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Geisterhand
Der Wind ließ die Äste erzittern. Sie war viel zu weit gelaufen!
Sie hatte in einem Haus am Rande Cunvyndars, der Stadt der Vyndra, gewohnt und hatte immer einen guten Blick auf das Gebirge hinter der Stadt haben können. In letzter Zeit hatte der Wind immer flüsternde Stimmen zu ihr getragen. Sie hatte die Worte nicht verstanden, war sich noch nicht einmal sicher, sie gehört zu haben. Ein innerer Drang hatte sie dazu verleitet, ins Gebirge zu steigen.
In einer kleinen Talmulde kam sie an, erschöpft. Es war ein kleiner, dunkler Wald, voll mit Nadelbäumen, Flechten und Moos. Dieser Wald war unheimlich, als ob ein Raubtier hier hausen würde. Kein Vogel, kein Eichhörnchen und kein Reh war zu sehen.
Melvia setzte sich auf einen Felsen und ruhte sich aus. Da war etwas, tief im Gebirge, was sie rief. Oder war es schon hier? War sie schon bei ihm?
Ein plötzlicher Wind, der sich wie ein tiefes Seufzen anhörte, fiel ihr in den Rücken. Die Vyndra sprang auf und sah sich um. Was war hier? Ein paar Meter den Wald hinein sah sie Wasser, einen See. Langsam ging sie darauf zu. Dort konnte sie ihre Feldflasche wieder auffüllen.
Nebel umhüllte das Gewässer und die Sonne verschwand langsam hinter den hohen Bergen.
Melvia trat ins Wasser, betrachtete, wie das flüssige Nass ihre Knöchel umhüllte und blickte dann auf den See. Ihr gefror das Blut in den Adern, als sie eine Gestalt erkannte. Sie stand unbeweglich inmitten des Sees und schien auf der Wasseroberfläche zu stehen. Kaum mehr als ein Schatten, eine Gestalt in einem dunklen Umhang. Die Dunkelelfe schloss die Augen für ein paar Sekunden, hoffend, dass es Einbildung sei, und blickte wieder auf den See. Niemand stand dort.
Mit einer Gänsehaut im Nacken bückte sie sich um ihre Flasche aufzufüllen. Das Wasser war kalt. Sie nippte an der Flasche. Das Wasser schmeckte scheußlich! Abgestanden und brackig. Sofort schüttete Melvia das Wasser aus ihrer Flasche zurück in den See. Wieder wehte ein kühler Wind, nur diesmal aus einer anderen Richtung. die Vyndra hielt inne. Wieder ein tiefes Seufzen. Langsam blickte sie nach links in den Wald. Der Nebel breitete sich aus, hing schwer und feucht zwischen den Bäumen. Einen Moment glaubte sie, jemand stehe hinter ihr, würde ihr ins Genick atmen, doch als sie sich umdrehte, war da niemand.
"Melvia!"
Wieder wurde ihr Blut zu Eis, als sie ihren Namen hörte. Es war nicht mehr als ein Raunen, aber es schien vom Wind getragen aus dem Wald zu kommen. Was kannte ihren Namen? Was rief sie? Angst machte sich in ihr breit.
"Melvia...", raunte es wieder.
Die Dunkelelfe blickte sich hektisch um. Sie konnte niemanden entdecken. Sie konnte nicht ausmachen, aus welcher Richtung die Stimme kam. Der Nebel schien sie einzuhüllen und die Vyndra wusste nichts zu tun, nur rennen. Weg von diesem Platz.
"Wohin eilst du?"
Die Vyndra sah sich um, während sie immer noch eilig zwischen den Bäumen hindurch lief. Diese tiefen, raunende Stimme klang fast wie der Wind und jagte ihr Schauer um Schauer den Rücken hinunter.
"Wohin eilst du, Melvia?"
Ein Ast knackte und die Dunkelelfe wandte sich fast panisch um, stolperte, war aber sofort wieder auf den Beinen.
Da war sie wieder, die Gestalt. Zwischen den Bäumen stand sie unbeweglich wie ein Schatten.
"Warum zitterst du so?", raunte wieder diese Stimme.
Ein harter Wind wehte Melvia Blätter ins Gesicht und als sie wieder sehen konnte, war die Gestalt verschwunden. Die Vyndra drehte sich im Kreis, schaute panisch von Baum zu Baum. Da war die Gestalt wieder. Schattenhaft. Diesmal näher.
"Fürchtest du mich?"
Melvia war wie versteinert. Sie starrte den Schatten an und nickte kaum merklich. Die Gestalt hob eine Hand, hielt ihr diese Entgegen.
"Komm zu mir!"
Die Dunkelelfe blieb stehen, schüttelte kaum merklich den Kopf. Sie schien am Boden fest gewachsen zu sein. Wieder begann eine plötzliche Windböe, ihr die Haare zu verwirren. Der Wind stieß sie beinahe um, so stark war er auf einmal und Melvia schrie und vergrub das Gesicht in den Händen.
