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Hurleys Schmollmund verwandelte sich in ein breites Grinsen, als er vernahm, dass ihm anscheinend doch Gnade gewährt wurde. Sein Glück ließ ihn anscheinend nie im Stich, sein Glück im Unglück.
"Öhm, danke. Ja also ich bin, wie gesagt, nur wegen einer Uhr oder einem Metronom hier. Hab in einem Buch gelesen, dass es zwei fähige Uhrmacher auf dem Kontinent geben soll. Einer in Vengard, einer in Al Shedim. Wenn ihr mir sagen könnt, wo ich den finde, ich zahle fast jeden Preis. Und die beiden hier..."
Hurley zuckte mit den Schultern.
"Hab ich schon wieder vergessen. Helfen wollten sie, aber sonst. Aber es sind nette Burschen, das sag ich euch. Wie heißt ihr eigentlich, wenn ich fragen darf?"
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Ganz offensichtlich also doch nur Zufall und keine Anspielung.
"Ich wusste gar nicht, dass man in Büchern über mich schreibt. Ihr hättet das Buch mitbringen sollen, damit ich das glaube! Denn ihr habt euren Uhrmacher bereits gefunden: Lobedan mein Name."
Ein kurzes Grinsen huschte über das Antlitz des Dunkelhaarigen, ehe er mit einer kurzen Geste in Richtung der Tempelwachen verdeutlichte, dass die Sache gelaufen war. Sollten sie sich um den Verletzen kümmern, notfalls jemanden damit beauftragen, die Schäden zu beseitigen oder einfach das Weite suchen. Mit einer zweiten Geste wies er dann auf die Stühle an einem der Tische, um das Gespräch ein wenig gemütlicher zu gestalten.
"Wenn ich euch nun sage, dass ich mein Handwerk schon seit langer Zeit nicht mehr ausgeübt habe, werdet ihr hoffentlich nicht enttäuscht sein. Das soll nicht heißen, dass ich ihm nicht mehr mächtig bin, aber der Aufwand wird seinen Preis haben. Habt ihr konkrete Vorstellungen? Dann kann ich euch gleich sagen, was es dafür alles zu tun gibt."
Die Situation änderte sich glücklicherweise zum Guten und schien nun sogar deutlich viel versprechender zu werden, als er anfangs erwartet hatte. Die drei waren definitiv keine Störenfriede, sie verfolgten andere Absichten, die er wohl möglich noch nutzen konnte.
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Zufälle gab's, die gab es eigentlich gar nicht. Hurley musste einen ganz schönen gedanklichen Spagat machen, von dem Chaos hier weg zu seinen Vorstellungen des Metronoms, das er sich wünschte. Gut, dass es nur ein gedanklicher Spagat war...
"Toll, dich kennen zu lernen, Lobedan. Ehm, naja, mit Uhren kenne ich mich nicht so gut aus, wie weit die Technik bis heute ist, verstehst du? Aber sie sollte einigermaßen handlich sein..."
Er formte mit seinen Fingern einen luftigen Hohlkörper, der etwa das kopfgroße Volumen der Uhr darstellen sollte.
"Material ist mir egal, mh, sie sollte wohl einigermaßen haltbar sein, also eine stählerne Ummantelung zum Schutz wäre nicht schlecht. Dann ein Zeigerblatt, wie man es von den großen Kirchenuhren kennt. Sie sollte so laut klack klack machen, dass man gut mitzählen kann. Und es muss ein Stopper dran sein, auf den man drückt, der den Mechanismus anhält. Es ist nicht so wichtig, dass die Zeit stimmt, mir kommt es nicht auf die Tageszeit, sondern auf die Zeitmessung an. Ja..."
"Haben wir es jetzt?"
"Farson bitte", zischte Tavik und stieß der Graumähne den Ellenbogen in die Seite.
"Meine Fresse, eine Uhr!?"
"Und was den Preis angeht, also ich habe nur ein paar Edelsteine bei mir, aber wohler wäre es mir, wenn wir hier irgendwie aushelfen können. Meinen Kumpels wird sonst noch langweilig, hehe."
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Farson knurrte unwirsch, als Tavik ihm den Ellenbogen in die Seite gerammt hatte. Der Nordmann seufzte, entschuldigte sich und seinen Begleiter für einen Augenblick und zog ihn weg. Flüsternd - im Falle Taviks - und zischend - in dem Graumähnes - unterhielten sie sich.
"Bei Adanos, der Fettsack ist doch völlig durch!"
"Jetzt bleib' doch endlich mal locker, verdammt nochmal. Seit wir ihn getroffen haben nimmst du ihn nicht für voll und behandelst ihn wie einen tollpatschigen Vollidioten. Gut ... tollpatschig ist er vielleicht ein wenig, aber du, Farson, übertreibst es ziemlich mit deinem Runtermachen"
"Ja, was ist denn das?! Ein Metronom, 'ne Uhr ... Heilige Scheiße, kann der Depp den Stand der Sonne nicht lesen. Kann er sich nicht einfach damit begnügen, dass Dunkelheit gleich Nacht ist und Sonnenschein gleich Tag?!", zischte Grauhaar wie eine Schlange. Tavik schüttelte den Kopf.
"Sind wir in der Position, ihn irgendwie zu beurteilen? Nein. Ich nicht und du erst recht nicht. Wir haben auch unsere Macken, verstecken sie wohl nur besser als Hurley. Trotzdem seh' ich's mir nicht mehr so lange an, wenn du ihn weiterhin so drangsalierst. Das gehört sich einfach nicht, klar?"
Farson murmelte einige Worte. Tavik fragte genauer nach.
"Du bist nicht meine Mutter, verdammt", knurrte er, lachte dann zu des Kriegers Überraschung. "Aber - bei Adanos - wir arbeiten zusammen, Partner, also richte ich mich nach dir, da du vernünftiger und ruhiger bist, was?"
"Geht doch, alter Junge."
"Jaja ... Was hälst du von diesem Lobedan?", schnitt Graumähne leise ein neues Thema an.
"Guter Mann, denke ich. Scheint auch einiges zu sagen zu haben, hier unter den Leuten in den Ruinen. Wäre sicherlich eine gute Anlaufstelle für Aufgaben. Je schneller wir hier unsere Kontakte und Verbündteten haben, umso eher ist 'ne stattliche Menge Gold in unseren Taschen."
"Dir geht's nur um Kohle, Hurenhaus?"
"Nein ... Nicht so. Nenn' es Realitätsflucht. Weißt doch, woher ich komme, oder?"
"Japp. Silden."
"Genau. Ich ... halt's da nicht mehr aus. Brauch' Abstand, Ruhe ... Bisschen Sonnenschein, Palmen und hübsche Varanterinnen in knappen Sachen."
Die beiden Krieger lachten. Farson klopfte seinem Kameraden auf die Schulter.
"Na los, zurück zu den beiden. Die schauen beide schon misstrauisch."
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Hurleys Beschreibung war doch relativ genau, dafür, dass er vorgab, sich mit Uhren nicht auszukennen. Er hatte feste Vorstellungen von Form, Material und Größe und sogar einen speziellen Wunsch.
Sein Vater hätte vermutlich müde darüber gelächelt, für Lobedan würde dieser Wunsch jedoch zu einer ernsthaften Herausforderung werden. Hoffentlich konnte er die alten Konzeptzeichnungen noch irgendwo finden, die er mit von Khorinis aufs Festland gebracht hatte. Andernfalls würde es verdammt schwer werden, sich nach dieser langen Zeit wieder so gut an dieses Handwerk zu erinnern, um ein perfektes Ergebnis abzuliefern.
