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Drei Tage lebten der Seher und sein Schüler schon bei den Orks des Allsehenden Auges, einem Stamm, der spirituell und traditionell war, jedoch ohne in lächerlich berserkerhafte Rahmen zu fallen, die dem Schamanen missfielen, die er für ZU traditionell und primitiv hielt. Traditionen sind gut und erinnern uns an uns selbst, an unsere Ursprünge. Aber die Berserker sind ein Relikt der Urzeit, ein Blut und den Tod verehrender Kult von Idioten und Dummköpfen.
Früher hatte er das in Geldern oft angesprochen, war jedoch immer auf taube Ohren gestoßen. Der Berserkerkult hatte weitergelebt, nun jedoch auf Khorinis, nur noch verehrt von den zurückgebliebenen Stämmen der Erzinsel. Der Schamane lächelte als die Zeltplane zurückgeschlagen wurde und ein verhältnismäßig junger Ork eintrat, sich respektvoll verbeugte mit vor der Brust gekreuzten Armen, und auf einer Matte niederließ.
„Grüße, Lugdrub“, sprach der Seher und fügte den Kerzen des Zeltes mehr Licht und Kraft zu, ließ den Raum mehr erhellen. Er hasste dunkle, unübersichtliche Räume. „Ich möchte Dir etwas erzählen.“
„Und was ist das, Meister?“
„Ein Experiment. Ich habe vom Häuptling einen Kristall bekommen, der dem hiesigen Volk seinen Namen gibt. Das Allsehende Auge.“
Ein in schwarzes Leinen gepacktes Etwas schwebte heran, entblößte sich und erstrahlte in blutroter, schrecklicher Schönheit. Der Rubin leuchtete gefährlich.
„Das Auge … Ja, wahrlich ein Blickfang. Es heißt, die Urahnen der Orks haben diese Steine in den tiefsten Erdreichen gefunden und sie seien die Augen der Dämonen, die der Schöpfer unseren Brüdern auf Khorinis zur Seite gestellt hatte.“
„Was machen diese Steine, Meister?“
„Sie bündeln magische Energie, Lugdrub. Verfünffachen, ach was, verzehnfachen sie! Aber – das ergaben verschiedene Versuche – diese Steine funktionieren nur auf dem Gebiet dieses Dorfes, an diesen Klippen. Der Rest der Welt … bedeutet ihnen nichts. Dort entfalten sie keine Kräfte, sind nur einfache Steine.“
„Und was habt Ihr vor, Meister?“
„Sehe und staune.“
Lugdrub sah und staunte. Denn plötzlich befand er sich auf einer Wiese, die endlos schien, unter blauem Himmel und ganz alleine.
Lugdrub
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„Schöpfer“, keuchte Lugdrub, wankte etwas, versuchte das Schwindelgefühl loszuwerden. Übelkeit packte seinen Magen in einem eisenharten Griff, ließ ihn keuchen. Alleine. Ja, er befand sich ganz alleine auf einer weitreichenden Wiese, grün von Gras, rot, blau, gelb von Blumen. Wind wehte sacht, kitzelte das Gesicht, während am blauen Himmel langsam, fast schon träge kleine Wolkenfetzen entlang zogen. „Was ist passiert?!“, fragte sich der Schamanenlehrling entsetzt.
Endlich hörte sein Kopf auf, sich zu drehen, der Magen beruhigte sich und klares Denken war nun doch wieder in – mehr oder weniger – vollem Ausmaß möglich. Aber war das hier mit nüchterner Betrachtung und irgendeinem Fachwissen zu erklären? Er erinnerte sich an nichts mehr, an absolut überhaupt gar nichts. Er wusste nur … Ja, dass er mit dem Seher an den Weg ins Dorf Groshmar hinaufgegangen war. Ab da war es anders gewesen, anders geworden.
„Haben sie mich verschleppt und im Niemandsland ausgesetzt?“, mutmaßte der Ork und suchte am Horizont einen Bezugspunkt, etwas, an dem er sich orientieren konnte.
Und er fand etwas. Nichts Besonderes eigentlich, doch im Gegensatz zu dieser Wiesenlandschaft eine willkommene Abwechslung: Wald. Schwer erkennbar und doch groß zog sich ein dunkelgrüner Streifen unter dem Himmel am Horizont entlang. Beruhigen tat es Lugdrub jedoch nicht, seine Gedanken rasten immer noch. Fragen überhäuften sich in nicht enden wollenden Wellen.
„Warum?“, flüsterte der Ork dann.
Und bekam Antwort.
Das ist das Experiment, Lugdrub gro-Ogdum. Das Allsehende Auge prüft Dich und hat Dich in seine Welt gesogen. Entkommst Du ihr? Überlebst Du sie? Ich bin gespannt, Lugdrub vom Brechenden Fels. Sehr sogar. Die unechte Ruhe Lugdrubs zerbrach wie ein Spiegel, den man mit Steinen eingeschmissen hatte. Er verlor das Gleichgewicht, fiel vornüber mit dem Gesicht in Gras, schmeckte es in seiner ganzen Frische, spie es jedoch aufgrund des bitten Geschmacks der Erde aus.
„Diese Stimme … sie gehört … dem Seher …“, murmelte er immer und immer wieder. Ungläubig, überrascht, verzweifelt, wütend. Fast einem Mantra gleich. Langsam erhob er sich wieder, richtete den Blick wieder auf den Horizont, zum Wald …
… der einen Wimpernschlag später nicht einmal fünfzig Fuß von ihm entfernt begann. Vogelgezwitscher lag in der Luft, der Wind rauschte in den Bäumen und es roch, als hätte gerade ein kleiner Regenschauer dieses Stück Garten Eden heimgesucht. Unweigerlich machte sich ein Gefühl der Zufriedenheit in Lugdrub breit, so ganz falsch in Anbetracht der Tatsache, dass er sich im Innern eines Allsehenden Auges befand.
Falsch sind viele Dinge, dachte der Ork und schloss die Augen.
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Der Anblick war atemberaubend sowie beängstigend. Faszinierend als auch grauenhaft. Wunderschön wie auch abgrundtief hässlich. Der Anblick war ganz einfach ein Widerspruch in sich selbst, scheinbar in diese Welt gesetzt, um zu zeigen, dass gegenteilige Dinge an einem Flecken Erde durchaus existieren konnten.
Bäumen gleich ragten sie auf, doch jeder Funke Leben in Lugdrub sagte ihm, dass sie nichts mit Bäumen gemeinsam hatten. Keine Blätter, Blütenknospen, Wurzeln und Früchte, die so zahlreich wuchsen, dass die Äste einknickten. Nein, diese Gebilde waren weiß. Weiß wie Schnee, weiß wie Knochen. Und aus ebenjenen schienen diese ‚Bäume’ zu bestehen. Knochen. Sauber polierten, vollkommen fleischlosen Knochen. Sie bildeten Äste, Zweige und Arme, die sich ausstreckten, deren Finger sich spreizten und schienen, als würden sie nach etwas greifen.
„Ein wahrer Knochenwald“, murmelte Lugdrub und wagte den ersten Schritt in diesen Wald. Ihm war, als würde er durch eine Art Blase gehen, durch eine unsichtbare, durchlässige Wand. In eine neue, andere Welt. Plötzlich waren Faszination, Atemlosigkeit ob des Anblickes verschwunden. Schlagartig. Nun waren da nur noch Angst, Grauen und die volle Erfassung der ausgesprochenen Unansehnlichkeit dieses Knochenwaldes. Die Gefühle wurden stärker, fast schon erdrückender und Lugdrub wusste, worum es sich handelte. Es fühlte sich ebenso an wie damals, als Kushluk mit seinen Kräften in seinen Geist eingedrungen war. Das kriechende Etwas, welches sich in seinen Gedanken bewegte und die Seele in die aller hintersten Kammern des Kopfes verjagte.
Wehr sie ab, brüllte Kushluk, wehr sie ab, Welpe! Was bist Du für ein Schamane, wenn Du zulässt, dass Dein Gegner ohne große Schwierigkeiten in Deinen Geist eindringt. Schwäche ist das Einzige, was Du damit unter Beweis stellst! Elende Schwäche! Ebenjene Schwäche, die Dich nach Myrtana getrieben hat. Die Schwäche, die Deinen Clan ausgerottet hat, weil Dein Bruder zu schwach war, den Bulzog zu widerstehen! Schwäche, Lugdrub gro-Ogdum, ist Dein Untergang!
Die Kräfte, die auf seinen Geist einwirkten, die wahllos alle möglichen Bilder, Empfindungen, Gedanken, Gerüche und Töne in seinen Sinnen projizierten, wurden stärker, mächtiger. Sie nährten sie an seiner Schwäche. Langsam fühlte Lugdrub, wie er begann in die Knie zu gehen. Er hob den Blick, erkannte durch den vielfarbigen Strudel, der seinen Geist widerspiegelte, wie die Knochenbäume mehr und mehr wuchsen, ihn bald um mehrere dutzend Meter überragten, wie sie zu wahren Türmen wurden, zu Schemen am Horizont, deren Größe sich schon von Weitem erahnen ließ.
„NEIN!“
Merze die Schwäche aus, Lugdrub, schmettere sie beiseite und trete sie in den Staub, da wo sie hingehört. Stärke war es, die Dich nach Faring trieb, Stärke war es, die Dich zum Schüler Hosh'Dals macht, die Dich ihn bezwingen ließ. Stärke brachte Dir die Gunst des Schöpfers, Stärke führte Dich nach Varant, ließ Dich Leben und Tod kennen lernen. Stärke war es auch, die der Seher in Dir erblickt! Also sei stark, im Namen des Schöpfers, der Rache und Deinem Clan! Zeige-Keine-Schwäche!
