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Im Piratenlager
Greg hatte sicher inzwischen geglaubt Anne wäre von einem Seemonster gefressen oder in Nordmar in den großen Schmelzofen gefallen.
"Beim Klabautermann! Du lebst?!" rief der Piratenkapitän sichtlich überrascht und schloss Anne in die Arme, sodass sie kaum noch Luft bekam.
"Nun lass mich doch mal los Käptn'. Willst du denn gar nicht den Erzsäbel sehen?" fragte Anne und holte die Waffe. Die Augen des Piraten glänzten. Er freute sich wie ein kleines Kind das zu seinem Geburtstag ein Geschenk aus wickelte. Anne stand dabei und schmunzelte und überlegte sich aber trotz alledem das sie unbedingt ein Wörtchen mit Samuel reden musste. Im Grunde hatte er Greg doch eine riesengroße Lüge aufgetischt. Von wegen Traum der wahr wird...
Wie dem auch sei. Greg war glücklich und so hatte ihn Anne überhaupt noch nie gesehen. Er drückte ihr noch einen Beutel mit Gold in die Hand und wollte dann allein sein.
Anne schloss die Tür und ging die Treppe runter.
Skip und die anderen standen da und starrten sie an.
"Tobi wartet sicher schon auf dich..." flöteten sie und grinsten sich eins.
Anne nickte ihnen zu woraufhin sie noch mal grölten.
Sie ging doch auf direktem Weg in die Taverne. Waylander saß dort am Tresen und sie setzte sich zu ihm.
"Einen Grog bitte!" sagte sie. Es war das erste Mal das sie in ihrer Taverne Gast war und bedient wurde. "Ich glaube ich muss so schnell wie möglich hier weg." sagte sie zu sich selbst.
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In der rauchgeschwängerten Luft der Schänke hatte er jedes Zeitgefühl verloren. Der Krieger schaute in seinen Krug, als könnte er dort die Zukunft erkennen. Doch er sah nur ein müdes, unrasiertes Gesicht. Die Gegenwart. Er erkannte die Narbe über seinem Auge und konnte sich noch erinnern, wer ihm die beigebracht hatte. Ein irrer Typ, ein Bandit namens Toggel, dessen Kriegshorn er nach dem Kampf unter der Banditenburg an sich genommen hatte. Die Vergangenheit. Die Zukunft nicht.
Anne war hereingekommen. Die Gespräche verstummten nicht, niemand schenkte der Piratin Beachtung. Sie war eine von ihnen. Sie kannten, respektierten sie. Waylander hatte man einst auch gekannt. Respektiert vielleicht nicht, aber zumindest allenthalben gefürchtet. Und mehr konnte man sich als Söldner nicht wünschen.
Waylander blickte von seinem Krug auf, die Piratin hatte sich einen Grog bestellt.
„Wie lief es bei Greg“, wollte Waylander wissen. Anne nickte knapp: „Er hat sich gefreut.“ Beide schwiegen. Der Krieger war noch nie gut darin gewesen, sich über Belanglosigkeiten auszutauschen.
„Wie ist das Wetter draußen?“, fragte er. Anne blickte ihn an, als hätte er sie um einen Sack Gold gebeten. Dann lachte sie schallend. Waylander grinste. „Was hast du jetzt vor?“, fragte er. Anne blickte auf den Tresen. „Ich weiß es nicht, aber ich habe das Gefühl, das ich hier weggehen sollte.“ Waylander schürzte die Lippen. „Ich habe noch keine Pläne, aber ich würde gerne an den Hof zurück. Ich möchte wissen, was aus der Siedlung geworden ist, und wenn wir Glück haben, treiben sich dort ein paar alte Bekannte herum.“ Er nahm einen Schluck Bier, stellte den leeren Becher auf den Tresen. „Wenn du willst, kannst du mitkommen.“
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Westküste; Strand im Süden von der Stadt
Alles drehte sich. Solange hatte der Glatzkopf noch nie durchgemacht ohne zu schlafen. Würde ihn seine Befürchtung vor seinem Tot nicht wach halten, würde er tatsächlich von der Reling ins Meer stürzen und ertrinken.
Sein letzter erpresster Befehl an die Besatzung war, keine Nachtwache zu halten. So hatte er das komplette Deck für sich.
Seine Müdigkeit brachte ihn schon lange nicht mehr in den Wahnsinn. Er fühlte sich wie ein Betrunkener. Ihm fiel das Sehen schwer – vergleichsweise wäre der Tunnelblick, der zur Betrunkenheit passen würde.
Noch einmal schaute er zurück über das Deck. Eine Totenstille lag darauf. Seine Augen suchten jeden auch noch so kleinen Winkel ab, aber scheinbar hielt sich tatsächlich niemand in der Nähe auf und beobachtete ihn.
Dann wendete er sich seinem Ziel zu: Einem unscheinbaren Strand der sogar bis zum Hafen von Khorinis führen konnte. Selbst im Dunkeln der Nacht erkannte er die genauen Silhouetten des Strandes. Es schien so, als würde es dort weder Wracks noch Höhlen geben, beliebte Brutstätten für Warane oder Lurker. Der Strand wirkte somit sicher.
Sogleich stieg der Mantel träger auf die Reling, schaute noch einmal ganz kurz zurück und stürzte dann in das Wasser. Das Meer verschlang ihn und wusch den Dreck von seinem Körper. Unter der Oberfläche hörte sich alles so dumpf und träumerisch an. Rethus schüttelte den Kopf. Er durfte jetzt auf gar keinen Fall einschlafen, auch wenn das Treiben im Wasser noch so angenehm war. Trotz der Kälte fror Rethus nicht. Er schien sämtliche Sinne verloren zu haben. Mit allerletzter Kraft schwamm er ans Ufer und zog sich ein kleines Stück am Strand hoch. Das Schiff trieb in gleicher Geschwindigkeit nach Norden weiter.
Das Letzte, das der Grufti noch tun konnte, war seine Gurte etwas zu lockern. Kurz darauf umarmte ihn das sanfte Gefühl des wohltuenden Schlafes.
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Im Piratenlager
Das war die beste Idee, die über seine Lippen gekommen war seit sie sich nach so langer Zeit wieder getroffen hatten. Gern wäre sie rüber zu Tobi gegangen, hätte sich mit ihm versöhnt, aber wie sollte sie ihm erklären das es sie zurück nach Argaan zog? Er hätte sicher Verdacht geschöpft, oder er hätte gar mitkommen wollen. Sie war hin und her gerissen, schon damals als sie das erste Mal Sarpedon hier am Piratenstrand begegnet war.
"Das ist eine gute Idee! ich komme mit dir. Habe nur noch was mit Samuel zu bequatschen und dann können wir los."