"Das wird mich etwas Zeit kosten, einen Mechanismus zu konstruieren, der sich beliebig anhalten und starten lässt. Aber das soll nicht eure Sorge sein. Alles andere stellt mich vor keine nennenswerte Hürde, wenn ich die Materialien erstmal habe. Und das ist im Grunde der Knackpunkt: Hier in Al Shedim gibt es sowas nicht. Nach der Flut erst recht nicht. Ich müsste also nach Bakaresh oder nach Mora Sul. Da ich in letzterem demnächst auch noch etwas anderes erledigen müsste, steht meine Wahl im Grunde fest. Wenn ihr mich dabei begleitet würdet, könnten wir uns, denke ich, auch auf einen Preis einigen, mit dem wir beide leben können. Wäre das in eurem Wohlwollen?"
Mit der Frage sprach er nicht nur allein Hurley an, sondern auch Tavik und den dritten im Bunde, dessen Namen der Nomade noch nicht kannte. Sowohl er, als auch Tavik schienen auf jeden Fall dem Schwert mächtig zu sein, was seinen Plänen sehr entgegen kam.
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Bevor Hurley oder Farson auch nur etwas sagen könnten, kam Tavik ihnen zuvor.
"Natürlich wäre das in unserem Wohlwollen, Lobedan. Hurley wünscht etwas von Euch, also ist es selbstverständlich, dass er mit von der Partie ist. Ich bin so eine Art ... Leibwächter, weshalb ich ebenso dabei bin. Und Farson - der Graue hier - sowieso, da er sonst nichts zu tun hat.", sprach er und grinste über die Schulter zu Graumähne, welcher das Gesicht verzog und saftig auf den Tavernenboden spuckte. Tavik wusste, dass das Reisen dem Krieger nicht passte, deshalb hatte er auch diesen Vorschlag Lobedans als perfekte Möglichkeit gesehen, seinen Kumpanen etwas zu ärgern.
"Mora Sul ... fast zwei Jahre ist es her, dass ich das letzte Mal dort war. Übrigens, Lobedan, wäre nach unserem Ausflug auch etwas ... Konkreteres drin, als nur dankende Worte und ein tickendes Metronom? Arbeit für zwei Krieger an einem Ort, der helfende Hände sicherlich nicht leichtfertig abschlägt?"
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Es lief nahezu perfekt, sie boten ihre Hilfe fast schon von selbst an. Was wollte er mehr? Dass Hurley gar nicht erst zu Wort kam, war dabei wohl möglich nicht verkehrt, sondern trug zu seiner Sache bei.
"Wir können jeden fähigen Mann gebrauchen, der unserer Sache loyal gegenübersteht und mit einer Waffe umgehen kann. Nur erwartet anfangs bitte nicht zu viel. Im Moment fehlt es an fast allem und wie ihr selbst feststellen durftet, haben wir die Bevölkerung im Grunde nicht im Griff. Der Schutz des Tempels und seiner Bewohner hat in der letzten Zeit oberste Priorität bekommen. Wenn ich nach Mora Sul gehe, muss mich also jemand begleiten, der hier nicht vermisst werden würde, denn im Moment kann Al Shedim nicht einen Mann entbehren. Ihr seid also genau die Richtigen dafür. Wenn das klappt, dürft ihr auch gern hier bleiben, ich werde mich dann dafür einsetzen. Seid ihr damit einverstanden?"
Erwartungsvoll streckte er seine Hand über den Tisch, darauf wartend, dass einer der Krieger einschlug und damit die Einwilligung aller drei erteilte.
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"Klar sind wir das!", antwortete Hurley, nun, da er schon kaum zu Wort kam, ohne weiter darüber nachzudenken. Als er dann ein zustimmendes "Gut" seitens Lobedan vernahm, wurde er erst etwas stutzig. Er konnte doch mit gar keiner Waffe umgehen. Mora Sul, das war eine Assassinenfestung. Was hatte er sich nur dabei gedacht.
"Äh... ich werde euch helfen so gut ich kann. Heilen und so, ein paar Kundschafter aussenden, aber ehm... am Schwert solltet ihr euch auskennen. Farsim und Twix können das auch, nicht wahr? Haha, kleiner Spaß."
Farson blickte ihn gar nicht funkelnd an, das wunderte Hurley. Der Tritt auf den Fuß dann aber nicht.
"Ja, ähm, dann zeig uns am besten einen, uh... Schlafplatz, damit wir fit sind, was Freunde?"
Wo war er da nur wieder hereingeraten? Schlanke Leute entgingen den Problemen, wenn sie entgegen kamen, aber dicke Menschen wie er krachten immer wieder dagegen, immer und immer wieder...
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Dieses Zusammentreffen mit Hurley, Tavik und Farson hatte ihm wahrscheinlich mehr geholfen, als den dreien, auch wenn sie etwas ziellos in der Taverne gestrandet waren und er ihnen einen Ausweg geboten hatte. Einen Schlafplatz zu organisieren, war schließlich das kleinste Übel des zurückliegenden Abends gewesen. Zuvor hatte er ihnen noch mitgeteilt, dass sie sich am nächsten Morgen am Rande des Tempelvorplatzes treffen wollten, um dort den Aufbruch gen Mora Sul vorzubereiten.
Im Grunde beliefen sich diese Vorbereitungen darauf, Proviant und Gepäck auf den beiden Pferden von Pix und Lobedan sowie zwei Kamelen unterzubringen, die sie aus Al Shedim mitnahmen. Das entsprach zwar nicht komplett Bardaschs Vorgaben, eine andere Möglichkeit blieb ihnen allerdings nicht. Denn es gab höchstwahrscheinlich kein Reittier, das Hurley auch nur ansatzweise tragen konnte, ohne nach kurzer Zeit ausgewechselt werden zu müssen. Bardasch würde dem Nomaden diese Entscheidung also hoffentlich nicht übel nehmen und auch nicht kritisieren, dass er Hurley überhaupt mitgenommen hatte. Laut Bardasch sah der Plan zwar vor, dass es zu keinerlei kämpferischen Zusammenstößen kam, mit jemanden, der dem Heilen mächtig war, waren sie jedoch definitiv auf der sicheren Seite.
Nachdem sie alles aufgeladen hatten, blickte der Assassinenjäger noch einmal in die Runde und ergriff dann die Zügel Seraphs und kurz darauf auch das Wort.
"Nun lasst und keine Zeit verlieren und aufbrechen. Je schneller wir in Mora Sul sind, umso schneller können wir auch den Rückweg wieder antreten. Hat noch jemand ein dringendes Bedürfnis? Nein? Dann Abmarsch!"
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Zitternd zog Kilijan seinen Mantel enger um seine kraftlosen Schultern. Die Nacht war dunkel und beißend kalt, der Himmel war so schwarz, als seien die Sterne und alle Sphären verloren gegangen und durch ein gähnendes Nichts ersetzt worden. Der jämmerliche Überrest von Nomaden, die noch in Al Shedim waren, vermochten es mit ihren wenigen Feuern und ihren wenigen Kehlen nicht durch die Schleier der Nacht zu Kilijan zu dringen, der weit ab hinter der Oase auf einer Bank saß. Die letzten Wochen schienen wie ein nicht endendenwollender, fahler Traum, Kilijan starrte in die Nacht, unfähig, einen greifbaren Ansatzpunkt zu finden, einen klaren Gedanken zu fassen. So füllte nach und nach wieder untätige Leere seinen Geist, bis er schließlich aufstand. Er fühlte sich hundselend, mit der Rechten rieb er sich die Nase, während er mit seiner Linken seine Kleidung erneut enger um sich raffte. In jeder Bewegung konnte man die Spuren erkennen, die der Tag der Flut auf ihm hinterlassen hatte: Unkoordiniert und fahrig waren seine Arme und kraftlos die Hände, die daran hingen. Mehr schlecht als recht stieß er die Tür auf, die nach wenigen Schritten erreicht war. Der Putz des Hauses war ruiniert, einige Fugen ausgespült, Steine geborsten. Aber es stand noch. Es hatte vergleichsweise wenig abbekommen, musste nur wieder komplett durchtrockenen. Es hatte keine Möbel enthalten, keine Gegenstände, die die Flut hätte zerstören oder das Salz zerfressen können.
