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Kialar wunderte sich nicht lange über die Gereiztheit seines Lehrmeisters und schnappte sich die Schatulle, während Nero von dannen zog. Er hatte also endlich wieder eine neue Aufgabe, in die er seine angesammelte Energie hineinstecken konnte. Seine Konzentration und seine magischen Fähigkeiten hatten sich im Zuge des Erlernens der Manipulation der Kerzenflamme steigern können, aber auf Dauer war die Übung mehr und mehr zu einem Geduldsspiel geworden. Perfektionismus, der wohl zur Disziplin der Magie gehört, war in solch kleinen Aufgaben wohl keine Grenzen gesetzt, jedoch war dies eine spezielle Eigenschaft, die den Wüstensohn nicht wirklich auszeichnete. Eine gewisse Beharrlichkeit und Ehrgeiz steckte in ihm, dieser übertriebene Fokus auf die immergleiche Aufgabe haderte aber unwillkürlich mit seiner Ungeduld. Somit waren Stunden um Stunden damit zugegangen, dieser Lage Herr zu werden und er hatte dies auch geschafft, war aber dennoch froh, nun einen neuen Zauber zu lernen.
Die Schatulle wirkte relativ robust und das Schloss recht komplex, sodass sich der Wüstensohn erst einmal alles genau ansah, bevor er langsam seine magischen Fühler ausstecken würde. Es dauerte eine Weile, bis sich Kialar mit dem kleinen Behälter auseinander gesetzt hatte, dann dachte er darüber nach, wie er hier am besten zu Werke ging und rief sich noch mal die Worte Neros zu Gedächtnis. Dann begann er.
Ihm war in etwa klar, wie der Vorgang des Versiegelns theoretisch vonstatten ging, doch die Ausführung war etwas vollkommen Neues für ihn. Wie Nero gesagt hatte, musste er die Kräfte nun vollends aus sich selbst ziehen, um erst danach die Magie weben zu können, die dieses Kunststück vollbringen sollte. Er stellte sich noch einmal die Flamme der Kerze vor, die Wärme und die Hitze, das Flackern des Lichtes, das geheimnisvolle immerwährende Brennen, um dann selbst die Flamme hervorzurufen. Überraschenderweise klappte das auf Anhieb. Es war nur ein kleiner Funken, doch mit etwas Energie könnte er diesen vergrößern und die Feuer- und Leuchtkraft verstärken. DAS hatte er im Moment aber nicht vor.
Der nächste Schritt war das eigentliche Problem. Er musste die Hitze irgendwie dazu verwenden, die einzelnen Verschlussteile der Kiste dergestalt zu schmelzen oder so zu verweben, dass es weder für einen Schlüssel, noch mit einfachen Tricks – auch magischer Natur – möglich war, das Schloss zu öffnen. So begann er das Eisen mithilfe der Flamme zu erwärmen, erreichte aber nur den Effekt, dass es leicht rötlich und heiß wurde. Entweder er machte etwas falsch oder seine Flamme war einfach nicht groß genug.
…und noch einmal versuchte er dasselbe, doch es reichte einfach nicht aus, das erwünschte Ergebnis zu bringen.
Grübelnd saß er da, während die Nacht um ihn herum immer dunkler zu werden schien und alles, was sich außerhalb dieses Problems befand ausgeblendet war. Unbewusst begann er Lied aus seiner Kindheit zu summen und versuchte mit Eifer dieses Puzzle zu lösen.
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Thorwyns Schritte wurden langsamer, während er sich umsah und hierhin und dorthin drehte. Er war der Straße nach Westen gefolgt, wie Medin es ihm gesagt hatte, und musste nun in der Nähe des Treffpunktes sein. Nur noch die Schlucht musste er in dem hügeligen Gelände ausfindig machen, doch der Regen und ein leichter Nebel, der von den Niederungen aufstieg und die Sicht in allzu großer Nähe begrenzte, erschwerten die Orientierung in dieser für Thorwyn weitgehend unbekannten Umgebung. So stapfte er suchend über Gras und Schlamm, während Parceval geduldig hinter ihm hertrottete.
Wo ist das nur?, dachte er mit einem Anflug von Missmut. Wäre da nicht die Aussicht gewesen, diese ganze Sache schon sehr bald hinter sich zu haben, seine Stimmung wäre wohl noch tiefer gesunken. Einmal mehr bedauerte er, dass der Sommer vergangen war, während er in den Minen Farings geschuftet hatte. Allzu oft verbarg sich die Sonne nun hinter einem grauen Schleier, der wenig Licht und noch weniger Wärme hindurchließ, während der ehemalige Sklave viel dafür gegeben hätte, sie öfter auf seiner Haut zu spüren. Doch wusste er jetzt zumindest, dass der Herbst und auch der Winter vergehen und dem Frühling weichen würden, so wie immer. Und dass er es miterleben konnte.
Was haben wir denn da? Eine Schlucht tat sich plötzlich vor Thorwyn auf, nicht besonders tief am Anfang, doch das schien sich zu ändern, wenn man weiter hineinging. Kurz überlegte er noch, dann packte er erneut den Zügel fester und verließ den Weg. Eine Schlucht, die in nordöstlicher Richtung abzweigte, hatte Medin gesagt … ja, das konnte hinkommen. Blieb nur noch zu hoffen, dass der ehemalige General ihn bei diesem Wetter auch sehen konnte; ansonsten würde er vielleicht rufen müssen. Zwar täte er das nur ungern, aber da er auf dem ganzen Marsch keinen anderen Menschen gesehen hatte, wäre es wohl auch nicht allzu gefährlich.
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San schlich durch den Wald. Schon vor ein paar Tagen war er weggelaufen. Mit Xorag und Rheinold durch die Gegend zu ziehen war eine Sache, doch mit wildfremden Leuten in den Krieg zu ziehen war etwas ganz anderes.
Die erste Zeit war er von dem hitzigen Hauptmann ständig beobachtet worden, doch dann nach einer Weile war er unaufmerksam gewesen und San konnte fliehen. Er irrte seitdem durch die Gegend, nicht wissend wo er war. Er hatte sich nur von Nüssen und Pilzen ernährt, war schlapp und hungrig. Zum Glück ging es da Sir Rufus besser. Dieser hatte einige Insekten gejagt und immer in Sans Tasche geschlafen.
Jetzt war es schon dunkel, doch San wollte nicht schlafen, bevor er eine Höhle oder etwas ähnliches gefunden hatte. Er musste ziemlich heruntergekommen aussehen, da er unrasiert und ungewaschen war und seine Hosen waren an den Knien gerissen.
Durch die Gegend stolpernd suchte er gleichzeitig Anzeichen für menschliches Leben, wie etwa Lichter oder ein Haus.
Keuchend brach er durchs Unterholz und trat auf ein Feld.
Blinzelnd sah er sich um. Der Mond war eine glänzende silberne Scheibe, die gespenstige Schatten auf die Umgebung warf. Mitten auf dem Feld stand ein Bauernhaus.