Lugdrub fixierte sich auf seine Willenskraft, griff ihr sinnbildlich unter die Arme und stemmte sich der erdrückenden Kraft des Knochenwaldes entgegen. Abertausende verschiedene Gedanken rasten durch seinen Geist, der drohte, daran zu zerbrechen. Er musste die Kräfte abwehren, seinen mentalen Schild stärken und eine Mauer errichten, die dem Angriff der Knochen standhalten konnte. Die Festung, die sein Geist war, stärkte ihre Mauern, wurde mit für Lugdrub positiven Gefühlen und Empfindungen sowie Erinnerungen genährt. Das Leben als Welpe im Bau seiner Sippe, die Ernennung zum Schüler Kushluks, die Liebe zu Proya. Und über all dem … der feste, unerschütterliche und alles in den Schatten stellende Glaube an den Schöpfer. Einen Moment – so schien es dem Ork – war es so, als würde er vom Licht seines Gottes selbst erfasst. Wärme breitete sich in ihm aus und den müden Geist sowie Körper durchfloss die reine Kraft des frommen Glaubens an ein Geschöpf, derart mächtig, dass es über das Totenreich gebot.
Die Mauern seiner Geistesfestung schienen vor Stärke und Entschlossenheit fast zu explodieren. Die Tentakel des Knochenwaldes, die an den Grundfesten zerrten und rüttelten, wurden niedergeschlagen, mit Pfeilen gespickt, von Speeren erlegt und mit Pech übergossen und entzündet. Die geballte Kraft seines Geistes stellte sich dem geistigen Angriff entgegen und wehrte ihn ab. Endgültig, vernichtend für den Knochenwald.
Lugdrub riss die Augen auf. Magie pulsierte in seinen goldenen Augen, einem ewig brennenden Feuer gleich. Der Knochenwald flimmerte, verzerrte sich einen Moment und löste sich schlagartig auf.
An seiner statt erwartete Lugdrub nun eine schwarze, scheinbar endlose Staubwüste. Davon bekam er freilich nicht viel mit, packte ihn doch die Erschöpfung und zog ihn in eine sanfte aber entschlossene Umarmung.
Geändert von Lugdrub (28.04.2010 um 21:38 Uhr)
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Der schwarze Staub bedeckte das Land bis in die Endlosigkeit und vermittelte dadurch ein Gefühl der Trostlosigkeit, dass es selbst den Ork zu beeindrucken schien. Er setzte schwerfällig einen Fuß vor den anderen, marschierte dahin und hielt den Kopf gesenkt. Sein Denken beschränkte sich auf das Minimum, welches aus Gehen und Husten bestand, denn der Staub war hartnäckig und setzte sich auf Fell und Kleidung ab, hinterließ eine Schicht dunkel wie Ruß.
Das war es dann, Schöpfer, hier hast Du mich endlich erwischt. Überleben? Ausgeschlossen, nicht hier, nicht jetzt. Mach’s kurz, Schöpfer, mach’s kurz …
Lugdrub stolperte über seine eigenen, kraftlosen Füße und fiel der Länge nach aufs Gesicht, rollte sich zur Seite und erstickte fast an dem Hustenkrampf, den der Staub ausgelöst hatte. Er spuckte dunklen Speichel aus, wischte sich über die Schnauze. Die goldenen Augen hatte der Ork auf den Himmel gerichtet, der dort in grauer Tristesse über dem Lande hing. Was er jedoch dort sah, ließ ihn entsetzt wie erleichtert aufatmen.
Das Schloss! Es ist das Schloss, von dem mir der Seher erzählt. Jenes Schloss, das er mir gezeigt hat!
Und doch hatten das Schloss aus der Illusion und dieses nichts miteinander gemeinsam, außer das es eben Schlösser waren. Das Illusionsschloss hatte zweifelsohne auf festem Untergrund gestanden, war aus dem Granit der Berge und dem Holz der Wälder geschlagen. Dieses Schloss jedoch … flog. Es hing in der Luft, wie es ein Vogel tat, aber eben nicht ein Schloss. Es hing da, bewegungslos, still und einfach allen Naturgesetzen spottend. Lugdrub schloss wieder die Augen. Mutlosigkeit sickerte durch seine Gedanken wie Gift.
Natürlich – wie so oft – änderte es sich schlagartig, als er die Augen wieder öffnete.
Er befand sich im Garten des Schlosses, im Pavillon. Vor ihm stand der Tisch, der Hocker. Um den Pavillon herum befanden sich getrimmter Rasen, gepflegte Beete und saubere, täglich gekehrte Plattenwege. Die Mauern des Gartens waren zwar nicht so hoch, dass man sie nicht überklettern konnte, jedoch hoch genug das es ernsthafte Probleme bereiten würde, es zu versuchen und schaffen.
Du willst es auch gar nicht versuchen. Vergiss’ nicht, das Schloss fliegt in der Luft! Kletterst Du über die Mauer, kann es möglich sein, dass Du sehr viele Klafter tief stürzt.
Mehr brauchte er auch gar nicht darüber nachzudenken. Etwas Anderes erregte jedoch seine Aufmerksamkeit. Es war ein bauchiger Glaskrug, in dem scheinbar frisches Wasser war. Der Ork zögerte nicht lange, packte den feinen Henkel, setzte den Krug an und trank ihn fast leer. Den Rest des Wassers benutzte er, um sich Gesicht und Hände zu waschen. Zufrieden seufzend ließ sich Lugdrub auf den Hocker nieder.
„Sieh’ an, mein Bruder“, sprach eine tiefe, gutturale Stimme in des Schamanenlehrlings Rücken. Er erkannte sie. Er würde sie am Ende der Welt und in den Weiten des Schattenreiches des Schöpfers erkennen. Sie gehörte seinem Bruder Lorbumol. Er war jener Ogdum, der sich mit dem gehassten Bulzog-Clan verbündet hatte und für den Tod der restlichen Ogdum-Familie verantwortlich war. Ungezügelter Hass loderte in Lugdrub empor. Das Gesicht war zu einer wutverzerrten Miene geworden, die der eines Dämons nicht unähnlich war. Mühselig beherrscht sprach Lugdrub:
„Rok’Tar, Lorbumol. Wie geht es Dir, kleiner Bruder?“
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Lorbumol lächelte eines dieser reißzahngespickten Lächeln, die Lugdrub so hasste, die er verachtete. Vor allem das seines Bruders hatte der angehende Schamane schon seit frühester Kindheit gehasst, denn aus ihm sprachen Hohn und Spott, auf eine so penetrante Art und Weise, dass er sich oft hatte zusammennehmen müssen, um nicht mit einer Spitzhacke ein Loch in dieses Lächeln zu treiben.
„Sehr gut geht’s mir, großer Bruder. Ich genieße bei den Bulzog eine hohe Position“, sprach er mit einer Selbstgefälligkeit, dass sich Lugdrub nur mühevoll beherrschen konnte. Stattdessen sah er sich seinen Bruder an. Die gleichen schwarzen, langen Haare, die gleichen Muskeln. Nur die Rüstung die er trug, passte nicht. Sie ähnelte der eines Kriegers, war mit Schädel behangen. Narben zierten das Gesicht des Orkes, der um einiges kleiner war als sein großer Bruder. Lorbumol verzog die Fratze, als er Lugdrubs vernarbtes Gesicht musterte.
„Lugdrub … Beim Schöpfer, Du siehst aus, als hätte sich ein Schattenläufer an Dir ausgelassen“
„Du würdest Dir wünschen, dass es ein Schattenläufer gewesen wäre … Glaub’ mir.“
„Wieso?“
„Ich bin vom Schöpfer zu seinem Diener erkoren“, sprach Lugdrub leise, dennoch entschlossen. „Ich verbreite sein Wort, überbringe seinen Zorn. Ich bin Berufener und Lehrling, Schamane in Prüfung.“
„Ha!“, lachte Lorbumol, „In Prüfung! Berufener! Ein Schüler bist Du, Idiot, ein Lehrling und Diener! Maße Dir nicht mehr an, als Du bist!“
„Und was bist Du, Bruder? Ein Mann, der seine Familie und sein Blut verraten hat, der unseren Stollen zu einem Ort der Leere machte! Du bist ein ehrloses Stück Dreck!“
„Große Worte …“, fing der Bruder an und zog zwei Varroks, die er überkreuzt auf dem Rücken trug, „Kannst Du sie auch verteidigen und für sie einstehen?“
„Verlass’ Dich drauf, satqua!“
Damit begann der Bruderkrieg, die Auseinandersetzung des gleichen Blutes, welches jedoch zwei verschiedenen Ideologien folgte. Lorbumol sprang vor, die Klingen zum brutalen Hieb gehoben. Bevor er jedoch etwas machen konnte, hatte Lugdrub ihm mit einer wahren Lichtexplosion geblendet. Es war nur eine Täuschung gewesen, auf die der kleine Bruder jedoch in seiner Selbstüberschätzung hineingefallen war. Der Lehrling hatte sich über das Geländer des Pavillon fallen lassen, vorher jedoch noch den Tisch umgestoßen. Mit dem Rücken landete er im niedrigen Gras, rappelte sich jedoch sofort auf, da der Krieger mit seiner ganzen Kraft das Geländer zertrümmerte, als wäre es aus Sand. Natürlich, er war kleiner und jünger, dafür aber stämmiger und kräftiger. Das war schon immer so gewesen. Lugdrub hatte seinen kleinen Bruder meist nur durch Köpfchen bezwungen, dieses Mal würde es aber nicht anders sein.
Denn diese Art des Kampfes war neu. Ihm blieben zwei Optionen: Flucht oder Magie. Magie klang ehrenvoller und durchaus effektiver, als Flucht über eine Mauer in die Tiefe.
Luggy, behalt ’nen klaren Kopf! Du musst jetzt lernen … und zwar schnell. Die Illusionsmagie musst Du nun als Waffe einsetzen, anders als Du es von Hosh’Dal und Kushluk gelernt hast. Eine neue Dimension eröffnet sich, jedoch gefährlicher als vorher.