Waylander nickte und bleib in der Taverne sitzen. Anne verließ die Taverne und machte einen Bogen um das Haus mit Veranda, das sich dahinter befand. Ungesehen erreichte sie die Höhle in der Samuel seinen Grog und so manch andere dubiose Tränke braute.
"Grüß dich du Quacksalber. Da haste unseren Käptn ja ganz schön auf die Schippe genommen und ich musste deswegen bis nach Nordmar reisen und ihm diesen Säbel besorgen... "
Samuel grinste Listig und schob ihr einen Phiole zu.
"Nein, danke ich kann so nen Zeug nicht gebrauchen. Mir wäre lieber wenn du mir anstatt ein kleines Fass von dem guten Grog spendierst. Ich mach mich nämlich wieder los. Ich war die letzten Wochen auf Argaan. Genauer gesagt in Setarrif"
Sie wusste gar nicht warum sie ihm das erzählte. Vielleicht damit Tobi einen Anhaltspunkt hätte, falls er mal auf die Idee käme nach ihr zu suchen. Ach das war ne Schnapsidee gewesen, doch zu spät um es ungeschehen zu machen. Samuel gab ihr ein Fass Grog und meinte sie solle den anderen Trank auch ruhig mal ausprobieren. Welche Wirkung er genau hatte wollte er nicht sagen. Er wünschte ihr eine gute Reise und wand sich dann gleich wieder seinen Experimenten zu.
Als Anne zum Steg kam, wartete Way schon auf sie. Er sprang in das Ruderboot, nahm ihr das Fass ab und reichte ihr die Hand.
"Danke, dann mal los zur Cassandra und dann nach Khorinis."
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Immer noch war Kayden ganz in der Nähe der Stadt, am Morgen erst hatte er sich auf den Weg gemacht und sich so nach und nach von Khorinis entfernt.
Ein bestimmtes Ziel hatte der Wächter nicht, daher konnte er sich auch so viel Zeit lassen wie er nur wollte.
Seit dem Morgengrauen war er nun schon unterwegs gewesen, daher hatte er sich für eine Pause entschieden gehabt. Ein kleiner See, der wohl mehr ein Tümpel war, war da sehr gut geeignet gewesen.
Nachdem er sich gestärkt und etwas ausgeruht hatte, hatte Kayden die nähere Umgebung erkundet gehabt. Bei dieser Erkundung hatte er eine Höhle entdeckt gehabt und sich entschlossen gehabt hier auch gleich die Nacht zu verbringen.
Ein paar Stunden würde es noch hell sein, die Zeit wollte er nutzen um Feuerholz zu sammeln und vielleicht noch sein Jagdglück zu versuchen, bei Dämmerung schien ihm da der Erfolg am wahrscheinlichsten zu sein.
Die Höhle war trocken und sehr geräumig, sie schien noch weit unter die Erde zu führen, momentan hatte er sich aber darüber noch nicht kümmern wollen, dafür war sicher später noch Zeit.
Nun hatte er sich erst einmal um das Holz gekümmert, das war ihm für den Augenblick am wichtigsten erschienen.
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Irgendwo am Strand im Süden von der Stadt
Langsam öffnete der Glatzkopf seine Augen. Er spürte den rauen, kalten Sand unter sich. Seine Hände strichen über seine Sachen, die vollkommen trocken waren. Ein Schock durchfuhr ihn. Sogleich setzte er sich auf. Er war trocken? Wie lange lag er denn hier schon? Hastig schnallte er seinen Gürtel fest und knöpfte den Mantel zusammen. Erst jetzt bemerkte er, wie kalt es eigentlich war. Normalerweise hätte er bei dieser Kälte erfrieren können. Und wenn das nicht reichte, hatte er auch noch einen Höllendurst.
Schnell kramte er den Wasserschlauch hervor. Das verdammt kalte Nass floss ihm unangenehm die Kehle hinab. Ihm blieb das aber völlig egal. Hauptsache, es löschte den Durst.
Anschließend erhob er sich gänzlich, um alles wieder zu verpacken, was er zum Schlafen abgelegt hatte. Darunter zählte auch sein Zweiwaffengurt, den er auf seinen Rücken schnallte, um kurz darauf seinen Mantel darüber zu werfen. Ein letzter Blick vergewisserte sich, ob auch wirklich an alles gedacht und alles verstaut war.
So zog der Grufti nun nach Norden am Strand entlang. Irgendwann musste er die Stadt erreichen…
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Waylander war sich noch nicht sicher, ob das alles richtig war. Er war sich nicht sicher, ob er das finden würde, was er suchte. Er zweifelte auch daran, ob das, was er finden würde, auch finden wollte. Und der Krieger war unsicher, ob er Anne wirklich dabei haben wollte. Sicher, es war gut, eine Gefährtin zu haben. Jemand, der einem den Rücken freihielt. Gerade auf Khorinis, wo die Orks die Herrschaft hatten. Wo er vielleicht gesucht wurde.
Am Bug rauchte es, als die Cassandra durch die Wellen brach. Die See war stürmisch, jedoch nicht derart, dass sich einem der Magen umdrehte. Die kalte Luft drang in seine Lungen während er tief einatmete und den Geruch nach Salz wahrnahm. Waylander zog die Kapuze tiefer ins Gesicht.
Aus der Tasche am Gürtel nestelte er etwas von dem Tabak aus Varrant und die Pfeife, die ihm Stoffel verkauft hatte. In einem anderen Leben.
Der Wind blähte die Segel auf, der Mast knarrte, und Waylander schickte ein Stoßgebet zu Adanos, dass er über sie wachen möge. Seefahrten waren dem Krieger nicht geheuer.
Der Duft nach Früchten mischte sich in den Salzgeruch. Anne näherte sich, bewegte sich beinahe lautlos über das Deck. Sie war den Seegang gewohnt, es gewohnt ihr Schicksal dem Meer, der Naturgewalt, anzuvertrauen. Waylander nicht. Der Krieger stand im Grunde nur an der Reeling, weil er fürchtete, bei stärkerem Wellengang über das Deck zu kullern. Und Waylander kullerte nicht.
„Wir sollten in einer Stunde den Hafen erreichen“, sagte Anne, die sich zu ihm gesellt hatte. Der Söldner hatte nicht gezögert, ihr das Angebot zu machen, sie könne ihn begleiten. Im Nachhinein fragte er sich, warum sie es angenommen hatte. Und so schnell. Sie kannten sich, ja. Aber nicht gut, im Grunde eher so, wie einem ein Gesicht in der Menge zweimal auffällt.