Das Bauernhaus, vor dem sie vor einiger Zeit gegen Feldräuber gekämpft hatten. Und am ganz in der Nähe standen zwei Krieger, die eines der Rieseninsekten umzingelt hatten und es bekämpften. Es schienen Xorag und der Paladin zu sein.
Das Wiedersehen und erreichen seines Zieles gab San Daran neue Kraft und das Schwert ziehend rannte er den beiden zu Hilfe.
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Es war eine feuchte, kühle Herbstnacht, die schon den nahenden Winter erahnen ließ. Das Heerlager außerhalb Farings war von zahllosen Fackeln erleuchtet und verschiedenen Geräuschen - von Gemurmel bis entferntes Scheppern – erfüllt. Das Lager, wo sich Nero und Kialar niedergelassen hatte, war in wohl weißlicher Überlegung ein wenig außerhalb des ganzen Geschehens errichtet worden. Nero, der vor einiger Zeit, erst kurz nach Anbruch der Dunkelheit, nach Faring beordert worden war, hatte damit den Adlatus davor schützen wollen, zu sehr in das Belagerungsgeschehen hineingezogen zu werden, damit er sich vollends auf seine magische Lehre konzentrieren könne. Das gelang auch ganz gut.
Der Wüstensohn saß indes auf einem Baumstumpf und knabberte lustlos an einem harten Brot, während seine Augen ins Leeren starrten. Magie zu wirken war eine größere Anstrengung, als er sich jemals vorgestellt hätte. Die Zeit, die er nun schon am Ausführen des Versiegelungszaubers gebraucht hatte, war wie im Fluge vergangen, doch nachdem einige Versuche ziellos ausgegangen waren, hatte ihn seine Kraft verlassen.
Die Pause tat gut, doch seine Gedanken von dem magischen Problem zu lösen, war schwierig, dabei hatte er das wirklich nötig, um sich wieder vollkommen zu regenerieren und von Neuem den Zauber zu wirken.
Vergebens suchte er eine kleine, entspannende Beschäftigung. Wenn er nur irgendein Instrument hätte oder sonst etwas, mit dem er sich ablenken könne. Als Kind hatte er ganz gerne auf der Flöte oder Laute ein paar Lieder hervor gezaubert, doch seitdem er unterwegs war, schien ihm die Verspieltheit und überhaupt seine Heiterkeit abgekommen zu sein. Mit einem Ruck stand er auf, während er einen Beschluss fasste…
Die Nächte in dem Heerlager dienten vielen Soldaten und Rekruten als Zeit der Entspannung, oder anders ausgedrückt: Als ideale Zeit, sich zu betrinken, Würfelspiele zu veranstalten oder mit ihren Tageserlebnissen zu protzen.
…und für einige vielleicht auch zu musizieren. Kialar ließ sich ganz von seinem Gehör leiten und hatte bald das Zupfen auf einer Gitarre erlauscht, um nur kurz darauf diesen erfrischenden Tönen zu folgen und ein kleines Lager von Nordmannen zu erreichen. Nur ein einziger Mann, der im Schatten des Fackellichtes, kaum zu erkennen war, klimperte auf einer kleinen Laute eine etwas traurige Melodie dahin. Als der Wüstensohn zu ihm trat hielt dieser inne und fragte misstrauisch „Hm, wer da?“
„Kialar, mein Name…ich kam nicht umhin, dein Lautenspiel zu hören.“, antwortete der Adlatus und trat einen Schritt näher, um sich nach einer einladenden Handbewegung des Fremden auf eines der Felle, die rund um ein Lagerfeuer verstreut lagen, zu setzen. Nachdem er sich besser an das Licht gewöhnt hatte, konnte er auch das Haupt des Nordmannes erkennen. Ein wilder Bart stand struppig um sein Kinn und seine Haare hatten wohl auch schon lange keinen Kamm mehr gesehen, wodurch seine Gesichtszüge auch eine ganz spezielle Härte zeigten. Ohne sich weiter um Kialar zu kümmern saß der Fremde, barfuss und die Füße auf einen Hocker verschränkt, da und spielte weiterhin das melancholische Lied auf seinem Instrument. Der Wüstensohn versank regelrecht in dieser so seltsamen, zerbrechlichen und hypnotischen Melodie und war endlich frei von den Gedanken, die ihn die letzten Stunden geplagt hatten, ohne dieser Sache natürlich in diesem Moment bewusst zu sein.
Erst als das Lied zu ende war, wachte er wieder aus diesem merkwürdigen Trancezustand auf und wusste nicht so recht, ob er klatschen oder den Mann loben sollte.
Er entschied sich letztlich zu folgenden Worten „Ein interessantes Lied…wovon handelt es?“
„Hmpf…“, meinte der Fremde und Kialar befürchtete schon, er hätte was lächerliches gesagt, doch der Mann sprach weiter „…eisige Steppe, Schnee bedeckte Hügel, ein Lagerfeuer im Freien, such dir was aus.“ Der Nordmann grinste, aber irgendwie kam es dem Wüstensohn nicht wie ein fröhlicher Gesichtsausdruck vor, eher wie ein bitteres Lächeln, als spräche man von Dingen, die schon längst verloren waren.
„Das mag seltsam klingen, aber du hast nicht zufällig eine Flöte, die du mir borgen kannst?“, fragte er ihn schließlich.
„Hehe, eine Flöte…viel zu fröhlich, wenn du mich fragst…“, meinte sein Gegenüber, doch stand er tatsächlich auf, kramte ein wenig herum und plötzlich flog dem Wüstensohn eine Flöte entgegen, die er nur mit Glück fing.
„So, ich brauch das Ding nicht mehr, ist sowieso schon alt, kannst es also haben…aber dafür will ich ein Lied hören, du Sohn der Wüste.“, erklärte der Mann.
„Woher…?“, erwiderte Kialar verdutzt.
„Hör Mal, nur weil du irgendeinen Myrtanafummel an hast, wird deine Haut nicht weißer…“
„Aha.“, lachte der Wüstensohn ob dieser verschrobenen Erklärung. „Na gut, ich hab zwar schon lange nicht mehr gespielt…“, was der Fremde mit einem „Jaja!“, kommentierte, woraufhin Kialar fortfuhr „…aber ich wüsste da was.“
Nach einem tiefen Atemzug fing er an ein Lied aus seiner Kindheit zu spielen und verlor sich schon bald in Wüsten und Oasen, in fröhlichen, unbeschwerten Zeiten und einem Heimweh, das er schon lange nicht mehr gespürt hatte. Er wusste eigentlich gar nicht, woher das Lied kannte, doch er spielte es überraschend gekonnt und fehlerfrei. Als er geendet hatte, entfuhr ihm ein Seufzer und der Nordmann sagte „Hm, kein schlechtes Lied.“
Der Wüstensohn blickte auf und bedankte sich. Dann erhob er und verabschiedete sich. „Gehab dich wohl, Fremder.“
„Ja, du auch, Sohn der Wüste, du auch…“
„…und danke nochmals.“, woraufhin Kialar auf die Flöte deutete. Er konnte nicht erkennen, ob der Fremde grinste oder nur zurücknickte.
Ein paar Schritte später fing der Nordmann wieder mit dem gleichen Lied an und Kialar lächelte, während er zurück zum Lager ging.
