. Und diese Stadtwachen würden ganz bestimmt nicht spät am Abend bei ihm klopfen. Aber seit wann klopften denn die Einbrecher? Sol war misstrauisch, konnte dieser „Überraschung“ mal wieder nichts Positives abgewinnen, wollte jedoch gebührend reagieren und kein Risiko eingehen.
Durch ein Fenster im Untergeschoss schlich er sich hinaus zum Garten, direkt zur riesigen Stadtmauer der Festung, die er irgendwann mal von hier aus erklimmen wollte, was sicher ein herrlicher Spaß gewesen wäre und insbesondere eine tolle Überraschung für die Wachen in der Festung. Von dort aus umrundete er sein Haus und hielt sich im tiefen Schatten des Daches, aber hier war es sowieso dunkel, nur am Vordereingang, den vorderen Gartenbereich und von der Festung kam etwas Licht zu seinem ansonsten dunklen Haus, er geizte mit Licht wo es nur ging, setzte lieber auf Tellerkerzen und Kaminfeuer.
Und die Überraschung konnte sich sehen lassen. Immer wieder klopfte es und die die dort klopfen gafften auf die Tür, als ob die mit ihnen reden würde. Aber er hatte sie gesehen, dort, wo es hell war, dort, wo das Licht noch von der Straße kam. Im ersten Moment war er vollkommen perplex und starrte nur und hätten die beiden Narren nach links gesehen, sie hätten ihn auch bemerkt, aber schon bald fing sich sein Geist wieder und ließen den Emotionen freien Lauf. Da stand dieser Lump vor seiner Tür und… klopfte. Er war mehr als einen Zehntag zu spät… Sol überkam eine kalte Wut, aber die Faust löste sich schnell, dafür schmerzte es noch zu sehr. Aber er war zumindest gekommen, hielt eine gütigere Seite von ihm dem Wassermagier zugute. Doch wen hatte er dabei? Ein weiteres Mal spähte er, erkannte nur eine vollkommen fremde, männliche Silhouette. Er war sich unsicher, wie er dieses Kommen einordnen sollte, im Kochtopf der Emotionen hielten sich ein Angriff mit tödlichem Ausgang für die zwei Pfeifen, ein mehr oder weniger ernst gemeinter Tritt in den Hintern und blanke Freude die Waage.
Schließlich klopfte es ein letztes Mal und er konnte gut hören, wie der Wassermagier zu dem anderen sagte:
»Hat wohl keinen Sinn, lass uns gehen.«
Aber als sie schon kehrtmachen wollten, meldete er sich zu Wort, an den linken Stützbalken seines Hauses gelehnt, tief im Schatten verborgen, aber mit gewohnt kräftiger Stimme wollte er die Reaktion seines vermeintlichen Gefährten testen.
»Ihr seid zu spät, viel zu spät und doch traut ihr euch noch hier her! Warum? Und wer ist der andere, eure Leibgarde? Soll er euch vor meinem möglichen Zorn schützen? Nein, wohl kaum wird er das können…«
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