"Befreie dich von der Angst, Melvia!"
Eine Hand berührte sie an der Schulter. Die Dunkelelfe zuckte zusammen, wollte sich umdrehen, doch etwas hielt sie fest. Eine Hand an der Schulter, die andere hielt ihren rechten Handknöchel umschlungen. Es war finster, Melvia konnte kaum etwas erkennen.
"Wer bist du?", fragte sie leise. Der Schatten nahm sie von hinten in den Arm. Seine Arme waren kaum zu erkennen und er fühlte sich nicht fest an. Flüchtig.
"Ein Geist, weder lebendig noch tot, der sich an deiner Anwesenheit betrinken will."
Die Vyndra begann leicht zu zittern.
"Du musst keine Angst haben, meine Schöne."
Die Gestalt ließ sie los und ging um sie herum. Melvia wagte kaum, sie zu betrachten, tat es aber doch. Sie konnte kaum etwas erkennen und das nicht nur, weil es dunkel war. Es war die Gestalt eines Elfen mit langen, dunklen Haaren und einem sehnigen, schlanken Leib, aber mehr war nicht zu erkennen. Sie konnte den Schatten nicht vollständig sehen, erfassen. Er schien nur schemenhaft zu sein, doch berührbar und stark.
"Wer bist du?", wiederholte die Vyndra leise.
"Ich bin deine Sehnsucht." Die Gestalt kam näher.
Melvia wich zurück und hatte plötzlich einen massiven Baumstamm im Rücken. Der Schatten war ihr nun ganz nah, doch konnte sie immer noch kein eindeutiges Gesicht erkennen.
"Ich bin deine Sehnsucht, deine Leidenschaft und deine Lust nach Abenteuer und Verbotenem."
Ein eiskalter Hauch berührte ihr Gesicht. Die Gestalt seufzte wieder, doch diesmal klang es nicht wie der Wind, sondern wie das begehrende Knurren eines Raubtiers. Ein tiefer, lang gezogener Ton. Die Angst wich und kapitulierte vor der Nervosität, gepaart mit Neugierde und Lust, doch wich die Furcht nicht vollständig. Sie spürte den eiskalten Atem des Schattens auf ihrer Haut, hörte ihn raunen uns spürte seine Hände, die sie langsam berührten und die Arme hinauf wanderten. Melvia wagte kaum zu atmen.
"Begleite mich in mein dunkles, verborgenes Reich und werde meine Königin, meine Liebste, die Herzogin des Schattens! Bei mir wirst du dich selbst finden, bei mir wirst du Liebe und Wollust erfahren, wirst Lust und Leidenschaft spüren und mehr bekommen, als in allen Städten und Winkeln dieser Lande. Werde Teil einer großen Familie, in der du geachtet, gefürchtet und bewundert wirst. Trete an meiner Seite in mein verborgenes Reich ein und gib dich mir hin!"
Die Vyndra schloss die Augen. Diese betörenden Worte weckten ein Gefühl, das tief in ihr verborgen geschlummert hatte und nun erwachte. Sie wollte frei sein. Würde sie die Freiheit in den Armen dieses Schattens finden?
"Was bist du?"
"Du kennst mich schon seit langer Zeit, Liebste." Diese Stimme, raunend, tief, flüsternd wie der Wind und eiskalt, drang in sie ein wie eine Klinge. "Ich bin das, was du schon immer suchst und verlangst, wonach du hungerst und dürstest."
Der Körper der Gestalt war dem ihren so nahe, dass sie ihn spüren konnte. Er fühlte sich fassbar, aber zu gleich flüchtig wie Nebel an.
"Bei mir wirst du Glück finden, Melvia."
Die Dunkelelfe spürte kalte Lippen auf ihrem Hals und eine dunkle, flüchtige und zugleich fesselnde Umarmung seines kalten, düsteren Körpers, den sie kaum erkennen und erfassen konnte.
"Ich werde dich in mein Reich bringen, werde dich in Schatten betten und dich ehren, für dich sorgen. Bei mir wirst du Liebe finden!"
Melvia öffnete die Augen und sah nichts, nur nackte Dunkelheit. Ihr Herz raste und ihr Atem ging schneller. "Ich begehre dies alles, doch ist in mir ein Gefühl, als ob ich vor dir fliehen sollte, solange ich es noch kann." Ihre Stimme war leise, kaum zu vernehmen.
"Befreie dich von der Furcht vor Ungewissem! Glaube nur an deine verborgenen Wünsche!"