Im Lager angekommen, nahm er erneut die Schatulle in Händen, schaffte es aber nicht mehr, genügend Konzentration zu fassen, um das magische Puzzle anzugehen. Bald schon hatte er wieder die Flöte in Händen und spielte unbeschwerte Lieder von früher, die in die kühle Herbstnacht klangen und seinen Gedanken freien Lauf ließen.
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Gotha
Ein lautes Krachen erfüllte die Luft, kurz darauf schreckte der Ben Nathan hoch und sah sich, noch mit verschlafenen Augen, um. Der Bogner sah, obwohl er eigentlich mehr nichts sah, als dass er etwas sah, dass neben ihm die Achse eines Wagens gebrochen war. Thara richtete sich auf und merkte, dass scheinbar in einem Heuhaufen am Straßenrand genächtigt hatte, nicht sonderlich bequem, aber wenn man auf die schnelle nichts gefunden hat, war das durchaus eine plausible Alternative.
Während er dem Soldat mit dem Wagen half, die Waren abzuladen, sodass die Achse repariert werden konnte, dachte er daran, dass er gestern noch lange durch Gotha spaziert war und nach Nero gesucht hatte. Doch wie es aussah war er mit dem Hauptteil der Armee mitgezogen, um ein Heerlager vor Faring aufzuschlagen.
Thara kratzte sich am Kopf, "Seltsam eigentlich, dass ich das Heerlage nicht auf dem Weg hierher bemerkt habe...". Doch dieser Gedanke entschwand schneller als das Geld in der Börse einer Frau und er schulterte seinen Sack, um sich auf die Suche nach etwas zu essen zu machen.
Nach einiger Zeit hatte er eine Art provisorische Küche gefunden, doch der Koch schien sehr im Stress zu sein und kaum das Thara ihn angesprochen hatte steckte schon ein Messer in dem Balken, neben dem er gerade stand. Das veranlasste ihn dann doch zu einer eher früheren Abreise zum Heerlager, ohne vorher etwas zu essen.
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"Sicher, dass es nicht nur eine Beule ist?", fragte Ceron auf dem Weg zum verwundeten Soldaten. "Was hat euch hier getroffen?" - "Bolzen" - "Ein Streifschuss... Bolzen bohren sich sonst gerne durch die Schädeldecke. Nun, Melaine, eine Beule ist es tatsächlich nicht. Das ist ein Eitergeschwür. Wenn das seine Hirnmasse wäre, würde er uns wohl nichtmehr entgegen grinsen. Mann, das ist gar nicht zum Spassen, was ihr da mit euch rumschleppt." Der Hohepriester suchte nach seiner Satteltasche und zog das kleine Lederetui hervor. Auf dem Baumstumpf, wo Melaine eben noch die Salbe zubereitet hatte, rollte er das Etui auf und pickte sich die Instrumente heraus, welche benötigt werden würden.
Nachdem er sein Werkzeug gereinigt hatte, winkte er die beiden kräftigsten Soldaten zu sich und erklärte ihnen, sie würden ihren Kollegen stillhalten müssen. Zurück beim Verwundeten erläuterte er in etwa, was er tun würde und versprach dem Soldaten, dass es mehr schmerzen würde als das, was er im Krieg bereits an Verletzungen erlitten hatte. "Melaine, du hast doch handwerkliches Geschick... Wenn ich dir genau erkläre, was du zu tun hast - traust du dich, es selbst zu machen?"
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Der Anblick wurde dadurch nicht besser, dass er nicht das war, was die Magierin am Anfang gedacht hatte. Wenigstens schien damit sein Schädel noch heile zu sein, mehr noch, er hatte wahrscheinlich eine größere Chance, dass er diese Wunder überleben würde, vorausgesetzt, der erwählte Heiler beherrschte sein Handwerk.
Melaine betrachtete die beiden Soldaten, welche die Seiten des Verwundeten flankierten, eingehend. Es waren kräftige Burschen, um deren Brustkörber sich das lederne Wams spannte, als wollte es reißen. Der Tribut jenes Körperbaus war dann auch das beständige Ächzen des Leders.
Schließlich glitt ihr Blick zurück zu dem Hohepriester, der sicherlich wusste, was zu tun war. Es war keine Frage, ob sie es konnte, denn dies lag nicht an ihr. Es war eine Frage danach, wie schnell sie es lernen würde und ob die Grundlagen, welche sie besaß, ausreichen würden, daraus das nötige zu formen, nicht zuletzt, ob sie darauf vertraute, dass dem so sein würde.
Die grünen Augen fanden den Blick des Verwundeten, der grimmig drein blickte und der doch keine Anstalten machte, zu protestieren. Es schien ihm egal zu sein, so wie ihm die Wunde zuvor egal gewesen war. „Ja, ich traue es mir zu.“, antwortete Melaine schließlich mit fester und trat neben Ceron und seinem Werkzeug. „Was soll ich tun?“
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Schlachtfeld zwischen Montera und Gotha
Die Sonne war noch nicht untergegangen, als sie es vor sich sahen. Eine unbeschreibliche Anzahl von Leichen, Mensch wie Ork, die weit verstreut lagen und dem Boden eine neue Farbe gaben. Der Gestank war kaum auszuhalten. Jarvo schlug sich sein Halstuch vor den Mund und rümpfte die Nase.
"Hier scheint nicht mehr viel am Leben zu sein."
"Nicht wirklich."
Vögel kreisten über dem Feld und pickten sich ihr Abendessen aus den leblosen Körpern. Keine Regung war sonst zu sehen, nicht einmal der Wind schien Anstalten zu machen, den Duft in die Lande tragen zu wollen.
"Lass uns außen herum gehen. Ich will nicht durch ein Meer von Tod stapfen."
Das Schlachtfeld erstreckte sich weit und eine äußere Grenze schien es kaum zu geben. Doch ein bewaldetes Stück bot Schutz und schien weniger umkämpft gewesen zu sein. Immer noch erschrocken über das Ausmaß des Grauens gingen sie kopfschüttelnd voran und dankten Adanos, dass keiner dieser Kriegerbatallione sich nach Beria verirrt hatte.
"Psst." Jarvo hielt den Zeigefinger vor seinen Mund und deutete nach Norden zwischen ein paar alte Eichen. Etwas bewegte sich dort. Die beiden schlichen sich, geschützt vom Grün um sie herum, an und erspähten zwei Männer, die sich über irgendetwas unheimlich zu freuen schienen.
"Wir sind reich, Jasper. Reich verstehst du? Hab dir doch gesagt, dass für uns was abfallen wird. Und wen stört es schon, wo wir die Sachen her haben?"
Orthego griff wütend zum Schwert und war im Begriff aufzuspringen, doch Jarvo hielt ihm zurück.
"Leichenschänder", flüsterte Orthego, "sowas kann ich nicht ausstehen. Wir dürfen so etwas nicht zulassen."
"Nicht unsere Angelegenheit und nicht unsere Mission. Halte deinen Zorn im Zaum."
"Aber..."