Im Gegensatz zur Schmiede.
Der Schmied öffnete den Ofen in der hinteren linken Ecke des kleinen Wohnraums und warf ein paar Scheite Holz auf die Glut. Es würde noch etwas dauern, bis es hier einigermaßen warm würde.
Kilijan hatte einige Kinder vor dem Tod in den Fluten gerettet, in dem er mittels reiner Willenskraft magisch die Tür versiegelt hatte, bis die Wut der ersten Wogen vergangen war, und hatte sich dabei ein zweites Mal nah an den Rand des Todes begeben. Mehr noch als bei seinem ersten "Unfall" hatte sein Lebensfunken begonnen zu flackern, hatte bereits einzelne Fäden abgegeben. Und auch wenn alle Knochenbrüche geheilt waren, so waren die Verletzungen, die man nicht sehen und nicht behandeln konnte, noch kaum weniger als offene Wunden und zehrten an dem jungen Mann. In den Wochen, die er im Krankenbett unter Aurelius schwerhöriger Fürsorge verbracht hatte, war ihm sein Allerheiligstes nicht in den Sinn gekommen. Zu beschäftigt war er gewesen, sich mit baren Händen am Leben festzuklammern. Als er dann schließlich den ersten Spaziergang unternommen und zum Ort des Geschehens zurückgekehrt war, hatte er sich für einen Moment gewünscht, doch verreckt zu sein - verkrustet und verrottet lag die Hälfte der Einrichtung auf fünfzig Schritt im Halbkreis um den Eingang verteilt. Jede einzelne Waffe war dahin, an Rohstahl alles, was etwas dünner war. Die große Lampe aus den südlichen Ländern war zersplittert, das Ventil der Essen zerfressen und verklebt, die Schleifbank und die Erzkisten verrottet. Die Hälfte des Goldes war irgendwo zur Hölle geschwemmt worden. Die Schleifsteine schimmelten. Der Amboss von Rost überzogen. Alles ziemlich desolat und auf jeden Fall zu viel für den gerade erst wieder auf die Beine gekommenen Kilijan. Drei Tage lang hatte er sich gar nicht wieder in die Nähe der Schmiede gewagt. Vermutlich wäre er in dieser Phase der Verdrängung stecken geblieben, wenn nicht am dritten Tag etwas geschehen wäre...
Abwesend stocherte Kilijan in der Glut herum und warf noch einen weiteren Scheit ins Feuer. Mit dem Haken setzte er dann die Herdplatte wieder ein und stellte den Wasserkessel auf den Ofen. Ein bisschen Tee konnte nicht schaden. Erneut wurde sein Blick seltsam entrückt...
Er konnte es vor seinem geistigen Augen sehen, wie Meister Riordian ihn am dritten Tag aufgesucht hatte. Er konnte seine fahlen Hände sehen, auf die er starrte, als ihn die warme Stimme ansprach. Er konnte seine Stimme hören und erinnerte sich, wie wenig er nach sich selbst geklungen hatte, als er den Meistermagier begrüßte.
"Kilijan.", halte es in seinem Kopf, "Die Kunde um dein Schicksal hat den Rat erreicht. Aurelius Ohren sind nicht die besten, aber sein Verstand ist wach." Er hatte eine Pause gemacht und sich neben sich gesetzt. In der ihm eigenen Art, so unglaublich neutral, dass ein Unbedarfter es wohl fast für lakonisch hätte halten können, hatte er einfach gefragt: "Wie geht es dir?"
Kilijan hatte wieder auf seine Hände gestarrt, hatte sich zur Faust geschlossen und wieder geöffnet, als hätte er fühlen wollen, ob sie ihm noch gehorchten. "Es war schon besser." hörte er sich sagen, fast gleichgültig und teilnahmslos klingend. "Alles, was ich geschafft habe, scheint in Scherben zu liegen. Die Welt scheint in Grautönen gemalt, die Gesichter und Stimmen der Leute, ihr Wesen scheint falschfarben. Meine Hand kann den Schmiedehammer nicht halten, mein Geist die Wärme der Magie nicht spüren. Meine Schmiede liegt in Trümmern, wie auch mein Geist und ich stehe davor und möchte weinen darüber, dass ich nicht weinen kann. Ich fühle nichts. Und ich habe keine Energie, die Trümmer erneut aufzusammeln, sehe keinen Sinn darin, sie zusammenzusetzen, damit sie erneut zerschmettert werden." Kilijans kalte Worte schienen die anderen Geräusche aus der großen Vorhalle des Tempels verjagd zu haben, es war, als würden die Schritte der vorbeigehenden Novizen den Boden nicht berühren und die Stimmen auf dem Vorplatz die Pforte zum Tempel nicht durchschreiten. "Du hast vierzehn Kinder vor dem sicheren Tod gerettet." klang Riordians Stimme durch seinen Kopf. "Ja." Jeder konnte hören, dass er den Umstand zwar verstand, der Sinn seinem Griff aber entrückt war. Es war ihm schlicht egal. Riordian hatte lange geschwiegen, schließlich hatte seine Stimme den toten Raum wieder erfüllt. "Du warst dem Tod sehr nahe und dies nicht wie andere, die dem Schwert nur knapp entgehen - deine Seele hat das Fahrwasser von Beliars Fährmännern geschmeckt. Diese Berührung mit einer Dimension, für die einzutreten man nur einmal vorgesehen ist, hinterlässt einen Eindruck in dir, wie Beliars Reich ist - entbunden von weltlichen Belangen und ihren Ankern zu unserer Sphäre, den Emotionen. Emotionen sind es, die uns treiben, vorwärts zu gehen, daher rührt deine Antriebslosigkeit. Und gerade Du warst immer ein Mensch, dessen Emotionen sich besonders stark auf einzelne Dinge fixiert haben. Es gibt einen dunklen Grat in deiner Seele, Knotenpunkte, die man Passion nennen könnte. An ihnen stoßen dein Wollen und deine Triebe aneinander - Liebe und Hass, Neugier und Machtwille, Eifer und Eifersucht, Ehre und Geltungsbefürfnis... Sag mir, ist das schwarze Erz noch an seinem Platz?" Kilijans Augen blitzen auf, wie sie auch dort aufgeblitzt hatten. Es war, als hätte Riordian eine Fackel in ihm entzündet.
"Ich hoffe es!"
"Hoffnung. Gut, gut... Sehr gut..."
Kilijan hatte aufgeblickt in die tiefen, blauen Augen, die ihn immernoch ohne Urteil ansahen und zum ersten Mal seit Wochen hatte sich ein Kribbeln auf seine Haut gestohlen.
"Ich denke, Du wirst wissen wollen, dass der Rat deine Beförderung zum Adepten beschlossen hat. Du solltest Andras einmal wieder aufsuchen, die erste Stufe der Magie hast Du nun auch schon recht ausgiebig studiert. Und nicht zuletzt haben wir entschieden, dir dies zu schenken -" mit diesen Worten hatte er Kilijan ein Bündel überreicht, das dieser gar nicht im Schoß des Hohepriesters bemerkt hatte, "man fand es an deiner Brust, als man dich hereingetragen hatte." Kilijan spürte ein vertrautes Pulsieren in seinen Fingerspitzen, als er das Bündel entgegen nahm. "Es ist ein Zeichen der Anerkennug für die selbstlose Rettung dieser Kinder. Ich habe angenommen, dass Du keine große öffentliche Ehrung gewollt hättest?"