„Ich muss dir etwas sagen“, begann Waylander, der erfolglos versuchte, den Tabak in der Pfeife zu entzünden. „In den vergangenen Jahren habe ich mir bei den Orks und ihren Söldnern viele Feinde geschaffen. Die meisten leben nicht mehr, doch ich weiß nicht, ob ich nicht gesucht werde.“ Er nahm einen tiefen Zug, nachdem sich der Tabak entzündet hatte. Die Glut glomm rot, wie ein feuriges Auge in nachtschwarzer Tiefe. „Es ist ein Kopfgeld auf mich ausgesetzt. Ich will nur, dass du weißt, worauf du dich einlässt. Ich möchte dich nicht unnötig in Gefahr bringen“, sagte der Krieger.
Anne blickte ihn aus dem Augenwinkel heraus an. Plötzlich warf sie den Kopf in den Nacken und lachte schallend. „Waylander, ich bin Piratin. Auf meinen Kopf wird sicher auch der ein oder andere Preis ausgesetzt sein“, sie neigte besagten Kopf. Waylander konnte nicht sagen, was er wert war. Anne blickte ihn aus ihren dunklen Augen an. „Glaub mir, in meiner Gegenwart ist es sicher nicht ungefährlicher als in deiner.“
Waylander blies den süßlichen Rauch in die Luft. Der Tabak war alt, daher schmeckte er etwas nach Holz und dem Beutel, in dem der Krieger in aufbewahrte. Er blickte den Schwaden nach, die augenblicklich vom pfeifenden Seewind fortgezogen worden, wie eine Hure am Soldtag der Stadtwache. Anne war ehrlich zu ihm, auch wenn er ihre Beweggründe nicht kannte. Das brauchte er aber auch nicht. Er erzählte auch nicht alles.
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Stadt - Hafenviertel
Endlich erreichte der Glatzkopf die Stadt. Von weitem wurde er schon von dem großen Anlegesteg begrüßt, an dem immer große Schiffe vor Anker liegen konnten. Als er an dem Steg vorüber kam, welcher dieses Mal kein Schiff barg – Rethus nahm an, das Schiff, auf dem er war, befand sich mittlerweile schon in Vengard – wurde er zwar misstrauisch von ein paar Wachen begafft, aber niemand krümmte einen Finger, um den Grufti festzunehmen.
Scheinbar gab es kein Kopfgeld, das auf ihn ausgesetzt worden war. Ihn wunderte das allerdings auch nicht. Beeindruckt schaute er nach oben, während sein Blick die Landbrücke traf, die sich wie ein Tor vor ihm auftat. Durch dieses schlurfte er nun hindurch.
Wieso ihn das nicht wunderte? Nun, den meisten Leuten aus der königlichen Armee und zudem auch jene, die mal dazugehörten wie Rethus eben, war es nicht entgangen, dass die Stadtwache in Khorinis nicht mehr ganz so ehrenvoll handelte, wie das früher der Fall zu seien schien. Also wieso nach jemandem fahnden, der "nur" einen Maat eines Schiffes des myrtanischen Reiches erschlagen hatte? Aber ansonsten musste Rethus mit allem rechnen. Sie würden jeden einkerkern, und das nur um Profit zu machen. Zumindest würde es der Grufti so machen. Und wenn er das von sich selbst behaupten konnte, dann musste er erstrecht aufpassen.
Schon bald erreichte er das von Elster besagte Lagerhaus am anderen Ende des Hafens. Nichts hatte sich hier geändert, seit Rethus das letzte Mal mit der Expedition zur Kelchsuche hergekommen war. Selbst das Lagerhaus machte den Eindruck, als wurde es schon einmal von Rethus‘ Augen erfasst.
Zügig lief der Glatzkopf auf das Haus zu. Drinnen leuchtete ein Licht. Scheinbar hielt sich dort tatsächlich jemand auf.
Rethus trat herein. Ein Hüne fiel ihm sofort in die Augen. Das musste der sogenannte ‚Große‘ gewesen sein von dem Ashim gesprochen hatte.
„Abend“, grüßte der Glatzkopf.
Der Hüne hob bloß die rechte Hand.
„Ashim schickt mich.“
Jetzt stand der Mann auf und formte seine Augen zu Schlitzen. „Parole?“ erkundigte sich jetzt der Kerl.
„Es ist eine reichhaltige Winternacht.“ Der Grufti verschränkte seine Arme.
Ein trockenes Nicken kam von dem Großen. „Alles klar. Was will Ashim wissen?“
„Ich soll mich bei dir erkundigen, ob Dennik auf Khorinis gesichtet wurde“, kam Rethus gleich zur Sache.
„Nein, er ist nicht hier. Ich habe bei der Stadtwache ein Kopfgeld beantragt, für denjenigen, der Denniks Kopf zu mir bringt. Aber bei den ganzen Steckbriefen und der aufmerksamen Wache hier würde er niemals übersehen werden.“
„Er ist also definitiv nicht hier“, fasst der Mantelträger noch einmal zusammen.
„Nein, definitiv nicht.“
„Dann müssen wir nun Plan B von Ashim befolgen.“ Er nahm auf einer Kiste Platz.
„Und der wäre?“ Damit setzte sich auch der Große wieder.
„Wir sollen eure Beute bergen und nach Argaan zurückkehren. Dort treffen wir uns mit Elster in einem Gasthaus.“
„Und was ist mit Khorinis?“
„Ashim hat mir versichert, dass Dennik nur auf Argaan oder auf Khorinis sein kann, sollte er nach der Beute suchen. Wie es aussieht, weiß er noch nicht einmal, dass ihr eine Beute vor ihm versteckt habt. Jedenfalls hat Argaan nur einen Hafen, nämlich in Thorniara, von wo aus größere Schiffe ablegen können. Und dieser Hafen wird von getarnten Söldnern von Elster überwacht.“
„Er würde uns quasi nicht durch die Lappen gehen.“
„Genauso ist das.“ Rethus klopfte sich auf seine Oberschenkel.