Eindringlich sah ihn der Hauptmann an und brachte ihn zum Schweigen. Die beiden Diebe waren so euphorisch, dass sie nichts bemerkten und den klimpernden Sack, ihre Beute, lachen auf und ab wiegten.
"Glaubst du, jemand wird etwas merken, Jasper?"
"Ach, iwo! Und wenn schon. Beweisen kann uns keiner was."
"Was ist mit den anderen beiden? Ob die auch erfolgreich waren?"
"Wie kann man hier nicht erfolgreich sein? Müssten eigentlich gleich wieder da sein. Sind in diese Richtung abgehauen."
Der Dieb zeigte genau dorthin, wo die beiden Waldläufer versteckt waren. Schnell drehten Jarvo und Orthego sich um und sahen tatsächlich zwei Männer ihre Richtung einschlagen.
"Verdammt", flüsterte der Hauptmann.
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"Gut", konstatierte der Heillehrmeister. "Zuerst nimmst du diese Klinge und rasierst um die Wunde herum. Zwei Fingerbreit Abstand sollte mindestens sein." Es war gut, dass die Novizin in Sachen Heilkunde sich mit dieser einfachen Aufgabe etwas mit dem Patienten vertraut machen konnte. Es half definitiv, die Wunde bereits eine Zeitlang angeschaut zu haben, ehe man das scharfe Werkzeug ansetzte. Als man bereits eine helle Umrandung sehen konnte, reichte Ceron Melaine den hochprozentigen Alkohol zur Reinigung der Wundstelle. "Nun stell dir vor, du hättest eine Orange vor dir." Ceron demonstrierte das Vorhaben anhand eines Apfels. Vorsichtig schnitt er mit seinem Erzdolch einen Schnitz aus dem Apfel heraus. "So tief musst du etwa vordringen. Dann nimmst du die Klemme und öffnest damit das Geschwür. Es sollte bereits eitrige Masse austreten. Dann nimmst du diesen Löffel und schabst damit vorsichtig den Raum zwischen Schädelknochen und Haut aus. Dabei solltest du die Wunde stetig abtupfen, damit wir sehen was passiert, denn es wird viel Blut und sonstiges austreten. Schliesslich reinigst du die Wunde erneut... Das Zusammennähen erkläre ich dir dann, wenn es soweit ist."
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Ein neuer Abend war angebrochen und Kialar war noch immer dabei, das Problem des Versiegelungszaubers zu lösen. Er hatte wohl genug Ideen gesammelt und auch schon einiges ausprobiert, doch an der Durchführung haperte es leider noch etwas. Das Problem war nicht die Komplexität des Zaubers, sondern eher das nötige Fingerspitzengefühl, das nur durch höchste Konzentration aufgebracht werden konnte. So weit war der Wüstensohn jedoch noch nicht. Mit der Flamme, womit er dieses Rätsel lösen wollte, umzugehen verstand er inzwischen jedoch schon fast spielend.
Die Schatulle, dessen Schloss er durch einen Versiegelungszauber für fremde Hände unknackbar machen musste, kannte er inzwischen schon bis ins kleinste Detail und obwohl er in der Düsternis der Nacht nur das flackernde Licht der Fackel als Sichtquelle zur Verfügung hatte, fiel es ihm nicht schwer, ausreichend zu sehen, um weiterhin an seinem Puzzle zu hocken und magisch zu „werken“.
Der Tag war relativ schnell und ohne große Geschehnisse vergangen…
…wobei doch etwas Aufsehen erregendes geschehen war, was er aber nur aus den Augenwinkel und nebenbei mitbekommen hatte. Die Streitkräfte der Paladine waren eingekehrt, was ja auch kaum zu übersehen oder überhören gewesen war. Auffällig war nur, dass sie in einer seltsamen Art des Zuges marschiert war, der eher an einen Trauermarsch erinnert hatte. Kialars Neugier, die sonst eher recht groß gewesen war, hatte hier aber nicht überhand genommen. Zu seiner Schande überwog die Angst, in die Reihen der Schlacht bzw. der Vorbereitung auf diese – falls denn überhaupt eine stattfand, was er noch immer nicht genau erfahren hatte – gezogen zu werden und daran hatte er nun mal überhaupt kein Interesse. Somit war er den ganzen Tag völlig in seine magischen Studien vertieft gewesen.
Pausierend nahm er seine gestern erworbene Flöte zur Hand und fing an, experimentell – oder für andere wohl eher nervtötend – ein Lied vor sich hin zu spielen, ohne eine bestimmte Melodie im Sinn zu haben. Während er so dahin musizierte, an nichts denkend, blickte er wie nebenbei auf die Schatulle, als ihn ein Geistesblitz traf und gar trefflich niederstreckte. Das Instrument achtlos zur Seite legend, sprang er von dem Baumstumpf auf und hockte sich abermals zu dem Kistchen. Es war nicht weiter schwer, die kleine Flamme hervorzuzaubern, doch statt sie in Form einer Kugel zwischen den Schlossmechanismus zu zwängen – so wie er es bisher immer versucht hatte -, webte er sie nun in Form einer Schleife um das ganze Schloss herum, um sogleich die Hitze zu vertiefen und die einzelnen Metallteilchen zu verbinden bzw. zu verschmelzen. Dann konzentrierte er sich ganz auf sein Ziel, schloss die Augen und atmete tief ein, bevor er seinen ganzen Fokus auf den gerade ersponnen Versiegelungszauber legte. Es macht kurz Zisch und das Metall begann zu fließen und blubbern, dann hielt Kialar inne.
Er wagte einige Momente kaum, die Schatulle genauer zu untersuchen, doch seine Neugier obsiegte und mit einem heftigen Rütteln versuchte er sie zu öffnen und siehe da: Keine Chance! Er hatte es tatsächlich geschafft, die Schatulle war versiegelt.
Triumphierend stand er auf und ließ in seiner Euphorie das Kistchen fallen, um seinen ganzen Erfolg in einem einzigen Scheppern zu zerdeppern. Der Deckel der Schatulle sprang auf, während ein metallener Klick erklang und ein kleines Metallstück heraus geschleudert wurde. Beim genauer betrachten fiel ihm auf, dass er wohl zu wenig und zu schwache Magie gewirkt hatte.
„Naja…“, murmelte der Adlatus vor sich hin. „Immerhin ein Anfang.“ Genervt ließ er das Ding einfach liegen und kramte nach etwas essbarem.
„Für heute reicht’s…“
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Den Anweisungen des Hohepriesters folgend, rasierte die Wassermagierin vorsichtig die Haare um die Wunde herum, mit aller Vorsicht, die sie aufbringen konnte, um die Wunde nicht schon zuvor ausversehen anzustechen. Auch dies war eine Arbeit, der sie durchaus vertraut war, wenn es auch zu jenen Teilen des Barbierhandwerks gehörte, was sie nicht allzu häufig ausgeführt hatte. Dennoch blieb die Eiterbeule unberührt und auch sonst wie die nun von Haaren befreite Kopfhaut keinen Schnitt auf.
Leise seufzend legte Melaine die Rasierklinge beiseite, reinigte den Kreis und die Beule mit Alkohol und versuchte sich daran, das glühende Bild dieser gelben Kuppel als eine Orange vorzustellen. Es misslang, reichte aber, dass sie sich vorstellen konnte, was zu tun war.