Ein leichtes Grinsen erschien auf Kilijans Gesicht. "Nein." Dann hatte er angefügt: "Vielen Dank."
Der Wasserkessel pfiff, ratterte und spritzte und holte Kilijan so schließlich wieder in die Realität zurück. Dampf stieg in die Luft auf, als er heißes Wasser in eine seiner Tontassen goss und einige Pfefferminzblätter dazu warf. Er ließ sich auf einen der Stühle fallen und lächelte.
Die Nacht war dunkel - aber es brannte wieder ein Feuer in ihm.
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Der Wind trug den Sand näher an die Ruinen heran, die dort Mahnmalen gleich aus dem Boden ragten und die Vergänglichkeit menschlicher Schöpfungen erzählten. Über ihnen thronte ein langer, großer Bau, einem mächtigen Tempel gleich. Keine Frage … vor Jahrtausenden musste dies hier eine blühende Metropole gewesen sein; der Tempel eine Kultstätte.
„Und Du denkst“, begann die Frau, die die Kapuze abnahm und sich halb zu ihrem Begleiter umdrehte, „Dass wir hier eine Heimat finden?“
„Ja, das denke ich, Mädchen“, sprach Jakobo und blickte fasziniert auf die Ruinen, zwischen denen sich die Nomaden wie Ameisen tummelten. „Al Shedim … Ich habe es anders in Erinnerung.“
„Wie?“, fragte die Frau.
„Schöner. Lebhafter. Wie erfüllt vom Segen Adanos’. Nun aber … nachdem der Zorn der Götter kam, scheint sich hier etwas vom Schatten Beliars übers Land gelegt zu haben.“
„Jakobo, ich sehne den Tag herbei, da Du nicht in Rätseln sprichst sondern gleich auf den Punkt kommst“, seufzte die Reisende und ließ sich im Sand nieder, schlug die Beine überkreuz und präsentierte einen Schneidersitz. Jakobo gesellte sich dazu und kramte aus seiner Umhängetasche den Wasserschlauch. Er trank, bot seiner Begleiterin etwas an, diese jedoch lehnte dankend ab.
„Sprich lieber, Mann, was meinst Du mit ‚Ich habe es anders in Erinnerung’?“
„Ach stimmt ja … als die Flut kam, warst Du am Arsch der Welt“
„Jakobo! In der Gegenwart einer Dame äußert man sich nicht so“, sprach sie streng, nahm den Worten jedoch den Ernst, als sie zwinkerte.
„Verzeihung, Lady“, scherzte der Mann, „Jedenfalls hat Dich die Nachricht gar nicht erreicht. Du warst … Bei Beliar, wo zur Hölle warst Du eigentlich?“, rief er aus.
„Eben nicht erreichbar. Ist doch auch egal. Fakt ist, ich weiß nicht, was da passiert ist. Also, mein Lieber, klär’ mich auf.“
„Nun, erst war da das Beben. Unglaublich heftig, hat die eine oder andere Ruine letztendlich doch zusammenkrachen lassen. Dann war erst einmal Ruhe. Bis die Flut kam. Nicht derart, wie man sie aus den Predigten Adanos’ kennt, aber dennoch sehr heftig. Die Wassermagier und Nomaden haben sich, als sie merkten, dass sie nichts gegen das Meer unternehmen konnten, in den Tempel verzogen.“
Jakobo deutete auf das große Bollwerk vergangener Jahrtausende. Wahrlich ein Bau, der zu seiner Blütezeit aberhunderte Schaulustige angezogen haben musste.
„Als das Wasser wieder weit genug zurückgegangen war, haben sie den Tempel verlassen und Al Shedim halbwegs hergerichtet. Aber es fehlt – wie gesagt – etwas. Man kann meinen, die Flut nahm den Menschen hier auch etwas Hoffnung und Freude.“
Die Frau verzog das Gesicht. Aufrichtige Trauer machte sich breit. Sie kannte zwar die Menschen Al Shedims nicht, konnte sich aber durchaus vorstellen, dass viele von ihnen etwas verloren hatten, das ihnen am Herzen gelegen hatte. Das Heim, die Liebsten …
„Denkst Du, dass sie uns empfangen werden?“, fragte die Reisende.
„Sicherlich. Nur erwarte nicht, dass sie uns mit Fanfaren und Trompeten einziehen lassen. Wenn sie merken, dass wir ihnen nur auf der Tasche liegen oder allgemein nutzlos sind, werden die uns zweifelsohne zum Teufel jagen.“ Jakobo lächelte schief.
„Deshalb, Lydia, überlass’ mir das Reden. Du schaffst es ohne große Mühen, dass sie uns steinigen wollen, du Tollpatsch!“
Die Frau – Lydia – verzog das Gesicht zu einer verärgerten Grimasse, zwinkerte dann plötzlich und lachte laut auf.
„Na los, Jakobo, gehen wir weiter.“
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Als ungesund konnte man Tinquilius‘ Lebensstil in den letzten Wochen durchaus beschreiben. Verrückt mochte man meinen oder auch fanatisch, wie ihn einige seiner Brüder bezeichnet hatten. Und doch ging es dem Priester Adanos‘ besser als in den vielen Wochen davor. Sein Rückenleiden war verschwunden, seine Magie wieder zur vollen Stärke angewachsen und auch seine melancholische Stimmung hatte sich drastisch verbessert. Ja, dies war sogar der Hauptgrund, weshalb er sich besser fühlte.
Und dabei hatte er nicht viel mehr getan, als sich in seine Arbeit und vor allem seine Studien zu vertiefen. Die Gedanken um Riordian und Tinquilius‘ Stellvertreterfunktion waren ebenso verschwunden wie die Zweifel daran, ob er die letzten Jahre im Sinne Adanos‘ gehandelt und gelebt hatte. Einzig und allein das Gefühl, etwas erreichen zu können hatte ihn in der letzten Zeit übermannt – und beflügelt. Zumindest wenn man sich seine bisherigen Ausführungen über einige eher unbekanntere Krankheiten betrachtete.
Doch allmählich stellte sich bei ihm der Wunsch ein, wieder etwas mehr im Leben zu sehen als nur seine Studien oder seine Arbeit als Heiler. Natürlich bereiteten ihm beide Tätigkeiten viel Freude, doch auf Dauer schienen sie so... leer. So unkreativ und simpel. Doch was sollte er dagegen tun? Er hatte gespürt, was passieren konnte, wenn man mehr Verantwortung und Macht inne hatte. Wollte er das? War es das, wonach er sich sehnte?
Verunsichert und müde schloss er leise die Tür der Heilkammer hinter sich. Ein weiterer Tag war vergangen. Ein Tag voller Arbeit und unzähligen Verletzten, denen er sich angenommen hatte. Und dies, obwohl so viele Menschen bereits die Ruinenstadt – die ihren Namen nun noch mehr verdiente – verlassen hatten oder aber bei den Fluten und der anschließenden Seuche umgekommen waren.
Aber ist das nicht ein gutes Zeichen? Heißt das nicht, dass Al Shedim weiterhin belebt ist?
Sich über eine Antwort nicht wirklich im Klaren, wollte er gerade die Treppe nach oben betreten, als er sich mit Erschrecken an etwas erinnerte: Seine Schüler! Dragan und Saphiria. Wie hab ich die nur vergessen können? Oh nein, das darf doch nicht wahr sein. Eiligst drehte er wieder um und lief in Richtung der Labore. Nach kurzer zeit erreichte er das, welches von den beiden genutzt wurde und klopfte an. Dann öffnete er die Tür und trat ein. V on den beiden war keine Spur. Verdammt. Selbst das bekomme ich nicht ordentlich hin.