„Also gut, dann müssen wir aber ein kleines Stück laufen, wenn wir die Beute holen. Aus dem Grund, dass die Wache hier überall die Augen offen hält, habe ich das Versteck unserer Beute geändert. Sie befindet sich jetzt im Minental.“
„Wieso so weit?“
„Je weiter sie von der Stadt weg ist, desto besser. Wir können gleich Morgen los.“
„Vielleicht besser Übermorgen, ich muss noch herausfinden, wo eine bestimmte Insel liegt.“
Der Hüne runzelte die Stirn. „Du suchst eine Insel? Nur wenige Häuser weiter befindet sich ein Kartenzeichner, vielleicht kann der dir schon helfen. Um welche Insel soll es denn überhaupt gehen?“
„Anguriano, sie muss irgendwo weiter im Osten liegen. Ich dachte mir, wenn jemand von der Insel wissen könnte, dann vielleicht Khorinis.“
„Anguriano? Noch nie gehört. Ich weiß, dass Gorthar im Osten liegt, aber von deiner Insel habe ich noch nie etwas gehört. Solltest du mal nach Gorthar kommen, könntest du dort vielleicht mehr erfahren.“
Ein interessanter Gedanke, dennoch würde der Glatzkopf am morgigen Tag bei diesem Kartenzeichner vorbeischauen…
Geändert von Rethus (24.02.2011 um 19:51 Uhr)
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Stadt Khorinis am Hafen
Die Cassandra lag nun im Hafen von Khorinis vor Anker. Das Rudern mit dem Boot konnten sie sich sparen, denn so groß war die Cassandra nun auch wieder nicht. Die kleine Besatzung von drei Mann murrte etwas als sie hörte dass es noch nicht zurück nach Argaan ging.
"Eigentlich könnt ihr euch nicht beschweren. In der Roten Laterne findet ihr sicher Abwechslung. Allerdings wäre es mir lieber, wenn wenigstens einer von euch an Bord bliebe."
"Alles klar Käptn'." antworteten sie, was sie wirklich dachten war eine andere Sache. und Anne ziemlich egal solange sie ihre Befehle befolgten.
"Ach bevor ich es vergesse. Hier nehmt noch das Gold und kauft ein paar Vorräte auf dem Markt oder geht zu Lobart. Ist mir gleich. Wichtig ist nur das wenn ich zurück komme gleich auslaufen kann."
Die Männer nickten ihr zu, auch wenn sie das gefühlt hatte sie würden das Gold, zumindest einen Teil davon, in der Laterne ausgeben.
Am Hafen hatte sich nicht viel verändert, seit Anne das letzte mal hier gewesen war. Die Hafenkneipe gab es noch immer, ob der Wirt immer noch Kardiff hieß wusste sie nicht, zumindest beschäftigte er immer noch einen Türsteher. Der nach seinem blauen Auge zu urteilen letztens eine Aufs Maul bekommen hatte. Anne schmunzelte.
Sie hatte nicht vor in die Hafenkneipe zu gehen. Rum konnte sie ebenso auf der Cassandra trinken und außerdem wollte Way sich auf dem Hof des Großbauern umschauen. Einmal war Anne nach der Orkinvasion dort gewesen. Damals war sie zusammen mit DraconiZ auf dem Weg ins Minental unterwegs und er hatte ihr während der Reise noch ein paar Tricks beigebracht, zum Beispiel wie man Schlösser knackte.
"Wegen mir können wir uns gleich auf den Weg machen, oder wolltest du zuerst noch etwas hier in der Stadt erledigen?"
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Die Luft war so kalt, dass der Krieger jeden Atemzug sehen konnte. Der Himmel wolkenlos, und das Licht der Sterne und des Mondes tunkte Hütten und Wege in Silber. Kohorinis. Der Hafen. Der Dreck, der Geruch nach Fisch, Salz, schalem Bier und Erbrochenem. Nach Krankheit und Moder, nach Schweiß und Urin. Das Lachen der Huren drang an sein Ohr, als er mit der schönen Piratin an der Roten Laterne vorbeiging. Willkommen zu Hause.
Das Elendsviertel hatte sich kaum verändert. Die Häuser hatten den gleichen Charme wie noch vor wenigen Jahren. Doch die Zahl des Gesindels war deutlich höher. In jeder Ecke lag ein Körper, und Waylander mochte nicht sagen, ob der Mensch noch lebte oder längst tot war. Die Stadtwache, die hier und da patrouillierte, schien sich nicht daran zu stören. Auch nicht an den zwielichtigen Gestalten in den Schatten. Auch nicht an den Paaren, die mal mehr oder weniger im Schatten der Wollust frönten.
„Ich weiß nicht“, sagte Waylander, „vielleicht sollten wir uns erst einmal mit etwas Proviant eindecken“. Anne hob die Schultern. „Wenn du meinst, wie lange willst du denn hier bleiben“, fragte die Piratin. Waylander sah sich um, sein Blick traf die wenigen Orks, die sich vor dem Eingang der Taverne tummelten. „Ich weiß es nicht“, sagte er. Und das war die Wahrheit. Er wusste es wahrhaftig nicht.
Nun grummelte sein Magen, Zweifel nagten an ihm. Was hatte er erhofft, hier zu finden? Er fühlte sich getrieben, wie eine Feder im Wind. Eine Stimme schien nach ihm zu rufen. Der Krieger drehte sich, die Hand an der Waffe. Doch er blickte nur in eine aschfahle Menge. „Vielleicht sollten wir uns kurz in der Kneipe stärken und mit Proviant eindecken“, sagte er.
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„Scher dich zur Seite, du Hornochse“, brüllte der Bandit. Der Betrunkene wankte leicht nach links, dann machte er zwei Schritte auf einmal und schlug der Länge nach hin. „Oder so“, sagte Legard und beschleunigte seinen Schritt. Er war ohnehin spät dran.
Die Menschen und Orks waren wie immer zahlreich dieser Tage. Das Hafenviertel quoll fast über. In der Nacht. Am Tage konnte man hier nur diejenigen sehen, die noch nicht der Gier oder dem Hass verfallen waren. Oder dem Bier, dem Schnaps, der Hurerei. Es gab immer noch Menschen in Khorinis. Menschen, die sich noch ihre Menschlichkeit bewahrt hatten. Aber im Grunde waren diese Leute die Ausnahme. Khorinis war die Ausgeburt eines Pfuhls, eines Gedanken Beliars, geworden. Und Legard war mitten in diesem Moloch.
Seit Dorn ihn in die Stadt geschickt hatte, gab es kaum etwas zu tun. Der Barde hatte sich unters Volk gemischt, was ihm nicht schwergefallen war. Sein Hirn lag schließlich noch nicht am Boden eines Weinfasses. Nachdem die Orks die Hafenstadt verlassen hatten, war Khorinis ein Ort geworden für Gestrandete. Für jene, die sich nicht anders zu helfen wussten. Es gab einen Stadthalter, es gab eine Stadtwache. Doch alle waren sie korrupt. Vom Glanz der Vergangenheit war nicht viel geblieben. Fortgewischt wie Schmutz auf einem Stiefel. Die einst so prunkvolle Oberstadt glich nun um ein Haar dem Elendsviertel. Die wenigen Händler boten kaum mehr Waren feil. Und immer mehr ehrliche Leute verließen das Land. Zogen nach Myrtana oder Argaan.