Unruhig verzog der Soldat den Mund, als der Alkohol an die Beule kam und die Rothaarige hielt einen Augenblick inne, ehe sie fortfuhr mit ihrer Arbeit. Als er das dritte Mal zusammenzuckte, schaute sie ihn finster an. „Das tut sicherlich weh. Aber je eher ihr euch daran gewöhnt, desto weniger schwer werdet ihr es nachher haben.“, wies die Heilkunstschülerin den Verwundeten streng zurecht, „Es kann fatale Folgen haben, wenn ihr so viel zappelt.“
Einer der anderen Soldaten brachte einen Sattel, den man dem Verwundeten unter den Kopf legte, als dieser sich nach hinten lehnte. Die ihn flankierenden Soldaten gingen an ihre Position. Einer an jeder Seite des Mannes drückte sie kräftig auf Oberschenkel und Schulter. „Ein bisschen weiter links. Ich will mit die Arbeit mit seinem Arm nicht umsonst gemacht haben.“, sprach Melaine und deutete auf einen der Männer, der sofort reagierte und die Hand an einer anderen Stelle legte.
Respektvoll nahm die Magierin schließlich die scharfe Klinge aus der dargereichten Hand ihres Lehrmeisters und betrachtete die Beule ein letztes Mal, ehe sie das Messer langsam ansetzte. Vorsichtig übte sie mit der freien Hand Druck auf die Stirn des Patienten aus, in der Hoffnung, ein plötzliches Zucken des Kopfes so umgehen zu können. Dann schnitt sie in die Wunde und zuckte beinahe augenblicklich zurück, als der Verletzte einen brüllenden Schrei ausstieß.
Tief einatmend zwang sie sich das Brüllen zu ignorieren und erweiterte den Schnitt, bis jener das gesamte Eitergeschwür einmal durchmaß. Sorgsam tupfte sie die herausquellende Masse ab und verzog den Mund, als der Gestank des Eiters ihre Nase erreichte. „Baah…“, entfuhr es der Zauberin und das Gefühl, sich übergeben zu müssen, wurde nur allzu schnell in ihrer Kehle präsent. Sie wollte sich abwenden. Sie wollte aufstehen und sich irgendwo übergeben. Doch ein kurzer Blick in die Augen Cerons genügte und sie schob diese Bedürfnisse beiseite.
Sorgsam folgte die den Anweisungen des Meisters und kratzte mit einem schmalen Löffel den in allen Farbvariationen zwischen Schwarz und Gelb matt schimmernden Eiter aus der Wunde, reinigte die Stelle zwischendurch immer wieder, bis schließlich nur noch dunkles, reines Blut austrat. „Ich denke… das sieht annehmbar aus.“, Melaine hob fragend den Kopf und schaute Ceron an, „Wie geht’s weiter?"
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„Ich glaube, es ist im Begriff zu unserer Angelegenheit zu werden…“ , zischte Orthego und packte beim Anliblick der ehrlosen Leichenschänder das Schwert. Das zweite Pärchen bestand aus einem dicken Kerl, dessen Wampe kein Gürtel der Welt zurückhalten konnte und über dessen Anzahl an Hautlappen unter dem mächtigen Doppelkinn man nur spekulieren konnte und einem hageren, auf den ersten Blick schwächlich wirkenden Mann, dem die fettigen Haare ins Gesicht hingen.
Schwer beladen mit klimpernden Beuteln stapften sie übers Schlachtfeld, als sähen sie die Masse an Tod und Zerstörung um sie herum gar nicht. Der Fette hatte sich den verbeulten und blutigen Helm eines Paladins auf die fleischige Rübe gesetzt; das Visier heruntergelassen lachte er grunzend vor sich hin und schulterte erneut den klimpernden Beutel. Ein blutverschmierter Orden fiel heraus und landete weich im Gras.
„Königstreue hin, oder her…“
Und bevor Jarvo seinen Schüler an der Schulter packen konnte, war der schon aufgesprungen, hatte das blank polierte und geschliffene Schwert in der Hand und griff langsam nach dem Holzschild.
„He da!“ , schrie plötzlich der fette Leichenfledderer und schob das Visier des Paladinhelms nach oben. „Was sind das denn für Gestalten da hinten? Buschmänner?“
„Die wildern hier in unser’m Gebiet herum! Schnappen sich unsre Beute!“ , wetterte der andere.
„Und was machen Jasper und Hulger? Passen natürlich nich‘ auf, die Ochsen! Hier rüber, ihr Deppen! Da machen sich irgendwelche Verrückten aus’m Busch an unsrem Kram zu schaffen!“
Nun erhob sich auch Jarvo und bewaffnete sich. Er seufzte.
„Warum nur? Sag mir, warum nur?“
„Aus Respekt vor den Toten, mein Freund.“
„Respekt…Pah! Willst dich doch nur wieder prügeln!“
Orthego schwieg verheißungsvoll und nahm Kampfstellung ein. Der Waldläufer und sein Hauptmann sahen sich nun vier Plünderern gegenüber. Jeder hatte sich aus seiner Beute eine Waffe geschnappt, einer hatte sich sogar einen verbeulten Schild umgehängt und der Fette griff nach einer schweren Keule, deren Ende blutig rot schimmerte.
„Macht sie fertig!“ , rief der Fette und ließ das Visier wieder herunter. Unter wildem Gebrüll stürmten die Plünderer nach vorne. Orthego antwortete mit gleichem und stürzte sich auf Jasper und Hulger. Jasper, der sich mit dem Schild bewaffnet hatte, schien keine Kampfesscheu zu zeigen und sprintete auf den Waldläufer zu, Hulger mit einem Schwert bewaffnet direkt hinterher.
Beim Zusammenstoß duckte sich Orthego leicht hinunter, rammte dem Plünderer seinen Schild in den Bauch und hievte ihn zur Seite. Der Weg war frei und ohne zu zögern attackierte der Waldläufer den überraschten Hulger, der den Schwertstreich jedoch parierte und einen Konter folgen ließ. Orthego reagierte, holte mit dem Schild aus und schlug regelrecht auf die auf ihn zukommende Klinge ein und nahm dem Angreifer die Wucht aus dem Schlag. Die Deckung des Plünderers war durchbrochen, beinahe entwaffnet stand er da. Ohne mit der Wimper zu zucken stach ihm Orthego das Schwert tief in die Magengrube. Röchelnd und blutig Hustend ging Hulger ein.
Keine Zeit für coole Sprüche. Orthego drehte sich herum, erspähte Jarvo, wie der gekonnt der Keule des Fetten auswich und schaffte es grade noch rechtzeitig den Schild zu heben und einen Schlag Jaspers zu blocken.
„Das war mein Bruder, du Schwein! Dafür wirst du büßen!“ , fluchte Jasper wild und hieb erneut auf den Waldläufer ein.