Weiter kam der Ork in Gedanken nicht, da der Berg aus Muskeln auf ihn zu gerannt kam und seine Schwerter in einer Bewegung führte, die ganz klar enthaupten sollte. Der Lehrling duckte sich darunter weg, rollte sich zur Seite und sprang wieder auf, einen Satz zurück machte er dabei und brüllte, wie es ein Schattenläufer nur hätte tun können. Der kleine Bruder war überrascht und entsetzt. Einerseits weil er einen Moment dachte, ein Schattenläufer hätte sich dazugesellt, andererseits weil sein Bruder so dreist entkommen war.
„Siehst Du, Lorbumol? Der Schöpfer mag mich! Warum sonst spreche ich mit der Stimme eines Schattenläufers?! Warum sonst trage ich seinen Kopf statt den eines Orks?!“
Und es stimmte, verbunden mit einer komplizierten Gedankenmanipulierung, wie Lugdrub sie damals bei einer Orkwache vorgenommen hatte. Damals war es eine Dämonenfratze gewesen, heute ein Schattenläuferschädel auf dem Körper eines Orks. Das schwarze Fell ging nahtlos ins blassgrüne über, die goldenen Augen mit den schwarzen Pupillen blitzten vor Hass und die mächtige Schnauze entblößte reihenweise spitzer, großer Zähne. Das Horn auf dem Kopf war nur die Kirsche auf der Sahnetorte.
„Angst, Bruder?!“, brüllte Lugdrub mit der verzerrten, tiefen Stimme, wie sie ein Schattenläufer haben würde, könne er sprechen. „Fürchtest Du Dich? Fürchtest Du den Tod?!“
Lorbumol schluckte, lächelte dann aber mutig und entschlossen.
„Nein!“, brüllte er und sprang wieder vor. „Schlag der Bestie den Kopf ab und bezwinge sie!“
Ein Moment der Unachtsamkeit reichte und die Klinge erwischte den großen Bruder. Sie riss ihm die Haut am Arm auf, durchtrennte Muskeln und Sehnen. Er schrie vor Schmerz auf, brüllte wie ein angeschossenes Tier. Der Schattenläuferkopf verschwamm, wurde wieder zu dem eines Orks. Schmerzverzerrt und hasserfüllt. Nun kam jedoch die zweite Klinge, die den Kampf beenden sollte. Bevor dies jedoch geschah, passierte etwas, dass keiner der beiden Kämpfenden erwartet hatte.
Es war ein Impuls, der durch Lugdrubs Geist schoss. Die Magie entfesselte sich, griff auf die Seele des kleinen Bruders über und umschlang sie wie die Tentakel eines Kraken ihr Opfer. Stärker und stärker lastete die Empfindungen des Hasses, der Wut und des Zorns auf Lorbumols Geist, der schwächer wurde. In einem verzweifelten Akt schlug er auf seinen Bruder ein … Bruder?! Nein, da war nicht mehr ein Lugdrub. Da standen zwei, fünf, sechs! Zehn! Zehn in graue Roben gekleidete, verletzte und vor Hass strahlende Lugdrubs, mit goldenen, glühenden und scheinbar brennenden Augen.
„LORBUMOL GRO-OGDUM!“, brüllten sie in einem Chor, dass ihre Stimmen der eines Gottes glichen. Wahrlich, wenn der Schöpfer sprach, musste es sich so anhören! „DU SEIST DEM UNTERGANG GEWEIHT! FÜR DEN VERRAT, FÜR DIE ENTEHRUNG, GIBT ES NUR EINE STRAFE! DEN TOD, DIE EWIGE VERDAMMNIS!“
Lorbomul schrie. Makaber, laut, Qualen leidend. Die Lugdrubs verblassten, ließen einen zurück, der vortrat und eine schwarze Kugel über der Hand schweben ließ. Sie wirkte wie ein schwarzes Loch, dass alles Licht der Umgebung aufzusaugen schien.
„Ich reinige hiermit die Ehre der Ogdum, kleiner Bruder, und bestrafe Dich mit ewiger Verbannung!“
Und somit verging der Geist Lorbumols in der Schattenkugel, die Lugdrub einst von Kushluk gezeigt bekommen hatte. Es war nur ein klitzekleiner Blick in das Reich Beliars, fast nur einen Sekundenbruchteil lang, jedoch mächtig genug, um die Seele in die Finsternis zu ziehen. Leblos fiel Lorbumols schwerer Körper ins Gras, die Schwerter folgten.
Lugdrub wurde ohnmächtig, das Strahlen verließ seine Augen.
Der Seher jedoch – außerhalb des Allsehenden Auges – lachte. Natürlich war die Schattenkugel nur durch seine meisterhafte Beherrschung der Illusionsmagie derart mächtig geworden. Alleine hätte sie dem kleinen Bruder des Staubfressers zwar einen bösen Schaden zugefügt, jedoch nicht die Seele entzogen. Was jedoch feststand war, dass Lugdrub die Illusionsmagie zum ersten Mal als Waffe eingesetzt hatte, als Waffe seines kompensierten Hasses.
„Glückwunsch, Welpe“, murmelte der Seher, „Eine Meisterleistung. Schauen wir, ob Du auch den wirklichen Meister bezwingen kannst.“
Irgendwo in den Nordlanden der Orks, viele tausend Meilen entfernt, fiel in dem Hauptstollen der Bulzog-Sippe deren neues Oberhaupt Lorbumol in einen traumlosen, endgültigen und tödlichen Schlaf.
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Als Lugdrub wieder erwachte, befand er sich in dem Innern des Schlosses. Er wusste es, roch es, schmeckte es. Alles hier sprühte geradezu vor Mensch und verbreitete einen Gestank, der die feine Nase des Orkes rümpfen ließ. Er schaute sich um, bemerkte dass er sich in einer Art Festsaal befand. Es war ein langer, großer Raum, der von einem breiten und festlich beladenen Eichentisch beherrscht wurde. Am anderen Ende des Saals befand sich über einigen Stufen ein Thron, wie ihn nur Menschen fertigen konnten. Prunkvoll, pompös und ganz aus Holz. Nicht einmal ansatzweise mit der liebevollen, traditionellen Handwerkskunst der Orks zu vergleichen, die für ihre Throne nur beste Menschen- und Tierschädel benutzten. Flankiert wurde der Thron von zwei mächtigen Treppen, die hinauf in die Galerie führten.
Der Saal – so geschmückt und ausstaffiert er auch war – schwieg, war leer und ohne Gäste.
Außer einem. Der saß auf dem Thron – urplötzlich – und winkte ihm zu. Lugdrub erkannte ihn nicht, hob dennoch die Hand, wohl einfach da die Geste etwas Freundliches und Vertrautes hatte.
Pass’ auf, Lug!, warnte ihn seine Vorsicht. Er würde den Ratschlag befolgen. Diese ganze Geschichte war … suspekt und unglaublich. Knochenwälder, fliegende Schlösser, Lorbumols Tod und nun dies hier. Der Thronsaal.
„Wer bist Du?“, erhob der Schamanenlehrling die Stimme, ließ sie magisch kraftvoll und einschüchternd wirken. Die Gestalt lachte auf, und in diesem Lachen war etwas, dass Lugdrub so seltsam bekannt vorkam. Er schluckte, fixierte die Person … und scheiterte. Je konzentrierter er auf die Gestalt zu schauen versuchte, umso mehr schien sie zu verschwimmen. Einer Illusion gleich … oder etwas, dass nicht gesehen werden und doch seine Anwesenheit bekunden wollte. „Sprich!“
„Kennst Du mich nicht mehr, Lugdrub?“
Säuselnde Stimme, die vor Arroganz, vor berechtigter Selbstgerechtigkeit geradezu troff. Ja, er kannte sie wieder … er würde sie überall erkennen. Die Stimme gehörte keinem Geringeren als Yama, dem Wesen aus Gotha, welches ihn nach einem Ritual verlassen hatte. Yama, der der Auslöser dafür gewesen war, dass der Schöpfer ihn überhaupt anerkannt und die Magie geschenkt hatte. Yama … Sein Nemesis?
„Yama“, murmelte der angehende varrag, „Ich dachte … Du seiest verbannt.“
„Ja, dass dachtest Du. Natürlich tatest Du das, denn ich habe Dir erlaubt, dass zu denken, habe mich freiwillig zurückgezogen. Wollte sehen, wie Du Dich ohne mich entwickelst. Und – beim Schöpfer, wie ihr Orks sagen würdet – das hast Du prächtig!“
„Was willst Du, Dämon?“
„Ich sagte Dir doch damals schon … Ich bin kein Dämon. Weder Innos, Adanos oder Beliar sind meine Herren. Ich bin mein eigener Herr, ein Wesen der Magie, losgerissen von den Fesseln des Glaubens.“
„Was willst Du, Kreatur?“, knurrte Lugdrub nun drohender. Yama. Er war zurück. Der Ork konnte es nicht fassen. „Noch einmal meinen Geist verunreinigen? Nein, vergiss’ es.“
„Ach, ich bin nur auf Wunsch eines alten … Freundes hier. Er teilte mir mit, dass Du getestet werden sollst. Daher bin ich hier, Lugdrub.“
„Wer ist der alte Freund?“
„Der Seher, Lugdrub, Dein Meister. Du befindest Dich in dem Allsehenden Auge, dem Artefakt der Orks in diesen Landen, die die Menschen Gorthar nennen.“, sprach das Wesen.
„Das heißt … es ist alles nicht echt?“
„So einfach lässt es sich leider nicht erklären. Die Gefahren … waren echt, zumindest so echt, wie Illusionen sein können. Und – glaub mir – mit der nötigen Macht werden sie es. Das Allsehende Auge verlieh eine solche Kraft. Dein Bruder Lorbumol war – jedenfalls mit Geist und Seele – anwesend und weilt nun auch in der realen Welt unter den Toten. Der Knochenwald … echt. Die Länder … echt. Ich …“ Yama machte eine Wirkungspause. „echt.“, beendete er grinsend. Zumindest glaubte Lugdrub, dass die Gestalt grinste.