Bevor er jedoch wieder gehen wollte, schaute er sich in dem Raum um und fand auf einem Tisch eine Flasche mit einer interessant aussehenden Flüssigkeit. Langsam trat er an den Tisch und begutachtete diese. Dann hob er sich vorsichtig hoch. „Wow...“, entkam es ihm verwundert. Das muss Saphirias Arbeit sein. Der Trank des Geschlechterwandels. Und er sieht so gut aus!
Darüber vollkommen verblüfft, verließ er das Labor mit diesem. Eiligen Schrittes erreichte er zunächst das darüber liegende Untergeschoss und dann das Erdgeschoß. In diesem war Saphiria, wie so viele andere, untergebracht. Nach nur kurzem Suchen hatte er auch das Zimmer erreicht, in dem sich die Dienerin Innos‘ befinden sollte.
„Entschuldigt mein so spätes Auftreten“, meinte er zu seiner Schülerin, „doch ich habe soeben dies unten im Labor gefunden“, fuhr er fort und hielt die Flasche hoch. „Habt ihr dies geschaffen?“ Die Angesprochene nickte. „Zunächst möchte ich mich bei euch dafür entschuldigen, euch so lange warten zu lassen. Ich war... in Gedanken woanders, wenn ich es mal so formulieren darf.
Der eigentliche Grund jedoch ist dieser Trank.“ Während er sprach, sammelte sich seine Magie in der freien Hand, seine Finger erstrahlten in einem hellen Blauton. „Ihr habt ein wahres Meisterwerk erschaffen. Dieser Trank, dies ist sicher, vermag es, das Geschlecht eines jeden Menschen zu verändern.“
Langsam senkte er die Flaschenöffnung zu seiner Handoberfläche hin – bis einige Tropfen seine Hand trafen. Im ersten Moment geschah gar nichts. Der Blauton verblasste leicht, hielt sich jedoch auf einem niedrigen Level. Und gerade, als man meinen könnte, der Trank sei wirkungslos, begann das Blut in seinen Adern verrückt zu spielen. Die Adern und Venen wurden sichtbar, kurz darauf wölbten sie sich wild. Anschließend folgte die komplette Haut, die seine Hand umgab. Das Kribbeln wurde intensiver, zugleich stellte sich ein leichtes Brennen ein, um nur Sekunden später wieder zu verschwinden. Auch das Kribbeln nahm wieder ab, bis es komplett verebbt war. Doch das war nicht das Entscheidende: Die sind eher etwas raue, große Männerhand war durch eine zierlichere Hand ersetzt worden – zumindest dem Anschein nach.
„Seht ihr? Perfekt.“ Der Priester hielt die veränderte Hand hoch und betrachtete das ungewohnte Schauspiel. „In wenigen Minuten löst sich die Verwandlung wieder, dafür sorgt die Magie“, meinte er erklärend. „Doch was sich nicht zurückwandeln wird ist euer Wissen um die Kunst des Tränkebrauens. Ihr habt in den letzten Wochen gezeigt, dass ihr euch ohne Probleme an eine offene Aufgabe begeben könnt und dennoch ein Ergebnis erhaltet. Eure Tränke waren gut und auch wenn ihr noch keine Meisterin seid – so würde ich mich auch nicht bezeichnen – so seid ihr dennoch viel mehr als eine Schülerin. Alles, was euch jetzt noch an Wissen fehlt, könnt ihr nur durch Üben und eigenes Experimentieren erlernen.
Ich entlasse euch somit guten Gewissens als Alchimistin. Es war mir wirklich eine Freude, euch in meinem Labor zu wissen.“
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südwestliche Ruinen
Bardaschs Worte wirkten ein wenig beklemmend auf den Dunkelhaarigen, fast schon abschreckend. Denn er kannte den Ort, von dem Bardasch sprach. Sowohl, dass ein Großteil derjenigen, die darüber Bescheid wussten, nie freiwillig dorthin gehen würde, aber auch von den Geistergeschichten. Und dass daran etwas Wahres dran war, das hatte er schließlich selbst erlebt. Den Beweis dafür trug er seitdem sogar ständig bei sich - sein Scimitar. Nur schade, dass er dem Geist damals versprochen hatte, diese Geschichte für sich zu behalten, andernfalls hätte er Bardasch nun vielleicht ein Fragezeichen auf die Stirn gezaubert.
"Wenn die Wassermagier damals alles richtig gemacht haben, als sie das Wasser aus der Stadt geleitet haben, dann sind auch die Tunnel trocken. Aber du hast natürlich Recht, überzeugen wir uns am besten selbst davon und machen die weiteren Schritte davon abhängig."
Als sie ein ganzes Stück weiter waren, sprach der Assassinenjäger weitere Gedanken laut aus, die ihn bis dahin beschäftigt hatten.
"Wenn die Waren erstmal sicher sind, dann können die anderen doch auch nach Al Shedim gehen, oder? Ich für meinen Teil hege zumindest keine Bedürfnisse daran, jemanden gegen seinen Willen länger bei uns zu behalten. Oder wenn du auf Nummer sicher gehen willst, dann lassen wir die ersten jetzt schon gehen. Umso weniger Augen es gesehen haben, umso sicherer ist unser Vorhaben. Ich will es zwar nicht beschreien, aber absolut sicher bin ich mir in der Vertrauensfrage leider nicht mehr. Was meinst du?"
Sein Blick blieb dabei stur nach vorn gerichtet. Lobedan schaute weder zu Bardasch, noch nach hinten zu den anderen. Stattdessen versuchte er, das Meer im Dunkel vor auszumachen. Er sehnte sich nach einem Bad, wollte den Schmutz und all die Sorgen der letzten Tage von seinem Körper waschen. Letztlich war die Zeit ran, einen Neuanfang zu starten. All die Einflüsse dieser Tage hatten seinen Entschluss gefestigt und diese unbekannte Begegnung beim letzten Überfall ließ ihm beinahe keine andere Möglichkeit.
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Südliche Ruinen
„Mir ist es gleich“, stöhnte der Ergraute. Sein einziges Interesse lag darin, vom Gaul zu steigen und zu saufen und weniger sich mit solchen Fragen zu beschäftigen, die irgend wen anderen oder den Konvoi betrafen.
„Wer gehen will, soll gehen. Aber ich gehe nicht davon aus, daß uns Jemand jetzt verlassen will – außer Ravenne vielleicht. Die Geier da in unserem Rücken bangen doch um ihren Anteil, wenn wir sie jetzt von uns abkapseln“, dachte Bardasch laut genug, daß Lobedan seine Worte verstehen konnte. Aber selbst wenn die Anderen es mit bekamen, war ihm das auch recht.
„Mir ist es egal. Wirklich. Aber es wäre für die weitere Vorgehensweise vielleicht besser, wenn sie uns zu meinem Nest begleiten und dort auch erst einmal bis morgen bleiben. Wenn es darum geht, die Waren sicher unter die Leute zu bringen, können wir jede helfende Hand gebrauchen.
Man konnte das Wasser mittlerweile regelrecht riechen und den kühlen und feuchten Wind spüren, der von der See aus über das Land zog und Bardasch schloss auf dem Gaul liegend die Augen, um diesen Eindruck mehr genießen zu können, doch seine Augen öffneten sich wieder aufgrund der Gefahr, auf dem Rücken des Tieres einzuschlafen.
Er musste die Augen nicht nur offen halten, um mit auf Gefahren zu achten, sondern auch, um den Menschen den Weg zu weisen. Ihnen zu sagen, wann sie das Ziel erreicht hatten und der erste Abschnitt dieser abendlichen Etappe kam immer näher, das man den Glanz des Wassers schon erkennen konnte.