Doch es gab immer noch viel zu tun. Banditen waren nicht mehr nur Banditen. Den meisten war es egal, wen sie überfielen, vergewaltigten oder ermordeten. Immer noch gab es aber jene, die das Herz hatten für etwas einzustehen, was längst in Vergessenheit geraten war. Ehre.
Die Menge vor ihm teilte sich, der Bandit marschierte schnellen Schrittes weiter. Er ignorierte die Pöbeleien, den Gestank.
Seit ein paar Wochen verdiente er sich ein paar Goldstücke damit, die Leute in der Hafenkneipe zu unterhalten. Es war nicht viel, es war auch keine dankbare Aufgabe. Aber es brachte ihm mehr als Gold. Es brachte ihm einen Ruf. Und das war genau das, was Dorn von ihm verlangt hatte. Seine Aufgabe war das Sammeln von Informationen. Und mittlerweile fand jede Neuigkeit ihren Weg an sein Ohr. Er wusste, dass es im Minental eine Schar Söldner gab, die die alte Burg hielten. Die gegen die Orks kämpften und gegen den Schatten des Vergessens. Er wusste, dass Emil, der städtische Kämmerer, häufig in der Laterne verkehrte. Und er wusste, dass er in Sonja verliebt war. Und Legard wusste, dass Sonja das schamlos ausnutzte. Süße Sonja. Gestern Nacht noch hatte Legard bei ihr gelegen. Süße Sonja. Ihre weiche Haut, ihre festen Brüste ließen ihn all seine Sorgen vergessen. Legard wusste das einzuschätzen. Es war ihr Beruf, wie er seinen hatte. Und Legard wusste viel. Doch was er jetzt erblickte, ließ den Banditen inne halten.
Inmitten des grauen Pulks lebloser Fratzen erblickte er ein Gesicht, das er nur allzu gut kannte. Ein Gesicht, mit dem er Erinnerungen verband, die urplötzlich in seinem inneren aufflackerten. „Waylander“, stieß er ungläubig hervor. Zu laut. Der nur wenige Meter vor ihm stehende Krieger schnellte herum. Nicht weniger schnell drehte Legard seinen Kopf, blickte auf den Boden. Er war es, kein Zweifel.
Waylander
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„Wir haben Bier und Wein.“
„Was ist mit Nebelgeist?“
„Mit was?“
„Mit Nebelgeist aus Nordmar.“
„Wir haben Bier und Wein.“
Das Gespräch ergab wenig Sinn. Waylander bestellte zwei Bier. Während er wartete, ließ er seinen Blick durch den Raum wandern. Orks. Die Menschen interessierten ihn wenig. Die Halsabschneider hatte es auch früher schon gegeben. Die wenigen Bauern saßen zusammen an einem Tisch. Vermutlich die einzigen, die ihren Lebensunterhalt nicht mit Rauben und Morden bestritten. Waylander erkannte solche Dinge schnell. Abgewetzte, leichte Kleidung. Die Buckel krumm, der Blick auf den Humpen Bier gerichtet. Wenn sie sprachen, dann gedämpft, der Kopf hob sich nicht.
Dann gab es die Draufgänger. Die Waffen glänzten, selbst im Schaft. Die Rüstungen waren auf Hochglanz poliert. Die Füße ruhten auf dem Tisch, der Sitz war lässig, arrogant. Die Unterhaltung beinahe ohrenbetäubend. Jeder Besucher der Taverne konnte ihre Gespräche mithören. Teils war der Inhalt obszön, teils prahlten sie mit ihren Taten. Bubis, die noch nie eine wirkliche Schlacht erlebt hatten.
Und dann gab es jene, die schon zu viele gesehen hatten. Zu viel Leid und Tod, zu viel Blut. Die Freunde verloren hatten, Familie.
Und es gab diejenigen, die rittlings auf dem Stuhl saßen. Deren Hand nie weit weg war von dem Schwert, das unauffällig am Gurt hing. Deren Blick klar war, die Ohren durch die Kapuze gespitzt. Waylander wusste, auf wen er zu achten hatte. Er war einer von ihnen.
„Setzen wir uns“, sagte Anne, der Waylander einen Humpen gereicht hatte. Sie suchten sich einen Tisch, nahmen Platz und tranken. Das Bier schmeckte wässrig, und Waylander hoffte, dass der Wirt es nur mit Wasser gestreckt hatte.
Die Gespräche verstummten. Etwas tat sich. Ein Mann mit Kapuze und einem grünen Mantel bahnte sich den Weg durch die Tische und Stühle. Als er an der Wand war, dreht er sich um. Waylander konnte sein Gesicht nicht erkennen. Doch nachdem alle ihn gespannt anstarrten, schätzte der Krieger, dass es ein Barde sein musste.
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Legard hätte aufgeregter kaum sein können. Eigentlich hatte er sich schon das zurecht gelegt, was er vortragen wollte. Ein Lied über den Krieg, ein zugegebener Maßen glorifizierende Stück von Meister Dumak. Und ein Lied, das versauter nicht sein konnte. Aber was sollte man einem solchen Publikum anders präsentieren. Das mochten die Leute. Doch er wusste, dass er sich etwas einfallen lassen musste.
Ja. Er hätte auch einfach hingehen und Guten Tag sagen können. Doch was wusste er schon. Waylander war ein gesuchter Mann. Die Orks in Myrtana hatten ein unverschämt hohes Kopfgeld auf ihn ausgesetzt. Und wer immer auch diese Frau an seiner Seite war. Sie war in Gefahr. Daher sollte er als bunter Hund vielleicht nicht die Aufmerksamkeit irgendwelcher Umstehender auf die beiden lenken.
Legard nahm die Laute in die Hand, sanft ließ er seine Finger über die Seiten gleiten. Der Ton war richtig, die Melodie würde Melancholie verströmen. Etwas Trauriges, eine Hommage an die Zeit vor den Orks. Eine Erinnerung. Längst verweht.
„Einst war ein Land
So grün und unbekannt.
Voller Leben und mehr,
Ein Ort aus Stolz,
ein Hort aus Holz,
zu leben war schwer.
Gefahr kam über Nacht,
am Ende die Schlacht,
wer lebt und wer nicht mehr.
Ein Ort aus Stolz,
ein Hort aus Holz,
zu leben war schwer.
Am höchsten Punkt,
du erlebst einen Fund,
nirgends findest du mehr.
Nach Norden der Pfad,
befolg meinen Rat,
es ist nicht schwer.
Ein Ort aus Stolz,
ein Hort aus Holz,
zu leben war schwer.
Einst hausten Banditen dort,
an jenem Ort,
ich kann nicht sagen mehr."