Geändert von Orthego (20.11.2010 um 22:47 Uhr)
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"Hiermit", meinte Ceron und reichte ihr die feine Klemme und die gebogene Nadel, in welche er bereits mit Müh und Not den Faden eingefädelt hatte. Er konnte sich kaum erinnern, wann er dies zum letzten Mal von Hand getan hatte. "Einerseits wollen wir nicht zuviele Stiche, damit die Heilung schneller von Statten geht und es beim Herausziehen des Fadens nicht zu schmerzhaft wird. Andererseits darf auch nicht zu lose genäht werden. Stich mit etwas Abstand zur Schnittstelle des Hautlappens ein und auf der anderen Seite wieder empor. Ab da gehst du jeweils diagonal über den Schnitt bis ans andere Ende. Am Ende trägst du auch hier etwas von deiner Salbe auf."
Er sah interessiert zu, wie Melaine die Instrumente in ihren Händen wiegte und sich vorzustellen versuchte, wie sie die Dinge am besten halten sollte. Gewiss, dass sie es selbst herausfinden würde, wanderte sein Blick dann zu den beiden Soldaten, welche ihren Kollegen nicht mehr richtig in den Boden drückten. "Jetzt nochmal kräftig", bat er die beiden Muskelpakete, ehe Melaine die Nadel ansetzte.
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Mit einem Male hatte Jarvo zwei Kerle am Hals, die beherzt auf ihn eindroschen. Der Fette erhob seine Keule und ließ sie mit einem Brüllen herabfahren. Geistesgegenwärtig rollte sich Jarvo zur Seite und spürte noch den kühlen Luftzug des Stahls nahe seinem Kopf.
"Das verzögert nur einen Tod! Dich krieg ich noch!"
Mit einem Satz war Jarvo wieder auf den Beinen und hob den Schild gegen das Schwert und die Keule, die zeitgleich dagegen prallten. Er wurde ein gutes Stück nach hinten gedrückt, roch den Schweiß des Fetten und spürte die unbändige Wut von Jasper.
Ein Konter war unmöglich, nur die Abwehr zählte. Vor der Keule hatte er Respekt, ließ sie kommen und wich im letzten Moment aus. Dabei schritt er zur Seite und positionierte sich so, dass immer nur einer der beiden ihn angreifen konnte.
"Lass die Spielereien!", schrie Jasper und suchte einen Weg an dem Dicken vorbei. Doch der sank vor ihm röchelnd in die Knie und stürzte zu Boden, sodass der Paladinhelm im vom Kopf rutschte. Der Hauptmann hatte nur eine ruhige Sekunde gebraucht, um die lahmen Angriffe seines Feindes auszunutzen. Der Block mit dem gleichzeitigen Konter brachte jeden Ungeübten zur Strecke.
Jaspers Zähne knirschten, als er sie mit Kraft zusammendrückte und ein verachtendes Knurren hervorpresste.
"Duuuu!"
Aus dem Augenwinkel sah Jarvo, dass Orthego seinen Gegner bearbeitete, dieser jedoch um einiges flinker war als gedacht. So hager wie er sein mochte, so schnell seine Hiebe. Orthego erwischte ihn mit dem Schild am Gesicht, sodass er zu Boden fiel. Doch er rappelte sich schnell wieder auf, schnappte sich Hulgers Schwert und stand dem Waldläufer nun mit zwei Klingen gegenüber.
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Melaine betrachtete die Nadel und die zugehörige Klemme skeptisch, ehe sie die weiteren Instruktionen des Lehrmeisters vernommen hatte. Mit der Klemme sollte sie wohl die Nadel besser aus der Haut wieder herausziehen können. Stoff zu nähen scheint einfacher zu sein…, ging es der Zauberin einen Moment lang durch den Kopf, ehe sie die Lippen schürzte und den Gedanken wieder verdrängte.
Sie hatte Nähen immer gehasst. Diese Arbeit hatte ihre Geduld immer strapaziert, solange, bis sie den Stoff samt Nähzeug auf den Boden geschmissen hatte. Minursae hatte sie dann mit diesem wissenden Blick angeschaut, wie ein Adler von Himmel seine Beute, hatte sich vom Stuhl erhoben, das Nähzeug wieder aufgehoben und ihr erneut in die Hand gedrückt. Und dann mit ihrer klaren, ruhige Stimme gesagt, dass sie es noch einmal versuchen sollte, jene Stimme, die ihr noch heute einen leichten Schauer über den Rücken jagte. Sie hatte sich in Geduld geübt, auch dank Minursae. Aber hatte sie deswegen das Nähen lieben gelernt?
Die Magierin atmete tief ein und setzte die Nadel schließlich an. Die Soldaten an ihrer Seite erhöhten den Druck, um den Mann, dem schon die ersten Tränen aus den Augen geflossen waren, am Boden zu halten. „Es wird schnell gehen.“, versuchte die Magierin den Verletzten zu beruhigen und stach in die Haut.
Ein weiterer Schrei zerriss die Stille. „Das nächste Mal suchen wir nach einem Beißholz.“, murmelte die Rothaarige trocken und führte den Faden diagonal über die Wunde, stach auf der anderen Seite der Wunde wieder ein und zog die Nadel senkrecht zum Schnitt zu vorherigen Seite. Diese Prozedur wiederholte sie, bis sie am Ende der Wunde angelangt war, einen kleinen Knoten setzte und den Faden schließlich mit einem schnellen Schnitt durchtrennte.
Ceron reichte ihr die Salbe, nachdem die Zauberin die genähte Wunde noch ein letztes Mal gesäubert hatte, und Melaine verteilte jene sorgsam auf die Naht. „So.“, fügte die Magierin melodiös und mit einem Lächeln hinzu, „Nun dürft ihr endlich gehen.“
Der Soldat rappelte sich schwer atmend auf und machte Anstalten, die Naht zu betasten. „Und das lasst ihr schön bleiben, wenn ihr nicht wollt, dass sich die Wunde wieder entzündet!“, mahnte sie zum Abschluss, ehe sie den Mann, der froh schien, von ihr wegzukommen, seiner Wege ziehen ließ.
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Nahe Faring, fast in Nordmar
Noco hatte die letzten Tage in seinem kleinen Lager einfach nur abgesessen. Er hatte nichts zu tun. Doch, einmal war er jagen gegangen, mehr aber auch nicht. Es störte ihn nicht einmal dort rumzusitzen und nichts zu tun.
Er schlief schon in seinem provisorischem Zelt, das Lagerfeuer brannte noch und hielt die wilden Tiere fern. Es war eine schöne Nacht. Man konnte auf einen wunderschönen Vollmond blicken, und es waren stets leichte Nebelschwaden zu erkennen. Sie ergaben zusammen mit dem Mondschein und der verschneiten Landschaft Nordmars in der Ferne eine atemberaubende Kulisse.
Diese konnte Noco nun auch genießen, als er durch eine Art Donnern geweckt wurde. Er wusste beim besten Willen nicht was das war. Da war es wieder, es hörte sich an wie ein riesiger Gong, der geschlagen wird. Und nochmal! Er fragte sich, ob das bereits der Angriff auf Faring war. Er hoffte es. Dann könnte er bald wieder zu den Nordmännern und würde vielleicht sogar seinen Langbogen von Lando bekommen.