„Nun, Du testest mich … Wie soll der Test aussehen?“
„Bezwinge mich!“
„Mit Vernügen!“
Wieder begann der Reigen des Wahnsinns, der Tanz des Todes, dass Spektakel der Magie und des Arkanen. Die brodelnde Kraft Lugdrubs tränkte die Luft, hinterließ süßlichen Geruch, einen herben, aber nicht unangenehmen Geschmack auf der Zunge. Er schuf sich ein eigenes, magisches Welt, in dem er schalten und walten konnte. Yama jedoch fegte es derart beiseite, dass es den Ork vor Überraschung umriss.
„WIE?!“, brüllte er und stürzte sich, nachdem er sich aufgerappelt hatte, auf die Gestalt des Wesens, griff brutal und grob nach seinem Geist … und griff daneben. Mehr aus Absicht, denn einen kleinen Moment lang war er auf bestem Wege gewesen, dem Wahnsinn anheim zu fallen. Ein zu genauer Blick in die Gedankenwelt Yamas hätte Lugdrub verrückt werden lassen. Das wusste das Wesen und schleuderte den Ork mit Blitz aus reiner Schattenkraft gegen die starke Tür des Saals. Schreiend schlug sich der Lehrling auf die Brust, versuchte die Flammen verschwinden zu lassen, die dunkel auf seiner Robe brannten und nach seinem Fleisch gierten. In rasender Verzweiflung sprang der Ork wieder auf, hechtete auf den Tisch und rannte auf Yama zu, welcher immer noch am Thron stand und keine Anstalten machte, sich zu bewegen. Er ließ den rasenden Ork bis auf wenige Schritte zu sich kommen, ehe sein Feld aus reiner Magie nach Lugdrub griff und ihn geradewegs lähmte. Er konnte sich kein Stück bewegen … Er saß in der Falle.
Yama kam lächelnd näher. Mehr entblößte er nicht. Ein Lächeln von Fangzähnen, die Holz durchbeißen könnten. Darüber – wie unter einer Kapuze verborgen – befanden sich zwei scharlachrote Schlitze. Seine Augen.
„Du hast versagt“, zischte er, „Elendig versagt. Ein Schwächling bist Du, ein Schandfleck der Welt!“
Ja … ich habe versagt. Endgültig. Ich verfluche Dich, Yama, ebenso wie Dich, Seher. Ich habe versagt, unterliege eurem Bündnis und gebe mich geschlagen. Das war’s endgültig und letztendlich. Macht’s schnell, schenkt mir einen raschen Tod.
Natürlich konnte Yama Gedanken lesen.
„Nein, verlass’ Dich drauf, Dein Tod wird lang und schmerzvoll.“
„Meinst Du?“
„Natürlich … Was willst Du dagegen tun? Du bist ein erbärmlicher Ork und ein noch viel erbärmlicher Schamane. Etwas wie DIR gebührt nur ein Tod, der sich schier endlos in die Länge zieht.“
Er hat Recht … Ich bin wertlos, meine Mühen sind wertlos … Was ich tue, was ich getan hab und tun werde … in Anbetracht des Schöpfers, seinen Anforderungen und Wünschen, bin ich nichtig, schwach und einfach nicht in der Lage, sie zu erfüllen.
Der Ork schloss die Augen, lächelte jedoch. Einen Moment sah er jene vor sich, die sich für ihn eingesetzt hatten. Tat’ank’Ka, Kushluk, sogar Hosh’Dal. Rugak, Grabak … Ja, selbst den Schwarzen Berg … Kallash. Und ein Gesicht, welches sich so tief eingebrannt hatte. Proya Anuot, die Eiswölfin der Kaste. Und hinter ihr … Duma gro-Ogdum, Lugdrubs Vater. Sein Profil war am Schärfsten, so wie es der Sohn in Erinnerung hatte. Eine wilde, rabenschwarze Mähne, geflochten und mit Knochen bestückt. Ein Gesicht, kantig und markant, ein Mann von einem Ork. Und das Vertrauen, die Erwartungen, die er in Lugdrub legte … und sie von da, wo er nun war, immer noch tat.
Nein …. Ehrlos? Schwach? Erbärmlich?
Niemals!
„Niemals, Yama“, flüsterte der Ork.
„Was?“ Die roten Augen zuckten. „Was sagst Du?“
„Niemals. Ich werde nicht aufgeben, mich nicht von Dir bezwingen lassen. Ich habe meinem Vater versprochen, ihn zu rächen. Ich habe Kushluk versprochen, ein wahrer Meister unter den Schamanen zu werden. Und ich habe Proya versprochen … sie wieder zu sehen. Nein, Yama, Du wirst mich nicht bezwingen. Nicht in diesem Leben.“
Das güldene Glühen kehrte in die glasig gewordenen Augen zurück, erfüllte sie. Der Blick richtete sich zur Decke der Saales, die langsam aber stetig verschwamm.
„SEHER!“, brüllte Lugdrub, „HÖR MICH AN!“
„Was tust Du da?!“, kreischte Yama, wurde aber ignoriert. Langsam löste sich seine Gestalt auf. Angefangen bei den Händen, sich langsam über den Körper ausbreitend. Ja, er lebte von den Gefühlen Lugdrubs, von einer Spur Aufmerksamkeit. Ein Wesen, das die Schwäche der Lebenden zu eigener Stärke nutzte. Nun drehte Lugdrub den Spieß um.
„Ich habe Dein Spiel erkannt, Seher. Du bist mächtig, dass weiß ich, Du besitzt dieses Artefakt von immenser Kraft. Aber Du bist nicht allmächtig, kein Gott und Richter! Deine Illusionen habe ich bezwungen, selbst diese eine, scheinbar unmögliche! Du hast verloren, Seher, haushoch verloren! Brechen wolltest Du mich, Deine Rache an der Kaste nehmen … Und so kläglich hast Du versagt!“
Mit einem ohrenbetäubenden Schrei verschwand Yama, zerfiel in sich selbst. Er hinterließ ein Loch, schwarz wie die Nacht, in dem der Rest der Welt hineinzufallen schien. Das Allsehende Auge, die Welt der Illusionen, versank und verschwand.
Zum letzten Mal umfing Lugdrub Schwärze … aber er blieb wach.
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Wie von einem Dampfhammer getroffen, wurde der Seher durch die Luft geschleudert und landete zwei Meter vom Juwel entfernt im Dreck, im regennassen Schlamm. Seine besudelte Robe wurde nur mehr verschmutzt, je heftiger und erschrockener er sich wandt. Das Allsehende Auge erzitterte, pulsierte vor Kraft und ... verwandelte sich fließend. Er wurde größer, nahm geradezu abstrakte Formen an. Es bildeten sich Arme, Beine, Torso, Füße, Kopf und Gesicht. Das Gesicht eines Orkes. Lugdrub gro-Ogdums Gesicht.
Mit Unglauben im Gesicht starrte der Seher auf die Gestalt seines Schülers, die sich aus dem Auge gebildet hatte. Der Lehrling stand da, als wäre nichts gewesen, als wären die Torturen der letzten Tage ohne jegliche Spur an ihm vorbeigegangen.
Sind sie aber nicht, wusste der Seher, er ist an sich gewachsen.
»Wie ... hast Du es geschafft, Lugdrub?«
»Glaube, Hass und Liebe«, murmelte der Schüler, »Ja, dass war's wohl. Vor allem Glaube und Hass, ganz unserer orkischen Natur entsprechend. Nicht wahr?«
»Nicht wahr. Liebe macht auch einen großen Teil unseres Wesens aus. Mindere nicht ihren Wert, Lugdrub. Aber nun ... ich bin überrascht, entsetzt und begeistert. Du hast den Test des Allsehenden Auges bestanden, auf eine Art und Weise, wie sie niemals zuvor jemand bestanden hat. Du kannst stolz auf Dich sein, denn Du hast nicht nur Mut und Standhaftigkeit bewiesen, sondern auch Deinen Glauben und Geist verteidigt ... Und vor allem ein tieferes Verständnis für die Illusionsmagie gewonnen, Du weißt, wie Du sie richtig einzusetzen hast. Und das war es, was ich erreichen wollte.«
Der Schamane klatschte in die Pranken. Die Welt um die beiden Orks herum tanzte in allerlei bunten Farben, ehe sie dunkel, grau und nass wurde. Sie waren in einem Waldstück, kurz nach dem Sonnenuntergang. Keine Orks des Allsehenden Auges, kein beschauliches Dorf ... Nein, es war alles nur Illusion, Lug und Trug gewesen.
»Ihr seid ... unglaublich, Meister.«, murmelte Lugdrub. »Aber was ist nun mit der Kunst des Dritten Auges, der des Sehens?«
»Glaube mir, Lugdrub, Du hast das Talent in Dir. Du brauchst keinen Meister, der das Sehen beibringt, denn Du hast die Kraft, es selber zu lernen. Vor allem mit deinem weiteren Wissen, bist Du auf dem besten Wege da hin, ein wirklicher Schamane zu werden. Und nun ... kehre nach Faring zurück. Ich habe Dinge gesehen und geträumt, die von großen Veränderungen sprechen. Kehre zurück, unterstütze Dein Volk, Sohn des Geistes.«
Ein Teleportzauber erhellte die Dunkelheit des Waldes. Der Seher seufzte, erhob sich schwer und schaute in die Richtung, die in Richtung Landesinnere führte.
»Von Varant nach Gorthar. Das Leben bietet allerhand Überraschungen.«
Gemütlich ein Lied vor sich her pfeifend verschwand der Seher im Unterholz.
Wir sehen uns wieder, Lugdrub gro-Ogdum.