„Hätte nicht gedacht, daß ich mich mal nach Wasser sehnen würde“, brach Bardasch das kurze Schweigen. Damit meinte er nicht nur den Verzicht auf seine sonstige Vorliebe, den Alkohol, sondern auch die Tatsache, das er des Schwimmens nicht mächtig war und sich vor dem Meer fürchtete.
Zu gerne wäre er darauf nun zugestürzt, doch das eigendliche Ziel war nicht mehr fern, das Erreichen des Totenviertels stand kurz bevor und damit das Erreichen der Ruine, die direkt an den Strand grenzte. Dort war noch genug Zeit, zu plantschen und sich von den Strapazen zu erholen.
Obwohl man es noch nicht erkennen konnte, hatte der Ergraute seine Ruine schon vor dem geistigen Auge. Er sah den halb unterirdischen Raum, der über Tag vor der Hitze schützte und in den Nächten vor Kälte und Wind Schutz bot. Er sah die außen liegende Treppe, die hinauf in das obere Stockwerk führte und er sah die Außenmauern, von denen Eine komplett fehlte und auf denen irgendwann einmal ein Dach tronen sollte. Er sah den offenen Kamin in dem oberen Stockwerk und es erinnerte ihn daran, die Anderen auf dem Weg zum Ziel nach Feuerholz suchen zu lassen.
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Es war der Zeitpunkt gekommen, dass Ravenne beschloss, sich von der Gruppe zu trennen. Al Shedim war wohl erreicht, den restlichen Weg würde sie allein finden. Das Abenteuer war überstanden, sie lebte noch. Jetzt würde sie sich auf die Suche nach Arbeit machen, für diesen Zweck hatte sie zur Vorbereitung ein bisschen Pergament abgerissen und raufgeschrieben: Ich heiße Ravenne, bin 22 und suche dringend Arbeit jedweder Art! Sie wollte denjenigen, die vielversprechend aussahen, diesen Schnipsel zeigen, dann würde sie weitersehen. Ihre "Gespräche" mit Bardasch hatten recht viel Pergament gekostet, aber das war auch eher eine lebensbedrohliche Situation gewesen, immerhin hatte er ihr alles Mögliche angedroht. In Al Shedim wollte sie jedoch kein weiteres Pergament verschwenden und sich wieder auf Gesten verlassen. Ravenne ging nicht davon aus, hier für eine falsche Geste im falschen Augenblick getötet zu werden.
In Al Shedim kannte sie sich nicht aus, so streifte sie nur durch die Gegend und sah sich um. Der einzige Ort, den sie mittlerweile zu kennen glaubte, war die Taverne, doch dort schien sich nicht unbedingt wer einzufinden, der ihr Arbeit geben konnte. Doch irgendwas würde sich schon finden lassen.
Geändert von Ravenne (20.03.2010 um 23:28 Uhr)
Grund: Das Alter des Chars vergessen .... peinlich! (Ravenne ist nicht 19)
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Der Tisch erzitterte unter dem zornigen Faustschlag des Blondschopfes.
"Das kann nicht euer Ernst sein! Die Leute in Al Shedim verhungern, und ihr unternehmt nichts? Seit wann ist es euch so egal, dass euer Volk leidet?"
Maris hatte es noch nie erlebt, dass Wutras wirklich wütend war, doch nun sah er sich einem Blick des obersten Nomaden ausgesetzt, der töten konnte.
"Dass du dich erdreistest..."
Onatas stellte sich zwischen die beiden Streithähne, die sich gegenüber standen und beide kein Stück zurückwichen.
"Hört auf, ihr beiden! Das bringt uns erst recht nicht weiter und schürt nur Missgunst unter uns." Dann, an Maris gewandt, sprach er weiter.
"Maris, lass uns erklären, warum wir so handeln."
"Du meinst, warum ihr nicht handelt!", fiel der Blondschopf seinem Freund ins Wort, als Pakwan fortfuhr:
"Es ist uns nicht egal, was mit unseren Brüdern und Schwestern passiert. Wir wollen so viele wie möglich retten."
Retten? Euer Zögern bringt sie um!
Es war eine Ankunft mit gemischten Gefühlen gewesen, als sie Al Shedim vor einigen Tagen erreicht hatten. Eine Flut von Informationen strömte seitdem auf ihn ein, hauptsächlich dank seiner Kameraden, die sich als vorzügliche Informanten erwiesen, aber auch durch eigene Entdeckungen und Gespräche. Die Jäger aus der Umgebung taten ihr Möglichstes, um so viele als möglich mit ihrer Beute zu ernähren, was jedoch zu rückgängigen Tierbeständen in den umliegenden Gebieten führte, sodass man teilweise sogar schon dazu übergegangen war, die Ruinen von Sandcrawlern zu befreien, um deren Fleisch zu verwerten. Ein seltsamer alter Kauz aus dem Mittelreich soll aufgetaucht sein - Maris hatte da ganz stark die Druiden in Verdacht - doch es war nichts geschehen, was auf ein hilfreiches Wirken hindeutete. Shakyor hatte die Nachricht, die Maris im übermittelt hatte, hingenommen, wenn auch ungern, Aniron war immer noch im Osten verschollen und Ali, der unfähige Schwachkopf, hatte offenbar eine seiner Armbrusten in Eigenregie verkauft, die in einer Kiste versteckt die Flut überlebt hatte. Mit diesem Kerl würde er in einer ruhigen Minute ein Hühnchen rupfen müssen, zumal sich darin Pläne für ein anderes Modell befunden hatten. Auch die Bibliothek hatte er in den letzten Tagen besucht, um die Sagen und Mythen, der überliefert worden waren, besser kennenzulernen - besonders die um Haran Ho, den großen Wanderer aus dem Norden. Schließlich jedoch hatte das Leid, das der Rafik mit hatte ansehen müssen, dazu geführt, dass er die Sippenführer aufgesucht hatte, um sie endlich zum Handeln zu bewegen. Das jedoch war, wie sich nun herausstellte, offenbar ein Ding der Unmöglichkeit.
"Wie wollt ihr sie retten, wenn ihr so lang zögert und sie sich selbst überlasst?", fragte der Blondschopf vollkommen fassungslos. "Das ergibt für mich einfach keinen Sinn!"
"Die Natur der Wüste bedingt zwei wichtige Dinge, die hier zum Tragen kommen", ergriff Wutras nun wieder mit der gewohnten, überlegen ruhigen Stimme das Wort.
"Zum Einen ist das die Tatsache, dass es hier stets Opfer geben kann. Wir müssen damit leben, wenn Brüder und Schwestern sterben, so hart es klingt."
"Aber wir können doch etwas-"
"Zum Anderen", überging der oberste Nomade den Einwand des Blondschopfes, "gibt es eine wichtige Gesetzmäßigkeit, die überall in der Geschichte und der Natur beobachtet werden kann und die uns auch die Lehren Adanos' aufzeigen: der Ausgleich. Eine Population kann nicht bis ins Unendliche wachsen, Maris, und wir sehen es nun, da die Nahrungsquellen unserer Oase und der aus Al Aristo, die alle zuströmenden Bewohner zu versorgen haben, an der Jagdausbeute. Uns geht die Nahrung auch auf diesem Wege aus, wir sind schlichtweg zu viele! Alle können wir nicht retten, also warten wir, bis unsere Zahl gering genug ist, um uns am Leben zu erhalten."
Entsetzt starrte Maris den Obersten an.
"Das... das kann nicht euer Ernst sein... wie könnt ihr nur so herzlos sein?"
"Maris, es ist die einzige Möglichkeit! Lieber einige Wenige, als das gesamte Volk!"
Energisch schüttelte der Blondschopf den Kopf.
"Nein, das ist nicht wahr! Ihr seid so versessen auf euren Weg, dass ihr die anderen Möglichkeiten gar nicht seht!"
Wutentbrannt drehte er sich um und stürmte aus dem Zelt. Die Obersten blieben seufzend zurück.