Nach einigen weiteren ohrenbetäubenden Donnern entschied er sich nachzugucken. Er ging wieder zu der Klippe, an der er vor ein paar Tagen auch stand und den Bau der Brücke beobachtete.
Da sah er es:
Etliche Feuerbälle und Felsbrocken, die mittels Katapulten auf die Burg geschleudert wurden. Geradezu majestätisch rieselten diese auf Faring nieder. Also hatte der Angriff endlich begonnen. Ein Lächeln machte sich auf Nocos Gesicht breit. Obwohl er todmüde war, setzte er sich an die Klippe und schaute dem Spektakel zu. Das war fast noch schöner als der Vollmond in Zusammenspiel mit dem Nebel.
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Er würde es nie offen zugeben, doch Orthego staunte nicht schlecht, als der namenlose Plünderer plötzlich diabolisch grinsend vor ihm stand, leicht gebückt, verschwitzt, zwei Klingen in der Hand; hechelnd ähnelte er einem Hund, einem bissigen Straßenköter. Was ihm an Muskelkraft fehlte, machte er durch atemberaubende Geschicklichkeit und Schnelligkeit wieder wett. Dieser Mann war kein einfacher Leichenschänder, der sich am Tod anderer zu bereichern suchte. Seine Vergangenheit musste weitaus interessanter sein…
Orthego hob den Schild und blockte einen simplen Angriff ab; augenblicklich wichen die beiden Kämpfer wieder voneinander weg. Ein kurzes Abtasten, ein Erforschen des Gegners. Der Waldläufer wusste nicht, was er erwarten sollte. Er hatte von dieser Technik gehört, doch bis heutigen Tage hatte er keinen Mann derartig kämpfen sehen. Die Körperbeherrschung, die Disziplin… Als Schwertkämpfer hatte sich dieser Mann Orthegos Respekt verdient. Was jedoch wenig änderte.
Der Waldläufer hatte seine Durchschlagskraft und Stärke zum Vorteil, er musste sie nur noch nutzen. Wenn ein solch geschickter Gegner erst einmal in den Rhythmus des Kampfes kam, waren seine Manöver und Offensiven nur schwer zu unterbrechen. Die rasiermesserscharfe Klingenwand war beinahe undurchdringlich.
Orthego stürmte nach vorne, schlug zu und traf auf eine der Klingen. Sofort ließ der Plünderer einen Konter folgen und stach mit dem zweiten Schwert zu. Der Waldläufer aber nutzte seinen Schild und traf die die Klinge mit der Kante, wodurch der Arm des Mannes nach innen klappte und praktisch eingeschlossen war. Es begann ein Kräftemessen, ein Drücken und Schieben, ein Gerangel und Orthego hoffte, der rechte Schwertarm des Mannes würde unter dem Druck brechen, doch es geschah nicht. Stattdessen warf der Kerl plötzlich den Kopf nach hinten in die Schultern und verpasste dem Waldläufer eine Kopfnuss, so dass der zurücktorkelte. Blut kam aus der Nase und lief langsam und warm das Gesicht hinunter. Gleichzeitig keimte im Inneren das grässliche Gefühl der Rage.
“Beherrsch dich gefälligst“, flüsterte Manadh. Orthego warf das Gefühl von sich.
Der Plünderer ging in die Offensive und deckte Orthego unter einem wahren Hagel aus Hieben und Stichen ein, den der Waldläufer teilweise nur mit Mühe abwehren konnte. Schild und Schwert wahren unentwegt im Einsatz, gleichzeitig suchte er nach einem Weg, aus der Bedrängnis zu fliehen, den Angriff zu unterbrechen, doch es schien zum verzweifeln. Kaum senkte sich eine Klinge, kaum meinte der Waldläufer endlich einen Schwachpunkt gefunden zu haben, kam sogleich das zweite Schwert zum Einsatz und forderte Defensive, oder den Tod.
Da erinnerte sich Orthego an einen Abend, an dem er mit Jarvo trainiert hatte und der ihn mit dauernden und wuchtigen Schlägen mit dem Schild beharkt hatte. Banal und ebenso effektiv ist es gewesen.
Mit einer Rolle befreite sich Orthego aus dem Hiebschauer des Plünderers, dessen Schläge kurz ins Leere gingen und ging sofort in die Offensive über. Mit einem Satz standen sie sich wieder gegenüber und der Waldläufer deutete einen Schwertstreich an und noch bevor der Konter vom Gegner erfolgte schlug er mit dem Schild zu. Kraftvoll, mit Wucht und seiner ganzen Stärker. Und sein Gegenspieler ging regelrecht ein. Es fehlte ihm einfach an Muskelmasse um mit einem Schwert die Schildschläge gebührend abwehren zu können. Er wurde immer weiter zurückgedrängt, seine Arme wurden zittrig, bewusst ließ ihm Orthego nicht einmal das kleinste Zeitfenster, um auszuweichen. Langsam fühlte er jedoch auch den eigenen Arm erschlaffen. Es wurde Zeit, die Sache zu beenden. Satt eines weiteren Hiebes mit dem Schild, trat Orthego dem Mann kräftig auf den Fuß, holte mit dem Schwert aus und schnitt damit in die Achselhöhle des Plünderers. Sein Hemd färbte sich dunkelrot, es ertönte ein Ohrebetäubender Schrei und das Schwert fiel aus dem verkrüppelten Arm. Damit nicht genug. Orthego nahm noch einmal alle Kräfte zusammen und stieß den Kerl mit dem Holzschild um. Ein grässliches Knacken ertönte, der Fuß des Plünderers war am Knöchel durchgebrochen. Weinend, das Gesicht vor Schmerz verzerrt lag er sich winden am Boden. Gnädig befreite der Waldläufer den Mann von seinem Leid.
Eigentlich ja Schade um das verloren gegangene Talent…
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In blinder Wut schlug Jasper auf den Hauptmann ein, ohne über Technik oder sein Leben einen Gedanken zu verlieren. Er keuchte, er schnaufte, wurde mit jedem Schlag langsamer und verwundbarer. Sein Schwert schepperte gegen den Stahlschild, wieder und wieder. Ein Trauerspiel. Jarvo parierte den Angriff und schlug den Dieb mit dem Knauf des Schwertes gegen die Schläfe, sodass dieser bewusstlos zusammensackte.
Dummer, armseliger Kerl. Bedient sich auf dem Schlachtfeld, ohne einen Schwertstreich getan zu haben... aber einen Bruder über solch schandhafte Tat zu verlieren...
Ein Aufschrei des Hageren Mannes riss Jarvo aus seinen Gedanken und brachte ihn zu Orthego, der den flinken Schwertschwinger niederstreckte. Mit Genugtuung sah Jarvo, wie sich der Waldläufer seiner Techniken bediente... erfolgreich. Es war nun still in dem kleinen, von verwesenden Leichen umzingelten Waldstück. Drei Körper mehr säumten die Gegend, machten jedoch keinen Unterschied. Orthego ließ erschöpft den Schild fallen und betrachtete das Szenario.
"Fühlst du dich besser?", fragte Jarvo ihn.
"Wie meinst du das?"
"Die Typen hier."