Lugdrub
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„Das“, sprach der Klingenmeister und deutete auf die Stadt um sie herum, in der momentan reges Treiben herrschte. „ist also Gorthar“. Es war nicht lange her, dass sie das Schiff verlassen hatten, welches Rodeon für sie organisiert hatte. Er hatte gute Arbeit geleistet und sie sicher bis nach Gorthar gebracht. Es war, wie DraconiZ vermutet hatte: Er war nützlich. Der Hafen war relativ beeindruckend gewesen. Nicht vergleichbar mit dem Hafen aus Bakaresh und dem Vengards. Dennoch schien er auf seltsame Art und Weise leer. So als wünschte er sich selbst Etwas von seiner alten Stärke zurück, die ihm aber nur die Bewohner dieser Stadt geben konnten, es aus irgendeinem Grund aber nicht vermochten.
Der Marktplatz, auf dem sie sich in diesem Moment befanden, beeindruckte ihn allerdings nicht so sehr. Hier gab es Waren aus aller Welt und die Händler priesen ihre seltenen Waren eifrig an. Doch das stellte keinen Vergleich zu Bakaresh. Die Händler dort brauchten sich von denen hier nicht im geringsten zu verstecken. Für einen Moment blendete ihn die sich langsam an den Horizont hebende Sonne. Dann stand plötzlich ein junger Mann vor ihnen. Seine Kleidung war adrett. Ein grünes Hemd steckte in einer braunen Hose, seine Gestalt war hager. „Willkommen in Gorthar meine Herren“, sprach er freundlich, dann wandte er sich an Vicious und verneigte sich, so dass sein Rücken sich ein Stück weit gen Boden bewegte. „und auch euch heiße ich herzlich in Gorthar willkommen meine Dame“. DraconiZ entgegnete Nichts und beschloss abzuwarten, was geschehen würde. Nachdem der Junge Mann dessen gewahr wurde, lächelte er verlegen und deutete auf eines der Häuser, bei dem es sich unzweifelhaft um eine Gaststätte handeln musste. Zumindest zeigte das Schild vor dem Haus ein Schwein am Spieß. „Die Familie Al'Hasir lädt euch zu Speis und Trank ein. Ihr werdet begeistert sein. Das heißt, wenn ihr ein paar Goldmünzen habt, die ihr bereit seid uns für unsere Arbeit zu schenken“. Der hagere Mann verneigte sich erneut und deutete eindringlicher auf das Gasthaus. DraconiZ blickte zu seinen Gefährten und zuckte dann mit den Schultern. „Die Reise hat uns ziemlich erschöpft. Ein wenig Nahrung und vielleicht ein Platz zum Schlafen würde uns sicherlich gut tun“.
Schon bald saßen sie an einem relativ großen Tisch, hatten dampfende Speisen vor sich stehen und konnten den gar nicht so schlechten Klängen des Bardens lauschen. Seine Geschichte erzählte von einer weiten Reise einiger Gefährten die zum Gletscher aufgebrochen waren, um dort einige Artefakte zu suchen, allerdings von der Kälte übermannt worden waren und schließlich den Klauen der Luzkan zum Opfer gefallen waren. Was auch immer diese Luzkan sein sollten. DraconiZ brach, mit seinem Gedanken abwesend, das Brot in seiner Hand und kaute, fast gelangweilt darauf. Irgendwie zogen die Töne des Barden ihn in seinen Bann. Vielleicht war es einfach die Erinnerung an seine Zeit als Barde, die ihn nun zu übermannen suchte. Nicht nur deswegen gab er dem Barden einige Goldstücke mit auf den Weg, als er grinsend fragte, ob sein Lied gefallen hatte.
Als er bereits der Aufbruchsstimmung seiner Gefährten nachgeben wollte setzte sich der Mann zu ihnen, der sie hierher geführt hatte. Ein Lächeln umspielte seine Züge. „Ihr sucht nach Etwas habe ich Recht? Die Unruhe scheint euch ebenso zu begleiten, wie die hübsche Dame hier“. Wieder blickte er zu Vicious herüber. „Wir suchen eigentlich Nicht Etwas“, meinte der Schwarzhaarige knapp. „Eigentlich suchen wir Jemanden. Tombo ist sein Name“.
Schlagartig veränderte sich der Gesichtsausdruck seines Gegenübers. „Ach ihr seid das“, sagte er emotionslos. Für einen Moment meinte der Klingenmeister die Laute des Barden verstummen zu hören. Dann erhob sich der Mann. „Ihr werdet ihn hier nicht finden“. Kurz darauf war er aus dem Blickfeld der Gruppe verschwunden.
„Er weiß Etwas“, meinte der Streiter kalt. „Leider können wir unsere Zeit nicht verschwenden. Wir werden ihr noch einmal fragen müssen“. Er sah zu Rodeon und Vicious hinüber.
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Im Raum hinter sich hörte er das Winseln des Mannes, der sie eben noch so fürstlich bewirtet hatte. Es war schon erstaunlich, wie schnell ein Wort, in diesem Fall ein Name, die Stimmung im Hause ändern konnte. Nur sollte man vielleicht vorher nachdenken, bevor man eine Reisegruppe wie die ihrige gegen sich aufbrachte. Aus dem weiteren hörbaren Wimmern im Raum hinter sich hörte Rod jedenfalls heraus, dass es der Mann schon bereute, nicht sofort das preisgegeben zu haben, was sie wissen wollten. Zumindest die anderen beiden schienen sehr daran interessiert, dem Ritter auf Abwegen war es hingegen vollkommen egal. Dass der Mann noch versucht hatte Gegenwehr zu leisten, ließ sein Verhalten nur noch törichter wirken. Doch jeglicher Versuch das drohende Schicksal abzuwenden wurde schnell eingestellt, nachdem er überwältigt worden war.
Er wusste immer noch nicht so recht, ob es ihn in irgendeiner Art besser machte, dass sein anfängliches Sträuben selbst die Information zu beschaffen dazu führte, dass er „nur“ damit betraut war vor dem Raum aufzupassen, dass keine ungebetenen Gäste sie bei ihrem „Vorhaben“ stören würde. Schmiere stehen war in diesem Fall wohl das Beste, was er erwarten konnte. Vielleicht sollte er sich schuldig fühlen, dass er nichts dagegen unternahm. Vielleicht sollte er sich selbst die Frage stellen, ob er nicht besser doch das erstbeste Schiff in Richtung Festland nehmen sollte. Doch statt sich mit diesen Fragen rumzuärgern, versuchte er die Geräusche aus dem Innern des Raumes so gut wie möglich auszublenden. Je weniger er aufnahm, desto weniger belastete ihn auch nachher, doch Wimmer- und Winsellaute sind nur schwer zu überhören.
Irgendwann wurde es still. DraconiZ öffnete die Tür, gefolgt von Vicious, und nickte ihm zu. Wie es ihrem Opfer ging traute er sich schon gar nicht zu fragen. Irgendwie kannte er schon die Antwort.
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Und dabei hatte sie doch gar nichts gemacht. Ein schneidender Blick ist ja schließlich nicht wörtlich zu verstehen. Und wenn hier jemand stets gewaltbereit war, dann traf das ja wohl auf DraconiZ zu. Vicious hielt von Gewalt überhaupt nichts. Es sei denn, sie wurde dafür bezahlt oder sie war zwingend notwendig. Was zwar öfter vorkam als man dachte, aber seltener als man glaubte. Oder so. Ob es diesmal auch der Fall war, sei einfach dahingestellt.
Zumindest der Assassinen war zufrieden mit dem Verhör und darum ging es letztlich. Denn es war auch seine Suche. Nun wieder zu dritt, verfolgten sie die frisch zugesteckten Hinweise. Tombo musste ziemlich paranoid sein, da er sich offenbar verfolgt fühlte und gewisse Vorkehrungen traf, so dass die Leute ihn nicht auf der Stelle verrieten, wenn man nach ihm fragte. Andererseits schien er aber nicht unbedingt der Hellste zu sein. Immerhin lasen sie seine Spuren auf wie Scavenger Brotkrumen.
Zuerst die Kanaille auf der anderen Insel. Zehn Goldmünzen und ihm wäre einiges Leid erspart geblieben. Und jetzt dieser Kerl hier in Gorthar. Auch wenn sich beide erst mal geweigert hatten etwas zu sagen, war es letzten Endes doch kein Kunststück sie zum Reden zu bewegen. Dafür, dass Tombo mal eine große Nummer gewesen sein soll, hatte er sich da ganz schön unzuverlässige Leute ausgesucht. Aber worüber beschwerte sich Vicious eigentlich? Es war schließlich in ihrem Interesse, dass sie an die Informationen herankamen.
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Die Türen des großen Herrenhauses schwangen nach innen als der Klingenmeister sie mit einem Ruck öffnete und das Sonnenlicht in die dunkle Eingangshalle fallen lies. Die Familie Al'Hasir zeigte ihren Reichtum ganz offen. Trotz der Situation, in der Gorthar sich ganz offensichtlich befand. Sie hatten scheinbar keinen Grund Irgendjemanden zu fürchten. Doch da war er noch nicht dort gewesen.
„Ich hätte mir ein Empfangskomitee gewünscht“, meinte der Schwarzhaarige ironisch als er eines seiner Schwerter zog und weiter in die Eingangshalle trat. „nachdem der Cousin Tombos mir erzählt hat, dass er in jeden Fall hierher – in den Schoß seiner Familie – zurückgekehrt ist“. Ja er hatte es nicht verraten wollen. Hatte sich aus Leibeskräften gewehrt. Dennoch hatte er geredet. Hatte gesagt, dass es Brauch war, dass die Familie Al'Hasir ihre Söhne in die Ferne schickte um Handelbeziehungen zu knüpfen und an Einfluss zu gewinnen. Und das sie zusammenhalten würden, was auch immer geschehen würde. Das sie niemals einen Anderen verraten würden. Schon bald hatte er seine Worte mit seinem Tun Lügen gestraft. Er blickte zu Vicious, die sich das ganze angehört hatte ohne eine Miene zu verziehen. Rodeon hatte er mit knappen Worte die „Neuigkeiten“ mitgeteilt.