Melvias Hände begannen zu zittern. Der Schatten nahm ihre Finger in seine kalten Hände, trat ein paar Schritte weg. Sie konnte nur seinen Umriss erkennen. Ein Schauer lief ihr den Rücken hinab, als sie wieder das knurrende, tiefe Seufzen hörte. Sie war nicht im Stande, etwas zu sagen oder sich zu rühren. Er ließ sie los und hob seine Arme. Melvia wollte ihr Gesicht in den Händen vergraben und sich zusammen kauern, warten, bis der Spuk ein Ende hatte, doch konnte sie es nicht. Sie starrte die Gestalt an, so gespenstisch sie auch im Mondlicht aussah, mit ihren langen Haaren, spinnennetzartig, und ihrem langen dunklen Umhang, der sehnige, schlanke Leib darunter. Der Schatten hob die Arme, legte den Kopf in den Nacken und man hörte ihn seufzend raunen. Der Wind, versetzt mit düsterem Gemurmel, erhob sich und spann ein unsichtbares Netz um sie. Melvias Schrei ging im Wind und in der Stimme des Schattens unter und sie schloss die Augen. Sie schien sich zu drehen, spürte wieder die kalte Umarmung des Schattens und sie schrie einen stummen Schrei.
"Du musst nicht schreien, meine Liebste. Niemand wird dir hier ein Leid antun.", raunte die tiefe Stimme des Schattens ihr ins Ohr und Melvia verstummte.
Die Dunkelelfe lag auf einem weichen Untergrund. Es schien ein weiches, seidiges Bett zu sein. Sie hatte nicht mehr das Gefühl, sich zu drehen, sie spürte nur noch das Bett, die Umarmung des Schattens und ihr pochendes Herz. Es war nicht kalt wie im Wald, doch warm auch nicht. Sie konnte nicht sagen, ob sie schwitze oder fröstelte, sie konnte überhaupt keine Temperatur erkennen.
Vorsichtig schlug sie die Augen auf. Es war dunkel, so dunkel wie vorhin im Wald, nur waren sie nicht mehr dort. Alles, was sie erkennen konnte, war das Bett, ein dunkles Himmelbett, mit Vorhängen wie aus Spinnenseide und Bettwäsche aus Schatten. Die Gestalt, der Schatten, lag über ihr, hielt sie in der kalten Umarmung gefangen, bedeckte ihren Körper mit seinem und mit dem düsteren Umhang.
"Eine Braut des Schattens wie du hat nichts zu fürchten. Nicht einmal mich. Du bist nun in meinem Reich und ich werde dich einweihen"
Melvias Atem ging schneller. Sie spürte Neugierde, Begierde und Lust, vermischt mir Nervosität, nur noch ein winzigen Teil Furcht. Der Schatten hob die Hand und legte sie sacht auf ihr Dekolleté, wanderte mit den kalten Fingerspitzen unter ihr Hemd und hielt es fest. Noch bevor Melvia auch nur einen Gedanken daran verschwendete, was der Schatten tat, wurden ihr die Kleider vom Leibe gerissen. Sie wurde von der Gestalt an der Schulter in das weiche, schattenhafte Bett gedrückt, während sie mit der anderen Hand die Kleider von ihren Körper löste. Die Geste fühlte sich nicht grob oder schmerzhaft an, sondern wundervoll befreiend. Ihre Kleidungsstücke schienen an der Seitennaht aufzubrechen und sich in Dunkelheit aufzulösen.
"Du bekommst schönere Kleider, elegant wie die Nacht, damit du im Reich der lebendigen Dunkelheit vor Schönheit strahlst.", flüsterte der Schatten. Melvia spürte seine feinen Haare auf ihrer nackten Haut. "Dein blasser Leib wird angemessen geschmückt werden." Sie atmete tief ein und aus und lag mit offenen Augen im Düsteren, unter der schattenhaften Gestalt, dem Herzog des dunklen Reiches.
"Und nun betrinke dich am Schatten!"
Die Herzog beugte sich zu ihr hinab und die Vyndra spürte einen eiskalten Hauch auf ihrem Gesicht, den sie gierig einatmete. Etwas eiskaltes legte sich in ihre Lugen und sie fühlte sich benommen, benebelt, betrunken.
Sie wollte mehr.
Leise stöhnte sie vor Genuss. Sie hörte den Schatten wieder seufzen, dieses tiefe Raunen drang in sie, erfüllte sie.
Melvia spürte, dass die Gestalt ihr nahe war, spürte ihren Körper und wusste, dass sich ihre Gesichter fast berührten. Wieder spürte sie diesem kalten Hauch auf ihrem Gesicht, den Atem des Schattens, und wieder zog sie ihn gierig ein, betrank sich daran. Ihr Körper wurde kühl, sie wollte mehr, mehr von diesem eiskalten Hauch, doch kam keiner mehr. "Mehr!", sagte sie leise und bittend. "Ich will mich daran betrinken und satt sein!"
Der Herzog der Dunkelheit strich ihr sanft über die Haare. "Nein, das genügt, meine Liebste. Du sollt kein Schatten werden wie ich. Du wirst deine Wärme behalten. Ich werde dafür sorgen, dass du am Leben bleibst, zumindest für lange Zeit. In dieser Nacht wirst du kein Schatten werden. Heute Nacht spürst du das Leben. Die Leidenschaft und Liebe eines Geistes wie mir. In dieser Nacht wirst du zu meiner Herzogin!"
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