Der Applaus war spärlich. Legard war es egal. Er hoffte, dass Waylander verstanden hatte. Der Barde schlug erneut an. Das Lied über den Krieg war freundlicher, heroischer. Waylander würde verstehen. Die Menge verstand. Das nächste Lied war mehr nach ihrem Geschmack. Im Dunst und dem Gegröhle verlor der Barde den Überblick.
Waylander
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Der Atem stockte beim Blick in das Gesicht des Barden. Ja, Waylander erkannte ihn. Legard. So manche Schlacht hatte er mit ihm geschlagen. So manches Bier gezischt. Legard war ein Barde.
Aber er war auch mehr, ein Kamerad gewesen in dunklen Zeiten. Waylander erinnerte sich an ihren Abschied. Er erinnerte sich an die Okrs, die Überfälle und die düsteren Stunde unterhalb des Berges, als er seine Rüstung fand. Die Rüstung der Löwen von Varrant. Die Rüstung mit dem Fluch und der ewigen Bindung. Waylander erinnerte sich an das Versprechen, das er dem Geist gegeben hatte. Er würde es nie vergessen. So lange er lebte. Und – wie er wusste – darüber hinaus ebenfalls nicht.
Anne trank ruhig ihr Bier, während der blonde Bandit neben ihr unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte. Die Antwort lag so nah. Er ahnte es. Der Barde spielte, die Worte drangen an sein Ohr. Es war, als würde die Zeit stillstehen.
Die Gesichter verschwammen. Nur noch Schemen. Unsichere Bewegungen, kaum wahrnehmbare Geräusche. Nur das Lied. Die Melodie. Der Text.
Waylander lauschte. Er verstand. Er hörte. Er verstand. Er ging auf in dem Lied, den Worten untermalt mit der Melodie aus einer anderen Zeit. Waylander verstand.
„Hey“, sagte Anne, „das war schon etwas komisch, oder?“ Waylander sog die rauchgeschwängerte Luft tief ein. Er stopfte sich selbst eine Pfeife. Zündete den Tabak an, ohne lange über die Frage nachzudenken, sagte er: „Nein, war es nicht.“
Er blies den Rauch in die Luft, widersetzte sich dem Drang, aufzustehen und dem Mann in die Arme zu fallen. „Ich weiß, wo wir hin müssen“, sagte er. Anne runzelte die Stirn. „Hast du das auf dem Boden des Kruges entdeckt? Wir müssen zum Hof. Selbst ich weiß, wo der liegt.“
Waylander grinste. Er zog an der Pfeife und ließ den Rauch genüsslich durch die Nase frei. „Nein, die Richtung stimmt“, sagte der Söldner. „Aber wir müssen nach Norden. Auf den höchsten Punkt“, sagte er. Er wandte seinen Kopf, senkte seine Stimme und blickte Anne tief in die Augen: „Einst lebten Banditen dort“, sagte er. Und Anne verstand.
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Noch nie hatte Anne so viele Orks in der Stadt gesehen. Wenigstens waren sie friedlich, aber das war ein Grund mehr die Stadt so schnell wie möglich zu verlassen. Auf Ways Rat hin besorgten sie sich auch noch etwas Proviant auf dem Marktplatz und verließen die Stadt durch das nördliche Tor.
Das war am Morgen gewesen. Gegen Mittag erreichten sie Orlans Taverne. Dort tranken sie ein kühles Bier. Anne erkundigte sich ob in letzter Zeit etwas besonderes passiert wäre. Überfälle von Orks oder Banditen?
Der Wirt lachte laut. "Du warst wohl schon lange nicht mehr hier in der Gegend? Seit der Orkinvasion vor einigen Jahren gibts hier ständig Überfälle. Die Orks sind aber weniger geworden. Ich glaube die meisten haben sich ins Minental versammelt.
Anne hatte keine Angst vor den Grünfellen, aber sich mochte sie auch nicht. Sie stanken fürchterlich, aber das war nicht der einzige Grund warum sie die nicht leiden konnte. Ihrem Begleiter schien das alles ziemlich egal zu sein. Er wollte zur Banditenburg und das so schnell wie möglich. Was versprach er sich davon? Hatte er da im Turm einen Schatz versteckt? Der Mineneingang konnte es kaum sein, der war verschüttet worden, damals ... erinnerte sie sich. Sie wanderten weiter.
Die Hütte mit dem Vorposten war nicht besetzt. Das hieß aber nicht das sie unbewohnt war. Vielleicht gab es eine einfache Erklärung dafür.
Dann war es nicht mehr weit. Nur noch den Feldweg entlang und kurz vor dem Hof, blieb Anne stehen.
"Willst du wirklich jetzt noch in der Nacht zur Burg hoch? Wir könnten die Nacht auch in der Taverne des Großbauern verbringen. Ein Gutes hätte es. Orks gibts da ganz bestimmt keine. Die Söldner haben sie bestimmt alle verjagt."
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Nach dem Besuch in der Taverne schlugen sie den Weg zum Hof ein. Waylander kannte ihn. Er hätte ihn blind gehen können. Die Erinnerung war teils verschwommen wie der Blick durch milchiges Glas. Mit jedem Schritt kehrten die Bilder zurück. Mit jedem Meter waberten neue Geräusche an sein Ohr. Fremd und doch gleichsam vertraut. Ein Wolf heulte in der Ferne. Ein altes Tier auf der Suche nach seinem Rudel.
Anne und der Krieger hatten wenig gesprochen. Weder nach dem Besuch in der Stadt noch nach der Rast in der Taverne. Der Himmel hatte sich verdunkelt, und ein kühler Nordwind fegte über das einst so stolze und geheimnisvolle Land. Früher war das so etwas wie seine Heimat gewesen.
Dort auf den Felsen hatte er mit Razor den Schwertkampf geübt. Auf dem Plateau hatte Odie ihm das Jagen beigebracht, und allein Beliar wusste, wo er mit Nicmaster während seiner Ausbildung zum Bogenschützen herumgekommen war. Er hätte hier jeden Stein kennen müssen, jede Kurve, jeden Baum. Doch das war nicht so. Die Orks hatten ihre Spuren hinterlassen. Einst feste Mauern waren niedergerissen. Grünspan bildete sich auf dem Holz der Hütten. Das Jägerlager am Eingang zum See war zerstört. Nicht erinnerte mehr daran, dass hier einst Scharen von Jägern Tiere zerlegt und sich am Lagerfeuer in kalten Nächten mit Geschichten unterhalten hatten.
Sie passierten die Hütte am See, der ehemalige Vorposten. Sie stand noch, wenn auch seit ewigen Zeiten niemand mehr hier gewesen zu sein schien. Die Fenster waren zerbrochen. Scherben glitzerten im Mondlicht wie Silbertaler.