Zwei Treppen schlängelten sich vor ihm rechts und links zu einer weiteren hohen Tür. In der rechten und linken Wand waren weitere Türen eingelassen, die zu weiteren Räumen führten. Direkt vor ihnen, umrahmt von den beiden Treppen stand eine Art Altar, auf dem ein Bild stand. Es schien einen der Urahnen zu zeigen. Konnte aber auch Jeden anderen Mann zeigen. Wer konnte das schon ahnen? Als sich die große Tür auf der ersten Etage über ihnen öffnete nahm der Klingenmeister den Blick von dem Altar und blickte hinauf in das Gesicht eines hoch gewachsenen Mannes, der mit einer Art Robe bekleidet war. Auch wenn diese nicht im mindesten der eines Magiers ähnelte, sondern vielmehr an einen Gelehrten erinnerte. Sein Haar begann bereits zu ergrauen. Seine langen Finger faltete er vor dem Bauch und blieb in der Mitte des Geländers, welches beide Treppen umspannte, stehen. Sein ganzes Auftreten spiegelte Selbstsicherheit wider.
„Ihr findet ihn hier Nicht. Er ist nun wieder in den Armen seiner Familie. Geht heim. Eure Reise ist hier beendet Assassine“, sprach er mit gebieterischer Stimme. „Ich will eurer Familie Nichts“, sprach DraconiZ entschlossen. „Der einzige der mich interessiert ist Tombo“. Der Mann vor ihnen schüttelte den Kopf. „Tombo ist die Familie und die Familie ist Tombo. Richtet ihr euch gegen ihn, so richtet ihr euch gegen uns Alle“. Der Streiter zuckte mit den Schultern. „Wenn das euer Wunsch ist, so werde ich ihn erfüllen“. Der Mann vor ihnen schüttelte den Kopf und klatschte in die Hände. Wie von selbst schwangen die Türen an der rechten und linken Seite auf. In blutrot gekleidete Männer und Frauen traten aus den Räumen. Ihre Hände waren leer, doch ihre Intention lag wie flüssiges Feuer in der Luft. „Ihr werdet nun gehen“, sprach der Mann kalt.
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Warum konnten die Leute nicht ein einziges Mal zuvorkommend sein? Warum konnte man sich nicht ganz gemütlich zu einer Tasse Tee zusammensetzen, über alte Zeiten philosophieren und ganz beiläufig das preisgeben, weswegen man gekommen war? Aber nein, wo sie auch auftauchten, hatten sie Ignoranz, Unverständnis und Gegenwehr zu erwarten. So auch in diesem Fall.
Als sie dem alten Mann die einfache Frage nach dem Aufenthaltsort des von DraconiZ Gesuchten gestellt hatten, war scheinbar die gesamte Sippschaft auf einmal im Raum versammelt gewesen. Der alte Mann hatte wohl gedacht, dass dies die Eindringlinge eingeschüchtert hatte, doch sein Gefährte war zu begierig darauf gewesen eine Antwort auf seine Frage zu erhalten, als dass ihn das hätte beeindrucken können. Ganz abgesehen davon, dass die neu Hinzugekommenen nur aus Frauen oder aus Männern bestanden, die entweder zu viele oder zu wenige Winter gesehen hatten. Keine Krieger oder sonstigen Männer mit nennenswerten Kampffertigkeiten schienen unter ihnen. Es war schon fast töricht gewesen, dass diese Bewohner Gorthars sich ihnen entgegenzustellen versuchten.
Rod hatte förmlich riechen können, wie DraconiZ den Auflauf der Fremden analysierte und das für ihn schwächste Glied der Kette neben dem alten Mann gesucht hatte. Und es hatte nicht lange gedauert und seine Suche war erfolgreich gewesen. Schon beinahe anmutig und grazil war er hervorgeprescht und hatte eine an seinem Körper versteckte Klinge an den Hals einer jungen Frau gelegt, die wohl von allem, was geschehen war, nicht so recht viel verstanden hatte. Stattdessen konnte sie nur entsetzt mit ansehen, wie sie als Druckmittel gedient hatte.
„Vielleicht sagt er uns jetzt, was wir wissen wollen“, hatte Rod gedacht, als auch er sich kampfbereit machte. Dass sie nicht mit billigen Phrasen weggeschickt werden wollen, hatten wie wohl klar gemacht.
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„Ich habe nicht vor ein Leben zu beenden, wenn es nicht erforderlich ist“, sprach der Schwarzhaarige mit kalter Wut in der Stimme. Das Kris immer noch an den Hals seiner Gefangenen gepresst blickte er wieder hoch in das Gesicht ihres Gastgebers. Die ganze andere Welt schien mit einem Male zu stehen und alle Menschen in diesem Raum blickten hinauf zu der hageren Gestalt oben vor dem Geländer. Dieser stieß ein tiefes Seufzen aus.
„Das ändert nicht das geringste“, sprach er mit tödlichem Ernst in der Stimme. „Eine Frage soll euch beschäftigen, wenn Beliar sich eurer annimmt: Warum stehen hier nicht kräftige Männer und treten euch entgegen? Warum gibt es bei unserer großen Familie hier keine Frauen im besten Alter? Fragt euch dies uns werdet euch im klaren, dass ihr euch geirrt habt. Beliar kann so viele Schergen aussenden wie er will. Er wird sich unserer nicht annehmen“.
Der Klingenmeister drückte das Kris heftiger gegen den Hals des Kindes. „Schluss jetzt mit dem Gefasel! Das ist eure letzte Chance. Sprecht oder seht zu wie eure Erbin stirbt!“. Eine einzelne Träne bahnte sich ihren Weg über das Gesicht des alten Mannes. Dann brach das Mädchen in seinen Armen zusammen. Der Assassine konnte nur noch erkennen, wie sämtliches Leben mit einem Male aus ihrem Körper verschwand und sie als leere Hülle auf dem Boden aufschlug. DraconiZ schluckte. Dann folgten weitere dumpfe Geräusche und die anderen Menschen brachen ebenfalls leblos zusammen. Sämtliche Farbe war aus ihren Gesichtern und Körpern gewichen. Fassungslos starrte der Streiter auf den alten Mann, der beide Hände vor sich gestreckt um eine rote pulsierende Kugel hielt. Es war als ob er ihnen das Leben geradewegs aus dem Leib gerissen hätte. Dann hob er das leuchtende Etwas und sprach knappe Worte, woraufhin sich Flammenzungen um ihn herum ausbreiteten und sämtliches Holz um ihn herum Feuer fing. „Magie“, keuchte der Schwarzhaarige drehte sich um und packte Rodeon, sowie Vicious bei den Schultern. „Raus hier!“.
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Besonders wohl hatte sich die Kopfgeldjägerin unter diesen Alten nicht gefühlt. Sie stellten keine offensichtliche Bedrohung da, trotzdem traute Vicious ihnen nicht über den Weg. Warum sonst hätten die sie umringen sollen, wenn nicht, um sie irgendwie aufzuhalten. Vielleicht waren sie das, was vor dem Zombiedarsein auf einen wartete. Und mit Zombies war nicht gut Kirschen essen.
Doch es kam völlig anders als erwartet. Die Horde kam nicht stöhnend und schlurfend auf sie zu, sondern hauchte einfach alles Leben aus, nachdem DraconiZ mit dem Kerl auf der Treppe einige Worte gewechselt hatte. Was der mit seinen nebulösen Rätseln sagen wollte, war der Marmo schleierhaft. Wobei ihr die nächstliegendste Antwort ein kurzes Lächeln auf das Gesicht zauberte: die Alten gingen Beliar einfach gehörig auf Zeiger und deshalb nahm er sich ihrer nicht mehr an. Vicious konnte das ziemlich gut nachvollziehen.
Was dann als nächstes passierte, setzte der Veranstaltung die Krone auf. Statt eines Kampfes, den Vicious irgendwie innerlich erwartet hatte, brachen plötzlich alle um sie herum zusammen. Zuerst vermutete sie einen Trick dahinter, dass die Alten sofort wieder auf die Beine springen und voller Tatkraft angreifen würden. Doch nichts dergleichen geschah. Statt dessen spürte Vicious wie sie von DraconiZ an der Schulter gepackt und mitgerissen wurde. Beim Hinausstolpern erkannte sie noch den Kerl auf der Treppe, wie er inmitten von Feuer stand. Was auch immer gerade geschehen war, sie sollten nicht länger bleiben. Zu dritt erreichten sie die sichere Straße und blickten sich nach dem großen Haus um, das jetzt von den Flammen verzehrt wurde.
»Tombos Cousin wusste garantiert, dass er uns in eine Falle rennen lässt. Was auch immer das war. Und wohin jetzt? Der Alte hat doch nichts brauchbares verraten. Außer natürlich, wenn wir jetzt mal in der Unterwelt nach Tombo suchen sollten.«
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Dunkelheit. Ewige wabernde Finsternis. Hier existierte der Schwarzhaarige nicht mehr als lebendiges Wesen innerhalb der Sphäre Adanos'. Hier, an diesem Ort weit entfernt von der Welt allen Lebens, war er nicht viel mehr als ein Wassertropfen im Meer ewiger Schwärze. Er existierte, das war das Einzige was er in diesem Moment sicher wusste. Fernab von Traum und Wirklichkeit, fernab der Taverne in die sie sich einquartiert hatten um ihr weiteres Vorgehen zu besprechen, fernab von seinen Gefährten die in diesem Moment wahrscheinlich fragten wohin er verschwunden war. Der Assassine hatte sich Schlafen gelegt. Hämmernde Kopfschmerzen und ein nicht begreifbares Gefühl von Müdigkeit hatten ihn übermannt. Nun meinte er zu wissen, dass sie ihn nicht finden konnten. Selbst wenn sie in dem Bett nachgesehen hätten in der er zuvor gelegen hatte.