"Es war zu erwarten, dass er so reagieren würde", meinte Pakwan kopfschüttelnd. Onatas stimmte zu.
"Er ist noch jung. Er muss immer noch viel lernen."
Das kann nicht wahr sein! Das kann nicht wahr sein!
Wie ein Mantra brannte sich dieser Satz in das Hirn des Rafiks, der unweit des Zeltes der Sippenführer an eine Palme gelehnt zum Stehen gekommen war und auf den Boden starrte, ohne wirklich zu sehen. Das Entsetzen über die vermeintliche Kaltblütigkeit der Drei stand ihm immer noch ins Gesicht geschrieben. Als sich der erste Schock gelegt hatte, wich es dem Entschluss, etwas dagegen zu unternehmen.
"Ich werde nicht zulassen, dass noch mehr sterben oder fortziehen müssen! Es muss eine Möglichkeit geben!"
Doch er wusste, dass er allein nichts bewegen konnte. Er musste andere finden, die für seine Sache einstehen würden. Aber wen?
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Den Vorabend hatte jeder von ihnen auf seine Weise gestaltet, was nach der langen, anstrengenden Reise absolut gerechtfertigt war. Die Truppe war ohnehin nicht mehr zusammenzuhalten gewesen, als die Kamele abgeladen und die Waren sicher in Bardaschs Ruine verstaut worden waren. Der Hausherr selbst ließ sich dabei einfach irgendwo fallen, um in aller Seelenruhe eine Schnapsflasche nach der anderen zu leeren, was dazu führte, dass er bei Lobedans Rückkehr zur Ruine schon nicht mehr ansprechbar gewesen war. So konnte man Schmerzen sicherlich bekämpfen, hatte der Dunkelhaarige vermutet, der seine Zeit am und im Meer verbracht hatte. Ein angenehmes Gefühl, sich einfach von den Wellen im seichten Wasser umspülen zu lassen und die Anstrengungen und Anspannungen der vergangenen Tage langsam von sich fallen zu lassen. Irgendwann, als die Kälte der Nacht auch das milde Wasser abkühlte, hatte er sich zwangsweise von dem ausgiebigen Bad verabschieden müssen, was ihm sichtlich schwer gefallen war.
Am Morgen dann herrschte allgemeine Müdigkeit vor, wahrscheinlich hatte niemand von ihnen den Sonnenaufgang mitbekommen, ganz im Gegenteil. Bardasch lag mehr oder minder an derselben Stelle wie am späten Abend, zu dem unangenehmen Alkoholgeruch war bis dahin aber auch der Geruch seines Mageninhaltes gekommen, dem er sich offenbar mehr als einmal entledigt hatte. Die Zahl der Schnapsflaschen, die rund um seinen eher reglosen Körper verteilt waren, deutete jedenfalls auf die Gründe seines Zustandes hin, von dem Kopfschmerzen vermutlich noch das kleinere Übel bildeten. Da er lieber Vorsicht walten lassen wollte, entschied Lobedan deswegen, erst zum Abend hin zum Tempel zu gehen, wenn die Gefahr kleiner war, gesehen zu werden. Ravenne schien dies egal zu sein, die war noch bei strahlendem Sonnenschein von Dannen gezogen und nahm damit das Angebot wahr, das sie jedem vor Ankunft an der Ruine unterbreitet hatten: Wer gehen wollte, der sollte gehen. Sie würden niemanden aufhalten.
Sie blieb jedoch die einzige, die von der Chance Gebrauch machte.
Im Schatten der Ruinen war der Assassinenjäger dann kurz nach Sonnenuntergang aufgebrochen. Bardasch war nach wie vor nicht in der Lage, mehrere Worte am Stück von sich zu geben, stattdessen klagte er über unerträgliche Kopfschmerzen. Ob Hurley da etwas machen konnte? Ein Blick in seine Richtung zeugte eher davon, dass er dazu nicht willig war. Die Folge all dessen war, dass Lobedan alleine loszog. Es sollte ohnehin vorerst nur ein Erkundungsgang werden. Was in den letzten Tagen geschehen war, würde er so hoffentlich herausbekommen können, um ihr weiteres Vorgehen besser planen zu können. So kurz vor dem Ziel durften sie schließlich nicht scheitern.
In Blickweite des Tempels huschte er weiter durch die Ruinen. Abseits der üblicherweise belebten Ecken bahnte er sich einen Weg durchs Labyrinth und stand nun vor einem Hindernis: Zwischen ihm und den weiteren Ruinen befand sich eine Schneise. Es war einer der Hauptwege, der unter anderem Tempel und Taverne miteinander verband, somit also durchaus auch zu dieser späten Stunde noch genutzt war. Eine bessere Möglichkeit, um einen Zugang zum Tunnelsystem zu erreichen, war ihm auf die Schnelle allerdings nicht eingefallen, als eben den nahe der Taverne zu nutzen, den er kannte. Alle anderen ihm bekannten Zugänge lagen noch weiter entfernt oder bargen ein noch größeres Risiko, entdeckt zu werden.
Vorsichtig spähte der Nomade nun auf den Weg, blickte nach rechts und links und befand die Sache für sicher, er konnte niemanden entdecken. Dennoch eher auf Unauffälligkeit bedacht verließ er aufrechten Ganges die schützenden Ruinen. Etwa auf halbem Wege riskierte er dennoch einen kurzen Blick nach rechts und links, obwohl er sich vorgenommen hatte, gerade dies nicht zu tun. Was er dabei entdeckte, entlockte dem Dunkelhaarigen ein leises Fluchen, denn er war eben nicht allein. Aber die Person zeigte keinerlei Absicht, ihn aufzuhalten, was ihn erst recht zögern ließ und letztlich auf die Idee brachte, dass er die Statur dieser Person doch kannte. Einen Schritt vor den Ruinen, die ihn wieder verbergen würden, hielt Lobedan inne und wartete. Ob er ihn ebenfalls gesehen und erkannt hatte? Wenn nicht, welche Möglichkeiten hatte er, um auf sich aufmerksam zu machen, ohne andere herbei zu locken? Vorsichtig hob er den Arm, die Zähne dabei ängstlich zusammengebissen und eine dementsprechend unschöne Mimik aufgesetzt. Es war die Chance, alle Informationen zu bekommen, die er brauchte, aber gleichzeitig auch die Gefahr, alles zu versauen. Tief atmete er durch, als er glaubte, sie Person würde sich wortlos in Bewegung setzen.
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Fragen über Fragen, und keine Antworten.
Wo sollte er nur jemanden finden, der ihm helfen konnte? Azad und der Rest der Sippe konnte es nicht sein, sie waren zwar allesamt loyale und besonnene Verbündete, aber hierfür brauchte er jemanden, der mehr Einfluss besaß, als sie. Spätestens jetzt verfluchte er diese verdammten Prüfungen zum Hüter, dank derer er als einsamer Löwe durch die Wüste zog, anstatt seine Verbindungen in der Stadt pflegen zu können. Die Magier konnten ihm hier nicht helfen, die Nomaden mit dem größten Einfluss standen auf der Gegenseite und diejenigen, die Maris kannten und noch nicht durch das Raster gefallen waren, hatte er seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen - vermutlich befanden sie sich gar nicht mehr in Al Shedim.
Warum wählten die Sippenführer diesen Weg?