Waylander wirkte fiebrig. Annes Frage hatte er zur Kenntnis genommen.
Doch sie verstand es nicht, selbst Waylander verstand es kaum. Legard lebte, ja. Doch was war mit den anderen. Was war aus den Winterkriegern geworden, jenen Männern, die er mehr als alle anderen zuvor in Gefahr gebracht hatte? Die ihr Leben für ihn gegeben hätten. Und haben. Waylander wollte mehr als alles andere wissen, dass es ihnen gut ging. Dass sie sich behauptet hatten. Anders als Kire. Der tot war. Anders als Hirni, der verschollen war. Anders als Stoffel, der sein Dasein über das der anderen gestellt und den tiefen Gedanken hinter den Kriegern mit Füßen getreten hatte.
„Du hast vermutlich Recht, wir sollten rasten“, sagte Waylander schließlich. Sie waren der Burg so nahe. Doch wenn Waylanders Erinnerung ihn nicht betrog, war der Aufstieg schon bei Tag gefährlich. Und wenn er weiter hoffen konnte, war die Burg bewohnt. Bewohnt von achtsamen Menschen, die auch im Dunkeln herannahende Besucher mit Pfeilen willkommen heißen würden. Und zu allem Überfluss wusste Waylander auch nicht, wie die Krieger auf seine Rückkehr reagieren würden. Sie hatten sich in Freundschaft getrennt, ja. Aber das war lange her. Und wenn Legard ihn in eine Falle gelockt hatte.
An dem Felsmassiv, das einst den Eingang zur Schürfermine dargestellt hatte, setzte sich der Krieger auf einen Stein. „Hier wäre ein guter Ort. Ich will nicht auf den Hof. Zu viele Erinnerungen“, sagte er. Das klang platt, war aber durchaus ernst gemeint. Schließlich hatte ihm der Weg hierhin schon Schmerzen bereitet. Hier war er fortgerissen worden, aus seiner Heimat. Hoch oben am Pass gefallen, begraben unter Fleisch und Blut. Gefangen genommen, in Ketten zur Knechtschaft gezwungen, während die widerlichen Tiere über seine Hütten, seine Freunde hinwegfegten.
Er holte tief Luft. Ihm war schwindelig. Anne hatte etwas Reisig gesammelt und entfachte ein Feuer. „Wir sollten was essen“, sagte sie. Waylander nickte. „Ich gehe gleich, mal sehen. Früher konnte man in diesen Wäldern immer etwas Wild finden“, sagte er. Manchmal fand man aber auch andere Dinge. Und Wesen.
Er wusste nicht, wie ihm geschah, als plötzlich der Boden zu explodieren schien. Anne schrie auf, Waylander wurde einige Meter durch die Luft geschleudert. Instinktiv zog er die Arme vors Gesicht, die Knie an, so dass er auf dem Boden abrollen konnte. Er brauchte einige Herzschläge um sich zurecht zu finden. Dann sah er es.
Anne hatte ihren Säbel gezogen, in der anderen Hand hielt sie einen Holzscheit, mit dem sie wild herumfuchtelte und Schlieren in der Luft hinterließ.
Waylanders betastete seine Stirn, Blut klebte. Er war noch etwas wacklig auf den Beinen, zog aber Snaga beinahe schon instinktiv aus dem Lederschaft.
Das was sowohl Anne als auch er für Geröll der eingestürzten Mine gehalten hatten, war Steingolem. Waylander hatte sich auf ihn gesetzt und Anne ihn mit dem Feuer vor der Nase offenbar gereizt.
Waylander stürmte nach vorne, duckte sich rasch unter dem Arm des Golems hindurch und versetzte ihm einen Streich an den Oberkörper. Die Kraft des Schlages schien auf Waylander zurück zu prallen. Es fühlte sich an, als hätte er mit Snaga gegen eine Mauer getrommelt. Der Krieger warf sich zur Seite, um nicht von den Pranken des Viehs erschlagen zu werden, die wahrhaftig genau an der Stelle den Staub aufwühlten, an der Waylander kurz zuvor gestanden hatte. Anne und der Banditenhauptmann umkreisten ihren Gegner. Das würde nicht einfach werden.
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Was für eine Situation. Der Piratin war klar, dass sie mit ihrem Säbel gegen dieses Ungeheuer aus Stein nicht viel ausrichten konnte. Zwei, drei Schläge machten es höchstens stumpf. Dazu kam es erst gar nicht, denn sofort schlug ihr der Golem die Waffe aus der Hand. Glücklicherweise reagierte sie schnell genug und rollte sich zur Seite. Auf dem Feld lagen einige größere Steine herum, die Anne nun aufsammelte und den Golem damit bewarf. Viel nützte das allerdings auch nicht. Aber es half wenigstens ein bisschen ihn von Way abzulenken.
Anne schaute sich um und dann entdeckte sie eine alte verrostete Spitzhacke am Mineneingang liegen. Der Griff sah nicht mehr sehr stabil aus, aber einen Versuch war es wert. Weiterhin Steine auf den Golem werfend näherte sie sich der Spitzhacke. Das war nicht so einfach denn es galt eine Strecke von zwanzig Sie umfasste den Griff und sprintete sofort auf den Golem zu. Als sie zum Schlag ausholte löste sich das Eisen vom Stiel und flog in rotierenden Bewegungen auf den Kopf des Steingolems zu und trennte den Kopf von Körper. Wer jetzt gedacht hat der Körper würde in sich zusammen fallen, sollte eines besseren belehrt werden. Wütend stapfte die kopflose Gestalt auf Waylander zu.
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Aufbruch
Sie hatten ihre Sachen gepackt. Am vergangenen Wochenende hatte sich herausgestellt, dass jemand von der Stadtwache Steckbriefe von dem Großen raus gehangen hatte. Das bedeutete, dass keiner der beiden der korrupten Stadtwache noch vertrauen konnte. Nicht dass man ihr schon vorher nicht trauen konnte, doch jetzt mussten sie beide auf der Hut sein. Sein Kopfgeld lag deutlich höher als das von Dennik. Somit gab es niemanden mehr, der hinter ihnen stand, wenn es um die Fahndung nach Dennik ging. Jedenfalls zögerte dieses Problem auch noch ihre Abreise hinaus, was Rethus minder gefiel. Aber nun hatte es der Große geschafft, unbemerkt die Stadt zu verlassen. Der Glatzkopf traf sich soeben mit ihm.
„Hatte dir der Kartenzeichner helfen können?“ fragte der Große, aber mit etwas Desinteresse in der Stimme.