Seine Bewegung, wenn man in dieser Welt von so Etwas sprechen konnte, endete. Nicht abrupt, nicht durch einen Umstand der ihn dazu veranlasst hätte. Sie endete schlicht und endgültig. So wie das Leben irgendwann endete. Doch wusste der Streiter das seine Zeit noch nicht gekommen war. Das er nicht hätte sterben können selbst wenn er gewollt hätte. Sein Sein verharrte genau in dem Moment als er an dem Ort angekommen war von dem die Düsternis auszugehen schien. Es war als wäre er zu einem Platz gekommen wo der Schatten nicht mehr das Gegenteil des Lichts war, sondern wo das Licht niemals hingelangen konnte. Wo es nicht existierten konnte, weil die Macht der Dunkelheit zu groß war als das auch nur ein einzelner Strahl hierher gelangen konnte. Hätte er einen Körper gehabt so hätte er sicherlich versucht vor der Macht in die Knie zu gehen, die sich schier endlos vor ihm zu erstrecken schien. Doch hier war die einzige Möglichkeit Respekt zu zeigen sein Sein – seine Existenz – vor der Macht zu verneigen. „Meister“. Es war ein Gedanke der einen kurzen Moment durch die Gedanken des Streiters ging. Doch die Schwärze vor ihm schien zu verstehen. Schien den Gedanken aufgefangen zu haben für sich. In dieser Welt gab es Nichts zu verstecken und Nichts zu verheimlichen.
„Al'Hasir“. Das Wort war nicht gesprochen worden, es gab keinen Ursprung. Es war einfach in seinem Kopf. Ganz so als wäre es sein eigener Gedanke gewesen – und doch wusste der Schwarzhaarige, dass es nicht der seine gewesen war. „Bringe sie heim“. Das Sein des Streiters bejahte die Forderung. Dann folgte eine Schar von Bildern. Bilder die seinen Verstand ausfüllten und ihm auf mysteriöse Art und Weise bekannt vor kamen, obgleich er sicher sagen konnte, dass er niemals dort gewesen war. Das Gesicht von Tombo stieg in seinen Gedanken auf. Er betrachtete es mit den Augen eines Anderen. Einen kurzen Moment lang sah er in das von Hass zerfressene Gesicht des Verräters. Dann verblasste die Szenerie und vereinigte sich mit den ewigen Schatten dieser Welt.
„Bring sie zu mir!“, murmelte der Schwarzhaarige. Schweiß perlte von seiner Stirn und bahnte sich seinen Weg schräg zum Kissen, auf das sein Kopf gebettet war. Einen Moment lang fürchtete er keinen Körper zu besitzen und war fasziniert von der Möglichkeit wieder nach festen Dingen greifen zu können, dann setzte er sich auf. Mit einem Kopfschütteln versuchte er seine Gedanken über den Traum – der keine gewesen war – zu ordnen. Als er sich im Raum umschaute standen Rodeon und Vicious bereits dort und blickten ihn an. In Rodeons Blick spiegelte sich eine Mischung aus Fassungslosigkeit und der Gewissheit, dass er nicht länger warten musste. Der Blick der Kopfgeldjägerin war wie immer ausdruckslos. Auch wenn DraconiZ meinte eine kurze Gefühlsregung gesehen zu haben. „Ich weiß nun wo sich Tombo sich aufhält. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Die Luzkanzacken warten“.
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Ihre kleine Weltreise hatte also ihr nächstes Ziel gefunden. Zu einem Gebirge im Süden sollte es dieses Mal gehen und von dort aus wahrscheinlich wieder zur nächsten Etappe auf der Jagd nach diesem Tombo, für dessen Sicherheit einige sogar bereit waren den Tod in Kauf zu nehmen. Und ein Gefühl verriet Rod, dass ihnen noch nicht die letzten Menschen begegnet waren, die eher auf Blut als auf willige Kooperation aus waren. Was Anderes wäre immerhin auch mal eine ungewohnte Abwechslung.
Bereits früh am morgen waren sie aufgebrochen, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren. Immerhin gab es dort draußen in der großen weiten Welt einen, der von ihnen gejagt wurde und der sich sicherlich nicht als so zuvorkommend erweisen würde, indem er auf sie wartete
Nach einigen Stunden des Marsches legten sie schließlich eine längst überfällige Pause ein. Wobei Rod seinen schwarzhaarigen Gefährten selbst dazu überreden musste, denn dieser schien schon fast besessen von der Jagd nach seinem Opfer, besonders seit der letzten Nacht. Was genau dieser Tombo verbrochen hatte um einen solchen Jäger auf sich zu ziehen konnte der bärtige Ritter bisher nur erahnen. DraconiZ war bis jetzt allen Fragen dieser Art ausgewichen, aber vielleicht würde die Zeit seine Zunge lockern und Licht ins Dunkel bringen. Vielleicht würde sich dann klären, ob die Schneise der Verwüstung die sie hinter sich herzogen tatsächlich einen Sinn hatte.
Auch die Pause nutzte DraconiZ für Vorbereitungen und begann damit seine Waffen zu schleifen, bevor er auch schließlich seine Armbrust begutachtete und die Einstellungen überprüfte. Als er das Treiben so beobachtete, kam Rod wieder etwas in den Sinn.
„Sag mal“, sagte Rod zum Schwarzhaarigen, „ich hatte ja gesagt, dass ich bereits die eine oder andere Lektion mit der Armbrust hatte, aber das nie wirklich zum Abschluss bringen konnte. Und unsere Suche nach diesem Tombo wird sich wohl auch noch etwas hinziehen, wenn das so weitergeht wie bisher. Wäre es möglich, wenn wir uns einen Ort suchen wo wir ungestört sind und du mir das eine oder andere übers Armbrustschießen beibringen könntest? Wer weiß, wo sich das noch als nützlich erweisen kann.“
Gespannt wartete er auf eine Antwort.
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„Oh“, meinte DraconiZ, verstaute seine Waffen an seinem Körper und blickte hinaus über die Graslandschaft die sich bis zum Horizont erstreckte. In der Ferne meinte er die weiten Berge ausmachen zu können, die ihr Ziel waren. Allerdings konnte er sich kaum vorstellen, dass sie diese in den nächsten Tagen erreichen würden. „Verhandeln wir nun schon über den Lohn, der dir zweifellos zusteht?“. Etwas blitzte kurz in seinen Augen, fast identisch mit dem Blitzen in den Augen der Händler in Bakaresh. „Nun. Ich bin dir einen Gefallen schuldig und bin mir bewusst, dass deine Begleitung ihren Wert hat“. Er legte sich seine Armbrust locker in die Hand. „Und doch sollte dir klar sein, dass es nicht einfach wird. Du hast dich bereits an mich gebunden. Freiwillig. Noch immer weiß ich nicht recht warum die uns begleitest, aber ich bereue diesen Umstand nicht. Wenn du bereit bist entsprechende Leistung zu bringen, dann werde ich dir das nicht ausreden“. Kurz musste DraconiZ sich daran erinnern, was Claw ihm abverlangt hatte. Wie er ihn in Gotha der von allem Leben verlassenen Stadt unerbittlich an seine Grenzen getrieben hatte.
„Vielleicht möchtest du dich auch noch einmal mit Vicious unterhalten. Sie ist ebenfalls momentan seine Schülerin“. DraconiZ verzog amüsiert sein Gesicht. Eigentlich wusste sie das meiste schon längst. Bis auf ein paar Kniffe vielleicht. „Wir werden allerdings keine großen Pausen einlegen können um zu Üben. Ich muss Tombo und den Rest seiner Familie finden“. Er erhob sich und blickte Rodeon noch einen Moment lang an, bevor er ihn allein lies, damit dieser eine Entscheidung fällen konnte.
Vicious stand Etwas abseits und betrachtete die Umgebung. „Irgendetwas besonderes bemerkt?“, meinte der Schwarzhaarige als er neben ihr zum Stehen kam.
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»Außer, dass wir hier völlig allein sind? Nein.«, antwortete Vicious und sprang von dem einsamen Findling herunter ins Gras. »Aber irgendwie trau ich der Sache nicht. So eine schicke grüne Landschaft wär einfach zu viel des Guten. Jedenfalls nach dem, was wir bisher schon durchgemacht haben.«
Kurze Zeit später setzten sie ihren Marsch durch die Graslandschaft fort. Ganz allein waren sie letzten Endes doch nicht. In Sichtweite graste eine kleine Herde von Scavengern und Vicious schickte sich an, einen von ihnen abzuschießen. Immerhin stand die Sonne schon hoch oben am Himmel. Zeit für das Mittagsessen.
So gut es eben ging, pirschte sich die Kopfgeldjägerin allein an die Tiere heran, während ihre Gefährten zurückblieben. Nicht, dass sie besonders scharf darauf war zu jagen, aber wenn sie die Wahl hatte zwischen Abschießen und Ausweiden, dann zog sie ersteres vor. Von den Viechern wählte Vicious eines aus, das etwas abseits der Herde graste. So lud sie die Armbrust, kniete sich ins hohe Gras und zielte.
Ein Ruck ging durch die Waffe und im nächsten Augenblick rannte der Scavenger wie von Blutfliegen gestochen davon. Seine Artgenossen gackerten unentschlossen und scharten sich um die jüngeren Tiere, ohne wirklich zu wissen, woher die Gefahr drohte. Tatsächlich verfolgte Vicious längst den verwundeten Scavenger und fand ihn bald sterbend im Gras.
»Ihr könnt drum knobeln, wer ihn brät.«, sagte sie, als sie mit dem toten Vieh im Schlepptau zu DraconiZ und Rodeon zurückkehrte. »Ich mag das Fleisch gut durch.«
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Dunkelheit... sie umgab ihn wie ein bleischweres Tuch, aus welchem er sich nicht zu befreien vermochte. Stimmen waberten durch seinen verdunkelten Geist, er glaubte einige von ihnen zu erkennen, konnte sie aber nicht zuordnen. Woher kamen sie? Was wollten sie?