"Sie haben es verdient." Er räusperte sich. "Außerdem hatten wir keine Wahl."
"Da gebe ich dir Recht." Jarvo stieß Jasper mit dem Fuß an, der noch immer reglos da lag. "Der hier soll leben. Seinen Bruder sterben zu sehen, ist Strafe genug. Außerdem...", nun begann er zu lächeln, "leben wir beide noch. Wir wissen dass diese Schlacht für unsere Brüder und Schwestern folgenlos sein wird. Hoffentlich kehrt dieses Mal für eine längere Zeit Ruhe ein... hast dich übrigends wacker geschlagen. Der Schild scheint in deiner Hand einiges an Kraft zu besitzen. Weisst ihn inzwischen sehr gut einzusetzen... Was meinst du, zurück nach Beria?"
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Athron war unruhig, das entging Bartimäus nicht und es gefiel ihm ganz und gar nicht. Was auch immer es war, das dem ehemaligen Anführer der Waldläufer nicht gefiel, konnte wirklich nichts Gutes bedeuten. Und immer noch führte ihr Weg immer weiter nach oben und das Wetter schien mit jedem Schritt schlechter zu werden. Die Temperaturen sanken, Nebel war häufig und die Natur war mit Raureif bedeckt. Sonnenlicht war eine Seltenheit und der Wind ließ die Luft noch kälter wirken und peitschte sie den beiden ins Gesicht. Bis jetzt waren sie von Regen oder Schnee verschont geblieben, aber auch das würde sich wahrscheinlich in den nächsten Tagen ändern.
Aber bis jetzt war eigentlich nichts passiert, was wirklich beunruhigend gewesen wäre und Nahrung hatten sie auch noch ausreichend. Demnach versuchte sich Bartimäus selbst zu beruhigen, Athron würde schon wissen was er tat und im Notfall konnten sie sich beide verteidigen.
Schlagartig lichtete sich der dichte Wald durch den sie bis jetzt gegangen waren. Vor ihnen befand sich eine Schlucht! Viel zu breit um ohne Brücke hinüber zu kommen und zu tief und zu steil um sie zu durchqueren. Ratlos blickte Bartimäus zuerst in die Tiefe und dann zu Athron, doch noch bevor er etwas sagen konnte, schlug de Waldläufer eine neue Richtung ein, der Schlucht entlang.
Hatte er ein Ziel? Kannte er den genauen Weg?
Bartimäus wunderte sich, wollte aber keine Fragen stellen. Er bemühte sich dem erfahrenen Waldläufer hinterher zu kommen und möglichst mit ihm Schritt halten zu können.
Schließlich erreichten sie eine Brücke, die über die Schlucht führte und Bartimäus fragte sich erneut, ob Athron gewusste hatte, dass es die hier gab.
Wollte er sie überqueren?
Skeptisch blickte der Wächter zu der Konstruktion. Sie sah alt aus. Die Holzbretter waren nass und mussten dementsprechend rutschig sein. Die Seile knarrten leicht, als sie vom Wind leicht hin und her gewogen wurden. Schon seit Jahren musste sie Wind und Wetter ausgesetzt sein. Warum sollte sie jetzt einbrechen, wo sie schon so lange unverändert hier gehangen hatte? Ein logischer Gedankengang, doch Bartimäus konnte sich nicht damit anfreunden ihn zu überprüfen, doch blieb ihm keine andere Wahl, als der Waldläufer ihm deutete über die Brücke zu gehen.
Kurz zögerte er, dann trat er vorsichtig auf das erste Holzbrett, überprüfte seine Belastbarkeit und musste feststellen, dass es hielt. War das jetzt gut oder schlecht? Er wusste es nicht, aber es würde sich noch herausstellen und so trat er ebenso vorsichtig einen Schritt weiter.
Das Heulen des Windes wurde von den Wänden der Schlucht hin und her geworfen und wuchs zu einem Getöse an. Aber immerhin der wackelige Untergrund hielt seinem Gewicht stand und auch der Waldläufer folgte hinter ihm. Bartimäus hielt seinen Blick auf die Holzbretter gerichtet, immer bereit seinen Fuß zurückziehen zu können, falls ein Brett einmal nachgeben würde. Im Augenwinkel sah er wie das gegenüberliegende Ende langsam näher kam.
Eine gefühlte Ewigkeit später, trennten ihn nur noch wenige Schritte vor dem sicheren Boden, als noch etwas anderen auf den Plan trat. Zuerst hatte er Bewegungen im Wald vor ihm wahrgenommen und war stehen geblieben. Doch als er nichts Ungewöhnliches erkennen konnte, hatte er einen weiteren Schritt nach vorne getan. Die Brücke hatte geknarrt. Der Wind heulte weiter. Doch das Problem lag jenseits der Brücke! Aus dem Schatten der Bäume lösten sich die Silhouetten von Wölfen. Ein ganzes Rudel stand vor ihm auf festem Boden und machte diesen noch gefährlicher als die schwankende Brücke.
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Thal
Arkantos blickte das Mädchen vor sich an. Das sollte also das Mädel sein, das Navina und Lyam gerettet hatten? Es kam höchst selten vor, dass Arkantos mal eine Frau traf, die so groß war wie er. Aramee Feles sollte also ihr Name sein, und eine ihrer Eigenschaften war ihre Direktheit. Keine zu verachtende Eigenschaft, man wusste schnell, woran man war. Aber war das immer gut?
„Wollt Ihr nur einer alten Freundin wegen den Weg zum Volk des Waldes einschlagen?“, fragte Arkantos. „Ihr könntet dieser alten Freundin eine Botschaft zukommen lassen, aber Ihr seid nicht gezwungen, mit uns zu kommen.“
Gerade als er sich fragte, wie wichtig diese alte Freundin für Aramee sein musste, trat Navina vor. Was wusste die Jägerin darüber? Er nickte ihr zu, sie sollte sprechen.
„Diese alte Freundin, die Aramee da nennt, heißt Cécilia, Ihr solltet den Namen kennen. Sie war beim Thing. Ich vermute, dieses Mädchen, Cécilia, ist eine Spionin der Orks, sie kam noch vor dem Krieg und half, Silden zu vernichten und die Seuche zu bringen“, erzählte Navina. „Sie muss verhört werden, unbedingt. Sie kommt aus Montera, und sie hat eine Schwester, die im Krieg gekämpft hat.“
Es klang abwegig, was Navina erzählte, und das musste sie eigentlich selbst auch wissen. Trotzdem wandte sich Arkantos wieder Aramee zu, um die es hier eigentlich ging, richtete das Wort an sie, die sie mit Cécilia und vielleicht auch mit der kämpfenden Schwester befreundet war.
„Aramee Feles ... was sagt Ihr zu diesen Anschuldigungen?“
Wie ein Richter kam er sich vor, zu Gericht sitzend über einen Fall, der längst abgeschlossen und ad acta gelegt worden war. Was dachte Navina sich dabei? Hatte sie beim Thing wieder einmal nicht aufgepasst? Manchmal war sie wirklich nicht zu gebrauchen, wenngleich sie eine gute Jägerin war.
Cécilia
Berechtigungen
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