Maris sah die Logik hinter ihrem Handeln ein, doch war es eben nicht mehr als das; kalte, berechnende Logik. Es fehlte das Mitgefühl - oder sah er hier etwas falsch? Handelte er zu emotional, dachte er zu idealistisch? Nein, sie hatten einige Dinge außer Betracht gelassen. Sie konnten die Oase wieder neu aufbauen, so wie Aniron ihren Kräutergarten wieder aufgebaut hatte, den Thamar und Jubair in mehr oder weniger leidenschaftlicher Arbeit während ihrer Abwesenheit umzäunt hatten. Sie konnten Hilfe aus Myrtana erbeten (und Maris wunderte sich selbst über diesen Gedankengang, wo der doch ganz und gar kein Freund des stereotypen Königstreuen war, auch wenn neben Vengard auch noch aus Silden Hilfe zu erhoffen war, sodass seine Hoffnungen nicht nur auf dem König und seinen Anhängern ruhten) oder gar dazu übergehen, die Assassinen zu berauben wie früher - nun, da Zuben ohnehin nach allem trachtete, das sich ihm erwehrte, brauchten sie sich auch nicht mehr in defensiver Neutralität üben. Die Möglichkeiten waren da, zur Not konnte man einige Brüder und Schwestern auf die anderen Nomadensippen überall in Varant verteilen. Warum sahen sie das nicht?
Eine Bewegung in der Dunkelheit riss ihn aus seinen Gedanken. Er musste irgendwo zwischen Tempel und Taverne sein, im Gegensatz zu der Zeit vor der Welle jedoch herrschte um diese Zeit hier kein allzu großes Treiben mehr, da nur wenige die Gedanken an das große Unglück weit genug fort sperren konnten, um sich dem Alkohol hinzugeben und zu feiern, zumal auch der Handel und somit auch das Angebot genau wie der Nachschub an alkoholischen Gütern stark von der Katastrophe betroffen wurde. Alles hielt sich über Wasser (bittere Ironie, wenn man den Auslöser für die Lage der Stadt bedachte), doch von Erholung war noch keine Spur und erst recht nicht von Normalität.
Wer zum Henker ist das?, fragte sich der Blondschopf und schritt vorsichtig auf den Schemen zu, der in der Dunkelheit den Arm gehoben hatte, wenn er es richtig deutete. Im Näherkommen erkannte er das Gesicht noch nicht vollends, auch wenn es ihm bekannt vorkam, wenngleich der Gesichtsausdruck etwas... merkwürdig wirkte. Dann jedoch konnte er das Gesicht zuordnen, und zum ersten Mal seit langem legte sich ein Lächeln auf das Gesicht des Nomaden.
"Lobedan! Adanos muss dich schicken! Was machst du hier?", raunte er dem lange nicht gesehenen Freund zu.
"Ich muss dich unbedingt sprechen."
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"Mich muss erstmal niemand sehen. Kommt mit in den Schutz der Ruinen."
Mit diesen Worten komplettierte er seinen letzten Schritt und stand nun da, wo er gerade schon sein wollte. Maris hatte zum Glück keinen großen Aufstand verursacht, sondern sich eher unauffällig über das Wiedersehen gefreut. Die Freude war ganz auf Seiten Lobedans.
"Ich bin froh, gerade dich als ersten zu treffen, besser hätte es nicht passieren können. Das muss wahrlich ein Zeichen der Götter sein, dass ich auf dem richtigen Wege bin."
Er ließ seine eigene Freude noch einen Moment wirken, ehe er wieder ernster wurde.
"Maris, hör zu, ich habe ein wichtiges Anliegen. Hat sich irgendetwas an der Lage hier geändert in den letzten Tagen oder ist das Leid der Menschen immer noch so groß? Und was ist mit den Obersten Nomaden, üben sie sich weiterhin in Ignoranz der Situation? Bis zu dem Zeitpunkt vor einigen Tagen, als ich mit drei Männern nach Mora Sul aufbrach, sah ich mich unfreiwillig in eine Position versetzt, die mir eigentlich gar nicht zusteht, mit einer Verantwortung, die man mir unmöglich nach so kurzer Verweildauer hier wieder entgegenbringen kann. Eine Rolle, die deiner ähnelte, als wir im Tempel eingeschlossen waren."
'Und die ich gern auch weiterhin ausführe...', fügte er in Gedanken hinzu, was sich lediglich als kurzes Lächeln auf seinem Gesicht äußerte.
Während seiner Worte lenkte der Assassinenjäger seine Schritte und damit auch Maris gemächlich durch die Ruinen. Er kannte diese Ecke gut genug, um den Weg zum Eingang ins Tunnelsystem auch zu finden, während er sich auf anderes konzentrierte. Blieb nur zu hoffen, dass die Fluten etwas davon übrig gelassen hatten.
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Zialda spähte hinaus. Die Nacht war bereits angebrochen und schien kühl wie eh und je, sie würde einen anstrengenden Marsch vor sich haben. Sie hatte den ganzen vorigen Tag über im Bett verbracht, doch schlafen konnte sie nur schwerlich, sodass sie fürchtete, dass ihr die Müdigkeit bald schon in die Knochen fahren würde.
Sorgsam stopfte sie ihre wenigen Habseligkeiten in die zahlreichen kleinen Taschen, die sie an ihrem Gürtel festgemacht hatte. Darunter befanden sich auch zwei Feldflaschen, randvoll gefüllt mit frischem Wasser. Zwar kannte Zialda ihren Weg, nicht zuletzt auch dank ihrer Karte Varants, doch hatte sie die Erfahrung gemacht, dass es sich nicht rentierte, ohne Wasser durch die Wüste zu wandern.
Ihr Wandspiegel mit dem schlicht verzierten Holzrahmen passte natürlich nicht in ihre Taschen, doch sah sie ohnehin keinen Sinn darin, ihn mitzunehmen. Gewiss würde sie nicht alsbald wieder derartig hübsch aussehen, wie sie es in diesem Moment tat.
Ihre Augen waren endlich wieder mit Leben gefüllt, wenngleich in ihnen nur ein schwaches Licht flackerte. Ihre Haut war gepflegt und rein, was sie der täglichen Körperwäsche, derer sie sich in der Vergangenheit beinahe uneingeschränkt bedienen konnte, verdankte. Und nicht zuletzt erschien sie einige Jahre jünger, hatte sie sich vor einigen Wochen doch genötigt gesehen, einen Barbier aufzusuchen, der ihr die Haare färbte. Das einstige Platinblond, das Zialda längst wie eine Greisin hatte erscheinen lassen, war nun einem dunklen Rot gewichen, das, wie sie selbst fand, ihre dunklen Pupillen betonte.
Beinahe lautlos ließ sie die Tempelruinen zu Al Shedim hinter sich. Nur leise konnte man ihre Schritte vernehmen, als sie ruhigen Atems durch den Wüstensand trabte. Innerlich jedoch tobte sie wie eine Düne, großteils aus Angst vor dem Ungewissen, dem sie wohl begegnen würde.
Dabei war ihr Ziel ihr gar nicht wirklich unbekannt. Sie hatte sich dazu entschlossen, erneut die Stadt Bakaresh im Nordosten aufzusuchen, nachdem sie erkannt hatte, dass das Leben als Freund der Nomaden und Helfer der Wassermagier nicht jenes war, das sie anstrebte. Zialda gehörte bereits seit Wochen dem Wüstenvolk an, doch wirklich heimisch hatte sie sich unter ihnen nur selten gefühlt. Die meiste Zeit hatte sie damit verbracht, zwischen den Zelten Al Shedims zu wandern, auf der Suche nach ein bisschen Schatten und Gesellschaft, was ihr jedoch oftmals verwehrt blieb.
Schon seit einigen Tagen trug sie bereits den Wunsch in sich, Al Shedim zu verlassen. Viel zu lange hatte sie ihn ignoriert, doch nun, da sie ihr Unglück selbst erkannte, erklärte sie sich doch dazu bereit, dem Drängen ihrer Empfindungen nachzugeben. Ein letztes Mal also blickte sie auf die Zeltdächer zurück, die sich über die weiten Ruinenfelder erstreckten.
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