„Nein, er wollte mir auch versichern, dass es niemanden auf Khorinis gäbe, der mir dabei helfen könnte“, antwortete der Grufti. „Schließlich kämen alle zu ihm, um sich selbst geografisch fortbilden zu können… meint er zumindest. Ein arroganter Vogel ist das in meinen Augen. Aber wenn selbst ein Kartenzeichner sagt, er kennt die Insel nicht, und ich habe seine Arbeiten begutachtet, die nicht zu verachten waren, dann lohnt sich das hier in Khorinis wirklich nicht. Eigentlich erwarte ich von niemandem, jemals etwas über Anguriano zu erfahren.“ Rethus dachte daran, wie Ulgrad so gut wie die gesamte Insel dem Erdboden gleich gemacht hatte. Wie sollte es denn dann noch Zeugen von diesem Eiland geben? Der Einzige, der von der Insel wusste, war sein Vater.
„Lass uns zum Minental aufbrechen“, unterbrach der Große die Stille. „Wir sollten Elster nicht warten lassen.“
Der Grufti erinnerte sich an den Kelchzug. Sie würden nun einem Gebirgspfad folgen, wie damals schon. Vielleicht erreichten sie noch diese Nacht das Gasthaus ‚Zur toten Harpyie‘. Und den Tag darauf würden die beiden dann auch schon vor dem Pass ins Minental stehen.
Was sie aber dieses Mal erwarten würden, musste der Mantelträger noch auf sich zukommen lassen. Das letzte Mal ereilte ihnen eine Horde Echsenmenschen, eigentlich verbreiteten sich auch gerne Orks im Minental – und wenn man noch mehr Bock auf Action hatte, dann gleich her mit einem Drachen. Ja, das Minental bot eine ganze Menge Potential. Rethus grinste ironisch…
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Als das Schiff anlegte und Cyrith endlich wieder Boden unter seinen Füßen spürte, war er ziemlich erleichtert. Die Stadt Khorinis hatte sich vor ihm aufgebaut, eine Stadt? Oder besser das was davon übrig geblieben war. Die Stadt wurde zwar immer noch bewohnt aber dort trieb sich nur noch Gesindel und Abschaum herum. Egal ob Mensch oder Ork. „Pass auf das du hier niemanden schief anschaust, ich glaube ein dummer Blick reicht schon und wir sind Blutleere Leichen“ grummelte der Dieb.
Lange würden sie hier eh nicht verweilen das war klar. Immerhin wollte er in eine Stadt wo sich das stehlen auch lohnte und das war Drakia. Nur das sie davor durch das Minental mussten und dieses war hinter der Stadt. Viele Geschichten und Legenden rankten sich um diese alte Kolonie und er war gespannt wie viel davon noch übrig gewesen war. Ob Rethus noch hier war oder schon in irgendeiner Art aufgebrochen war?
Die wenigen Typen die hier waren sahen entweder wie irgendwelche Abenteurer aus oder knallharte Kerle mit denen man sich besser nicht anlegte. Cyrith seufzte und blickte auf ein Gebäude das vielleicht eine Art Schutz für die Nacht bieten könnte. Die Gebäude selber sahen nicht wirklich schön aus, schon lange haben sie die Farbe ihrer Schönheit abgelegt und sie mit der schmutzigen Hässlichkeit getauscht. Ihm war es gleich, die Leute waren geflohen so viel wusste er.
Er ging mit Keala in eine alte Hütte, wahrscheinlich war das früher hier mal das Hafenviertel. „Nun Planen wir und besprechen etwas Theorie. Wen wir in irgendein Gebäude einbrechen müssen wir ein paar Dinge beachten, kannst du mir sagen welche Dinge das deiner Meinung nach sind?“ fragte der Dieb und lehnte sich gegen die Wand, während er den Eingang bewachte.
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Auf dem Schiff hatte man Kea auf Nachfrage diverse kuriose Mittelchen gegen Seekrankheit genannt. Der Koch zum Beispiel hatte ihr vorgeschlagen, Cyrith an einer sauren Essiggurke lutschen zu lassen, woraufhin die Matrosen gekontert hatten, sie sollte ... lassen wir das. Zwieback war ihr geraten worden, Ablenkung vom Wellengang, irgendein seltsam aussehender Matrose hatte sogar irgendwas mit Nadeln angedeutet. Kea hatte es schließlich zur Gänze sein lassen, zumal sie bezweifelte, dass Cyriths Zustand sich durch Alkohol verbessern würde. Wenn man recht überlegte, hatte es bei Bardasch ja auch nicht funktioniert.
Verfallen war die Stadt, wirkte düster. Hässlich waren die Fassaden geworden, schimmerten manchmal noch stellenweise von verlorener Pracht. Viel war nicht los, und wer sich auf der Straße befand, sah nicht gerade freundlich aus. Kalt war die Umgebung, kalt war der Umgangston wohl. Unwillkürlich griff die ehemalige Sklavin an ihren Gürtel, doch die Scheide mit dem Säbel ruhte unter der Erde, in Ölhaut eingewickelt, vor Thorniara. Diese blöden Innosler! Wer kam denn bitte außer denen auf diese überaus glorreiche Idee, Besuchern die Waffen abzunehmen, wenn man den einzigen richtigen Hafen hatte?! Immerhin hatte sie noch das dritte Wurfmesser im Stiefelschaft. Auch die anderen beiden ruhten vor Thorniara vergraben. Bewaffnet mit nur einem Dolch hier im herrenlosen Land. Großartig.
Cyrith steuerte eine Gegend mit besonders verfallenen Hütten an. Nervös blickte Kea sich um, wurde sich ihrer eigenen Wehrlosigkeit gewahr. Dämliche Stadtwachen vor Thorniara, einfach hirnrissig, sowas konnte man doch nicht durchziehen ... Er betrat ein Haus, winkte sie hinein, als sie zögerte, dann blieb er im Türrahmen stehen. Theorie? Also gut, wie er meinte ...
»Man sollte leise sein, und sich sicher sein, dass niemand im Haus ist ... oder dass die im Haus auf keinen Fall aufwachen, wenn man drin ist. Außerdem sollte man wegen der Nachbarn im Dunkeln arbeiten ... kann man da keine Kerze nehmen? Die ließe sich doch abdecken ... ach ja, und man sollte nichts von sich hinterlassen und alles so zurücklassen, wie man es vorfand, dann macht niemand sofort Panik und man gewinnt Zeit. Und einen Hehler sollte man lieber schon vorher kennen.«
Fragend blickte sie den Lehrer an, nach der Sache mit der Kerze. Ein wenig Licht wäre doch nicht verkehrt, oder? In pechschwarzer Dunkelheit konnte doch sicher nicht einmal er arbeiten.
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