Die Fragen schossen ihm eher zufällig und ungeordnet durch den Kopf, gleißende Blitze die seinen Geist den Bruchteil einer Sekunde erhellten um ihn dann wieder in völlige Düsternis zu stürzen. Bemüht nicht in Panik auszubrechen tastete er sich durch die Finsternis in seinem Verstand, suchte nach irgendeinem Anhaltspunkt, irgendetwas Vertrautem. Schmerz. Er kannte das Gefühl. Dumpf und pochend, unangenehm doch ein altbekannter Besucher
Ganz allmählich, ganz behutsam erlangte er die Kontrolle über seinen eigenen Geist zurück, die Abfolge der Gedanken wurde ein wenig klarer, er war Grimward und schien noch am Leben zu sein. Die Stimmen waren mittlerweile verstummt, doch die Schmerzen blieben ihm. Wo war er?
Behutsam, ganz langsam, versuchte er seine Augenlider zu öffnen und tastächlich es ging, kein gleißend helles Licht flammte auf um ihn zu blenden, seine Augen erblickten lediglich die altvertraute Dunkelheit, die lediglich ein klein wenig heller zu sein schien als jene in seinem eigenen Geist.
Vorsichtig blinzelte er ein paar Mal und wartete darauf, dass die Dunkelheit sich ein wenig weiter erhellte doch nichts geschah, er konnte nichts erkennen. Also streckte er seine Hände aus und tastete, erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er bäuchlings auf dem Boden lag und er befühlte den Untergrund. Hart, rauh und kühl fühlte er sich an, offenbar handelte es sich um irgendein Gestein. Seine Finger ertasteten nun etwas Anderes, ein mit Leder umwickelter Griff, der sich vertraut anfühlte. Sein Schwert! Er umklammerte es fest... just in diesem Augenblick brach ein regelrechter Mahlstrom an Erinnerungen über ihm zusammen, der ihn schlichtweg überwältigte, der dumpfe, pochende Schmerz in seinem Kopf machte einem scharfen, schneidenden Platz, der ihn dazu bewegte aufzustöhnen und sich mit der freien Hand den Kopf zu halten, während die andere den Griff des Schwerts umklammert hielt. Die Augen wieder fest zusammengekniffen erduldete er die Flut von Erinnerungen die seinen Schädel an den Rand einer Explosion zu treiben suchten. Die Priester... der Tempel... das Portal... Theodrick... Dansard... Dansard! Mehrere Minuten blieb er einfach so liegen und wartete, bis sein Verstand ein wenig Ordnung in die Erinnerungen gebracht hatte, was blieb waren viele Fragen und ein nagendes Gefühl von Hunger und Durst.
"Innos... mein Schädel", ächzte Grimward, dann: "Dansard?"
Erneut öffnete er die Augen, erneut sah er nichts, außer Schwärze. Doch jetzt sah er sich im Stande, Licht ins Dunkel zu bringen... oder es zumindest zu versuchen. Langsam, ganz langsamer stemmte er sich hoch, wobei er sein Schwert auf dem Boden liegen ließ. Als er nun auf seinem Hintern saß tastete er nach weiteren Sachen die ihm gehörten. Auf seinem Rücken war ein Rucksack festgeschnallt, der Ritter Selerondars streifte ihn ab und kramte hastig nach Feuersteinen und einer Fackel. Auch wenn er nichts sehen konnte, wurde er schnell fündig, viel anderes befand sich nicht in seinem Rucksack, er fand bloß noch eine Wasserflasche und etwas das sich wie Brot anfühlte. Er mühte sich eine Weile mit den Feuersteinen ab, schließlich gelang ihm ein aktzeptabler Funkenschlag und zögerlich begann die Fackel Feuer zu fangen. Ganz langsam erhellte sich... eine große Halle die offenbar in den Fels gehauen wurde, Grimwards Blick huschte nach oben, die Decke war sicherlich zehn Meter über ihm, Säulen trugen die imposante Konstruktion, die Halle war groß, sehr groß... doch Grimward blieb keine Zeit zur Inspektion, grade als er überlegen wollte wo zum Henker er sich hier befand, fiel sein Blick auf die nähere Umgebung, mehre Menschen lagen um ihn herum, nicht besonders weit entfernt.
Grimward sprang auf, dass sie alle hier seit 6 Monaten lagen, wusste er nicht, es spielte auch keine Rolle. Was er noch nicht wusste, doch schon bald erkennen würde war, dass sie im Reich Rhamutras angekommen waren und die Zeit spielte hier nicht die Rolle, welche die Menschen ihr in der realen Welt zumaßen.
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Grimward machte ein paar Meter zum ersten Körper, der auf wie er selbst vor wenigen Augenblicken noch bäuchlings auf dem harten Boden lag. Eine Kapuze verdeckte den blonden Haarschopf, doch Grimward wusste sofort, dass es Dansard war. Er erkannte den Mantel, sowie die Klinge die neben dem Körper lag. Bei Gott wo waren sie da wieder hinein geraten. Die Angst, dass Dansard und die anderen, vor allem aber Dansard, tot sein könnten legte sich wie bleischweres Gewicht aus Eis in seinen Magen. Er packte seinen Freund fest bei der Schulter und drehte in unsanft auf den Rücken. Im Schein der Fackel erhaschte er einen Blick auf Dansards grauenvoll entstelltes Gesicht und das Herz blieb ihm beinahe stehen. Grausam vernarbt und abstoßend sah es im flackernden Licht des Feuers aus. Das verbarg Dansard im Schatten seiner Kapuze, der Ritter Selerondars war nicht überrascht, doch er fühlte Mitleid. Geradezu ruckartig wischte er das Gefühl weg, er konnte solche Sentimentalitäten jetzt nicht gebrauchen, Dansard konnte sie erst Recht nicht gebrauchen. Was zählte war, dass seine Finger einen Puls ertasteten und der er die Atmung des Blondschopfs deutlich vernehmen konnte.
"Dansard..."
Nichts, keine Reaktion.
"Dansard, Junge wach auf", diesmal rüttelte er mit der freien Hand grob an der Schulter des Entstellten und vernahm ein ächzendes Seufzen, sah das die Augenlider seines Freundes flackern und dann öffneten sie sich einen Spalt.
"Aargh", machte Dansard und kniff die Augen direkt wieder zusammen. Offenbar hatte er direkt in das Licht der Fackel gestarrt, welche ihn selbstverständlich blendete.
Er lebte. Er war in Ordnung... soweit man in diesem verdammten Loch in Ordnung sein konnte. Grimward schloss für einen Moment die Augen und genoss das Gefühl der Erleichterung. Er war sich ziemlich sicher das er Dansards Tod nicht verkraftet hätte. Zumal er seine Schuld gewesen wäre. So wie das alles hier seine Schuld war. Doch genau deswegen konnte er sich keine Augenblicke des Selbstzweifels und Selbstmitleids gönnen.
"Grim?" hustete Dansard leise.
"Ich bin hier", er versuchte die Fackel soweit wie möglich von Dansard weg zu halten, sodass er nicht direkt ins Licht gucken musste.
"Scheiße, mir tut alles weh... wo sind wir?"
"Keine Ahnung... kannst du dich aufsetzten?"
"Wär doch gelacht", brummte Dansard, rollte sich schwerfällig auf den Rücken und setzte sich dann ebenso schwerfällig auf. Grimward beobachtete ihn genau, obwohl Dansard bereits wieder versuchte sich so zu setzten, dass der Ritter Selerondars möglichst wenig von seinem Gesicht sehen konnte. Die Augen des Blondschopfs huschten herum, die große Halle nötigte ihm angehobene Augenbrauen ab.
"Was zum... was ist das? Ich erinnere mich an das Portal... wo sind die anderen?"
Grimward zuckte mit den Schultern, nickte aber gleichzeitig.
"Ja, das Portal... Theodrick hat es zerstört und so den Priestern den Weg nach... naja, wo immer wie jetzt auch sind, versperrt."
"Zerstört?"
"Ja... er... er ist auf der anderen Seite geblieben...", murmelte Grimward.
"Und die anderen?"
"Schau dich um...", antwortete der Ritter Selerondars und machte eine kleine Geste mit dem Arm welcher die Fackel hielt. Dansards blaue Augen erblickten vier Verschiedene Körper, die alle in nicht allzu großer Entfernung verstreut lagen.
"Sind sie... Ich meine, leben die noch?"
"Wir beide leben noch... warum sollten sie tot sein... bei Innos ich bin durstig", erwiderte Grimward, kroch zu seinem Rucksack zurück und holte die Wasserflasche hervor und schraubte sie auf. Sie war randvoll, der Bogenschütze nahm einen kräftigen Schluck Wasser, der ein wenig metallisch schmeckte, wie immer wenn er aus dieser Flasche trank, brachte sie dann zu Dansard, der sie dankend annahm und ebenfalls trank. Schweigend saßen sie ein paar Augenblicke nebeneinander und suchten nach irgendeinem Hinweis, nach einer Antwort auf die alles entscheidende Frage. Wo waren sie?
"Ich schätze", begann Dansard schließlich, "Wir sind genau da, wo du hinwolltest... so nah an Rhamutra wie es nur irgend geht. In seinem Reich... es gibt keine andere Erklärung, wohin sonst sollte das Portal im Tempel führen?"
Grimward dachte einen Augenblick darüber nach, dann betastete er das Kettchen an seinem Nacken und zog das Amulett hervor... in der Dunkelheit leuchtete es intensiv violett. Der Ritter Selerondars ließ sich zu einem wölfischen Grinsen hinreißen, das gar nicht zu ihm passte. Doch er hatte schon lang begriffen, dass er mehr sein musste als bloß ein Mann mit noblen Vorsätzen um diesen Dämonen zu besiegen und schon bevor sie auf dieser Seite des Portals angekommen waren, hatte Grimward erkannt, dass er besessen war, von dieser Aufgabe. Und er würde gewinnen.
"Wir sollten die anderen wecken, wir haben viel zu tun", meinte er und stand auf.
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